…und wenn…

Dieses simple Sätzchen habe ich in einem Museum photographiert, wo es vornehmlich dafür dient, anhand eines künstlerischen Produktes zu wissen, wo ich hingehe oder hingehen möchte oder überhaupt erst herausfinde, wo ich überall hingehen kann. Für mich ist es nach „Es war einmal“ der zweite Satz, den ich dadurch interessant finde, dass man durch die Betonung der Worte völlig andere Gedanken auslösen kann. Wenn ich frage  w o  etwas ist, führt es mich woanders hin als wenn ich frage, wo etwas i s t oder w a s (oder wo) etwas ist. Es kann auch der Ausdruck eines Taumelnden sein, der sich festhalten möchte, oder ein Ertrinkender sucht nach einem tragfähigen Holzklotz, der sein Überleben sichert. Nun ist es natürlich so, dass man täglich auf die eine oder andere Weise mit Begriffen bombardiert wird, von denen Andere ausgehen, dass man sie versteht, und umgekehrt. Es gibt ja keine Garantie und herzlich wenig erwünschte Überprüfung dafür, wie etwas bei unseren Gegenübern ankommt oder unsere für (als verständlich vermutete) Wahrnehmung bei ihnen ankommt. Hat man allerdings dann mal Zeit oder es erscheint einem dringlich, etwas Geschehenes gemeinsam zu beleuchten, kann man wahrlich staunen, wie selbstverständlich sich  Missverständnisse auftürmen können zu allen möglichen erstarrten und locker gedeuteten Bildern, die wie schiefe Rahmen an den Wänden herumhängen, und selten kann man im fremden Haus um Erlaubnis bitten, ob man mal kurz den Bilderrahmen zurechtrücken kann, nur weil sich eine persönliche Obsession meldet. Selbst bei guten Freundschaften kann sich das als ziemlich schwierig erweisen, und nicht nur, weil wir alle so empfindlich sind. Oder doch. Da fällt mir ein, dass ich dieses Jahr mal meinen Empfindlichkeiten auf die Spur, oder sagt man besser „Schliche“? kommen wollte und habe dafür extra in meinem Notizbuch eine leere Seite gelassen, aber es, hier als ich, kam nicht dazu. Will man so etwas wirklich ernsthaft ergründen, braucht man ja Zeit, und nicht nur Zeit. Eingestimmt muss man sein und bereit, sich darauf zu konzentrieren, und nicht einem Thema, das auch schon auf einen lauert, den Vorrang geben, oder nach einer politischen Durststrecke auf einmal wieder reges Interesse vorfinden an den Anhörungen im amerikanischen Kongress unter Leitung von Nancy Pelosi. Und dann natürlich, ja!, : Wo ist w a s? Und um was geht’s denn hier jetzt. Eigentlich schon zwei sehr praktische Dinge, die man unbedingt wahrnehmen kann, also einerseits dass ich hier bin, denn das hat einen hohen Grad an Unleugbarkeit, sonst könnte ich mir ja keine Gedanken machen. Und nachdem das geklärt ist, die Frage, um was es mir eigentlich geht. Das ist eine Frischhaltefrage (Anm. des Wortfindungsamtes), die man auch beim Samstagseinkauf, oder am Frühstückstisch, oder auf dem Jakobspfad, in jedweder Wüste also oder wo auch immer sich stellen kann. Eben: Wo was ist, was mich anspricht, und wenn: was und warum und wieso.

heldenhaft

Gerade ist wieder einmal viel von „Helden“ die Rede (das Wort „Heldin“ ist vermutlich wenig geläufig)(obwohl jeder Mensch weiß, dass zum Beispiel das Menschengebären die Heldinnentat an sich ist), aber gut. Vielleicht dient das Wort auch dafür, dass man angeregt wird, genauer hin zu schauen, wer denn so ein Prädikat verdient und warum und wo. Es gibt auch diese wunderbaren Anekdoten aus der Welt der Weisheit, wenn so jemand wie Alexander der Große von dem willentlich Obdachlosen Diogenes mit einem dürftigen, aber wirkungsvollen Satz in die Schranken gewiesen wird. Und was ist den in der Menschheitsgeschichte gerühmten Heldenfiguren nicht alles zugestoßen, bevor das Gerücht des Ruhmes sie eingeholt hat. Auch für Odysseus‘ Ruf hätte es nicht gereicht, dass er sich an den Mast binden ließ, um den Sirenengesängen zu widerstehen, nein, eine Menge anderer Prüfungen mussten sie alle bestehen, um ihren turbulenten Schicksalen zu trotzen. Und nicht selten müssen Götter eingeführt werden, damit das Ganze den richtigen Paukenschlag hat, dem kultivierte Geister dann gern in Epen oder Symphonien lauschen. Oder es fällt einem, wie mir gerade, ein „Zanoni“ ein, von seinem Mentor als höchst Gediehener betrachtet, heißt, dass er die Anhaftung an das Weltgetümmel schon fast hinter sich hatte, da verliebt er sich in eine Frau und stürzt in den Augen seines Lehrers vom siebten, also damals höchsten Stockwerk. Aber nein!, er bleibt sich treu und liebt, und irgndwann, vielleicht auf Seite 302, singen die Engel für ihn, denn genau d a s war die Prüfung, denn die Liebe hat ihn vor der Kälte des Alls bewahrt, also vor der Selbstvernichtung. Jedenfalls formt sich heute in mir derart die Erinnerung an die Story. Dann gibt es die Helfershelden und die Heldinnen so ziemlich auf jeder Ebene des Daseins. Sie helfen uneingeschränkt bei Fluten, können aber auch in der Justiz sitzen oder eine seltene Ausnahme unter Teppichhändlern sein. Auch ist Heldenhaftigkeit (sofern überhaupt vorhanden) ja auch nichts, was man sich selbst als Auszeichnung geben könnte, nein. Wahrscheinlicher ist jedenfalls, dass der Stoff und das Tun, das dazu führt, dass Andere dafür den Begriff benutzen, selten in größere Öffentlichkeit gelangt, wo es außerdem völlig unterschiedlich gehandhabt wird. Für den einen sind Kamikaze-Flieger Helden, für den Anderen groteske Lebensvernichter. In Indien werden  Menschen verehrt, die über Jahre hinweg ihren rechten Arm in der Luft halten, bis die Fingernägel durch die Handfläche gewachsen sind und usw. Einmal habe ich so einen geistigen „Helden“, in diesem Sinne also einen, der das Unvorstellbare freiwillig erträgt, in Indien ein paar Stunden lang beobachtet, fasziniert von der geradezu bodenlosen Leere seines Blickes. Das war schon was, aber um Himmels Willen, was war es denn? Eine Errungenschaft? Eine Form des Wahnsinns? Ein Weg, mit dem Schrecken der eigenen Bedeutungslosigkeit umzugehen? Im amerikanischen Kongress sitzen gerade zwei, ein Held und eine Heldin, beide die einzigen Republikaner, die sich entschieden haben, gemeinsam mit den Demokraten den Putschversuch von Donald Trump ans Licht zu bringen. Dort weinen auch Männer, die sich heldenhaft eingesetzt haben bei diesem Ausbruch der Gewalt (am 6.Januar), weinen aus den Abgründen ihrer Traumatisierungen heraus, und dann auch wegen der brutalen Lügerei, die sich über ihre Handlungen verbreitet hat. Wir können ja in unserer persönlichen Lebenszeit mit eigenen Augen sehen, wie Geschichte entsteht und vergeht, und auch wenn die Begriffe sich wandeln, hat das Leben wohl immer auch epische Züge, wenn Menschen aus ihren Schatten treten ins Licht.

 

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Lichtschalter und weitere Lichtquellen
Auch wenn man sich dann irgendwann aus der Sphäre bestimmter Betroffenheiten herauslösen muss, da man direkt gar nicht beteiligt war, kann man  für sich selbst weiterhin lernen, oder sich die faktische Tatsache der Vergänglichkeit noch einmal vor Augen halten, und wie schnell alles Vertraute um einen herum verschwunden sein kann. und wie gut auch ein Moment der Dankbarkeit tut, eben dass man geschützt war dieses Mal vor diesem doch sehr Schlimmen, bei dem es viele Mitfühlende und ein Heer von Experten braucht, um die gerade noch so blendend funktionierenden Grundeinrichtungen wie Strom, Wasser, Internet etc. wieder in Schwung zu bringen. Was ein heißer Kaffee mittendrin leisten kann. Oder zu wissen, dass eine Regierung sich tatsächlich sorgt und sogar sorgen muss, weil man gewohnt ist, Erwartungshaltungen erfüllt zu bekommen. Und gerade noch gerettet, wird Erfahrung oft zur Anklage, so als hätten viele Anderen das Unheil ahnen und einschätzen müssen. Aber wer kann schon das Ungewisse einschätzen. Etwas, was noch nie da war, kann nicht präzise eingeschätzt werden, das gilt auch für jedes Gewitter und gleichermaßen für jede menschliche Begegnung. Am besten ist sicherlich die offene Einstellung, die nicht automatisch zu Verwicklung neigt, durch die dann wieder neue Blindheiten entstehen (können). Das sind so Worte, die man leichthin sagt, bevor man merkt, dass sich die Komplexitäten meist erst nach simplen Sätzen zu erkennen geben. Dann gibt es wiederum bei der äußerst komplexen Frage, ob man sich gegen  Gefahren wappnen kann, nur sehr ungewisse Antworten. Und „bereit sein für alles Heranströmende“ ist nur dann ein guter Tip, wenn man selbst einigermaßen gefestigt ist und die eigenen Kräfte kennt und zur Verfügung hat. Wunder gibt es natürlich auch immer wieder, wenn Menschen erfahren, dass sie über das eigene Maß auf einmal weit hinausragen können. Oder: „Wenn es einen  Notfall gibt, dann schauen wir einander in die Augen“, wie R.D. Laing es einmal formulierte. Wenn der Schutt sich im Vorgarten häuft oder die Vermissten sich noch nicht gemeldet haben. Wenn man nicht weiß, wer das alles wie überleben wird. Obwohl „es“ letztendlich keiner überleben wird. Das große Es nicht nur des Überlebens, sonder der Frage, wie es weiter geht und wo ich selbst ganz persönlich mit etwas weitergehe, was uns gleichzeitig alle betrifft. Denn jede/r ist ja auch morgens beim Aufstehen allein, wer sollte es leugnen wollen. Oder solange das für einen funktioniert, dass ein Gott (z.B.) einen der eigenen Vorstellung nach unentwegt anlächelt oder die Verantwortung trägt für das, was aus mir wird, prima! Aber was, wenn auch das sich auflöst im Zuge vor sich hinreifender Strömungen? Jede Art von Verlust bedeutet einen Schmerz, den jeweils kein Anderer hat, nein, ich habe ihn, wenn er mich trifft. Und jetzt muss ich sehen, wie ich damit umgehe, und wie inmitten der trostlosen Zeit Andere mit mir umgehen. Damit man hören lernt von sich, was jeweils angesagt ist.

weiterhin

Ja, das sind wir auch, wir Menschen eben: zart und gebeutelt von allem Möglichen, und hilflos und ohnmächtig und verletzlich und noch vieles mehr. Man sieht das nicht immer so schnell, denn wir haben alle das extra Drüber-Gesicht, sodass auch die vielen Spiegel, die überall angebracht sind, nicht wirklich reflektieren, was in uns vorgeht. Und wenn, aus welchen Gründen auch immer, das Maß des Unerträglichen auf der Erde zuweilen ansteigt, dann muss ich mich fragen, was von all dem mich etwas angeht und woher ich klare Signale bekomme darüber, was mich tatsächlich nichts angeht. Und hat es sich nicht gezeigt, dass ich nur mitfühlen kann, wenn mich etwas tatsächlich berührt hat, also wenn einem die Fassung verloren geht, was dann das Spürbare vorwärts transportiert. Und wo reifte es denn im Verborgenen? Das Maß geht eben auch ganz hoch nach oben, so weit man eben die Höhe auszuloten vermag, und tief stürzt es hinunter ins Bodenlose, und man muss oben wie unten aufpassen, mit was es sich jeweils verbindet, denn überall kann man im noch Ungenannten verlorengehen. Das hat mich öfters mal geschmerzt, wie menschliche Wesen die Skala ihrer Potentiale ungenutzt lassen, und meist kann ein Schock nur nachträglich als etwas Not-wendiges gesehen werden, also die Wende einer Not, über die man gar kein Bewusstsein nährte vor der plötzlich weißen Strähne in der Mitte des Haares. Und wenn dann auf einmal nicht nur ein Land, nein, ganz viele Länder überschwemmt werden, dann merkt man, dass es ja gar nicht reicht für alle außer vielleicht für diejenigen, die beruflich an die Katastrophen gebunden sind und ihre Bilder durch die Kanäle jagen. Und auf einmal, es ist schon sehr spät, wird schlagartig klar, wie die Dinge zusammenhängen, und nicht nur die Poesie der zuckenden Wimper, die im Schmetterling etwas auslöst, einen Tropfen Wahrheit birgt. Heute früh beim Frühstück sprach jemand von der Schneeschmelze. Ich wusste gar nicht, dass die Sonne das weiße Eis des Winters gar nicht schmelzen kann. Wenn aber die Luftverschmutzung sich auf die Gletscher senkt und dort eine graue Schicht erzeugt, dann richtet die Sonne ein Unheil an, das gar nicht in ihrem Programm enthalten war. Mit berechtigter Sorge beobachten wir Menschen dann als eigentliche Verursacher der Lebensgefahren die Entwicklungen, die unser Tun begleiten. Das sieht nicht gut aus, außer man eignet sich einen weiteren Blick an, der alles offen lässt für das, was noch möglich ist und immer möglich war. Diesen Blick nimmt man nach innen und schaut nach, wie man all das, was man vorfindet, so ausloten kann, dass es sich der Erstarrung entzieht und man weiterhin teilnehmen kann am lebendigen Vorgang.

Das Gänseblümchen

Das Gänseblümchen blüht fast das ganze Jahr.
Das Volk liebte es und nannte es Tausendschön.
Aber eines Tages, irgendwann im 18. Jahrhundert,
geriet es in Acht und Bann und wurde systematisch
vernichtet. Es wurde nämlich, übrigens zu unrecht,
angeklagt, ein abtreibendes Mittel zu sein. Später ist
das Gänseblümchen in der Gesellschaft wieder aufgenommen
worden und akzeptiert, denn man kann es ja überall wieder
sehen. Dafür ist der Mensch selbst ein lebensfeindliches
Medium geworden  und hat seine heilende Wirkung
weitgehend verloren. Welche Gesellschaft wird ihm wohl
wieder erlauben, auf die Wiese der Blumen zurückzukehren,
um den Irrtum zu beheben?

blättern

Neulich fiel mein Blick, leicht ermüdet vom eigenen gedanklichen Tun, auf ein Buch von Helmut von Glasenap, einem Indologen und tiefen Kenner des indischen Denkens, das nicht leicht zu erschließen ist. Das Buch hat einen  dunklen Rücken, auf dem mit goldener Schrift „Brahma und Buddha“ steht. Lange habe ich nicht hineingeschaut und blättere nun erstaunt herum, denn wahrlich weht mich beim Öffnen ein Wind an, der könnte so weit herkommen wie, sagen wir zum Beispiel die römische Kaiserzeit, in der bereits Menschen im Abendland lebten, die unbedingt wissen wollten, was sich im Orient eigentlich so Erstaunliches abspielt(e), von dem man immer mal wieder hört(e). Das Buch kam, wie ich sehe, 1926 heraus, was ja einerseits nicht sooo lange her ist, andrerseits befällt einen geradezu die Erinnerung an die vergangenen Jahre. Hier erzählt einer vom Indien vor dem Fernsehen und vor den Internetläden und vor dem Smartphone, das plötzlich in jedermans Hand nicht fehlen darf. Eben wie bei uns, nur, dass diese neuen Items in der Hand der sogenannten Heiligen und Weisen schon ziemlich komisch wirken. Nicht, dass man mit Handy nicht auch heilig sein kann, wenn es denn Heiligkeit gibt. In der Einleitung des Buches kann man von ein paar Weisen, die von Abendländern befragt wurden, als was sie sich denn selbst sehen, hören, dass sie sich als „Götter“ bezeichneten, weil sie „gut“ seien. Was einen wieder einmal zu der interessanten Frage führt, aus was eigentlich „Gutsein“ besteht, wenn es denn Gutsein gibt. Auch vor dem westlichen Einfluss wird von indischer Seite her gewarnt, damit das vedische Erbe erhalten (und das Blut rein) bleibt. Und in der Tat habe ich selbst noch erlebt, wie da ein Gespür war von etwas, dass es nirgendwo sonst gab. So ein glühendes Einlassen auf die Idee des Göttlichen und seine vielen Gesichter. Und nicht nebenher, nein, alles war dieser Idee untergeordnet, weil es um sehr viel geht; das Leben halt und seine Kostbarkeit, um die man auf viele Arten und Weisen ringen konnte und musste, um zu etwas zu gelangen, das nur durch Erfahrung erfahrbar war und daher auch der Große Tod genannt wurde, weil, hat man sich einmal eingelassen, es kein Zurück mehr gibt. Nun sind das einerseits wie gesagt nur ein paar Jährchen her, und andrerseits ist in dieser Hinsicht das Ganze schon völlig gekippt, da allein tausende von stinkenden Leichen im heiligen Fluss bewiesen haben, dass der planetarische Prozess in eine neue Phase eingetreten ist. Wenn der Wald, in dem ein Asket sitzen will, abgeholzt wird, hilft ihm sein Bedürfnis nach Versenkung erst einmal nichts. Klar, er oder sie kann weiterwandern, aber wohin? Soll er sich impfen lassen oder bei der Prana-Praxis einen Mundschutz tragen? So versinken Kulturen entlang den universellen Kriterien, die sich ausdrücken, ohne geschrieben zu stehen. Und keiner weiß mehr (leider), was ihr wirklich unter „gut sein“ verstanden habt, oder ob es nur das Gerücht war, dass ihr euch fünf Zentimeter über dem Boden weiterbewegen konntet. Und wenn schon. Hauptsache, es hat keinem anderen geschadet.

Michel Foucault

Der Philosoph Michel Foucault soll Minderjährige missbraucht haben - Kultur - SZ.de

(Aus einem Gespräch mit Helmut Becker)
Frage:
Die Selbstsorge zielt immer auf das Wohl der anderen: sie zielt darauf ab, den Raum der Macht, die in jeder Beziehung anwesend ist, gut zu verwalten, also im Sinne der Nichtbeherrschung zu verwalten. Worin kann in diesem Zusammenhang die Rolle des Philosophen bestehen, also desjenigen, der sich um die Sorge der anderen kümmert?
Michel Foucault:
Nehmen wir zum Beispiel Sokrates. Das ist genau der, der die Leute auf der Straße oder die Jungen im Gymnasium anspricht und sie fragt: beschäftigst du dich mit dir selbst? Ihm wurde diese Bürde auferlegt, das ist seine Mission, er wird sie niemals aufgeben, nicht einmal im Augenblick der Todesdrohung. Das ist der Mann, der sich um die Sorge der anderen kümmert: das ist die besondere Position des Philosophen. Aber im Fall des vereinfachend gesagt freien Mannes bestand die Forderung dieser ganzen Moral darin, dass, wer sich richtig um sich selbst kümmert, sich deshalb den anderen gegenüber richtig verhalten und ihnen nutzen kann. Eine Polis, in der sich jeder auf die richtige Art um sich selbst kümmern würde, wäre eine Polis, die gut funktionierte; sie fände darin das ethische Prinzip ihrer Beständigkeit. Aber man kann wohl nicht sagen, dass der Grieche, der sich um sich selbst kümmert, sich zuerst um die anderen kümmern muss. Dieses Thema kommt, wie mir scheint, erst viel später auf. Man muss die Sorge um die anderen nicht vor die Selbstsorge stellen; ethisch gesehen, kommt die Selbstsorge in dem Maße zuerst, wie der Selbstbezug ontologisch an erster Stelle steht.

sichtbar

Nun  wird man in der nächsten Zeit häufiger diesen Satz hören, dass wir unser Leben ändern müssen, soll das ganze Thema der Umweltzerstörung, das an die Spitze der Themen gerückt ist, irgendein wahrnehmbares oder lebenserhaltendes Resultat erzeugen. Und in diesem Kontext weiß man nun, dass es zwar höchst lobenswert und notwendig ist, Hilfe zu leisten, wenn sie notwendig und brauchbar ist, aber auch das wird nur Flickwerk bleiben, wenn einfach weitere Katastrophen auf uns zukommen, und zwar schneller und zwingender, als wir es gewohnt sind. Peter Sloterdijk hat einem seiner Bücher den Titel „Du musst dein Leben ändern“ gegeben. Der Satz stammt aus einem Gedicht von Rilke, der fassungslos das vollkommene Werk (Apollon) eines Künstlers (Rodin) betrachtet und in der letzten Zeile zu dem erst einmal überraschenden Ausbruch seiner Ergriffenheit kommt: „Du musst dein Leben ändern“. Er selbst, er muss sein Leben ändern, weil er vermutlich erschüttert war von dem, was einem Menschen möglich ist. Es reißt ihn derart aus seinem Alltag, sodass alles Vorherige nichtig erscheint. Aber was heißt das: Ich muss mein Leben ändern. Schon die Freiwilligkeit macht hier einen großen Unterschied, aber selbst unter guten Bedingungen gibt es meist noch viel Luft nach oben, was die Konsequenz von Erkenntnissen betrifft. Nicht nach oben zu Gott oder Göttern, sondern zum Luftraum, wo Gedanken reifen können und auf fruchtbaren Boden fallen (können). Auf jeden Fall muss ich angesichts der Tatsachen meiner Erkenntnis darüber nachdenken, wie ich den Raum nutze, der hier entstanden ist. Es wäre schon interessant zu wissen, was Menschen sich zu allererst wieder anschaffen, wenn sie das Ganze nochmal formen müssen oder können, die Möbel, die Wände, die Bücher etc., und all das sogenannte Vertraute wie weggefegt vom Wind des Schicksals. Denn Schicksal ist es doch, eigenes Geschick, eigene Geschichte. Und wo es die anderen Mitmenschen berührt und erschüttert, und wo sie nachlassen mit dem Erschüttertsein, so, wie wir alle nachlassen mit dem Erschüttertsein über Moria, was nicht heißt, dass in Moria irgend etwas besser geworden ist. Wo nehmen wir Teil? Wie und wodurch haben wir etwas damit zu tun? Und welches Gewicht hat unser eigener Wille, nachzudenken über das Geschick, das andere trifft oder uns selbst treffen kann: Verlust, Krankheit, Tod. Die wesentliche Ebene des Lebendigen, die wir alle teilen als Erdlinge. Das unbedingte Grundeinkommen, eben die nackte Existenz, und dass ich überhaupt (noch) lebe. Das war doch ein schöner Moment, als Greta Thunberg sich sichtlich empört an das illustre Publikum wandte und die reichlich Verblüfften anschrie: Wie wagt ihr es, schrie sie, den Planeten zu vernichten, auf dem ich lebe!? Besser kann man es kaum ausdrücken. Doch ist es jedem Individuum überlassen, die Verbindungen zu finden, an denen wir selbst angekoppelt sind mit unserer Einstellung, dass uns vieles nichts angeht. Was ja stimmt, aber was geht uns was an? Die Nacktheit und Ausgeliefertheit der Wesen ist auf aufwühlende Weise antastbar, und kein SUV eignet sich dafür, unbemerkt zu entkommen. Denn letztendlich ist doch alles sichtbar, oder?

schwierig

Angesichts der Realität des Ungewissen, die uns stets begleitet, bleibt es nicht aus, dass man sich fragen kann, wie man wohl selbst reagieren würde, wenn man von einem auf den anderen Tag alles verlieren würde oder zurücklassen muss, weil einen etwas zwingt, mit dem man nicht gerechnet hat. Es ist schwierig, sich in die Notlagen anderer Menschen auf längere Zeit hin auseinanderzusetzen, weil u.a die eigenen Fähigkeit des in Andere Hineinversetzenkönnens auch eine Sache der Übung ist, die man dann im Notfall nicht immer parat hat. Man kann sich natürlich auch in Wertschätzung des menschlichen Tuns üben: HelferInnen, die aus allen Teilen Deutschlands anreisen, oder Bauern, die mit ihren Traktoren die Massen des Entsorgten irgendwo hintragen, ja wohin kommt denn das alles!? Alle Achtung also, muss man schon sagen!, was da für ein menschliches Potential befreit wird, das ist immer wieder eindrucksvoll und widerspricht der latenten Neigung, Menschen nicht allzuviel zutrauen zu wollen, so, als könnten sie gar nichts lernen aus dem Vergangenen. Können sie? Vielleicht ist das Helfen ein anderer Antrieb, mit der eigenen Hilflosigkeit umzugehen. Ein guter Weg, denn man bekommt die menschliche Anerkennung, die man vielleicht vermisst hat. Helfen ist auch ein Geben, und in so einer Not will man ja vom Anderen nichts haben, sondern es bleibt einem nur das Geben von dem, was man hat. Die Inder teilen gerne in „dena und lena walas“ ein, also diejenigen, die geben, und diejenigen, die nehmen. Allerdings gibt es auch den Ausdruck „denalena“ wala (oder wali), und bedeutet in dem Fall diejenigen, die keinen stören, weder durch Nehmen oder Geben, gut, das ist ein philosophischer Punkt. In meiner Vergangenheit gab es auch die Idee  des „Täschchen“, das man, als es mal wieder eine Katastrophe gab, immer bei sich haben sollte, Bankdaten, Krankenversicherungskasse, Smartphone, günstigerweise mit Internet usw. Und man kann herumschauen, was man wirklich vermissen oder gar nicht vermissen würde, dabei ist es wahrscheinlich erst einmal alles. Jahre hat es gedauert, bis es sich entwickelt hat zu dem, was man sein eigen nennt, mag es noch so sehr dem Besitz der Anderen gleichen. Von „Erinnerungen“ ist auch immer die Rede, und wer kennt es nicht, das Herumzögern um Dinge, die es einem schwer machen, wenn man sie aufgeben oder weggeben will. Und dann ist ein Verlust ja auch immer ein Kontrastprogramm zu dem, wie ich es wahrgenommen habe, als es noch nicht verloren war. Bald nach einer Katastrophe kommt es darauf an, wie jede/r damit umgeht, mit der manifestierten Verlustangst, mit der Trauer, mit der Einstellung zu Neuanfängen. Und würde der Anteil an asketischer Einstellung, die sich eher dem Wenigen zuneigt als dem Zuviel, wirklich standhalten, wenn plötzlich ein Schwertstreich des Schicksals einem alles aus der Hand nehmen könnte, von dem man närrischerweise annahm, man hätte es in der Hand. Und in wieweit kann man überhaupt auf etwas vorbereitet sein? Es müssen dann wieder irgendwelche Köpfe rollen, als würden nicht alle in einem latenten Somnambulismus leben, und das einzige Gegenmittel, das bisher gegen den Wahnsinn gefunden wurde, die Wachheit ist. Oder ist es die Vernunft. Oder beides? Oder das Beisichsein, das einem beibringt, sich auf angemessene Weise durch das zu bewegen, was auf einen zukommt. Das ist ganz sicherlich nicht einfach, wenn der Alltag derart aus den Fugen bricht.

Lied

Da ich die Idee schon hatte, meine wenigen selbstgebastelten Liedlein mal zum Vorschein zu bringen, erstaunte mich heute ein Moment des Zögerns, so als müsste ich bedenken, ob ein Text, der zu guter Laune anregen soll, angebracht ist in der Mitte der Katastrophe(n). Hätte ich es gestern geschrieben, fände ich es unangebracht (oder auch nicht), aber alles lebt auch sein eigenes Leben, das gilt auch für dieses Lied. Immerhin kann sich jede/r seinen oder ihren Reim drauf machen (oder nicht).  Der Text der Seite also:

Und hier kommt der beliebte Ohrwurm, ein
Erfolgshit für Leute, die eine gute Laune brauchen
und grad keinen Text zur Verfügung haben. Wohlan!

Sänger/in:
Was kommt denn da und will
mir meine Laune nehmen?

Chor:
Das darf doch nicht wahr sein!
Das darf doch nicht wahr sein!

Sänger/in:
Das ist doch hoffentlich
kein Stimmungsdämpfer!

Chor:
Das wäre ja klar klein,
das wäre ja so klein!

Sänger/in:
Da kommt sie schon! Es ist
ne kleine typische Täuschung!

Chor:
Keine Bohne!
Gar nicht ohne!

Sänger/n:
Hurra! Es ist ne Erbse
und keine Bohnenschote!

Chor:
Wah! Wah! Wah!
Wah! Wah! Wah!

Zusammen:
Das ist ja nochmal gut Gegangen!
Sehen sie, da ham wir’s schon!
Und nun kommt noch als Richtungslohner
die moralische Krone ohne Bewohner!

Bei uroborischen Periburen
(vermeidbaren Gedankenfetzen)
lassen Sie Licht rein
in ihr Dichtsein!

Zusammen:
Und das Oval von dem Gesicht
spricht: Verwechseln Sie
die Erbsen mit den Bohnen nicht!

Chor:
Wah! Wah! Wah!
Drama!
Wah! Wah! Wah!

instand halten

Ich habe gemerkt, dass es mir etwas ausgemacht hat, dass weder meine indischen, noch meine amerikanischen Freunde, mit denen ich in Kontakt bin, etwas von der Katastrophe wussten, die sich hier im Land ereignet hat und weiterhin ereignet. Wie, fragte ich zum Beispiel, schaust du oder ihr denn keine Weltnachrichten? Natürlich kann ich auch als nicht direkt Betroffene vermutlich gar keine Worte finden, die beschreiben könnten, was da los ist.  Und kann ja kaum erwarten, dass Menschen, die noch nie andere Länder bereist haben, wissen, wo Nordrhein-Westfalen liegt, und was heißt das schon, selbst, wenn man es gekannt hätte. Man hätte wahrscheinlich mehr Bezug zu dem Leiden, soweit das eben möglich ist. Als die Leichen an den Ufern des (einst) als heilig gerühmten Ganges sich häuften, weil automatisch der Wucher mit den Holzpreisen anstieg, da war ein Teil meiner Trauer allerdings schon, dass ich den Fluss oft erlebt habe, und das lebendige Treiben an seinen bzw. ihren Ufern, den Ufern der Ganga also. Das war in der Tat ein Highlight, in dieser kraftvollen Flut ein eisgekühltes, höchst erfrischendes Bad zu nehmen, mit einer Hand die Kette festhaltend, damit man nicht mitgerissen wird. Oder oben auf dem Weg nach Gangotrie, an der Quelle dieses berühmten Flusses, auf einem der gigantischen Felsenmassen herumsitzen oder liegen, und dem tosenden Rauschen zuhören, wenn man nicht gerade Steine sammelt oder Chai trinken möchte. Und klar war das eine Trauer, die mitschwang, dass da etwas verloren geht, ja, förmlich stirbt, was man geliebt hat. Ich habe das einige (wenige) Male erlebt, dass etwas weiterging, nachdem es vernichtet wurde als das, was es war. Wer hätte gedacht, dass man sich selbst aus einem Höllenschlund wie dem Dritten Reich wieder herauslösen kann, wobei wir sehen, dass der Höllenhund immer noch wach ist, auch wenn gebannt, bzw. überwacht wird. Doch ist es auch immer wieder einigen gelungen, ein neues  Leben zu beginnen, nachdem das alte zerstört wurde. Doch obwohl die Gefahr oder die Möglichkeit jederzeit da ist, möchte natürlich niemand davon betroffen sein. Der Schrecken über das Unheil anderer und die Erleichterung, dass man noch mal selbst entkommen ist, bewegt sicherlich einige der freiwilligen HelferInnen, die in solchen Situationen wie Schutzengel aus allen Richtungen herbeieilen, um Hilfe zur Verfügung zu stellen. So findet das Untröstliche zumindest seine Trostpflaster, und zuweilen gibt es sogar ein Erwachen im Angesicht des Unabwendbaren. Das macht doch die schlechten wie die guten Filme aus, dass es uns interessiert, wie Andere mit dem scheinbar Unvermeidbaren umgehen. Und welches System hält den krassesten Krisen stand, und welches bricht endgültig zusammen unter dem Zuviel der Belastungen. Auf der anderen Seite hilft es nichts, darüber zu viel nachzudenken, nachdem man einige Grundeinstellungen geklärt hat, denn wie stets wissen wir nicht, was kommt, sondern können uns nur selbst instand halten. Interessanter Begriff: instand halten.

mitfühlen


Engel des Mitfühlens
Am Ende eines Gespräches mit einem Freund in Boston fragte er mich, nachdem wir so ausführlich wie möglich über den Tod  und seine Funktion im Leben des Menschen gesprochen  hatten, was ich von „Engeln“ hielte. Diese Frage macht/e mich verlegen,  denn lange Jahre war das eigene beschwingte und beflügelte Wesen, vor allem innerhalb des meditativ erschlossenen Raumes, eine Vertrautheit, was meiner heutzutage vorherrschenden Bereitschaft für nüchterne Wahrnehmung nicht mehr ganz entspricht. Nichts gegen Beflügeltsein oder Schwingungsforschung, solange ich nicht darüber reden muss. Auf die Frage konnte ich dann antworten, dass es tatsächlich in meinen Bildern einen Moment während des Entstehens einer körperlichen Figur gibt, wo ich förmlich zuschauen kann, wie sich der Pinsel fast selbstständig in eine Krümmung bewegt, die nichts mehr andere sein kann als ein Flügel. Und gerade ihn, Raphael, habe ich bei seinem Besuch in unserem Haus als eine Art dunklen Engel durch unsere Gespräche wandern sehen, allein mit einem Schwert in einer großen Finsternis, als Hauptspeise nur die Poesie, als die Bürde des Mysterium oder des Martyrium des Wortes: gleichzeitiger Zugang zum Daseienden und vollkommener Verlust der Bedeutsamkeit dieses Errungenen. Mein Hörvermögen konzentrierte und entspannte sich simultan, denn vieles von der inneren Räumlichkeit war mir vertraut. Daher vielleicht die Wichtigkeit der Wesen, die das latent Unbewusste bevölkern. Denn auf jeden Fall verkörpern sie eine Symbolik. Und würde man sich jetzt einen Engel vorstellen, der voller Mitgefühl durch die überfluteten Gebiete wandert, könnte es sich tröstend anfühlen, dass er nichts mit der Katastrophe und ihren schrecklichen Nachfolgeerscheinungen zu tun hat, sondern einfach Mitgefühl ausstrahlen kann. Ansonsten: nein, sagte ich, keine Engel außer der Symbolik, die Türe sein kann zu noch tieferen Schichten. Und ja, ich finde es auch unredlich, so zu tun, als könnte man die viel zitierte Klimakatastrophe noch in den Griff bekommen, in welchen oder wessen Griff denn bitte? Und in der Tat erspart es einem nicht die Aufmerksamkeit auf das eigene Handeln, denn warum sollte man sich aus irgendwelchen Gründen aus dem Selbstsein entlassen, ist es doch das Einzige, was man gewiss hat: eine unleugbare Existenzberechtigung, mit deren Umgang man bewusst oder unbewusst beschäftigt ist. Denn lernt man das Beleben der eigenen Existenz, ist der  Umgang mit anderen Menschen vermutlich bereichernder.

Flickenteppich

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Das Nirgendwo
Ich denke auch, es gibt so eine Art  Welt-Geist im Sinne, dass das, was gedanklich und gefühlsmäßig jeweils auf der Erde gerade stattfindet, sich zwar  stets auf multiple Weise manifestiert, aber dennoch ein Grundton zu erkennen ist, den man hören kann, oder eine Wahrnehmung auftaucht, die man als eigene Sichtweise registriert, wenn auch meist nur teilweise. Vor ein paar Jahren vermittelte mir ein Inder, dass wir seines Wissens gemäß in einer Zeit gelandet sind, in der zwar alle viel  Zugang zu Wissen haben, dieses Wissen aber nicht mehr umgesetzt werden kann, weil es dafür keinerlei Anzeichen gibt, vor allem aber keine Zeit für die Veränderungen, die nötig wären, um all die Irrungen und Verwirrungen und Vernichtungen zu korrigieren, die den ganzen Prozess des Lebendigen auf der Erde in Lebensgefahr gebracht haben. Wir haben alle in den letzten Jahren sehr viel über Menschen gelernt, denn nicht nur draußen, sondern auf jeder Bildfläche drücken sich Menschen aus und werden, was auch immer sie werden, werden aber auf jeden Fall sichtbarer, und Stimmen werden eindeutig dringlicher mit Worten, die sehr schnell ihre Kraft verlieren können und nur noch schale Floskeln sind. Und jede neu aufgebaute Damm-Mauer ist notwendig und hilfreich, wird aber den nächsten Dammbruch nicht aufhalten. Denn irgendwo im Hintergrund ist schon lange was in eine bestimmte Richtung gelaufen, und kaum einer könnte heute darüber aussagen, wann es salonfähig geworden ist, Tiere und Menschen zu quälen, sodass man zuweilen gar nicht mehr weiß, wo man eigentlich noch ohne Schaudern hinschauen kann. Und es dann vielleicht vernünftig findet, sich der eigenen Ohnmacht zuzuwenden, die einen genau so zu erschüttern vermag wie ein Starkregen mit unübersehbaren Konsequenzen. Und wie schnell können heldenhafte Rettungsaktionen wie Flickenteppiche aussehen, die nur sichtbarer sind, weil sie vor der Haustür liegen. Und obwohl man weiß, dass Veränderungen möglich sind, so weiß man aus Erfahrung, wie schwer sie zustanden kommen. Und so strömt er weiterhin wild und unheimlich vor sich hin, der dunkle Strom des Unbewussten, von dem die vielen Impulse herrühren, die es zu erfassen und zu reflektieren gilt.Es wird aber nach wie vor keinen davon abhalten, der den Verführungskünsten des Rausches folgen möchte oder muss. Für die meisten der  Erkenntnisse, die für einen selbst wirklich stattgefunden haben, gibt es meist eine Anekdote. Eine meiner Anekdoten ist die Geschichte mit Oppenheimer, der genau wusste, dass er, der gerühmte Genius, einen menschenvernichtenden Pakt mit seinem Vernichtungswillen geschlossen hatte, und nichts, aber vor allem er selbst hatte nicht die geistige Kraft, sich von dieser Handlung abzuhalten. Dass die Wurzel dieses Übels auch hier viel vorher lag, wird daran klar sichtbar, dass an d e m  Punkt, wo er selbst hätte noch entscheiden können, ob er der Abwerfer der tödlichen Bombe sein will oder nicht, der Nächste sofort an seiner Stelle gestanden hätte, und Oppenheimer wäre vermutlich der Verräter gewesen. Und dann die vernichtenden Werkzeuge „Little Boy“ und „Mama“  zu nennen, da bleibt einem das Lachen wirklich im Halse stecken, und der giftige Apfel kann nicht mehr herausgehustet werden, und zum Glück gibt es auch weit und breit keine Zwerge mehr und keine Frauen, die irgendwo in der Welt Frösche an die Wand werfen können, wenn sie einen Prinzen möchten, denn die Frösche sind zum Sezieren da. Ich hatte einen Onkel, der bekam, während ich mich dort aufhielt, öfters als Nachspeise lecker/krustige Froschschenkel. Für die leckere Vorspeise brauchte es, wie ich erfuhr, fünfzig Frösche. Es hilft auch nicht immer, in der eigenen Geschichte zu landen. Und  mein Teppich hebt gerade auch nicht ab in den Orient, wo die Zwiebeltürme stehen.

plagen

Neulich meinte jemand halbwegs scherzhaft, ob denn das, was zur Zeit geschieht, nicht die Erwartungshaltung der sieben Plagen erfüllen würde. Ich bin in der Bibel nicht sehr viel herumgewandert, fand aber die apokalyptischen Beschreibungen immer interessant, eben ob das menschliche Verhalten, mit oder ohne Gott, an eine Grenze stößt, wo der kollektive Missbrauch und die Ausbeutung der Ressourcen des planetarischen Wohngebietes sich offenbaren, was zu hektischem Handeln führt, was wiederum zu nichts führt, vielleicht weil es zu spät ist. Das Ruder lässt sich nicht mehr herumdrehen, der Schaden nicht mehr gutmachen, das Unheil nicht mehr abwenden. Auf jeden Fall hat man das Gefühl, dass die Katastrophen sich nicht nur mehren, sondern zurückkehren und von neuem zu peinigen beginnen, obwohl viele schon nicht mehr können. Jetzt auch noch die verheerenden Fluten, inmitten der anrollenden vierten Welle. Da stockt einem selbst als vorerst Unbetroffene etwas der Atem und die Vorstellung reduziert sich wie automatisch auf das, was einem selbst erlebbar oder vorstellbar ist. Natürlich nickt man gerne mit, wenn es um die Freiheit jedes Einzelnen geht, sich z.B. impfen oder nicht impfen zu lassen. Aber wann hört so eine Freiheit auf, oder hört sie einfach gar nicht auf? Wer bereit ist, für seine Überzeugungen zu sterben, hat natürlich den Joker in der Hand, denn wenn ich mit mir selbst so weit gehen kann, gefährde ich höchstens noch Andere oder nehme im Krankenhaus jemandem das Bett weg, obwohl ich selbstverständlich ein Recht darauf habe, aus den dunklen Urgründen zurückgerudert und mit Sauerstoff versorgt zu werden. Auffallend war auf jeden Fall die tiefe Betroffenheit, mit der ich auf die Bilder der Verwüstungen starrte und ein paar Laute von mir gab, die keine Sprache hatten. Da kann man, in dem Fall ich, auch sich selbst mal Einhalt gebieten und nichts mehr sagen.

historisch

Noch vorgestern war ich bereit, über ein witziges Fluten-Video zu lachen und dachte, es hier zu zeigen. Doch dann habe ich bemerkt, dass es gar nicht so viel gibt, das zu etwas passt, was total aus den Fugen geraten ist, und wo man vor sich hinstarrend Mitfühlendes erfahren kann. Immer und überall und immer wieder dieser Alptraum des Menschen, aus dem eigenen Leben, was auch immer es sei, herausgeschleudert zu werden von Kräften, die nicht mehr zu kontrollieren sind. Und meist niemand, dem man erzählen kann, was eigentlich schön war dort im Verlorenen, das man s o  gar nicht bewusst erlebt hat. Oder die vielen Menschen, die (willentlich oder unwillentlich) alleine leben, ohne dass man was davon mitbekommt, und die dann auf einmal so abhängig sind von der Hilfsbereitschaft Anderer. Und wenn Tote und Vermisste einer Katastrophe hinzukommen, dann verändert sich das Maß des als „normal“ Empfundenen. Und je näher eine Katastrophe dem eigenen Lebensgebiet kommt, desto mehr flüstert einem die Schicksalsstimme zu, dass man diesmal Glück gehabt hat, aber dass unentwegt Unruhen und Turbulenzen ausbrechen und niemand sich vorstellen kann, wie es sich anfühlt, alles zu verlieren, was man selbst für wichtig hielt. „Historisch“ und „Katastrophe“ waren denn auch die Stichworte des Tages, und so mancher Philosoph, und sicherlich auch manche Philosophin, hat mit ungewissem Ausgang darüber nachgegrübelt, ob man Katastrophen schlechthin auf dem Lebens-und Leidensweg des Menschen als genau die Ereignisse sehen muss oder kann oder will, bei denen Menschen zumindest die Gelegenheit haben, über ihren persönlich definierten Schatten zu springen oder den Tellerrand zu verlassen oder die gemütliche Blase zu zerbrechen. Und man kann es nicht leugnen, dass viele zu Helden und Heldinnen werden, ohne je geahnt zu haben, dass so etwas für sie möglich ist. „Das sieht hier aus wie im Krieg“, meinte eine Frau, und in der Erfahrung des Resultates gibt es für sie nicht viel Unterschied. Gut in der Tat, dass es kein Krieg ist.  Aber trotzdem lauert hinter all dem oft der Mensch, dem das planetarische Ruder entglitten ist. In den Medien gab es auch eine positive Verbindung zu „historisch“, die ich zuerst auf angenehme Weise missverstanden habe, und zwar pries Biden (dear Joe)  Merkel (dear Angela) den „historischen Charakter“ ihres politischen Beitrages, während ich erst verstand, er lobe ihren historischen Charakter, also einen Charakter, der so selten in der Politik vorkommt, dass er historischen Wert hat. Dass das aus verschiedenen Gründen nicht weiter auffällt, liegt wohl daran, dass es eben dieser Charakter ist, dem das gelingt, mehr oder weniger unauffällig Großes zu leisten. Vielleicht hat sich Biden gar an Merkel ein Beispiel genommen, denn er hat einen ähnlichen Charakter und hat gerade etwas geleistet, was wirklich Aufmerksamkeit verdient. Er geht zum ersten Mal ernsthaft und massiv gegen die schändliche amerikanische Armut  vor allem der Kinder vor undsoweiter. Es ist ein Weg, der klar macht, dass durch eine gewisse Handhabung Dinge gelingen können. Auf solche Menschen sind alle Opfer einer Katastrophe angewiesen, nämlich wenn dazu Fähige und Bereitwillige aus ihren verborgenen Orten ins verdunkelte Licht einer Wirklichkeit treten, um oft genug zu LebensretterInnen zu werden

my dear

 

In meinem bisherigen Leben habe ich ungefähr 5 Lieder geschrieben, wohl eine Laune der Natur, bzw. meiner Natur, die sie aus mir herauslockte. Das folgende Lied unten habe ich „damals“ „Gesang eines Hermaphropditen“ genannt, vielleicht in Erinnerung an eine Beschreibung von  Comte de Lautréamont (alias Isidore Ducasse), einem Dichter, den auch dort im Früher kaum jemand kannte und der eine für meine damaligen romantisch/erotischen Anwehungen passende Beschreibung eines Hermaphroditen zum Besten gab, der traurig und einsam im Gras (genau erinnere ich mich nicht) herumlag und wohl eine gewisse Genderfreiheit in mir zum Klingen brachte. Ich dachte wahrscheinlich, es ginge dem sich seltsam vorkommenden Wesen besser, wenn es seine oder ihre Eigenart annehmen kann und die scheinbare Ausnahme liebevoll mit sich feiern, was ja dann zu schönen Begegnungen mit Anderen führen kann, eben weil man die eigene Seltsamkeit nicht mehr leidvoll besetzt, sondern eher als eine Bereicherung im Umgang mit dem Daseienden. Und somit entgendere ich das kleine Lied und übersetze es auch nicht, denn selbst, wenn man kaum Englisch spricht, kann man es verstehen, zumindest grundsätzlich.

 

My dear, my dear,
said I to me
To you, my dear, said I:
you too, my dear,
said I to me, you too
are dear to me.
My dear, to you
is dear to me, as dear
is me to you. My dear,
my dear, said I to me
me two to be is me.
My dear, my dear,
said I to me, my dear
my dear, my dear…

(Man kann es beliebig fortsetzen, damit
es seine Wirkung entfalten kann). Auch
von mir ist der Humor, den ich habe, nicht
immer leicht zu erkennen.

künst(ler)(l)(s)ich

An dem Gemunkel über die vierte Welle kann man gut sehen, wie wir bestimmte Dinge gerne als etwas sehen, was noch gar nicht da ist, obwohl wir schon mittendrin sind. Das kann natürlich auch die Liebe sein, wenn man das gute Schicksal hat, sie in sich zu orten. Oder eben die künstliche Intelligenz, von der man weiß, dass sie unterwegs ist, aber man selbst hat noch verhältnismäßig wenig damit zu tun, dabei wird man schon auf dem großen Schachbrett hin-und hergeschoben. Wird man? Einmal bin ich in Apulien und ein andermal in Lissabon gründlich durch mein Verhalten genervt worden, da ich mir auf einmal ein Leben ohne Welan-Verbindung nicht vorstellen konnte. Es ist mir allerdings gelungen, die Absurdität davon zu erfassen, und nach wie vor müssen die Maschinen das für mich erledigen, wofür sie gut sind. In Schraders Film ist (u. a.) interessant, dass sie sich hier mit ihrer eigenen Software konfrontiert sieht, wobei letztendlich die Frage offen bleibt, was der Roboter selbst mit dem macht, was ihm gefüttert wurde. Und überhaupt die Frage, ob man die Substanz eines Menschseins in eine Maschine hineinfüttern kann, ist man doch als Mensch nicht wirklich an eine konstante Programmierung gebunden, mag es auch oft so erscheinen, wenn eigene Sichtweisen und Blicke sich verbünden und zu ertsarrten Bildern werden. Die können wiederum aufgelöst werden, zum Beispiel wenn man merkt, dass sich das eigene Verhalten unwillentlich zum Künstlichen hinbewegt, also zu dem, was man eigentlich nicht ist bzw. nicht sein möchte.Und wie weit kann man denn bestimmen, wer man sein möchte? Vor allem aber auch, wer man nicht sein möchte, denn daran erkennt man doch letztendlich, wie der eigene Baustein geartet ist. Allerdings birgt auch das Künstliche seinen Reiz und seine Tiefen der Anziehung, sonst wäre ja alles Ausgedachte nicht so spannend, sei es in Filmen, auf Bühnen oder direkt im Leben, immer auch ein Ringen zwischen Kunst und Künstlichkeit. Einfach zu erleben in der meist künstlichen Befindlichkeitsfrage „Wie geht’s denn so“. Und ja: Wie geht es denn so, wem, was, wo. Nüchternheit und Social Distancing sind auch Programmierungen. Etwas muss einem einleuchten, bevor man es eingeben kann. Zumindest manifestiert sich das Vorgenommene besser, wenn man es reflektiert und dadurch belichtet hat. Hilfreich ist auch, wenn man der eigenen Steuerung irgendwann zutrauen kann, sich in die Richtung, die man als förderlich betrachtet, zu bewegen. Dadurch gewinnt man enorm an Freiraum, aber auch wofür sich ein Freiraum am besten eignet, muss immer neu entschieden werden. Im Moment bleibe ich mal dabei, zu denken und zu spüren, dass der Mensch trotz aller Informationsfütterungen nicht von toter Materie kopiert und belebt werden kann, denn immer wird es dieses grundlegend Trennende geben. Aber gibt es das nicht auch schon unter Menschen, dass sie grundlegend getrennt sind durch das, was sie jeweils sind. Man kann bei diesem Thema beobachten, wie der Geist sich weigert, ein Einhorn zu töten, obwohl kein Zweifel besteht an der Art des Computerspiels. In Schraders Film fragt die Roboterfrau die Wissenschaftlerin einmal, warum sie den Roboter wie einen Roboter behandelt. Na, weil er einer ist. Gibt es auch einen Punkt, wo der Roboter Menschliches annehmen kann, und wo der Mensch seine Menschlichkeit verlässt. Oder ist das schon da?

wirklich (?)

Das Schaf ist kein Ausdruck meiner Sommerfreude, sondern es steht schon seit vielen Jahren an einem Ort und gehört zu einem Café, das wiederum mit einem Laden verbunden ist, von dem man sagt, dass er alles hat, was das Herz eines Künstlers, da füge ich jetzt noch der zeitlichen Entwicklung halber  das Künstlerinnenherz hinzu, begehrt, zumindest, was die Auswahl der Materialien betrifft. Es ist also ein künstliches Schaf, vermutlich von einem Künstler konzipiert, um irgendwo herum zu stehen, sodass man staunt, wie echt was aussehen kann, was gar nicht echt ist, sondern nur auf eine Fläche gebastelt ohne körperliches Volumen. Die Frage, wie wirklich die Wirklichkeit ist, wirbelt nahezu unendliche weitere Fragen auf, die sich wiederum in eigenen Kreisen drehen. Und so gerne man Raumschiff Enterprise gesehen hat, so hat sich natürlich auch die eigene Positionierung verdichtet, obwohl es seltsam geheim geblieben ist, dass wir auch auf einem Planeten durchs All düsen. Und so lange niemand auftaucht, der uns endgültig als Aliens definiert, so lange können wir uns als Menschen definieren, wohl wissend, dass Menschsein nicht gleichzusetzen ist mit menschlich sein. Das scheint erst einmal viel verlangt, aber man kann es zumuten. Je weiter wir uns also dem Sog des digitalen Wurmlochs, so hieß das Ding jedenfalls in „Next Generation“, hingeben, desto schwieriger wird es werden, Mensch-Sein zu definieren. Hinzu kommt die Faszination der künstlichen Intelligenz und wir spüren, oder muss ich hier zum Ich wechseln. Ich spüre also, tatsächlich in einem Kino in einer Stadt sitzend, ja warum, eben weil ich den neuen Film von Maria Schrader sofort sehen wollte, man kann von einem gewissen Knowhow ausgehen, und allein über den Titel kann man beliebig nachdenken. „Ich bin dein Mensch“. „Her“ hatte ich bereits gesehen, wo sich ein Mann in eine weibliche Computerstimme verliebt. In Schraders Film wehrt sich eine (wunderbare Schauspielerin) gegen die Anziehung, die sie für einen Computer-Mann entwickelt, der ganz auf ihr Maß zugeschnitten und angefertigt wurde, eine irritierende Vorstellung. Irritierend ist auch, dass Maschinen lernfähig sind, einer der Abgründe, die sich hier auftun. Wer das Menschsein, definiert durch Mensch sein, wird sich hier einem Schaudern nicht entziehen können, denn wer bestimmt, wie es wahrgenommen wird, und wo hört die vorgesetzte Bestimmung auf. Auch das Glücklichsein ist ja nicht festgelegt, nur dass so viele vergeblich danach zu suchen scheinen. Und es ist klar, dass, wenn eine ganz bestimmte Tiefe, die gleichzeitig Höhe ist, uns mit einem oder anderen Menschen verbindet, niemals durch etwas anderes zu ersetzen ist, und es wäre etwas, was wir am Menschsein vermissen würden, würde es noch seltener vorkommen, als es jetzt schon vorkommt. Kann schon sein, dass wir dann irgendwann diese gefährliche und gefürchtete Gruppe werden würden, die überall vereinzelt noch an einem bestimmten Modell des Menschseins hängt, während sich andere schon mit Puppen und Programmen verpartnern. Doch manche Dinge werden sich auch selbst erhalten, denn niemand kann jemand anderem verbieten, wen oder was er oder sie lieben wollen soll. Und so manchem würde so ein Computer vielleicht weniger gefährlich erscheinen, obwohl ja alles, was Maschinen sein können, vom Menschen programmiert wird. Die Entwicklungsmöglichkeit liegt in den Verbindungen, die hergestellt werden. Denn alles, was hineingebracht wird, geht ja nicht verloren. Auch der Golem passt sich den Werkstätten an und wartet geduldig auf seinen Auftritt.

willkürlich

Corona-Pandemie: Asien zittert, Italien entspannt sich: So ist die Corona-Lage in der Welt | Augsburger Allgemeine

Auch wenn man von etwas (z.B. dem Fußballspielen) nicht wirklich was versteht, favorisiert man gerne ein bisschen vor sich hin, ohne viel darüber nachzudenken, warum man klaro möchte, dass bella Italia gewinnt, obwohl das lange nicht so aussah. Irgendwann bin ich dann auch gegangen, weil jeder Elfmeter ja extra Nerven kostet, da es einem nahebringt, wie unerbittlich und schnell das Schicksal zuschlagen kann. Als ich aus der Tür ging, dachte ich na, vielleicht schießen sie jetzt doch noch ein Tor, so als könnte mein Verschwinden dort ein Tor erzeugen. Eine Minute später wurde ich über das Haustelefon informiert, dass sie tatsächlich ein Tor geschossen haben, und so bin ich froh, dass ich keine mystische Anhauchung (mehr) nachweisen kann, aber irgendwie wusste ich doch, dass Italien gewinnt. Denn wenn man so weit kommt, könnte es einem und dem jeweils dazugehörigen Volk eigentlich egal sein, denn beim Elfmeterschießen hängen Gewinn und Verlust an ähnlichen Fäden wie bei der Dämmer-Gebets-Stunde der Muslime, wenn ein weißer und ein schwarzer Faden sich nicht mehr unterscheiden, dann ist  nämlich Dämmerung und der Muezzin beginnt zu singen. Der zukünftige König und vor allem der kleine Prinz sollen sehr traurig ausgesehen haben, während im Internet  schon die Shitstürmer sich an die Tasten machten gegen die Elfmetervermassler. Also wenn man  zuhause sitzt und entscheiden kann, was man macht, sehe ich auch manchmal gerne in diese Fangemeinde der Welten, dieses aufwendige Geschmücke mit Hörnern und Kostümen und Fahnen als Gesichtsbemalung, und wundere mich, wo die Leute das alles lernen, dieses Hin-und Herwogen wie an großen Biertischen. Ausgesprochen überflüssig finde ich auch das Buhen, wenn einer, der nicht zu meiner Gruppe gehört, gerade den Ball hat. Come on, wo sind wir? Ach ja, die persönlich Shitgestormten waren alle von farbiger Hautfarbe, hörte ich und musste nicht lange grübeln, ob das wohl auch was mit dem Shitstorm in den Gehirnen so mancher Hellhäutigen zu tun hat. So als wäre unter den Fans jeder verbrachte Tag ein Treffer! Deswegen werden auch heute meine Bilder weder dem Geschehen gerecht, noch der Sonnenblume, denn fast willkürlich sind sie von mir zusammengefügt worden, eben ein Schuss Italia und ein Hauch Siegesleuchten. Natürlich kann man gegen die Freude des Gewinnes nichts sagen, das entspannt und lässt, zumindest das gewinnende Land, die steigenden Coronazahlen einen Moment lang vergessen. Und obwohl einem die italienischen Fans am Anfang des Spiels kurz mal ein bisschen leid taten, so können einem, wenn man möchte, jetzt die Engländer ein bisschen leid tun, vor allem, wenn sie außer dem Verlust im eigenen Königreich auch noch ein Mega-Spreader-Event werden. So stützt sich Fortuna auf den schmuckvollen Knauf ihres amtlichen Schwertes und kontempliert die Wahrscheinlichkeit einer Launenhaftigkeit des Alls und der verfügbaren Spielarten.

Laura Schiele

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Rekonstruktionen

alles wird festgehalten
gestochen scharf
ohne Weichzeichner
um die Wogen zu glätten
überall im unsichtbaren Netz
lassen wir unsere Spuren zurück
jedes Textstück, jede Ansicht
sekundengenau festgehalten
um uns später als die Menschen
zu rekonstruieren, die wir gar nicht mehr sind.

Stufe Null

**

Diese beiden Bilder harmonisieren natürlich sehr schön vom Farblichen her, aber was sie auch verbindet ist, dass sie beide aus Den Haag stammen und von dort per E-Mail zu mir gekommen sind. Links eine weibliche Figur, eingelassen in eine Friedhofsmauer, mit einem vom Gewand verhüllten Schwert. Kein so langes wie bei den Erzengeln, aber ein dennoch sehr gefährliches Instrument. Sie schaut voller Gram irgendwo hin, wo offensichtlich was passiert, was es zu überwachen gilt und vielleicht im Notfall auch verteidigt werden muss. Der Arm sieht allerdings so mächtig aus, dass man gar nicht weiß, ob das wirklich eine Frauenheldin ist, aber doch, es gibt weitere Anzeichen. Die Eule daneben wirkt sehr real, ist sie aber nicht, sie ist in dem Sinne tot, dass sie auf eine Vase gemalt wurde, von der ich dann wiederum die Eule herausphotographiert habe, wegen der Schönheit der Eulen. Und ausgerechnet Den Haag, wo ich noch nie war, aber demnächst mal hinwollte, u.a., um die Füße in den Sand zu senken, erschien heute früh in den Nachrichten über die Niederlande, dass sich einerseits auch dort die Stunde Null ihrer Endlichkeit nähert (hat sie eine Endlichkeit?), und andrerseits ein neuer Mutant sein planetarisches Unwesen treibt, sodass man davon ausgehen kann, dass das kollektive Angstpotential wieder angezapft werden kann. Aber auch die Augen der Seher und Seherinnen (innen) in Ermüdungsphasen geraten, denn eigentlich geschieht ja nach wie vor nur das, was immer da ist, verlässlich wie ein, ja, wie ein Was denn? Und ganz natürlich herrscht überall die Vergänglichkeit vor, denn nur der Nu ist ja verlässlich, in dem Ankunft und Abfahrt fast gleichzeitig stattfinden, aber immer noch genügend Raum lassen für das, was man in dem Moment ist. So muss man einerseits lernen, das eigene konstante Verschwinden auszuhalten, und andrerseits kann man nur im Nu wirklich anwesend sein, ein sehr attraktives Paradox ohne Ferien und Ausnahmen. Einfach immer da und in Bewegung. Was die Stufe Null (O) betrifft, so ist sie wohl dabei, das vorher übliche „Fünf vor Zwölf“ zu ersetzen, denn wie lange kann man so tun, als wäre der Zeiger pünktlich stehen geblieben, damit man noch schnell einiges erledigen kann, was bald vielleicht nicht mehr möglich ist. Was wiederum zu Raubzügen oder zu einer Toilettenpapierpsychose führen kann, die bis heute keiner wirklich erklären konnte. Außer dass man von der Angst inzwischen weiß, dass sie sich überall festsetzen kann, dann denkt man etwa, es sei das Virus, aber es ist nur die eigene Angst, die hier das Virus benutzt, um dem unerträglichen Gefühl ein Transportmittel zu verschaffen. So erzeugt das Herabsinken der Inzidenzahlen sozusagen einen kollektiv erzeugten Freiraum, sodass nicht nur die Lunge des Planeten, sondern auch die Lunge des Menschen mal wieder kurz durchatmen kann. Stufe Null also, wo man eine geheime, nicht abgesprochene Vereinbarung trifft, nämlich (weiterhin) d a s zu tun, was einem am Herzen liegt. Eine Banian-Baum Episode also, Licht und Schatten wohlig ausgeglichen und Space für die vielen unterhaltenden Geschichten des Universums, so reichhaltig und so nährend.

**Ausschnitte aus Photos von Til Kenter

verziehen

*

Auch der Monsoon, der sich gerade hierzulande durchsetzt, kann förderlich sein für bestimmte Gedanken. Es nutzt nichts, wenn man ständig an die Sonne denkt, die ja nicht da ist, was natürlich viele Menschen nun wieder in den Süden treibt, wo es mehr von dem Ersehnten gibt. Aber wie (auch noch einmal zu mir selbst) gesagt, kann Akzeptanz des Daseienden zu einer gewissen Befreiung führen, die einem wiederum ermöglicht, schöpferisch an das jeweilig Erlebte heranzugehen. Natürlich wäre es selbst in bester Gesellschaft nicht angenehm, vom Aqua Planing davongetragen zu werden, doch günstigerweise kann man noch vorher abbiegen und irgendwo einkehren, wo natürlich alles dann als wohltuend empfunden werden wird, denn man kann jetzt von innen besser nach außen sehen und sich neben erwärmenden Gesprächen sogar am Prasseln erfreuen. Nun geht das Regnen zuweilen einfach weiter und hört am nächsten Morgen nicht auf und wird schon für abends wieder angekündigt. Da ist es dann besser zu bedenken, was sich am besten eignen könnte für die auftauchenden Befindlichkeiten. Wenn die inneren Quellen gerade nichts von sich geben, kann man den Blick etwas schweifen lassen, denn siehe, überall ist Quelle, und da steht tatsächlich mit meiner Handschrift auf einem Briefumschlag den offenbar einmal herangeholten Satz „kein Herz auf der Zunge“. Das verblüfft mich, dass ich das wohl neulich mal mit mir verbunden habe. Ja habe ich denn etwa kein Herz auf der Zunge, oder will ich jetzt plötzlich dort eins haben? Da fällt mir natürlich ein, dass ich auch den Begriff „Schmetterlinge im Bauch“ nie mit mir verbinden konnte. „Wie?, erkundigte sich einst eine Frau, „kein Kribbeln und Krabbeln?“Ich musste verneinen und bin grundsätzlich gegen Missbrauch von Tieren, deren Symbolik man sich bedient, ohne dadurch Mensch und Tier gerecht zu werden zu können. Vielleicht geht es mir auch mit dem Herzen so, dass ich es vielleicht lieber d a platziert sehe, wo es sich am wohlsten fühlt, denn die Zunge ist selten genug ein geschützter Ort, wo sich das Herz niederlassen kann, denn es neigt ja gleichermaßen zu Hochstimmungen als auch zu Erschöpfungen. Die Zunge selbst braucht ja schon Hüter und Hüterinnen, die können nicht gleichzeitig auf das Wohlbefindes des Herzens achten. Da ich mich vermutlich gerade in der Praxis bewege, mich selbst in Laune zu halten, fällt mir dazu nun ein sehr gelungener Scherz ein, der mir vermittelt wurde und über den ich auch jetzt noch lachen kann, deswegen erzähle ich ihn gerne, und er beginnt mit einer spannenden Frage, und zwar: „Warum ist ein Baby kein Mörder?“ Am liebsten würde ich natürlich jetzt warten können, bis aus allen Gegenden der Welt die Antworten dazu eintrudeln. Der Gewinner oder die Gewinnerin könnte dann ein Geschenk erhalten, das wirklich jedem Geschmack entsprechen können würde (zum Beispiel ein Körbchen Vegankost (?)), aber ich weiß, dafür haben wir jetzt alle keine Zeit, denn der D-Mutant ist im Anmarsch, und verständlicherweise wollen, wie schon oben erwähnt, die meisten noch irgendwo etwas Sonne tanken, die ja bekanntlich von ihrem Trabanten, dem Schatten, begleitet wird. Und deshalb bin ich bereit, die Antwort auf die Frage hier zu veröffentlichen in sinnverbundenem Zusammenhang, also: „Ein Baby ist deshalb kein Mörder, weil es noch kein Messer halten kann!“ Man spürt förmlich die bestürzende Tiefe, zu der das Licht der Erkenntnis vordringt. Und schon hat sich der Regen verzogen.

 

*In einem Kunstwerk des Museums Abteiberg (M.-Gl.) gespiegelt.

tun

 
seitwärts

 

Tu, was du kannst, und wenn es etwas
gibt, was du nicht tun kannst, na gut,
dann tu’s halt nicht. Aber wenn du das
schier Unmögliche möglich machen willst,
kannst du das auch tun, und wenn das
nicht geht, mach dir keine Sorgen, mach
einfach was anderes. Tu, was du tun
musst, also gar nicht lassen kannst, denn
das musst du sowieso tun, so, wie es halt
am besten geht, was willst du sonst machen?
Doch kannst du auch d a r ü b e r hinaus
noch was tun, wer soll dich daran hindern,
es hängt ja voll und ganz von dir ab. Wenn
du das also tun willst: dann tu’s einfach.

mähen

Es gibt auch Dinge, die man sehr wohl lernen könnte, wenn man wollte, aber eben nicht will und dennoch froh ist, dass Andere es können und wollen. So etwas stellt für mich das Rasenmähen dar. Nein, ich will es nicht lernen, obwohl ich weiß, dass es sein muss. Schließlich gibt es Menschen, die gerne Rasen mähen, damit muss ich mich aber nicht trösten. Ich habe mich oft gewehrt gegen diese kreischenden Misstöne und mich auch schon mal gewundert, warum es dafür keine schalldichteren Lösungen gibt. Natürlich weiß  ich, dass hinter dem Höllenpflug sensible Menschen stehen können, denn so ziemlich jedes Steuerrad macht Freude, wenn man das kluge Führen schätzt, das Knowhow. Versucht man allerdings ein paar Meter weiter einen klaren Gedanken zu fassen, ist es besser, dem steigenden Druck zu weichen. Ich habe auch die Betreffenden darum gebeten, mich bei Mähbedarf darüber zu informieren, sodass ich zumindest die Möglichkeit habe, die Flucht zu ergreifen, da ich mir den Genuss des Tuns hier ja durch Widerstand verbaut habe. Durch das Bewusstsein einer Fluchtmöglichkeit bin ich dann doch meistens geblieben, es brauchte nur eine Veränderung in der Tätigkeit. Man kann zum Beispiel auf Staubsaugen umschwenken, ein entsprechend nerviger Geräuschpegel, an dem man nun auf quasi erlöste Weise selber mitmachen kann. Auch hat die Handlung erwiesenermaßen eine positive Wirkung, denn man kann sehen, was man gemacht hat, was z.B. beim Schreiben nicht immer der Fall ist. Obwohl man auch da letztendlich den Tonarm auf eine Rille legen muss, damit Klang entsteht, stets ein unbändiges Risiko. Als ich also heute mal wieder über baldiges Rasenmähen informiert wurde, kam mir prompt die als asbach eingestufte Urfrage in den Sinn, warum für diese extrem geräusch-und lärmbelastenden Geräte eigentlich keine Dämpfer erfunden wurden, und siehe da, es gab eine Antwort, die ich noch nicht kannte. Man hat also, wurde ich informiert, festgestellt, dass Menschen gerade diesen Lärm unbedingt brauchen und wollen und beim Kauf gar nicht danach fragen, ob es auch Gedämpftes gibt unter den Quälgeistermachinen, nein! Man will das Geräusch so haben, wie es immer war, eben laut, sodass es schon mal vorkommt, dass der Mähende selbst zu Kopfhörern greift, ich aber (z.B.) keine Kopfhörer  habe, die man ja eigentlich aufsetzt, wenn man was hören will. Natürlich ist es auch so, dass man als Mähende/r wahrgenommen wird, denn niemand kann das Geräusch  überhören, man weiß genau, wo eine/r was mäht. Es kommt nur drauf an, wie lange jemand bereit ist, das, was der eigenen Meinung nach sein muss, den anderen zuzumuten. Ich habe noch keine derartign Hemmschwellen entdecken können. Auch muss ich gestehen, dass ich eine Frau an der Mähmaschine attraktiver finde als einen Mann, wahrscheinlich wegen dem Überraschungseffekt.  Kein Zweifel, in uns Menschen döst ein Gewohnheitstier. Vielleicht sollte ich doch mal eine Wiese mähen.

Sinn

Immer wieder musste oder konnte ich feststellen, dass der Begriff „Sinnsuche“ in meinem bisherigen Leben keine so vorrangige Bedeutung eingenommen hat. Ob das nun bedeutet, dass mir irgendwie alles sinnvoll genug vorkam oder vorkommt, um Sinn nicht auf die gedankliche Prioritätenliste zu setzen, oder vielleicht habe ich gar keinen Sinn erwartet, oder, geboren in höchst chaotischen, politischen Zusammenhängen, mich selbst kein Sinn erwartete und ich ihn insofern auch nicht vermisste. Ist man selbst denn ein Sinn? Und für wen und für was? Und ist hier ankommen  auf dem Planeten und mit den Bedingungen umgehen lernen an sich schon ein Sinn? Wer bestimmt ihn und wo ist er sichtbar. Außer man nennt ihn Sinn und sieht ihn auf einmal überall, denn alles macht in gewissen Kontexten für irgend jemanden einen Sinn. Verschwindet ein an etwas angehafteter Sinn, kann sich das Konstrukt, das ihn beinhaltet, nicht erhalten. Verschwunden ist er dann, der Sinn, und ward nicht mehr gesehen. Sinn ist also, was ich hineinlege. Was mich stört am Sinn ist, dass er meist begleitet wird von dem Wunsch, dass etwas dabei herauskommt, also tatsächlich nicht nur Sinn sucht, sondern auch Sinn macht. Und wer löst sich hier aus meinen Archiven und fällt bei mir ein? Es ist Joseph Beuys, dessen aufregend sinnloses Werk schon so manchen in zwanghaftes Deuten gebracht hat. Und da man selbst oft genug der Sucht unterliegt zu meinen, das Meiste sei erklärbar, so kann man bei Beuys sehr schön lernen, dass es (oft gnug) nicht so ist. Kein Mensch, und wahrscheinlich nicht einmal er selbst, kann wissen, wie es dazu kam, dass er, Beuys, eines Tages einem toten Hasen Kunst erklärt hat, und wie hochgekurbelt die Energien um ihn herum waren von all denen, die versuchten, darin einen Sinn zu erkennen. Aber wo soll er denn sein. Muss denn beim direkten Wirken der Sinn überhaupt immer dabei sein? (…und müssen Henne und Ei nicht auch mal getrennt sein…?) Dann wiederum ist ein Gefühl der Sinnlosigkeit sicherlich sehr bedrückend, weist aber andrerseits darauf hin, dass hier ein Sinn hineingelegt wurde, der offensichtlich gar nicht als solcher angelegt war. Welcher Sinn wäre angemessen, und an was und an wen und warum scheint hier das Maß so wichtig? Das schlechthin Ungewisse, durch das wir uns ständig bewegen, hat von sich aus keinen Sinn zu vergeben, wir können ihn aber hineinlegen, wenn wir ihn brauchen. Ansonsten ist alles, wie es ist, auch wenn man viele Jahre braucht, um das Ausmaß dieser Aussage zu verstehen. Dabei kann tatsächlich nichts anders sein, als es ist, ob es nun seinen Sinn verfolgt oder nicht. Ich denke, es ist wesentlich, dass es oder er oder sie bei sich ankommt. Keine Garantie!

spielen

Bevor der Film „Matrix“ in Erscheinung trat und seine Wirkung ausbreitete, musste und wollte ich mich mit dem indischen Begriff der „Maya“ auseinandersetzen, was zuerst verständlich schien wie alles, von dem man flüchtig annimmt, es zu begreifen, bevor man die Lupe hervorholt oder die Lampe und unter Umständen der darin enthaltenen Logik näher kommt. In beiden Konzepten ist es wichtig, das Spiel zu verstehen, weil man sonst gar nicht mitspielen kann, da man dem Irrtum erliegt, das Vorliegende sei die nackte Wahrheit, dabei ist es nur der gegebene Rahmen, in dem das sich entfaltende Drama stattfindet. „Spielen“ ist auch nicht dasselbe wie „spielerisch“, denn es gibt auch das bewusst oder unbewusst dargebotene schlechte oder grausame Spiel, und es gibt das Verletzen der Spielregeln, die den MitspielerInnen bekannt sind. Jedes Spiel hat Regeln, an die man sich halten muss, sonst läuft das Spiel aus dem Ruder und nimmt Beteiligten den Reiz am Weitermachen. Während einem im eigenen Wohnbereich noch  möglichst offen gespieltes Mogeln durchgelassen werden kann, hat es bereits im Casino keinerlei Platz mehr, obwohl in den meisten Spielen Bluffen nicht nur erlaubt ist, sondern zur Meisterschaft der Gemütsbeherrschung gehört. Überhaupt gehört zum guten Spiel auch die Menschenkenntnis, oder zumindest eine Fähigkeit der Einschätzung des Mitspielers, meist „Gegner“ genannt, den man studieren kann, damit man weiß, mit wem man es zu tun hat. Da man gewohnt ist, sich zu täuschen in vielen als präzise geglaubten Einschätzungen, kann gerade das einen zu einer Erhöhung der Wachsamkeit führen. Nun ist es nicht ratsam, im lebendigen Vorgang, der ja auch den Regeln des Spieles unterliegt, die Menschen, denen man begegnet, als HerausforderInnen oder GegnerInnen zu sehen. Doch man ist gefordert, sich selbst als SpielerIn auf dem Feld zu sehen und die Züge, die einem möglich sind, zu reflektieren und immer wieder neu zu entscheiden, welche Route man nun wirklich einschlagen will. Bei Spielen, die man zuhause spielt, kann man sich schwereloser beobachten, wo noch etwas Nachholbedarf ist, eben wenn einen die unnachgiebigen Spielregeln einholen und man das Ergebnis akzeptieren muss. Bei großzügigem Zulassen von Fehlern kann einem auch mulmig werden, wissend, dass man sich über das eventuelle  Gelingen nicht wirklich freuen kann. Matrix und Maya haben insofern Ähnlichkeiten, dass beide ein illusorisches Spielfeld darstellen, das oft als erste und letzte Realität gesehen wird, aber keines von beiden ist. Fakt ist, dass jeder Mensch, der es durch den Kanal schafft, auf das Spielfeld geworfen wird, und dagegen haben auch Philosophen gezetert. What to do? Man ist da und muss sich umschauen, wie die Sache für einen läuft. Das Einzige, was ich letztendlich erleben kann, ist die Art und Weise, wie ich es sehe, denn nur dadurch kann ich eines Tages auch die Sichtweise der Anderen erkennen und einschätzen. Immer geht es ums Ganze, denn Leben und Tod haben keinen getrennten Auftritt, sondern finden immer gleichzeitig statt. Eine Illusion stirbt, eine neue wird  geboren. Warum Illusion? Weil die im Spiel angelegte Täuschung nicht zu verhindern ist. Und es bleibt einem selbst überlassen, ob es in der eigenen Vorstellung oder gar auf dem eigenen Weg einen Kern gibt, bei dem man ankommen kann oder ihn erkennen als sich selbst, wo sich infolgedessen Schleier und Masken verziehen und einen im Genuss der Betrachtung zurücklassen. Ich wiederhole hier nochmal in anderem Kontext, was der Häuptling (Dominique Rankin) gesagt hat: Akzeptiere, und du bist frei.

Dunkelblüten

Das gefiel mir immer an den indischen Göttern, dass die dunklen Kräfte auch integriert waren wie eben Shani Dev, der Samstagsgott, der zu seinen schwarzen Basaltgestein lockte, wo niedergelegte Hibiskusblütenkelche wirkten wie geopfertes Herzblut, was es auch war. In flackernden Ölkelchen brannten die Flammen der Angst, denn es war der Gott Saturn, der Angst einflößte, die dann dort auf den pechschwarzen Fliesen Ausdruck finden konnte. Frauen durften da nicht hoch auf Podium, man fand sie nicht kraftvoll genug, meinte ein Priester, um dem wilden Kerl standzuhalten oder gar paroli zu bieten. Ich tat, was ich konnte und entfernte heimlich das „nicht“ vom Erlaubten, denn fast täglich kam ich auf meinem Weg dort vorbei, sah aber nie eine Frau wagen, was irgend einer verboten hatte, es wäre viel zu gefährlich gewesen. Auch für mich wäre es das Aufenthaltsaus gewesen, erwischt zu werden mit Klebstoff und einem Stück Plastik, das die Mönche der Bruderschaft, mit der ich einst verbunden war, später wieder abkratzen mussten, als sie merkten, dass durch die Auslöschung eines einzigen Wortes ein Verbot seine Wirkung verloren hat. Ja, sich gar in sein Gegenteil verwandelte. Frauen hätten eben dadurch, wenn sie das gewollt hätten, hoch aufs Podium steigen können und dort von mir aus eine Hibiskusblüte hinlegen. Es käme darauf an, was innen in ihnen vor sich gegangen wäre. Würde es als ein Akt performt werden, um sich grundsätzlich von patriarchalen Vorschreibungen zu verabschieden, könnte  der mutige Gang als begleitendes Ritual zur persönlichen Befreiung dieser einen Facette dienen, und das sehr gut. Zum Beispiel als das Beenden unangemessener Andacht, da durch das Schüren der Angst vorgekaugelt wird, dass Menschen sich dadurch zum Guten wenden könnten. Samstags triefte also das Öl über den Fußpfad hinweg, sodass man leicht schliddern konnte. Vor allem wenn man wie ich speziell darauf achtete, ob das „nicht“ noch gut bedeckt war oder schon wieder abgekratzt. Oder habe ich nur ein bisschen Heimweh nach all dem, was für mich in Indien auch als eine gute Dosis Humor immer zur Verfügung  stand, den ich auch gerne den kosmischen Humor nannte, weil man am eigenen Lachen hörte, dass man aufgegeben hatte so zu tun, als verstünde man das, was man erlebte, und das war nicht immer der Fall. Montag war Shiva’s Tag, Dienstag gehörte Hanuman, dem Affengott, Mittwoch strömten viele Einheimischen zu Ganesh, dem Tempel des Elefantengottes, Donnerstag ehrte man die, von denen man was Wesentliches gelernt hatte, und Freitag hatte man eine Lücke für die Friedensgöttin geschaffen, und viele Frauen pilgerten hinaus in die Wüste, wo Santoshi Mata wohnte. Wer am Sonntag dran war, weiß ich gar nicht, vielleicht aber alle. Da so unglaublich viel aufgebaut wird zwischen Menschen und dem, was sie als „göttlich“ empfinden möchten, fand ich es angenehmer, von vielen unterschiedlichen Kräften umschwirrt zu sein als von einem, der für alles verantwortlich sein soll. Also jemand, der es irgendwie hinkriegt, das Angemessene zu leisten, obwohl natürlich auch den Göttern ziemlich viel widerfährt, was dem Menschlichen verdammt ähnlich ist, eben diese sehr alte Geschichte mit der Henne und dem Ei. Auch war es interessant zu sehen, welche Gottheiten die indischen Kinder selbst wählten, denn sie konnten wählen. Meist war es Krishna, dargestellt in vollendetem Kitsch, klein und fett und gierig nach Milch, günstigerweise direkt aus dem Kuh-Euter, die hilflose Mutter gütig lächelnd über den bösen Buben.

natürlich


Lob des natürlichen Auges
Gerade noch habe ich es dem Salat entrissen und mir dadurch ermöglicht, es ein natürliches Auge zu nennen. Ich benutze das Wort „natürlich“ sehr selten, und auch die Rote Beete Scheibe hat nichts davon, wenn ich sie lobe, denn nur mich verblüfft sie  (wieder einmal) durch ihre Strahlkraft und diesen hervorgereiften Kern, als Kreis oder eben als Auge zu sehen. Dass Früchte und Gemüse Eigenschaften besitzen, die ihre VerzehrerInnen in Andacht stürzen können, habe ich vor allem in Indien gelernt. Dort ist mir eigentlich so ziemlich alles, was man vor dem Ausbruch der Fast Food Revolution an Nahrhaftem zu sich nehmen konnte, als „holy“ deklariert worden. Schon das intensive und gekonnte Kneten des Teiges weist auf das sich Gebärende hin und wird hier, direkt über dem Feuer und vor dem eigenen Auge, zum Planeten, immer gleich und doch immer anders, sodass man die dazu auserwählte Frau des Haushaltes geradezu verehrt hat, indem man sich auf sie bezog (ich nicht!) als die Hervorbringerin dieser zyklischen Vollkommenheiten. Ich hab’s ein paar Mal versucht, meine Formen erinnerten eher an illegale Ausuferungen, aber ein waschechter Hindu isst eh ungern von Fremdlingen, egal, wie eingeheimscht man empfunden wird. Das hat prächtig mit mir übereingestimmt, fern angesiedelt wie ich war von dem Wunsch, durch zwanghafte Natürlichkeit glänzen zu müssen oder gar zu wollen. Früh grübelte ich über den Satz Nietzsches nach, die Natur müsse überwunden werden, und meinte vermutlich die eigene, die genauso sprießen und überwältigen und vernichten kann wie der Mensch, der allerdings ein Instrumentarium zur Verfügung hat, mit dem seine Anlagen zu handhaben und zu begleiten sind, sodass man eines Tages unter günstigen Umständen sagen kann, man sei d e r  Mensch geworden, der oder die man sein wollte. Hat sich herausgelockt und hineinbegeben ins Getümmel des Dramas, bis ein paar Dinge, die einem ganz persönlich klar wurden, zu Hinweisen und Richtungen führten. Auch in der Yoga-Ausbildung war es üblich, ganz speziell die Nahrung zu ehren. Es gab ein System mit vier unterschiedlichen Aufteilungen gemäß der Berufe und Berufungen und der damit verbundenen geistigen Einstellungen. Oder ein Granatapfel wurde geehrt, weil man seinen Inhalt mit mehreren teilen konnte. Das alles war dann mehr oder minder schlagartig zu Ende, und niemand hat Zeit, bei aller Freude am Neuen, das Verlorene zu betrauern. Ich selbst habe mich nie als natürlich empfunden, weil ich nie wirklich verstanden habe, was damit gemeint ist. Ich kenne Menschen, die ich als natürlich empfinde, aber da verstecken sich schon die Finger einer einzigen Hand. Was haben sie nur, diese Wenigen, was man so oft vermisst bei anderen Begegnungen. Darüber werde ich selbst noch nachdenken. Denn wenn Liebe der Raum ist, in dem Natürlichkeit sich entfalten kann, dann öffne ich mich auch gerne diesem Ungewissen, das man nur erfahren kann, wenn man ganz und gar anwesend ist. (Was weitere Fragen aufwirft).

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Sommer – langer Gedankenstrich.
Verlorenes Recht auf Grün?
Staunen am Rande des Menschenteichs.
Tiefe durch Farbe und Spiel.
Auch in den freieren Zonen der Welt
bilden sich Leid und der unersättliche Hunger
als Weg. Ich gehe mit Flügeln durch die Gärten
des Holodecks in der Liebe, die einen
Zustand bildet und frei ist von Wunsch
oder Warten. Als endlich wieder Sommer war,
und alle im Verdruss des großen Weltproblems
(Verbindung zwischen Mensch und Mensch)
erstarrten. Egal, wie man es sieht:
es können trotzdem immer nur die Wenigen
erhellt im Unergründlichen nach Hause gehen.