Ich weiß nicht, wann ich bemerkte, dass ich kaum mehr Filme sehe. Es muss mit Indien zu tun haben, als es dort noch keine Filme gab in den Häusern, in die ich hineinlief, um die Freunde zu treffen, die immer öfters in Serien vertieft waren und mich zum Leisesein shshshsh-ten, und ich keinerlei Interesse aufbringen konnte, einerseits die in grotesker Dramatik zugespitzten Epen der Götter oder die ebenfalls grotesk zugepitzten Dramen weltlicher Familientragödien zu betrachten, nicht viel anders als alberne Filmfamilientragödien hier, und wahrscheinlich gibt es sie überall, die vielen Darstellungen von dem, was wir Menschen gerne als lebendiges Leben sehen . Daher meinerseits die Gewohnheit beruhigender Nicht-Einschaltung von allem Möglichen, was man nicht sehen muss und will. Und soll das Hinschauen nur der Ablenkung dienen, kann man auf den hunderten von verfügbaren Kanälen sicher allerhand finden. Geschichten von Menschen, bei denen irgendwas passiert ist, was irgendwen zu filmischer Berichterstattung bewogen hat, oft auch unter erhöhtem Druck, denn wenn da nichts ist, was alle anklicken können, dann klickt bald keiner mehr an. Nun will ich selbst zuweilen einen Film schauen, möglichst keinen von der langen Liste grandioser Filme, die ich schon gesehen habe, ich bin also nicht grundsätzlich ein Filmbrummel. Nein, gleich öffnet sich das Filmarchiv und da purzeln sie heraus, die wundersamen Welten, in denen Menschen sich vorfinden, und wie sie wahrgenommen werden von anderen. Die Menschen und ihre Geschichten, das finde ich faszinierend an bestimmten Filmen, eben wessen Geistes Kind ein Regisseur ist, wen er zu sich holt, um das zu vermitteln, was ihm wesentlich erscheint. Neulich waren wir an einem Sonntag in einem Restaurant, das berühmt ist für seine Pommes-Qualität. Die Bedienung erzählte uns, dass gleich die ‚Tatort‘-Gemeinde eintreffen würde und alle Tische wären reserviert, und wenn der Film anfängt, darf man nicht mehr sprechen. Krimis sind beliebt, man will wissen, wer und warum jemand was gemacht hat, was man zum Glück nicht selber machen oder lösen muss, und herumknobeln ist ein aktiver Vorgang. Und neulich habe ich dann bei Arte nach einigem Hin und Her einen Film wegen seines Titels gewählt. ‚Die Menschlichkeit‘, hieß er, (oder ‚Humanität‘) und ich wurde von der Herangehensweise des Filmemachers in einen Bann gezogen, den ich lange nicht mehr kannte. Der Hauptdarsteller stand oft sehr lange herum und faszinierte durch seine glaubwürdige Schweigsamkeit. Er war traumatisiert von menschlichen Entgrenzungen, die er beruflich bezeugen musste. Manchmal fiel er vor lauter Erschöpfung des Erlebten einem anderen Menschen in die Arme. Und als klar wurde, dass der grausame Mord an einem Mädchen, der ihn traumatisiert hatte, von dem Mann begangen worden war, mit dem er viel seiner Freizeit verbrachte, da umarmte er ihn und küsste ihn, bevor er ihn auf immer zurücklassen musste. Aus anderen Gründen kann ich den Film nicht empfehlen, so viel Unerträgliches kam darin vor. In Cannes gewann der Film den Großen Preis der Jury. Der völlig unbekannte Hauptdarsteller gewann den Darstellerspreis. Er machte wegen hoher Sensibilität nie wieder einen anderen Film, angeblich konnte er den Rummel nicht aushalten. Nun habe ich mich selbst in eine Bredoulle geredet und will noch einmal darüber nachdenken, was ich selbst unter „Humanität“ verstehe. Das kann nicht schaden.
*“lLhumanité“ von Bruno Dumont