Ortega y Gasset

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 Reden wir ein wenig über das Denken. zumal es von allem, was es in der Welt gibt, heute wohl am wenigsten an der Mode ist. Aus der Mode zu kommen, ist nur für reine Modeerscheinungen ein Unglück, nicht aber für eine gediegene,wesenhafte und überdauernde Realität. deren Übergangenwerden durch die Mode nichts Bedrückendes an sich hat. Sieht es doch so aus, als hätte diese Realität in ihrer Glanzzeit, da alles sie umschmeichelte, in Selbstentfremdung gelebt, und kehre erst heute, da man ihr die kalte Schulter zeigt, zu sich selbst zurück, um in geläuterter Form sie selbst zu sein, ebenso oder in noch höherem Maße als in jener Sternenstunde,  der Stunde ihres Aufgangs, als sie nur verborgenes und unbekanntes Keimen war, als die anderen noch nicht um ihr Dasein wussten, als sie, unbehelligt von wesensfremden Versuchungen, einzig an ihr Selbstdasein  hingegeben war.

Bavaria

Den schwarzen Balken rechts von der Bavaria habe ich stehen lassen als mein eigener, schwarzer Schicksalsbalken, der mich mit Bayern verbunden hat. Dort bin ich früher in menschliche Fallen verstrickt worden, für die ich noch nicht den notwendigen Durchblick hatte, oder die Vorsicht, oder die Einsicht in die Realität solcher Fallstricke. Als ich einmal aus meinem damaligen Leben in Kathmandu  zu einer Erbshaftsklärung gerufen wurde, lief ich kurz vor meiner Abreise in ein Auto und lag neun Monate im Krankenhaus mit gebrochenen Beinen, der linke ein Trümmerbruch. Ich hatte Glück im Unglück, wie man so passend sagt, und eines Tages konnte ich wieder gehen. Wir haben auch Freunde in München , zu denen wir zu zweit morgen unterwegs sind. Wegen aufreibenden Träumen musste ich an all diese Vorkommnisse denken. Als ich, auch in einem Damals, meinen ersten LSD-Trip nahm und bereits informiert darüber war von den begleitenden Experten, wie gefährlich ein bestimmter Moment sein konnte, in dem sich eine Kammer öffnet, die sonst dem Bewusstsein nicht zugänglich ist, da kamen bei mir eine bestimmte Sorte von Bayern aus der Kammer hervor, laute und grobe Menschen mit Lederhosen und Bierkrügen, und unter den Lederhosen schwarze SS-Stiefel. Etwas an dem Bayrischen hat die Kraft, meine Urängste hervorzulocken. Ich fürchte den Wams und den Gamsbart am Filzhut. Ich hatte einen schwerreichen Onkel, dem eine halbe Kleinstadt im Allgäu käse-und milchmäßig gehörte, vor dem ich mich auch gefürchtet habe. Er hatte was von Horst Seehofer, und es ist dieses Lächeln, das mich gruseln und dem ich nicht trauen kann, weil ich hinter dem Gezeigten einen ganz anderen Blick erspüre. Ein Lächeln, das nicht gemeint ist als solches, sondern eine Waffe, mit dem man zu demütigen gelernt hat. Allerdings hat das Grauen, das mich manchmal in Bayern ergreift, seine Wurzel in dem Berlin, in dem ich geboren bin. Es ist das Kostüm, in das ich das Abgründige kleide, eine Form von Faschismus und Menschenverachtung, die im deutschen Wesen sein Trauma gefunden hat. Gut, dass es nochmal aufgetaucht ist, denn ich möchte bei diesem Besuch eine Bereitschaft zu frischem Blick haben und werde erst im Dann sehen, ob es mir gelingt oder nicht.

crossing

Ich crosse grad
den Underground
und gehe in den
Überground, der
liegt da, leer und
schön. Ab von den
Hüllen der Reptilien
fällt die Vergangenheit.
Ihr gegenüber wohnt
ein leerer Raum in Blau
und Kühl, Gefühl in
Hell und Weit.Das Recht
auf Licht taucht auf,
ist voller Sanftmut,
leicht und weich.

…als welkten in den Himmeln ferne Gärten…..

Ich bin selbst überrascht, wenn mir in meinen Texten die Jahreszeiten in den Sinn kommen, in diesem Fall der Herbst, wohl im Rahmen meiner eigenen Zeit verbunden mit den dazugehörigen poetischen Wortfetzen, wenn die Blätter wie von weit fallen, und nur die Zypresse, der Trauerbaum, leer und unbewegt steht. Und dass sich keiner jetzt mehr ein Haus baut, wenn er noch keines hat, und dass die tiefe Zeit heranrückt mit den Büchern und den Leselampen. Wenn man noch vor sich hindenkt, fallen einem Dinge ein, die kann man sich ins Bewusstsein holen oder auch nicht, denn zum gedankenlosen Seins-Raum im Sinne eines quellverbundenen Wohlgefühls als einen geistigen Wohnort ist es noch eine Strecke. Am besten, man hängt gar keine Karotten mehr vor das Pferdegespann, sondern gibt adäquate Nahrung, damit die Rosse ihre Arbeit tun, ohne dass man sich ständig einschalten muss. Auch ist mir mal aufgefallen, dass meiner Beobachtung nach im Herbst meist eine Serie von Flugzeugabstürzen passieren, oder vielleicht ist es nur auf meinem Schirm, weil ich selbst bald fliege und in ein riesengroßes, prall mit Menschenleibern gefülltes Objekt steige, die alle von derselben angstvollen Hoffnung durchweht sind, wir, oder vielmehr die vielen getrennten Iche, mögen gesund und munter am anderen Ort heraustreten zu weiteren Schritten, die man ganz gerne auch machen möchte. Auch wird von Poeten oft erwartet, dass sie freiwillig abtauchen in die Unterwelten, und Kunde bringen vom angemessenen Umgang mit Abschied, Tod und Trauer – und Liebe natürlich, das ist wesentlich, da auch diese drei genannten Gefühle ohne sie ihren tiefen Wert nicht manifestieren können. Und auch politisch wird prompt zum Herbst in diesem Land, wo der Herbst berühmt ist für seine Schönheit, ein Abschied prophezeit, und das ist der Abschied von Angela Merkel, einer wahrlich bemerkenswerten Erscheinung auf der Weltbühne. Ich erinnere mich, wie leicht es uns bei ihrem Antritt fiel, uns etwas lustig zu machen über ihre als biedere Formlosigkeit gesehene Gestalt, bevor wir lernen konnten, was alles darin steckt. Und man muss m.E. unbedingt mal, wenn auch nur zu sich selbst, sagen, dass in ihrer ganzen Amtszeit nicht nur sie, sondern das oft unsichtbare Team um sie herum eine Bemühung ausstrahlt und strahlt um Korrektheit, und kein Hauch von bewusst eingeleiteter Korruption hing an ihren Aufgaben, und man muss selbst Politiker/In sein, um zu wissen, wie ohnmächtig doch auch jeder Beteiligte an diesem Zirkus werden muss, wenn die interne Sachlage mal mehr als klar ist. Dass Frau Merkel Führungsschwäche angehangen wird, weil sie z.B. Horst Seehofer nicht hochkantig aus dem Schiff gefeuert hat, ist ungerecht, denn es ist nur ein dramatischer Vorgang auf der Ebene der Diplomatie. Das wissen auch alle, dass es da keine guten Lösungen geben konnte. Angesichts dieser perfiden Lage hätte man sich in der Tat gewünscht, dass eine Kanzlerin mit ihrer verfügbaren Qualität im rechten Moment abgetreten wäre, wenn es nur darum gewesen wäre, der subtilsten aller Männerfantasien nicht begegnen zu müssen, nämlich dem Rachezug des Sohnes gegen die Mutter. Unter anderem ein Mutti-Mord also, das lässt sich nicht leugnen,  da auch gerade von diesen Söhnen nun lustvoll die Dämmerung ausgerufen wird. Zum ersten Mal wird in den Nachrichten von verschiedenen Gestalten gesprochen, die im Hintergrund des Geschehens als NachfolgerInnen gehandelt werden. Alles auf dieser Ebene ist Mach- und Machtwerk des Denkens. Und wir sind ja alle froh, dass wir in einer potentiell reichen, demokratischen Multi-Kulti Kultur leben, in der man allzu gerne davon ausgehen möchte, dass viele Bürger und Bürgerinnen sich ein eigens, souveränes Urteil bilden können über wesentliche Vorkommnisse, die die Gesellschaft, also uns alle, betreffen.

Titelzeile aus einem Herbstgedicht von Hermann Hesse

Im Bild sieht man Shiva als Nataraj, den kosmischen Tänzer. Es ist eine verifizierte Figur aus dem 14. Jahrhundert und kam zu uns aus dem Besitz unseres einstigen  Hauseigentümers, eines großherzigen Gönners und Sammlers kostbarer Schönheiten. Gestern wurde ich durch einen Blick auf den tanzenden Schatten angezogen, der seinem Namen alle Ehre macht. Auch ist im Hintergrundsbild der starre Umkreis durchbrochen, und letzendlich tanzt hier vor allem das Schattenbildnis. Da ich mich jahrzehntelang im indischen Denken und Sein aufgehalten habe, kann ich mich nun erfreuen an meinem eigenen Lächeln, was Gott und Götter und ihre tanzenden Schatten betrifft. Auch meine Betroffenheiten habe ich weitgehend hinter mir gelassen darüber, was ich alles in der Lage war, für lebendiges Wissen zu halten. Und bin trotzdem erfreut, dass ich es erleben durfte, dass sie (die Götter als Prinzipien) meine vertikale Richtung so exzellent unterstützen konnten, denn auch heute noch bin ich überzeugt, dass man erst einmal durch irgendeinen eingeschlagenen Weg aus sich heraus muss, bevor man eines Tages, wenn man dann noch da ist, zum ureigenen Weg zurückkehren  will und muss. Runter von den kühlen Berggipfeln und den Ekstasen der Einsamkeit. Und ob nun Nietzsche als Zarathustra mit seinem Adler den Berg herunter muss oder ein kontemplierender Philosoph, der den eisigen Wind eines Intellektes als eine Gefahr erkennt, die nur durch menschliches Sein und Handeln gebannt werden kann, es ist derselbe Sprung vom vermeintlichen Oben zurück auf den Staub der Straße, oder wie man es nennen möchte. Denn jeder nennt es anders, obwohl Äther und Staub in der Erfahrungswelt sich oft ähneln, so auch die Straßen und ihre Hinweisschilder, die einem die Ziele nicht nur vorgaukeln, sondern nur darin erschrecken können, dass es bei Ankunft immer weitere Schilder und Hinweise gibt, sodass man sein Leben im scheinbar geordneten Verkehr für abgerundet halten könnte, würde nicht der unruhige und aufgeschlossene Geist weiterdrängen, als wüsste er, wohin. In diesem Rahmen und Kontext ist Einhalten gut an einem Ort, wo dieser Zustand geschätzt wird und seine eigenen Herausforderungen zu Tage bringen kann. Denn hier geht es viel um innere Verdunkelungen und Fallstricke und praktische Tipps, wie man am besten durchkommt durch das Labyrinth der eigenen Webstuhlmuster, an denen man so hart gearbeitet hat. Ich bin’s, ich bin’s, ich bin die Weberin. Das muss mal sein, dass man ichmäßig jauchzt über die eigene Anwesenheit und den persönlichen Aufenthalt, bis auch das seine tanzenden Schatten zeigt, und man lernt, im Wirbelsturm innerer und äußerer Vorkommen das Steuer nicht mehr herumreißen zu müssen, sondern eher gelassen an den nun sichtbar gewordenen Eisspitzen vorbeinavigieren gelernt hat. Nie ist alles getan, und ein Ende gibt es nicht. Eines Tages ist man selbst nicht mehr am Rad, aber weiter geht es doch, ein wahrlich herzverstörener Fakt. Wenn allet weiter jeht, nur icke nich! Das dauert lange, bis man die Klarheit erworben hat, damit umzugehen. Am liebsten möchte man ja tanzend und freien Gemütes in die Feuerflammen steigen, und dann als Phönix prachtvoll aufsteigen, ächz, stöhn und kicher, ein langer Weg, da wollen wir uns nichts mehr vormachen. Wenn ich hier abrupt in (m) ein kosmisches Amt überwechsle, so deshalb, weil es mich erinnert, dass Kali, hier als Consorteuse des Schattentänzers, dafür verantwortlich ist, Illusionen zu zerstören, vor allem aber die eigenen, auch wenn ich das Wort „zerstören“ nicht so günstig finde. Wir bewegen uns ja notgedrungenerweise oft in Translationen, und so meine ich, dass es gut ist, das eigene Illusionspotential gründlich und leidenschaftlich zu durchforschen, und auch wenn am Ende (welches immer auch ein Anfang ist), dann ziemlich wenig übrig zu bleiben scheint, von dem man ausgehen kann als  Wahrheitsnektartrunk, dennoch zum Wohl und Prost!, da findet sich gar kein Bedauern, denn auf einmal sieht man, dass alles da ist, wirklich da ist, und vor allem die Wärme des inneren Stromes im kreativen Vorgang des Miteinanderseins. Die Einzelnen frei und dennoch geborgen im Gemeinsamen Da gibt’s eben keinen, der von oben herabschaut und sich Notizen macht.

beidseitig

Ab und zu muss man die andere Seite dazu nehmen, sei die eigene Ansicht auch noch so scheinbar klar und eindeutig, sonst sieht man das Jeweilige nicht in unterschiedlichem Licht, und das eigene Auge wird getäuscht durch die unverrückbare Linie der Wahrnehmung. So ist es oft mit persönlichen Einstellungen, denen es nicht schadet, von der Gegenüberstellung eines ebneso einleuchtenden Gedankens überrascht zu werden. Ein gutes Beispiel für mich ist dafür der Blick. Es ist einleuchtend, dass der Blick, den ich  auf alles werfe, weitgehend von meinem persönlichen Befinden abhängt. und dadurch auch meine Umgebung ständig mitformt. Das kann man, wenn man möchte, täglich an sich selbst beobachten. Die Quantenphysik hat uns gelehrt, so, als wäre sie auf einmal universelle Geheimsprache geworden, die gar nicht vor terroristischen Angriffen geschützt werden muss, nein. Auf dem Marktplatz der Städte kann mein einen Ausrufer damit beauftragen, es allen zu sagen, weil es wichtig ist, und man könnte sicher sein, dass keiner stehen bleibt, und die, die stehen blieben, würden vermutlich den Zusammenhang aus innerem Erkennen heraus nicht verstehen, obwohl, wie oben begonnen, hat die Quantenphysik uns gelehrt, dass es sehr wohl der Blick ist, der unsere eigene Welt unaufhörlich gestaltet, und zwar mit geradezu gnadenloser Präzision, obwohl man diese Gnadenlosigkeit auch als Freiheit auffassen und begreifen kann. Nun kam mir aber noch ein Gedanke dazu, der das Bild auf beunruhigende Weise erweitert, und zwar dadurch, dass es noch eine andere Möglichkeit des menschlichen Auffassungsvermögens gibt, auf die Welt zu schauen. Diese Wahrnehmung einer anderen Schau-Möglichkeit kommt einem meist nach einiger Praxis des Austarierens zwischen dem Innen und dem Außen, dem Hier und dem Dort, dem Lebendigen und seinem Widersacher. Ist d a s nun etwas im Lot und kann einem als Kompass dienen, so kann sich das von einem selbst Angestrebte wieder zurückziehen an einen ruhigen und doch bewegten Ort im Inneren, an dem die Impulse des Sehens in eine Gelassenheit navigiert werden, die das Daseiende weder ignoriert, noch beteiligt ist an dem permanenten Meinungsaufbau über die Dinge und ihre vermeintlichen Bedeutungen. Das heißt, ich erlaube mir eine Übermüdung an meinem eigenen Ich-Konstrukt – und lasse dadurch einfach sein, was ist. Vielleicht sehe ich das Andere dann zum ersten Male ungetüncht von meiner eigenen Vorstellung und kann sehen, was es ohne meine Wahrnehmung (Meinung) ist. So kann man beides gründlich bedenken und zwischen der Kunst der Gestaltung und der Kunst des Nicht-Eingreifens in die Gestaltung  eine für einen selbst angenehme Ausgleichung erlangen, die einem ermöglicht, souverän(er) mit dem Erforderlichen umzugehen.

 

 

offen/zu – zu/offen

Offensein ist ja ein sehr wertgeschätzter Zustand, mit dem man gerne sich selbst verbindet, wohl wissend mit zunehmender Praxis, wie unumgänglich es eines Tages ist, zu wissen, was man selbst darunter versteht. Ob es auch eine schädliche Offenheit gibt, zum Beispiel, oder ob man das Zu-sein gleichermaßen erfahren muss wie das offen Ausgerichtete, um überhaupt zu wissen, wann es jeweils angebracht ist, die beiden Zustände wirken zu lassen. Nun ist man meistens ziemlich lange beschäftigt  mit dem Erfassen der persönlichen Seinsweise, einerseits aktiver Spieler im Spiel, andrerseits im Umgang mit anderen Spielern genötigt, einen gewissen und einem selbst so weit wie möglich entsprechenden Durchblick zu erhalten von der vielfältigen und verwirrenden Playstation  des universellen Vorgangs, in dem jede und jeder Einzelne die Sache erst einmal von seinem eigenen Standpunkt her ansieht. Eigentlich ist als Standpunkt überhaupt kein anderer verfügbar als der eigene. Alles weitere hat mit einem Hinauslehnen aus inneren Türen und Fenstern zu tun, manchmal auch Tore, die wie vergessene Kulturen im Wüstensand des Zeitlosen herumstehen, dann auch ein Blick zuweilen in einen Abgrund, in unermesslicher Tiefe zwischen zwei Gletschern entstanden, wo das Eis mit seinen Gesängen allein ist. Oder auf einem hohen Ort, zu dem man technisch nach oben gebracht wird, und dort angekommen, von der Sicht nicht getäuscht wird, denn sie erlaubt einem grenzenlose Ausdehnung ganz im Sinne von: so weit das Auge reicht. So weit, wie das (innere und äußere) Auge reicht, kann man es Offenheit nennen. Verlässt man den Ort, ist diese Ausdehnung nicht mehr in derselben entspannten Gefahrlosigkeit angebracht. In der Wildernis des Aufenthalts muss man beides zur Verfügung haben, das Erschlossene und das Verschlossene. Das Naive, so charmant es auch sein mag, ist immer auf das Gereifte angewiesen, sei es auch nur auf der Oberfläche, wo es den Stoff für die Serien bietet. Zusein und zumachen unterscheidet sich auch. Sobald ich den Unterschied kenne zwischen auf-und zumachen, bin ich verantwortlich für die Drehtür, bei der ich lerne, was ich drin haben möchte und was nicht. Und was raus soll in die Welt, und was noch nicht gereift genug ist, um sich in der Welt zu bewegen. Was noch genährt werden muss, um, der eigenen Vorstellung entsprechend, satt und genährt zu sein. In Ruhe gelassen von sich selbst, sodass in dieser Ruhe der Genuss des Beisichseins empfunden werden kann, und sich als die Quelle grundsätzlichen Wohlbefindens entpuppt.

 

Eugen Herrigel

Bildergebnis für Eugen Herrigel

Nun wäre es ein Missverständnis zu meinen, die Innenschau, möge sie fundamentalen Gewinn bringen, sei doch mit folgenschwerem Verlust bedroht. Es entgehe ihr die leibhaftige Fülle  des gegenwärtig Daseienden, sie werde um den Sinn dafür betrogen. So wichtig es sei, die Dinge von ihrem erlauchten Ursprung her zu sehen, so wichtig sei es doch auch, sie als das aufzufassen, was sie ganz einfach s i n d. Nicht nur, dass sich in ihnen etwas manifestiert, sondern wie, in welcher Form und Gestalt es sich manifestiert. Aber dieser Einwand trifft nicht. Gerade weil es für die innerliche Schau charakteristisch ist, dass sie das Geschaute nicht nach dem befragt, was es in Beziehung zum Schauenden bedeuten könnte, lässt sie das Seiende sein, was es – vom Ursprung her – sein will, fasst sie die Dinge so auf, wie sie bildlich gesprochen,  ‚gemeint‘ sind.

 

Aus: ‚Der Zen-Weg‘

baden

Das Bild hat nichts mit dem Samstag zu tun, so wie Bilder selten was mit den Wochentagen zu tun haben, aber Wochentage alles mit Bildern. Wo auch immer Bezüge hergestellt werden, dient das jeweilige Bild dafür. Man könnte es einfach sein lassen, wie es ist, aber erst durch den Blick darauf verbinde ich mich damit. Direkt fällt mir ein, dass es in spirituellen Praktiken oft oder immer darum geht, den Blick nicht nur nach innen zu lenken, sondern auch da zu halten, eben damit das Bild von der eigenen Wahrnehmung nicht gefärbt wird, sondern sein kann, was es ist. Ein interessanter Gedanke vor allem innerhalb des westlichen Denkens, wo sich ein ähnlich komplexer Weg durch die unterirdischen Gänge gebuddelt hat, um in letzter Konsequenz und trotz der zahllosen höchstpersönlichen Zugänge im selben Raum zu landen, wo die Begegnungsebene schlicht und einfach eine Erweiterung erfährt. Der Somnambulismus, der mit bequemen, aber eingefahrenen Gewohnheiten oft einhergeht, nimmt bei erlahmendem Interesse oder nachlassender Wachsamkeit zu und wird dann gerne als Gesamtpaket das Schicksal genannt, il destino, das für einen und durch einen Bestimmte, das zum eigenen Spielfeld gehört und auch von anwesenden Spielern und Spielerinnen mitgestaltet wird. Für uns alle ist das ja ein geradezu unheimlicher Heldengang, nichts weniger als eine Odyssee, so, als müssten wir uns nicht am Mast des Schiffes mal festbinden lassen, um den verführerischen Gesänge der Sirenen nicht zu verfallen. Das wird ja nicht immer und überall im Film festgehalten, wenn Seile nicht stark genug sind und Sirenen sich ihre Opfer schnappen, und kein Dumbledore in der Nähe, der immer zur Stelle ist mit brauchbarem Rat und klärender Tat. Als Kind schon grübelnd unterwegs in der verschleierten Welt, die erst noch entziffert werden muss, bis eines weit entfernten Tages auch kein Dumbledore mehr herhalten muss als Wegweiser. Und wie hat es Dumbledore überhaupt geschafft, so menschlich zu wirken dort auf einsamer Spitze. Wie wohltuend es doch für unsere Kinderaugen ist, einmal auf unzerrissen Wissendes zu schauen, wenn auch „nur“ durch die von ihren Kindern angeregte Phantasie einer Mutter.  Die immerhin den Nerv der Nationen traf, sodass für die Kinderbücher neue Umschläge  konzipiert werden mussten, damit sich Erwachsene wohlfühlen konnten, wenn sie das Buch mit in die Bahn nehmen. Und wie der gute Junge mit dem genetisch vererbten Fluch des Bösen umgehen musste, da half kein Liebsein. Da half aber auch kein Bössein. Was half denn da? Die Mutter der Bücher hätte auch Philosophin werden können, vielmehr war sie innerhalb des Märchens ja bereits Philosophin, denn sie musste ja über all das nachdenken, nämlich geht es hier um einen Sieg oder was wären die Folgen der Niederlage, also wer schafft es, und wer liegt darnieder. In den meisten Filmen weiß man, dass es irgendwie ordentlich ausgeht, vor den anderen wird man rechtzeitig gewarnt, zum Beispiel bei Filmen von Quentin Tarantino, der selbst als enfant terrible durch seine Filme geistert und wahrscheinlich erst durch sie etwas von seinen verborgenen Trieben erfährt. Wie erfährt man etwas Genaueres über verborgene Triebe und Arten und Weisen, die man an sich selbst noch nicht richtig geklärt hat. Ist ‚richtig‘ hier das richtige Wort? Manchmal weiß man es nicht, ob das, was man für richtig hielt, auch mal ein Bad im Bergsee braucht. Mal durch die Kälte des Wassers ein wenig erschrecken, obwohl das Erschrecken nicht wirklich messbar ist, und durch das Schütteln die geistige und körperliche Erfrischung zu spüren bekommt, die einen das nächste Mal daran erinnert, dass die Wärme dann ja doch wieder zurückkehrt, und die Freude, am Leben zu sein.

21. September 2018


Das Bild zeigt die junge indische Frau, die ich gerne bei Gelegenheit als meine Tochter vorstelle. Sie hat heute Geburtstag und das Bild ist ihr heutiges Photo auf WhatsApp, darunter das Photo eines schwer definierbaren Goldklumpens, mit freier Leseart ausgestattet, und dient hier als karmischer Glanz, der sich noch entfalten muss und kann. Als es bei mir heute früh 5 Uhr war, fiel mir ein, dass es dort schon 9 Uhr dreißig ist, entscheide mich für einen WharsApp Anruf, 5 Sekunden später sind wir verbunden, als säße sie im Nebenraum. Also herzlichen Dank auch an WhatsApp, denn irgedwie entwickelt sich der Tag, nun ja, mein Tag, aber auch d e r Tag, als ein Tag der Dankbarkeit, wo man dann vor lauter Dankbarkeit gar nicht mehr weiß, wo man anfangen, bzw. aufhören soll. Ich danke also meinem Schicksal, dass mein Fuß auf einer staubigen, indischen Straße vor genau 23 Jahren an ein Bündel gestoßen ist, das sich als ein gerade geborenes Kind entpuppte. Sie sah uralt aus und nicht sehr lebensfähig. Ich habe sie dann mitgenommen und mir bei einer empfohlenen Ärztin Rat geholt, die dann so etwas wie meine Großmutter, Beraterin, weise Frau zur rechten Zeit wurde. Wäre sie nicht schon weit über 80 gewesen, hätte sie das Kind adoptiert. Adoption war Teil ihres Lebens und damals in Indien mit wenig Komplikationen verbunden. Die Bewahrung der Kinder vor der Auslöschung. So ist Asha (Hoffnung auf Hindi), wie sie heute heißt, die ersten Monate ihres Lebens mit mir aufgewachsen. Als ich abreisen musste und keinen Weg gefunden hatte, sie mit mir nach Deutschland  zu nehmen, fanden wir (letztendlich) ein Paar aus der Jain Gemeinde, die lange Zeit verheiratet waren und keine Kinder hatten. Sie wohnten eine Stunde entfernt von unserem Dorf und ich konnte sie jedes Jahr sehen und ihre Entwicklung mit gestalten. Vor ein paar Jahren starb dann ihre „Mutter“ an Krebs, dann auch die Mutter ihres jetzigen Vaters. Er war es, in den ich damals sofort Vertrauen hatte, dass er sich gut um sie kümmern würde, und das hat er im Rahmen seiner Möglichkeiten auch getan. Ein guter Vater, sie hat wirklich Glück mit ihm, denn er liebt sie aus einer tiefen Bescheidenheit heraus und hat auch aus sich selbst einen würdevollen Menschen gemacht. Am Telefon heute früh klang sie nicht sprudelnd, aber auch nicht klagend. Sie führt den Haushalt, studiert zuhause für die Examen und absolviert sie in einer naheliegenden Stadt. Ich bin in Panik, sagte sie am Telefon, dass ich schon 23 Jahre alt bin und noch nicht verheiratet. Ich halte eine Kurzvariante meiner berühmten Reden über die grandiosen Möglichkeiten von uns Frauen in diesem Zeitalter, aber einerseits ist sie moderner als ich und postet unermüdlich in die Welt hinein, wo andere zurück posten, und andrerseits muss trotz alledem der Ehemann bald erschaffen werden, wenn auch nur, damit es endlich geklärt ist. Regelmäßig werden ihr junge Männer aus der Jain Community zugeführt, aber sie konnte noch keinen genug leiden. Zu dem, was ich in meinem bisherigen Leben als „gelungen“ bezeichnen würde, gehören die ersten sechs Monate mit ihr. Noch nie hatte ich so viel verstehen können von dem, wovon ich keine Ahnung hatte. Auf einmal hatte ich ein Kind und musste es am Leben halten. In der Tat war sie das schönste Kind, das ich je gesehen hatte, pure Transzendenz des Alltäglichen, jeder Hauch einer potentiellen Weltermüdung weggefegt im Angesicht des realen Wunders, auf das niemand außer mir Anspruch erhob. All dieses freie, poetische und von tiefem Sinn durchwobene Erleben, das wir miteinander hatten, das ist auch heute noch spürbar. Sie hatte schon, sagte sie, auf meinen Anruf gewartet. Ich muss es gespürt haben.

 

noor

Sich selbst ist nur die Liebe,
daher auch nur sie: selbstlos.
Nur sie ruhend im Widerspruch
als ein Quell. Nur sie ohne die
Not des Warum. Nur sie,
losgelöst von uns allen auf ihrer
einsamen Bahn, in ihrem
ureigenen Wesen geborgen, im
eigenen Rhythmus befreit
durch ihren öffentlichen
Geheimaufenthalt – die ewige
Herrscherin ihrer Zeit.
Nur sie ist nicht zu finden in
Kriegen, im Wollen. Nur sie
ist immer bereit zum Sein.
Nur sie hält stand, wenn ich das
Wunscherzeugte befrage.
Nur sie lässt mich wissen um das
wirkliche Einsamsein. Komm,
sagt sie, in das Land, in dem ich lebe.

undurchsichtig

 
Demokratia, lese ich nach, bezeichnet Herrschaftsformen, politische Ordnungen oder politische Systeme, in denen Macht und Regierung vom Volk ausgehen, das entweder unmittelbar oder durch Auswahl entscheidungstragender Repräsentanten, an allen Entscheidungen beteiligt wird, die die Allgemeinheit verbindlich betreffen. Sehr schön, und wer wollte nicht lieber in einer ausgerufenen Demokratie leben als in anderen Herrschaftssystemen. Doch will man zu sowas wie der sogenannten causa Maaßen nicht wirklich ein persönliches Senfkorn dazu geben, hat man doch nicht wirklich eins in der Hand. Indien ist ja auch eine Demokratie, und man sieht häufig um Wahlzeiten herum Menschen mit schwarzen Fingern oder Nägeln, die dadurch den Abdruck ihrer demokratischen Identität zum Ausdruck bringen, ohne den eigenen Namen schreiben zu können. Gerechterweise häufen sich gleichzeitig die MitdenkerInnen,  und beides sagt absolut nichts aus über die Qualität und Persönlichkeit eines Menschen. Wie weit der Bürger oder die Bürgerin sich in das politische Geschehen einbringen, bleibt ihnen überlassen, obwohl es schon oft vorkam, dass eine einzige Stimme das Zünglein an der Waage sein durfte. Und so kann jeder ein bedeutsames Zünglein sein, und es schadet nichts, ein Kreuz zu setzen in das leere Rund. Was so eine Nummer wie die causa Maaßen betrifft, so kann man sich durchaus das Sumo-Ringen im eleganten politischen Ambiente vorstellen, damit so wenig Gesicht wie möglich verloren werden wird, und jeder im Ring Abstand nehmen muss von eigenen Vorstellungen. Das persönliche Machtspiel hat wenig (oder alles?) mit demokratischem Vorgehen zu tun, und man kann froh sein, überhaupt mit einem gewissen Maß an Vernunft rechnen zu dürfen, auch wenn diese Vernunft nach außen nicht transportiert werden kann, was meist nichts Gutes aussagt über eine derzeitige politische Konstellation, die zu Zugeständnissen gezwungen wird, die Vertrauen und Allgemeinwohl des Volkes gefährden. Könnte jemand wie Frau Merkel genau beschreiben, was da wirklich vorgefallen ist im Hinterzimmer, hätte man wahrscheinlich das menschliche Verständnis verfügbar, nicht aber das Vertrauen in ein stabiles Steuerrad…obwohl, obwohl, wer weiß? Alle Politiker sind zum Lügen gezwungen, es kommt nur auf die jeweilige Dosis an, die man für nötig hält. Das kennt doch jeder, wenn inmitten eines Streitgesprächs das Telefon klingelt und man ruckzuck ein/e ander/er sein kann. Man bestimmt ja ständig selbst, wer man ist, bewusst oder unbewusst. So denke ich, dass Angela Merkel genau wusste, dass, wenn sie diesem ungeheuren Vorgang von Herrn Maaßens Beförderung nicht zustimmt, das Ende der Großen Koalition besiegelt ist. Und so nahmen sie alle nach gewaltigem Ringen ihre Karten in die Hand und ließen sich gegenseitig nicht hineinschauen, und siehe, alle Joker waren im Spiel.

Die Bilder zeigen nicht nur die Undurchsichtigkeit des politischen Vorgangs, sondern
sind Reflektionen in einem Kristall, die ich gestren eingefangen habe.

heute

Das ist zweifellos ein sehr langer Sommer, das hebt die Stimmung und bietet viele Vorteile. Zum Beispiel höre ich unterwegs im Radio, dass man wegen des vielen Ins-Smartphone-Starrens mindestens zwei Stunden täglich draußen sein sollte gegen die Kurzsichtigkeit und die Halsstarre und gegen alles und für alles, was noch dazu gehört. Ich selbst muss heute, zwar verhältnismäßig wenig geplagt von diesen spezifischen Nöten, ins Visa-Zentrum, also in die Stadt, wozu immer ein gewisses Maß von Kraft gehört: der Stau, der Parkplatz und all das, auf was man gar nicht gefasst war. In einem Park, den ich durchqueren muss, sehe ich einen alten Mann, der sein Hab und Gut durch die Gegend schleppt, ein Obdachloser, der wie alle Obdachlosen irgendwann, wenn die Stadt brummt, aufstehen muss vom ergatterten Nachtplatz. Jetzt schon ist es kalt, man will sich das nicht vorstellen, und meine Vorstellungskraft, wie Menschen durch ihre Nächte kommen, ist in Indien schon weit über ihre Grenzen gedehnt worden. Was mich an diesem alten Mann berührt ist, dass er dunkelhäutig ist. Meine Güte, wo bist du, wo sind Sie, werter Mensch, hergekommen, um hier durch den Park zu irren, immer noch mit zu schwerem Gepäck, das das Mindeste enthält, was ein obdachloser Mensch braucht. Ich denke an Geld, ich denke an reden, ich lasse beides, denn ich sehe dieses bestimmte Lächeln, das zu einem gehört, der nicht mehr ganz bei sich ist, wenn er es denn jemals war, ein liebevolles Lächeln, das mildert ein wenig den Stich der Ohnmacht. Wie gut sich für ihn und seine Schicksalsgenossen die Sonne anfühlen muss, und wenn ein wenig Essen auftaucht, ist schon viel Gutes im Tag.  Eine gute Freundin von uns, eine Poetin, schickt manchmal Geld nach Amerika, wo eine Frau, die sie gut kannte und kennt, durch eine Reihe von Schicksalsschlägen obdachlos geworden ist. Sie bewundert sie für ihre Kraft des Durchhaltens, eben auf einer Bank in einem Park zu wohnen. Auch dazu muss man einen Menschen kennen, der ein Bankkonto hat. Es gibt viele Wunder, die nicht weiter auffallen. Ich laufe auch gerne in den Sonnenstrahlen bei solchen Gängen, um die man nicht herum kommt. Das Visa ist teuer, 140 Euro, jedes Jahr teurer. Ach, dachte ich, als die lange Prozedur der Formulare vollbracht war, schau ich doch mal schnell bei H&M, oder woanders, rein. Tue ich aber nicht, was soll ich da. Mir fällt absolut nichts ein, was ich brauchen könnte. Ich fahre lieber zurück, trinke dort entspannt einen guten Kaffee und starre ins Grün. Ich bedaure, nicht mit dem Mann gesprochen zu haben. Wenigstens zu erfahren, wo er herkam und ob er sich überhaupt in unserer Sprache verständigen kann. Wenn so ein Mensch freundlich lächelt, denkt man, das kann nur der Wahnsinn sein. Vielleicht war es ein Mensch, der sein Schicksal akzeptiert hat, nun, in größerer Nähe des Todes.

 

gut

Haustiere liegen ja meistens mühelos in der Nähe der Herzgegenden herum und ermöglichen Dinge und Einstellungen, die einem ansonsten unakzeptabel vorkommen würden, zum Beispiel das Herausnehmen von Rohfleisch aus der Dose, oder die Ankunft toter Wesen auf dem Teppich, neulich mal ein kleiner Marder, auch mal ein Vogel. Das kennt man ja noch aus eigener Kinderzeit, die Bücher mit Mäusen, die in den Löchern im Haus dem gierigen Kater entfliehen. Was nützt da die vegetarische Einstellung. Das Tier, schamlos, wie es seine Natur nun einmal gedeihen lässt, trägt eben nicht die Bürde des Bewusstseins, weswegen unsere Zuneigung zu dem Tier dadurch eine Erweiterung erfährt, auch wenn man dem Vorgang grundsätzlich nicht zustimmt. Auch kommt es vor, dass man das vom Tier geplante Fressen noch vor dem Mörderspiel abfangen und befreien kann, das gelingt nicht immer rechtzeitig. Trotzdem, eben, die mühelose Liebe, die nicht so leicht zu beirren ist. Wie viel komplizierter und mühsamer ist es mit Menschen. Daher wird in jedem Land auf geheimnisvolle, aber geordnete Weise, ein Code of Conduct erschaffen, an dem die potentiellen Entfesselungen einen Halt und eine Ordnung finden, auch Richtlinien, Hinweise auf das, was irgendwelchen festgelegten Erkenntnissen zufolge sein soll unter Menschen oder auch nicht. In diesem vorgeschriebenen Rahmen bewegt sich stets das sogenannte Gute in zahllosen Legierungen mit dem sogenannten Bösen, die beide in ihrer extremen Erscheinung ziemlich selten sind. Außerdem sind beide Phänomene schwer zu erkennen, da die Vielfalt der Variationen so unendlich ist. Und geht es jemandem um das Verständnis der Dosierungen in der eigenen alchemischen Zusammensetzung, bedarf es einiger technischer Verfeinerungen des Gemüts, um dafür überhaupt ein Interesse zu entfalten, nicht ‚wer bin ich eigentlich‘, sondern (auch) ‚w i e bin ich eigentlich, wobei eine immer mal wieder erfrischte Selbsteinschätzung sicherlich nicht schadet. Wo verhalte ich mich z.B. s o, wie ich nicht sein möchte, und warum hilft hier das Möchten (noch) nicht? Das Verständliche und das Groteske an der Liebessucht ist ja, dass einem nichts schöner vorkommt als genau für das geliebt zu werden, was man gerade in der Lage ist zu sein. Nur, wer ist man da auf einmal in der Rolle des Paradiesvogels, als alles noch war, wie es einst sein sollte, weswegen niemand weiß, wie es wirklich irgendwann einmal war, und wiederum weswegen wir uns selbst immer mal wieder diese Fragen stellen können, damit wir wissen, wer das ist, der oder die da antwortet. Oder es, das Es. Das mythosumwitterte Land des Inneren, wo auf stets sich neu erschaffenden Bühnen die Szenarien entwickeln, die Drehbücher, die Romane. Wo der Stoff entsteht, aus dem die Filme sind, und die Filme wiederum, die aus dem Mutterleib entstehen, ewiges Gebären unter der Flagge der persönlichen Beantwortung. Wenn alles, was sich innen abspielt, mit leidenschaftlicher Freude gespielt werden würde, also nicht die Not eines Ausdrucks für Exzesse und Auschreitungen und Überschreitungen des als menschlich geltenden Verhaltens, dann ginge es allen sehr gut, denn die innere Freude würde ganz automatisch und ohne Zwang ein freundliches Verhalten hervorbringen. Warum auch nicht, wenn einem keiner was antuen will. Oder vergisst, was Antun ist, oder es nicht anders gelernt hat als  dass man einander was antut. Das ist, was ich unter Alleinsein verstehe: das Umschauen in der eigenen Welt, ob die Quelle noch das als Gesundheit empfundene Sprudeln hervorbringt, das einen befähigt, ungebunden in Gebundenheit zu leben, ohne darin einen Widerspruch zu erfahren.

 

G.F.W. Hegel

Bildergebnis für Hegel

Die Gestalt ist räumliche Ausbreitung, Umgrenzung, Figuration,
unterschieden in Formen, Färbung, Bewegung usw., und eine
Mannigfaltigkeit solcher Unterschiede. Soll sich nun also der
Organismus als beseelt kundtun, so muss sich zeigen, dass derselbe
an dieser Mannigfaltigkeit nicht seine wahre Existenz habe.
Dies geschieht in der Art, dass die verschiedenen Teile und Weisen
der Erscheinung, die für uns als sinnliche sind, sich zugleich zu
einem Ganzen zusammenschließen und dadurch als ein Individuum
erscheinen, das ein Eins ist und diese Besonderheiten, wenn auch
als unterschiedene, dennoch als übereinstimmende hat.

grundsätzlich

Man nehme als Grundlage etwas (selbstgemachtes) Apfelmus und rühre einen tüchtigen Schuss Johannisbeersirup hinein und vermische es mit dem Mus. In diese kostbar glitzernde Fläche senke man eine ordentliche Portion Sahne und erschrecke darüber, was dabei hervortritt. Hier muss das „man“ verlassen werden. Aus ‚man‘ soll ‚ich‘ werden. Ich erschrecke also und traue mich nicht, den in die Substanz versunkenen Löffel herauszunehmen, um dem freiwillig Erschienenen Raum zu geben. Fast greife ich zum Pinsel, um ein paar weitere Konturen zu setzen, aber das sind zwar Farben, aber nicht auf Papier. Würde ich nun der Gestalt einen Namen geben, zum Beispiel Magnus Ribes Nigrum (der aus dem Phänomen der Strömungsmechanik schwarzer Johannisbeeren Erschienene), dann könnte ich das Ganze als genussvollen Essvorgang vergessen. Man isst nicht, was bereits einen (persönlichen?) Namen hat, oder isst man es doch? Früher, als die Kühe noch nicht diese Knöpfe mit den vielen Zetteln an den Ohren hatten, die sie als Steak kennzeichnen, hatten sie wohl oft auch Namen, sowas wie „Else“, und vermutlich hat es Else auch nicht geholfen auf dem Weg zum Schlachthof, nur die Zeit davor war vielleicht etwas liebevoller gestaltet. In Tibet war es unter friedlich ausgerichteten Tibetern, die auf das Yakfleisch angewiesen waren, üblich, das Schlachten den Muslimen zu überlassen, die, so hat man es mir mal in Nepal beschrieben, die Kunst beherrschten, ein Tier bis zum Tod liebevoll zu begleiten, um dann mit kunstvollem Griff ein schnelles Ende zu bereiten. Heutzutage ist liebevolles Töten wohl zu zeitaufwendig, wenn sich diese Begriffe überhaupt zusammenfügen lassen, und außerdem ist es wegen des unmäßigen Fleischkonsums wohl auch kein Thema. Zurück zu Magnus Ribes Nigrum. Zum Glück war wie stets das Smartphone nicht weit, um wenigstens einen flüchtigen Eindruck von ihm festzuhalten, er, den ich erst benannte, als er schon wieder verschwunden war in mir. Auch das Fürchten hat viele verschiedenen Facetten. Vielleicht sollte ich es eher ein Fürchteln nennen, wenn sich an bestimmten Tagen meine Wahrnehmung so einrichtet, dass sie bereit ist, alles in allem zu erkennen. Dieser Zustand verursacht eine gewisse Hemmschwelle im Denkvorgang, denn es scheint dann, als wäre eine schlichte Enträtselung über die Welt gekommen, die sich als Anregung anbietet. So kann der Blick über ein nie gesehenes Profil im Steinboden streichen und einen in eine andere Kultur versetzen, oder er huscht über die Tempotaschentuchhülle und bemerkt mit Staunen, dass dort „sanft und frei“ steht. Ja hallo, was will man mehr als Botschaft, wenn man es nicht als kapitalistischen Übergriff auf die entspannte Psyche sieht, sondern als Resonanz auf die eigene Befindlichkeit. Schließlich ist Samstag, und so ein bisschen sanft und frei kann keinem schaden.

 

gefühlt

In den letzten Jahren ist durch vielerlei unterschiedliche Vorkommnisse, politisch, persönlich, beruflich, klar geworden, dass viele Dinge, die wir, allein oder mit anderen, für einfach und verständlich hielten, nun neu erfasst werden müssen. Zum Beispiel das Fühlen. Menschen, die Jahre lang meditiert haben, stehen auf einmal vor einer geheimnisvollen Tür. War nicht immer Fühlen? Wohl nicht, sonst würde ja eben dieses geheimnisvolle Etwas nicht fehlen, wegen dem wohl die meisten auf dem Boden yogischer Übungsfelder Nachsitzenden da noch sitzen, bis eines Tages, wenn man ein Glückskeks ist, jemand einem (oder man selbst sich) etwas vermittelt, das verstört oder unsicher oder ohnmächtig  oder zumindest neugierig macht auf das erwähnte Phänomen, das einem technisch keiner beibringen kann, weil niemand weiß, wie das geht. Verblüffen kann ja, dass sich zwischen dem Gefühllosen und dem Gefühlten für die Sich-fühlend-Wähnenden erst einmal kein so großer Abgrund zeigt. Das Universum ist großherzig, man könnte es auch kaltherzig nennen, kommt ganz darauf an, wie man es erfährt. Was, wenn es ein riesiger Resonanz-Spiegel ist, der einfach widergibt, was in ihn hineinkommt. Das hieße in diesem Fall, es kommt genau das heraus, was ich hineingebe, auch wenn das viele chaotische Geben vermutlich meistens einfach im großen Strom der Energien aufgeht, ohne als einzelne Gabe Wirkung zu haben. Wenn also die Menschen so ziemlich alle davon ausgehen, dass sie etwas fühlen, was ja auch richtig ist, denn jeder Mensch fühlt irgendwas, dann bleibt die Frage, w a s wir fühlen, und ob wir dafür Worte finden können. Diese verbreitete Not der Wortfindung zeigt sich am schönsten in der berühmtesten Formel der drei Worte, die irgendwann mal jemand fand und damit alle ins Herz traf. Diese Worte drücken genau dieses Gefühl aus, das jeder möchte, nämlich gesehen, geliebt, wahrgenommen, wertgeschätzt usw. werden, und man verpasst gerne die Erkenntnis, dass man diesen Menschen immer lieben wird, was auch immer geschehen mag, weil er oder sie Auslöser und Anlass war für das beste aller Gefühle, das mir selbst dadurch ermöglicht wurde. Liebe ist doch vor allem auch das Glück der Verbindung mit sich selbst. Liebe regt an, sich auf dem verfügbaren Top-Level zu bewegen, und der genussvolle Seiltanz wird von jedem geschätzt, der mutig den Abgrund des Ungewissen durchquert. Alles danach hängt von der Qualität der Beziehung ab. Und was ist mit denen, die in den Schlachthäusern stehen und ihre Arbeit tun. Kann ein Mensch bestimmte Dinge tun, wenn er auch noch einen Funken Gefühl hat. Dann gibt es dieses ungut Gespaltene der Persönlichkeit, dass diese grotesken Figuren des Dritten Reiches sich haben vorgaukeln können am Abend, eben: man könne noch Mensch sein, wenn man vom Fenster an der Gaskammer wegtritt oder Menschenversuche für machbar hält. Das mit den Tieren ist auch noch nicht wirklich durchgedrungen. Dass ihre Würde auch unantastbar ist. Dass sie auch ein Recht auf menschliches Verhalten haben, da sie von ihnen abhängig sind. Überall kommt es auf das Maß an und auf das, was noch im Rahmen gewisser ethischer Vorstellungen tragbar ist. Schwierig wird es , wenn Menschen Hass und Ignoranz als Wohlbefinden für sich deklarieren. Manchmal scheinen einem die Wurzeln des Gefühllosen durchschaubar, aber selbst da landen wir schnell genug im Uneindeutigen. Es gab auch schon viele liebevolle Mütter, die ihre Söhne zum Töten aufgefordert haben, oder sie als Söhne in die totale Selbstüberschätzung hineingeliebt haben zum Schrecken der mit ihnen verbundenen Frauen. Alleine für diese Kontur zwischen dem, was Mutterliebe ist, und wo sie vernichtend wirkt, und wo man sie dann auch nicht mehr Liebe nennen kann, für diese Stromlinie allein braucht man Zeit und Ruhe, denn wenn eine Ungewissheit des Fühlens sich persönlich und planetenweit breit gemacht hat, dann ist es an der Zeit, ein tieferes Verständnis darüber zu erlangen, indem man die wesentlichen Fragen an sich selbst richtet.

Früchte


Beim Öffnen eines Klappfensters bin ich dann diesem Blick auf den Abendhimmel begegnet, eine Art Abschied vom langen Sommer, und da so ein „Schuss“ (wo ist die Kamera, bzw. das Phone!) auch schon nicht mehr natürlich ist, also das Photographierte auch schon durch den Prozess in einen anderen Zusammenhang gesetzt ist, hat auch ein selbstgebastelter Petrus darüber noch Platz, der Ausschau hält nach kommenden Wetterlagen. Manchmal, wenn ich in den letzten Tagen eine Runde zu Fuß  an Wald und Feldern und Wiesen vorbei gedreht habe, ist mir neben allem anderen Überfluss der Überfluss an reifen und gefallenen und scheinbar von keinem aufgelesenen Früchte aufgefallen. Wir gehen auch manchmal in der Nähe unseres Hauses zu einem Baum, der scheinbar von keinem beansprucht wird, und nehmen dort ein paar besonders wohlschmeckende Äpfel mit, und Renekloden, die naneben an brechenden und überfüllten Zweigen hängen. Einmal habe ich einen Bauern gefragt, ob ich ein paar Pflaumen an seinem Baum pflücken könnte, und er sagte, er wäre froh, wenn genommen wird, denn sie selbst hätten keine Zeit mehr zum Pflücken. Die Zweige unseres eigenen Apfelbaums hängen auch bis zum Boden. Es ist schwer, jemanden zu finden, dem man Früchte anbieten kann, denn alle hier im Umkreis haben Gärten und Bäume, und nicht jede/r ist Experte/in im Einmachen. Das ist ja ein ganz ungewöhnlicher Zustand, wenn man auf einmal von etwas sehr viel hat und muss schauen, was man damit anfängt. Pflaumen Chutney zum Beispiel mit Dattelsüße, oder Johannisbeersirup. Es ist schön, jemanden zu kennen, der so was kann, zum Beispiel mit den überflüssigen Gaben etwas Vernünftiges anzufangen. Irgend etwas staunt in einem darüber, dass selbst das naheliegend Beste in Vergessenheit zu geraten scheint, wohl hauptsächlich eine Zeitfrage. Wenn alles innen schon gefüllt ist mit Programmen, wie soll das laufende Szenario zur Geltung kommen, obwohl es das Einzige ist, das Realitätsanspruch hat. Es sind nicht nur die Pflaumen und die Äpfel, die im Zeit-Druck nicht gesehen werden, sondern es ist der eigene Zustand, der nicht mehr auffällt. Das scheint bizarr, verbringen wir doch die ganze Zeit mit uns selbst. Und wissen oft nicht, wie es uns geht, denn vor allem das Außen erfordert vorgeschriebene Zustände, die sich alchemisch mit der dabei entstehenden Identität in Verbindung setzen. In diesem Sinne und auf dieser Ebene könnte man tatsächlich bei aller Begrenzung des Spruches sagen, dass ich dadurch denkend bin. Das muss mit „Sein“ nicht viel zu tun haben, denn mit diesem Begriff kommt man erst in ernsthaften Kontakt, wenn einem die dazu relevanten Dinge aufgefallen sind und man sich selbst gegenüber bereit erklärt hat, die Vertiefung des Blickes als eine natürliche Beschaffenheit des menschlichen Apparates zu verstehen. Es ist Teil der geradezu dramatisch hochansprüchlichen Form der Freiheit des universellen Vorgangs, dass wir in der Tat entscheiden können, wie wir mit uns selbst umgehen. Dieser Zustand einer die ganze Skala menschlicher Möglichkeiten umfassenden Freiheit kann gleichermaßen wirken als Urangst, als totale Abwehr, als kindliche Bejahungsfreude des Lebens,  als Schwert und als Flügel. Die Suche nach Verantwortlichen für das eigene Wohlbefinden ist meistens teuer. Wenn ein Volk in einer Lethargie des Habens versinkt und das Resultat spürbar wird, ziehen sich automatisch die authentischen Töne zurück, was wiederum die Produktion der Scheinwelten fördert. Ist die Scheinwelt einmal in der Nähe des Urgrunds verankert, kann man sich gleichzeitig andere Orte vorstellen, die gewissen großzügigen Höhlen im Himalaya-Gebirge ähneln und auch ähnliche Zwecke erfüllen, die aber gleichzeitig Gärten zur Welt hin sind, und wo ziemlich zeitgemäße Wesen zuckersüße Trauben essen vom Rebstock.

tüfteln

 

Man kommt allein, man geht allein (akela ana, akela, jana) ist ein Sprüchlein, den viele Inder, die ich kenne, auf der Zunge haben. Eigentlich trifft es vor allem auf den Tod zu mit dieser dazugehörigen Unabänderlichkeit. Aber wahr ist auch, dass in beiden Situationen Menschen meistens begleitet werden bis zum Eintritt des erwarteten Momentes, und beim Geborensein darüber hinaus. Beide Vorgänge sind verbunden mit dem Ungewissen, denn wer zurückgekehrt ist, kann nicht davon berichten, wie es ist, wenn man wirklich nicht zurückkehrt. Ist man geboren, fängt das Erleben an. Wo bin ich gelandet, und wer sind die, die von jetzt an mit mir umgehen. Was soll man tun? Sie sind es nun mal, die das Kunststück vollbracht haben, einen Menschen, nämlich mich, lebendig auf die Welt zu befördern. Wir wissen noch nicht, wie viel von ihrem Material in uns selbst gelagert ist, und auch später ist es schwer zu unterscheiden, ob und was und wie etwas vererbt ist, oder wo Gewohnheiten oder ein Vorbild zu Ähnlichkeiten geführt haben, die ich in mir wiederfinde. Auch zwischendrin sind wir innen ja immer allein. Je mehr wir verbunden sind mit uns selbst, desto besser geht es uns. Wenn wir uns selbst gute Gesellschaft leisten können und beim Heraustüfteln dessen, was uns gut tut, nicht zu sehr irritiert und gestört worden sind. Wenn die Kinder in den Straßenschlachten dummer Kriege massenhaft sterben, dann weiß man, dass die Dinge nicht im Lot sein können. Nur, was braucht es, um für sich selbst ein Gefühl der Ausgleichung, oder der Ausgeglichenheit, zu haben. Irgendwann muss man aus seinem Alleinsein bewusst heraustreten. Davor mag es einem vorgekommen sein, als wäre man mittendrin im bunten oder auch düsteren Tanz des Lebens. Aber das Ich ist verlässlich darin, sich selbst als eine Grenze darzubieten. Wenn ich mich manifestieren möchte, heißt: wenn ich selbst wissen und sehen möchte, wer ich bin, soweit mein inneres Auge dazu reicht, dann muss ich paradoxerweise über mich hinaus gehen, dh. ich muss eine Tür oder ein Tor oder ein Fenster öffnen und kann dann hinausgehen oder hinausschauen auf das, was außer mir noch existiert, ohne dass  automatisch eine Verbundenheit damit existiert. Ich selbst muss sie herstellen, die Verbindungen, wenn ich am kreativen Prozess meines Seins teilhaben möchte. Ich kann auch zuschauen und nicht gestalten. Oder ich kann gestalten, bis mir klar ist, wer der oder die Gestalter/in ist, nämlich ich selbst, und dann noch einen Schritt weiter ins Ungewisse gehen, dahin nämlich, wo ein bestimmtes Wissen, das bis dahin unerlässlich war, auf einmal nicht mehr taugt. Es kann schon noch taugen, aber nicht mehr in der gewohnten Weise. Das Angesammelte wird seine eigene  Quelle, die keinen Kontrollfunktionen mehr unterliegt. Ich denke, ein Kompass ist immer nützlich. Ein gutes, solides Steuerrad, wenn Stürme oder Eisberge das Schiff gefährden können, und die Navigationskünste am Leben halten. Auch das alles nur, um sich an ein Wachsein zu gewöhnen, das zwischen sich selbst und dem Schlaf unterscheiden kann. Dazwischen immer wieder alleine hin-und hergehen und zu schauen, ob man noch da ist, und mit wem man da w i e umgeht.

beistehen

Manchmal, wenn man das Komplexe durchdringen will oder kann, kommt man auf einfache Gedanken, die behilflich sein können. So hat mich dieses Wort „Beistand“ irgendwo angesprochen, und dass vor allem Kinder jemanden brauchen, der ihnen beisteht. Die Tage, wo Gott dafür herhalten musste, sind meistens gezählt. Entweder jemand betrachtet sich durch die bereits existierende Religion als religiös, ohne das je zu hinterfragen, oder aber die Sehnsucht nach tieferen Ebenen der Verbundenheit bringt einen, wenn auch nur eine bestimmte Zeitstrecke entlang, in einen Kontext geistiger oder göttlicher Verbindung. Das kann tricky sein, wenn man zum Beispiel die Angebote von „Yoga“-Praktiken sich häufen sieht, ohne auf eine Substanz in der vertikalen Höhe hoffen zu dürfen. Man muss ja auch nicht hoffen, kann sich aber durchaus wundern, wie das, was einmal als Einheit konzipiert wurde, nun als bloße Gymnastik zu einer Tiefe führen soll. Ist diese nicht gewünscht, kann ja auch bei dem Begriff „Gymnastik“ geblieben werden, denn Bewegung und Sport sollen ja gesund sein. (Jeder vierte Deutsche bewegt sich zu wenig?) Wenn nun aber diese gerne als „heilig“ gesehene Welt verschwindet, und weit und breit kein Heiligsein sichtbar ist, sind wir auf den Menschen und seinen Beistand angewiesen. Nicht nur Kinder gehen verloren, wenn keiner ihnen beisteht. Was heißt „beistehen“? Das Wort sagt aus, dass ich dabei bin, wenn jemand in Not ist, oder leidet, oder menschliche Nähe braucht, oder Zuversicht, oder wenn das Interesse am Leben verloren gegangen ist. Die Vielzahl der Scheidungen und der Tötungsdelikte zeigen uns, dass hier etwas falsch verstanden wurde. Wir haben außer als Kinder kein automatisches Anrecht auf Liebe und Beistand, und oft ist es dann zu spät, die Dinge ins Lot zu bringen, wenn nur noch Verletzte sich gegenüber stehen. Die Angst vor der Fremdheit, der eigenen und der der Anderen, beherrscht die Räume des Unbewussten. Bin ich mir selbst nicht vertraut geworden, wie kann ich den Anderen trauen? Und kann Gott tatsächlich über der Mutter und dem oft abwesenden Vater stehen. Und mit welcher Güte denn, die ich mir ohne Phantasie gar nicht heranholen kann. Oder ich benutze ihn, wie viele der allein gelassenen Kinder in Syrien und anderen Kriegen, als Rachegott, der ihr Leid mit weiterem Morden des Feindes rächen wird. Immer ein Feind, der bleibt, und den man aus dem Weg räumen muss. Ja, kann sein, dass es gar nicht so ist, dass z.B. der Judenhass zurückkehrt, sondern dass er nie wirklich verschwunden war, sondern in der enttäuschten Leere des Nichtgewordenen nun wieder Nahrung erhält. Wer soll uns nun beistehen, wenn das Ungeheuer mit den vielen Köpfen wieder durch die Straßen trabt, und wer weiß denn, in wie vielen Wohnorten sich ein leises Zunicken loslöst aus dem Ungelösten auf dem Weg zu den anonymen Wahlurnen. Vielleicht ist es ja auch hier so, dass, wenn ich mir selbst beistehe, ich das auch dann für andere tun kann. Wenn es erwünscht ist und angemessen. Wenn es nicht nur in der Idee des Helfens und Gebens verankert ist wie so viele Fallen, die sich unversehens auftun im falsch verstandenen Gutsein. Wenn ich mir auch im Denken beistehe, damit es nicht an der Oberfläche versickert oder ich in die Nähe der Gefahr gerate zu wissen (zu glauben), wie es geht.

erschließen

Der Mensch kann sich nicht verändern? Doch, kann er. Auch werden wir durch die geistige und körperliche Strömung des ganzen Geschehens, an dem wir Teil haben, permanent verändert, sodass es vielleicht eher verblüffend ist, wie unverändert die Dinge und die Menschen wirken können, so, als hätte ein unabänderliches Gesetz uns geformt, und es drängt uns zur Freiheit, diesem Gesetz zu widerstreben und unsere eigenen Vorstellungen auf das Angetroffene zu projizieren. Damit auch wir verstehen, als wer wir gekommen sind, und wer wir dann sein werden, und ob der Seiltanz gelingt, einerseits eine Geschichte zu sein, und andrerseits  gerade diese Materie der auferlegten Geschichte, die wir nicht selbst gewählt haben, als Anlass zu sehen, mit eigenem Willen auf diese Materie einzugehen und sie zu bilden. Das heißt auch, sie nach außen zu manifestieren, damit für einen selbst sichtbar wird, aus was für einem Stoff man ist, und wie man damit umgeht, soweit die Umgebungen und die Familienbünde und die Kulturen und die Traditionen und die fixierten Rituale es einem erlauben, sich verhältnismäßig ungestört zu manifestieren. Auch gehen von der Befindlichkeit der Einzelnen ständig Signale aus, die still und heimlich einen Gesamtteppich der Befindlichkeiten weben, für deren Muster sich der Beruf des Politikers erschaffen hat, der günstigerweise das Wohl des Volkes im Auge hat. Wie kann jemand das Wohl des Volkes im Auge haben, wenn das eigene Wohl abhanden gekommen ist. Was für Melania Trump vielleicht eine düstere und von Wohlstand umwölkte Ahnung gewesen sein mag, ist nun Bedrohung der ganzen Welt. Alle Menschen treffen Entscheidungen, ohne zu wissen, was sie auslösen oder anrichten. In allem Verhalten muss eine gewisse Übung vorhanden sein, damit ich überhaupt entscheiden kann,  wie jemand etwas sieht, und wie ich selbst es sehe. Natürlich waren in „Raumschiff Enterprise“ Uniformen nichts wirklich Bedrohliches, aber nur auf diesem Raumschiff selbst. Alle schienen gut besetzt in ihren Rollen und stolz darauf, sie ausfüllen zu können. Wenn sich nun ein paar Leute ungerecht behandelt fühlen, kann das geregelt werden auf die angebotene Weise. Wenn allerdings immer mehr Menschen sich auf diesem Planeten unwohl  und nicht in guter Besetzung ihres Dramas fühlen, dann muss man schauen, wo die Möglichkeiten der Ausgleichung liegen. Hier sind wir wieder an dem schwierigen Punkt persönlicher Einschätzung. Sehe ich mich als einen flüchtigen Tintentropfen im All, so mag das auch ein Tröpfchen Wahrheit beinhalten, mir aber sicherlich nicht besonders behilflich sein als angemessener Ratschlag. Sehe ich mich als die nächste Kaiserin Japans, das wäre auch nicht vorteilhaft. Der Vorteil wäre, wenn ich einschätzen kann, ob eine persönliche Umstellung entweder im Gedankentum oder in der praktischen Handhabung der Vorgänge angebracht ist. Z.B. DichterInnen sollen nicht politisch sein, sagte mal einer von ihnen, aber manchmal haben sie keine andere Wahl, als u.a. auch politisch zu denken, und zwar wenn es ganz eng entweder mit dem Schrecken, oder mit der Freude gekoppelt ist. Daher immer mal wieder der Ruf nach den guten Nachrichten, denn der Mensch ist auch ein/e Zauberer/in, der niemals, niemals, von einer Maschine auch nur im geringsten erfasst werden kann. Doch, im Geringsten schon, aber nicht in erfülltem, lebendigem Sein, in dieser letztendlich ganz und gar sich selbst organisierenden Ordnung, die ihren Kreislauf selbst schließen kann in der pränatalen Ankunft, wo sich die Logik des Daseins erschließt.

Laura Schiele

Bildergebnis für Laura Schiele Gedichte

In seinem Spiegelsaal
trifft man immer nur sich selbst
hab mich hier scheinbar selbst gefunden
in stetiger Selbstreflexion
stoße ich gegen die Wand
komm mit mir in Konflikt
kann mich nicht mehr sehen
und will lieber mal alles andere
an meiner Stelle

pendeln

Samstags kann man dann weiterhin gewisse Unruhen pflegen, berechtigte und unberechtigte. Viele Menschen arbeiten weniger oder halbtags oder gar nicht oder bis in die Nacht hinein. Der Kopf kann trotzdem frei sein, oder unterhaltsame Dinge gehen darin vor, Feste sind in Vorbereitung, manche werden erst geboren, andere sterben bereits, oft schon sehr früh, auch wenn sie in jedem Alter schon ein Leben hinter sich haben. Ohne ein Leben gehabt zu haben, kann man nicht sterben. Der Samstag ist geeignet für derlei Gedanken. Ob ich mich auch noch tiefer aufregen soll als andere es schon getan haben über Seehofers Bemerkung?, als hätten wir nicht momentan die ultimate politische Besetzung von herrschenden Dumpfbacken zum Betrachten, die sich im Glanz ihrer Helden-Outfits missverstanden fühlen. Und dann ‚Merkel muss weg‘ schreien, als stünden die Geeigneten schon Schlange. Und wo selbst noch Dumpfbacke, das ist natürlich auch eine notwendige Zwischenfrage, und hat man sich denn schon freiwillig zur Integrationsbeauftragten gekürt und ist durch die dazugehörige innere Praxis gegangen. Menschen mit Migrationshintergrund!? Gibt es welche ohne? Und dann eben dieser aus den dunklen Lavahallen herausgespieene Satz, nein, falsch, gar nicht gespieen, sondern der ziemlich dümmlich vor sich hingemurmelte Satz über die ‚Mutter aller Probleme‘. Da zuckt’s einem doch samstäglich in der Feder mit der Frage: Die Mutter? Mutter aller Probleme? Du selbst (Horst), schon integriert? Integriert in was? In das Bayern? In das Deutschland? In die weite Welt? Schon genug gereist? Vor lauter Sorge um den Posten noch zum Nachdenken gekommen? Es ist dieses Garnichtverstehenkönnen von einander, dass am Samstag zum Ausdruck kommen kann. Leider geht hier ja samstags keiner herum mit einer Schale, in der Räucherwerk vor sich hinglüht, und erinnert die Anzutreffenden an die tiefe Nacht, in der finsteres Bewusstsein sich aufhalten kann, umrundet mit menschlicher Hülle. Man könnte eine Art kunstvoller Kopfverhüllung in das weite Feld potentieller Marktlücken einführen, schwarz, mit kleinen  Augenöffnungen. Das zieht man auf, wenn man nicht gut drauf ist oder keinen sehen oder keinem begegnen will. Dann könnte jeder erkennen, was mit einem los ist, und aus dem Weg gehen. Ach so, das gibt’s auch schon. Alles gibt es schon. Über das, was fehlt, einem selbst oder allen, kann man natürlich auch samstags gut nachdenken, da vor allem morgens viele der Beschäftigungen wie automatisch ablaufen. Ich durchstreife im Kontext der politischen Lage kurz innerlich unsere Nachbarn in nächster Umgebung. Angenehme Nachbarn, überall Migrationshintergrund. Das beruhigt ein wenig, weil es so wenig mit Deutung und Bedeutung verbunden ist. Doch täglich, auch samstags, ein wenig das Eigene ausloten, das kann sicherlich nicht schaden, so ein Loten in der Mitte des Raumes.

fürchten

Immer mal wieder dachte ich, es wäre interessant, Photos zu machen, große Photos, für die man aus einer Menge Menschen Einzelne herausnimmt und sie sichtbar macht, so als stünden sie auf einmal als Einzelne da und man könnte sie betrachten. Am interessantesten fand ich die Idee, die Geschöpfe um Machthaber herum zu porträtieren, die gewohnt sind, dass es immer um den Machthaber geht, die aber aus mehr oder weniger guten Gründen dabei sind. Mit einer Lupe habe ich mir mal die Leute um Kim Yong-un angeschaut, da kann man das Frösteln lernen. Wer warum wo dabei ist, und wo Machenschaften geschmiedet werden, die oft tödliche Auswirkungen auf alle PlanetarierInnen haben. Auf meinem Weg hin und zurück von einem Laden habe ich nun gehört, dass es in Deutschland nur e i n e Version von Hitlers ‚Mein Kampf“ gibt, und zwar mit tausenden von Fußnoten, die die Vorgehensweise und Denkweise der Nazionalsozialisten erläutern, damit jeder versteht, was nie mehr sein darf. Dann hat ein Anderer ganz richtig bemerkt, dass niemand diese Fußnoten in solcher Anhäufung lesen wird, und nun kommt in Holland ein unkommentiertes Hitlerbuch heraus ohne Fußnoten. Ich war auch etwas überrascht, als ich in einem Buchladen in Jodhpur eine Ausgabe von ‚Mein Kampf‘ gesehen habe‘, wer hat es wohl mitgebracht? Da die meisten Hindus ein historisches Weltbild kultivieren, in dem die Götter und Göttinnen und ihre Handlungs -und Verhaltensweisen eine große Vorbild-Rolle spielen, dachte man lange dort bis hinein in die Universitäten, Hitler könne nur von Gott zu seiner Rolle geführt worden sein, denn kein Menschlein hat von sich aus so viel Power. Wenn ich die 6 Millionen Ermordeten erwähnte, war das genau die Antwort darauf, obwohl sich auch hier langsam etwas tut im individuellen Denken. Das ist auch sehr wichtig, denn Narendra Modi mag sich hinduistisch lächelnd durch die Weltpolitik mogeln, aber hinter ihm steht auch eine Meute orangefarbener Männer, die bereit sind, ihr arisches Erbe, heißt: die höchste Stelle der Hierarchie einzunehmen und dafür alles auszulöschen, was im Wege steht. Natürlich kam und kommt bei vielen die Geldnot ins Spiel, der Diplomatie-Zwang, der Widerwille, dass man nicht der Einzige ist, der das ganze Ding im Griff hat. Immerhin haben die Inder auch ein ziemlich weit gefächertes Wissen von Anfang an (wo auch immer der Anfang war) darüber, wie man aus dem Ich-Schlamassel wieder herauskommt, wobei noch niemand hat verlauten lassen, dass das ein kontinuierlich herzerfrischender Seiltanz ist. Nein! Liebe, sagte der Mentor, ist der Verzicht auf Mord. Wussten sie, die damals Deutschen alle, dass sie zu so einem enthemmten Morden mehr als bereit waren? Und die Angst, Opfer eines narzisstischen Vernichters zu werden, der sich vollsaugt an den Unterwerfungen, nicht aus Liebe, nein, sondern aus Hass auf den eigenen Hunger nach Kriechenden, die dafür herhalten müssen, was sie selbst entbehren mussten. Als Kinder natürlich, als Kinder. Und da (wir) alle beschenkt sind mit dem Hellsten und dem  Dunkelsten, mit der Kraft und Fähigkeit, uns bzw sich selbst zu sein und Verantwortung zu übernehmen für die eigenen Entscheidungen, muss man davon ausgehen, dass alle so geworden sind, wie sie selbst sich gestaltet haben. Dieses Photo oben ist mir ein paar Mal ins Auge gestochen, immer dieser Mann vorne in der Reihe, bis ich ihn auf dem Bildschirm photographiert habe und das Fürchten hinterfragt habe, das mich da anweht. Ich musste an den Film ‚Inglorious Basterds‘ von Quentin Tarantino denken, und dass er bewusst den Schreibfehler in ‚basterds“ drin gelassen hat, vielleicht um einer dumpfen Dummheit im Kontext dieses Themas Ausdruck zu verleihen. Das Gesicht und die Ausstrahlung dieses Mannes auf dem Photo hat auf mich eine verstörende Wirkung, so als müsste man ohnmächtig zuschauen, wie die Hitlerjugend sich vor aller Augen ungestört entwickelt hat, heute in Anzug und Krawatte, morgen entweder selbst Führer oder beim Herumschwänzeln um den Führer. Da wir alle uns selbst als Last tragen, bis wir etwas durchblicken in den Spielarten, kann man nur wünschen, dass das lebendige Bewusstein einen in jeder Hinsicht fernhält von den menschenschädlichen Idealismen, und dass man eher die Achtung nährt vor der Mühsal des Menschseins und mich bemühe zu erfassen, was ich darunter verstehe.

 

Bild: Demonstration der Rechten in Chemnitz.

schöpfen

Der kleine Kerl, den ich hier aus dem Gesamtbild herausgenommen habe, ist mehr oder weniger „zufällig“ entstanden. Irgendwo im Dunkel des Blaus habe ich diesen Ausdruck gesehen, den Körper dann anschließend dazu gestaltet. Wie gesagt, es ging gar nicht um ihn, sondern um das weibliche Gesicht, das nun Nebensache geworden ist. Nun ja, nicht wirklich Nebensache, da der Betrachter vermutlich die linke Gestalt sofort zu einem Kind machen würde, die rechte zur Mutter, die auf ein fernes Anderes ausgerichtet ist. Ich schaue hin, ich sehe das auch flüchtig, weiß aber (noch) nicht wirklich, was ich da selbst sehe, beziehungsweise fühle, denn Bilder vermitteln Gefühle, und wenn ich etwas ( ganz Bestimmtes?) fühle, erfreut es mich zutiefst. Ich käme auch nicht auf die Idee, es zu erzeugen, wie sollte das gehen? Manche Künstler können das, ich gehöre nicht zu ihnen. Auch ist die akademische Ausbildung nicht immer verlässlich für das, was daraus entsteht. Wenn beides zusammenkommt, kann es großartig sein, ist aber ziemlich selten. Es geht ja vor allem darum, durch das praktische Anwenden eines geschulten Instrumentes etwas Inneres nach außen zu transportieren, ob ich nun das Innere bewusst herauskristallisiere, um ihm genau die Form meiner Vorstellung zu verpassen, oder ob ich mich einlasse auf etwas, das erscheinen möchte, weil ich es sehe und es mich auf eine bestimmte Weise ergreift. Wenn mich nun jemand fragen oder um eine Beschreibung der kleinen Figur bitten würde, würde es mir schwer fallen, Worte zu finden, denn ich habe ja bereits auf einer direkten Ebene verstanden, um was es mir dabei geht, aber ja, w a s verstanden. Das ist wie mit einem Gedicht, das einen berühren kann ganz unvermutet. Manchmal unterwegs höre ich bei WDR5 (Skala?) ein Gedicht. Der Empfang hängt sehr von der Stimme ab, man kann hören, wenn jemand von etwas was versteht. Das kann Technik sein, das kann psychische Tiefe sein, im Dichter wie im Sprecher, das kann der eigene Zustand sein, Vorlieben, Desinteresse, Unkenntnis. Das heißt, alles muss erst einmal ansprechen, bevor es wahrgenommen werden kann, beziehungsweise muss es einen anfühlen. Ich erinnere mich, wie beglückend ich es empfunden habe, als das sorgenvolle Antlitz auf dem Bild oben einen Körper brauchte, und dass dann vor allem die Beine einen gewissen Halt verhießen, dem Ganzen eine eigenwillige Keckheit gaben, sodass es wohl einsam schien, aber auch innerlich gefestigt mit den Füßen stabil in der Weite des Abgrundes. Und natürlich, sobald man Worte gebraucht oder gebrauchen muss, um etwas verständlich zu machen, was anders nicht verstanden werden kann, wählt man auch immer die Worte aus dem eigenen Wortschatz, der wiederum aus der Geschichte entsteht, da gibt es kein Entrinnen. Und doch sind die Gedichte und  die Bilder, die aus der Quelle kommen, auch frei und sich selbst überlassen. Das kommt ja darauf an, wie unbegrenzt man die innere Weite bewohnen will, und ob es über das Vorstellbare hinausgehen möchte und kann. Klar bin ich beteiligt am Schöpfen, aber mir wird auch das zu mir kommende Geschöpfte zugemutet. Eben, es ist eine Zumutung.

aufhalten

Wo hält sich jemand auf? Auf welchen Terrassen, in welchen Gärten, in welchen inneren Wüsten und Dschungeln und Schrebergärten, immer genau angepasst an die Befindlichkeiten. Die inneren architektonischen Strukturen werden von einem selbst entworfen. Wie alle planetarischen Designs sind sie nicht wirklich unabhängig von äußerer Einwirkung, aber in letzter Konsequenz doch. Man würde hier vielleicht nicht von „Handhabung“ sprechen, eher von Geisthabung, also die Grundhaltung und die Einstellungen, die ich mir zur Verfügung gestellt habe und stelle, indem ich kultiviere, was mir am Herzen liegt. Es gibt Zeiten, wo das, was mir und den Anderen am Herzen liegt, nicht so kümmern muss, und es gibt Zeiten, wo das Kümmern sich selbst meldet und nachfragt. Man geht auf den Balkon, dieses Mal großzügig und zeitlos in den offenen Raum gesetzt, und starrt in Überlänge in das lebendige All hinein, denn das All bietet jederzeit die Realität unbegrenzter Möglichkeiten. Man kann warten, bis eine Möglichkeit an einen herantritt, man kann abwägen, ob sie angemessen ist. Es fühlt sich etwas freier an da draußen im undurchdringlichen und doch so glasklaren Etwas, das wirkt direkt auf den inneren Schirm und führt zu einer Neuordnung in der subatomaren Playstation. Deswegen höre ich die (wenn auch sehr wenigen), DichterInnen (die ich lese), wenn sie auf ihre Weise von dem berichten, was ich gut kenne. Das ist keineswegs mutiger oder weniger mutig als zum Beispiel der wissenschaftlich intuitive Einstieg in die Bindungsanalyse oder andere Systeme, bei denen der menschliche Aufenthalt auf diesem Planeten und seine Wirkung auf die darauf Erschienenen zum Ziel der Forschung wurde. Wer sind wir von Anfang an, oder (nur) auf das Werden begrenzt? Ausgetüftelt von geheimen Vorgängen, jeder Mensch ein Produkt und ein Potential nicht vorher zu ahnender Kräfte, jeder zu Anfang ein kleiner Bauer bis hin zur königlichen Möglichkeit, wenn man beide Gefühle gründlich durchlaufen hat: Schach und Schachmatt!, und sich beides in ein freundliches Spiel verwandelt, in dem man in der Tat nicht immer recht hat, und daran auch gründlich das Interesse verliert, so, wie man sich eines Tages mal erstaunt daran erinnert, was für eine leidenschaftliche Raucherin ich mal war. Das hat oft mit der Notlage der Erkenntnis zu tun. Erkenne ich etwas, fällt das Leugnen schwer, und immer wieder bohrt es an einem herum, bis es soweit ist. Das kann dauern. Nicht aufhalten lassen. Daher auch das Angebot der inneren Räumlichkeiten, das jedem kostenlos zur Verfügung steht. Wo man freien Zutritt hat zum Anspruch der eigenen Gestaltung, bei der wie in einem Zen-Garten, der schmale Weg durch den inneren Reichtum führt, kultiviert durch eine Enthaltsamkeit im Habenwollen, wodurch das Wesentliche erst in kraft treten kann.

mustern

(Frauen des Siebengestirnes verstecken sich vor einem Mann vom Orion).

Immer wieder ist es erfreulich, wie Menschen etwas wahrnehmen und erfahren, und was sie daraus machen, und wie sie es den Anderen vermitteln. Natürlich ist es nicht uninteressant zu hören, zu was der Schöpfergeist in einem Menschen ihn dazu inspiriert hat zu einer bestimmten Darstellung seiner oder ihrer Wahrnehmung, wobei man in Museen und Galerien meist ohne den Verursacher herumläuft, sodass Kunst auch bedeutet, dass sie uns durch einen Anderen den Einblick gewährt, wie man es auch sehen kann, und fühlen, und lernen, zu welchem Ausmaß Kunstvolles auf dieser Erde den Geist in eine Transzendenz katapultieren konnte und kann, die menschliche Beschränkung leugnet. Das können auch sehr einfache Dinge sein, Objekte, die mit Erstaunen erfüllen. Der Mann einer guten indischen Freundin von mir hat dort im Dorf einen reichlich angefüllten Laden mit dem Feinsten, was rajasthanische Frauen durch die langen Tage hindurch gestickt haben, ohne ahnen zu können, dass wir einst davor stehen, wie ich eines Tages, und dachte: ach, nimm dir doch mal Zeit für diese Musterdinger. Er war hocherfreut über mein Erwachen, denn was er hatte, konnte man nicht mehr finden. Die Wirkung des Schauens hatte etwas von einer psychedelischen Droge, man versank in eine andere Welt und sah das Universum am Werke, wie es spricht in Zeichen und Strömungen, und wie dieser ewige Strom begleitet und unterhalten wird von unsterblichem Farbenglanz, der auch hier auf den Mustern noch leuchtete. Oder lag in dem Gewebe noch ihr innerstes Fühlen, ungehindert in die Nadel strömend und in die Zeichen, und niemals wirklich die Sprache verlierend, ja, vielleicht oft mehr Sprache im Sprachlosen, Sprache, die einen Weg gefunden hat in das Außen. Nicht in allem birgt sich Geheimnis, aber das Geheimnisvolle bewegt sich ungehemmt in allem. Will ich Geheimnisse lüften, muss ich wissen wie. Auch kann ich mich auf die Wahrnehmung anderer nur sehr bedingt verlassen. Alle schauen aus ihrem eigenen Brillenmuster, das unsichtbar vor den zwei Augen schwebt und einem konsequenterweise immer das Bild zeigt, das dem eigenen Blick und den eigenen Einstellungen entspricht, sodass man zu Recht behaupten kann, dass jeder in der eigenen Welt lebt. Darin kann natürlich auch das Interesse am Anderen liegen, oder die Langeweile über ihn oder die Begeisterung, überhaupt das ganze Einschätzen des kosmischen Vorgangs liegt einzig und allein in diesem Blick, unserem Blick auf die Dinge durch die Muster unseres Schicksalserlebens, das einerseits oft ungewollt auf uns zu trat beziehungsweise tritt, und dem wir dennoch mit uns selbst entgegentreten müssen, wie auch immer es uns letztendlich möglich ist. „Mustern“, kam mir heute früh zum ersten Mal vor wie ein stimmiges Wort für eine bestimmte Art von Schauen, das kann man gleichzeitig negativ und positiv sehen. Es kommt darauf an, wie man mustert: mit Interesse, mit Wohlwollen, mit Neugier auf den Anderen oder die Andere, mit Offenheit auch in Hinblick auf die Möglichkeit, hinter die Muster/Mechanismen/Schutzwände/ usw zu schauen, oder zu einer Innensicht eingeladen zu werden, wo man dann am Feuer herumsitzen kann, und wo das Gewusste sich entspannt in eine Gelassenheit und ein Wohlbefinden.

vergessen

Gut, es ist Montag, die Autobahnen sind voll, die Terminkalender auch, das Wochenende war auch voll. Da löst sich, nur die Himmel wissen wie, und auch die nicht, eine Gestalt aus mir heraus und manifestiert sich als ein vorbeischreitendes Wesen, wilde Tiere umkränzen seine Beflügelung, das Ganze in ausgerichteter Bewegung, das große Schwert in der Hand und das schwer deutbare Emblem auf der Brust. Ich finde es nicht wirklich seltsam, dass das in mir gewohnt hat, nur ist es lange her, dass in den stillsten aller aufrecht gesessenen Stunden ein Schwert zu mir kam mit einer damals durchaus gedeuteten Botschaft: Do not misuse, schwerer in Deutsch zu sagen: Missbrauche es nicht. Jedem/r  Martial Arts KämpferIn wird eine Zeit des Trainings gegönnt, Bogen und Schwert brauchen langjährige Praxis. Hier geht es nicht um die vollendete Tat, sondern um die vollendete Nicht-Tat, die nur durch Praxis gewährleistet ist. In mir hat durchweg außer dem Zug zu Klarheit und Nüchternheit auch eine gewisse Trunkenheit Raum bekommen, jetzt nicht als künstliche Paradiese, sondern eher als mein Beitrag zum Zugeständnis an das Unfassbare. Warum sollte nicht fast automatisch alles, was mich mit Liebe ergriffen hat, ein Teil von mir werden. Auch mit Schrecken, auch mit Trauer, auch mit Mitgefühl. Das, was um das Wesentliche herumkreist und uns an die Bildschirme bringt, und an die Papiere, und an die Leinwände, und an die Instrumente, damit man im hilflosen Entwurf eine Grenze erkennt und weiß, wenn auch selten: das ist zwar auch Schöpferfreude, das muss unbedingt sein, so, als wenn man eine Wahl hätte.  Aber das bleibt immer Kunst, nicht nur, aber meistens. Wir vergessen auch immer wieder, dass uns jemand darauf hingewiesen hat, dass wir Menschen immer noch ein sehr geringes Etwas unseres Potentials aus uns herausgebären, so als könnten wir ohne Geburtsvorgang erkennen, wie das Gebrütete aussieht, bevor es erscheint im Licht der Welt. Was wissen wir davon, was da alles noch lagert, das ist doch keinem verwehrt, in sich zu graben und auf die Minen zu stoßen mit den verschiedenen Edelmetallen. Und sie herausholen und mit ihnen schmieden, was man unter Schönheit oder Dunkelheit oder Betroffenheit undsoweiter versteht.  Gut, es ist lange her, dass durch meine Gärten, Wüsten und Seeen engelhafte Gestalten wanderten, aber warum sollten nicht auch sie mal vorbeikommen und mich an das Schwert erinnern, um das ich mich kümmern soll. Nicht immer weiß man, wie lange die Praxis dauert, und wann es den Übergang gibt zur Essenz des Vorgangs. Die Handhabung der Waffe gut genug zu kennen, um sie mit diesem Bewusstsein zu energetisieren, damit jeglicher Gebrauch davon unnötig wird, ja, jedes Denken darüber. Deshalb erscheinen die Formen und die Formeln, die man versteht.

Rainer Maria Rilke

Bildergebnis für R.M.Rilke

 

Nicht nur die Morgen alle des Sommers -, nicht nur
wie sie sich wandeln in Tag und strahlen vor Anfang.
Nicht nur die Tage, die zart sind um Blumen, und oben,
um die gestalteten Bäume, stark und gewaltig.
Nicht nur die Andacht dieser entfalteten Kräfte,
nicht nur die Wege, nicht nur die Wiesen im Abend,
nicht nur, nach spätem Gewitter, das atmende Klarsein,
nicht nur der nahende Schlaf und ein Ahnen, abends…
sondern die Nächte, sondern die Sterne, die Sterne der Erde.
O einst tot sein und sie wissen unendlich,
alle die Sterne: denn wie, wie, wie sie vergessen!

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Und plötzlich, in diesem mühsamen Nirgends, plötzlich
die unsägliche Stelle, wo sich das reine Zuwenig
unbegreiflich verwandelt -,umspringt
in jenes leere Zuviel.
Wo die vielstellige Rechnung
zahlenlos aufgeht.

 

(Aus den Duineser Elegien (sieben und fünf))

anschauen

Die Welt anschauen, klar, das macht doch jeder. Und obwohl man diesen Blick auch eine Weltanschauung nennen könnte, ist es gut zu klären, was damit gemeint sein soll, oder vielleicht auch zu denen zu gehören, die vielleicht trotz Schauen, oder gerade wegen der Art des Schauens, sich hüten, eine zu formulieren, sodass man von der Person partout nicht sagen könnte, sie hätte eine Weltanschauung. Man kann diese Welt sehr lange und gründlich anschauen, ohne dass sich auch nur ein Funke an Gewissheit formen muss, dass sie durch irgendeine Begrenzung als der eigenen fassbar werden kann. Erst in der akzeptierten Begrenzung des eigenen Blickes kann er sich von innen heraus in eine größere Wahrnehmung weiten. Was hilft es mir zum Beispiel, wenn ich mich fürchte vor bösen Kräften im Land, wenn ich nicht weiß, was ich unter „bösen Kräften“ verstehe und dann der große Kamm dafür herhalten muss, damit ich alles über ihn scheren kann. Die Deutschen, die Afrikaner, die Flüchtlinge, die Mörder. Von welcher Selbst-Anschauung gehe ich aus, bevor sie sich mit der Welt überhaupt in Verbindung setzen kann. Ich finde es ab und an faszinierend, mit welcher Selbstverständlchkeit wir manchmal unsere Befindlichkeiten in den Raum tragen. Weiß ich, wo ich mich gerade befinde, und wie häufig empfinde ich es als angebracht nachzuschauen, wie ich selbst drauf bin, bevor ich die naheliegendste Form benutze, um mitgeschleppte Lasten auf Köpfe und Schultern Anderer abzuladen, als seien sie dafür unterwegs.  Auch fühlt sich jeder Mensch auf die eine oder andere Weise zurecht als ein Musterbeispiel, denn es gibt uns nur einmal, und das, was wir aus uns herausbilden, kann mit der Zeit fast unmerklich zu einem Muster werden, das wir für uns selbst halten, ohne dass das dem Teil der Menschheit, dem wir begegnen, besonders ins Auge stechen würde, wenn wir uns nicht Einzelne oder Einzelne uns in eine Nähe gebracht hätten, die ein tieferes Schauen auf das, was wir auch noch sein könnten und sind, ermöglicht. Was sind wir denn noch anderes als das, was wir von uns als Musterbeispielen zeigen? Neulich habe ich mal in einem Hessebüchlein geblättert und war etwas verblüfft, auf der aufgeschlagenen Seite den Begriff „uninteressante Normalmenschen“ zu finden, denen er Menschen gegenüberstellte, die er „oft nebenbei pathologisch“ nannte, denen aber seiner Meinung nach die Möglichkeit gegeben war, „die Wahrheit zu sagen, die Unerbittlichkeit der Lebensvorgänge und die Sinnbildlichkeit jedes Einzelnen für das Ganze.“ Meine Güte, dachte ich, wie sehe und höre ich das? Ist es überheblich, sich von „Normalmenschen“, um den Begriff noch einmal zu nennen, abzugrenzen, oder ist es anregend, hier etwas zugemutet zu bekommen, das einerseits s o nur von Hesse gesagt wird, andrerseits aber von uns als Leser auch kontempliert werden kann, wofür man natürlich tiefer in das weiterhin Gesagte eindringen müsste, was ein Interesse voraussetzt. Meine begrenzte Erfahrung war hier, dass kurz ein gewisses zeitliches Beben  durch mich hindurchging, so als könnte bei einem bestimmten Schauen, sei es auch noch so klar, gleich ein Shitstorm losgehen, und viele unsichtbare Daumen nach unten zeigen, um mir signalisieren zu müssen, wer hier die Bahnen kontrolliert und sich für die Weltanschauung verantwortlich fühlt. Gut, ich muss hier am Samstag ohne Radiergummi einen Abschluss finden. Ich flüstere also ins vertraute All hinein, nein, keine Worte, das passt hier jetzt nicht hin, dann vielleicht ein Lied, ja, warum nicht, und schon summt’s in mir „I am standing next to nothing, hello nothing, I love you, I am as strange and pale as you…..

 

 

(Hesse: „Lektüre für Minuten“, Suhrkamp, Seite 61.)