Was, wenn…


Omikron the Invader
Es gehört nicht zu meinen Lieblingstätigkeiten, mir schauerliche Szenarien auszudenken und kann auch nicht viel Bewunderung für diese Konstrukte auf Bühnen oder in Filmen in mir finden. Natürlich gab es (oder gibt es sie noch) diese herrlichen Science Fiction Bücher, wo man mal so richtig rausgepustet wird aus begrenztem Denken, das mit diesen Gewohnheitsstrukturen zu tun hat, in die wir uns gerne betten. Deswegen fand ich es auch immer faszinierend, wie selbstverständlich der indische Zeitenkreislauf beinhaltet, dass da mal eine Zeit kommt, die an Finsternis und Ignoranz nicht mehr zu überbieten ist, daher weiß man auch, wenn sie kommt, dass es sie ist (!?). So kann man das Wort „Kali Yuga“ (die finstere oder todbringende Zeit) ohne weiteres überall erwähnen und darauf vertrauen, dass die typische Geste beim Gegenüber eintritt, ein lockeres Hin-und Hergewackle mit dem Kopf, das man je nach eigenem Geschmack als ein Ja oder ein Nein deuten kann. Auch in den heiligen Upanishaden findet man das  „neti neti“, weder dies, noch das, und man denkt auch von der Instanz an höchster Stelle, dass er oder sie es vielleicht weiß, aber vielleicht auch nicht, eine gesunde Einstellung. Aber wir im Westen können ja das Denken gar nicht mehr abschalten, sondern nur entscheiden, was wir damit machen. Von wegen „Leerheit“ und so. Ich bin auch nicht wirklich medienfeindlich eingestellt, da ich gar nicht so nahe rankomme an die Aufbauschungen vermuteter Fakten, die möglichst viele BürgerInnen in fatale Zustände katapultieren soll, damit zum Beispiel die Lebensangst nicht versiegt, von der viele Branchen abhängig sind. Aber so für sich selbst kann man durchaus mal kurz die Leine loslassen und in eine bestimmte Richtung denken und schauen, wo man hingelangt. Das Thema ist meist schon vorprogrammiert und kann als Startbahn dienen. So haben wir also vernommen, dass „Omikron“ aus Afrika kommt. Die UN-Gesundheitsbehörde hat in der Viren-Benennung zwei Buchstaben übersprungen, wofür ich persönlich sehr dankbar bin, denn einer davon ist „Nu“ und ist eines meiner Lieblingsworte als flüchtigster Zeitmoment und kommt im Titel meines Gedichtbandes „Aufenthalt im Nu“ vor. Man wählte es aber nicht, weil es klingt wie „neu“ auf Englisch. Xi, der weitere Ausgelassene, ist ein Name, vor allem aber der vom chinesischen Staatschef. Also, wie komme ich jetzt so schnell wie möglich in ein Schauermärchen. Ganz einfach. Ich stelle mir vor, dass nach Omikron noch derart viele Varianten auftauchen, dass das griechische Alphabet an seine Grenzen stößt oder gar weit über sie hinaus. Weder kommt man mit den Impfstoffen hinterher, noch macht das, wofür man sie erfunden hat, einen Sinn. Außerdem hat niemand mehr Lust, sich weitere Fremdsubstanzen in das eigene System zu jagen. Man erkennt ohne großen intellektuellen Aufwand, dass der Weltgeist aus den Fugen geraten ist. Ich merke selber, dass der Nu mich einholt, denn das ist ja alles schon da und es kommt eigentlich nur darauf an, wie wir alle mit den immer nackter werdenden Tatsachen umgehen. Gestern bei einem Tierarztbesuch war ich doch erstaunt, dass niemand meinen Impfpass sehen wollte, und nirgendwo waren MaskenträgerInnen zu sichten, das war angenehm. Nun fiel mir leider nichts schauerlich Genuges ein, und schließlich habe ich meinen Omikron schon gepinselt, das muss für heute genügen.

Ankunft

„Advent“, so höre ich, heißt „Ankunft“. Erstaunlich, was man alles nicht weiß. Ankunft gefällt mir als Wort wesentlich besser, auch weil es nicht an der Ankunft des kleinen Buben klebt, der angeblich so besonders war, dass ihm Könige hinterher reisten. Leider konnte später im zugespitzten Drama keiner mehr was für ihn tun, und die Geschichtenschreiber mussten eine Menge Deutungen erfinden, um sein schändliches Leid dort auf der Gasse der Glotzer zu rechtfertigen. Aber zurück zum Ankommen. Heute kommt hier bei uns zum Beispiel der erste Schnee an. Man möchte das gewohnheitsgemäß schön finden, aber es klappt nicht ganz, weil eben der Kindheitszauber, sofern vorhanden, auch nicht mehr reicht für ein strahlendes Glitzern in einem Auge, das noch Zwerge und Engel gesehen hat ohne Gegenbeweise. Ab und zu kommt ein Paket an und enthüllt zum Beispiel ein Werk, an dem man lange gearbeitet und mit begabten Freunden in eine offizielle Form gebracht hat. Auch die wöchentliche Zeitschrift kommt regelmäßig an und erinnert einen daran, wie verdammt schnell so eine Woche vergeht, dabei hat man vielleicht nur den Artikel von Martenstein gelesen, obwohl die Titelbildfrage einen brennend zu interessieren schien, da es um die Frage ging, ob es auch ohne Religion geht, und ob die Welt dann unmenschlicher oder aber freier wäre, eine gute und mutige Frage. Da habe ich doch, dachte ich, neulich schon einen Artikel darüber in meiner Sammlung gefunden. Ich schaue nach, und oho, der Artikel ist  aus dem Jahre 2013 und heißt „Glück ohne Gott“, in dem der amerikanische Philosoph Sam Harris für eine weltliche Moral  plädiert und meint, dass wir Menschen für unser Wohlergehen keine Religion brauchen. Aber schön ist wiederum gar nicht, wenn man Gläubigen wegen der Braunkohleausbeutung ihre geliebten Kirchenräume wegradiert von der Bildfläche. Es sind ja nicht die stillen Räume inmitten des weltlichen Getriebes, die stören, sondern was dort alles angestellt wird, weil wir Menschen uns miteinander so schwer tun. Darüber kann man immer mal wieder in den verfügbaren Zwischenräumen nachdenken, obwohl man überall in den Innen-und Außenbereichen damit konfrontiert ist. Und seit die Mutanten bei uns angekommen sind, schwindet vermutlich zunehmend der Glaube an eine bewusste Kraft, die all unsere Geschicke lenkt, obwohl auch das Sprüchlein „Der Mensch denkt und Gott lenkt“ darauf hinweist, dass vom Menschen eigenständiges Denken erwartet wird. Wahrscheinlich brauchen viele Menschen beide, den Schöpfer und den Täter, die von der eigenen Verantwortung für das Angetane ablenken. Deswegen gilt es gleichermaßen in uralten wie in taufrischen Wissenskreisen als vernünftig und angemessen, bei sich selbst anzukommen. Und entspricht es nicht auch einer globalen Reife des Menschseins, die eigene Ankunft gründlich zu kontemplieren, auch wenn das Reifezeugnis oft ziemlich mangelhaft aussieht. So kann man (z.B.) die Ankunft von Omikron nicht begrüßen, aber es sagt doch etwas aus über den Zustand, in dem wir uns gemeinsam befinden, und der geradezu strotzt vor Missbrauch und Gleichgültigkeit, selbst wenn man das Glück hat, in Menschen, denen man begegnet oder mit denen man lebt, sehr wunderbare Eigenschaften vorzufinden. „Endlich angekommen im Kreis der Liebenden“, hörte man schon Rumi seufzen, als er endlich hineintaumelte in dieses unverhoffte Glück. Denn wäre er noch an einem Strohhalm gehangen, hätte der Ort sich ihm nicht erschließen können.

möchten

In einer schönen Holzkiste, in die ich nach einigen Jahren während einer der Lockdowns mal hineinschauen wollte und nicht dazu kam, wühlte ich nun erneut herum in der schwachen Hoffnung, etwas, an was ich mich überhaupt nicht erinnere, einfach in die Papiertonne werfen zu können, ja, warum überhaupt nochmal hinschauen!? Wenn einem durch Erdrutsch oder Wassermassen alles entrissen wird, ist das auch keine Lösung, denn nur der freie Wille, sofern man über dieses Phänomen nachgedacht hat, bringt hier das gewünschte Resultat. Und natürlich waren die Blätter hochinteressant, vor allem in der Wahrnehmung einer völlig anderen Zeit und anderen Menschen, die dort vor wenigen Jahren zur Sprache kamen und ihren Weltblick beschrieben. Hochbegabte Artikelschreiber, die sich in allen möglichen Themen einnisteten und recherchierten, sodass man sich sofort wieder bereichert fühlt(e) von dem, was man ja immerhin schon damals selbst ausgewählt hat und zur Seite gelegt. Artikel über den Tod von Mahatma Gandhi waren ebenso vorhanden wie die seitenweisen und von tiefer Trauer durchzogenen Berichte über den plötzlichen Tod von Frank Schirrmacher, über den heute noch gerne gestaunt werden darf, denn er war ein rundum ergreifender Mensch, der sein persönliches Geheimnis als die Liebe zu seiner Frau und seinen Kindern verriet, oft ein größeres Geheimnis, als man zu denken pflegt. Die ganze Kiste war also voll mit mir entsprechender Gedankenpflege, und es kostete mich alle Mühe, wenigstens ein Häuflein zur Seite zu legen mit Themen, die nun wirklich nicht mehr so aktuell schienen oder scheinen. Doch was nützt es, wenn der Packen dann um die Hälfte kleiner geworden ist und nun noch einmal unter Beobachtung kommen muss. Oder eine einen eiskalt überfallende Erkenntnis könnte klarmachen, dass alles Artikelte in letzter Konsequenz relativ ist, und man zugeben muss, dass man sich selten an einen einzigen Satz erinnern kann, so unvergesslich sie einem auch vorkommen mögen. Ich bin kein Gandhi Fan, aber fand es doch berührend, als er meinte, dass er in dieser Welt, so, wie sie sich entwickelte mit all den Feindschaften um ihn herum, die er nicht ändern konnte, er also meinte, in so einer Welt nicht mehr leben zu wollen. Na gut, das kommt also mal in die Kiste unter meinem Schreibtisch, in der alle indischen Artikel lagern, für die ich die Kraft noch nicht habe, ja was für eine Kraft denn. Eben so ein gelungener Tabula-Rasa-Anfall, aus dem Abgrund aller Weisheit über die Vergänglichkeit vor allem des eigenen Seins geboren, aber na gut.  Man könnte neue Ordnungen anlegen und sich selbst überraschen, indem man lange verborgene Dinge irgendwo offen hinlegt und sie sogar anderen zeigt, deren Desinteresse sich notgedrungen zeigen müsste, denn sie haben eigene Kisten und Ecken des Verborgenen, die sich von selbst nicht leeren. In einem meiner auch noch sorgfältig beschrifteten Häufchen (Philosophie – Psychologie -Atombombe -etc.) fand ich auch diese Collage oben, deren Text mich immerhin etwas erheitern konnte: „Ich möchte massenhaft sensible, phantasievolle und unverklemmte Menschen kennenlernen….“Na bitte!

more „möchten“

Variante

Echt jetzt!? Ein neues Gespenst im Virenmäntelchen mit ungewöhnlich vielen Varianten taucht auf aus Afrika. Das hat man mir gleich aus drei Ländern berichtet, so, als könnte ich nicht selbst lesen, beziehungsweise, als hätte ich eine Chance, dieser Nachricht zu entkommen, und da muss ich Herrn Spahn mal recht geben, denn das ist das letzte, was uns jetzt noch fehlt. Wie einerseits schleichend und dann doch schnell es ging, dass wir, ich meine Deutschland, führend wurden in Ansteckungen. Wir wissen jetzt alle, dass nicht nur hinter 100.000 Covidtoten unzählbare Schicksale liegen, sondern die unglaublichen Schicksale wälzen sich an geradezu jeder Ecke der Welt durch Säle und Einrichtungen und Villen und Hütten. Oft schlackern einem die Ohren, bis man selbst beim eigenen Schicksal herumschlackert und merkt, dass einem das Leben immens viel bedeutet, und wie leicht es auf einmal kippen kann und nichts ist mehr wie vorher. Gestern habe ich mit einer jungen Frau telephoniert, die sich gerade in der geschlossenen Abteilung einer Einrichtung befindet, weil sie zum dritten Male versucht hat, sich das Leben zu nehmen, zweimal durch Aufschneiden der Pulsadern, dieses Mal mit Schlaftabletten, versenkt in Alkohol. Als sie merkte, dass es gelingt mit dem Sterben, hat sie selbst die Ambulanz gerufen, was man als eine positive Nachricht werten kann. Sie ist erst um zwanzig herum, und damit will sie nun aufhören. Glücklich schien sie mir zu sein, aufgehoben in einer liebevollen Beziehung, als sie bei uns vor einiger Zeit zu Besuch war. Wann kippen die Dinge, wann muss man höchste Aufmerksamkeit anwenden, damit einem das bisher Gehütete nicht aus den Fingern rinnt. Und so kann ich mir zumindest heute mehr als vorher vorstellen, wie betäubend es wäre für so ziemlich alle Menschen, wenn sich das potentiell todbringende Szenario, in dem wir gerade unterwegs sind, als eine Endlosschleife enthüllen würde, in deren Ablauf sich nur noch Maskierte begegnen. Auf so viel Science Fiction ist man dann doch nicht vorbereitet, weil man den Film auf einmal nicht mehr abschalten kann. Als ich heute früh durch den kalten Novembernebelniesel kutschierte, um der Katze mit der (gerade wieder) lahmen Pfote was Leckeres zu bringen, war ich auch nicht so gut drauf. Muss  auch nicht zwanghaft erzeugt werden, die Entnebelung des Geistes unter dem Druck einiger Fakten. Manchmal lohnt es auch nicht, auf den Auftritt des Humors zu warten, obwohl ich ihn als zuverlässig kenne, kein Zweifel. Aber wo steckt er nun wieder und meldet sich nicht, hat wohl den Schlüssel zum Zugang gepachtet, da will ich nicht weiter stören und wünsche allerseits angenehme Belichtung des Vorhandenen.

sieh da:

ES WAR EINMAL EIN NUSSKNACKER,
DER LEBTE IN EINEM BAUM.
UND ALS DIE NUSS DEN KOPF
ERREICHTE, SIEH DA:
DA WAR’S EIN LUFTRAUM

DIE LIPPEN SANGEN ELLENLANG
ES WAR WIE IM LIBELLENDRANG
DIE SÜCHTIGEN ERSCHRAKEN.
ES SCHLUG DIE ZEIT AM ACHSENPUNKT,
DA ENDETEN DIE FRAGEN.

DIE ELEMENTE FROHGESTIMMT
IM BÜRDELOSEN GLÜCK
IN DIE ABSTRAKTE EINGERÜCKT.
DAS OPFER UND DER OPFERNDE
EIN LÜCKENLOSES STÜCK.

ZEIT ÜBERQUERT DEN WIDERSTAND.
AM TREFFPUNKT FINDEN TREFFEN STATT.
DER LANGE TAG FÄNGT AN.

V(Z)erbrechen


Betroffene
Das Bild stammt von der Titelseite eines Lokalblattes, das neben anderen Blättern regelmäßig im Briefkasten zu finden ist. Schon streckte sich eine Wegwerfgeste dem Papier entgegen, als das Bild meinen Blick einfing. Ich hätte da auch irgendwo sein können, denn es ist noch nicht lange her, dass viele Photos von Schulen und Kindergärten in der ganzen Welt so ähnlich aussahen.Den tiefernsten Ausdruck der Kindergesichter kann man auch mit der Neuheit des Erlebens verbinden, oder dass man durch eine Methode angeschaut und wahrgenommen wird. Hier ging’s allerdings  um einen Zeitraum zwischen den 1950er und 1990er Jahren, als man Kinder zwischen zwei und 10 Jahren in „Erholung“ schickte und die dann in den Heimen vielfach missbraucht und gedemütigt und geschlagen wurden. Ich hatte noch nie davon gehört, aber was hört man schon von den grenzenlosen Untaten, die sich hinter normal wirkenden Fassaden abspielen. Das Wenige, das man tatsächlich hört, kann einem zuweilen die Freude am Menschsein so vergällen, dass man sich hüten muss, nicht in das erstarrte Schauen zu verfallen, in dem das Verstehenwollen sich hilflos ergibt und aufgibt für einen  Moment des Durchatmens, damit man weitermachen kann mit dem, was man jeweils für angemessen hält. So gab es also zwölf Millionen von diesen verschickten und den Erwachsenen ausgehändigten und ausgelieferten Kindern, und die meisten von ihnen dürften noch leben und werden nun aufgerufen, sich zu melden. Seit vielen Jahren sind diese Betroffenen als Erwachsene unterwegs, denen man Leid angetan hat, und wie oft begegnet man ihnen und weiß nichts davon. Nur, dass Kinder, denen es nicht gut ging oder geht, sehr schnell zu Erwachsenen werden, denen es nicht gut gehen kann, weil Verbrechen an ihnen verübt werden, die keine Ahndung erfahren. Das Banale am Bösen fängt schon damit an, dass wir uns nicht vorstellen können oder wollen, an Ungutem beteiligt zu sein, was sich wiederum schwer vermeiden lässt. Vermeide ich aber grundsätzlich, mich mit den dunklen und mächtigen Kräften zu beschäftigen und zu lernen, sie zu kanalisieren, kann auch das sogenannte Gute nicht wirklich durchdringen, beziehungsweise die grundsätzliche Ausrichtung der wohlmeinenden Kräfte nicht wirklich kanalisiert und genutzt werden für das, was meinem eigenen Geist entspricht. Und so gibt es doch ziemlich oft in uns auf einmal den erschreckten und verstörten Blick auf das an irgendeinem Punkt gekippte menschliche Verhalten, das wahrlich bestürzend vielen Geistern ermöglicht, das Unsägliche anzurichten. Auch die Nachricht, es hätte in einem einzigen Jahr in Deutschland 100.000 Messerangriffe gegeben, vor allem innerhalb der Familien mit wegen Corona ansteigender Tendenz, kann einen erschaudern lassen. Sie leben überall, diese Kinder. Sie leben in den Flüchtlingslagern und in den Häusern, und überall sind sie der Willkür Erwachsener ausgeliefert. Denn selten genug weiß man, wer die Missbrauchenden sind und von wem sie, wie in den Religionsverbänden, geschützt werden. Die Täter(Innen?)!, wohlgemerkt, nicht die Kinder. Das Menschsein, so, wie wir es heute erfassen können, ist eine recht bescheidene Angelegenheit geworden. Mit dem Drehen des Rades nach der Seite, die keinerlei Können verlangt, sondern nur eine willentlich zugelassene Entgleisung, verliert der Mensch eine Richtung, in der zumindest eine mögliche Haltung das Menschliche eher fördern als vernichten lernt. Und manchmal endet beides gleichzeitig, das Schweigen und das Wort.

günstig

Neulich suchte ich eine im Umkreis sehr geschätzte Homöopathin auf, die zum Bedauern all ihrer Patienten und Patientinnen am Ende des Jahres Schluss macht mit ihrer Praxis. Es sind genug Gründe für sie zusammengekommen, um diesen Schritt zu gehen, und nun wird sie bald ihre Praxis in ein Atelier umbauen und dort ihren anderen Fähigkeiten nachgehen. Auch auf sie und ihre Entscheidung trifft der schöne Satz (von Welzer?) zu, dass Aufhören das Erreichte sichert und das Weitermachen es bagatellisiert. Zum freiwilligen Aufhören von etwas braucht es im günstigen Fall klare Verhältnisse, und hier drücke ich gerne noch einmal mein tiefes Mitgefühl aus für all diejenigen, die sich jetzt in der rauschenden Pandemie wieder unerträglichen finanziellen Miseren gegenübersehen, die kaum mehr zu lösen sind. Der Ozean des Unlösbaren ist nicht nur wild und unüberschaubar geworden, sondern mit oder ohne Willen üben wir die neuen Schwimmbewegungen in diesen Wellen. Und egal, wie gut wir sind im Navigieren, so bleiben wir doch nicht unbehelligt. In ihrem Alter, meinte die Ärztin, ist die Situation doch nicht mehr so bedeutsam; das sehe ich etwas anders. Natürlich ist es erfreulicher, sich mit der Sahne des Alterns auf dem biologischen Kuchen zu beschäftigen als mit der Klimawandelangst, ob ich in ein paar Jahren noch werde atmen oder mich sich mehrenden Fluten und Dürren werde erwehren können. Oder ob ich in all den Labyrinthen der Lockdowns noch auf die erträumte Dualseele würde treffen können, die da draußen oft vermutet wird. Und mit Recht ist der zerstörte und ausgebeutete Planet das vorherrschende Thema für Jugendliche, obwohl  ich auch noch ein Stück Astronautenüberlebenspaste im Schrank liegen habe, das war nach Tschernobyl, als wir das schleichende Gift durch die Wände dringen sahen, das dann doch nicht zu uns kam. Zweifellos weiß man auch vom Menschen, dass er oder sie gerade in Notzeiten zu Höchstleistungen fähig ist, und so kann man, wenn auch leise und in den eigenen Wänden, davon ausgehen, dass es schöpferisch für die Menschheit gerade eine sehr kreative Zeit ist, auch wenn der freie Gedanke sich verständlicherweise leichter formulieren lässt als der unfreiwillige Aufenthalt in einer Zwangslage. Ich persönlich erfahre gerade den Genuss, dass mir so ziemlich alle Meinungen (vor allem über Covid), inklusive meiner eigenen, derart auf den Wecker gehen, dass ich auf einmal tatsächlich eine Luke in der Dichte der Meinungswelten sehe, durch die von mir aus sämtliche Meinungen verschwinden können, denen ich überdrüssig bin. Auch radikale Einstellungen können zuweilen behilflich sein in der Beförderung des Gewünschten. Ein „Tabula rasa“ in der Meinungsbastelwelt kommt mir verlockend vor, allerdings auch schwer genug, um mich zu begeistern. Der Welt den Rücken kehren ist ja nur eine der Optionen. Hat man gründlich gekehrt, kann man sich bedenkenlos wieder umdrehen und neue Energien einsetzen und vorfinden, die dem stets Vorhandenen und seiner grenzenlosen Würde gerecht werden. Auf einem gut umsorgten inneren und äußeren Stück Land lässt sich gut sitzen und das Daseiende bestaunen.

positionieren

Positionieren, oder besser „sich“ positionieren heißt für mich weder, dass ich nur e i n e Stellungnahme zur Verfügung habe (oder haben muss), noch, dass ich ein Gefäß voller Meinungen bin, die sich jederzeit über alles Daseiende ausbreiten können, das meiner ganz persönlichen Weltsicht zur Verfügung steht. Wie wir von unseren herumströmenden Gedanken wissen, kann das mitunter ziemlich eng werden. So habe ich mich zur Abwechslung auch mal wieder kurz aufgeregt darüber, dass ich unter Umständen, sollte ich mich zum Boostern entscheiden, nun damit rechnen müsste, einen Impfstoff zu akzeptieren, für den ich mich gar nicht entschieden habe. Man kann auch die persönliche Freiheitswahrnehmung so lange und so weit in alle möglichen Richtungen dehnen, bis man von herben Erwachungsgongschlägen in erfrischte Realitätszustände hineingeboostert wird. Alle großen Freiheitsorgien erlebten solche Einbußen. Zum Beispiel „Make love, not war“ war solch ein radikaler Gedanke, gebremst durch naives Liegen in der Hängematte des Zeitgeistes. Und im Zuge dieses radikalen Soges konnte man sich durchaus wohlfühlen im Empfinden, man wäre bei der freizügigen erotischen Herumwanderei richtig gut aufgehoben. Alle die, die dann, aus welchen Gründen auch immer, Eltern wurden, hatten es nicht mehr so leicht, denn es stellte sich bald heraus, dass z.B. die Kinder von Meditierenden vor allem das Meditieren für sich selbst nicht wollten, wie es auch Hesse in „Siddharta“ sehr schön beschrieben hat. Wie er nach all seinen eigenen Vorstellungen einer „besseren“ Welt und seinen extremen Anstrengungen dafür akzeptieren musste, wie anders alles war in der Wirklichkeit, die sich wie ein Teppich vor ihm ausbreitete. Und wir meist nur einen einzigen Faden und nicht alle Fäden in der Hand haben. Da kommt auf einmal so ein unsichtbarer, aber deutlich ausgedrückter Virenfremdling ins Spiel und schmeißt ohne Rücksicht auf Verluste den Würfelbecher aufs Schachbrett. Wo er noch nie eine Bedeutung hatte, dafür aber alle Figuren durcheinander bringt. Was hilft es dem König, wenn er empört ist, oder der Königin, wenn sie auf ihren Rechten beharrt usw. Am besten geht’s noch den Bauern, weil sie kleiner und standhafter sind. Aber auch das ist nicht mehr sicher. Gar nichts mehr ist sicher, alles ungewiss, keine Garantie mehr. Woran und wodurch man sich selbst schult, bleibt einem überlassen. Gut, wenn man nach getaner Arbeit noch einen erweiterten Raum aufsuchen kann, in dem diese Schulung Resonanz findet. Es geht doch um die Qualität des Menschseins, die man bestimmen möchte oder kann, oder geht es nicht darum? Wir können froh sein, dass es gerade keinen Weltkrieg gibt, wir Eingeweihte des Schlaraffenlandes. Es ist nur ein Virus, vielleicht nur herausgeboren aus unaufmerksamem Verhalten, menschlichem Verhalten eben, das sich selbst als das zum grenzenlosen Haben berechtigte definiert hat. Und wer soll einem ein Genug! vorspielen, bevor man es selbst verstanden hat, dass es nicht nur Grenzen im Haben gibt, sondern in direkter Konsequenz davon auch Grenzen des Seins. Etwas, was immer da ist, kann nie verloren gehen. Bei dem Versuch, es zu erreichen, spürt man, was im Wege steht, oder besser: wer. Der freien Sicht, dem unermüdlich Ungewissen, der Quelle also des Seienden.

 

René Char

Rene Char - Poems by the Famous Poet - All Poetry

Schwer ist das Wasser an einem Quellentage.
Der goldrote Splitter hebt sich über sein träges Geäst auf
deine Stirn, die gefestigte Dimension.
Und ich, der dir gleicht,
mit dem blühenden Stroh am Randes des Himmels, der laut
deinen Namen ruft,
Ich zerschlage die Spuren,
Getroffen, vor Helle heil.
Gürtel aus Dampf, schmiegsame Vielzahl, Teiler der Furcht,
rührt an meine Wiedergeburt.
Wände meines Dauerns, ich verzichte auf den Beistand
meiner läßlichen Weitherzigkeit;
Vor die Ausflucht, sicher zu wohnen, setz ich Gehölz, ich
fessle die Erstlinge jedes künftigen Lebens,
Von heimatloser Einsamkeit durchglüht,
Beschwör ich die Lust, auf dem Schatten ihrer Nähe zu
schwimmen.

schweifend


Schönheit des Gruseligen
Man kann ja fast schon dankbar sein, wenn im tosenden und tobenden Coronawirbelsturm noch andere Themen in einem selbst auftauchen, obwohl auch sie sich als flüchtige Blinklichter erweisen können, durch die ich immerhin einige neue Einblicke in mein Wesen erhalten kann. So schweift zum Beispiel mein Auge über ein kleines Marmorstück, auf dem ich nur schwarze und rote Farbe zum Pinseln verteile. Auf einmal sehe ich ein Gesicht und verstärke es mit Farbtupfern. Etwas in mir schaudert, fast kann ich es genussvolles Schaudern nennen. Denn das Entstandene berührt mich, und vielleicht ist es wahr, dass alles einen Berührende auch etwas Schönes hat, ob es nun aus der dunklen oder der hellen Seite tritt. Auch das Schreckliche hat seine Vielfalt, und wer war nicht schon mal erstaunt, als Rilke alle Engel als schrecklich bezeichnete. Oder  kann kaum etwas so tief die innere Bereitschaft zur Weltbeteiligung aufwühlen, wenn man merkt, wie erschreckt und beschämt man sich innerlich immer wieder von den Wäldern im Grenzgebiet Belarus/Polen abwendet, wo Menschen in bitterer Kälte auf das vollkommen Hoffnungslose warten. Und wir, die wir dort nicht frieren und hoffen, sind trotzdem auf andere Art gefährdet durch die Versklavung des Zuschauens, das wir uns nicht mehr ersparen können. Wir leben in einer Zeit, in der sehr viele neue Entscheidungen getroffen werden müssen, die keine/r vorher kannte. Oder waren sie doch schon bekannt, müssen aber durch die aktuellen Notlagen neu bewertet werden. So kann ich mich stets aufs Neue wundern, wie sich täglich bei uns zur Zeit 60 000 Menschen an Covid anstecken können, aber sie können. Und auch wenn man auf die 80 Millionen BürgerInnen hinweist, so sind doch hunderttausende von Covidinfizierten auch kein Klacks. Es ist ja auch kein Klacks mehr, sondern ein  riesiges Dunkelfeld, so als wäre in der Matrix auf einmal die Beleuchtung ausgegangen und man würde zuhause sitzen mit der brennenden Kerze und richtig schön Zeit und Muße haben zum Nachdenken. Denn so ist es eben auch. Neue Künste sind gefragt, wenn die Lieferketten im Stau stehen und das neue Smartphone nicht rechtzeitig in den Händen landet, die es gewohnt sind, alles sofort zu erhalten, was sie begehren. Und von den Ideen, die man letztes Jahr hatte, als der ganze Zirkus sich zuspitzte, kann auch noch einiges umgesetzt werden. Schwerfällig bewegt sich der Gewohnheitswurm durch die Kästen und Kisten, die man zu leeren bereit war, denn man wusste, nie mehr würde man wirklich dort noch einmal hineinschauen, denn hatte man nicht schon das darin Vorhandene aufgenommen und sozusagen bereits hinter sich gelassen und dann gefangen genommen in diesen Behältern, die keinen Aufschluss mehr geben können über den lebendigen Verlauf, in dem man sich befindet. Anders vielleicht mit den Büchern, auch wenn man da bereits mal durchgegriffen hat und ein paar Kisten weggetragen. Liebevoll schweift der Blick über die aussagekräftigen Rücken, hinter denen sich jedenfalls Gelebtes verbirgt, mit dem man sich noch heute verbinden kann. Die Geister, die man zu den Lichtblicken zählen darf, die das eigene Denken versüßt und gestärkt haben. Und Freunde und Bücher und Papier und Stifte und Tasturen (zum Beispiel) haben sich in Notzeiten prächtig bewährt, das kann man nicht leugnen. Hat man aber Verbundenheit gefunden mit der Liebe, halten sich die Klagen nur noch im Sinne des Ausgleichs. Denn was soll man machen: Es ist, wie es ist.

einschätzen

Das Bild stammt von einer Spiegelung in meinem Fenster, und man kann darauf nichts erkennen. Man kann höchstens bemerken, dass man immer etwas erkennen möchte, und dann schafft man es auch. Bei einer Bildbeschreibung könnte man zum Beispiel eine Karawane erkennen, die sich langsam auf den Mund eines schläfrigen Mädchens zubewegt, aber es gibt ja auch für einen selbst  keinen Sehzwang. Das Herumrätseln, warum einem etwas gefällt oder zusagt, erweitert zumindest die Kenntnis von sich selbst, sofern man daran interessiert ist. Manchmal erinnere ich mich an einen dieser Sprüche, die sich in der Welt breit gemacht haben, ohne dass sie irgend jemand erklären kann, zum Beispiel dass wir (Menschen) nur einen sehr geringen Teil unserer Gehirnkapazität nutzen, und es ansonsten sehr viel Luft nach oben und unten und hinten und vorne gibt, aber was bedeutet das. Vor einiger Zeit fand ich es mal interessant, einige Personen spontan zu  fragen, zu wieviel Prozent sie denken, dass sie sich (schon) selbst sind, das war ziemlich verblüffend und sah für mich eher nach Unterschätzung aus als nach der erwarteten Überschätzung. Selbst wenn jemand 80 oder gar 90 Prozent des Sichselbstseins angeben würde, dann wäre das sehr schwer einzuschätzen, denn es gibt für das Selbstsein keinen Maßstab, an dem man sich  zurechtrangeln kann. Denn jede/r erfährt sich ja als sich selbst, und es kommt darauf an, was man aus sich herausholen kann und in welche Richtung sich diese Aktivität entwickelt. Eine meiner früheren Meditationslehrerinenn meinte einmal auf meine Frage, ob es sie nicht stören würde, dass so viele in der Meditationswelt herumhängen, ohne tieferes Interesse an der Praxis zu haben, dass es , sagte sie, immer nur um ein paar Wenige ginge, denen es gelingt, die Hindernisse auf dem Weg zu bewältigen, die durchaus einer epischen Heldenreise gleichen, pardon, einer epischen Heldinnenreise meinte ich natürlich. Denn das kommt ja noch dazu, dass wir uns letztendlich zwar Anregungen holen können, aber keinerlei Beispiele vor Augen haben für einen Weg, der überhaupt nur für Einzelne möglich ist. Es ist keineswegs ein Eliteprogramm, obwohl es zuweilen so gesehen wird, aber wer sollte wen abhalten von dem Wunsch, sich selbst kennen zu lernen. So hat man zum Beispiel für diesen Weg im Orient extra Räumlichkeiten eingerichtet, wo Sich-selbst-erkennen-wollende sich zusammenfinden, um das zu üben, was ziemlich viel Aufmerksamkeit und Stille und ganz bestimmte Bedingungen braucht, um überhaupt stattfinden zu können. Es ist ziemlich sinnlos, über die Resultate solcher Anstrengungen zu streiten, denn, wie ich gestern in einem Gespräch hörte, wird auch über den Dalai Lama gemunkelt, er hätte sich allerhand vorgegaukelt, wer will das angemessen beurteilen können. Ich hatte mir auch schon mal gewünscht, der Dalai Lama, den ich sehr schätze, würde diese supergroßen Hüte seiner Sekte mal irgendwann ablegen und heruntersteigen von den übermäßig großen Podien, um für einfache Geschöpfe den Gott zu spielen, ja muss denn das sein. Offensichtlich muss es, denn es ist. So muss man sich bei aller deutungsfreien Spiegelung als das Seiende betrachten, das gerade so ist, wie es ist. Und wenn diese brenzlige Sache in Bewegung bleiben kann, entsteht von selbst ein Luftzug, der sich als Atem entpuppen kann für weitere Möglichkeiten. Mal schauen.

meistern

 

 

Die Drohungen weltlicher Mächte und  ihr
Spiel zwischen Grauen und Maus dringen
auch in den Raum der Stille. Der Wille
erzeugt tief im Inneren Vertrauen in das
Bauwerk der eigenen Stimme. Schwermut
des Ewigen auf der unsterblichen Erde.
Und nun, schwereloser, immer noch Hiersein,
durch den Tunnel hindurch und wieder zu
Bewusstsein kommend auf einer Lande-Station.
Treppen in die Felder der großen Fülle, hohes
Zuschauertum. Alles auf einfache Weise
meistern,Teilnehmer am automatischen Tun.
Ruhe lernen und lehren. Wahrnehmung
leuchtender Angebote in der Karriere nach
oben über das Sehen des Ziels. Urstille der noch
nicht umgesetzten Idee, eingerahmt in das
präziseste Fühlen, das noch erträglich ist ohne
Leid. Beflügelte Einsamkeit ohne Menschengefallen.

behüten

Als ich gestern wieder einmal mit Raphael in einem unserer Abgrundstiefe nicht scheuenden Gespräche landete, stellte er eine der (Kinder-) Fragen, die uns allen bekannt sind, wer auch immer „uns“ hier ist. Und zwar fragte er, warum wir das nicht alles auch anders machen könnten, sodass weniger Grauenhaftes geschieht unter Menschen, ja warum bloß. Ohne große Umwege konnte ich leider nur an den Buddha denken, der nicht in den Tempeln herumtobte wie es von Jesus bekannt ist, sondern der so erschüttert war, als er mal herunterkam von seinen Palaststufen und außerhalb der Mauern sah, was da los war. Bis dahin hatte er in der Palastblase gut gelebt, aber das war nun für immer vorbei. Auch in diesem Gespräch fühlte ich mich genötigt, zu unseren eigenen, komplexen Blasenkonstrukten zurückzukehren, in denen wir alles nur Mögliche denken und wollen und wünschen können, aber wie sieht es mit der Umsetzung aus. Raphael selbst erwähnt gerne, dass er selbst schon das Menschenmögliche tue, und ich habe ihn schon länger in leisem, aber unbeschwertem Verdacht, dass er sich selbst eher wie ein Engel unter Menschen vorkommt. Das kann ja jedem mal passieren, vor allem in der kontemplativen oder meditativen Welt, wo ich einst auch von den Schwingen schrieb, mit denen wir jeden Morgen aus der Totenstille traten. Das kam allen Beteiligten damals sehr natürlich vor. Ich nenne mich zuweilen (vor allem im Westen) auch Eremitin und hätte zu gerne, dass alle Anwesenden sich als Hüter und Hüterinnen begreifen in den paar Jährchen, in denen sie hier herumwandern. Aber gleichzeitig bin ich mir sehr klar darüber bewusst, dass ich kein Sprachrohr einer Hütergemeinde bin, da es sie gar nicht gibt. In der Welt, oder soll ich „in den Welten“ sagen, die wir Menschen gemeinsam erschaffen haben, wird nicht gehütet, was da ist, sondern mehr wird gefordert zu haben. von dem, an was man gewohnt ist, und eben auch gewohnt ist, es als das „Normale “ zu bezeichnen. Bei den Einen ist es die warme Heizung, bei den Anderen die Burka. Man kann ja nicht vorschreiben, was den Anwesenden als normal erscheint, wie wir das im Pandemiekurs für alle noch einmal durchgeackert haben. So nicken die meisten von uns ab, dass es keine Impfpflicht geben soll wegen unserer eingebleuten Freiheit, die allerdings für vieles andere auch nicht wirklich genutzt wird, denn wir habe sie ja, zumindest in einem vorher nie dagewesenen Ausmaß. Von „wir“ also zu „uns“, dann zu „ich“. So ist Raphaels Frage einerseits vollkommen berechtigt, denn man muss tatsächlich einmal sehen, dass alles ganz anders sein könnte, als es ist, und dann wiederum ist der Gedanke sofort eine Sackgasse. Denn ich bin, wie Cioran so trefflich beklagte, hineingeworfen in dieses Daseinsrätsel, und jede/r hat nur den einen roten Faden in der Hand, mit dem er angekommen ist. Und ziemlich früh arbeite ich mit am Webstuhl und schaue mir das Gebilde an, dass durch mein Tun herauskommt. Ist es der Teppich, auf dem ich mich niederlassen möchte, und ist das Gewebte groß genug, dass auch Freunde und Gäste darauf Platz haben? So ein gewebter Banianbaum, unter dem das Hüten nicht schwerfällt, aber auch nicht das Behütetsein?

beteiligt


TeilnehmerIn des E:S:K: (Einsame-Spitze-Kongress)
In mir lebt immer noch eine Befürworterin der von Science Fiction geprägten Vorstellungswelten, aber die Leidenschaft musste sich gemäß der sich formierenden Realitäten eingrenzen wie die meisten Phantasiewelten, die der menschlichen Umsetzungskraft nicht entsprechen. Natürlich hält mich auch heutzutage niemand davon ab, mich bei so manchem Denken auf einem Surfboard zu bewegen, und ich sage: nichts wie raus in die freien, kosmischen Hallen und mal schauen, wie weit es geht mit meiner geistigen Dehnkraft, oder ob mich der gähnende All-Schlund nicht doch erschreckt, wenn kein Raumschiff zur Verfügung steht mit seinen luxuriösen Einzelzimmern und den großen, abgerundeten Fenstern, an denen man in der Freizeit herumstehen kann und das All-Geschehen belauschen. Man erkennt sofort, dass das alles in Wirklichkeit schon als Möglichkeit existiert. Natürlich, erst einmal innen. Auch habe ich bereits ein großes Fenster, das auf das Allgeschehen hinausgeht, bzw. es ist ja nicht das Fenster, das hinausgeht, sondern das mit geistiger Substanz erschaffene Bild, dazu ein Steuerrad, denn überall flutet’s und überall sind Wellen aller Art, durch die ich navigieren lerne, wer sonst.  So habe ich meinen eigenen Wortschatz und meinen Erfahrungsschatz, und muss mir nun zumuten, eine Wirklichkeit zu erkennen, mit der ich leben kann, und die bei der Zubereitung des Mittagsessens, allein oder mit Freunden, nicht so befremdlich wirkt, dass es den Freiraum begrenzt, in dem wir uns begegnen können. Gibt es denn einen Realitätsmaßstab, auf den wir uns einigen müssen? Wir müssen uns ja ständig unter Menschen auf irgend etwas einigen, da alle, denen wir begegnen, einzigartige Wesen sind, egal, wo sie sich kulturell einreihen und allzu gerne gesehen werden wie die Anderen, soweit eine Gesellschaft oder eine Religion das ermöglicht. Natürlich muss ich hier noch einmal an den alten Inder denken, der damals nach der ersten Mondbetrapsung meinte, er könne den ganzen Aufwand nicht verstehen, wo man doch bloß die Augen schließen muss und schwupps! ist man dort. Kann man denn, wenn man sich intensiv auf den Mond einlassen würde, dadurch erfahren, wie er oder wie es dort ist? Und wissen wir mehr von dem, was der Mond wirklich ist, seit ein paar Erdlinge dort herumgestiefelt sind und Staub und Steinsbrocken beim Rückflug im Gepäck hatten. Und jetzt diese albernen Milliardäre, die einen planetarischen Touristenrummel anbieten, um noch reicher zu werden, als sie schon sind. Sie stören doch eher das fragile Gleichgewicht des Planeten, so wie all der Müll, der sich angesammelt hat in der Atmosphäre: kann das gut gehen. Nein, es kann nicht gut gehen. Denn obwohl der Geist frei ist, so ist er doch auch die Substanz, für die wir, vor allem uns selbst gegenüber, Verantwortung tragen. Damit wir uns nicht am Ende verpassen, und kann man das: sich verpassen. Ich denke, dass beides immer aufs Neue gut ausgelotet werden muss, einerseits das gelingende Mittagessen, und andrerseits die Erforschung meiner geistigen Freiheit, die ich günstigerweise in Fähigkeiten verwandeln kann, die mich bei der Reise auf der Erde begleiten und mich unterstützen in meinen Unternehmungen. So kann ich erkennen, dass ich meine eigene Wirklichkeit zwar permanent konstruiere, doch dieses Konstrukt unterliegt gleichzeitig den Bedingungen, die in der Zeit, in der ich lebe, als Realität anerkannt werden. Wir wissen doch jetzt, dass der Planet mit all seinen unerschöpflichen Schönheiten ohne uns prima zurecht kommen würde, und vielleicht wird er das auch eines Tages. Inzwischen konstruieren wir gemeinsam das, was vor Augen liegt. Ich bin doch daran beteiligt. Oder etwa nicht?

12:05 pm

Klimagipfelkatastrophendilemma
Dieses Video wurde mir aus Indien von Shivanis Facebook account zugepielt, zu dem ich willentlich keinen Zugang habe, und so wurde es von Smartphone zu Smartphone übertragen und leidet darunter ein bisschen, wobei die Aussagekraft der Performance nicht zu leugnen ist. Einerseits war es schwer,  gegen die tagelangen Bemühungen in Glasgow eine Gleichgültigkeit zu generieren, andrerseits merke ich immer wieder, dass mich das Klimawunschwandelvokabular ziemlich nervt, ja warum. Ich denke, ich habe hier, ohne es genauer zu bemerken, einen Strohhalm losgelassen, oder besser hat der Strohhalm sich von mir losgelöst, weil ich gar keinen Halt bei ihm suchte, und für flüchtiges Haltgeben ist der Strohhalm ja berühmt. Da aber große, epische Erfahrungsstränge uns stets bemerkt oder unbemerkt begleiten, so hat dieser ganz gewisse Ermüdungsstrang vermutlich etwas damit zu tun, dass ich keine zwanzig Jahre oder gar weniger mehr bin, obwohl mein Mitgefühl auch ohne Kinder und Enkel aktiviert werden kann. Denn so langsam verstummen die hartnäckigen Behauptungen, es sei schon immer so gewesen wie jetzt, als wenn das überhaupt sein könnte. Nein, es ist eine an allen geistigen und körperlichen Abgründen taumelnde Welt, auf der eine Menge Menschen auf einmal einsam vor ihren Spiegeln stehen und sich fragen, wen sie da sehen, und was auf einmal aus den Plänen geworden ist, deren sich diese Doppelgängerfigur dort im Blickfeld so sicher war. Dass die Lebensgestaltung, um die man gerungen hat, auf einmal ins Wanken und Schwanken geraten kann, der Kaufdrang gedämpft, die potentiellen Weihnachtsgeschenke im Ladestau, alles sich verzögert und durch sich selbst beklemmt, und diese pure Freude an der Gewohnheit unterbrochen wird durch Unwiderrufliches, so ist es. Dann wiederum reicht auch ein BlaBlaBla nicht aus, denn was soll man tun als sich weiterhin bemühen, den eigenen Faden im Auge zu behalten und zu beachten, dass auch mit anderen schön Gewebtes zustande kommt. Es wäre ja auch wahnwitzig, zum Beispiel die auf dem Video gezeigten Herren für fähig zu halten, ihre persönlichen Interessen zum Wohle ihres Volkes zurückzustellen, so, als würden sie diesen Impuls überhaupt kennen. Man weiß doch selbst bei aller guten Absicht, wie schwer es ist, eine als notwendig erachtete Veränderung im eigenen System erst einmal zuzulassen und dann um Wege zu ringen, diese Erkenntnisse auch umzusetzen. Ein bisschen einschränken, das weiß jeder passionierte Raucher oder Trinker, tut’s ja auch nicht, nein, schulen muss man sich (wenn man will), etwas, was einem nicht guttut, ganz und gar zu lassen. Und wenn ich zum Beispiel an die vielen prasselnden Feuer denke, an denen ich in Indien gesessen bin, wer wollte so etwas missen. Bis heute gibt es zwar kleine Heizkörper, deren Verbrauch sich eh keiner der unzähligen Armen leisten kann, aber immer noch keine anderen Heizsysteme als Holz und Holzkohle. Da versteht man das Zögern von Narendra Modi , der seine Pappenheimer nicht nur kennt, sondern selbst der ausbeuterischste der Pappenheimer ist und sich noch durch jedes unerträgliche Ausmaß an Skandal durchgelächelt hat. So denke ich, dass die Not noch anwachsen wird, bis sie den Menschheitshals erreicht. Das kann dauern, und sicher werden auch die heutigen Enkel ihre Abenteuer erleben. Es ist ja erst fünf nach zwölf.

Humanität *

Ich weiß nicht, wann ich bemerkte, dass ich kaum mehr Filme sehe. Es muss mit Indien zu tun haben, als es dort noch keine Filme gab in den Häusern, in die ich hineinlief, um die Freunde zu treffen, die immer öfters in Serien vertieft waren und mich zum Leisesein shshshsh-ten, und ich keinerlei Interesse aufbringen konnte, einerseits die in grotesker Dramatik zugespitzten Epen der Götter oder die ebenfalls grotesk zugepitzten Dramen weltlicher Familientragödien zu betrachten, nicht viel anders als alberne Filmfamilientragödien hier, und wahrscheinlich gibt es sie überall, die vielen Darstellungen von dem, was wir Menschen gerne als lebendiges Leben sehen . Daher meinerseits die Gewohnheit beruhigender Nicht-Einschaltung von allem Möglichen, was man nicht sehen muss und will. Und soll das Hinschauen nur der Ablenkung dienen, kann man auf den hunderten von verfügbaren Kanälen sicher allerhand finden. Geschichten von Menschen, bei denen irgendwas passiert ist, was irgendwen zu filmischer Berichterstattung bewogen hat, oft auch unter erhöhtem Druck, denn wenn da nichts ist, was alle anklicken können, dann klickt bald keiner mehr an. Nun will ich selbst zuweilen einen Film schauen, möglichst keinen von der langen Liste grandioser Filme, die ich schon gesehen habe, ich bin also nicht grundsätzlich ein Filmbrummel. Nein, gleich öffnet sich das Filmarchiv und da purzeln sie heraus, die wundersamen Welten, in denen Menschen sich vorfinden, und wie sie wahrgenommen werden von anderen. Die Menschen und ihre Geschichten, das finde ich faszinierend an bestimmten Filmen, eben wessen Geistes Kind ein Regisseur ist, wen er zu sich holt, um das zu vermitteln, was ihm wesentlich erscheint. Neulich waren wir an einem Sonntag in einem Restaurant, das berühmt ist für seine Pommes-Qualität. Die Bedienung erzählte uns, dass gleich die ‚Tatort‘-Gemeinde eintreffen würde und alle Tische wären reserviert, und wenn der Film anfängt, darf man nicht mehr sprechen. Krimis sind beliebt, man will wissen, wer und warum jemand was gemacht hat, was man zum Glück nicht selber machen oder lösen muss, und herumknobeln ist ein aktiver Vorgang. Und neulich habe ich dann bei Arte nach einigem Hin und Her einen Film wegen seines Titels gewählt. ‚Die Menschlichkeit‘, hieß er, (oder ‚Humanität‘) und ich wurde von der Herangehensweise des Filmemachers in einen Bann gezogen, den ich lange nicht mehr kannte. Der Hauptdarsteller stand oft sehr lange herum und faszinierte durch seine glaubwürdige Schweigsamkeit. Er war traumatisiert von menschlichen Entgrenzungen, die er beruflich bezeugen musste. Manchmal fiel er vor lauter Erschöpfung des Erlebten einem anderen Menschen in die Arme. Und als klar wurde, dass der grausame Mord an einem Mädchen, der ihn traumatisiert hatte, von dem Mann begangen worden war, mit dem er viel seiner Freizeit verbrachte, da umarmte er ihn und küsste ihn, bevor er ihn auf immer zurücklassen musste. Aus anderen Gründen kann ich den Film nicht empfehlen, so viel Unerträgliches kam darin vor. In Cannes gewann der Film den Großen Preis der Jury. Der völlig unbekannte Hauptdarsteller gewann den Darstellerspreis. Er machte wegen hoher Sensibilität nie wieder einen anderen Film, angeblich konnte er den Rummel nicht aushalten. Nun habe ich mich selbst in eine Bredoulle geredet und will noch einmal darüber nachdenken, was ich selbst unter „Humanität“ verstehe. Das kann nicht schaden.

*“lLhumanité“ von Bruno Dumont

durchkommen


Lupe auf Auge
Das sind Zeiten, ja was sind denn das für Zeiten. Oder gibt es nur die eine, in der wir uns fortbewegen und uns angewöhnt haben, sie das Leben zu nennen, unser Leben natürlich, obwohl wir uns auch viel mit anderen beschäftigen, den Leben von toten und lebendigen Personen. Häufig kann es einem auch leichter vorkommen, in andere Leben hineinzuschauen über Filme und Bücher etcetera, als in unser eigenes, wo wir als Hauptpersonen jederzeit damit umgehen müssen, dass wir selbst es sind, die in dieser Haut stecken und schauen müssen, wie wir zurecht kommen. Auch auf einem der düstersten Niemandszonen  der Weltpsyche bringen Menschen noch die Kraft auf, Unterkünfte aus Zweigen zu bauen, denn keiner will sterben, und keiner will verhungern. Es hilft nichts, darüber etwas zu sagen, man will nur nicht gänzlich verstummen im Angesicht des Unerträglichen. Wir haben uns ja auch etwas daran gewöhnt, dass uns vieles verständlich vorkommt, so, als könnte man es durch Zuschauen erfassen und dabei belassen. Da hat zugegebenerweise das kleine Virus einiges geleistet in der Darbietung der Zusammenhänge. Auch da hapert’s. Man (ich) hat sich (habe mich) endlich durchgerungen, einen Arzttermin zu machen, aber die Ärztin ist bis auf weiteres krank. Zwei Freunde, beide heiße Impfgegner, melden sich aus der Quarantäne. „Wir sind gesund“, tönt es aus dem freigeschalteten Telefon, und zum Glück sage ich nichts, denn ich habe gar keine Worte. Wann muss ein Mensch auch andere bedenken, und wann nicht. Wir leben in Zeiten, wo die schnellen Antworten derart platt herumfliegen, dass man die Gelegenheit ergreifen kann zu schauen, was man überhaupt beantworten kann und möchte, und was nicht. Auf jeden Fall achte ich zur Zeit darauf, dass ich samstags um 11 Uhr zum Einkaufen losfahre, um zumindest einen Teil von Satire de luxe mitzubekommen, von denen man natürlich auch nicht erwarten darf, dass sie uneingeschränkte Sahne bieten. Aber ich empfand Lachen schon häufig als eine gut funktionierende Medizin. Was einem auch nicht mehr so häufig auffällt ist, dass wir in einem Land leben, wo man schon sehr, sehr viel sagen kann, ohne gefoltert zu werden. Man kann zum Beispiel sagen, dass man Friedrich Merz partout an keiner Spitze sehen möchte, und wenn wir genug sind, dann klappt das auch hoffentlich nicht. Ach so, ich bin ja gar nicht in einer Partei, der Himmel behüte. So muss ich mich wie gewohnt um meine eigene Latte kümmern, auf der wenig moralische Geheimzeichen angebracht sind, nur einige Hinweise auf das, was unbedingt zu unterlassen ist. Auch wenn es manchmal gut tut, sich am richtigen Ort über etwas Empörendes auszulassen, wohl wissend, wie wenig man meist bewerkstelligen kann an Hilfreichem. Dem Virus gelingt es , neue Schockwellen in die Matrix zu senden. Ungern vergeudet man die kostbare Zeit mit Staunen über krass steigende Inzidenzen. Und genau wie in Indien wollen Regierungen dieses Jahr die rituellen Massenversammlungen – oder vergnügungen nicht mehr total einschränken, damit die Illusion des konstruierten Normals  sich wieder stabilisieren kann. Und die Jecken wollen natürlich nicht verzichten müssen auf all das Herumgehen als ein/e  Andere/r, obwohl, hallo Leute, der Prinz Covid hat und deshalb die ganze Königsfamilie vermutlich in Quarantäne sitzt und vielleicht gerne einen anderen Prinzen gehabt hätte, der eben kein Covid bekommt. Aber weltliche Herrscher sind bekanntlich nicht allmächtig, und auch sonst hören wir wenig Überzeugendes über Allmacht. Eher über bescheidene Schritte. Wie man gut durchkommt durch die Zeit, in der wir leben.

Zustand

 

Liebe – ein einfacher Zustand –
einfach ein Zustand –
ein Aufstand. Kein Standpunkt.
Blickte buchlos auf alles hinaus.
Das scheinbar Weltbewegende
löste sich hin, so hin.
Sie wusste es nicht, kaum hielt
es sich fest an dem Halt, an dem
nicht gebundenen und nicht zu
bindenden Du, sei es nun du oder
der Schmerz oder Sterne. Liebe –
der Angriff des Herzens. Da war
nun alles jenseits des Sichtbaren
mächtig und schonungslos klar.
Wohl auch, weil alles, aber auch
alles jetzt wieder da war.
Vor allem die geheime Sprache
war da. Liebe, verlorene Sprache,
mein Du, ich habe dich wieder.

 

bemühen

Ein indischer Freund verteidigt und beschreibt gerne in unseren Streitgesprächen am Telefon seine Ansicht, dass alle Probleme Indiens nur gelöst werden können, wenn alle Zugang zu Bildung und Wohlstand haben. Dagegen lässt sich schwer argumentieren, ist es doch wahr, dass man mit Geld und Bildung alles Mögliche anfangen kann, nur machen sie per se keinen Menschen menschlicher, eröffnen allerdings größere Räume der Vorstellungskraft und der Handlungsinitiativen. Und klar konnten es tiefergreifende Erfahrungen in Indien für uns (verhältnismäßig) gebildete Westler sein, in ärmlichen Hütten an flackernden Feuern zu sitzen und mit der Familie den kostbaren, wohlschmeckenden Tee zu trinken. Oder das duftende Brot zu kosten mit dem herrlich gewürzten Gemüse. Auf der anderen Seite fallen mir dann etwa die Ingenieure ein, die bereit waren, ihre Tüftelfähigkeiten auf das Funktionieren von Gaskammern zu richten, um möglichst viele Menschen gleichzeitig erfolgreich zu vernichten. Auch das kann Bildung. Wir leben in Zeiten, die eher der Groteske gleichen als dem schicksalshaften Drama, für das man noch Mühe und Wertschätzung aufbringen möchte, weil die maßgebende Messlatte der Menschheitsgeschichte eine Vorbildfunktion darstellen kann. Diese Funktion besteht keineswegs aus einem Tugendkatalog, sondern man kann durchaus trauern um Schicksalsbetroffene, denen Furchtbares geschehen ist. Solange man die Not noch mitempfinden kann. Wenn man noch Zeit und Raum hat für das, was einen anspricht oder berührt. Was die Menschen und ihre Grundbedürfnisse betrifft, so kenne ich von langen Wanderungen in Indien, wenn es mir gelungen war, abends irgendwo in einem Tempel eine körperlange Fläche zugewiesen zu bekommen, wo ich endlich selige Ruhe hatte und mich mit dem eigenen Tuch bedecken konnte. Nirgendwo in der Welt habe ich so viele Menschen ihre Decke über den Kopf ziehen sehen, und ich selbst schätzte es als Privatsphäre. Vielleicht kommt es daher, dass ich immer denke, der größte Luxus ist es, eine wohltuende Ruhestätte zu haben mit der Anzahl von Kissen, die jede/r so braucht, und eine warme und eine leichte Decke, und das ganze Bezugsmaterial aus Leinen oder Baumwolle, jedenfalls schmiegsam, sodass man nicht nur gut und gerne einschläft, sondern auch gut und gerne aufsteht. Es klingt so banal und leicht zu erreichen, aber wie selten kommt es wirklich vor. Die Beziehungen müssen gut sein, das Essen gut und bekömmlich, die Arbeit ohne Versklavung. Ich habe vor allem in der Wüste häufig erlebt, dass die Reichen wesentlich ärmer dran waren als die Armen, die in ihrer Bereitschaft zu teilen oft wirkten wie Könige. Epikur lebte meist karg und gehaltvoll, und dann war er berüchtigt für exzessive Schlemmerei, das geht auch. Wenn man nun wieder einmal über die unvermeidbaren Medien in die entmenschlichten Zonen der Welt befördert wird wie das Niemandsland der tausenden von Flüchtlingen an der polnischen Grenze, für die keiner eine Lösung findet, so kann man sich die Nächte, die sie mit ihren Angehörigen oder alleine verbringen in der Kälte nicht vorstellen, und wer spielt hier mit welchem Ball um was. Wir vergessen oft, dass wir Betten und Decken haben und Menschen, die uns aushalten können, weil sie sich um uns und wir uns um sie bemühen. Wir haben die Mittel der Bemühung. Das Wesentliche scheint auch von Bildung und Geld nicht abzuhängen, egal, wie hilfreich sie sein können.

prompt

Prompt tauchte ich ein in die Vergangenheitsgewässer, in denen es oft grässlich und sprachlos zugeht, bis irgendwann jemand, zum Beispiel ich als Überlebende oder Noch-Lebende, entlangwandere an dem, was niemals, so sagt man doch, vergessen werden darf oder soll. Außer Menschen haben ja auch Dinge überlebt, kostbare Dinge, die zu Ritualen gehörten, die nur d i e kannten, aus deren Kultur sie stammten. Jetzt, unter Glas die Objekte erfassend, das Auge hin-und hergerissen zwischen Schauder und Schönheit, anerkennt man gerne  die Mühe, die in solchen Darbietungen liegt, ohne sich davon in den dunklen Sog ziehen zu lassen, der auch noch vorhanden ist und von dem man weiß, dass er aus einer unmenschlichen Auslöschung entstand, die einen freien Geist nicht mehr wirklich ermöglicht, wenn man sich diesen vorstellt wie die Vielschichtigkeit des Äthers an einem wolkenlosen Tag. Es ist hilfreich und notwendig zu wissen, zu was wir Menschen fähig sind, damit man auf der einen wie auf der anderen Seite nicht zu schädlichen Überschätzungen neigt und die vorhandenen Höhen austariert mit den entsprechenden Tiefen, Vielleicht heißt deshalb der Titel der Ausstellung, aus der diese von uns dort gemachten Photos „In die Weite“, und der bestrebt ist, 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland in eine Form der Erinnerung zu bringen, die man je nach Augenmaß von dem Dargebotenen ablesen kann. Ich war geradezu beeindruckt von der Intensität, mit der die Herumwandernden in das kleine, sehr handliche Büchlein schauten, das man mit der Eintrittskarte bekam, um Gesehenes besser zu verstehen. Die Szene wirkte ein bisschen wie am Ende von „Fahrenheit 451“, und gerne hätte ich von diesen BesucherInnen Bilder gemacht, wenn das so einfach wäre und ich mein Smartphone nicht zu Hause gelassen hätte, sodass ich um eins bitten musste, wenn mich etwas anrührte. Mich rührte die aschene Dunkelheit des Erhaltenen an, von dem man absolut nichts weiß außer dem, was hier unter Glas liegt. Vertraut kommt es mir vor, denn ich liebe es auch, dieses Zusammengefügte an Schicksalshaftem, aus dessen Entgrenzungen ich nicht nur geboren war, sondern ich liebte es aufs Neue und auf meine Weise: die Schriftrollen und die Magie des Wortes, das selbst dem Feuer standhält. Etwas weiter saßen im Raum Musiker, die spielten auf alten Instrumenten sehr alte Melodien, und andere sangen Lieder dazu. Am besten hat mir vielleicht doch das Bild oben rechts gefallen, das ich wahrgenommen, aber selbst nicht aufgenommen habe. Wenn ich mich recht erinnere, fing dieser Mann sehr, sehr spät im Leben an, Collagen und Zeichnungen zu machen. Unglaublich viele machte er und schrieb unter sie jeweils Sätze, durch die etwas Bestimmtes oder eine bestimmte Zeit einem  manchmal näher kamen als so manch eigener Gedanke. So steht unter diesem Bild zum Beispiel : „Heut‘ werd ich den Hitler wählen, denn er kann uns so schöne Märchen erzählen“. Dass gerade seine Bilder und Worte nicht verloren gegangen und heute in einem renommierten Museum zu sehen und zu lesen sind, freut mich ungemein, auch wenn ich meine Freude leider mit ihm nicht teilen kann.

sterblich

In meinem Beitrag „boostern“ hatte ich vorgestern eher als Fußnote die durchaus wiederholbare Bemerkung des Soziologen Harald Welzer gestellt, dass wir uns in der Hauptvorstellung befinden und nicht in der Probe. Ich hatte ihn schon früher mal in einer anderen Sendung gesehen und gehört. Aber dieses Mal fiel auf, was auch ziemlich schnell Thema wurde, dass er nämlich in der Zwischenzeit knapp dem Tod entkommen war. Kurz nach dem letzten Interview hatte er einen heftigen Herzinfarkt, war aber noch zu einer Praxis gewandert, nicht ahnend, wie gravierend ernst die Situation war. Und er nun eine Tiefe ausstrahlte, deren Quelle einen durch Mitteilung berührte. Nun  kann man auch sich selbst nicht raten, ständig an den Tod zu denken, damit man bereit ist, wenn er kommt, was immer das heißt: bereit sein. Der Tod ist das gültige Ende der Vorstellung, selbst wenn es auch über die Rückkehr von Toten genug Anekdoten gibt, die jede Überprüfung nutzlos machen. Denn wer will sich der Mühe unterziehen, jemandem etwas auszureden, was keiner wissen kann. Mir geht es eher darum, dass es vielleicht gut ist, mal die menschliche Neigung zu überprüfen, unser Leben als einen sehr lange ausgebreiteten Teppich zu betrachten, der mühelos in eine vage Unsterblichkeit führt im Sinne, dass man sich kaum vorstellen kann, mal tot herumzuliegen, wie auch immer dieser Vorgang eingetreten wäre oder sein wird oder würden täte. Daher haben sich vor allem zwei Kulturen intensiv mit dem Tod beschäftigt, die buddhistische und die ägyptische, in denen das Kontemplieren des Abgangs eine vorrangige Stellung einnahm. Leben und Tod stehen hier in einem bewusst wachen Verhältnis, denn bedenke ich mein Sterben und meinen Tod, wird mir die Kraft des Lebendigen umso deutlicher. Und es ist nicht nur gut und wichtig zu verstehen, dass die zeitliche Segnung jederzeit eintreten kann, sonder auch, dass es nicht um die hundertjährige Durchhaltenote geht, sondern um den inneren Reichtum, mit dem ich die jeweils vorhandene Zeit beleben kann. Wer hat nicht schon mal die erstaunlichen Reichtum hinterlassenden 27-jährigen bewundert, die das, was sie zur Verfügung hatten, so früh in eine Essenz packen konnten. Und klar hätte man gerne gewusst, wie sie den Rest bewältigt hätten, der ja meist daraus besteht, dieser frühen Befruchtung weitere Lebensräume zu ermöglichen. Denn natürlich liegt ein gewisser Glanz auf dem geleisteten Durchhalteakt, der einem irgendwann ermöglicht, zurück zu blicken. Oder man spürt zuweilen eine genussvolle Ermüdung des inneren Auges, das sich nun an die Auswahl halten kann, die es getroffen hat, was Geist und Bühne und Schauspiel betrifft. Und wenn wir (vielleicht) in der Lage sein werden, die in Kisten, Kästen und Regalen sich stapelnden Ansammlungen unserer  leidenschaftlichen Bemühung um das Verständnis des Weltenrätsels rechtzeitig loszulassen. Wenn uns klar wird, dass wir diese Inhalte nicht nur alle in uns haben, ja, wir diese Inhalte sind. Und unaufhaltsam immer Neues dazu kommt. Bis eben das Allerneueste da ist: wenn wir selbst nicht mehr da sind, dafür aber alle Anderen.

Dir auch

Lebenslauf Gottfried Benn - Lebenslauf des deutschen Lyrikers

 

Dir auch

Dir auch – tauschen die Nächte
dich in ein dunkleres Du,
Psyche, strömende Rechte
schluchzend dem andern zu,
ist es auch ungeheuer
und du littest genug:
Liebe ist Wein im Feuer
aus dem Opferkrug.

 selbst du beugst dich und jeder
meint, hier sei es vollbracht,
ach im Schattengeäder
flieht auch deine, die Nacht,
wohl den Lippen, den Händen
glühst du das reinste Licht,
doch die Träume vollenden
können wir nicht.

 nur die Stunden, die Nächte,
wo dein Atem erwacht,
Psyche, strömende Rechte,
tiefe tauschende Nacht,
ach es ist ungeheuer,
ach es ist nie genug
von deinem Wein im Feuer
aus dem Opferkrug.

boostern

Über das „Geboostertwerden“ wird nachgedacht. Muss man, soll man, will man. Nein, aber man tut es trotzdem. Mein kleiner Covid- Nebenkäfig hat damit zu tun, dass ich weiß, dass ich diese Krankheit nicht möchte, deswegen werde ich mich vermutlich locker umsehen nach einer Boosterquelle, von der ich erwarte, dass mein schwächelndes Anliegen wie das Haar durch die Butter geht, nämlich zügig. Die Entscheidungen bleiben einem nicht  deswegen nicht erspart, weil man sich in direkter Konfrontation mit dem Virengeschehen empfindet, nein, sondern nach wie vor hat es mit bestimmten Lücken in den Gehirngängen zu tun, die man sich erhalten möchte, indem man nicht unnötig lange in der lähmenden Hängematte zwischen Ja und Nein herumlungert und dann doch irgendwas durch Zögern entschieden hat. Und auch wenn man selbst durch die Umstände nicht gravierend betroffen ist von den viralen Vorgängen, kann man trotzdem sicher sein, dass sich auf den verborgenen Ebenen sehr vieler Menschen eine weitere Druckwelle ansammelt, um in noch ungeahnten Formen ans Tageslicht durchzubrechen. Hässliche Worte, die sich ins sprachliche Wortbild eingeschmuggelt haben, wollen eigentlich vergessen werden, und stattdessen kommen immer neue Worte dazu, die ein empfindsames Ohr zusammenzucken lassen, wie zum Beispiel „boostern“. Dabei könnte man sich mit „auffrischen“ noch eine Doppeldeutigkeit zimmern, denn wer wollte nicht etwas auffrischen in dieser medial düster gezeichneten Lage. Denn eine pandemische Lage darf es ja auch nicht mehr sein, man will das Volk ja nicht erschrecken und mit neuen Lockdowns drohen, die niemand mehr verkraften kann. Und natürlich wollen Familien, denen und deren Kindern es schlecht ging, nicht all den Geschichten zuhören von denen, denen es gut ging. Mir zum Beispiel ging es gut, und auch als Ungeimpfte wäre ich nicht sonderlich erschüttert darüber, dass ich gerade nicht da hineindarf, wo alle wieder hinwollen. Aber neben der Tatsache, dass ich auch sehr gerne mal in guter Gesellschaft im Restaurant esse, cultura pura, muss ich zum Glück nicht auf Stadionbesuche verzichten, auch wenn ich mit meinem Impfpass hinkönnte. Ich kann ja als 2G-lerin überall hin, was wiederum heißt, dass ich eine gewisse freie Bahn habe, die nicht zwangsläufig ein Irgendwohingehenmüssen beinhaltet. Da ich aber zum Beispiel eventuell doch noch nach Indien will, frage ich da öfters nach, wie die Lage ist. Die mit mir befreundeten Personen behaupten, Covid, der die Rolle der finsteren Macht an der Wurzel der Essenzen übernommen hat, sei besiegt. Wer’s glaubt, wird genau so wenig selig wie von anderem Glauben. Und stichhaltige Beweisführungen gibt’s auch selten, und selten haben sich Gut oder Böse eindeutig bewiesen, wenn es sie überhaupt in einer Eindeutigkeit gibt. Und so nehme ich meinen Stab und bewege meinen Nachen gleichmäßig durch Unter-und Oberwelt. Manchmal, wenn ich in der Matrix an Land gehe, kann ich da sehr wohl die Schönheit und Bedeutsamkeit des Seienden gebührlich wahrnehmen. Ungesehen berührt meine innere Hand den Staub der gebeutelten Erde. Wie meinte doch neulich der Soziologe Harald Welzer, dass das ganze Erleben eben keine Probe sei, sondern das ist es: die Hauptvorstellung.

reisen

Gestern wurde in Indien das Lichterfest „Diwali“ gefeiert, und das Bild kam zu mir in einer Mail. Keine Ahnung wer sie ist, und ihren Schmuck habe ich auch vorher noch nicht gesehen. Einerseits das blutrote Stirnband, wie ein Stück Filz über die Stirn geklebt, und über dem Mund ein dunkles und ein helles Gebilde, das schwer zu definieren ist. Aber ich bin auch froh, dass niemand in der Nähe ist, den ich fragen könnte, denn jede/r Inder/in würde sofort etwas anderes wissen. Indien trägt immer noch als Land und Kultur die Bürde der Wissensverpflichtung, weshalb man auch besser auf der Straße niemandem nach dem Weg fragt, denn es wird lieber irgendwohin gezeigt als zugegeben, dass man was nicht weiß. Und so bin ich, zumindest in diesem Falle, zufrieden mit dem, was ich sehe, und fühle keinerlei Druck, das Geheimnis gelüftet zu haben über diesen schwarzen Lippenfleck neben dem hellen Herbstblatt, nein, es kann einfach sein, was es ist, denn es tut ja nicht so, als wäre es real. Und was ist schon real, man kann darüber nachdenken. Gilt nur, was man selbst als „real“ empfindet, oder ist man, wenn man es genauer wissen will, nicht nur verpflichtet, bei sich selbst nachzufragen, sondern kann sehr wohl andere Werke durchforsten, in denen sich Geister abgerackert haben, hinter die schwerwiegenden Vorhänge der Menschengeschichte zu blicken und auf das gefasst zu sein, was sich da zeigen kann, eben, wenn man auf einmal genauer hinschaut. Nicht, dass es eine letzte Erklärung gäbe, nein, sondern man kann schauen, wohin sich diese Geister geneigt haben, wie weit sie mit ihrer Sicht den labyrintischen Wahnsinn durchdrungen haben, wenn sie nicht unterwegs auf irgendwelchen Treppen unter der Last des Nichtzuwissenden zusammengebrochen sind, bevor sie das Zeitliche segnen konnten. Es wäre sicher nicht unklug, das Zeitliche zu segnen, während man lebt. Auf jeden Fall könnte es einen aus der Urangst vor dem Unvermeidlichen herauskatapultieren, und man befände sich plötzlich auf einer Schaltfläche, hätte das Schlimmste an persönlichen Vorstellungsmanövern schon hinter sich gebracht, und hätte dadurch Zeit und Raum gewonnen, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Aus dieser harmllos klingenden Bemerkung formt sich das nächste Abenteuer heraus, nämlich: was betrachte oder empfinde ich selbst als das Wesentliche. Geht es nun um m e i n Wesen oder das Wesen des Ganzen als der gegebene Wohnraum meiner Existenz. Um zu der nötigen Klarheit zu kommen, die ich zu weiterer Navigation benötige, muss ich mich für kurze oder längere Zeit von der akzeptierten Konventionalität des bestehenden Weltkonzepts trennen, beziehungsweise eine einfache Kehrtwendung machen, um in der Lage zu sein, mich selbst in den Blick zu nehmen, damit ein Dialog überhaupt stattfinden kann. Da ich mir hier als ein heimkehrender Fremdling oft nach langer Zeit wieder begegne und aufmerksam wahrnehme und angemessen zu beantworten suche, habe ich einiges zu tun, bevor die gewünschte Klarheit sich manifestieren kann, und auch hier gibt es keine Garantie für etwas, was niemand mehr anbieten oder unterstützen oder verherrlichen oder verheimlichen oder verordnen oder verimpfen oder verwehren und soweiter kann. Nun muss ich oder kann ich oder will ich den Schalthebel wählen. Und los geht die Fahrt, und gute Reise uns allen wünsch ich.

Medea

Da hat jemand was in die Welt gesetzt,
ich habe es gesehen, als ich vorüberfuhr.
Eine ganz wichtige Information auf den
Seiten der Kultur. Medea ist freigesprochen!
Da war ich erleichtert. Freispruch für Medea!
Doch von wem freigesprochen, ja, frage ich
mich mitten im Erleichterstsein, und von was?
Und ist Jason auch freigesprochen, oder nur sie?
Ja, Jason! Hat er bereut und die schmachvolle
Tat zugegeben? Oder war er am Ende genau so
mit seinem Erbteil verhaftet wie sie mit ihrer
eigenen Sicht? Oder war da immer nichts als nur
das, was da wirklich geschah, da keiner tatsächlich
so nah war wie sie, die tatsächlich Beteiligten da.
War es am Ende nur das, was sein musste, weil
es ganz einfach so war? In jedem Falle ist der
Freispruch wunderbar. In meinem Fall kann ich
nur sagen: Ja, ich akzeptiere!

darbieten


Die Welt und ihre dargebotenen Vollkommenheiten
Nicht nur wollen immer mehr Menschen angesichts des bedrohlichen planetarischen Zustandes wissen, wie man eigentlich ein Leben richtig lebt, weil die bisherigen Ideen darüber offensichtlich nicht so gut gelaufen sind. Deutschland wird bewundert für seine  Versöhnungsfähigkeit oder den Fleiß, der aus den Vernichtungsjasagern-und Jasagerinnen einigermaßen selbstverantwortliche Bürger und Bürgerinnen gemacht hat. Aber es war ja gar nicht der Fleiß, sondern der wirkliche Zündstoff war das Grauen, in dem viele unserer Eltern dem Unsäglichen ins Auge geblickt haben und meist, ohne ihm furchtlos entgegenzutreten. Man weiß ja auch nicht,  als ihre Töchter und Söhne, wie man dem Grauen selbst begegnet wäre, oder ob man jemand aus der außerordentlichen Gruppe gewesen wäre, die wussten, dass manchmal die Überwindung der Todesangst wichtiger ist als der Verrat. Oder die Gleichgültigkeit. Oder die Profitsucht. Oder das bewusste Ignorieren des offenbarten Vernichtungswillens. Also der absolute Höllenschlund als Antrieb zu Veränderungen, die das Resultat einer tiefen Erkenntnis sind, dass man der Mensch, der man da war, nicht mehr sein möchte. Und welch ein Mensch möchte man denn sein? Überall Hindernisse und Fallen. Das gemeinsam erzeugte Schlaraffenland muss weiterhin ernährt werden, und eigentlich kann man gar nicht aussteigen, denn jetzt hat auf einmal der große Fleiß zum Besserwerden neue Fallen und Gefängnisse erschaffen, die ihre Zollgebühren einfordern. Aber die meisten von uns leben trotz alledem immer noch in einem paradiesischen Viel, das sich ins unerbittliche Zuviel neigt. Und klar ist das besser als, wie gerade in Afghanistan vorzufinden, ein Vater wegen der Armut seine zwei kleinen Mädchen an alte Männer verheiraten zu müssen denkt, und ich da auch mein Denken abbreche. Irgendwann, noch gar nicht so lange her, gab es auf einmal eine Zweitwelt, man nannte es das Fernsehen. Alle, die es sich leisten konnten, vermochten ab sofort in nie zuvor gesehene Welten sehend zu wandern, und klar war das spannender, als die meisten Menschen gewohnt sind miteinander zu leben. Man will ja Leben in der Bude, doch wie geht das, grübeln sich viele durch und lassen sich scheiden, weil sie die Antwort nicht finden. Vielleicht denkt man, man hätte sich schon, und der oder die Andere müsste einen so lieben, wie man ist, was ja meist auch drei Monate gut geht, bis die Arbeit beginnt. Ungern setze ich Liebe mit Arbeit gleich, aber es hat in der Tat was Wahres. Die Arbeit dreht sich ja nicht um die Liebe, sondern darum, wie man selbst der Liebe im Weg steht, also sich selbst. Ich denke dass, wer bei sich ankommt und mit sich selbst gut zurecht kommt, vernünftige Entscheidungen treffen kann, die die eigene Entwicklung nicht hindern. Auch von den Pfadwandernden entwickelter Ebenen weiß man, dass Menschen oft sehr spät zu herzlichem und befreienden Lachen fanden, was uns wiederum sagt, dass es offensichtlich irgendwann einen Knackpunkt gibt, der mich wiederum an die Luke erinnert, in die der Lichtstrahl dringt, oder an Kairos, der einen Spalt im Alltag verursacht, dessen Erscheinen man nicht übersehen sollte, denn auch von da kommen Antwort und Heiterkeit.

Strebungen

Nicht nur gibt es den Sog, aus sehr unterschiedlichen Interessensgebieten hervorkommend, in die Dunkelkammern der menschlichen Psyche so tief hinein und  hinunter zu blicken wie nur möglich, sondern dieselbe Strebung gibt es nach oben und zuweilen mit einer unsäglichen Intensität gewisse Ebenen anstrebend, von deren Existenz es nur wenige Zeugen oder Zeuginnen gibt, die den jeweils üblichen Rahmen ihrer Gesellschaftssysteme überschreiten konnten, um von diesen Welten Kunde zu tun. In Indien zum Beispiel ist der Begriff des „Heiligen“ gang und gäbe, und noch habe ich keinen Hindu getroffen, der nicht zumindest überzeugt war, dem Göttlichen sehr, sehr nahe, also sozusagen identisch damit zu sein. Come on, sagte Anil eines Tages zu mir, jeder Mensch will doch letztendlich ein Gott sein. Das wusste ich nicht, obwohl mir die offensichtlich genetisch oder klimatisch  bedingte Entgrenzung des indischen Denkens vertraut ist. Es gibt dort auch Gespenster-Austreibungs-Rituale, aber täglich sieht man menschliche Körper, die als Götter verkleidet durch die Straßen ziehen, und wenn einer gut darin ist, wird ihm auch Respekt dafür gezollt. Ansonsten erlebte ich in Gesprächen mit Hindus verschiedenster Ausrichtungen (was ihre religiösen Rituale betrifft) in den letzten Jahren eher eine sich verbreitende Ernüchterung im Angesicht realer Vorkommnisse unter denen, die gerne als „heilig“ betrachtet werden. Man war nicht wirklich erstaunt, denn durch den kreisläufigen Ablauf der Geschichte wusste man, dass die Dinge profan werden und künstlich und ohne authentischen geistigen Antrieb. Aber Achtung, das war auch nicht alles, denn es gibt ein Gegengewicht. Wer aus welchen Gründen auch immer gelernt hat, der kosmischen Ausgewogenheit zu vertrauen, findet hier verhältnismäßig mühelos eine praktische Lösung, ich meine hier durch die Praxis der Kontemplation. Ich selbst muss erkennen, wie und wodurch ich etwas erlebe und erkenne, eben damit meine eigene Substanz im Strudel des Weltgeschehens nicht mitgerissen wird. Auf das „heilig“ kam ich über die Worte einer protestantischen Pfarrersfrau, deren letzte Worte ich vor den Nachrichten noch aus Versehen mitbekam und hörte, dass sie „heilig“ als widerstandsfähig bezeichnete, und dass es dafür notwendig sei, der Weltordnung zu widerstreben. „Heilig“ verstanden als heilend, das fand ich dann doch interessant und entspricht, allerdings über andere Begrifflichkeiten, meinem eigenen Denken. Denn ohne diese ganz bewusste Herauslösung aus der bestehenden Weltordnung kann ich nicht wirklich heilen. Ganz einfach, weil der Blick nach außen nicht der Blick nach innen ist und wir für die Teilnahme am kosmischen Balanceakt beides brauchen, um einerseits beweglich, andrerseits zutiefst konzentriert zu sein auf unsere individuelle Wahrnehmung, die wir wiederum für unsere Handlungsfähigkeit nach draußen brauchen. Wo die Anderen sind und ihre Spielarten.

Geisterstunde

Das ist Racky Liz in ihrem Fledermauskostüm, wobei es ihr wichtig war, als Vampirin gesehen zu werden. Sie kam gestern mit Mameh, ihrer Mutter, und ihrer Freundin Wendy zu Besuch, beide hochkarätig bereit zu möglichem Grusel. Vor allem die Katzen fürchteten sich sehr und flüchteten in andere Räume, von wegen also gerne auf der Schulter von Hexen sitzen. Ich kenne Halloween nicht aus meiner Kindheit, so, wie es jetzt „Holi“, das indische Farbfest, in Deutschland gibt. Auch Fasching oder Karneval gehören zu diesen gesteuerten Entgleisungen, wo man sich mal ganz anders erleben kann als man es sonst im Rahmen des Alltags kann oder darf. Als ich in den Sechzigern mit dem „Living Theatre“ in Amerika unterwegs war, fragte ich einmal in dem Stück „Mysteries and smaller pieces“ einen Anzug tragenden Mann im Publikum, was er denn gerne anziehen würde, wenn er ganz frei wäre. Sofort schoß das Wort „Kimono“ aus seinem Mund. Er wusste bereits, was er eigentlich gerne gehabt hätte, aber er hatte es noch nicht, weil es das Kimonotragen für ihn nur auf der vergeblichen Wunschebene gab. Natürlich konnte ich nur an Fasching Page werden oder Cowgirl, Jott behüte, wie kam ich nur darauf. Irgendwo kommt man damit in Kontakt und will das mal sein, und muss dann nur noch die richtige Mutter haben, die zu diesen Umsetzungen bereit ist. Vom Kostüm hängt vieles ab, und vor allem, was man damit verbindet. Ich hatte früher auch ein Set Vampirzähne, die ich sehr tauglich fand für manche Auftritte. Rackys Freundin Wendy, die auch Vampirin sein wollte, aber ein sternenübersätes Himmelskleid trug, erzählte, wie sie immer ihrem kleinen Bruder Angst einjagt. Ich liiiebe es, sagte sie, meinem Bruder Angst einzujagen. Ist ja nicht schwer, meinten wir leicht verunsichert, wenn er kleiner ist als du. Aber auch an Halloween ist es ja sicherlich kein guter Rat, sich jemand Größeren zu suchen, dem man Angst einjagen kann, denn um was geht’s. Auf jeden Fall können solche seltsamen Feste als kleine Befreiungsorgien dienen, denn die Gruselbereitschaft hilft  vielleicht beim Angstabbau besser als der Satz „hab keine Angst“. Erst, wenn man sie mal hat, kann man schauen, wie man damit umgeht. Ich kenne Racky seit ihrer Geburt, und gestern kam sie mir besonders schön vor in der Art, wie sie tief berührt war von der Möglichkeit einer neuen Identität. Die Fledermausspange schmückte sie wie eine Krone, und man spürte durch sie die Wirksamkeit eines Dunkels, das seine eigenen Geheimgänge hat. Wir tanzten dann noch ein paar Runden zu R.E.M.’s „I am loosing my religion“. Das alles trug einen feinen Hauch von Wahrheit in sich, eben die leise einen anatmende Wahrheit, an der man nicht festhalten will. Eben wie in einer Geisterstunde. Noch weniger weiß man allerdings von den Auftritten der „Heiligen“, die nach der Geistervertreibung dann geehrt werden sollen undsoweiter.