Zusammenhänge

Langsam tuckert der Corona-Dampfer zu seinem Stillstand. Wenn es so weitergeht wie zur Zeit in den uns umgebenden Ländern, dann muss er gar nicht viel Anker werfen, sondern kann dahin gehen, wo solche Unternehmungen sich aufhalten, obwohl sie zumindest in einem Netz gesichert werden konnten, um nicht weiteren Schaden anzurichten. Die praktische Wir-Karotte in Zeiten des Notfalls kann getrost von unserem Ich aufgelöst werden, falls sie noch Spuren hinterlassen hat. Unweigerlich kommt dann tatsächlich die Frage, die man an sich selbst richten kann, nämlich: wie war es denn für mich, gleichzeitig weiterhin offen für die Abenteuer und Herausforderungen der Anderen, die nun in Märchen- und Geschichts- und Aufsatz- und Buchform hervorsprudelnden Erlebnisse aus der langen Fahrt. Mittendrin im Drama fiel mir zum Beispiel auf, wie fixiert ich auf das Van Dyck Braun war. Und obwohl ich das Braun als Farbe an sich gar nicht so mag, erschien mir dieses Braun die Quintessenz aller Farben zu sein:  in der Lage, mühelos alle Welten hervorzuholen, die für mich selbst verfügbar waren, und mit einer Spannbreite von tiefem Dunkel bis zu transparentem Hell. Eines Tages entdeckte ich einen Malkasten und war ganz überrascht, wie unterhaltsam und herausfordernd es war, andere Farben zuzulassen und zu sehen, ob ich damit umgehen lerne, also den eigenen Ausdruck damit zu finden. In dieser Zeit, in der sich u.a. die Pandemie in eine Katastrophe zu entwickeln begann, fiel auch die Wahl des neuen amerikanischen Präsidenten und das damit verbundene, politische Verschwinden des schillernden Narren Trump, der eben nicht verschwunden ist, sondern weiter sein Unwesen treibt. Ich versank eine Weile in der Zeugenschaft des nun endgültig sterbenden, amerikanischen Traumes, dessen letzten Staubzipfel ich selbst noch wahrnehmen konnte, als ich mit 16 Jahren in den Ferien dort lange genug war, um mir nicht nur ein Bild zu machen, sondern selbst im Bild zu sitzen. Denn Dinge und Menschen sprachen mich an, und das Ganze hatte tatsächlich eine Art befreiender Wirkung auf mich, die mich befähigte, neue Weichen zu stellen für meine Zukunftsvisionen, wie auch immer sie geartet waren. In dieser Zeit des Abschieds von Amerika lief in mir die Trauer über das verlorene Indien schon mit, ein weiterer Staubfaden einer hohen Kultur, den mir noch zu erleben vor vielen Jahren vergönnt war.  Kulturen haben es so an sich, dass sie entstehen und wieder vergehen, und immer denken die jeweils Lebenden, das war schon immer da und kann nur so sein, wie wir es erleben. Und über die Erfahrung in Indien habe ich auch gelernt, dass es gleichermaßen schmerzhafte Prozesse bergen kann, wenn man z.B. aus einem historisch schwarzen Loch wie das dritte Reich herausgeboren wurde, oder die Kraft aufbringen muss, ein entstehendes scharzes Loch als solches zu erkennen und zu wissen, dass danach tatsächlich vieles anders sein wird. Wenn also eine große Anzahl Menschen gemeinsam eine Finsternis durchwandert hat, und das jede/r für sich allein. Und gerade in Deutschland kann man sehen, dass es nicht wirklich aufhört, nicht das Grauen, nicht der Missbrauch, nicht die Verschwörungstheorien. Sie sind nur mehr am Rande und werden im Zaum gehalten durch den Schrecken, der sich in Knochen der Erinnerung gesetzt hat. Gibt es Wunderheilung? Man weiß es nicht. In Indien, habe ich heute früh erzählt bekommen, gibt es nun ein Dorf, dessen Heilkräutermann eine Zusammensetzung gefunden hat (haben soll), die selbst schwerkranke Covid-Patienten in kürzester Zeit wieder aufgerichtet haben soll. Das Übliche ist geschehen: die Straßen waren verstopft, tausende von Menschen strömten hinter Polizeikontrollen vorbei über die Felder in Richtung Gerücht. Und wer weiß, vielleicht glaubten einige von ihnen so sehr an die Heilkraft der Kräuter, sodass das Virus von ihnen wich. Wenig weiß man noch über die endlosen Varianten der Zusammenhänge.

Nagarjuna

Nagarjuna - Wikipedia

Die menschliche Psyche neigt entweder dazu zu konkretisieren
oder zu verleugnen, absolute Bedeutungshaftigkeit zu unterstellen
oder deren Gegenteil, absolute Bedeutungslosigkeit.
Leerheit war Nagarjunas Art und Weise, diese beiden Pole zu
meiden, sich des Urteils zu enthalten und dabei immer noch mit
dem Material der Erfahrung in Kontakt zu bleiben.

grübeln

Von der Kosmo-Reling seines Wohnsitzes in Zen-La aus starrt der Silver Surfer betrübt in das wuselnde Weltgetriebe. Aber er starrt nicht nach außen, nein, sondern nach innen. Was findet dort statt? Er feiert Abschied von den Aktivitäten seiner Berufung. In zeitloser Bemühung um das Wohlergehen der Menschheit hat er sein Surfboard immer und immer wieder poliert und, seiner dringlichen Mission wegen oft auf der Erde landend, hat er sich freiwillig den Trenchcoat übergestülpt und den Borsalino auf den kahlen Schädel gesetzt, um die Menschen, für deren Wohlsein er ja gekommen war, nicht zu sehr zu erschrecken. Weil er anders war als sie, daran bestand kein Zweifel.Denn das war es ja gerade, was ihn befähigte, den schwierigen Job auszuüben, der ihn gleichzeitig in einer natürlichen Distanz verharren ließ, aber Raum öffnete für Mitgefühl, das rar geworden war auf dem Planeten. Zen-La selbst war nicht befallen worden von dem unsichtbaren Mutanten, aber selbst Shalabal trug jetzt in seiner Gegenwart eine Maske. Der Surfer fragte sich hinein in seine wahrnehmbare Verstummung, was denn nun aus ihm selbst geworden war, und wohin er sein Board von nun an wenden sollte. Diese Welt brauchte ihn nicht mehr. Die Zeitspanne des Weltrettungspotentials war nahezu spurlos vorübergegangen, abgeglitten wie schmelzender Schnee an seiner Leidenschaft, das bestehende Konstrukt unter allen Umständen erhalten zu müssen. Aber auch er hier ahnungslos, ob das sich selbsterzeugende Drama beinhaltete, dass die Kraft der Erhaltung sich immerdar fortsetzen konnte, ohne Raum zu machen für den uroborischen Zustand, der sich hinter den Illusionen verbarg, nur, um auf einmal wieder in Erscheinung zu treten als eindeutiger Vorgang: Zeugung, Erhaltung, Zerstörung, oder besser: Vergehen. Vergehen, entschwinden, einem neuen Konzept Platz machen. Er dachte an Zarathustra, der sich einst aufgemacht hatte, um die Menschen zu lieben, und über den der weise Eremit am Rande des Bergpfades den Kopf schüttelte und ihn einen Narren nannte, ihn aber nicht aufhalten konnte. Erst, als Zarathustra außer Sichtweite war, murmelte der bereits ernüchterte Weise, dass Zarathustra wohl noch nicht gehört hatte, dass Gott gestorben war. Und Nietzsche selbst war seiner Zeit hier wohl auch ein wenig voraus. Auch Gott ist schon öfters mal gestorben, mal für den, mal für jenen, mal für ein ganzes Land. Auch das, was in Tempeln und Kirchen stattfindet, hat sich verändert, oder waren sie schon immer die Opiumhöhlen der Menschheit? Als der Surfer sich bei dem Gedanken „Alles könnte so schön sein, wenn…“ ertappte, hatte er die Kraft, den Satz nicht zu beenden. Er reißt sich aus der Versunkenheit und sieht, dass nach sehr vielen trüben Tagen das helle und ungetrübte Licht vom Himmel strahlt. Und genau in dem Moment, als er sich entscheidet, den Trübsinn abzuschütteln, hört er, wie Shalabal ihn freundlich ruft: „Komm rein zum Speisen, Surfer“, sagt sie heiter, „und grübel net so viel.“

auflösen (?)

Der Pandemie-Bann über dem Erdreich scheint sich fast explosiv aufzulösen oder kommt nur mir es so vor. Dabei ändert sich weiterhin insofern nichts in meinem Leben, da die Kontinuität der gestalterischen Freiheit, die mein Leben bewegt, sich auch in Lockdowns gut bewährt hat. Viel meiner Bestürzung und Trauer bewegte und bewegt sich nach Indien hin, da dort eine Kultur, die ich lieben gelernt habe, vor meinen Augen und den Augen anderer in ein Schwarzes Loch fiel. Ich hatte Zeit und Raum, meiner Trauer Gefühl und Ausdruck zu verleihen. Auch Raum zu machen für das Sterben der Menschen. Ich denke, die Pandemie hat viel von dem, was eh schon da war, an die Oberfläche geschwemmt, und wenn man Glück hatte, war man von Freunden umgeben. Wir waren dankbar,  dass es uns zweifellos gut ging, während man genug davon hörte, wie wenig gut es vielen Menschen ging. Am Anfang der Pandemie, die ja schnell global wurde, habe ich manchmal das Ganze, die Erde also, als ein riesiges Schiff gesehen, das durch den unbegrenzten Ozean steuert, aber auf einmal in eine gewaltige Bremsung katapultiert wird. Vieles, sehr vieles, stand auf einmal still. Unheimlich runtergefahren war das, dazu noch die Maskierung. Es kann einem jetzt schon schwindlig werden, wie viel Austausch es darüber geben wird. Wer war ich und bin ich  im Vorher und im Jetzt. Viele möchten zurück. Zurück in was? Oder einfach weiter machen, wie es vorher war, als wüsste man noch, was und wer man dort war. Und es ist ungeheuerlich viel passiert in dieser Zeit, was die Bedrohung und den Druck der Seuche um sich hatte. Das Unsichtbare hatte sein Netz über den Großraum geworfen. Nun nimmt das Schiff langsam wieder Fahrt auf, unzählige Räder setzen sich in Bewegung, ein Ächzen und Stöhnen, aber natürlich auch eine Freude auf das, was noch keiner kennt, aber den eigenen Vorstellungen unterliegt.  Beziehungsweise Milliarden von Vorstellungen, die sich nun von den Ketten der Vorschreibungen befreien, auch vom ‚Dürfen‘, um das dürftige Wort noch einmal zu nennen. Jetzt heißt es, am eigenen Tor zu stehen und zu schauen, was sich da bildet. Schließlich navigierten wir, mehr oder weniger abhängig von den getroffenen Entscheidungen der Regierung, durch enorme Veränderungen, die man sich selbst nicht auferlegt hätte. Wie immer weiß man nicht, wer sich wie irgendwo herumbewegt, man kann es nur von sich selbst wissen. Es kann spannend sein zu sehen, was Menschen so mit sich und aus sich gemacht haben, und wie sich das ganze Bild wieder im Fluss der Öffnungen und Öffentlichkeiten bewegt. Man darf sich auch fürchten, denn ich denke, dass durch die Winde und Windungen der Schicksale eine große Nüchternheit eingetreten ist, das könnte eine gute Nachricht werden. Es könnte auch sein, dass viele Illusionstöterinnen (ein weiblicher Beruf) arbeitslos werden, was nichts macht, denn sie werden eh nicht bezahlt. Sie arbeiten an der Präzision der Wahrnehmung, da gibt es weiterhin viel zu tun.

Du

Deine Form ist großzügig.
Dein Herz gut.
Deine Aggressionen untergebracht
in einem Irgendwo.
Du hast keine Scheu vor der Wildheit
des Wahren. Sicher betritt dein
zögernder Schritt das Erstaunenswerte
des Daseins. Zugewandt bist du mit
verlässlichen Korridoren des Rückzugs.
Du bist ein schöner Mensch. Ich kann das sehen.
Mein Wesen neigt sich voller Eifer zum Guten hin.

wirmanich

Nun werden wir oder man oder ich sehr lange davon hören, wie es allen so ging inmitten dieses ziemlich surrealen Traum(a)s, durch den wir geschritten sind. Und sind auch noch nicht ganz durch den Tunnel hindurch, nur das Licht ist sichtbar. Aber in Wirklichkeit war das Gemeinsame ja ziemlich oberflächlich, denn selten zuvor waren Menschen auf der ganzen Welt so gezwungen oder auch bemüht, ihre eigenen Einstellungen zu suchen und zu finden. Auch die Herren Herrscher an den Spitzen der Eisberge zeigten sich öfters geradezu unfähig, die Katastrophe adäquat zu handhaben, da sie gewohnt sind, sich mit völlig anderen Dingen zu beschäftigen als das Wohl ihres Volkes. So kann  es zu einigen gesunden Einschränkungen in der Wahrnehmung des Bewunderten kommen, nicht, dass hier tiefgreifende Veränderungen zu erwarten wären. Das konnte auch noch mal vertieft werden in der Nähe des distanzierten Umgangs mit Anderen, dass eben nichts und niemand verändert werden kann und man willig oder unwillig zurückgeworfen wird auf die eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten, sich durch die komplexen Themen zu bewegen, bis man sich gegenübersteht und neue Aufgaben auf einen warten.  Hier verschwindet fast wie nebenher das „Wir“ und das „Man“, aber wer will sich schon durch die Zeilen ichen. In dieser Bredouille habe ich mir schon früher dann das Wort „Man“ als „Geist“ translatiert, was das Wort in Hindi auch bedeutet, das lockert ein wenig die Verallgemeinerungen, vor denen man sich hüten kann. Ich höre mich in meinen Gesprächen mit Freunden in Indien fast immer sagen, wie gut es mir und uns geht, und da es wahr ist, entsteht genug Raum für das Ungeheure, das Leid, das Unfassbare. Ich merke, dass selbst jetzt, wenn ich an Indien denke und die Hölle, die viele der BewohnerInnen gerade durchlaufen, sehe ich Bilder wie epische Dramen, wie wenn eine Art Fluch über das Land gekommen wäre, ein eiskalter Windhauch, der alles Bestehende in Frage stellt: die Götter, die Rituale, die sogenannte Heiligkeit, der Glaube an all das, was tausende von Jahren als Idee nicht in Bedrängnis kam. Nun sind in der indischen Bevölkerung  gleichzeitig mit Covid drei tödliche Formen eines Pilzes aufgetaucht, über den heftig gerätselt und vermutet wird. Die ersten Forschungen haben nun ergeben, dass der Ausbruch durch das Trinken von Kuh-Urin, üblich vor allem in der Brahmanenkaste, sozusagen als Nektar der heiligen Kuhgöttin. Und natürlich hat sich die Wissenschaft des Yoga stets sehr ungern der westlichen Wissenschaft genähert, da die inneren Erfahrungen fast nur mit Praktizierenden ausgetauscht werden können, und so ziemlich in allen Lehrstätten der Überblick verloren gegangen ist, wo die ganzen meditativen Bewegungen, oft neu erweckt und vom Geld der Foreigners getragen, eigentlich hingeführt haben. So greifen die Einheimischen dann wieder in ihrer jetzigen Not zu alten Hausmitteln wie das Bad in Kuhdung oder der Kuh-Urin-Trunk, nicht bedenkend, dass das eine andere Kuh ist als früher, als die Welt noch nicht mit Plastik belastet war, und überhaupt nichts mehr ist wie früher. Nie kann etwas sein wie früher, das habe ich jetzt auch verstanden.

(sich) selber sehen

Das Bildchen musste ich etwas aufpäppeln wegen seiner Farblosigkeit, das wirkt sich leider auch auf die Lesbarkeit aus, was leicht zu lösen ist, denn die paar Worte sind nicht nur erheiternd, sondern auch tief. Die Überschrift sagt: „Wie wir und selbst sehen“, und im linken Kreis heißt es: „Ganz normal“, und im rechten: „Nicht, wie alle anderen“. Das Ganze erscheint in der „Zeit“ unter der Überschrift: „Torten der Wahrheit“, eine beneidenswerte Formulierung, die nun leider gebunkert ist. Anhand von Kreisen, also Torten, researched und erläutert hier Katja Berlin bestimmte Verhältnisse und Themen in Politik und Gesellschaft, die man durch diese Bemühung dann vereinfacht überblicken kann. Meist sieht man kleinere und größere Kuchenstücke, zum Beispiel bei der Frage, was Familien in Deutschland auseinander bringt, und eine Mini-Schnitte zeigt auf  „Alternative Lebensformen“, und noch eine schmale auf „Der Feminismus“, und der Rest des Kuchens gehört zu „Erbschaften“. Warum mir aber dieses ins Auge fiel, war die interessante Frage, eben, wie wir uns selbst sehen. Zwei volle Kreise, die sich überschneiden und an der Schnittstelle zum „Selbstbild“ fügen. Einerseits sieht man sich integriert in der Gesellschaft mit vielen Anderen, andrerseits ist es vor allem wichtig, nicht wie alle Anderen gesehen zu werden. Man muss sich die ungeheuren Anstrengungen vor Augen halten, mit denen Menschen, die das als das Normale empfinden, sich an die jeweiligen Gepflogenheiten der Zeit so unauffällig wie möglich anzupassen, um einen gewissen Grad an Zugehörigkeit zu erfahren. Abweichungen von dieser  erwarteten Anpassung werden meist über Blicke zensiert, und nichts ist leichter, als durch Angebot und Nachfrage den Herdentrieb des Menschen zu erkennen. Die Bereitschaft zur Gleichschaltung macht es ja erst erstaunlich, wenn die Empörung ebenso groß ist, wenn der Mensch nicht als Einzelwesen erkannt wird. Auch das ist berechtigt, denn die Einzigartigkeit des Menschen drückt sich trotz Blumentapeten, Gummibäumen oder kecken Smartphones aus. Obwohl diese, wie ich in Indien einmal feststellen durfte, öfters mal keinen Akku hatten, denn wie konnte man dazugehören, wenn man nicht irgendwo herumstand und wenigstens so tat, als hätte man so Wichtiges zu tun, dass man das Ding nicht mal beim Gemüsekauf aus der Hand legen konnte. Erschütternd war, dass der Gemüsemann, sonst kastenmäßig weit drunter stehend, auch ein schickes Handy hatte. Und obwohl das gesellschaftliche Konstrukt von allen Seiten gespeist wird, wie man zum Beispiel über Materie genauso werden könnte wie das, was man sich so als Bild von den „Erfolgreichen“ gemacht hat. Es wird vor allem über die Medien vielfältig erklärt, was zu der gemeinsamen Eingliederung nötig ist. Der Einzelne muss sich selbst ja unglaublich wichtig nehmen im Karussel der Geschäftigkeit, und doch ist es schwer bis unmöglich, die Pferde aus dem vorgeschriebenen Kreis zu lenken. Um sich selbst als ‚gar nicht wie die Anderen zu empfinden, ist es gut zu wissen, wodurch das geschieht. Denn die Frage ‚Wer bin ich‘ hat nichts an Aktualität verloren, da es immer schwer war, darauf zu antworten, wenn man nicht nur auf den Namen zurückgreifen wollte. Auf dem Weg des Sicherkennwollens ist es nicht so wichtig, sich als normal zu empfinden, denn um zu sich selbst zu kommen, muss man die Norm ja verlassen, da sie ein illusionäres Gebäude ist, das zusammenfallen kann wie ein Kartenhaus. Hat man sich für diesen Weg entschieden, ist es vielleicht gar nicht mehr so bedeutsam, n i c h t  wie alle Anderen zu sein, denn das beschäftigt einen vermutlich dann gar nicht mehr so sehr,

verantworten


Gebärendes Auge
Tatsächlich ist auch das Auge ein Geburtsort. Innen wird vorbereitet, gebrütet, gedacht, betrachtet, wahrgenommen usw. Dann kommt es auf verschiedene Arten und Weisen entweder zum Wort, oder zum Blick, oder auch zur Körpersprache. Man trägt die Verantwortung, kein Zweifel. Nach längerem Aufenthalt im Menschsein wird einem klar, was das bedeutet, oder bedeuten kann. Die Deutungen und Auslegungen der Welt haben viel, wenn nicht alles mit den inneren Einstellungen zu tun, mit denen wir unterwegs sind, seit wir uns der Bedeutung des Ausdruckes bewusst wurden. Das geistige Geburtgeben unteliegt denselben Bedingungen wie das körperliche. Beide verdienen meines Erachtens mehr Aufmerksamkeit. Lassen wir einmal kurz die Völker beiseite, wo die Frau keine Wahl hat, ob sie einen Menschen, vorzüglich einen Mann, in die Welt setzen möchte oder nicht, aber auch hierzulande ist die Frage nach wie vor angebracht, ob dem ungeheuren Schöpfungsvorgang die Wertschätzung, die ihm zweifelsfrei gebührt, wirklich gegeben wird. Ich sehe die Frau nicht als jemanden, die sich dieses körperlich gebärenden Vorgangs unbedingt unterziehen muss, nein, ganz im Gegegnteil. Ich hatte mir selbst diese ernste Frage gestellt, ob ich  dafür geeignet bin, so eine lebenslange Verantwortung freiwillig zu tragen, und die Antwort war nein. Nur in Indien musste ich mich manchmal in den ersten Jahren den auf Mitleid getrimmten Blicken und Fragen der Frauen stellen, wo denn das Kleine wäre und der dazugehörige Erzeuger. Später begleitete mich aus denselben Augen eher der Neid, dass ich meines Weges gehen konnte, und vor allem wohin ich wollte, ohne dass es irgend jemanden gab, der mich davon abhalten konnte oder könnte. Wo die Verantwortung in den vergangenen Jahren aber zunimmt, ist den Worten gegenüber, vor allem aber dem Blick auf alles, auf mich, auf die Menschen, auf die Welt. Dieser Blick und diese Worte werden innen genährt. I c h füttere sie mit der Milch meines Wesens. Unter meiner Obhut entwickeln sie sich, und obwohl sie nicht alles sind, was ich bin, drückt sich das, was ich über mich weiß, durch sie aus. Die Welt, in der ich mich bewege, entwickelt sich gemäß ihres Verhaltens. Und da es leicht passieren kann, dass man in selbst gebastelten oder fremdbestimmten Blasen landet, heißt es immer wieder, mal in Kellergewölben, mal in Dachstuben nachzuschauen, wieviel Staub sich angesammelt hat auf all dem, was mir selbstverständlich vorkommt, und welche Wirkung es erzeugt im Außenraum. Es gibt auch immer mal wieder Zeiträume, in denen Erfrischungen möglich sind, zum Beispiel durch Nähe zur Kunst, in der erste Strömungen von gesellschaftlichen und menschlichen Veränderungsmöglichkeiten am ehesten erscheinen, denn sie (die KünstlerInnen) sind allein mit sich bei der Zeugung, und auch hier wird sie manchmal verhindert oder zerstört, und niemand erfährt davon, dass ein Kind unterwegs war. Letzten Endes hat jedes Erzeugen ohne Liebe keine guten Karten. So heißt die Frage vielleicht auch: wo will ich die Liebe, die mir zur Verfügung steht, hinlenken? Wo fühlt sie sich wohl, wo kann sie sein, ohne zu schaden oder geschädigt zu werden. Man lernt dazu, das ist hilfreich. Die Sache ist schwer in ihrem ganzen Ausmaß zu erfassen und kann einen ganz schön bescheiden machen. Andrerseits hat man die Freiheit, am eigenen Tor zu stehen und reife und menschlichkeitsfördende Entscheidungen zu fällen. Selbst die Gänsehaut spricht ihre eigene Sprache, und man kann sie trotzdem verstehen.

…und los geht’s

Menschen halten Computersimulationen für echte Menschenmengen - Wissen - SZ.de
Maßnahmen-Lockerung mit beschränktem Dürfen
Ja, es ist tatsächlich passiert, und genau dann, wo man es vielleicht gar nicht mehr erwarten wollte oder konnte, dass sich alles wieder, ein bisschen wenigstens, dem angleicht, was wir das Normale nannten oder immer noch gerne nennen. Darüber spricht man ja nicht so häufig, wie normal ist was für dich, oder wie normal für mich, bevor das, was es für jeden war, verschwindet. Nun wird also gelockert und ganz, ganz vorsichtig wird beigebracht, dass es wieder möglich sein könnte, wenn auch unter strengen Bedingungen, dass wir draußen, oder sogar auch drinnen, wieder einen Kaffee, oder ahhh, wieder z.B. einen Cappuccino trinken können. Los also, nichts wie raus. Nach äußerlichem Kaffeegenuss ausgehungerte Menschen strömen nach draußen, wo viele andere auch schon sind. Aber was sehen wir da!? Eine Frau kämpft sich kriegerisch durch die Masse, und man sieht, sie ist determiniert, zuerst an der Café-Tür anzukommen. Niemand traut sich, ihr im Weg zu stehen, denn sie haben erspäht, wer es ist. Es ist Lara Croft! Was kümmert Lara Croft die Kaffeesucht der Menschen, denn sie will ihren Espresso haben, und zwar gleich. Sie erreicht die besagte Tür, doch es geht nicht weiter. Was ist los? Es kommt zu unmutigem Gemurmel unter denen, die auch noch drankommen möchten, und das kann lange genug dauern. Langsam dringt der Kern des Konfliktes zum grumpelnden Menschenmeer durch. Lara Croft hat keinen Impfpass! Ja wo war d i e denn die ganze Zeit. Sie versucht, sich zu verteidigen, indem sie sich als 3G-lerin zu erkennen gibt. Aber was nützt das? Nichts. Auch ihr Interesse für Archeologie und Grabräuberei nützt ihr hier gar nichts, genauso wenig wie ihr Schwert, denn sie hat keinen Impfpass dabei. Croft lässt das kalt, geht sie halt weiter und braut irgendwo einen eigenen Espresso, und dort, zufrieden mit dieser Lösung des Konfliktes, lassen wir sie  zurück. In Indien wurde ich vor einigen Jahren von Affen  angegriffen und auf der Flucht vor ihnen von einem Bandenmitglied gebissen. Vier Injektionen bekam ich in Indien, die fünfte musste ich hier bekommen, was gar nicht so einfach war, denn nicht alle Ärzte sind auf Affenbisse eingestellt. Der Arzt war angenehm und selbst schon mal in Indien gewesen und froh, mit jemandem darüber reden zu können. Er schüttelte nur erstaunt den Kopf darüber, dass ich keinen Impfpass hatte. Ich wusste gar nichts von Impfpässen. Das passiert einem manchmal, wenn man auf das als normal Bezeichnete nicht so sehr achtet. Er gab mir dann so einen Gelbling mit einem Eintrag, und wer weiß, vielleicht komme ich damit eines Tages mal irgendwo durch oder hin, wo er gebraucht wird, wenn ich ihn dann bei mir habe.

dortiges Hier

Tief in mir gibt es eine Ebene, auf der sich das indische Wesen und Wissen über Durchsickerung angesammelt hat, zumindest das, was ich selbst wissen wollte und auf meine Fragen und mein Interesse durchaus glaubwürdige Antworten  bekommen habe. Man kann in Indien verhältnismäßig einfach sich selbst sein, weil man weiß, was und dass immer alles möglich ist, also auch man selbst. Die Inder, zumindest die, die ich kennen lernen durfte, schauen geistig ziemlich trainiert auf die turbulente Matrix und machen sich ihre Gedanken, wodurch das Ganze interessant wird für sie, agieren aber wenig davon aus. Es kann sein, dass viele Menschen in Indien eine derartige Bedeutungslosigkeit erlebt haben und erleben, dass sie fast automatisch ins Silchselbstsein rutschen, es aber als solches gar nicht erkennen. Mühsam arbeitet sich jedoch die geistige Ameise von der anderen Seite her auf, ja, auf was zu!? Ist es eine Wüste, ist es eine weitere Karotte, oder etwa eine prall gefüllte und beatmete Leere, in der das Sein sich über einen ergießt wie ein Regenschauer im Sommer. Man muss es herausfinden, wie es (für einen selbst) ist. Denn auch wenn ich wie ein Reporter einige Hintergründe herausfinde über was und wen auch immer, so ist doch auch klar, dass es hinter all den Hintergründen weitere Hintergründe gibt, die eigentlich erst der Stoff sind, mit dem man arbeiten kann. Das heißt auch nicht, dass ich mich nicht beim Gedanken ertappe, mir zu wünschen, dass Narendra Modi über die Covind Krise stürzt, aber auch über das immense Leid ein Erwachungsschock immerhin stattfinden kann. Da wäre eine Umkehr in das eben noch Gewusste fast noch möglich, wobei ich hier nicht in einen naiven Tümpel waten möchte, genauso wenig wie in einen naiven Tempel. Was ich aber dort  (u.a.) gelernt habe ist, dass das Leben nur angenehm sein kann, wenn ich darin anwesend bin. Diese orientalische Anwesenheit wird natürlich darin unterstützt, dass einem das Schauderhafte jederzeit zustoßen kann, sei es der Bulle und die Kühe hinter einem, oder die Leprakranken vor einem. Was da ist, kann eigentlich keiner fassen, außer man vertraut der eigenen Fassung und kann dann auch aus der Anwesenheit heraus agieren. Also alle schauen dem Schauspiel zu und greifen erst ein, wenn es wirklich etwas mit ihnen zu tun hat. Man denkt, was einem nicht passt, aber man sagt es nicht. Eben da ist die indische Kultur an ihre Grenze gekommen. Vor lauter Nichts-Sagen verlernt man, wer man ist oder hat gar nicht gemerkt, dass man es nicht weiß. Als ich jedes Jahr zurück in den Westen kam, war ich bald beschäftigt mit der Umschaltung. Hier ein Hebel und dort, dann konnte ich auch hier wieder anwesend sein, der Freundeskreis hat es ermöglicht. Dann drücke ich auch gerne aus, was mir durch den Geist geht und weiß sehr wohl aus Erfahrung, dass der ernsthafte Dialog unerlässlich ist, da man immer das Wirkungsfeld erschaffen kann und muss, in dem man selbst handeln kann als die, die man ist, und vorzüglicherweise ist das Gegenüber auch mit eigenem Feld präsent. Dann ist viel möglich. Was ich mich gefragt habe ist, ob es nicht außer dem tiefen, stillen Grundton, den ich mit Indien und früherer geistiger Praxis verbinde, eine wache und aufnahmebereite Leere gibt, in der zwar kreatives Denken  und Meinungsbildung und Identitätswandlung u.s.w. möglich sind, aber die einfache und eindeutige Zeugenschaft des Daseienden vorherrschend ist. Das heißt in gewisser Weise bewegt man sich geistig aus dem Vordergrund zurück, ist aber ganz und gar beteiligt an der Zeugenschaft. Die Worte erscheinen vor allem, wenn sie für Mitteilung oder Klärung notwendig sind. Dann kann man sich auf sie verlassen.

 

simpel

Einmal habe ich in dem wunderbaren Buch von Jonathan Safran Foer ‚Tiere Essen‘ einen Satz gelesen, der mich zutiefst berührt hat. Ich war es schon lange gewohnt, Vegetarierin zu sein, ohne viel darüber nachzudenken. As ich Anfang meiner Zwanzigerjahre im Ensemble des ‚Living Theater aufgenommen wurde, waren alle vegetarisch, aßen aber Eier, was ich dann in meinem indischen Dorf auch lassen musste, weil dort schon seit Urzeiten  vegetarisch gegessen wurde, darüber dachte damals noch keiner nach. Für mich machte es an diesem Punkt einfach keinen Unterschied, und wer indisches Essen liebt, weiß auch warum. Ein Unterschied kam, als ich den Satz las. Jonathan Foer erzählt, wie er auch gewohnt war, Fleisch zu essen, selbstverständlich war das in seiner Familie, bis er einen Sohn bekam und sich Gedanken darüber machte, wie er ihn zu ernähren gedenke. Es kam der Tag, an dem der Kleine auf den Teller schaute und fragte,was das sei darauf. Das sind Tiere, mein Sohn, das sind Tiere, sagte der Vater. Da rutschte in mir etwas tiefer im Inneren, so, als hätte ich auf einmal die Info bekommen, warum ich selbst Vegetarierin bin, eben weil es Tiere sind, an deren Vernichtung zu meinem lukullischen Wohlbefinden wenigstens ich nicht mehr teilnehmen möchte. Mir gefiel die Wirkung des sehr einfachen Satzes. Wir wissen alle, dass die Dinge sehr komplex sind, will man sie wirklich verstehen, aber es gibt auch die Wirkung der schlichten und einfachen Wahrnehmung. So muss jede Generation mit irgendeinem Krieg umgehen, den man nicht übersehen kann, denn wir sind Kinder unserer Zeit. Und obwohl ich mit meinen persönlichen Betroffenheiten zur Zeit etwas weniger in Amerika, dafür aber mehr in Indien unterwegs bin, so ist es mir doch nicht gelungen, über den Krieg in Israel einfach den Kopf zu schütteln, in beide Richtungen natürlich. In jedem Krieg muss es einen Punkt geben, wo das Absurde sich zeigt und dann selbst überholt. Als wenn nicht alle wüssten, dass da profitiert wird, und wieder ist der Auslöser beklemmend banal. Irgendeiner ging irgendwohin, um sich behandeln zu lassen, was andere nicht gerne gesehen haben. Aber es zündet ja nur, wenn alle bereit sind zum Zünden. Echt jetzt, denkt man etwa, so viele Raketen haben die da zum Abschießen, wer finanziert das? Die sich zum Gott Erhebenden oder um diese Auszeichnung Bangenden basteln sich dann eine eigene Ebene. Aber man kann ruhig fragen, warum Indien eine Atommacht ist und unbedingt auf den Mond muss, wenn das zu regierende Land in Chaos versinkt und seine Menschen auf den Straßen unbeachtet verenden. Und sind über sechzig tote Kinder, egal auf welchem Streifen, nicht genug Grund, um einen Krieg zu beenden? Es ist ja beschämend, wie fast normal es gesehen wird, dass Kriege immer wieder aus den ähnlich gearteten Gehirnen heraus als Notwendigkeit proklamiert werden, während die, die sich so eine krieglose Welt vorstellen können, eher als harmlos gelten. Ist ja auch so, zumindest in der Ausrichtung bemüht, so wenig Harm wie möglich zu verursachen, Und dann zu merken, wie schwer es ist, weil jede/r Einzelne etwas anderes Harmvolles erfahren hat, das ihn oder sie zu dem macht, was man dann ist. Wie man damit umgeht, für was man sich letztendlich entscheidet. Gerne möchte man denken, dass die sogenannten neueren Generationen da etwas bewusster sind, und vielleicht kommt ja mal der Tag, wo im Angesicht irgend welcher schwer nachvollziehbaren Umstände zum Krieg gerufen wird und keiner mehr hingeht.

einimpfen


Mutanten Flucht Variante
Natürlich würde ich mich niemals hinsetzen und versuchen, eine Flucht Mutantin bildlich zu erfassen, aber da war sie eben. Aber nach dem ersten Hören des neuen Begriffes wurde eine Gegenwehr aktiviert gegen die Einimpfung von Begriffen, die man, also ich, nicht wirklich lernen will. Sollte ich (z.B.) mal dabei ertappt werden, dass ich, hoffentlich aus Versehen, die drei G.’s nenne, durch die man jetzt bald wieder zu einer, wenn auch sehr relativen Freiheit im äußeren Raum, gelangen kann, mich dann selbst darauf aufmerksam mache und vielleicht auch das schöne Mantra hochrufe ‚Ich reech mich nett uff‘. Weiß gar nicht, wie das geschrieben wird, wirkt aber zuweilen. Man darf in der inneren Architektur den Humor nicht einfach irgendwo oder irgendwie sitzen lassen, sondern muss darauf achten, dass er selbst in finsteren Momenten den Zugang zu einem findet. Nun  wurmt mich natürlich auch, dass man den neuen Mutanten jetzt den indischen Mutanten nennt und dadurch wieder was zum Schüren hat, oh weh, was!, noch ansteckender als alle anderen. Man hätte wohl lieber von Indien etwas mehr Aufschluss bekommen über die Zeiten hin, wie die bekannte bis berüchtigte Erleuchtungsvariante wirklich funktioniert, aber nun ist es zu spät, und es ist ja nicht so, als wäre gar nichts gelaufen. Wenn also der Humor mal wieder auf Wanderschaft ist und sich nicht freiwillig meldet bei einem, kann es auch mal Charlie Hebdo schaffen mit der Bemerkung, dass es in Indien 30 Millionen Götter und Göttinnen gibt, aber keine/r von ihnen in der Lage ist, Sauerstoff zu beschaffen. Über so was kann man nur lachen, wenn man die Sache mit den Religionen für sich einigermaßen geklärt hat, wie auch immer. Ein indischer Moderator, auf den ich über Algorithmenauswahl gestoßen bin, regte sich glaubwürdig über den ‚Yogi‘ Ramdev auf, der Modi das image-aufpäppelnde Yogisieren beigebracht hat, und mahnte ihn im Angesicht der Todesopfer, etwas Mitgefühl mit den Leidenden zu haben, anstatt zu brüllen, man solle doch einfach göttliches Prana (Atmen), ihr Dummköpfe, hereinziehen, dann würde es kein Covid geben. Eigentlich kann man sehen, dass Ramdev ein hasserfüllter Zyniker ist, aber unter seinesgleichen fällt das nicht so auf. Der Moderator meinte, dass Yoga eine einzige Sache n i c h t tun kann: Es, das Yoga, kann niemanden zu einem besseren Menschen machen, eine wichtige Information, auf die man nicht so leicht kommt. Es ist ein bisschen so wie damals, als ich in Kathmandu einen buddhistischen Lama fragte, ob es ihm nichts ausmache, wenn so viele Buddhisten einfach nur um den Tempel herumliefen und ‚Om mani padme hum‘ murmelten und dabei die Gebetstrommel schwengten. ‚Es sei immerhin besser, meinte er, als mit den Nachbarn zu schwätzen.‘ Das müsste noch erforscht werden, aber wer will das schon. Aber zurück zum Einimpfen und Schüren von Begriffen und Ängsten, gegen die man sich förmlich wehren muss, kann man ihnen doch nur mit einer bestimmten Haltung entrinnen. Was heißt entrinnen, eher damit umgehen lernen und nicht so viel davon reinlassen, damit man über das Unnötige nicht unnötig nachdenken muss.

 

 

schattig

Ich stimmte gestern mit Preeti, die in Bombay lebt und vor drei Tagen ihre Mutter durch Covid verloren hat, überein, dass über Indien gerade ein dichter, schwarzer Schatten liegt, der ihr auch das Gefühl gibt, dass der Verlust ihrer Mutter sich einfach einreiht in die ungeheure Zahl der Menschen, die dort gerade täglich ihr Leben gelassen haben und lassen. Das Ausmaß dieser Tragödie hat es dann auch in die deutschen Medien geschafft und vielleicht weitere Fragen hervorgebracht über dieses so schwer verständliche Land, in dem die BewohnerInnen eine geradezu unhinterfragte Liebe haben für ihre Kultur. Auch unter uns, den Fremdlingen, die wir zu einer neuen Welle der Indienliebe aufbrachen, gab es letztendlich nur zwei Gruppen: die, die Indien sofort ans Herz nahmen und sich zuhause fühlten, und die, die sich immer über alles beklagten, aber auch nicht davon loslassen konnten. Es wurden über die Jahre immer mehr, die in ihren Geburtsländern kein eigenes Zuhause mehr hielten. Manchmal fuhr man nach Nepal und holte sich dort ein Visa und kam zurück ins neu Erschlossene. Es gab Jahre, in denen die Fremdlingskinder nicht mehr in eine Schule geschickt wurden, man wähnte sich in einem paradiesischen Weiter, das niemals aufhören kann. Aber alle hatten was höchst Erfreuliches davon, das kann man nicht bezweifeln. Was in Indien aus einem hervorgelockt werden konnte, das gab es in unseren Ländern noch nicht mal als Ahnung, wenn auch als Gedanken. An diesem unvergesslichen Konstrukt wirkt der große Schatten nun wie ein Scheibenwischer. Da war mal etwas, natürlich einzigartig wie alles andere, aber extrem in seiner Komposition zwischen Hell und Dunkel, das ist jetzt nicht mehr da. Es hatte etwas mit einer fast traumhaften Bewegung von Ordnungen zu tun über einem vollständigen Chaos, von dem jeder wusste, dass es nicht zu enträtseln war. Diese Ordnungen aber reichten hinunter bis in die Slums, als ‚Social Distancing‘ endet diese Vorstellung von alleine. Immer gab es die schrecklichen Dinge, ziemlich gut dosiert mit einer hoch kultivierten Menschlichkeit, die auf allen Ebenen zu finden war, auch wenn langsam durchdrang, wie grausam und missbräuchlich genau das werden konnte, was immer noch gerne von sich dachte, es sei wach und wissensvoll. Entschwunden ist das alte Indien, Bharat genannt, in dem tatsächlich alles Wissen enthalten ist, um ein gutes Leben zu leben, nur ist es in Vergessenheit geraten. Der Mund kann es noch zitieren oder darüber herumfabulieren, aber es reicht nicht mehr bis in das Innere der Häuser, wo die Flatscreens kaum mehr ausgehen und keiner auch nur ahnen kann, wie sich die Inhalte in den Gehirnen ausdehnen. Aber wer hätte gedacht, dass der große Tod schon so früh kommt, oder kommt er gar nicht früh? Wann ist früh? Oder wann wird fünf vor zwölf zwölf. Sterben dann erst die Elefanten, und ein Tsunami tobt über Gujarat, die Heimat de Premier Ministers, da, wo er einmal der kleine Junge am Teestand seines Vaters war? Wenn die ganze Welt, aus welchem Grund auch immer, auf einmal genauer auf ein ansonsten irgendwie verborgenes Land schaut, geht dort etwas zu Ende. Es gibt natürlich auch den Nobelpreis oder ein Fußballspiel, aber meist ist es eine Tragödie, über deren Verlauf sich dann ein Vergessen zieht, weil schon die nächste Katastrophe den Hebel der Meinungen aktiviert. Das Vergessen ist auch so ein Schatten, oder vielleicht gehören die beiden zusammen.

 

lindern

Gut, man kann auch ohne Dauerregen nicht wirklich etwas festhalten. Oder man kann es und macht es auch, um sich zum Beispiel daran zu erinnern, dass eigentlich Sommer ist, zwischendurch ist  er ja auch ganz kurz mal da. Man steht dann und staunt hinein in diese Pracht, wo die Kirschblüten in die Magnolienblüten übergehen und die Apfelblüten im Garten alles überstrahlen mit ihrem Licht. Und ja, das Ohr lauscht hin zum emsigen Gebrumme eines einzigen Tieres, das vermutlich für das Erscheinen unserer Äpfel verantwortlich sein wird. Klar ist auch geworden, dass es ein uneingeschränktes Wohlbefinden nur in vorüberziehenden Momenten gibt. Die können sich allerdings zuweilen in Stunden hinausdehnen und werden dann von uns als eine Art Glück empfunden: ein gutes Gespräch, eine tiefe Vertrautheit, ein geteilter, angstloser Raum. Denn auch das gelungene Alleinsein muss ja umkränzt sein von guten Beziehungen, die diese reichhaltige Einsamkeit erst zur Geltung bringen, bzw. ermöglichen. Und so, wie hinter jedem Witz der Tod lauert, so lauert auch hinter den Blüten noch all das andere, das begleitend mitwirkt. Da bin ich jedoch nicht ausgeliefert, sondern habe Entscheidungs-Spielraum. Wie wohltuend ist es doch in der Tat für die Augen, so viel Schönes und Frisches und Grünes aufzunehmen, und man muss sie wandern lassen über all dieses aus sich selbst Hervorgeströmte, damit man den Reichtum und die Schönheit der Welt nicht vergisst. So vertieft sich das Wesen dieser Erfahrungen, und dann, wenn es Zeit ist, (z.B.) auf Indien zu schauen, braucht es Kraft, will man auch dort nicht nur hängenbleiben an den moderierten Berichterstattungen. Es ist mühsam, für sich selbst eine akzeptable Ausgleichung zu finden, die einem lebendige Bewegung erlaubt auf der Skala der Möglichkeiten. Heute früh kurz vor den 3 Minuten Nachrichten, die mich beim Schminken informieren, höre ich eine Pristerin kundtun, dass heute der Internationale Tag gegen Homo-,Bi-,Inter- und Transphobie ist. (Das musste ich mir auch von Lord Google nochmal buchstabieren lassen). Die Priesterin war froh, dass sie in einer Zeit lebt, in der sie nicht verbrannt, verstoßen, oder ins Gefängnis verbannt wird für ihre natürlichen Neigungen, sondern als Frau in einer Kirche predigt und mit einer Frau verheiratet ist. Die Beurteilung der Homosexualität als Krankheit, erzählt sie, ist erst vor ein paar Jahren von der WHO aufgehoben worden. Sie ist also nicht krank, sondern kerngesund und geht davon aus, dass Gott gegen Liebe nichts haben könne, außerdem habe er sie bei der Taufe schon akzeptiert. Und obwohl ich persönlich nicht für so intensives Diskussions-Gendern bin, muss man all den KämpferInnen dankbar sein, dass sie daran geackert haben, den Irrsinn der Welt, oder muss man hier  ‚den Irrsinn der Menschen‘ sagen, etwas zu lindern.  Was das Gendern betrifft, so soll ein Mensch irgendwo vorgeschlagen haben, dass man, um die Gefahren der Empfindsamkeiten zu umrudern, einfach auf jegliche Frage mit ‚divers‘ antworten sollte. Das gefällt mir, dass man zum Beispiel auf die leidige Frage, wie es einem denn so geht, mit ‚divers‘ eine neue Nuance hätte, die der jeweiligen Realität vermutlich mehr entspricht als vieles andere. Mir geht es auch gerade divers, da ich entschlossen war, mich heute auf Blüten auszurichten und eben nicht die tausend angeschwemmten Leichen am Ganges zu erwähnen, die , wie sich nun herausstellte, so viele wurden, weil im Hintergrund die totale Ausbeutung im Gange ist, das Holz und die Riten sind für die meisten nicht mehr bezahlbar. Und bei dem Wort ‚lindern‘, ein schönes Blütenwort, ist mir eine Zeile von Pablo Neruda eingefallen, die ich in dem Buch ‚Journal‘ von Carolin Emke gefunden habe, und dieser Satz (m.E.) leisten kann, was nur Poesie vermag: sie kann trösten und lindern und gibt, im besten Fall, genug Raum, damit man das, was man erfühlt hat davon, in einen eigenen, höchstpersönlichen Kontext bringen kann. Poesie ist immer gut, wenn sie auch aktuell sein kann. Von allen Jahrhunderten her haben wir dafür Beweise erhalten. Hier also die Zeile:

 

Die Erde lebt leiser nun,
gelinder ist ihr Verhör,
ausgebreitet das Fell ihres Schweigens.

 

 

 

 

Shivani schickt mir manchmal aus Indien diese Beiträge,
die manchmal den berühmten Nagel ganz gut auf den
Kopf treffen.

 

Indien erkennt Sonderstatus von Kaschmir ab – Neue Eskalation befürchtet - WELT

Leute, bitte werdet nicht krank,
geht nicht hungrig schlafen,
zeigt euch niemals unbeschäftigt.
Unser Leid verursacht dem Kaiser
den Verlust seines Messias-Images.

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Wir leben in einem Land, in dem
Ahnen als Krähen gesehen werden,
die Mutter in der Kuh, Gott in
den Steinen. Nur Menschen werden
nicht gesehen in menschlichen Wesen.

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schärfen

Ich merke, dass meine Betroffenheiten sich verankern können, wenn ich auf irgendeine Weise mit ihnen verbunden bin. Auch mit Amerika, vor allem mit New York, verbindet mich eine lange Geschichte, wo wichtige Schalthebel sich in Bewegung setzen ließen, wichtige Lebenseindrücke und Richtlinien und Abenteuergelüste wurden dort aktiviert und wirkten leise als Heilung der Nachriegskindergeschichte. Wo mich zum Glück nichts so gebannt hielt, dass ich nicht fortkam, und im Fort-Davon Zeit fand, mit mir selbst zu sein, wenn auch als bleicher Vogel, der entkommen war aus der Nazi-Hölle. Deswegen und vielleicht auch aus anderem Grund verbietet sich etwas in mir, nach Israel zu schauen, und wenn ich Netanjahu sehe, kann ich nur schaudern, und danach gleich noch einmal schaudern, wenn ich den Hamas Führer anschauen würde, und dann ich nochmal schaudern können würde, wenn Menschen in Deutschland ‚Scheiß Juden‘ vor der Synagoge schreien. Wo sind wir? Freie Momente des Tages verbringe ich in Indien, mal am Ohr in Gesprächen, mal auf das Unfassbare starrend, ohne vorzutäuschen, dass es zu verstehen wäre, oder ist es viel einfacher, als man denken möchte. Nein, es ist nicht einfach. Nicht für jeden ist es wichtig, Zeugin einer nicht nur sterbenden, sondern durch Gier und Habsucht vernichteten Kultur zu sein, ah, war es nicht mein Herzblut, das unvergleichliche Gut. Gerade noch im letzten Moment den Anker gelöst, bevor es versank in die erbarmungslose Abgrundtiefe. Und wie ein goldener Ring im Märchen ist es, der unversehens von einem hochwohlgeborenen Finger gleitet und als verloren gilt, gäbe es nicht einen Fisch, der, im Netz eines Fischers gefangen, auf einem Teller landet und siehe!, da ist er wieder, der Kern und die geballte Substanz der Geschichte. So leide ich auch, soweit ich kann und im Mitfühlen mich schule, unter den grässlichen Vernichtungsorgien, die auf viele unterschiedliche Weisen stattfinden, im helleren oder im dunkleren Netz. Und um in diesen Netzen wiederum nicht gefangen zu werden,  bleibt einem praktisch nichts anderes übrig, als immer wieder zurückzukehren zu mir selbst und mir die Fragen zu stellen, die im Kontext meiner Erfahrungen auftauchen. Manchmal geschieht etwas Unvorhergesehenes (klar!), das die Kraft hat, das eigene Weltbild, das man für real hielt, zu erschüttern. Kein Faden mehr auf den Wegen des Labyrinthes. Nur noch der direkte Zugang zu dem, was ist, bleibt offen. Aber was ist es, das ist die leicht unheimliche Frage. Denn wenn sie, die Frage, zwar auftauchen kann, aber nicht mehr beantwortet werden muss, dann kann man, wenn auch oft auf schmerzvolle Weise, genau da landen, wohin auch die Suchenden tasten und dem Gerücht folgen, man könne es finden. Und wenn man genau an diesem Punkt aus ‚es‘ ‚ich‘ werden lässt, dann kann man den Blick schärfen für alles Weitere. Oder nicht nur den Blick. Hier braucht man die Lupe.

Stabilität des Ungewissen

  
Noch wer                                        &                                                    Wer noch

Die beiden Bilder sind kleine Ausschnitte aus einer Wort-Arbeit, die wir im Haus zusammen während des Lockdowns gemacht haben. Ich mag das Wort ‚NOCH‘, und habe es selbst einmal in einem Gedicht zur Kernaussage gemacht im Sinne von: Noch sind wir da. Noch da noch. Noch da. Jetzt, im Angesicht anstehender Lockerungen, sind wir vermutlich erst einmal froh, dass wir noch da sind. Gestern erhielt ich die Nachricht vom  Tod eines Mannes im indischen Dorf, den ich sehr gut kannte und schätzte. Er war erst um die fünfzig herum und es fiel mir schwer, ihn mir nicht lebend vorzustellen. Etwas in mir weigerte sich, ich rief noch jemanden an, um es bestätigen zu lassen. Eben nicht mehr da jetzt, nicht mehr da. Der Tod manifestiert eine sehr eindeutige Realität, mit der man umgehen muss. Deswegen zeigt es sich auch hier als günstig, dem Ungewissen eine gewisse Stabilität verliehen zu haben. Dass das Sterben gewiss ist, alles andere findet im Noch statt. Noch da noch. Noch da. Man sieht vor dem geistigen Auge eine Unmenge Tore sich öffnen im Außenbereich. Die Phase des Wieder-Dürfens wird allerorts eingeleitet. Und wir wissen natürlich nicht (wie immer) wer da herauskommt aus diesem kollektiv auferlegten Rückzug, der eine spürbare Verdichtung in die Weltatmosphäre gebracht hat. Das war kein Ramadan, wo man zwar auch macht, was einem schwer fällt, aber wenn man es schafft, fühlt man sich pudelwohl (denke ich mal). Es wird gefeiert, und so manche Frau, könnte ich mir vorstellen, bedauert, dass es vorbei ist, denn nun gibt es wieder viel Raum für das, was man gerne das Normale nennt, was durchaus und immer mal wieder aufs Neue zu begrübeln wäre. Denn dahin öffnen sich ja wieder die Tore für die, die es vermisst haben, das Normale eben, das es nie gab und das es auch jetzt nicht gibt. Noch wissen wir gar nicht, wie uns diese Erfahrung geprägt hat, dieser Bann, dieser Stau, diese Flut neuer Regeln und Begriffe. Welche drei G’s bitte sollen‘ erst einmal sein? Ach so, das Dürfen geht ja noch weiter. Gut, wenn man sich freieisen konnte. Poch poch an das milchige Eis der Erstarrung. Alles, was nicht aus dem freien Willen herausgeboren wird, unterliegt einer Gefahr der Erstarrung. Niemand mag es, wenn man muss, was man nicht will. Manchmal muss man trotzdem, doch kann man sich auch dafür entscheiden, klar, es ist ja kein Kinderspiel. Entdecke ich also einen Hauch von Furcht  in mir (?), dass es jetzt sichtbar werden wird, was in den Häusern geschehen ist, als sie viel weniger als sonst besucht werden durften, und nun die Resultate des jeweiligen Ausbrütens  in Erscheinung treten. Gut, wir werden sehen. Wie stabil sich das Ungewisse wirklich zeigt, und wie wir damit umgehen werden. Mit uns selbst und mit den Anderen.

 

 

hell und finster

So sind wir nach eineinhalb Jahren Corona-Drama wieder angekommen bei dem Ausbruch der Kirschblüten und der Magnolien-und Apfelblüten. Sind sie besonders leuchtend dieses Jahr, oder kommt es mir nur so vor nach dem Winter ohne indische Sonne auf dem Körper, verlässlich wie ein Briefbote.Und selbst in der Blütenwelt hat sich etwas Unheimliches eingeschlichen – die Insekten, wo sind die Insekten, die wir noch vor den Äpfeln brauchen, seltsam still ist es in der Luft. Aber wie wohltuend, auf das satte Grün der Wiesen zu schauen, und wohltuend auch, dieses simple Glück bewusst wahrzunehmen in seiner Helle, während die andere Seite (in mir) so schwer wiegt. Natürlich bin ich auch bei all den anderen Katastrophen, die außer Covid noch laufen, gedanklich nicht dabei, obwohl es eine gute Frage bleibt, was einen tatsächlich angeht und was nicht. Und nicht für jede/n ist das Ausmaß der indischen Coronawelle spürbar bis in die verfügbaren Zellen hinein. Ach, ein großer Tod ist im Gange, und für mich bleicht er die Wangen des menschlichen Angesichts bis zu seinem knochendürren Ende. Hier kann, und hier muss man auch lernen, was die Menschheit immer wieder in den Irrgarten geführt hat, und ziemlich vieles hat hier ein Ende. Es ist ja schon lange nicht mehr fünf vor zwölf, obwohl diese Zahl ein fester Begriff wurde und so erstarrt und gebannt ist wie die Uhr aus Hiroshima, von der man wusste, wie spät es war, als es passierte. Doch gibt es auch das schleichende Passieren, das dann irgendwann in der Rückschau endet: ach so war das! So, als wussten wir’s nicht. Und um Himmels Willen will man nichts sagen, was auch QuerdenkerInnen querdenken könnten, oder VerschwörungsdarstellerInnen darstellen, nein, will man überhaupt etwas sagen oder fragen, und wenn ja, wen. Und wann kommt einem das Wort ‚apokalyptisch‘ in den Geist, im Sinne von Unheil und Grauen, die nicht mehr zu fassen sind, keinen Ausweg mehr zeigen, nur noch Tod und Vernichtung, wohin das Auge schaut. Kein Gott, der mehr übrig bleibt, aber auch kein Tropfen der Menschenwürde, die im Gesetzbuch verankert ist, also genau da, wo ihr der Untergang droht. Denn sie ist eben auf grausamste Weise antastbar, diese Würde, und wenn es zu spät ist, um es anders zu sehen, als man gewohnt ist, dann weiß man es, oder man weiß es auch dann noch nicht.  Am Ufer des einst heiligen Ganges, dort Ganga genannt, eine Göttin, wurden nur an einem einzigen Ort 40 Leichen angeschwemmt. Man beschuldigte einander, woher sie kämen, und wer es getan hat. Aber alle kannten die vorherrschenden zwei Gründe: einerseits werfen die Armen, die sich das teure Holz für die Leichenverbrennung nicht leisten können, ihre Angehörigen hinein,  aber vor allem soll überall die Angst umgehen, man könne sich anstecken an den Körpern, also am besten hineinwerfen in den Fluss, wer soll das beweisen. Über hundert Angeschwemmte soll es gegeben haben an den geeigneten Ufern, wo sie hängen blieben und erschrocken angestarrt wurden von den Einheimischen. Ich habe auch draufgestarrt auf die Bilder, die zu mir aus Indien kamen. Niemand konnte ahnen, dass es so offensichtlich finster wird, während sich an der Spitze der Regierung wieder ein grotesker Dummkopf zum Gott küren lässt, weil er der Wahrheit nicht ins Gesicht sehen kann. Es ist schwer, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, und nicht zuletzt, weil es ja nur vorletzte Wahrheiten gibt, damit muss man leben.

 

bedenken

Tatsächlich ist es ja für die meisten von uns, die wir gerade auf dem Planeten anwesend sind, eine absolut neue Erfahrung, Teil einer Weltkatastrophe zu sein. Mit dem Zwang, dem wir ja durchaus ausgesetzt sind, einen Umgang zu finden, das ist eines der Highlights dabei, die ich sehe. E i n e Katastrophe mit billionenfachen Varianten des Umgangs, eben jede/r allein mit den eigenen Zuständen, die sich unter dem Druck der Tatsachen eher steigern, als sich in einer unreflektierten Gleichgültigkeit wohnhaft einzurichten. Tod, Krankheit, Angst u n d  Erschrecken sind zwar auch immer da, aber selten teilt man eine potentielle Gefahr mit so vielen, lernt auf einmal völlig neue Dinge, bis die andere Seite der Skala wieder auftaucht, die Ermüdung, die Erkenntnis, die Schlussfolgerung. Das Besondere an der ‚Auszeit‘ verhüllt gerne, dass auch das Vorher keineswegs makellos war, und nun gibt es kein räumliches Ausweichen mehr, was sich ungünstig auswirkt, wenn der Stau bereits da war. Teilweise entsteht er sicherlich durch die Gewohnheit des Alles-haben-Könnens, die nun auf Online transportiert werden musste, und klar, da kommt ein Paket bis an die Haustüre, dann hat man’s oder aber schickt es zurück. Aber Haben hat immer Raum für mehr, man denkt, man hat etwas nicht, was man sonst haben könnte, wenn eben Covid nicht wäre. So ist Covid auch ein Wort für das unfreiwillig Entsagte. Merkt man jedoch eines Tages, dass es einem gar nicht so schwer fällt, den Raum des Tages für sich geöffnet zu haben, in dem sich alles bewegt, was man braucht zum Leben. Was braucht man zum Leben? Anil, ein indischer Freund, sagt immer wieder mal in unseren Gesprächen über Indien, dass alle Inder zuerst einmal die ‚Grundausstattung‘ bräuchten, dann wäre vieles besser, und wer will schon ’nein‘ dazu sagen. Ein Bett, ein Dach über dem Kopf, gute Beziehungen und gutes Essen, das habe ich in Indien selbst in den ärmsten Hütten gefunden, und auch in Slums passieren viele Wunder, von denen wir wenig wissen, denn auch dort geht es darum, das Menschenmögliche zu erreichen. Und vielleicht liegt in der Sanftheit und Schönheit der Inder und Inderinnen das für sie stabile Wissen, dass es weitergeht, wenn auch mit neuer Hülle. Als ich selbst einmal an einen Verbrennungsplatz gezogen war, der als einer der schönsten Orte der ganzen Gegend galt, da gaben mir einige Brahmanen die Aufgabe, nach den Zeichen zu schauen, die auf die Wiedergeburt der jeweiligen Person, nun als Asche, hindeuten könnte. Zum Glück fühlte ich mich schon damals außerstande, zur Zufriedenheit eines Anderen etwas mir Unnachvollziehbares vorzugaukeln. Und wer will schon Krähe werden oder Fledermaus, wenn man in so einem Glauben verankert ist. Wer weiß, wie sich dieser Glaube jetzt auf die Überlebenden auswirkt. Das wird lange dauern. Ich selbst fühlte bzw. fühle mich in dieser ganzen Zeit der Pandemie sehr geschützt. Ich hatte und habe viel Raum für Trauer und Liebe und Dankbarkeit. Klar, wir haben die volle Grundausstattung, alles ist noch übersichtlich und gut miteinander zu managen. Einmal habe ich mir auch ein paar Schuhe im Netz bestellt und war beglückt, dass sie genau das waren, was ich erwartet hatte. Das Ungünstige und das Günstige muss gleichermaßen bedacht werden, und die Freiwilligkeit des Genug! kennen gelernt zu haben hat noch keinem geschadet.

unnötig (?)

Ich erinnere mich an die ersten Nachrichten, die bei uns ankamen von im Meer ertrinkenden Menschen aus afrikanischen Ländern. Wie sie vor meinem inneren Auge hinuntertrudelten in die verschlingende Tiefe, bis die auf solch unmenschliche Weise dem Tod Überlassenenen so viele wurden, dass ich Halt suchte an meinem Pinsel. Die  schwarzen Punkte auf der blauen Meeresfarbe sollten mir näher bringen, was mein Verstand verweigerte, und tatsächlich begann ich das Haar zu spüren bei jedem Punkt, den ich setzte. Vielleicht war es einfacher, weil der Pinsel auch Haare hat, doch wenn man ihm Auftrag gibt, versucht er zumindest, sein Bestes zu geben. Ich weiß, es bedeutet nicht viel, dass ich an meinem deutschen Fenster den Tod der indischen Kultur betrauere, ich bin ja auch nicht alleine, denn ich finde schon, dass ein Hauch dieser Trauer über den Planeten weht, hielt Indien in seinem Weltruf doch lange allem Möglichen stand. Auf der anderen Seite, also hier im Westen, war das Kennen von Indien auch über die Medien bemerkenswert eingeschränkt, da gefüttert von Dingen, die wir IndienliebhaberInnen nie selbst erlebt haben. Auf der anderen Seite gab es im Land auch überall so ziemlich alles im uneingeschränkten Irrsinn des Daseins, von der proklamierten Frucht der Erleuchtung bis hinunter zu grausamstem Missbrauch gegen Mensch und Tier und Ding. Nur hat dann die Intensität des Dunklen und Dichten zugenommen. Aber alles stand eben auch schon in den Schriften, man brauchte nur nachlesen, was alles kommen würde, und auf einmal war man mittendrin in der Weltensaga und verstand, wenn man das wollte, dass man sich selbst vertrat, wenn man das konnte. Und klar: die digitale Revolution gab dem Ganzen den Rest, denn viel Rest war es eh schon geworden, der Rest von dem Wissen und der Rest von der daraus resultierenden Weisheit, alles bekannt als strenge Wege freiwillig auferlegter Ordnungen, die zuweilen zu großer Lebensfreude führten, selten genug, aber immerhin. Und nun der Tod mit seinem krassesten Auftritt, auch hier ein Meister, irgendwo geschult in geheimen Gehirnwindungen, das Resultat einer mächtigen Instanz, die sich hat ausleben dürfen, bis die Not so groß wurde und kein Gesicht mehr im Spiegelbild den Schrecken dahinter übersehen konnte. Als Weltendrama dient es wohl weiterhin als ein Erkennen, dass tatsächlich alles einmal einen Anfang hat und dann ein Ende findet, außer man bewegt sich bewusst in einem Kreislauf, in dem automatisch das Ende den Anfang schon bergen muss, der Uroboros also, die Ewigkeit in Bewegung. Doch nichts tröstet die Zurückgebliebenen der großen Vernichtungen, weder im Krieg noch im Lockdown der Pandemie. Das unnötige Sterben, das durch weise Entscheidungen wenigstens hätte eingedämmt werden können, das macht es schwer, in diesem Sterben eine Ruhe zu finden. Und trotzdem gilt auch hier, dass es ist, was und wie es ist. Ist also schon da, , das gequälte Tier in der Halle, der gefolterte Mensch in den Gulags, wo man denkt, jede Hoffnung auf erträgliches Menschsein würde endgültig begraben werden müssen. Aber muss nicht, denn ich werde ja nicht entlassen aus meiner eigenen Beteiligung, wissend, dass ich bei jeder Wahl, an der ich selbst beteiligt bin, rein technisch das Zünglein sein kann an der Waage.

Was dann?


Ein japanischer Maskenträger beobachtet fasziniert, wie Hannah Arendt
ihre Zigarette in den kristallenen Aschenbecher drückt.
Da, wo ich viele Jahre in Indien verbrachte, hatte der Samstag einen ganz bestimmten Ruf. Es war so, als dürfte sich etwas vom Unheimlichen zeigen, das sonst verborgen liegt. Oder aber man hatte die tausendjährige, über Erzählungen vermittelte Erfahrung gemacht, dass gerade an diesem Tag viele unheimlichen Dinge geschehen, die ansonsten gebannt schienen. Seltsame Priester wanderten umher mit einem gerahmten Bild von Shani, dem Gott der Samstage, und hielten es waagrecht zu einem hin, sodass man Münzen darauf legen konnte. Es ist eine der vielen Methoden für Gläubige, sich durch Mini-Spenden ein gutes Gewissen zu verschaffen. In den Häusern soll es oft gebrodelt, oder man benutzt den Samstag einfach zum Brodeln, weil man dann die Verantwortung auf Shani schieben kann, der von seiner Existenz und ihrer Wirkung gar nichts weiß. Aber natürlich gibt es auch die Möglichkeit, wenn man etwas ganz lange und unbedingt auf eine bestimmte Weise sehen will, obwohl es keinerlei Beweis für diese Fassung gibt, dann kann es schon vorkommen, dass der Gläubige beginnt, einen großen, schwarzen Vogel durch die Dämmerung fliegen zu sehen, auf dem Shani seine Nachtrunden dreht, vor denen man sich fürchten darf, denn dafür hat man ihn ja erschaffen. Und so ist man inmitten der Pandemie mit der tiefsten Sorte der Weltproblematik auf einmal ganz allein, obwohl es endlich mal zur Sache geht, und was ist sachlicher und interessanter gleichzeitig, als zu wissen, wie ich es selbst handhabe, und dann mit den Anderen. Je mehr ich weiß, wie ich selbst es sehe, desto unbelasteter kann ich mich letztendlich fühlen im Sinne, dass ich mehr Raum habe für mich und die Anderen. Gefährlich finde ich es auch zu bemerken, wenn mein Humor sich wieder einmal bedeckt hält, nicht, dass er verpflichtet ist, mich täglich bei Laune zu halten. Die Verzweiflung an der menschlichen Darstellung, die einen ergreifen kann, muss ja stets aufs Neue balanciert werden mit gewissen anderen Erkenntnissen, die der Unterschiedlichkeit der Darstellungen gerecht werden. Niemandem ist entgangen, dass die Erde ein knallharter Ort sein kann, und es hört ja nicht auf, dass man mit Varianten und Mutanten beschäftigt ist, und der Weg tatsächlich das Ziel ist und eben keine große Karotte vor einem Eselswagen. Auch Religionen können beides sein, einmal die praktische Stufe, um in die Vertikale zu dehnen, ein andermal eben ein verdammt zähes Meinungsgewirr, wo es in endlosen Teufelskreisen um alles geht außer der Kernaussage, die meistens ein einziger Mensch erlebt hat, woran man die Seltenheit des wahrhaft Authentischen sieht. Nun warten zwar ganz viele auf einen Erlöser, aber selbst wenn er kommen können würde, würde er sehen, dass die Stühle schon alle besetzt sind. Wir sehen einen potentiellen Erlöser sich dem goldenen Stuhl von Narendra Modi nähern. Modi: Wer ist das denn? Keiner weiß es, und niemand will gesehen haben, wie er reinkam durch die dichten Reihen der Secret Service Garde. Man fragt den Erlöser nach seinem Impfpass. Wussten sie’s doch, hat er eben nicht. Und so beginnt der Leidensweg, denn er kann niemanden überzeugen oder erklären, mit welchem Auftrag er gekommen ist. Er selbst ist natürlich nicht abhängig von den Impflingen, aber wenn er der einzig Ungeimpfte bleibt, was dann, ja, was dann.

äschern

An den indischen Verbrennungsstätten ist mir wie nebenher aufgefallen, dass sie, meist von oben her photographiert  für den weitesten Winkel des Körperverfrachtungsvorgangs bis zum Flackern des Holzes und des Körpers bis hin zur Asche, mir also dann aufgefallen ist, dass diese Bilder oft den Bildern der heiligen Zeremonien gleichen, Puja genannt, ein wesentlicher Teil des indischen Lebens. An manchen Festtagen war der ganze See, an dem ich wohnte, umgeben von tausenden von Lichtern. Alle lieben diese Lichter und können nicht genug davon haben. Nun brennen die Feuer des Todes. ‚Normalerweise‘ wäre jede der jetzt anstehenden Leichen ein Mensch gewesen, den man nach seinem Tod mit zwölf Tagen von Trauer und guten Taten begleitet, damit es ihm beim Weiterwandern gut geht. Aber den Toten ist es davor nicht gut gegangen, sie hatten Covid und viele sind erstickt aus Mangel an Sauerstoff. Ihre Körper wären, in weißes Tuch gehüllt, mit Rosenblättern beworfen und durch die vertrauten Straßen getragen worden. Sie wären auch wie überall einzeln gestorben, das taten sie ja auch und tun sie jetzt noch, nur ist es ein Herden-Sterben. Der Hirte hat nicht aufgepasst, war woanders beschäftigt, lässt gerade ein Haus für sich bauen, von dem man munkelt, es koste über eine Milliarde Dollar, selbst eine Milliarde Rupien wären viel, gemessen an der Schmach, die ein menschliches Wesen befallen kann wie ein Virus, das nicht mehr locker lässt, bis der Schein so offensichtlich dumpf wird, dass automatisch eine Gegenbewegung sich in Gang setzt. Bis alle hinstarren, wie ich, auf das flackernde Totenmeer, oder starre vielleicht nur ich so hin, wie ich starre. Ich habe eine lange, intensive Beziehung zu Asche. Und obwohl es nicht Teil meiner Persönlichkeits-Struktur ist, Andere um das zu beneiden, was sie haben, kannte ich so ein kleines Sticheln beim Hören von Mahadevi Akka, die vor ein paar hundert Jahren nur mit Asche und ihrem langen Haar bedeckt war. Asche war in der indischen Gesellschaft ein Zeichen dafür, dass man zumindest gewillt war, dem illusionären Zirkus des Weltendramas den Rücken zu kehren. Sie kehren auch heute noch der Welt den Rücken. Mahadevi Akka war zwar als bereits bekannte Poetin in die Versammlung der oberweisen Männer geladen, dann aber für ihre aschene Nacktheit gerügt worden und gefragt, wie sie es wage, nackt unter Männern zu erscheinen, worauf sie glaubhaft erwiderte, sie sähe keine Männer. Schön, wie sich Geschichten über alle Asche hinweg erhalten. Wenig, wenn überhaupt etwas, ist klarer, als wenn vor den eigenen Augen ein Körper in Flammen aufgeht und dann in Asche zerfällt. Da geht das Schauen und Fühlen ganz sachte in Erkennen über. Asche wird verehrt in Indien, das fiel auch mir nicht so schwer wie andere Forme der Verehrung, die ich ablehne. Die Stirnen der Inder sind ja meist voll mit Zeichen, aber die Asche ist eines der schönsten. Man nimmt etwas Asche auf den Daumen, legt sie zwischen den Augenbrauen an und zieht sie nach oben, Schluss. Man hat sich dem Unausweichlichen angenähert, ist es doch gar nicht so einfach, wie man denkt, dass das eigene Entschwinden unabänderlich näher rückt. Da, an der Asche, da sind Hoffnung und Zweifel beendet. Die Asche empfängt einen mit ihrer Stille.

Der Brief

Albert Einstein - Die universelle Kraft der Liebe - Christoph Kreitmeir
„Als ich die Relativitätstheorie vorschlug, verstanden mich nur sehr wenige Menschen und
was ich Dir jetzt schreibe, wird ebenso auf Missverständnisse und Vorurteilen in der Welt
stoßen. Ich bitte Dich dennoch, dass Du dies, die ganze Zeit, die notwendig ist, beschützt.
Jahre, Jahrzehnte, bis die Gesellschaft fortgeschritten genug ist, um das, was ich Dir hier
erklären werde, zu akzeptieren. Es gibt eine extrem starke Kraft, für die die Wissenschaft
bisher noch keine Formel gefunden hat. Es ist eine Kraft, die alle anderen beinhaltet, sie
regelt und die sogar hinter jedem Phänomen steckt, das im Universum tätig ist und noch
nicht von uns identifiziert wurde. Diese universelle Kraft ist Liebe. Wenn die Wissenschaft-
ler nach einer einheitlichen Theorie des Universums suchten, vergaßen sie bisher diese
unsichtbare und mächtigste aller Kräfte. Liebe ist Licht, da sie denjenigen erleuchtet, der
sie aussendet und empfängt. Liebe ist Schwerkraft, weil sie einige Leute dazu bringt, sich
zu anderen hingezogen zu fühlen. Liebe ist Macht, weil sie das Beste, das wir haben,
vermehrt und nicht zulässt, dass die Menschheit durch ihren blinden Egoismus ausgelöscht wird.
Liebe zeigt und offenbart. Durch die Liebe lebt und stirbt man. Liebe ist Gott und Gott ist die Liebe.
Diese Kraft erklärt alles und gibt dem Leben einen Sinn. Dies ist die Variable, die wir zu lange
ignoriert haben,vielleicht, weil wir vor der Liebe Angst haben. Sie ist schließlich die einzige
Macht im Universum, die der Mensch nicht nach seinem Willen steuern kann. Um die Liebe
sichtbar zu machen, habe ich eine meiner berühmtesten Gleichungen genutzt. Wenn wir
anstelle von E = mc2 die Energie akzeptieren, um die Welt durch Liebe zu heilen, kann man
durch die Liebe multipliziert mal Lichtgeschwindigkeit hoch Quadrat zu dem Schluss
kommen, dass die Liebe die mächtigste Kraft ist, die es gibt. Denn sie hat keine Grenzen..
Nach dem Scheitern der Menschheit in der Nutzung und Kontrolle über die anderen Kräfte
des Universums, die sich gegen uns gestellt haben, ist es unerlässlich, dass wir uns von einer
anderen Art von Energie ernähren. Wenn wir wollen, dass unsere Art überleben soll, wenn
wir einen Sinn im Leben finden wollen, wenn wir die Welt und alle fühlenden Wesen, die
sie bewohnen, retten wollen, ist die Liebe die einzige und die letzte Antwort. Vielleicht sind
wir noch nicht bereit, eine Bombe der Liebe zu bauen, ein Artefakt, das mächtig genug ist,
allen Hass, Selbstsucht und Gier, die den Planeten plagen, zu zerstören. Allerdings trägt jeder
Einzelne in sich einen kleinen, aber leistungsstarken Generator der Liebe, dessen Energie
darauf wartet, befreit zu werden. Wenn wir lernen, liebe Lieserl, diese universelle Energie
zu geben und zu empfangen, werden wir herausfinden, dass die Liebe alles überwindet, alles
transzendiert und alles kann, denn die Liebe ist die Quintessenz des Lebens.
…Ich bedauere zutiefst, nicht in der Lage gewesen zu sein, das auszudrücken, was mein
Herz enthält: mein ganzes Leben hat es leise für Dich geschlagen. Vielleicht ist es nun zu
spät, mich zu entschuldigen, aber da die Zeit relativ ist, muss ich Dir wenigstens jetzt sagen,
dass ich Dich liebe und dass ich durch Dich zur letzten Antwort gekommen bin.
Dein Vater,
Albert Einstein
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Wir konnten nicht zweifelsfrei feststellen, ob dieser Brief wirklich von A.E. ist, es gibt
widersprüchliche Angaben dazu …..

relativ

Zuweilen meldet sich in mir tatsächlich eine Zartheit, die sich eher im Verborgenen aufhält und seltene öffentliche Auftritte hat, wenigen Menschen und öfters vielleicht Tieren gegenüber, die dieser Gefühlsskala auf der milden Seite keine Beschränkungen setzen. Auf jeden Fall ist es gut zu wissen, dass es da ist, die Zartheit oder Zärtlichkeit des eigenen Wesens, das sich allerdings auch kundtut, wenn auch dort an ihrem Seinsort großer Schrecken eingetroffen ist, wohin er meistens gar nicht vordringt, aber wenn es ihm gelingt, etwas tief Ergreifendes auslösen kann und dieses Zarte sich seiner selbst bewusst wird und nun spürbar manifestiert, was es immer schon war. Zu meinem Wesen, das sich seit ein paar Tagen nicht nur in der Nähe der indischen Verbrennungsstätten aufhält, sondern auch in den indischen Familien und den Häusern der Freunde, gesellte sich dann gestern ein Text, den ich am Sonntag (wahrscheinlich) in meinem Blog erscheinen lasse. Es ist ein sehr schöner Text, der einem berühmten Wissenschaftler zugeschrieben wird oder wurde, von dem man ihn liebend gerne gehört hätte, nun aber das Gerücht umgeht, dass er ihn gar nicht geschrieben haben könnte. Die Schrift wurde analysiert, der Zweifel nicht geklärt, wie vermutlich so oft in der Geschichte. Und wenn ich ein verdammt gutes Gedicht von einem geschätzten Dichter in die Hände bekommen würde, wäre ich wahrscheinlich auch enttäuscht zu erfahren, dass er es gar nicht verfasst hat. Auch könnte ein bewusster Betrug vorliegen, zum Beispiel, um den Brief einzureihen in eine hoch angelegte Erbschaft, für die sich viele interessieren. Nun gut, der Mann ist Einstein und der Brief geht an seine Tochter, von der man wenig weiß, denn er und die Mutter haben das Kind abgegeben und im Brief wird auch gesagt, dass es zu spät sein könnte, für seine Liebe nämlich. Nix weiß man von Liesel und was aus ihr geworden ist. Man hat nachgeforscht,  aber sie schien wie untergegangen im Weltgetriebe. Aber der Brief, wer auch immer ihn geschrieben hat, ist trotzdem schön und nein , ich werde ihn nicht erst am Sonntag rein tun, sondern morgen, da ich den vermuteten, doch angezweifelten Autor schon erwähnt habe. Eigentlich ist es keineswegs egal, wer den Brief geschrieben hat, wie ich noch während des Frühstücks behauptet habe, sondern dieses Thema darin, die Liebe, ist vor allem anregend im Kontext der Tatsache, dass Einstein über die Liebe spricht, und was er von ihr berichtet. Nun ist es eben so, dass nicht hundertprozentig bewiesen wurde, dass er nicht von Einstein ist, der Brief, denn wer kann schon analytisch beurteilen, in welcher Tonlage und Befindlichkeit er sich mit seiner an Fremde abgegebenen Tochter befand. So kann, wer den Text liest, vor allem entscheiden, ob der Text etwas im eigenen Inneren bewegt. Denn wenn das Gesagte das nicht tut, dann kann man es einfach ruhen lassen.

beklagen

Das ist schon bitter, wenn die vielmals diskutierte Frage, wie ein Gott das Grauenhafte und Erschreckende zulassen kann, weiterhin nicht beantwortet werden kann, und ungern würde man an Gräbern oder Scheiterhaufen herumstehen und fragen ‚und jetzt, was ist jetzt mit dem Karma, und wie hängt das für dich, also die Jeweiligen, zusammen, mit dem Glauben, mit dem Wissen, mit den politischen Verhältnissen. Denn überall, wo ich bin, bin ich auch selbst beteiligt am Konstrukt und kann nicht sagen, es war ein Anderer, wenn es auf mich selbst hinweist. Deswegen liegt in den großen Katastrophen auch immer die Möglichkeit eines Erwachens, zwar durch sie unsanft auf den Boden der Tatsachen geschleudert und erst einmal davon überwältigt: vom Tod vor allem und der Trauer, die er mit sich bringen kann. Aber ziemlich sicher ist, dass alle, die von diesen Schrecken zurückkehren in ihr eigenes Leben, zumindest mit der ihnen möglichen Tiefe in Berührung gekommen und daher merklich verwandelt sind. Was danach geschieht, hängt u.a. viel von den kulturellen Bedingungen ab, eben, wieweit es einem Menschen ermöglicht wurde, das eigene Denken zu kultivieren und es bewusst da hinzulenken, wo es den eigenen Neigungen entspricht und möglichst weder mir noch anderen Menschen schadet. Allerdings hat es sich auch in Katastrophen bewährt zu spüren, wenn etwas sich anbahnt, was nichts Gutes verheißt und ich noch angemessene Entscheidungen fällen kann, solange es möglich ist. Fühle ich mich jedoch pudelwohl in einem Leben, das absolut fremdbestimmt ist, dann bleibt mir ja nichts anderes übrig, als die Konsequenzen der Fremdbestimmung zu tragen. Abgesehen davon grassiert schon immer  unter Menschen die Gewohnheit, bzw. die planetarische Krankheit, das von außen Hereingelassene als das Eigene zu deklarieren, anstatt sich zumindest eine Zeitlang zu überprüfen, was ich denn tatsächlich mein eigenes Denken nennen kann. Leicht wird einem dabei schwindelig, wenn Stützpunkt um Stützpunkt entfällt und verhältnismäßig wenig übrig bleibt von dem, was ich für mein eigenes Denken hielt oder halte. An dem Meisten muss man ja auch gar nicht festhalten, nein, umso besser, wenn es beweglich bleibt. Aber beweglich kann es nur bleiben, wenn es klar geworden ist, wie man es sieht. Dann kann man es entlassen in die vielen Räume , die dafür da sind mit ihren abenteuerlichen Ordnungen, die ihre Quelle in den Reflektionen haben. Dem eigenen Denken, das nur stattfinden kann, wenn ich es aus den hektischen Fluren hole und  mir Zeit nehme dafür, als verstehen möchte, worum es (mir) eigentlich geht. Immer sind auch neue Anforderungen im Gange, die persönliche Gedankengänge befruchten können, wobei der Sprung vom Tellerrand in die Sphäre des Ungewissen vermutlich nur ermöglicht wird, wenn ich mein Zeug einigermaßen beieinander habe, und nicht durch persönlich festgefahrene Meinungen beirrt werde. Habe ich z.B. in Narendra Modi einen Gott gesehen, der alles richtig macht, dann…ja, was dann. Was, wenn ich mir das angetan habe, obwohl ich weiß, dass er, Modi, die Menschen schon vorher 2x mit seiner Rücksichtslosigkeit in den Tod getrieben hat, oder waren es schon drei Male: die Geldentwertung, die Muslime, die Bauern, und nun die Menschen, die aus Mangel an Sauerstoff, oder Mangel an allem sterben…zu welcher Quelle wird man das hinführen? Wenn die Toten und die Umstände des Sterbens beklagt sind.

totenstill

Doch, sagt schon was aus über meine Befindlichkeit, das Bild, flankiert von schmalen Ausschnitten der indischen Verbrennungsstätten, die früher, also vor der Pandemie,,  ’shamshan‘ genannt wurden, jetzt aber ‚die Hölle auf Erden‘. Im linken Ausschnitt habe ich dann eine menschliche Figur entdeckt, einen Körper, wahrscheinlich ein Toter in der Verbrennungswarteschleife, oder aber ein todmüder Helfer, der mal kurz verschnaufen musste. In mir meldet sich auch eine Totenstille, eine Form des Umgangs mit dem existentiell Ungreifbaren. Oder greift gerade dann, wenn der Verstand notgedrungenermaßen aussetzen muss, einen das Unfassbare und befördert einen in greifbare Nähe, nimmt dann den verfügbaren Raum ein und wartet auf Anweisungen von der Steuerzentrale, der eigenen natürlich, nicht der von einem Anderen. Und doch konzentriert sich das persönliche Unbehagen oder der Unmut oder die Wut der LandesbewohnerInnen oft auf die regierende Macht. Zu Recht, denn wenn die politische Steuerung versagt, kann der Preis sehr hoch sein. Deswegen ist in bestimmten indischen Chat-Gruppen Narendra Modi immer öfters mit Hitler verglichen worden, und es wurde keineswegs verheimlicht, dass er die Muslims vollkommen entrechten wollte und will, denn er will, mit einer großen Menge von dubiosen Priestern im Hintergrund, das verschmutzte indische Blut wieder reinwaschen, die Hindutva-Bewegung also mit eindeutig faschistischen Zügen. Nun fließt aber viel Blut in eine andere Richtung, vielmehr viel Feuer und Asche verdichtet die Atmosphäre. Ungeheure Tiefen von Leid, von Ohnmacht, von Verzweiflung bahnen sich Wege im Unsichtbaren. Und natürlich wird diese nackte Präsenz des Ausgelöschten mit wenig vergleichbar sein, was ein Vorher darstellte. Extrem gestörte Ebenen des als ’normal‘ Empfundenen zeigen ihr entblößtes Gesicht, denn die Schutzvorrichtungen funktionieren nicht mehr, die Kolben, mit denen das Ganze gelötet war, schon so brüchig, schon so verletzlich, schon so krank, sodass es diesem Virus nun überlassen ist, das Verborgene sichtbar zu machen. Es ist wie ein Krieg, der auch gewollt werden muss, um stattzufinden, und wo es nicht einen einzigen toten Bruder gibt zum Betrauern, sondern so viele in überschaubarer Sinnlosigkeit ihr Leben lassen. Wenn es durchaus möglich gewesen wäre, die vielen kostbaren Lebenszeiten zu erhalten. Und man muss Modi etwas kennen, um zu wissen, wie sehr er Trump und Bolsonaro gleicht, zwei seiner Polit-Kumpels. Und ach!, auf dem Wagen der Kassandra schleppt man sich manchmal nur mühsam dahin, und freut sich dann doch, wenn es mächtige Stimmen gibt, die der Empörung Raum geben. Indien hat sie bereits, zwei Frauen (zum Beispiel), Arundhati Roy oder Mahua Moitra. Wem das Englisch nicht schwerfällt, kann sie leicht finden. Wer will bestreiten, dass Schweigen Gold sein kann. Aber es gibt Zeiten, da muss neben dem Schweigen auch die Empörung Aufenthaltsgenehmigung erhalten.

 

 

José Ortega y Gasset

José Ortega y Gasset | Spanish philosopher | Britannica

Das Leben ist seinem inneren Wesen nach ein ständiger Schiffbruch. Aber schiffbrüchig sein heißt nicht ertrinken. Der arme Sterbliche, über dem die Wellen zusammenschlagen, rudert mit den Armen, um sich oben zu halten. Diese Reaktion auf die Gefahr seines eigenen Untergangs, diese Bewegung der Arme ist die Kultur – eine Schwimmbewegung. Solange die Kultur nichts ist als dies, erfüllt sie ihren Sinn, und der Mensch steigt auf über seinem eigenen Abgrund. Aber zehn Jahrhunderte kontinuierlicher Kulturarbeit haben neben nicht geringen Vorteilen die große Unzuträglichkeit mit sich gebracht, dass der Mensch sich in Sicherheit glaubt, die Erschütterungen des Ertrinkens vergisst und seine Kultur mit überflüssigem Wucherwerk belastet. Darum muss irgendeine Unstetigkeit eintreten, welche in dem Menschen das Gefühl des Verlorenseins, die Substanz seines Lebens erneuert. Es ist nötig, dass alle Rettungsringe um ihn her versagen, dass er nichts findet, woran er sich klammern kann. Dann werden seine Arme sich wieder regen.

 

Aus: ‚Um einen Goethe von innen bittend‘.

Trostpflaster

 

Das Video kam aus Indien, und natürlich kann man den dunklen Humor darin nur verstehen, wenn man weiß, dass es in den Straßen von Delhi, auch den nächtlichen, noch nie so leer war. In diese unheimliche Stille hinein trabt ein Pferd vorbei mit einem geschmückten Bräutigam darauf, der ’normalerweise‘ umgeben wäre von hunderten von Angehörigen und Freunden, und man kann sich natürlich auch da fragen, warum etwas unbedingt sein muss in Zeiten, die dafür gar nicht günstig erscheinen. Es gab immer wieder mal einen bekannten Hindu (wie z.B. Vivekananda), der davor warnte, dem Panchang, einem Kalender, der jeden Tag die dafür günstigen und ungünstigen Daten und Taten vorschreibt,  derart ergeben zu folgen, da es einen geistigen Leerlauf erzeugt und auf jeden Fall nicht zur eigenen Beurteilung anregt. Aber noch habe ich in den vielen Jahren noch von keinem ernsthaften Beschluss wie dem Heiraten gehört, ohne dass der Panchang gewälzt worden wäre, und so reitet eines Tages der einsame Lockdownprinz ohne Gefolge durch die leergefegten Straßen, in denen die Hunde ungestört ihre Reviere vergrößern. Vermutlich ist es eine der Quellen der Angst, die stabilisierenden Rituale  loslassen zu müssen, auch wenn sie einem absolut nichts mehr bedeuten. Das muss man allerdings bewusst erfassen, und hat dadurch einen größeren Entscheidungsradius. Gestern begegnete ich einem unserer Nachbarn, der aus dem Wald kam mit einer Birke  über die Schulter gelegt. Oho, ein ganzer Baum, staune ich, und er erklärt mir, dass er jedes Jahr seiner Frau einen Maibaum aus dem Wald holt. Jaja die hartnäckigen Rituale, murmelte ich, ganz und gar nicht in Verbindung mit der Tradition der Maibaumschenkung, aber klar, was sein muss, muss sein. Und kennt man nicht selbst die zähe Schwere der Dinge, die man doch jetzt gerade im Lockdown mal gründlich durchforsten wollte. Und der begleitende, leicht ermüdete Blick, der über die Stockungen streift, wo sie zu Hemmschwellen wurden. Oft hält man dann die  eingerichtetenInstallationen für die einzig möglichen, dabei haben die Gewohnheiten sich nur eingenistet und brauchen entweder tiefere Erkenntnisse oder tiefere Nöte, um sich den Veränderungen überlassen zu können, wenn auch nur, wo sie unbedingt erwünscht sind. Allerdings setzen sie zuweilen da, wo sie überhaupt nicht in Frage gestellt werden, den geistigen Staub der Jahrhunderte an, und jeder kreative Impuls kann in leergewordenen und bedeutungslosen Gesetzen erstickt werden. Und meistens geschieht das Loslassen von eingefahrenen Gewohnheiten durch Katastrophen. Ich erlebe auch zur Zeit im Angesicht der indischen Katastrophe Momente dieser Schockstarre, die mir erzählt, dass etwas, was für mich tiefe Bedeutung hatte, endgültig zu Ende ist. Klar kann man nach einem Schock auch irgendwann umschalten und weitermachen. Wenn man am Leben bleibt, geht es ja sowieso weiter. Aber schon brennen in mir unwiderruflich die Bilder der großen Verbrennungsstätten, der Trostlosigkeit der unerbittlichen Realität des Here and Now ausgeliefert, jetzt nicht mehr als Wissen verstanden, sondern hautnah erlebt. Die leeren Straßen der Großstadt und ihre Totenstille wirken fast wie ein Trostpflaster.