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Ich habe auf dem streng durchgestylten Terminplan fünfzehn Minuten Zeit, um den Satz zu sagen, der sich heute früh in mir formierte: ich muss passen. Ich meinte den Wunsch, andere an meiner Erfahrung (in dieser Klinik) teilnehmen zu lassen. Schließlich erlebt man alles auf höchst persönliche Weise, was durchaus unterhaltsam sein kann. Aber dann stößt man auch zuweilen auf Grenzen, die einem vorher noch nicht begegnet waren. Und ich denke, dass man sich das nicht unbedingt vorstellen muss, wie ich hierhin und dorthin gehe, mal mit Handtuch, mal ohne, und wie ich mein kleines Postkästchen dreimal am Tag öffnen muss, um zu wissen, was ich noch alles vorhabe. Kurz, es wird keinen Beitrag geben für eine Weile, außer, mich ergreift ganz unverblümt ein poetischer Impuls, was eher unwahrscheinlich ist bei dieser Betriebsamkeit in befremdlichen Gefilden. Das Wort „passen“ gefiel mir, heißt es doch einerseits, etwas ist stimmig, oder die Hose passt. Andrerseits kann man sich damit zurückziehen, sich verabschieden für unbestimmte Zeit, sich in das sich darbietende Schicksal fügen, das (zuweilen) eigene Gesetzmäßigkeiten verkündet, denen man nicht ausweichen kann. Ich nannte es ja den Garten der Heilung, und tatsächlich erstreckt sich vor meinem Balkon ein weiträumiger Park, von dem aus zumindest zu nächtlicher Stunde, wenn man nichts mehr vorhat, ein kühler Wind weht. Schiff ahoi!
So, angekommen seit gestern im Großreich der klinischen Ordnungen. Nicht, dass einen wegen der außerordentlichen, von außen her auf einen wirkenden Fremdheit man gleich zum Stift stürzen will, um sie mit der eigenen Fremdheit in Balance zu bringen, nein. Man will überhaupt und vor allem nicht stürzen. Es dämmert jedoch bald, dass die ohne Gehhilfen Voraneilenden vermutlich zum psychosomatischen Trakt gehören, während andere, also wir Vierbeinigen, in den orthopädischen Gängen herumtrapsen, aus ebenso vielen verschiedenen Gründen, nur körperlich sichtbarer. Beim ersten Abendessen will ich mir den Saal mal ansehen und stoße, der Glockenturm hat gerade mal die Essenszeit angekündigt, auf ungefähr 150 bereits essende Menschen. Man könne auch früher kommen, erklärt man mir. Eine Unmenge von Informationen muss aufgenommen werden, schon bekomme ich mit, dass sich einige vom Trainingsstress beurlauben lassen. Ähnliches stelle ich für mich auch in Aussicht in der dreiwöchigen Zukunft. Aber freundlich sind sie alle, das erzeugt wohl die eigene Not. Ich lasse mein Abendessen zu einem Tisch am Fenster tragen, wo eine der wahrscheinlich jüngsten Patientinnen sitzt. Sie sucht nach Gründen für schmerzende Schultern, die ihr ganzes Leben aus den Angeln gehoben haben. Sie weiß nicht, ob sie schon etwas darüber herausgefunden hat und fühlt sich zu jung, um schon Distanz zum lebendigen Strom genießen zu können. Heute früh sitze ich dann bei einem gerade mal ein paar Worte Deutsch sprechenden Mann, der gleich entlassen wird, ich gratuliere. Ein ewiges Kommen und Gehen. Sand, Ebbe und Flut. Erstaunt hat mich die Helligkeit meines Zimmers, wo ein Architekt sich richtig Mühe gemacht hat, um alles mal etwas origineller zu gestalten, viel Spiegel und kecke Formen um andere Formen herum, und riesiger Stauraum für Mitgebrachtes. Entweder das Telefon klingelt, um einen irgendwo hinzubefördern, oder man schaut erstaunlich oft auf die Uhr, um anstehende Termine nicht zu verpassen. Wieviel Eingebung hier außer all dem noch möglich ist, muss sich zeigen. Im Aufzug fragt mich eine Krankenschwester, ob ich Künstlerin sei. Ich zögere. Neulich hatten wir schon mal eine Künstlerin, meint sie. Wie erkennen sie die denn, frage ich zurück. Sie ziehen sich immer etwas anders an, das mag wohl sein. Jetzt muss ich zur Chefarztvisite.
Schreiben macht keine neuen Menschen. Aber es schafft
Klarheit und Verstehen. Oder doch den Anschein. Und wenn
man mit seinen Worten Glück hat, ist es wie ein Aufwachen
zu sich selbst, und es entsteht eine neue Zeit:
die Gegenwart der Poesie. *
* Diesen Satz habe ich auf der ersten Seite des neuen Buche**
“ Das Gewicht der Worte“ von Pascal Mercier gefunden.
*
Ich nehme an, dass in der Spieleindustrie das Wort „level“ gang und gäbe ist, und neuerdings mag ich es auch. Vielleicht, weil es mir nicht um riesige, neue Karotten geht, denen ich als Esel hinterhereifern kann, sondern „level“ bedeutet für mich (u.a.) die Skala meiner eigenen von mir bis jetzt herausgeackerten Fähigkeiten, oder auch Zuständen, die auf bestimmten Ebenen eine Rolle spielen. Natürlich haben in allen erfassbaren Dingen und Gedanken andere für uns vorgearbeitet, sodass man sich vertrauensvoll (und vor allem über die eigene Erfahrung) daran halten kann. Menschen haben das Unfassbare in Symbolen dargestellt, auf die man immer mal wieder zugreifen kann, oder sie betreten wie Portale zu einem erweiterten Verständnis. So kann man, in gewissem Kontext, alles Existierende in drei Symbolen erfassen: dem Dreieck (der Pyramide), dem Quadrat und dem Kreis. Phantastisch! Die kosmische Gewissheit des Tao in einer Nussschale! Gestern kam es in einem Gespräch mit einer befreundeten Frau aus Kalifornien zu der Frage an mich, wo ich unbedingt an diesem Punkt in der relativen Zeit noch hinreisen wollte. Ist man irgendwann unterwegs im Leben von der Leidenschaft ergriffen (gewesen), möglichst viel von der sogenannten „Welt“ zu sehen, weiß man bald, wie viele Orte man nicht sehen wird, hat jedoch mit viel gutem Schicksal doch sehr viel sehen und erleben können. Allein, wenn ich daran denke, dass ich damals über Land gekommen bin von Griechenland und der Türkei aus bis nach Indien. Vieles war noch einigermaßen heil, die Statuen standen noch, man konnte die Gräber der Poeten suchen und finden, wo wir dann einen Tropfen Quecksilber zu ihren unsterblichen Herzen fließen ließen. Ja, und natürlich Ägypten, vor allem das innere Ägypten, wo wir das Geschenk dieser Urzeit aufnehmen konnten in den mystischen Raum der Ahnung. Gerne würde ich, wenn ich wieder gehen kann, mit meinen eigenen Füßen über die Steine des Tempels von Luxor gleiten und mich einweihen lassen in die Geheimnisse ihrer architektonischen Präzision, sodass von all dem, was da war, nicht wirklich etwas verloren gehen kann. Eben so, wie man die Sphinx mit dem Verstand nicht erfasst. Und doch ist es nicht das Ägypten, durch das ich beschenkt wurde. Alles gehört nun allen. Die meisten können überall hingehen, von Georgien bis in die Wüste Thar. Da kommt man zuweilen nicht mehr in die Ruhe des Raumes, in dem d a s stattfinden kann, wofür man gekommen ist. Aber zurück, bzw. von da aus zu den Levels. Meine Pyramide also, ganz einfach als Dreieck zu zeichnen, dann zehn Level. Bei mir waren unten die eher schwierigen Gebiete der Schattenwelt, die dunklen Gänge, die Korridore, wo Mut und Abenteuer gefragt sind und Erfindungsgabe, und Willen zum Aufstieg. Auch Level 11 hat sich bereits gezeigt, die scheinbar unerreichbare Frequenz der Befreiung von sich selbst als durchgrübeltes System, nun sich selbst im Weg mit der dort unangebrachten Grübelei. Aber gut, das ganze ist ein Spielfeld. Im Krankenhaus hing im Zimmer an der Wand eine Schmerzpyramide. Es war genau umgekehrt, d.h. unten war das Licht, gelb und orange, und ging bis an die Spitze zu immer tiefer werdendem Rot: der unaushaltbare Schmerz. Der Arzt, ein Jordanier, erkundigte sich nach dem Level, und da war man froh, wenn man unten auf Level zwei oder gar eins war: erträglich.
* Photo: Kalima Vogt
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Nach solch einer technischen Einpflanzung, wie ich sie gestern beschrieben habe, geht die sich selbst erzeugende Anekdote dann ihren Lauf. Na ja, so ganz von selbst natürlich nicht, obwohl ich mir vorher in keiner entgleisten Vorstellung hätte austüfteln können, dass ich darüber nachdenke, was ich mitnehme in eine Reha, die man uns technisch Manipulierten rät, damit wir wieder zu selbstständigen Kreaturen werden, was ja ein verlockendes Angebot ist. Nun sehe ich die Beiträge in meinem Blog zwar nicht abgekoppelt von meiner emotionalen (oder körperlichen) Befindlichkeit, finde es aber meistens nicht unbedingt angebracht , darüber Berichte abzuliefern. Denn wenn ich morgens hier sitze und das virtuelle Fenster nach draußen öffne, kann mir alles Mögliche einfallen, was lockt und ruft und geteilt werden möchte. Nun werde ich allerdings ein paar Wochen an einem ziemlich weit entfernten Ort (im Verhältnis zu meinem Schreibtisch) verbringen in einer Klinik, wo sich für mich ein Platz finden konnte in der Maschinerie der Ordnungen, von denen man keinen blassen Schimmer hat, wenn man nicht in Kontakt damit gekommen ist. Aus der Welt der gebannten Gespenster taucht „Der Zauberberg“ von Thomas Mann in meinem Inneren auf, und ich denke, ja, warum nicht, denn ich werde unter diesen räumlichen Umständen kaum mit denselben Eingebungen rechnen können, wenn ich überhaupt damit rechnen kann. Denn angeblich hat man viel zu tun in so einem Sanatorium, weil man dort wegen der körperlichen (und vielleicht auch geistigen) Optimierung unterwegs ist. Außerdem finde ich es reizvoll, an Plätzen in der Welt aufzutauchen, die mir den Grad meiner eigenen Fremdheit bewusst machen. Es ist nicht so, dass ich den Luxus der Fremdheit für mich selbst in Anspruch nehme, sondern für mich sind wir alle Fremdlinge auf diesem Planeten, also Menschen, die sich nur auf der Basis ihrer eigenen Selbsterkenntnis näher kommen und verstehen können, und wo die Frage „Wer bin ich“ und „Wer bist du“ alles Weitere bestimmt, also das, was an authentischem Geschehen möglich ist. Und so weiß man von allen Orten der Heilung, dass dort Menschen vor allem mit ihren Leiden beschäftigt sind, was nicht unbedingt eine schlechte Basis für Kommunikation sein muss, aber auch eine gewaltige Themeneinschränkung bietet. Kurz, ich merke, ich bereite mich darauf vor und nehme auf jeden Fall meine (große) Maschine mit und mal sehen, was sich so ergibt und gestalten und erleben lässt im Garten der Heilung,
*aus der „Zeit“
Manchmal möchte man tiefer eindringen oder zumindest mehr verstehen von einem Geheimnis, das sich wie alle Geheimnisse nur über bestimmte Bedingungen begreifen lässt. So, wie alles Gedachte nicht die letzten Antworten enthält. Sofern es sie, die Antworten, überhaupt gibt oder jemals geben wird. Eine der besten Zugänge zu allem (Mensch, Tier, Natur) ist nach wie vor die Erfahrung, und auch sie dient nur weitgehend, wenn sie so klar wie möglich reflektiert wird. So sagte ich zu dem jordanischen Arzt und den ihn begleitenden Krankenschwestern in einem naheliegenden Krankenhaus, in dem ich soeben eine Woche verbracht habe, um mir ein neues Hüftgelenk einbauen zu lassen: „Jetzt bin ich ein Cyborg“. Ich fand das gefühlsmäßig ziemlich wahrheitsgetreu und fühlte mich unter dem Baldachin des Begriffes pudelwohl. Eine leise Befremdung war aber dadurch auf jeden Fall in den Raum geweht, und vermutlich war diese Verbindung den dort Beschäftigten nicht in erster Linie vertraut. Auch, bzw. nur ich, fing an, darüber nachzudenken, was ich denn selbst unter einem Cyborg verstehe, dh. ich sah mal nach. Dort erfuhr ich, dass „als Cyborg Menschen bezeichnet werden, die mit technischen Hilfsmitteln ihre biologischen Qualitäten verbessern oder erweitern“. Na bitte, sag ich doch. „Diese Menschen werden je nach Ausprägungsgrad zu einer Art Mischung aus Mensch und Maschine“. Nun ja, die mutigen Handhaber der technischen Maschinen haben bei mir lediglich ein Stück Knochen herausgesägt, um es mit einem künstlichen Objekt zu ersetzen: ein dolchartiger Schaft verankerte sich ohne Zement im Innenraum meines Beines. Nun nennt man, wenn Chirurgen so etwas ein paar hundert Mal hinter sich gebracht haben, sowas gerne einen Standard Klacks. Doch ist man selbst betroffen, kommt es einem in der Tat so vor, als gäbe es nur noch mehr oder weniger gut bewältigte Dolchstöße in den Oberschenkeln der Menschheit. Aber nein, in den Gängen der Hospitale laufen künstliche Kniee herum, ganz zu schweigen von der Anzahl von technisch Eingebautem im eigenen Erholungszimmer. Frau Fischer zum Beispiel hatte schon so ziemlich alles in sich eingebaut, was der Fachmann heute leisten kann. Allerdings würde man bei ihr nicht auf den Begriff „Cyborg“ kommen, sondern eher hoffen, dass ihr weitere technische Einpflanzungen erspart werden würden. Ich persönlich wäre lieber, oder auch gerne, direkt am Operationstisch gestanden und hätte zugeschaut, wie das gemacht wird: aufmachen, sägen, draufsetzen, schließen. Dazu kommt noch was, was ich erst jetzt realisiert habe. Und zwar musste ich bei der Einweisung ein Papier unterzeichnen, was die Erlaubnis bestätigte, dass mein herausgesägtes Teil weiter verarbeitet bzw. aufgearbeitet werden kann. Das erfreut einen natürlich, dass man noch nebenher zum Spender beziehungsweise einer Spenderin werden durfte. Ich habe auch dort zum ersten Mal meine Blutgruppe erfahren. Hocherfreut hörte ich, dass es Null ist. Nicht nur kann ich jedem Blut spenden, sonder jeder kann auch mir spenden. Die Null an sich ist auch hier der wohlklingende Kern. Die Hybridin bedankt sich für Ihre Aufmerksamkeit.