…bis jede/r…

Der vollständige Satz steht auf einer Karte und lautet ‚…bis jeder Käfig frei ist…‘, ein einleuchtender, wunscherzeugter Satz, von dem man weiß, dass er zwar zum Scheitern verurteilt ist, aber dennoch in bestimmtem Kontext seine Berechtigung hat. Erst nach der bewussten Aufnahme des Satzes habe ich gehört, dass er von einem veganen Unternehmen stammt, wodurch man verstehen kann, dass hier u.a. gewünscht wird, dass jede/r genug ergriffen wird vom entmenschlichten Umgang mit Tieren, dass man dadurch handlungsfähig wird, eben aufhört oder eingreift, oder sich überhaupt mal Gedanken macht, wie man das eigentlich sieht, was da alles in der Gesellschaft als normal deklariert wird und behauptet, man können ohne doch gar nicht leben. Ohne Fernsehen. Ohne Fleisch. Ohne Geist-und Tierquälerei also. So muss man es ja nicht sehen, aber man kann. Ein paar Millionen zerschredderte, männliche Küken weiter. Oder einfach nach ganz viel unnötig Gequältem weiter, und da verschwindet ja auch oft die Grenze zwischen Tierischem und Menschlichem, denn auch Tiere werden grundlos entwertet, so als könnte man sie tatsächlich benutzen als eigenen Stimmungsbarometer (Du siehst aus, wie ich mich fühle). Nein, du kannst eben nicht aussehen, wie ich mich fühle, und in diesem Fall ist es nur ein Unterhaltungsblatt in der ‚Zeit‘, wo es einem Tier zugemutet wird, dass es so aussähe, wie ein Anderer sich fühlt. Heimatlos und fremd driften wir durch das Allgebäude, an dem wir die Dehnbarkeit oder die Schwingkraft unseres Geistes praktizieren (können), und allein damit hätte man schon sehr viel zu tun, wären da nicht noch die vielen Unruhen, die einen meist heimlich beschäftigen wie der für uns alle immer näherrückende Tod, überraschend in seiner Vorgehensweise, sodass wir keineswegs davon ausgehen können, wann u n s der Ausklang ereilt. Das Finale der großen Symphonie, die Bedeutung des ersten und letzten Tones, der den eigenen Kreislauf erst einläutet, dann abrundet. Und ob einen das was angeht, wenn in einer Kultur, die sich für entwickelt hält, Tiere (und Menschen) in unvorstellbarem Ausmaß gequält und vernichtet werden, und man einfach nicht mehr hören möchte, dass es schon immer so war, wo man es doch für möglich hält, dass jeder Käfig von jedem und jeder verlassen werden kann. Denn die Informationen sind da, das Wissen ist erhältlich, die Meister der psychischen Vorgänge sind genau so auffindbar wie die Wiederkäuer unsterblicher Weisheiten . In der vor allem im indischen Wissen aufgetauchten Idee eines ewigen, sich selbst in Schwung haltenden  Kreislaufes wird allerdings erwähnt, dass das zur Zeit auffallende, massive Gewusel körperlicher und geistiger Bewegungen es immer schwerer macht, Einfachheit und Klarheit als bedeutungsvoll zu erfahren. Und für diejenigen, die tatsächlich daran interessiert sind, sich selbst zu begegnen, ist es eine gute Nachricht, dass es immer wieder jemandem gelingt, den jeweiligen Käfig zu verlassen und der Behinderung der Beflügelungen entgegen zu wirken.

abgelegt


Die Untauglichkeit abgelegter Masken
Was heißt hier abgelegt, oder wenn ja, w a s abgelegt? In der Krise muss so vieles erzwungenermaßen abgelegt werden, sodass eher der Hunger bedacht werden kann, mit dem man etwas zurück möchte, durch das man sich beraubt glaubt, oder auch wirklich ist. Eine Frau (es war Nora Gomringer) meinte in einem Interview, ihr fehle vor allem das Kino, was mich wiederum überrascht hat. Ich fühle mich da nach wie vor verbunden mit dem sokratischen Gedanken (oder was man für seinen hält), dass es eben sehr vieles gibt, was man nicht wirklich braucht, und dass diese Einstellung ganz im Gegensatz zur beengenden eher eine befreiende Wirkung hat bzw. haben kann. Und wenn man die Spinnweben moralischer Standards, sofern vorhanden, mal abgebaut oder nie aufgebaut hat, heißt das ja nicht, dass es automatisch zu unmoralischem Handeln führt, was auch immer man darunter versteht. Es kommt vielleicht mehr darauf an, ob man für sich selbst ein guter Mentor ist oder eine gute Mentorin. Und so ein globaler Notfall wie die Pandemie eignet sich doch vorzüglich für das, was als Einfachstes deklariert, aber auf der Ebene des mühsam zu Erringenden im Menschen angelegt ist. Höhe jetzt nicht als die unerreichbare Zumutung eines Heiligenscheins gesehen, nein, sondern eben das Einfache an sich, das immer einer Hinterfragung würdig ist. Die uralten Fragen eben, die sich täglich als neugeboren empfehlen, was das eigene, persönliche Dasein unter Menschen betrifft, und was sie mir bedeuten, und wie ich sie wahrnehme, und ob ich sie überhaupt wahrnehme, oder n o c h wahrnehme, obwohl ich schon so lange mit ihnen lebe. Und draußen, denn es gibt ja noch ein Draußen, sind sehr viele von ihnen. Und man empört sich gerne darüber, wie die so sind, und sie könnten einen auch wirklich aus der Spur hebeln, hätte man daraus nicht schon eine Art Furche gemacht, also ein Fahrwasser, dem entlang man mit eigenem Kompass fährt. Nicht, dass dann die Gefahren überwunden sind, nein, sondern da fängt es ja gerade erst an, herausfordernd zu werden. Einerseits hat man sich trainiert in den Schutzmechanismen, und nach wie vor rate ich  Müttern zuweilen, ihre Töchter in Martial Arts Trainings zu schicken, da kann schon eine Menge Angst wegfallen. Aber Gefahren drohen ja immer, man kann auch den Verstand verlieren oder mit Lügengebäuden Wucher betreiben. Oder sich gänzlich abwenden vom Anspruch des Menschseins, wofür man wiederum den Anspruch für sich selbst formulieren muss, denn dann erst wäre er einsatzfähig und wirksam. Das haben wir auch mit (zum Beispiel) der Frau Kanzlerin gemeinsam, eben dass wir davon ausgehen können, dass sie tut, was sie kann, und das tut sie, und wir tun das auch. Selbst, wenn ich in meinem Refugium die Lage anders reflektiere. Nur sehe ich immer wieder, dass mir nur ein einziger Schalthebel wahrlich verpflichtend, oder besser ‚angemessen‘ vorkommt, und das ist der, der in meinem System zur Verfügung steht. Konfrontiere ich durch meine Navigationsfähigkeit Wellen und Stürme und habe gelernt, die Spitzen der Eisberge rechtzeitig zu erkennen, dann  weiß ich wenigstens, wer geschaltet hat. Und weiß auch, dass nach stürmischer See wieder Ruhe eintritt, oder das ruhige und gelassene Auge im Wirbelsturm schon anwesend und wachsam ist.

Ever given

Man kann doch nicht leugnen (doch, kann man, wenn man möchte), dass das mit Gütern vollgepfropfte Container Schiff, das im Hals des Suez Kanals stecken geblieben war und weitere 350 Schiffe hinter sich blockiert hat/te, sich symbolisch bestens eignet, entweder für eigene oder auch für Weltzustände. Es gab ja zu Beginn der sich langsam enthüllenden Problematik für die ersten Kapitäne eine Möglichkeit, umzukehren, um den zeitaufwendigen  Umweg zu fahren, also ein Risiko einzugehen, das man einschätzen können muss und sich unter Umständen verrechnet. Denn wäre die Entblockung schneller vorangegangen, wäre der Zeitaufwand und die vielleicht schnell zu transportierende, verderbliche Ware als Fehler auf den Schultern des Entscheiders gelegen. Eine vielleicht nicht ganz persönliche Entscheidung, die aber mitgetragen werden muss. Nun erfahren wir auch, dass dieses riesige Blockierteil den Namen ‚Ever given‘ trägt. Bestimmt gibt es dazu eine Anekdote, wo jemand jemand anderen für immer etwas gegeben hat oder geben wollte, wobei es sich eigentlich als ‚jemals gegeben‘ übersetzt und solchermaßen als Frage tauglich wäre. Jemals gegeben? Auf jeden Fall gibt die ‚Ever Given‘ jetzt den Weg frei, und der ganze Vorfall prägt sich in die Memoiren der Lebenden ein wie die zerberstenden Substanzen der New Yorker Zwillingstürme. Man lernt dadurch, was alles möglich ist jenseits der eigenen Vorstellungskraft. Allerdings hatte ich auch einmal die Erfahrung, dass in mir nicht alles, aber etwas zerbrach oder barst, und selbst heute noch kommt es mir in Erinnerung so vor, als hätte es sehr lange gedauert, bis die Atome wieder eine Ruhe fanden. Es sind Angebote und Möglichkeiten der Veränderung. Dann sind wir auch Spieler und können so tun, als wühle uns etwas so richtig auf, aber dann kommt etwas, was wirklich aufwühlt, dann kennt man den Unterschied. Und es ist sicherlich zu beobachten, dass sich Menschen  in Notfällen mehr in die Augen schauen, das kann verschiedene Gründe haben und ist mit Maske sicherlich noch einmal eine extra Herausforderung. Vielleicht sucht das Auge nach Resonanz, nach Verbindung, denn einerseits ist man allein in der Not, und andrerseits eben nicht. Es kommt auf die Qualität der Verbindungen an, oder auf die Fähigkeit, im richtigen Moment die erleichternde Eingebung zu haben. Oder das Interesse an der Komplexität menschlicher Verhältnisse, die zu tieferem Verständnis führen kann, aber nicht muss. Und jetzt noch ein härterer Lockdown für eine als ’neu‘ benannte Pandemie. Mal sehen, wieweit das Spiel noch den Regeln entsprechen kann, oder ob sie nicht eines schönen Tages außer Kraft gesetzt werden müssen, oder gar sich selbst außer Kraft setzen.  Und es ist ja nicht s o, dass, nur weil Ever Given wieder frei geworden ist, nun alles friedlich im Strom weitergleitet.. Nein, es hat Folgen, manche Resultate sind sogar vorhersehbar. Bei aller Reichhaltigkeit des Ungewissen, (natürlich).

 

Jiddu Krishnamurti

Jiddu Krishnamurti | S. Fischer Verlage

Dem Verstehen und dem Verstandenwerden den gleichen Wert beizumessen ist ein Fehler; denn das eine ist schöpferisch, während das andere nur befriedigend ist. Das Verstehen kommt in den schöpferischen Momenten, und wenn diese selten und in großen Abständen kommen, dann suchen die Gedanken Ermutigung von der Umwelt. Je mehr sie Ermutigung und Befriedigung von außerhalb suchen, umso seltener werden die freudigen Momente der Schöpfung.  Je mehr wir durch Menschen abgelenkt werden, durch Vergnügungen, durch Trinken, durch die vielen Mittel, die Selbstvergessenheit bewirken, umso schwächer wird der konzentrierte, schöpferische Moment, in dem ein Verstehen ist. Dieser Moment wird nicht wiederaufleben, wenn man einen Wechsel der Szene oder der Umgebung sucht, was nur eine Ablenkung ist. Und während ein solcher Wechsel vorübergehend und oberflächlich belebend wirken mag, stellt sich diese unverminderte Realität, die Freude der Schöpfung, nur ein, wenn alle Ablenkungen, innere wie äußere, verstanden und damit transzendiert werden. Dieser Moment ist der Höhepunkt des negativen Verstehens, denn das Ungeschaffene ist immer neu, immer lebendig. Der Geist sucht verstohlen und listig einen sicheren Hafen zu erreichen, einen Ruheplatz, die Befriedigung, sicher zu sein. Doch nur im Moment der großen, bedingungslosen Unsicherheit, des tiefen Stilleseins, kommt das Verstehen.

Dick und Doof

Das Video wurde mir gestern zugespielt, und ich legte gern das bunte Bildlein zur Seite, das für den Platz gedacht war, um mich an den schlichten Schöpfergaben zu erfreuen, die zwischen Bild und Wort stattfinden können. Wie oft kann man zum Beispiel Lachen als unangebracht empfinden, und dann es wiederum an Orten auftauchen sehen als eine Überlebenskraft, vielleicht oft die einzige, die geblieben ist, (auch) im Angesicht eines wahrscheinlichen Todes. Oder man ertappt sich bei festgezurrten Überzeugungen oder hat sich erfolgreich hineinmanipuliert in eine Spielform, die einem gar nicht gut tut. So etwas kann Jahre dauern, bis wieder ein herzliches Lachen d e n Raum gefunden hat, den es braucht für seine Existenz, die ja oft mit befreiender Wirkung verbunden wird, vor allem natürlich das herzliche Lachen, das aus der Tiefe steigt und beschwingt über einen hinauswächst. Ich selbst habe nie einen Dick und Doof Film gesehen, finde aber diesen Ausschnitt, wie gesagt in Kombination mit den gewählten Worten, herrlich gewählt. Auch ein anderes Bild, das in der Welt gerade die Runde  macht, dient dem Geist als Zündstoff des Absurden, dessen Eigenschatten sich auf vielerlei Ebenen ausdrücken: ein Containerschiff, vollgeladen mit woanders Gebrauchtem, blockiert den Hals des Kanals. Die Wirkung ist nicht nur für Laien schwer einzuschätzen. Noch zuckt es in den Anfängen dem einen oder anderen Schiffscontainerkapitän durch den Kopf, das Eigene noch zu wenden und den längeren Umweg anzupeilen, da sind es schon zu viele, die deswegen nicht mehr umkehren können. Alle glauben jeden Tag aufs Neue, das Ganze muss doch bald aufhören, da hört es aber gar nicht auf. Oder es hört so spät auf, dass sich bereits eine andere Sicht auf die Dinge durchgesetzt hat. Auf jeden Fall muss damit umgegangen werden, dass der Weg nicht mehr frei ist. Man selbst kennt diese Irritation schon bei kleinen Anlässen, wenn das Licht vor der Zugschranke eben nicht mehr gelb ist und man genau die paar Minuten da herumhängen muss, die einen hätten pünktlich ankommen lassen am Ziel. Diese seltsamen Bewegungen an der Oberfläche, die keinem wirklichen Grund entsprechen, eher einer Unruhe, die glaubt, dass etwas sein könnte, was es gar nicht ist. Wichtig, wesentlich, bedeutsam. Die wohlklingende Note des Wesentlichen erklingt wohl erst, wenn man die notwendigen Fahrten und Irrfahrten hinter sich hat, die einem langsam aber sicher beibringen, wie und wodurch die eigene Bewegung entsteht. Das querliegende Containerschiff bietet ja gerade die Gelegenheit, den Tatsachen ins Auge sehen zu können oder zu müssen. Womit man wieder allein ist, weil man die Fahrtrichtungen der Anderen gar nicht kennt, oder nur so ungefähr. Aber es ist auch wahr, dass einen keiner davon abhält, ein Leid gemeinsam zu bewältigen, oder sich von herzlichem Lachen anstecken zu lassen. In dem Fall gehen die Rosenblüten an Dick und an Doof.

anblicken

Ich weiß ja nicht, und kann es gar nicht wissen, wie viele Menschen die Erfahrung kennen, auf einmal irgendwo hinzustarren, wo etwas, was eigentlich gar nicht sein kann, doch da ist. Ein griechisches Profil in einer Bettlakenfalte, ein einprägsames Antlitz, das einen vom Brotbelag her anblickt, sodass man nicht mehr zubeißen könnte, hätte man der Form einen Namen gegeben. Ganz zu schweigen von bestimmten Tagen, sch(m)erzhaft von mir die SeherInnentage genannt, wo entweder dichte Wolken über den Himmel ziehen, in denen turbulente Welten sich abspielen, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat und auch nie sehen wird. Oder die bis ins Mark erschütternden Monsoonwände, auf denen das Sehen zur Schweigepflicht wird. Man will ja nicht Märchentante sein, obwohl es z.B. in Indien seherisch kaum Grenzen gibt , das kann auch geistig zu befreienden Momenten und bestenfalls zu befreiendem Lachen führen. Irgendwann wird einem auch klar, dass jeder harmlos auf das Gesehene gestreckte Finger nicht bedeutet, dass man gemeinsam in den Wolken oder auf Wänden (z.B.) Sokrates und Vergil in neuer Komposition auf einem Streitwagen durch die Weltmeere navigieren sieht, nein, denn jeder sieht, was er oder sie will, oder muss oder kann, und auch die Quantenphysik hat nicht geholfen, das Bewusstsein auf die Qualität der gedanklichen Substanz zu befördern, oder zumindest ein Interesse am eigenen Wahrnehmungsvorgang zu entwickeln. Und klar, wieweit ein zerknülltes Papier einen Geist anregen kann, steht nicht in den Sternen geschrieben, und auch die Sternenschrift ist ein Produkt der Vorstellungskraft. So schien mir das Symbol der Zerknüllung gut geeignet, den bereits als historisch deklarierten Augenblick meinerseits zu dokumentieren, in dem Angela Merkel den als gefährlich erfassten Kipp-Vorgang des Corona Prozesses noch einmal auffangen konnte mit ihren hohen diplomatischen und menschlichen Fähigkeiten. Das wird zumindest bei allem entstandem Schaden einen Moment überdauern, bevor die Notlage vermutlich weiter eskaliert. Das so gerne als vertrauensselig Empfundene wird erschüttert, dabei führt es doch geradewegs zur eigenen, persönlichen Einschätzung, ohne die alles wie ein von Anderen abgekartetes Spiel  erscheinen muss, in das man widerstrebend verstrickt wird. Wird  man ja auch teilweise, Hauptsache, man kann es weiterhin für sich einordnen und marschiert nicht irgendwo mit in Gruppen, die man für Gleichgesinnte hält. Vielleicht muss man bald doch eine Weile den inneren Projektor abstellen, oder sich mit erhöhter Aufmerksamkeit um d i e Art der Programme kümmern, die man sich zumuten möchte. Schließlich sind nicht nur die Lebendigen unterwegs, sondern auch die Toten, und auch bei ihnen muss man sich entscheiden, an wen man sich wendet. Kann sein, dass das in Zeiten, in denen massiv getextet wird, noch wesentlicher wird. Eben das Wesen selbst, mit dem man sich verbindet oder verbunden fühlt.

Mehr noch

Mehr noch als die Erde spricht
uns das Wesen vom Wunder,
das alle Dinge bewegt.
Wir streifen umher mit unserem
Zeugen-Selbst inmitten der
ungeheuren Verschwiegenheiten.

kippen

Was meint man, wenn man (auch) das Gefühl hat, dass etwas kippt? Ich konnte diese Bemerkung einer Moderatorin jedenfalls innerlich bejahen, denn ich hatte auch das Gefühl, dass eine schwer zu benennende Unruhe sich in das globale Bewusstsein einschleicht oder schon eingeschlichen hat, nicht aus einer einheitlichen Quelle, sondern aus vielen Quellen gespeist, die wiederum ein Thema haben wie ‚was wird aus uns nach diesem Abgeschiedensein, dieser Kontaktbeschränkung, diesen Zwangsauflagen‘ (u.s.w.), wenn eines Tages, der ja kommen muss (?), das andere Leben wieder vorherrscht, das sich in der Zwischenzeit allerdings genauso gründlich gewandelt hat wie wir, in inneren und äußeren Zoomkonferenzen beschäftigt. Und immer wieder mal ein Entstauben und Schleifen der Navigationsinstrumente, und ein Entschärfen des Sprachapparates, denn  wer wollte behaupten, er oder sie seien immun geworden gegen die Wirkung des subatomaren Stromes. Und nach wie vor, oder besonders in einer Krise, kommt es an auf den Blick, den ich auf die Vorgänge lege, und wo oder wie etwas Aufgenommenes mich förderlich beeinflusst, und wo nicht. Man muss nicht zuschauen, wenn Andere in Leid verwickelt sind, außer man hat etwas damit zu tun und kann sehen, wo Begleitung hilfreich sein kann. Aber wo kippt es? Wenn die Kinder vom Staat erwarten, dass sie es besser machen und den einleuchtenden Kompass vorführen, dann sind sie irgendwann enttäuscht, weil die nun zu ‚Oben‘ Deklarierten nicht richtig funktionieren. Stimmt, wie sollen sie, sie rätseln ja auch herum mittendrin in der Misere, und überall brennen die Räder der Streitgespräche. Da man einander braucht, hält man die Zungen im Zaum. Oder nicht, und auf einmal läuft das halbe Volk auf den Straßen und wehrt sich gegen das Vorgeschriebene. Dann fängt das Gebilde an zu kippen. Ist ja alles (nur) Konstrukt, das von KonstrukteurInnen dekonstruiert werden kann. Und tue das, wer kann. Neulich haben wir ein Poster mit Sprüchen vom Dalai Lama geschenkt bekommen (erfrischend klug und weise), wovon einer sagte, man solle die Gesetze gut lernen, damit man sie angemessen brechen kann. Natürlich muss man die Situation einschätzen lernen und kann blitzschnell naiv werden, wenn ich meine, ich müsste Maskenlosigkeit demonstrieren. Wenn etwas bereits am Kippen ist, kippt es meist unaufhörlich und kann zu allerlei extremen Resultaten führen. Ein gutes Gegengewicht (soweit),  verfügbar, ist die Gelassenheit. Ein gewisses Distancing zum Sensationellen. Ein Erkennen der menschlichen Vorgehensweise, wenn auch medial  beleuchtet auf Flatscreens, die wegschauen kaum mehr erlauben Man selbst vielleicht der Betrachter u n d die Flatscreen. Wo und wodurch findet Kippen bei m i r statt. Und wo befinde ich mich n a c h dem Gekipptsein. In meinem Erinnerungssektor taucht zuweilen der Satz auf, der hier als Fluch gemeint ist und dadurch erst verständlich wird und zu erfrischtem Grübeln anregt: ‚Mögest du in interessanten Zeiten leben‘. Vielleicht befinden wir uns nach dem Kippen in einem abgeriegelten Weltprogramm, in dem Freiheit gleichermaßen relativ ist wie Gefangensein. Aber war das nicht immer so?

vorgehen


Die menschliche Tragödie
Eindeutig gibt es Momente, wo einem das Lachen nicht nur vergeht, sondern es findet sich keinerlei Anlass für heitere Gedanken. Obwohl man auch sagen muss, wenn ich so innerlich herumschaue auf das in der Welt Performte, dass mir kein Thema einfällt, das ein komödientenhafter Geist nicht in Schatten und Licht verwandelt hätte. Auch über das Meistgefürchtete, nämlich das Erlöschen der eigenen Existenz, gibt es treffliche Scherze. Ein tiefgreifender Ernst erzeugt sofort ausgleichende Leichtigkeit. Und sicherlich mussten sich in Trauerversammlungen schon viele Menschen zurückhalten, als sie sich erinnerten und die Mundwinkel automatisch hochgingen und im Schmunzeln landeten oder im Lieben. Man leidet ja nicht wirklich unter den charmanten  bis düsteren Schwächen  des Menschengeschlechts, sondern eher unter den Auswüchsen, die sich besonders in angespannten Zeiten breit machen. Ich baue gerade so ziemlich nebenher meine verbleibenden, sympathischen Fäden zum amerikanischen Geist ab, und es ist auch nicht das erste Mal, dass ich ein Land geistig und körperlich verlasse. Hier hätte ich gerne ein geräumiges Raumschiff zur Verfügung, um ein paar mitnehmen zu können, die noch andere, ferne Welten kennen lernen oder einfach raus aus der Misere beamen möchten. Ich nehme mal an, dass es in den meisten amerikanischen Häusern Waffen gibt, das muss man sich mal vorstellen. Wie kann man es Mordlustigen so einfach machen, könnte man sinnieren, obwohl man weiß, dass auch hier bei uns (in D.) entschlossene Mörder zu Waffen kommen, vielleicht nicht ganz so leicht. Und an diesem Punkt kommt es einem doch wie Wahnsinn vor, so vielen menschlichen Gehirnen zuzutrauen, dass sie sich selbst die notwendigen Richtlinien geben können, die vor größerem Unheil schützen. Und es stimmt auch, dass am Kernpunkt aller Tragödien Spieler und Spielerinnen gleichermaßen massiv ausgerastet sind, immer aus ähnlichen, bis heute nachvollziehbaren Gründen: Ein falsch verstandener Satz, ein verlorener Faden im Labyrinth, eine grundlose Lust auf Intrige, ein Zu-kurz-kommen am vermeintlichen Quell, eine Unschärfe in der Beobachtungsweise, ein In-Gedanken-verloren-sein. Woanders sein als da, wo man ist, und es dadurch für d a s halten, was es gar nicht ist. Nur, was ist es. Heute früh habe ich in den Nachrichten gehört, dass in Colorado schon wieder ein Massaker stattfand, da kommen einem 10 Menschen sehr viel vor. Oder zweihundert Bischöfe, die namentlich genannt werden in der katholischen Schrift wegen Missbrauch an Kindern, oder waren es Jugendliche, oder waren es Erwachsene. Auch die Opfer vom Schrebergarten werden namentlich nicht genannt, damit sie fortan geschützt bleiben können. Und ja, es ist spät. Oder kann man das Zeitgeschehen weiterhin ‚rechtzeitig‘ nennen? This is human nature, sagte Anil zu mir am Telefon. Tonnen von vergifteten Blumen (für die Götter) aus den Tempeln verpesten den heiligen Ganges, selbst als Göttin gesehen, und vielleicht ist der einzige Unterschied zu früher tatsächlich die Qualität der Materie. Eine vergiftete Blume ist keine natürliche Blume mehr. So spielen wir im fünften Akt bewusst oder unbewusst die Wissenden von den ‚Blumen des Bösen‘ (Charles Baudelaire) und sind aufgerufen, Entscheidungen zu fällen, die uns selbst betreffen und die persönliche Vorgehensweise im Spielraum.

nachhören

Natürlich lebt ein interessantes und gleichzeitig lehrreiches  Drama von der Verschiedenheit und Dynamik seiner Charaktere. Auch im Kasperletheater wird ordentlich draufgehauen, wobei es ja auch eine Erzählkunst gibt, die auf ein sogenanntes gutes Ende hinstrebt, ohne kitschig zu sein. Eine hauptsächlich im Orient vorkommende Idee kann einleuchten mit dem Gedanken, das planetarische Leben unterliege den zyklischen Gesetzmäßigkeiten, die man selbst zur Genüge beobachten kann. So stimmt es ja in diesem Sinne, dass vieles, was sich heutzutage ereignet, schon in der Antike vorzufinden war, wenn auch in Atmosphären, die wir nicht mehr erspüren können. Aber wir wissen, dass es erhabenes Herumgrübeln gab und gepeitschte Sklaven gab es wohl auch, und natürlich viel Spekulation über alles und um alles herum. Und kann man wirklich sagen, dass das Bewusstsein sich zum großen Vorteil des Menschseins entwickelt hat? Einerseits ja, alles entwickelt sich unaufhörlich, andrerseits kommt es einem doch auch trostlos vor, dass es so aussieht, als würde es (das Bewusstsein), viel zu wenig genutzt, stattdessen vielerorts die Neandertalkeulen sich durchzusetzen vermögen, eben da, wo man sie durchlässt. Denn das Ganze ist ja nicht mehr wirklich eine ‚Göttliche Komödie ‚(Dante) zu nennen, wo ein erfahrener Mensch einen anderen begleitet, der es wissen will. Da kann durchaus viel passieren, wenn man das Glück hat, mit einer großzügigen und klugen Weltwahrnehmung beschenkt zu werden. Es geht auch um die Kunst der Kontemplation, das Knowhow also der Lebensführung. Was Menschen so herausgefunden haben über das, was sie interessiert im Hinblick auf ein ausgelichenes und von innerer Freude erfülltes Dasein. Genauso, wie es den interessanten Satz gibt über apokalyptische Zeiten, in denen Menschen sterben werden wollen und es nicht können. Vielleicht, weil die Technik zu fortgeschritten ist und keinen Grund hat, Widerstand zu leisten gegen den Ansturm dunkler und suchterzeugender Triebe. Wenn man nicht wüsste, dass man selbst, wenn auch auf lose Weise, darin gefangen ist, würde es einen gar nicht weiter betreffen. Aber s o betrifft es einen. Moria betrifft einen, und das zusammengeschlagene Gesicht einer alten, asiatischen Dame, die auf dem Heimweg war. Trump ist vorübergehend von den Bildschirmen verschwunden, und asiatische Menschen drücken ihre Angst aus ums Überleben. Der Hass, der sich Wege sucht. Es sind so viele, in denen sich der Vernichtungswillen Bahn bricht. Das steht im krassen Gegensatz zur Möglichkeit einer verantwortlichen Position dem eigenen Handeln gegenüber, die es immerthin ermöglicht, eine angemessene Entscheidung zu fällen. Es gibt kein System, das sich erkennen kann, ohne sich durch die eigenen Anlagen gearbeitet zu haben, also den Überblick über Archive und Schalthebel. Wo das Licht angeht, und wie es ausgeht. Es ist hilfreich, wenn man sich zutraut, der eigene Lehrer zu sein. Es ist ja nicht so, als wären die Anderen nicht ständig um einen herum. Denn in Wirklichkeit sind es für jeden Einzelnen immer die Anderen, die versichern können, dass man nicht steckenbleibt in der eigenen Inszenierung. Was man in jedem exzellenten Musikstück nachhören kann.

Dritte Welle


Dritte Welle

An einem der vielen Orte, von denen man hoffte während der Lockdowns eine gründliche Ordnung herstellen zu können werden, oder werden zu können, fand ich also ein zerknülltes Papier, in dem sich diese Augen befanden, die man im Bild effektiv eingesetzt sieht. Ungern sehe ich den offensichtlichen Zusammenhang zwischen (meinem) Bild und (meinem) Text, aber es kann natürlich vorkommen, dass genau d a s passiert. Die Augen habe ich einmal in einem indischen Bazaar erstanden, es war nicht leicht, denn ich musste erklären, Bleichgesicht, die ich bin, wozu ich sie zu gebrauchen denke. Natürlich hätte ich nicht mit Verständnis rechnen können, wenn ich  erzählt hätte, dass ich die Augen für eine Puppenspielerin besorge, wo man sie sich in allerlei Figuren vorstellen kann, je nachdem, wie man sie in Weite und Enge in Beziehung setzt. Aber ich wusste ja, was erwartet war und meinte, es sei für eine ‚Murti‘, also eine Gottheitenfigur, das öffnete das Tor. Natürlich nicht wirklich, denn wäre ich nicht schon über 30 Jahre fast täglich an dem Ladenbesitzer vorbeigegangen, hätte er sie mir vermutlich nicht verkauft, ließ er mich subtexttechnisch wissen. Es sind tatsächlich die Augenpaare, die meist von Priestern erworben werden oder den Künstlern, die verkörperte Gottheiten herstellen. Es sind also Gottheitenaugenpaare, und vielleicht sind sie noch nie in weltlichen Zusammenhängen angewandt worden. So stellt das Bild in gewisser Weise eine Uraufführung dar im weltlichen Bereich.  Das schwarze Tuch ist eine der schönen Masken , die man jetzt nicht mehr tragen soll, weil sie nicht medizinisch ist, also echter Stoff, und das Bild braucht noch einen Titel, nennen wir es mal: Die Dritte Welle. Das Bewusstsein macht einiges durch und erspürt angestrengt oder angeregt die verbleibenden Freiräume, in denen man sich selbst ein Bild machen kann. Den Text dazu kann man auch liefern. Die Anzahl der Welten, in die man geistig reisen kann, ist ja so gut wie unbegrenzt, was es nicht einfacher macht, sich für den Nu an sich zu entscheiden, da ich nur hier bei der Gestaltung bewusst teilnehmen kann. Wie gesagt: Es gibt niemanden, der berechtigt ist, ein Opfer von Anderen zu erwarten. Da, wo die Erwartung der Opferhaltung auf der Tagesordnung steht, verstummen die Gesänge, doch auch d a lernt der Mensch noch, wer er ist und wer er nicht ist, und was er oder sie dachte, was eigentlich gar nicht der Fall war, dafür aber anderes sich auftat. Vor ein paar Tagen hatte ich die Gelegenheit, ein Buch von Levinas irgendwo aufzuschlagen, um mir einen, wenn auch noch so flüchtigen, Einblick in sein Denken zu gewähren. Auf der aufgeschlagenen Seite sprach und sprang mich ein Satz an, sodass ich den Stift brauchte, um ihn zu notieren. Es ist einer der Sätze, die man zwar inhaltlich einigermaßen weitergeben kann mit dem, was man davon zu verstehen meint, aber es ist die Präzision des Satzbaus, die einem unwiderruflich etwas verständlich macht. Jetzt kommt der Satz. Er hat nichts mit der dritten Welle zu tun, ist aber a u c h nicht leicht zu erfassen. (Gerne).

Eine sinnvolle Welt ist eine Welt, in der es den Anderen gibt, durch
den die Welt meines Genusses Thema wird, das eine Bedeutung  hat.
(Emmanuel Levinas)

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Irgendwann einmal waren wir zu zweit unterwegs und landeten, aus welchen Gründen auch immer, vor dem Kölner Dom. Irgendwas wichtiges Kirchliches war da im Gange, und eine große Menge der Gläubigen, wie man sie halt gerne (genderfrei) nennt, strömte vom Inneren der Kirche hinaus auf den Vorplatz. ‚Dort‘, wurde mir noch rechtzeitig vermittelt, denn auch wir hielten inne und schauten, ‚das ist Kardinal Wölki‘. In dem Wunsch, etwas aufzunehmen, was mir bis dato unbekannt war, streifte mein Blick über die aufwendigen Gewänder, Wölki in so einem Dress mit schöner Spitzenarbeit, neben ihm noch ein Kardinal in schwarzer Kluft, beide mit Kardinalshüten auf und  ganz offensichtlich eingestimmt, den ausharrenden  Schäfchen wohlwollend entgegen zu treten. Zu unserem Staunen näherte sich uns Kardinal Wölki auch und schüttelte freundlich nickend unsere Hände, das muss vor Corona gewesen sein, alle trugen noch die ganz normale Maske des üblichen Spiels. Natürlich taucht dieses Anekdötchen auf, weil Rainer Maria Woelki, dessen Namen ich gerade nach dem Nachschauen korrigieren muss, gerade durch ein ziemlich bewölktes Schicksal wandert. In den Nachrichten meinte jemand in Bezug auf den sich häufenden Kirchenaustritt der Herde: ausgerechnet jetzt, wo doch die Menschen so viel Unterstützung von seitens der kirchlichen Einrichtungen bräuchten.  Ist das wirklich, was die Menschen bräuchten? Eine weitere, irrlichternde Quelle, Glauben genannt? Und wer kann ihn wirklich infrage stellen, den Glauben, und sicherlich war der Spruch aus dem Volksmund ‚wer’s glaubt, wird selig‘  mal ernst gemeint. Man hält sich für schlicht und tut nicht so, als wüsste man alles selber, sondern glaubt eben an all die Mächte, die irgendwo ein Anderer hat, der es besser weiß oder zumindest besser wissen müsste. Das hellhörig nach oben Strebende hat durchaus eine gute Wirkung, es vergrößert das Volumen der Beziehungsmöglichkeiten, kein Zweifel. In Indien brauchte man den Olymp gar nicht verlassen, denn die Götter bewohnten schlicht und einfach alles von Himmeln und Tempeln bis hinunter zur Seife. Ziemlich jeder Missbrauch ist noch getränkt davon, geistig untermauert, grenzenlos offenbart. Der Glaube ist keine Tugend, er ist eine Heimsuchung. Und es kann sehr lange dauern, bis man von sich sagen kann, dass man aus dem Dunstkreis der Glaubenssphäre getreten ist. Immer wieder glaubt man, etwas gewusst zu haben, was man gar nicht wissen kann. Man kann ja nur wissen, was man und wie man es selbst erlebt, und da kann man dann frohgemut wissen wollen, denn wer soll sonst wissen wollen, wer man ist. Wissen wollen vielleicht schon, aber was sag ich dann, wenn mich jemand was fragt, was mich angeht? Klar, wenn ich ein gläubiger Mensch bin, vertrete ich meinen Glauben, das kann wahrscheinlich die drohende Überflutung etwas eindämmen, kann mich auf andere Ebenen transportieren, wo so ziemlich alles Schillernde möglich ist, was Menschen gerne beauftragen möchten an höhere Wesen , damit sie selbst nicht durch dringen müssen durch das Dickicht der Verblendung. Das ist doch Verblendung, dieser Kardinal mit seiner albernen Spitzenrobe.

ungewiss

Wie ungewiss alles ist! Wie getragen
mit zarten Händen. Wie hinter der
scheinbaren Härte des Bildes
sanft das Einfache lächelt. So soll das
bei uns sein, wenn sich uns hinter dem
Vorhang tieferes Geheimnis enthüllt
und Quantensprung. Es soll sein wie
das Licht auf der Lieblingsmauer:
berückend, tief atmend. Nicht zu stören
das lebendige, funkelnde Gut.

All-täglich

Wer wird schon gerne aus seinem oder ihrem Alltag hinaus befördert in den Ausnahmezustand? Der kann schnell kommen. Schon mit schlechter Laune, deren Urgrund man noch nicht ergrübelt hat, hat der Alltag weniger Leuchtkraft. Und wo soll er die überhaupt hernehmen, hängt doch seine Erscheinungsform ganz eng zusammen mit unseren Befindlichkeiten. Ein sehr dunkler Ausnahmezustand ist die Katastrophe, wozu R.D. Laing einmal meinte, dass wir gerade dann einander in die Augen schauen. Über die derzeitige Maskierung hinweg muss man gestehen, dass es gar nicht so einfach ist, andere Maskierte über Augenkontakt wahrzunehmen, nur manchmal wirkt der wahrgenommene Gruß etwas intensiver. Die Maskierung betrifft ja zum Glück nicht das Zuhause, denn da geht es um andere Sachen. Natürlich flutscht oder fließt es besser, wenn die eingespielten Rituale, mit denen günstigerweise alle Beteiligten einigermaßen d’accord sind, sich so mühelos wie möglich abspielen können. Der Alltag, ja, was ist das überhaupt. Gerade war er noch da, jetzt kann man ihn schon das Labyrinth oder das Chaos oder die Katstrophe nennen. In vielen Häusern wird jemand krank oder liegt im Sterben, andere liegen immer noch im Winter von Moria auf den Scherben ihrer Hoffnungen. Auch das ist Alltag, man kann ihm ja gar nicht entkommen. Immer ist Alltag. Und in den Krisen werden fast wie nebenher Zugehörigkeiten ganz wesentlich, zum Beispiel da, wo ich mit Hilfe rechnen kann, wenn ich sie brauche. Alle Tage davor führten da hin, dass es ohne jede Frage möglich ist, dass man sich neu orientiert, auch wenn es die eigenen Rituale verschiebt oder gar stört. Gerade das Ausscheren aus den Gewohnheiten kann viel zur eigenen Reife beitragen. In Indien war ich mal längere Zeit sehr meditativ unterwegs, was die Einheimischen erfreute. Da fand ich auf der Straße ein zugedecktes, schmutziges Tuch, unter dem es zu atmen schien. Ich hielt es für ein Tier, aber es war ein vor Kurzem geborener Mensch, der sehr winzig und sehr alt aussah. Niemand reklamierte es, so hatte ich auf einmal ein kleines Mädchen bei mir im stillen Kämmerlein, und wir verbrachten sehr schöne Monate miteinander, bis alles Weitere geklärt war. So kam es zu einer wunderbaren Beziehung, die jedes Jahr in Indien eins meiner Highlights war und ist. In der Zwischenzeit ist sie verheiratet und wir reden wegen Corona vor allem über WhatsApp. Gegen die Gesellschaft musste ich meine Entscheidung regelrecht verteidigen, so, als hätte ich mein Lebensziel aufs Spiel gesetzt. Dabei war ich vor allem dankbar, etwas zurückgeben zu können (in Bezug zu eigenen, dunklen Schicksalsadern). Auch hat man meistens wenig Zeit, inmitten einer Neu-Orientierung über den Sinn nachzusinnen. Es genügt durchaus, dass man bereit ist,  für die jeweilige Situation die bestmögliche Handhabung zu finden. Einmal, während eines Besuches bei meiner Mutter, wollte ich mir im Fernsehen einige Interviews mit Überlebenden aus Auschwitz anschauen. Am meisten berührte mich, wie zutiefst menschlich sie wirkten, wie menschenfreundlich. Wahrscheinlich ist es so, dass, wenn man das klirrende Eis der Entmenschlichung erfahren hat, einem jedes warme Lächeln vorkommt wie ein Sonnenstrahl, was es ja auch ist. Aber dass es überhaupt möglich wurde, das weist weit über das Menschenmögliche hinaus. Oder es weist gerade hier auf das Menschenmögliche hin.

angehen

Es hat nur eine dreiminütige Nachrichtenlänge gedauert, eine flüchtige Neugier, was so im (eigenen) Land läuft, da fing es an, in den inneren Korridoren zu flüstern: aha, aha, Gerinsel, Gerinsel, mir werden sie auf jeden Fall das Zeug nicht in den Arm pieksen, komme was wolle. Astra Zeneca ist eigentlich ein sehr schöner Begriff, eine Techno-Sängerin könnte erfolgreich so heißen. Aber nein, es ist ein Impfstoff, dem kaum einer mehr traut, der zumindest dermaßen unter Verdacht steht, dass der ganze Prozess angehalten und der Lockdown noch downgelockter wird, und die Nerven noch blanker daliegen, und die Wahrscheinlichkeit, den Überblick zu verlieren (wenn man den sucht), ist groß. Da sagte ich Halt!, denn ich bin Stubenälteste in meiner inneren Welt und rufe nun die Flüchtigen heran und sage mir: Hey!, erstens bist du noch gar nicht dran, und klar, lass ich mich impfen, wenn auch nicht von Astra Zeneca, und eigentlich will ich so sehr darüber gar nicht nachdenken und z.B. so tun, als könnte ich mir gar nicht vorstellen, dass (auch) CDU Politiker sich unrechtmäßig hohe Kohlebeträge in die eigene Tasche schieben. Es kommt ja immer nur darauf an, wann so ein Szenen-Pechvogel dann erwischt wird, es ist eben ein Casino, da wird hoch gezockt, und nebenher geht es auch noch um viel. Und viele wollen auch gar nicht, dass das Spiel einmal aufhört, denn sie denken, das Spiel hat Unsterblichkeitsstatus. Dabei weiß niemand, wie lang die Unsterblichkeit dauert, woher sie überhaupt kommt und ob sie irgendwo hingeht. Und doch kümmert’s den Vater, was aus dem Sohn wird, er sieht ihn als die Unsterblichkeitsrate. Hauptsache, wir bleiben erhalten. Aber auch d a s ist nicht gewiss, wer bleibt und wer wann geht, alles ungewiss. Und natürlich könnte man als ein guter König die totale Freiheit ausrufen, also hey Leute, regelt das unter euch und tut, was ihr könnt, um euer Immunsystem stabil zu halten undsoweiter, denn es wird eh weiterhin gestorben, das hat ja auch weder Anfang noch Ende. Aber anscheinend geht das nicht und sorgt vermutlich in diesem überbevölkerten Irrgarten für alle Arten von Unterhaltung und Verschiedenheit, sodass immer wieder aufs Neue der Glaube sich durchsetzt, da oben, in irgendeinem Oben, säßen d i e, die es bündeln, erklären, verschreiben, vertreiben, verkaufen, verhandeln müssen, und so ist es. Es ist (u.a.) die Politik die uns die gegenwärtige Befindlichkeit der betroffenen Menschen nahe bringt. Und es sind viele Menschen auf den Straßen für ihre Sache verwundet und getötet worden, manchmal, (oder nur scheinbar?), mehr als zu anderen Zeiten. Und weil viele (wie die republikanischen Trumpisten) sich gar nicht impfen lassen werden wollen, kann alles Mögliche daraus hervorgehen, was wir jetzt noch nicht wissen können. Deswegen sagte ich zu den gedanklichen Ausreißern, wir könnten uns ruhig weiterhin, allein oder gemeinsam, auf das Wesentliche konzentrieren. Denn wann geht uns aus welchem Grund was an?

auf – und einbrechen

Nach langer Zeit ist das höchst wertgeschätzte Buch von Jiddu Krishnamurti ‚Einbruch in die Freiheit‘ wieder bei uns aufgeataucht. Da liegt es herum und kommt einem vertraut vor. Eigentlich dachte ich es heißt ‚Aufbruch in die Freiheit‘, aber nein, Einbruch, obwohl ich Aufbruch besser finde als Einbruch. Wie soll man denn in die Freiheit einbrechen. Außerdem waren seine Reden in Englisch, wieder einmal eine Übersetzungs-Bredouille. Aber wenn der Name ‚Krishnamurti‘ auftaucht, taucht für mich vor allem ein Teil seiner Geschichte auf, die diesen Titel eigentlich in ganzer Höhe und Tiefe dokumentiert. Denn, es ist noch gar nicht so lange her, wurde Krishnamurti in Indien von Mitgliedern der Theosophischen Gesellschaft als zukünftiger Weltlehrer ausgerufen. Man hatte das alles jahrelang in esoterischem Milieu präzise vorbereitet, und der Tag kam, die ganze Gesellschaft war versammelt. Da trat Krishnamurti, der alle spirituellen Kriterien erfüllt hatte, ans Mikrofon und erklärte, dass er das, nämlich der Weltlehrer, nicht sei, und alle mögen bitte nach Hause gehen, das Spiel sozusagen beendet. So viel ich weiß, ist er der Einzige geblieben, der zu solch einem Kraftakt fähig war. Am Wochenende hatten wir eine Gästin, die uns davon erzählte, wie sie kurz vor ihrer Hochzeit, als die Einladungskarten schon draußen waren, von ihrem zukünftigen Mann wegen einem der üblichen Klackse, die auf Tieferes hinweisen, gegen die Wand gedrückt worden und verstand, dass das für sie nicht akzeptabel war, und löste die Heirat wieder auf. Das ist natürlich nicht des Rätsels Lösung, aber hier geht es um die Erkenntnis, dass man sich auch ein vorhersehbares Unheil ersparen kann. Krishnamurti wurde trotzdem Lehrer, für etwas anderes war er wenig geeignet. Und weil er ziemlich belichtet und gut durchgearbeitet war, kam ihm das, was er sprach, einfach vor, aber die meisten seiner SchülerInnen verstanden ihn nicht, was zu weiteren Reflektionen führen könnte, wollte man den Faden dort aufnehmen. Bemerkenswert an der Anekdote ist, dass Krishnamurti offensichtlich eine Wahl hatte. Der ganze Zirkus muss ihn schon lange vorher beunruhigt haben, nämlich, dass Menschen über ihn verfügten, die ihre eigenen Ziele hatten. Denen war es wichtig, einen anbetungswürdigen Halbgott zu erschaffen, dessen sie sich bedienen konnten, um ihre Botschaften in die Welt zu tragen. Da man ihm ständig eingetrichtert hatte, dass er der große Weltlehrer sei, muss ihm irgendwann aufgefallen sein, dass er das gar nicht so sah, obwohl er den Anspruch locker hätte erfüllen können.Viele Menschen nach etwas oder jemanden, der es besser weiß. Und ja, immer wieder meldet sich jemand für den Posten, dann ist versichert, dass zumindest eine kleine Weile, einen hartnäckigen Husten lang, niemand merkt, dass die Ausgewählten es auch häufig nicht wissen, sondern nur eine Menge Behauptungen aufstellen, die kompatibel erscheinen mit ihren Plänen. Unseren Plänen, denn wir behaupten ja auch. Wo befindet sich überhaupt diese Freiheit, zu der man aufbrechen oder in die man einbrechen kann? Und hey!, sagte der Mentor von den beiden Republikanern Josh Hawley und Ted Cruz, was macht ihr denn da, ihr wisst es doch besser, dass das, was ihr da tut, nicht akzeptabel ist. Vernichtet liegt sie da, die akademische Intelligenz, wenn es ihr so leicht fällt, sich zu verkaufen. Ob es wohl in Hitler so einen Moment gab, wo ihm das Ausmaß seines Hasses klar wurde, bevor er ihn auf das jüdische Volk losließ. Oder Oppenheimer, als er selbst höchstpersönlichen den ‚Little Boy‘ vorsichtig hinten in den Wagen packte, damit die Atombombe, an der er mit seiner Genialität mitgebastelt hatte, nicht noch ihn selbst verschlang. Nein, es sind die Anderen, die herhalten müssen, damit einer sich rächen kann am Unvergebenen, oder aber nicht anders kann, als auf den vermeintlich hochverdienten Orgasmus hinzusteuern, der, wie wir wissen, viel Weiteres nach sich ziehen kann.

Octavio Paz

Biografia de Octavio Paz

Sternbild des Körpers

Die Augen, nachtgeboren,
sind keine Augen, die schauen,
es sind Augen, die erfinden,
was wir schauen.

Theater der Verwandlung:
im Zentrum der Stunde
hielt die Rotation des Himmels
inne einen Augenblick,
so lang wie die Augen blicken.

Die Sterne sind Samen,
sie keimen unterhimmlisch.

Die Zeit spielt Schach mit ihrem Schatten,
Spiegel, der sich in Bildern entfacht,
Bilder, die verfliegen:
wer gewinnt, verliert, wer verliert, gewinnt.

Durch die Linse seines Kaleidoskops
sieht der Astronom das Sternbild,
das Frau wurde, Welle aus Licht.

Es ist der Morgen, der zurückkehrt zur Erde:
er schließt die Augen der Nacht,
und öffnet die Augen der Menschen.

verbinden


Die zeitlose Praxis des Erfassens schwindender Erinnerung
Eine der vielen heiteren Erinnerungen an Indien ist, dass ich mit den dort verbrachten Jahren lernen konnte, wie sehr die Menschen durch Tradition, Gewohnheit, oder aber mit den klimatischen Verhältnissen  (noch) verbunden waren. Man konnte zum Beispiel davon ausgehen, dass, schien einmal drei Tage hinter einander nicht die Sonne, alle zugeknöpft und grau drauf waren, und am besten, man ging wenig raus, bis es vorbei war. Der Monsoon war anders als nur niesliges Grau, er war aufregend und wild, und vor allem brachte er erwünschtes Wasser. Ich sage er ‚brachte‘, denn viele Jahre brachte er gar nichts mehr außer Schrecken und Not, und vor allem Angst, der Wasserzufluss könnte ganz und gar aufhören. Das geschah dann auch. Und wenn ich’s recht bedenke, wussten wir alle da schon, dass eine andere Zeit angebrochen war. Das alte Gefüge hielt nicht mehr stand, überall erschienen Lücken im Gewebe des Seins. Es gab kaum mehr gemeinsames Gedankengut außer durch die leerer werdenden Rituale, ja, die hielten noch lange und halten auch heute noch an. Dann die aus verschiedenen Gründen berühmten Wissensbewahrer und auch einige Wissensbewahrerinnen waren dabei, kein Zweifel, die sich mehr und mehr auf die ausländischen Lernbegierigen konzentrierten, das veränderte auch sehr viel im moralischen und ethischen Gewebe, kurz, die Zeichen waren so ziemlich überall zu sehen, man musste sie nur als solche wahrnehmen. In Indien ist das nicht so schwer, denn was auch noch alle wissen ist, dass man diesen Zeitstreifen, durch den wir gerade segeln, das dunkle Zeitalter nennt, da passt so ziemlich alles rein, was einem so an Unbeschreibbarem auffällt, weil es vorher noch nicht ans Licht des Tages gekommen war. Und oft weiß man ja nicht, was in einem Vorher alles schon tief innen da war, was dann aus seiner Verbannung gelockt oder gelockert wird und sich Bahn bricht, weil dieser Moment auf eine  Möglichkeit stößt, eine Entsprechung. Nun kann man vieles, was sich im Inneren der Menschheit abspielt, nur begrenzt auf irgendeinen Punkt bringen, denn in letzter Konsequenz ist jeder Punkt anders und die Menschheit unter anderem auch ein intergalaktisches Konstellationsprogramm, und jede/r sendet auf seine oder ihre Weise. Nun hat der globale Lockdown uns auf denkwürdigste Weise in eine Art einheitliche Sperrung gebracht, oder besser eine Sperrigkeit, eben die Downlockung einer besonderen Art, und man fühlt vielleicht zuweilen mehr (mit) als vorher, wie es vielen geht, weil es einem selbst auch so geht. Immer wieder wird das Entlassen von Wellen erhofft und erwünscht, und nun kommen neue Gefahren hinzu, die auf einmal alle fast gleichermaßen betreffen. Wie, jetzt auch noch die Kinder und immer mehr Jugendliche krank, dann aber auch die gesunde Frage, wie verrückt ich mich machen lassen muss und möchte, also wie gestalte ich meine eigene, ganz persönliche Handhabung der Umstände, damit, und das in jeder Situation, erhalten bleibt, was ich für wesentlich empfinde. Dafür gibt es ja zum Glück keine Normen, denn wer sollte mich hindern an der Erschließung meines eigenen Lockdowns?

schmerzhaft

Eigentlich stand ein Geburtstagsfrühstück auf dem Plan, auch immer ein bisschen extra Action, um den Ausnahmezustand zu koordinieren, der dann ja in die rechtmäßig zu erwartende Freude fließt, bzw. fließen kann, wenn eben alles dazu Erforderliche im Fluss ist. Nicht so heute. Um 6 Uhr früh meldete sich ein Freund, um wegen kaum auszuhaltender Schmerzen ins Krankenhaus gefahren zu werden. Umdenken der Planung, neue Einstellungen aktivieren. Wer fährt, wer bleibt, um nicht auf alles gleichzeitig zu verzichten. Neue Aufgabenteilung, mühelos. Zwei von uns fuhren also los und holten ihn ab. Man kann sich die Schmerzen eines Anderen ja gar nicht vorstellen, sondern weiß nur noch vage, wie es war, als man selbst damit allein war und die Anderen nur schemenhaft um einen herumliefen, um im Glücksfall hilfreich zu sein auf irgendeine Weise. Auf dem Weg ins Krankenhaus dachte ich an den Strom der Menschen, die ständig in dieser Situation waren und sind, jetzt noch verschärft durch Covid 19. Dieses Herumsitzen in schrecklichen Wartezimmern ist schon genug, jetzt aber die Krankenbetten hilflos davonrollen sehen, bei den Sterbenden nicht dabei sein können, bei den Leidenden auch nicht. Ich dachte auch daran auf dem Weg, dass die Maske, mit der ich mich unauffällig durch den einzigen Laden bewegt hatte, in dem ich zur Zeit einkaufe, jetzt im Krankenhaus nur eine Gefahr für mich darstellen würde, und diese medizinische Spitzmausmaske steckte noch in der Spitztmausmaskenhülle, die hatte ich jetzt nicht dabei. Allerdings hatte ich mich schon entschieden, den Freund nur bis zur Tür zu bringen, er hatte zum Glück so ein Ding auf. Es stellte sich heraus, dass wir eh nicht hinein durften, das muss man sich mal vorstellen. Kurz traf in mir Empörung auf eigene Zwergenhaftigkeit: ihn da übergeben zu müssen an wer weiß wen, auf jeden Fall den Überforderten von all dem Irrsinn, an dem sie näher dran waren als wir. Wir nur Sandkörnchen im Weltgetriebe, wenn ich mal schnell diesen wunderbaren Titel (Arte: Corona – Sand im Weltgetriebe) an mich reißen darf (dürfen!) mit dem unerfüllbaren Wunsch, er wäre mir selbst etwas früher eingefallen, was hätte man nicht alles damit verbinden können. Allerdings waren diese Beiträge nicht schlecht, sodass ich sie sogar schon empfohlen habe.  Interessant war diese Erfahrung, dass durch einen Notfall alles ausgehebelt wird. Man wird praktisch aus der eigenen Bahn geworfen und muss sich nun dem Erschienen ergeben. Wenn im Prozess etwas gelingt, ist man froh und kann zu den Festlichkeiten zurückkehren. Wenn man selbst nichts weiter tun kann, ist es angebracht, dass die Zuständigen sich kümmern. Wahr ist auch, dass es nicht nur schlimm ist, Schmerzen zu haben, sondern es ist auch schlimm, Schmerzen zu begleiten, wegen dieser Hilflosigkeit, wegen dieser Ohnmacht. Gestern abend hatte der Freund den Notarzt gerufen, der konnte ihm nicht nur nicht helfen, sondern danach wurde es noch schlimmer. Ich dachte, es wäre heute ein Leichtes, Schmerzen einzudämmen, sogar die schlimmsten durch die Palliativmedizin. Aber vermutlich muss das alles erst durch die Räder der medizinischen Mühle gemahlen werden, bevor das Erlösende verabreicht werden kann. Dann haben wir doch noch unser Geburtstagsfrühstück einnehmen können, alle ein wenig daneben, aber wird schon. Jetzt heißt es warten, bis wir hören, was eigentlich los ist. 

Da! Liebe!

Da!
Da ist Liebe!
Da sitzt Liebe. Da
rollt sie entlang,
begleitet sich selbst,
lässt sich stehen. Da
fließt sie und weht dann
am Boden. Da wieder
kräuselt sie entlang am
wilden Wasserbogen.
Dort fühlt sie das blassrote
Buschwerk an der Stein-
Spiegelung. Versucht
spielerisch, einen Schatten
auszuwerfen über das
Lichtbad. Tummelt und
turtelt und geht umher
mit sich selbst in müßigem
Festhalten. Wagt einen
Blick über die Klagemauer,
da schreckt sie zurück vom
Erwarteten. Dehnt sich aus
ins Ungedachte. Da streifst
du über mich hin und lässt
mich nur ahnen, was
Freiheit ist.

spät (?)

In meiner Erinnerung gab es schon sehr lange die Idee des „Too late“ -Zu spät – oder eben noch nicht zu spät, aber gefährlich nah am Zuspät, aber dann doch nicht. Denn schließlich geht ja alles weiter, und auch ein planetarischer Lockdown hat die Maschine nicht wirklich aufhalten können. Die Anforderungen sind hoch. Inmitten des sich zuspitzenden Dramas müssen Spieler und Spielerinnen sich auf einmal entscheiden, und das nicht nur an einer Wegkreuzung, nein, überall Wegkreuzung, wo es einerseits einen Verkehrskreis gibt, aber andrerseits sehr viele unterschiedliche Fahrtrichtungen, die bedacht werden müssen. Immer noch wird vom Endlichvorbei geflüstert, damit das, was man verloren wähnt, sich wieder manifestieren kann. Und zu spät für was? Menschen haben in hohem Alter neue Dinge begonnen, das muss ja nicht jede/r anstreben , aber möglich ist es schon. Vieles ist möglich, wo individuelle Entscheidungskraft vorherrschend ist. Andrerseits hat so ziemlich jeder Mensch eine Privatloge, von der aus er oder sie sich ein Bild machen kann über die Verhaltensweise der Anderen, von denen wir immer umgeben sind. Ach ja, klagen die Lockdownmüden, die Lieben mal wieder in die Arme nehmen können, schließlich hat es sich geradezu aufgedrängt, dass jede/r von uns auf einmal weggerafft wird, ob nun mit oder ohne Virenbegleitung. Nun  ist das schon ziemlich lange her, dass wir alle da drin sind und durch neue Arten von Veränderungen gehen, auch wenn bei einem selbst gar nicht viele Spuren des Geschehens auftauchten. Social distancing, das ist gar nicht unbedingt so ungesund, am schwierigsten wohl für Kinder. Aber grundsätzlich ist es, das Distancing, hilfreich und förderlich für eine Zwischenbilanz, um es nicht ‚reality check‘ zu nennen. Langsam öffnet wieder alles, und überall ist alles anders geworden, aber man behandelt es, als würde man an ein Vergangenes anknüpfen können. Aber man kann gar nicht, weil man selbst so verwandelt ist (wie immer), vielleicht mit einer neuen Note im Ohr aus der  Sinfonie des planetarischen Bewusstseins. Paukenschlag und umwerfende Engelsgesänge, die den Endspurt der menschlichen Rasse  musikalisch einleiten. Das alles ist fünfte Veda, freies Spiel der Kräfte. Da geht es nicht mehr um Gewinn oder Verlust, überhaupt löst sich der Gegensatz auf. Nur innen natürlich, denn außen geht alles weiter, obwohl alle zusehen können, wie das Schiff auf die Spitze des Eisberges zusteuert. Im freien Raum ist Steuerung wichtig. Man muss lernen, sich auf die eigene Erfahrung zu verlassen. Man könnte nun meinen, dassselbe müsste für Hakenkreuze oder QAnonfahnen gelten. Wir sehen dann einfach die Dinge, wie sie unsrer Wahrnehmung nach sind. Es ist wichtig, hier Klarheit zu haben, damit man die Gärten und die Wege und die Sterne und überhaupt das Himmelszelt  und die Menschen und Tiere und Wälder und Felder und Städte und Dörfer  nicht vergisst, und auch nicht ihre dunklen Seiten und Zeiten.

nicht atmen können

Natürlich ist das beunruhigend, dass vor allem in der schwarzen Community, also da, wo black lives matter, vermutet wird, dass der Polizist, der George Floyd ermordet hat, am Ende freigesprochen wird. Ein bestimmtes Ende erscheint immer da, wo das offensichtliche Bild wissentlich gefälscht wird, und aus ist es wieder mal mit der Gerechtigkeit,und der Menschlichkeit, oder wie auch immer man es nennen will. Und manchmal muss man sich schon zwingen, wie am Frauentag, den Blick willentlich darauf zu richten, wo etwas auf wunderbare Weise eben auch gelingen kann, eben Frauen, die gut bezahlt werden und ihr selbstgewähltes Leben leben. Man will ja nur, dass es mehr werden, und dass der Aufruf zum Erwachen sich durchsetzt gegen die Hörigkeiten. Verstimmt schaute ich die letzten drei Tage auf die algorithmische Auswahl meines Interesses an der amerikanischen Politik, verstimmt also, weil überall Prince Harry und Meghan Markle erschienen, was mich nicht sonderlich interessiert, bis mir nicht mehr entgehen konnte, dass da etwas Außergewöhnliches passiert sein muss. (U.a.) passiert war, dass man angeblich im Königshaus  fürchtete, das Baby (von H.&M.) könnte einen dunkleren Hautton haben als die restlichen Bleichgesichter. Hast du schon mal daran gedacht, wie deine Kinder aussehen werden, soll man ihn gefragt haben. Dann habe ich weitergeschaltet, um zu sehen, ob sich in den laufenden Gerichtsverhandlungen (gegen Trump) weiteres getan hat. Eben dem mit der als richtig empfundenen Hautfarbe. So, wie Narendra Modi zwar gerne von uns Foreigners Geld sammelt, aber ganz klar macht, dass sein Ziel das reine Hindu-Blut ist. Deswegen kommt das Royal Haus in London vielleicht in Unruhe, weil darüber niemand spricht. Nicht, weil es ein Geheimnis ist, sondern weil es (ihnen) klar ist. Man ist unter sich, man versteht sich. Vielleicht hat d a die  digitale Revolution viel Gutes geleistet: überall Kameras, überall Beweise. ‚Auch bei George Floyd‘, argumentiert allerdings der Verteidiger des Angeklagten, ‚hat man d a s, was üblich ist, gemacht‘. Es ist der Würgegriff. Oft schon angewandt, viele daran gestorben, immer noch angewandt. Es ist das Vernichtenwollen-und können des Anderen, um die eigene Macht zu dokumentieren. Dabei weiß doch jeder, dass man ohne Atem nicht leben kann. Von den Gaskammern wurde berichtet, dass sie ein Bullauge hatten, durch das dafür Verantwortliche aus verschiedenen Gründen schauten. Einer davon war der letzte Atemzug der Vergasten. Man konnte öffnen für den weiteren Arbeitsvorgang. Es ist schwer zu wissen, wann sich etwas in die Gedankengänge eines Menschen einschleicht, bis er oder sie es sich zurecht gelegt hat, wo es langgeht, oder wo sich das Labyrinth als unentweichbar zeigt, weil der Faden einem entglitten war und nun an irgendeinem unauffindbaren Dorn hängt. Und vielleicht hat die Queen tatsächlich einen Schock erlitten, dass man die Neigungen in ihrem Haus rassistisch nennt, bei allem eleganten Snobismus, den man gerne betreibt und unterhaltsam findet. Und wie macht man das überhaupt, etwas tradititionell Erstarrtes auf einmal urkomisch zu finden oder absurd oder unzeitgemäß. Oder: wo fängt Gewalt überhaupt an?

Wieder einmal

Wieder einmal ist Weltfrauentag. Natürlich muss ich nicht über den Weltfrauentag nachdenken, nur, weil es ihn gibt. Und ich weiß, dass die Männer auch einen Tag haben, und tatsächlich fuhren hier bei uns am Waldrand schon so was wie Böllerwagen mit gut gelaunten Männern darin entlang und feierten vermutlich das, was es an Männern unter Männern zu feiern gibt, das hat ja auch was Kraftentladendes dabei wie Bordelle und Golfspiel. Aber halt, es ist ja Frauentag, nicht, dass sie sich am Ende noch selbst vergessen. Was ärgert mich denn so fast unbewusst an diesem Tag? Vielleicht, dass es mir so erscheint, dass man den vielen brennenden Themen nicht gerecht werden kann in den paar Stündchen? Nicht in einer Zoom-Konferenz, nicht in den Wohnungen, in denen (alle paar Minuten) eine Frau geschlagen wird. Die registrierten Zahlen können einen umhauen wie die jährliche Zahl von Brustkrebstoten. Dann die Pandemie. Vor ein paar Tagen hörte ich, dass Frauen in Afrika durch die Pandemie Jahre in ihrer selbstständigen Entwicklung zurückgeworfen wurden und werden, heute höre ich dasselbe in den Nachrichten über Frauen in Deutschland. Zu vielem der Themen habe ich es unterlassen, mir d a eine Meinung zu bilden, ganz einfach, wo ich die beschriebenen Erfahrungen nicht gemacht habe. In vieler Hinsicht kann ich nicht klagen, denn mir stand nur in sehr flüchtigen, wenn auch teilweise furchterregenden Momenten ein Mensch so im Weg, dass ich mich nicht frei entscheiden konnte. Einmal zwang mich die Situation, eine extra zerschlagene Flasche als Waffe einzusetzen und mich durch bedrohliche Stunden zu hypnotisieren, bis der Morgen und Menschengetrampel mir die Tür öffneten. Viel Gefahr hier auf der Erde und viel Vernichtungswillen! Als in Indien langsam aber sicher in den Medien durchsickerte, was eh schon jede/r wusste, was das Ausmaß an Gewalt und Missbrauch betraf, da sagte ein indischer Freund zu mir, dass sie deswegen ihre Frauen im Haus schützen. Vor wem denn schützen?, fragte ich. Warum hat man denn hier auf dem Planeten zuweilen (immer noch) das Gefühl, alles gehört zu e i n e m Geschlecht, zum Beispiel dem einsamen Adam, dem Gott dann aus Mitgefühl die Frau zugesellt. Und wehe, der Sohn kommt nicht hinterher und übernimmt das Ganze. Dabei weiß doch jede/r, dass vor allem die Frauen das Ganze zusammenhalten, auch wenn es nicht ganz so auffällt wie männliche Schöpfungsformen. Und dann!, die F r a u  als Schöpferin. In einem Beitrag zum Weltfrauentag stellte eine Moderatorin einigen Passanten die Frage, sie mögen bitte drei KünstlerInnen beim Namen nennen, niemandem fielen sie ein. Schon seltsam, denn nicht nur haben sie immer geschrieben, auch wenn ihr Name öfters mal nicht draufstand, und gemalt haben sie auch schon immer ziemlich gut und das tun sie auch weiterhin. Eigentlich, wenn ich’s bedenke, müsste von der Spitze der Heerscharen erfolgreicher Frauen bereits ein gewaltiger Sog ausgehen, der ein gewisses Erweckungspotential hat, auch wenn das in ganz schlimmen Fällen vielleicht erst einmal ins Frauenhaus führt. Von da aus ist dann schon einiges Neue möglich. Ich wünsche allen Kindern eine starke und liebevolle Frau (ohne ihr unsagbares Leid verharmlosen zu wollen) als Mutter.

6.März

Am 6. März vor einem Jahr bin ich aus Indien zurückgekommen, und würde auch jetzt, wäre ich wieder dort gewesen, nach hierher unterwegs sein. Die Schwierigkeit des Transits bestand vor allem darin, auf einmal eine Menge Dinge und Gewohnheiten zurücklassen zu müssen, die ein gewisses Maß an Zugehörigkeit erzeugt haben, wie: Essen, die Sprachen Englisch und Hindi, die automatisch erscheinenden Handhabungen: wie man isst, was man isst, wer man ist in dieser ans Herz genommenen Nebenheimat. Die Menschen, die Freunde, die Farben, der verlässliche Sonnenschein. Und natürlich die geistige Verfassung, die sich in einer anderen Kultur automatisch verändert, allein schon durch Worte und Gedanken, die dort vorherrschend sind. Aber immerhin, am 6. März 2020 gab es schon ein gemeinsames Thema: der Begriff ‚Corona‘ tauchte auf als Schattenfigürchen, und in den Städten fingen sie an, Masken zu tragen. Ich hatte mir auch schon im Pharmacy-Shop eine gekauft und fand fünf  Rupien für das Ding ziemlich teuer. Als der grässliche Abgrund hinausgeworfener Arbeiter sich auftat und das an diesem Virus beteiligte Sterben begann, hörte ich allerdings auch von indischen Freunden, dass es viele Infektionen gäbe, aber wenig Tote. Sie führten es auf ihr stabiles Immunsystem zurück. Das muss man wohl eher als ein Überhängsel des alten Systems sehen, in dem sich nicht nur der Meatburger durchgesetzt hat, sondern alles, was zu noch größerer Habgier und Machthunger führt, und das um jeden Preis. Mein Vater las noch Bücher über Yogis, die durch extreme Übungen die Ideen des menschlichen Verhaltens permanent sprengen konnten, alles im eigenen Märchenreich der fliegenden Teppiche, wo Wunder und das schier Unmögliche an der Tagesordnung waren. Als ich neulich, auch ein kleines Wunder, aus einem Impuls heraus meinen Cousin in Texas kontaktierte, um zu fragen, ob er es warm hat in der Eiseskälte (was er bejahte), da erzählte er mir, von tibetischen Yogis gelesen zu haben, die auf Eis saßen, denen man (in einem Film) Handtücher auf die Schultern legte, die sie dann durch Yoga-Atmung getrocknet hätten. Da weiß man wie durch viele andere Beispiele, dass etwas vorbei ist, sozusagen sein eigenes Ende produziert hat, und selbst da haben alle Beteiligten noch was davon. Dann gibt es noch eine Ebene, von der auch Dr. Drosten sprach in einem Interview. Es gab ein wirklich sehr lustiges Video von ihm, in dem ein Schauspieler ihn synchronisierte und erzählen ließ, wie er diese Virus-Geschichte eigentlich erfunden hätte an einem angeheiterten Abend mit seinem chinesischen Freund Li Peng. Aber jetzt habe ich gehört, dass er ganz wütend war über die Comics und nach allen möglichen Shitstorms an Rückzug aus der Öffentlichkeit denkt, unter anderem, weil er nicht mehr in der Lage war, die ganzen Missverständnisse zu klären. Das war eh unmöglich, denn, wie er meinte, gäbe es in den Wissensbereichen ganz klare Kompetenzen, die für die Allgemeinheit zur Beurteilung nicht mehr geeignet sind. Der Witz dabei ist, dass es immer mindestens einen Anderen geben muss, der das jeweils Ausgebrütete erkennt und verstehen und einordnen kann. Schon da ist ein Übersetzungskünstler nötig, denn die Bahn zur Entwicklung muss ja trotzdem freigelegt werden, damit der Pfad später gefunden und nachvollzogen werden kann.

zusammen fassen

 
differenzieren und zusammenfassen
Es verblüfft doch etwas, in der amerikanischen Politik (noch einmal) beobachten zu können, wie schiere Willkür und bodenlose Dummheit sich durchsetzen und es scheinbar niemanden gibt, der mit dem Bann dieser Art von Verschwörungen effektiv umgehen kann. Das alles unter dem Banner der Demokratie, für deren Erhalt viele ihr Leben einsetzen und auch verlieren, und es vielleicht Zeit ist, die Definitionen der schwerwiegenden Worte noch einmal zu erfrischen. Denn in den meisten Ländern lechzen doch Menschen nach starken Männern und Frauen, die die Gefüge des Landes in die Hand nehmen und dem eigenen Leben eine gewisse gesellschaftliche Fassung geben können (sollen). Wir haben ja auch Glück, dass das hierzulande in einem gewissen Maße zutrifft, zumindest so weit, dass man ihnen zutraut, sich um die Lösung der Probleme zu bemühen. Das tun ja auch die Demokraten, aber gebannt und gelähmt starren sie in den Rachen des Ungeheuers, das ungetrübt eigener Natur folgt, wenn man das noch Natur oder Demokratie nennen kann. Hitler muss auch diesen tierischen Instinkt gehabt haben, diese Bereitschaft zur niedrigsten Stufe, die dann durch irgendeine Gauklerei  und verschiedene Verblendungskunststücke die bereitwilligen Followers ins Karussell holen und weiter, immer weiter geht’s. Und da es ein Spiel ist, endet es natürlich irgendwann, aber man sitzt schon im Dampfer und kann nicht mehr raus. Es sind auch immer ein paar Spieler dabei, die genau wissen, was los ist und ihre Optionen abwägen. Da ahnt meist noch keiner, wie niederschmetternd letztendlich der Verlust ist, wenn klar wird, dass weder die Position von Gott drin war, noch nicht einmal die Rolle des Luzifers, immerhin ein gefallener Erzengel, der mit der höchsten Autorität des Dramas Schach spielt. Nein, heraus kommen viele kleine Wichte, die mit geborgten Chips auf die falschen Zahlen gesetzt haben. Bis klar wird, dass sie ganz im Gegensatz zu ihrer Erwartungshaltung nur kleine, bedeutungslose Nebenfigürchen waren, und der angehimmelte Schauspieler nur eine Comicfigur in einer Schmierenkomödie. Es wird dann viel geforscht in den Kindheitssphären dieser Phänomene, und die Zusammenhänge sind mühselig, aber durchaus wahrnehmbar von exzellenten und professionellen BegleiterInnen. Dafür müsste es allerdings die erforderliche Beunruhigung in den Betroffenen geben, was nicht zu erwarten ist. Der Blick schweift flüchtig über die Gaukelstaaten, wo keinerlei Strohhalm mehr verkauft werden kann und die tumbe Nacktheit der Herrscher offen sichtlich ist. Natürlich ist das eine Herausforderung für alle Bürger und Bürgerinnen, die Last der Wahrnehmung auf die eigenen Schultern zu nehmen, um sich selbst nicht nur die Fragen zu stellen, sondern auch eigene Antworten für möglich zu halten, was die demokratische Idee vertieft. Zum Beispiel lädt man sich ein zu ernsthaftem Dialog mit sich als Gegenüber, dem man nichts vormachen kann. Oder verbringt kostbare Stunden mit Menschen, denen man auch nichts vormachen kann. Das würde ich zum Gold des Menschseins zählen. Nicht als Statue, oder als Halskette, oder als Barren, nein. Sondern als ein Gefühl, das durch die Augen fließt.

hüten

Gelöst und getauft in den Wassern der Mythen,
nahe am Strom unsrer Schicksalsadern, hüten
wir Herden und Meerestiefen, lenken wir Willen,
fühlen den Samt an den Rändern des Tuns, wissen
um gewaltige Stillhaltezeiten, auf denen friedliche
Augen ruhen. Wenn ich betrachte, wer wir geworden
sind im Gefüge des Erscheinens, wiege ich Zahlen,
wiege das Gold, das entstand aus dem Tanz, aus der
Lichtung der Felder, Lichtung der Wälder, der
Weisheit musikalischem Ton. Das Wasser der Liebe
hat uns gebannt mit flugfreiem Atem – Ankunft am
Fuße des Berges, wo die Wachsamen leben. Überall
Aufbruch, ein Bündeln und Weben, eine Ahnung von
neuen Gestaden. Als wir uns näher kamen, mit allen
Mächten entfacht, legten wir unsere Hand auf die
Schulter der Anderen, und sagten zueinander: Das
Geheimnis liegt offen, es steht geschrieben auf  Stein:
Wir leiten durch unser eigenes Leben die Zeit des
Geliebtseins ein.

Momentaufnahme

Die starken Farben, mit denen ich gerade hantiere, kommen aus einem (Pelikan)-Malkasten unseres ehemaligen Vermieters, der sehr schöne Aquarelle damit gepinselt hatte. Er war Therapeut bis zum letzten Atemzug, ein erstaunlich großzügiger Mensch und gleichzeitig verborgen wie eine Perle in einer Muschel. Von ihm habe ich zum ersten Mal den Begriff  ‚Freischwebende Aufmerksamkeit‘ gehört, der von Freud stammt, aber mühelos in die Welt der meditativen Praktiken eingelassen werden kann und in kargen, aber genial präzisen Worten genau das beschreibt, was dort vor sich geht. Allerdings neigt sich der oder die meditativ Praktizierende niemandem zu mit dieser geschulten Ohrmuschel, nein, sondern die Wachsamkeit ist auf die Erforschung des eigenen Raumes gerichtet, eben um bei sich selbst zu schauen, was dort vor sich geht und wie man sich den Weg bahnen kann durch die auftretenden Hindernisse. Auf jeden Fall gibt es für den Weg, für den man sich entschieden hat (denn man entscheidet sich auf jeden Fall für einen Weg, auch wenn man es scheinbar dem Weg überlässt, einen zu leiten, für den bewusst oder unbewusst gewählten Weg also gibt es dann immer häufiger Hinweise. Natürlich kann man auch jederzeit den eingeschlagenen Weg abbrechen und einen anderen wählen. Dafür muss man natürlich wissen, warum einem der zur Zeit begangene nicht richtig erscheint, auf was kommt es also an? Neulich habe ich auf einem amerikanischen Sender ein Interview gesehen mit ehemaligen Q-Anon AnhängerInnen, die schienen alle auf ihre Art verblüfft, dass ihnen das passieren konnte, so einen offensichtlichen Blödsinn zu glauben: zum Beispiel dass Joe Biden eigentlich gar kein Mensch sei, sondern ein zusammengesetzter Alien, und dass morgen, also am 4. März, Donald Trump wieder Präsident werden würde, in dem sie auf eindeutig mysteriöse Weise einen Gott sehen. Es kann erschreckend sein, wenn man begreift, wie anders das Sehen andrer Menschen sein kann. Und das kann gut genutzt werden, indem man die eigene, eingefahrene Seite des Selbstverständlichen sieht. So habe ich neulich den Farbkasten wieder ins Auge gefasst und mich dann auf die aufreibende Fahrt ins Reich der Farben eingelassen. Es wird so lange gehen, wie die Farben reichen, dann sehen wir weiter. Läden werden geöffnet sein, Flugzeuge bald wieder überall hin-und herfliegen, ein tiefes Ächzen der stillgelegten Maschinerie hörbar, in Fahrt gebracht mit teurem Öl. Eine durchgeimpfte Menschheit begibt sich auf Wanderung und die Suche nach dem Faden aus dem verlorenen Labyrinth.

All-Tag

Ich hörte einen Zusammenschnitt (eines Komödianten) von mindestens 15 Moderatoren und Moderatorinnen, die sich gestern auf allen Kanälen darüber wunderten, dass es schon März ist. Leider musste ich feststellen, dass ich mich auch schon darüber gewundert habe, dass es schon März ist. ‚Normalerweise‘ komme ich im März aus Indien zurück, vor oder nach ‚Holi‘, dem orgiastischen Farbenfest, das sich auch im Westen durchgesetzt hat/te. Hatte, muss man hier sagen, denn dieses wilde Gedränge kann man sich gerade nicht vorstellen, obwohl sich vor allem Hindus ungern ihre Feste kürzen oder wegnehmen lassen, denn Rituale sind ihre lebenserhaltende Therapie, ohne die sich wenig anderes vorstellen lässt. Und schließlich ist Frühling, und das gelockdownte Murmeltier reibt sich die müden Äuglein und fragt die Anderen, wie spät es sei. Da merken wir alle wie erstaunt, dass schon März ist. Hinter uns stapeln sich die Archive mit den Inhalten dessen, was reflektiert und gedacht und geistig durchgeackert wurde, obwohl man nur auf die Titelblätter der Zeitungen schauen muss, um zu verstehen, dass Höhlen im Himalaya vorgestern waren, denn (auch) hier werden die großen Fragen jedem gestellt, zu dem sie in irgendeiner Form kommen. Und nun kommt noch Zoom dazu, chatten, posten, zoomen, was das Zeug hält, und dadurch morphen, was bedeutet, dass man etwas so verändern kann, dass etwas Neues entsteht. Ein neues Bild, ein neuer Gedanke, eine neue Sicht, eine neue Wahrnehmung. Die Menschen, sagte ein Politiker, wollen in den Alltag zurück, was mich zu der Frage bewegte, wo sie denn wohl jetzt sind, wenn nicht im Alltag. Immer ist Alltag, das kann man nicht von vielem behaupten. Obwohl, wenn der Mensch als Spezie verschwände, würde auch der Begriuff  ‚All-Tag‘ verschwinden, obwohl er es auf eine abstrakte Weise immer noch wäre und voller Bedeutung für alles, was dann noch da wäre. Der Ruf nach einem Alltag beinhaltet dann noch die Vorstellung, eine Art Alptraum würde sich plötzlich in ein Lichtermeer verwandeln, wenn man daraus erwacht. Wo all das, was so gut war, wiederkehrt, damit es wieder verzehrt werden kann, oder die langen, unwürdigen Nackenhaare wieder von der richtigen Hand geschert werden können, ach, und all die alten Leutlein mit ihren Silberlöckchen, endlich wieder unter Menschen. Klar habe ich mich ein bisschen mitgefreut, dass die Friseure sich einen Sonderauftritt erschaffen haben, um ihre Systemrelevanz zu offenbaren. Jedes gute Theaterstück braucht solche Szenen, wo man gerührt ist, dass der freundliche Friseur  um Mitternacht den ersten Kunden und Kundinnen Konfetti entgegenwirft, damit man merkt, wie tief die Rassismus-Runen aus den Adern der Ahnen strömen, und fast unbemerkt kann man kleine Schalthebel umlegen und wieder vorwärts schauen. Sicher ist, dass niemand diesen Winter vergessen wird, auch wenn es so weitergeht, wie es bisher auch weiter ging im Rahmen der Grundausstattung: Es war ordentlich kalt, es gab Schnee, und jetzt hört man das faszinierende Schreien der Wildgänse, die in langen, meisterhaften Formationen über uns hinwegziehen. Tatsächlich: es ist März!

 

Maus und Katze

Ich musste das Bild der Katze, die hier sehr schön ihren Raubtieraspekt zeigt, verkleinern, damit das Kunstwerk auf der linken Seite nicht dagegen verblasst.  Es ist erschaffen worden von einer heldenhaften Maus, die ich nach gemeinsamem Hin-und Herhuschen mit der Katze tatsächlich wieder einmal mit einem dafür bereitstehenden Gefäß in Sicherheit bringen und an einen Ort transportieren konnte, aus dem hervor ich sie dann ins Freie zu transportieren plante, vorbei an der wilden Katzen-Jägerin. Drei Stunden vergingen. Die Maus hatte vorübergehend etwas vom Katzenfutter  abbekommen, und siehe da, die Hälfte war gefressen. Muss ja auch ziemlich aufregend sein, in einem gierigen Maul aus der eigenen Wohngegend herausgeholt zu werden und in völlig fremdes Territorium verfrachtet, wo vor allem ungewiss ist, ob ich das überleben werde. Unter dem Gefäß befand sich wie auch sonst in solchen Situationen ein wenig biegsamer Pappkarton, um den mühelosen Transport zu gewährleisten. Nicht so heute. Im Dämmerlicht konnte ich gar nicht erkennen, welche ungeheure Arbeit diese Maus in der kurzen Zeit geleistet hatte, das kann man gerne auf der Originalabbildung oben einen Nu lang bewundern. Sie durchnagte praktisch den ganzen Kreis, und siehe da, als ich Gefäß und Karton gemeinsam hochhob, entkam sie. Wie aber vermittelt man diesem nun wiederum sich gejagt fühlenden Tier, dass man sehr ähnliche Interessen hat, nämlich durchaus ein Freisprung hinaus in die Welt der Hügel und Wiesen, wo vielleicht Artgenossen schon besorgt waren. Na ja, sorry, aber wer weiß (!)(?) Ich verschob dann alles, was verschiebbar war, und ahnte langsam, wo der letzte Fluchtweg sein könnte. Ich holte mir Hilfe. Gemeinsam durchforsteten wir den vermuteten Ort, und da wir es draußen taten, kam sie tatsächlich aus einem Schlupfwinkel hervor und war auf und davon. Ich kann es nicht leugnen, es ist ein Glücksgefühl über etwas, das wir gemeinsam errungen und möglich gemacht haben. Die Katze musste auf Spiel und Mord verzichten, ich auf einen Teil meiner Ruhezeit. Früher dachte ich, dass Katzen oft gehalten werden, um Mäuse zu fangen, und nicht, um sie von draußen nach drinnen zu bringen, wo natürlich die Möglichkeit des Spieles viel größer ist. Aber die Geschichte wollte ich erzählen, weil die Maus für mich die Heldin des Tages ist. Oft sitzen sie ergeben und todesbereit oder im Schock in einer Ecke, aber s i e nutzte jeden verfügbaren Moment und bahnte sich einen Weg in die Freiheit. Ungern möchte ich nun an die Labore denken, wo so viel Intelligenz geopfert wird, damit Menschen ihr Leben so wenig krank wie möglich leben können. Neulich hörte ich, dass es gerade Probleme gibt mit der Affenbesorgung, an denen man die neuen Vaccine ausprobieren kann. Dabei leben unter ihnen Künstler und Künstlerinnen wie du und ich.