Das hat mich schon manches Mal verblüfft, dass der Himmel, wie die vergangenen Tage hier, wolkenlos war, und auf den Gongschlag mit Neumond wandert ein dunkles Wolkenmeer herein, und man kann davon ausgehen, wenn man hinausgehen möchte, dass man auf verdunkelte Gemüter trifft. Das durfte ich schon gestern an mir feststellen, als Ayesha, deren Besuch für heute angesagt war, wegen Neumond verschoben wurde. Da tut sich der berühmte Spalt auf, der bei mir in diesem Fall so aussieht, dass ich gerne ab und zu auf mein linkes Handgelenk zeige, wo eine Uhr sein könnte, und sage zu jemandem: Hallo, wir haben 2018 und händeln Smartphones, und dann wird an Neumond nicht gereist. Warum, frage ich. Oh, sagt sie, weil der Schatten des Todes der Großmutter noch über dem Haus schwebt, und das passt natürlich gar nicht, und wer könnte es nicht mit ein bisschen gutem Willen verstehen. Da liegen ja auch immer Weisheitskörner in den Dingen, aber wo muss man den Volksmund oder die letzte Eso-Ecke endgültig verlassen. Weil ich aber, um A. zu sehen, in der Familie eingeladen war, wo wir uns meist treffen, ging ich hin, und da lagen drei kranke Menschen: S. hatte Ohrenschmerzen und Kopfweh, die Großmutter aus Indore musste sich dauernd übergeben, und der Vater, von dem man mir neulich stolz erzählt hatte, er wäre schon 3 Monate „trocken“, hatte wieder einen Rückfall, und lag betrunken im Bett. Der Sohn war auch ein paar Tage zu Besuch von seinem College, und, wie mir die Mutter versicherte, hat seinen Hass gegen den Vater nun in ein Verständnis umkehren können für die Krankheit. Da der Arzt dem Trinker der auch Arzt ist, den sicheren Tod prophezeit hat, wenn er auch nur einen Zentimeter im Glas zu sich nimmt, frage ich R., seine Frau, wie sie das sieht, und ob sie ihn weiterhin qualvoll erhalten will, das Ganze läuft ja schon 40 Jahre. Da sagt sie, wir brauchen ihn für die Konstruktion des neuen Hospitals, das gerade entsteht, und das steht nun in banger Frage. Das alles auf kostbarer Marmorfläche mit Tee in Porzellantassen. Der neue Hund, gerade mal einen Monat alt, pinkelt auf meinen Schal. Dann werde ich gezwungen, was zu essen, natürlich sind Zwiebeln und Knoblauch drin, was mir heute zu Neumond natürlich nicht bekommt. Ich nörgle und klage wahllos ein bisschen herum, über das versandende Indien, das „wir“ (AusländerInnen) so geliebt haben, und nun dieser Anrausch des Kapitalismus, als hätten wir nicht gerade deswegen einst unsere Länder verlassen. Alle sind höflich, aber mit eigenen Sorgen beschäftigt. Auf der riesigen Flatscreen läuft die Lifeübertragung eines Cricketspiels, und Männer hauen pausenlos auf irgendeinen Ball, den ein Anderer catchen muss. Ich gestalte einen Abgang und finde draußen auf der Straße nach einigen Minuten eine tödlich gefährliche Lücke zwischen abgasträchtigen Lastwagen, und dann die erlösende Gasse. Deswegen bleibe ich heute zuhause und pinsle herum. An Amavash (Neumond) muss man yuktiyukt sein, dh. kluge Methoden anwenden, um gut drauf zu sein und zu bleiben.
Gerade höre ich, dass zwei Neumonde gefeiert werden, heute und morgen. Das wird durch das indische Horoskopsystem bestimmt. Na dann.