Monat: Mai 2018
fragen
Es ist interessant, wie inmitten dieser von vielen Menschen dunkel reflektierten Zeit einer innerlich akzeptierten und kollektiven Ohnmacht, was die persönliche Kontrolle der Vorgänge betrifft, nun gleichzeitig die großen Fragen auftauchen, wobei „groß“ hier bedeutet, dass es die einfachen Fragen sind, die man gerne, bevor sie Fragen werden, als das Selbstverständliche betrachtet. Das Selbst scheint vieles zu verstehen zu glauben, bevor es gefragt wird, oder, im besten Falle, sich selbst die einfachen Fragen stellt und gespannt auf die Antworten wartet. Was ist Liebe? Was ist Glück? Was macht der Mensch hier eigentlich auf dem Planeten? Gibt es einen Herrscher über uns alle? Bestimmt jemand meinen Weg? Bin ich frei? Was mache ich damit? Undsoweiter. Das, was Einzelne immer wieder in die Berge trieb, um selbst das Selbst zu ergründen und dadurch weltkundig zu werden und um letztendlich, wenn alles gut ging, sich an ruhiger, innerer Quelle aus dem Ganzen zu verabschieden. Es gab den sogenannten Weg, auch bei uns im Westen, vor allem vermittelt durch die Griechen (aber auch vielen anderen Philosophen) und ihre vortreffliche geistige Akrobatik in der Mühe und Meisterschaft, den hochkomplexen Darbietungen des Seins selbst die Geheimnisse abzutrotzen (abtrotzen! was für ein kraftvolles Wort!) und sie in eigene Worte und eigenes Sein zu führen. Das System, in dem wir uns vorfinden, basiert ja nicht und niemals auf einem vorgeschriebenen Grundgesetz, dem alle folgen müssen. Nein, es wird immer gemeinsam gebastelt. Allein das Habenwollen schafft unendlich viele neue Welten und Bedingungen, unter deren Joch die Wünscher zu leiden lernen, denn niemand weiß vorher, was aus all dem Gewünschten alles wird, und dass der Strom der stillen Übereinkünfte so stark werden kann, dass kein Damm und keine Bremse mehr sinnvoll erscheint. Auch bremsen kann nur, wer weiß, wo die Bremse ist. Auch Wissen wurde oft genug geheim gehalten, damit es nicht in missbräuchliche Hände fiel. Wissen ist Macht. Und Macht verführt. Es ist schrecklich und eine Ebene für sich, die Verführungen an sich selbst und anderen zu erleben, bevor man die Formeln der eigenen Befindlichkeiten verstanden und dadurch gelernt hat, dass auch in diesem Garten das Tor geöffnet bleibt. Damit sich, wie im Kepos von Epikur, die Freunde beim philosophischen Gespräch wohlfühlen können. Es gab diese Zeiten, wo viel darüber nachgedacht wurde, was der Mensch eigentlich braucht zu seinem Glück. „Glück“ ist nicht mein Lieblingswort, ich mag lieber „Wohlbefinden“. Wie soll ich das Sein wirklich wahrnehmen, wenn mir die Muße fehlt, mich darauf einzulassen? Hier sind wir schon im meditativen Feld, das sich notgedrungenerweise zu Systemen formieren musste, um lebensfähig zu bleiben. Aber da wir jetzt kein System mehr vor der Nase haben, das uns die schätzenswerten Dinge des Lebens anpreist, ohne unser Fleisch-und Datenblut dabei auszusaugen, ist es eben gut, sich die Fragen ganz einfach mal selbst zu stellen. Epikur galt bei manchen als Schlemmer, weil er keine Morallatte aufgestellt hatte gegen das Vergnügen des Daseins. Er selbst empfand es als Luxus, ab und zu Käse zu Wasser und Brot zu essen. Wobei Beispiele aus der Geschichte sich uns oft einprägen, weil sie extrem sind, uns aber anregen können zum Nachdenken.
umgehen
In Indien, höre ich von Freunden über WhatsApp, sind es gerade 48 Grad Hitze, mit denen sie umgehen müssen. Immer muss man mit etwas umgehen, auch wenn sich das Bild der äußeren Schrecknisse mehr einprägt als das, was einem selbst bei angebrachtem Mitgefühl alles verborgen bleibt. Was an unserer Ecke des Wohnens gerade den Umgang mit paradiesischer Blütenfülle lehrt, ist ein paar Kilometer weiter zu einer einzigen Überforderung geworden, wenn Menschen mal wieder den Lehm und die vom Großregen unbrauchbar gemachten Gegenstände nach draußen auf die Straße werfen müssen, und dass es auch dabei darauf ankommt, wie es gehandhabt wird von den Individuen. Etwas scheitert, etwas kann neu erschaffen werden, selten bin ich wirklich handlungsunfähig. Das Ich, Erzeuger/In der Anekdoten. Wenn ich nicht durch eine meiner Einstellungen blockiert werde, die sich oft genug mit der Schuldfrage beschäftigt, vor allem aber mit der Schuldzuweisung als ein Mittel flüchtiger Erleichterung, kann eine Katastrophe durchaus zu einem Vorgang werden, der mir die Möglichkeit gibt für verwandeltes Denken. Nicht, dass man die Herausforderung suchen muss. Was mir vor allem auffällt an diesem Mai anno 2018 ist, dass man dem Blütenausbruch kaum hinterher kommt. Mir scheint, als hätte es bereits ein High Noon gegeben, in dem die Natur sich in solch einer Makellosigkeit präsentierte, sodass man gerne Zuschauer wurde in der ersten Reihe, um nicht zu viel von dem ganzen großzügigen Ausbruch zu verpassen. Erst schien alles gleichzeitig auszubrechen, sodass viel von substantieller Nahrungszufuhr über die Sinne stattfand. Dann aber auf einmal die braunen Häufchen auf dem Boden! Wann ist das passiert, dass der berauschend schöne, tiefviolette Fliederstrauch auf einmal nicht mehr da ist!. Dann kommen die Pfingstrosen hervor, die Königinnen der Entfaltung, man kann weiterhin staunen. Und die Geschehnisse ausbalancieren, alles in seinem eigenen Maß. Wer die Katze zufällig erwischt mit der noch lebenden Maus im Maul, macht sich auf, sie ihr abzutrotzen, obwohl es vor allem für den Menschen Sinn macht, keine Beute zu erlegen. Etwas in ihm arbeitet automatisch an der Überwindung oder aber Förderung seiner eigenen Natur. Da scheint ein Hebel eingebaut, der als Richtungsweiser dient. Die Vernichtung der Zecke als lästiger Vampir im Gegenspiel zu der Ärztemoral, sich stets für die Erhaltung des Lebendigen einzusetzen, obwohl auch hier klar geworden ist, dass nicht alle Mittel als menschlich wertvoll zu bezeichnen sind. Wer soll es mir deuten können als ich selbst im Zeugenstand, beziehungsweise auf der Zeugenschaukel meiner eigenen Wahrnehmungen. Und dann all die „Anderen“, die auch pausenlos Entscheidungen treffen: für den Strohhalm, gegen den Strohhalm, für ein saubereres Meer für die Nachfahren, wenn wir nicht mehr daran beteiligt sind. Es gab schon mal eine Welle von Produkten, wo etwa ein Strumpf länger halten konnte als ein Menschenleben. Man hielt es für Qualität. Die musste dringend aufhören, da der Mensch, will er sich in dem Reichtum, der uns hier zur Verfügung steht, weiterhin tummeln, durch weiteres Kaufen dazu beitragen muss, dass auch weiterhin getummelt werden kann. Aussteigen? Im prächtigen Sommer? Liebe Kinder, sagen die Weltretter, ihr dürft auch weiterhin an euren Halmen suckeln, nur das Material wird sich ändern müssen, da wir daran zu ersticken drohen. Man muss überzeugt sein, dass der eigene Verzicht auf den Strohhalm auch Wirkung hat. Es ist ja nicht alles vergebens. Vielleicht machen sie, wer immer das sein mag, die Dinger ja wieder aus Stroh, gibt es doch noch. Stroh. Dann kann man sich wieder daran festhalten. (Oder nicht).
Das rechte Bild stammt aus einem Schlossgarten. Der Himmel spiegelt sich in der Wasserfläche eines alten Brunnens.
dürfen
Darf ich den Dijkstra Algorithmus hier als Anhängsel an mein eigenes Photo einer erschöpften, aber dennoch schönen Blüte als meine Blog-Inspiration des heutigen Tages nehmen.(?) Von wem nehme ich, oh all ihr Unbekannten und Unerkennbaren dort im weiten Netz der neuen Weltordnung. Kann ich die neuen Gesetze, deren Vernunft mir einsuggeriert wird, als meine eigenen, vernünftigen Gesetze erkennen, wenn ich weiß, dass an den imaginierten Hebeln der Köpfe und Hände nicht Menschen sitzen, die an meinem, wenn ich das jetzt mal persönlich nehmen darf, Wohlbefinden auch nur im geringsten interessiert sind, denn es sind gar nicht mehr so sehr die Menschen, sondern das nun jedem Bürger und jeder Bürgerin vorgebrachte Algori(y)thmus-Rätsel, bei dem es vor allem um das reichlich gefährliche Interesse von Maschinen geht, genaue Daten zu sammeln, damit ich mich angesprochen fühle, wenn mir vorgeschlagen wird, was mir gefällt oder nicht gefällt. Ich freue mich heute noch über meine kindliche Reaktion, als mir vor Jahren nach einer Buchbestellung bei Amazon einmal vorgeschlagen wurde, was Leute, die das lesen, was ich lese, auch noch lesen, und ich mich mit einer Mail bitter beklagt habe, dass man mir vorschlägt, was ich lese, und mir empfohlen wurde, ganz unten auf der Seite auf ein Knöpflein zu drücken. Das war ja nur der Algorithmus, Bruder Algorithmus, der weiß, was mir guttut und sich darum kümmert. Irgendwas an dieser gnadenlosen Volksverdummung muss ja extrem erfolgreich sein, denn selten wurde solches Boomen gesehen. Ein mir auf den Leib geschnittenes, digitales Kostüm wird mir angeboten, wo jemand genauer als ich selbst weiß, was mir passt und zu mir passt. Das ist die gigantische Verführungsmaschinerie, bei der jede/r Planetarier/in schon weiß, wir sind da mittendrin und segeln gemeinsam durchs All auf dem digitalen Schlachtschiff, und es gibt vermutlich niemanden, der nicht auf die eine oder andere Weise mit innerem oder äußerem Kampf beschäftigt ist. Ohne Smartphone ist auch keine Lösung, genauso wenig wie „vegan“ das Ende der „guten“ Esskette ist. Wer gut, wer böse? Gibt es sie wirklich, die Eindeutigen, oder schafft die Kraft des wachen Bewusstseins an bestimmter Stelle hier eine gewagte Kehrtwende? Wie will ich denn das digitale Zeitalter erleben? Auch das Amt der Kassandra ist nicht mehr attraktiv als Besetzung. Dasselbe gilt für die männlich organisierte Welt der Alpha-Tiere. Wer will im tumben Stil des Spiels den Ball weiterreichen? Und nun das Netz, keine paar Jährchen alt, und hat uns im Griff. Bitte beschreiben Sie in klaren Worten, was ein Algorithmus ist. Den Algorithmus gibt es schon lange, Euklid, wann war das. Alles ist nur Materie, bis es vom Geist belebt wird, und umgekehrt. Freiheit und Verantwortung verlieren sich leicht im Rausch des Unübersichtlichen, in dem nun aus als super intelligent gesehener Quelle die neuen Ordnungen erschaffen werden, die die Menschheit in die Zukunft führen sollen. Denn man weiß vom Menschen, dass er sich an alles anpassen kann, was ihm vorgeführt wird, es als sein/ihr Schicksal vermutend, und er oder sie oder wir oder ich oder du es letztendlich auch nicht mehr anders zu sehen vermag(ögen). Daher vielleicht das tiefe Interesse am Erwachen, im Zentrum des Sturmes einen Ort wahrnehmend, alles dabei, was erfrischendes Sein befürwortet, und klaro, augerüstet mit allen technischen Instrumenten, auf deren Dienste man ja nicht verzichten muss.
Wu-Di von Liang
Wie auf Bergen die wachsenden Bäume:
Jeglicher Baum hat ein anderes Herz.
Wie im Wald die singenden Vögel:
Jeder Vogel sein eigenes Lied.
Wie im Strom die schwimmenden Fische:
Jeder für sich taucht unter und auf.
Hoch wie die steilauf ragenden Berge,
Tief wie die grundwärts sinkenden Fluten:
Mühelos sichtbar die Spur seines Tuns.
Schwer zu erforschen die innre Gestalt.
wirklich
Nun sage ich besser gleich, dass das kein Engel ist, obwohl: wer sagt, was ein Engel ist oder nicht, wenn ich ihn sehe, aber auf dem Bild ist es nicht wirklich ein Engel (oder ein Vogel), denn es ist ein zerknülltes Taschentuch auf dem Deckel meines Papierkorbes. Ich schätze tatsächlich jede Gewahrsamsübung, denn einerseits kann es sehr schön sein, in einer Beugung des Bettzeugs ein griechisches Profil zu erkennen, aber es sagt auch etwas über einen Aspekt der menschlichen Wahrnehmung aus, der ziemlich ungemütlich werden kann, wenn man bedenkt, wie viel man sieht und hört von dem, was gar nicht da ist. Vielleicht sind so die Worte Nach-Denken und Nach-Sehen usw entstanden, damit man lernt, nochmal genauer hinzuschauen, ob die Dinge wirklich so sind, wie sie mir erscheinen. Wie mir die Dinge selbst erscheinen, ist ja meine Sache, und nichts spricht dagegen, dass ich sie gerne mitteile, oder gerne auch die Wahrnehmungen anderer teile, die sie mir weitergeben. Nur vergessen wir (zu) oft, dass nicht nur die meisten Menschen ihr Wahrgenommenes als das betrachten, was es auch für die anderen ist, sondern wir vergessen, dass wir vor allem in Gesellschaften wie unserer, wo geschliffenes und reflektiertes Denken wertgeschätzt wird, alles Denken genau von den vielen Bedingungen dieser Gesellschaft geprägt ist, also woanders als solche Wirklichkeit gar nicht vorkommt. Es gibt ja diese Anekdote über ein Experiment, bei dem in einem kleinen afrikanischen Dorf den BewohnerInnen der Film einer Straße in New York gezeigt wurde, und sie sahen alle das gleiche aus ihrer eigenen Welt und lachten herzlich, denn sie sahen alle Hühner. Das Auge und das Ohr holen sich heraus, was sie zu sehen und zu hören glauben und halten es für die bestehende Wirklichkeit. Wenn ich in Indien bin, treffe ich auf so viele Menschen, denen ich und ihrer Familie von Herzen eine gute therapeutische Behandlung wünschen würde, aber was habe ich nicht alles von den Formen des Wahnsinns dort gelernt von Menschen, die man keine Minute hier in ihrem Zustand auf der Straße geduldet hätte. Sie wurden einfach von allen beobachtet und weitergeleitet, und die meisten zeigten sich harmlos und sind auch heute noch unterwegs. Wissen kann auch lebensvernichtend sein, wenn zu viele Ähnlichkeiten zwischen mir und den Anderen gesucht werden, bei allem Erkennen einer gemeinsamen Quelle jenseits aller vorhandenen Weltanschauungen. Wenn das immer illusionäre Bild der Welterscheinung tatsächlich nur durchdrungen werden kann durch eine Art der Selbstbetrachtung, die das eigene Sein als das einzige Forschungslabor sieht, in dem man selbst der Zeuge des Weltgeschehens ist mit einem gewissen Anspruch an Wahrheitsgehalt, dann kommt man notgedrungenerweise zu der Erkenntnis, dass es so ist, wie es ist, und lockert die Riemen des Anspruchs an den Wahrheitsgehalt. Man betrachtet leicht ermüdet die Vielzahl der Meinungen, die man sich aneignen zu müssen glaubte, als hinge das eigene Wesen von ihnen ab und könnte nicht einfach den eigenen Augen trauen. Eben. Man muss lernen, bis man ihnen trauen kann zu erkennen, was jeweils wirklich da ist, und nicht, was man selbst oder was andere daraus machen wollen. Es ist die Kunst, die uns in die Erweiterung der Wahrnehmung führt, und genau zu dem Ort, an dem alle Deutungen durchwandert sind, und das begrenzt und grenzenlos Deutbare sich dem entgeisterten Geist offenbart, der nun lernt, sich im Genuss der Deutungsfreiheit zu bewegen.
religiös
Meine Eltern gehörten bewusst keiner Religion an, hatten aber auf dem entsprechend offiziellen Papier „gottgläubig“ stehen, das schien mir immer mal wieder ein gut gelöstes Problem. Aber was heißt schon „gottgläubig“. Sicher ist, dass Liebe und Gott als Themen gelten, um die kontemplierende Menschen nicht herumkommen. Wenn ich heute an meine „mystischen“ Erlebnisse denke, die ich in Indien zeitenweise unleugbar hatte, fallen mir jetzt noch Schleier von den Augen. Es war auch nicht nötig, manche Visionen zu dekonstruieren, denn sie hatten ihren Platz und ihre Zeit, und jetzt denke ich: meine Güte, was man nicht alles sehen, denken und erleben kann, und man kann es auch nur so erleben, weil und wenn man im Moment des Geschehens keinen massiven Widerstand gegen das Erleben aufbaut. So entstehen Engel und Heilige usw. Und genau darin liegt die Gefahr. Jedes System muss, um zu überleben, zu den selben Mitteln greifen wie andere Systeme. Etwas wird glühend konzipiert (wie z.B.auch in Ehesystemen) und trägt einen vorwärts und hinein in die Geschichten, dann kommt oft eine Zeit geistiger Gefangenschaft, in der man sich frei wähnt, da man gewählt hat, was man für wahr und richtig hielt. Die Hauptsache ist, man bleibt nicht stehen, sondern hält Scheitern und Irren für möglich, das eigene, ja, und auch das der Glaubenseinrichtungen mit ihren Phantasiegewändern, ihrem Pomp und ihrer Show, ihren Klöstern und ihren Ashrams und ihren Galerien, wo sich regelmäßig und den Gesetzen der Wandlung entsprechend alles mal dagewesene Wissen langsam aber sicher manifestiert als das Vergessene und das Verlorene, das nur noch mit Krücken und Seilen aufrecht erhalten werden kann. Das ändert nichts an der Tatsache, dass die inneren Dialoge so wesentlich sind, auch wenn man dafür streckenweise einen Gott wählt als lehrendes Gegenüber. Der als grenzenlos imaginierte, liebende Blick des (makelfreien) Vaters auf das Kind, in sowas kann man leicht steckenbleiben oder es mit einem lustvollen Fall auf die Kniee verbinden, wie ich es neulich in der Kathedrale beobachten konnte. Ich habe meine Gottgläubigkeit jenseits von Protestanten und Katholiken ausgelebt, wahrscheinlich, weil mir bei dem großen Verhüllungsrätsel der indische Gott Shiva attraktiver vorkam in seiner Rolle als Yogi und einfallsreicher Erotiker als die grausame Leidensgeschichte des sogenannten Heilsbringers, dessen Followers einst so wenig geliked wurden, dass man ihnen genüsslich beim Zerfleischtwerden zusah. Richtig, der lebendige Herumwanderer ist oft nicht die Lehre, aber offensichtlich brauchen wir die Lehre, zumindest um selbst enträtseln zu können, wer man auf dem Weg ist oder sein will und letztendlich, wer man sein kann. Beim Sein-Können ist man ja dann schon wieder allein in der Verantwortung, (wenn man bis da hin durchgehalten hat), denn wer um Himmelswillen könnte einem denn beibringen, wer man ist, auch wenn man höchste Achtung empfindet für Seelsorger und Helfer. Das Helfen ist nicht jedermanns Sache und nicht jedermanns Aufgabe. Wer soll bestimmen, für was ich geeignet bin, ist doch letztendlich jeder Schritt, mag er auch noch so bewusst sein, im Ungewissen verankert. Im Ungewissen kann man auch seelenruhig seinen Anker auswerfen, denn da ist nichts, in was er sich verhaken kann. Daher auch weg mit dem Anker. Eintauchen in das frische, unbesprochene Element. Und wenn irgendwo, wie im rechten Bild oben, einem ein gewichtiger Satz begegnet, der Anderen sinnvoll erschien, ruhig mal denken: so ein Quatsch! „Mache dir ein Joch! (steht zB unter der Figur) Zu was soll das denn gut sein, egal in welchem Kontext. So ein Jahrhunderte von Jahren alter Schwachsinn! Beim flüchtigen Vorübergehen konnte ich das Photo nur verschwommen hinkriegen. Da schwimmt sie den Fluss hinunter, meine religiös verbrämte Überlenbensstrategienweste. Und ward nicht mehr gesehen.
sturzbetroffen
Als ich mich vor vielen Jahren entschlossen hatte, mich auf eine ernsthafte Meditations-Ausbildung einzulassen, oder vielleicht sollte ich lieber sagen: als ich mich entschlossen hatte, mich ernsthaft auf eine meditative Praxis einzulassen, da war klar, dass es in Indien meist mit „Brahmacharya“, also dem Zölibat, verbunden war und ist. Es machte keinerlei Eindruck auf mich, da ich mich zwei Jahre vorher aus schwer beschreibbaren Gründen von einem sehr geschätzten Menschen verabschiedet und getrennt hatte und der Ansicht war, daraus einen günstigen Moment zu erschaffen, um die doch oft sehr komplexen Auswirkungen intensiver körperlicher Nähe in eine geistige Entspannung zu führen. In allen Religionen, wo unter anderem diese Art von Enthaltsamkeit gepriesen oder gepredigt wird, hält man das glaubwürdige Aufrechterhalten der enthaltsamen Disziplin für eine Meisterleistung. Einmal war ich in einer Versammlung von sehr vielen Meditierenden und fand es schlicht und einfach angenehm, davon ausgehen zu können, dass Blicke nicht missverstanden werden konnten, da die Vereinbarungen klar waren. Da fällt mir der Satz aus der Gita ein, dass (nur) das Entsagen wunscherzeugter Taten von den Weisen Entsagen genannt wird. Nun können in solchen Räumen, wo etwas quasi verboten wird oder gänzlich unvereinbar gesehen wird mit den Disziplinen, viele Wünsche erzeugt werden, sodass man schon staunen kann, dass aus allen Ecken und Enden die Skandale qualvoll hervorquellen, so, wie sie zu allen Zeiten hervorgequollen sind. Der Begriff „Freiheit“ ist wohl einer der Begriffe, die am tiefsten verstanden werden müssen. Er hat zwar ziemlich wenig mit Moralvorstellungen zu tun, vor allem nicht als auferlegter Würgegriff, aber er hat sehr viel mit adäquaten Entscheidungen zu tun, die meiner persönlichen Vorstellung von Reifung entsprechen. Ich war jetzt nicht sonderlich geschockt, als die düsteren Details von Sogyal Rinpoches Leben ans Tageslicht kamen, denn ich hatte ihn in Delhi im Rigpa Center erlebt, wo ein alter Freund von mir irgendwann zu seiner rechten Hand mutiert war. Da Mauro schwul ist und seinen Geliebten mit Wissen von Rinpoche in den buddhistischen Betrieb eingeschleust hatte, war es eher für mich einer der positiven Züge seines Lehrers, damals nicht ahnend, zu was (d)er wirklich in der Lage war. Jetzt (lese ich in der Zeitung) befragten Schüler und Schülerinnen eines buddhistischen Mönches den lehrenden Meister, wie er zu seinem jahrelangen Missbrauch von Anvertrauten stehen würde, und er fand viele nicht einleuchtende Klugheiten, die man manchmal in diesen Kreisen gerne „crazy wisdom“ nennt, das gilt natürlich nur für den Lehrer. Manchmal kommen einem so Erinnerungen und Nachgedanken aus der eigenen Lehrzeit. Das Gemunkle ging immer um Sex oder nicht Sex, und viele Yoga-Lernende aus dem Westen waren der Meinung, dass das Thema etwas dürftig behandelt wurde, während wir Westler lange Zeit als d i e gehandelt wurden, vor denen man besser den Blick senkt, weil wir angeblich nichts anderes im Kopf haben. Nun sind vielleicht einige Mönchsköpfe dran, das kann nicht schaden. Es ist ja nicht der Sex, den man ihnen nicht gönnt, sondern der Missbrauch unter religiösen Vorzeichen, der hier ans Licht muss. Man sagt dann oft von den Schülern, dass sie bedröppelt sind und noch ganz benommen von der vielen Achtung dem gerade noch Ehrenwerten gegenüber, aber auch Yoga ist keine Garantie für Klarsicht. Das kommt mir gerade vor wie so ein Nebenzweig der Me too (Die auch) Debatte, die aus verständlichen Gründen am Abebben ist, denn auch hier beginnen sich bei aller Wichtigkeit des Themas die Ungereimtheiten zu häufen, wie könnte es anders sein. Immerhin war und ist Nach -und Selbstdenken für alle möglich. Dann kommen diese Nachwehen wie die Geheimnisse um Stefan George samt Nachfolger mit den erlesenen Jünglingstruppen, oder die weiterhin dunklen Machenschaften im Vatikan, die auch durch Forschungen von Journalisten nicht heller werden. Um das Hellsein muss man sich wohl selbst kümmern. Um das Verborgene. Um das Verlogene. Um den Umgang mit einer Freiheit, die nicht automatisch aus Anderen Sklaven macht, deren Menschsein man für eigene Zwecke nutzen kann. Um die Sturzbetroffenheit, die einen im Angesicht der Fakten ergreifen kann.
Das Wort „sturzbetroffen“ ist leider nicht von mir, sondern ich habe es mal aus der „Zeit“ herausgeschnitten, weil es den notwendigen Schluck Humor in der Tiefe der Betroffenheit zulässt. Dann habe ich noch diesen kleinen Fetzen Papier bei mir gesehen, den ich neulich auf meinem Weg aufgelesen habe….
geschichtlich
Wenn ich in Indien lebe, vergesse ich aus nachvollziehbarem Grund heraus meistens, dass alle Hindus, mit denen ich in Kontakt komme, wie selbstverständlich daran glauben, ja, es ganz sicher zu glauben wissen, dass sie in einer unendlichen Kette von Verkörperungen unterwegs sind, eben kreisläufig durch die vier beschriebenen Zeitalter hindurch. Da hört dann auch unter ihnen die gemeinsame Vorstellung schon auf, zum Beispiel darüber, wie lange das dauert, und auf welche Weise eine Wiederholung ins Unendliche hinein stattfindet. Und ob man den Kreislauf jemals verlassen kann, wie es zum Beispiel der Buddha bzw der Buddhismus vorschlägt auf vielfältigste Weise, denn alles hegt ja die Tendenz, immer mehr zu werden, bis oft der Ursprung der Geschehnisse nicht mehr erkennbar ist. Aber was Indien betrifft, so ist diese Einstellung, ewig da zu sein, sicherlich auch ein Grund, warum die Verbindung zum eigenen Schicksal entspannter ist. Es hängt natürlich bei jedem Menschen davon ab, wie er sein tägliches Leben gestaltet, wenn Interesse besteht, sich selbst in irgendeiner Form zu manifestieren. Manifestiert wird eh, bewusst oder unbewusst. Im westlichen Denken hat man also diese paar Jährchen zur Verfügung, das ist schon etwas enger gefasst, und es gehört zu diesem Denken auch eine gewisse Angst, dass einem die Zeit davon läuft, bevor man das, was man sich vorstellte, entweder noch tun kann oder aus Zeitnot lassen muss. Dadurch entsteht natürlich auch eine Dringlichkeit und Tiefe, die andere Zugänge zur selben Quelle ermöglichen. Ich liebe beides, die geistige Weite des indischen Raumes, die sich allerdings zur Zeit mit rasender Geschwindigkeit in die Enge des digitalen Abgrundes hineinbewegt, und die gedankliche Dichte des westlichen Raumes, in dem das gute Denken allerdings seinerseits nach Luft schnappt, um einen offenen Raum zum Atmen zu finden, was durchaus auch wie ein Abgrund wirken kann. Auffallend ist, dass alles, was dort fehlt, hier vorhanden ist, und umgekehrt. Das könnte man auch eine kosmische Ausgleichung nennen, nämlich, dass wir von der erarbeiteten Essenz der anderen Seite oder Kultur genährt werden können, wenn wir sie in ihrer ganzen Eigenheit achten und bereit sind, davon zu lernen, da nur die Aufhebung der eigenen Grenzen den weiteren Blick ermöglicht. Überall boomt das Interesse an Geschichten: wer war es, wie war es, und dann letztendlich: wie ist es bei uns, und dann: wie ist es bei mir. In welcher Geschichte sitze ich noch drin, die mich zeitweise bestimmt, sodass ich mich darum kümmern muss, die Verbindung damit herzustellen und mich mit der Lampe in die Korridore zu begeben. So viele Türen, so viel Staub. Nicht alles muss bearbeitet werden, manches Bearbeitete kann auch herausgenommen und entfernt werden. Wohin? Man kann auch innen schreddern, wenn etwas ganz klar überfällig ist dafür. Das sind gravierende Entscheidungen, die ich in meiner Geschichte bewältigen muss. Deswegen ist der Zustand und sind die Einstellungen so wichtig, mit denen man an die Arbeit geht, denn sie sind es, die hervorbringen werden, was man in die Wege geleitet hat. Und deswegen erscheint es dann doch so essentiell, über den eingeschlagenen Weg nachzudenken, denn ob nochmal verkörpert oder nicht, spielt hier nicht wirklich eine Rolle, denn auf jeden Fall wird man „dort“ nicht sein, wer man jetzt ist. Und daher sind fast alle Klagen, die wir haben, an uns selbst gerichtet und entspringen unserem eigenen Schicksal. Denn in der Welt sieht man ja immer nur, was aus dem jeweiligen Potential gemacht wurde von all den Einzelnen, die geboren wurden.
anschauen
Ja, das ist ein sehr kleines Bild. Trotzdem schaut einen jemand an, und man kann den Blick deuten, wie man möchte. Deswegen bleibt es erst einmal anonym. Man wird ja oft von einer unbekannten Person angeschaut. Sobald man „draußen“ ist, ist man im gegenseitigen Anschau-Bereich. Doch auch wenn man neugierigen Blicken begegnet, ist es nicht dasselbe wie anschauen. Es kommt offensichtlich auf die Anschauung an, ob man selbst Andere sieht oder von Anderen, und wie, wahrgenommen wird. Wenn wir schon bei der (notwendigen) Präzisionierung der Worte sind, und damit der eigenen Sprache, so ist „wahr genommen“ hier vielleicht auch nicht das passende Wort. Man kann ja bei den Blicken, die in der Welt permanent unterwegs sind, keinen Anspruch auf Wahrheit erheben. Jeder gibt und nimmt seine und ihre eigene Wahrheit, insofern, ja, nimmt jede/r das seinige und das Ihrige wahr. Ob es nun von diesen separat herumwandernden Blicken auch noch zu einer gemeinsamen Wahrnehmung kommen kann, ist erwiesen. Es passiert in Konzertsälen und auf Rockerfestivals und bei manchen Beerdigungen, aber auch da eben nicht wirklich. Etwas bindet scheinbar zusammen, aber bindet es wirklich, und ist es überhaupt bindend. Was ist bindend. Letztendlich bindend, so scheint mir, ist doch nur die Verantwortung meiner eigenen Wahrnehmung gegenüber dem, was ich in diesem Moment der Zeit, meiner Zeit, wahr zu nehmen imstande bin. Vielleicht gibt es ja gar nichts Wahres, was ich nehmen kann, und die ultimate Anwesenheit des „Wahren“ ist das, was jeweilig da ist. Für Jede/n also das, worin er sich aufhält und mit dem, was unser Blick daraus macht. Die Wirkung meiner Sehweise zu ermessen. Auf der ganzen Skala vom Oben bis in das tiefste Unten. Wo und wie pendle ich meine Extreme aus. Warum ist das mittlere Maß nicht dasselbe wie mittelmäßig. Was für ein verschlossenes Buch der Mensch ist, wenn er so in Strömen hin und hergeht und denkt, das Ganze wäre irgendwie verständlich. Der/die sich die ihm oder ihr entsprechende Wahrnehmung mühsam erzeugen muss, und sich oft auch an ihr festhalten, damit das Fassungsvermögrn nicht verloren geht, das man anfängt, das eigene Leben zu nennen, obwohl man es gar nicht fassen kann. Es ist ja unfassbar. Was den befangenen Blick entschleiert ist ja nicht das, was draußen ist, sondern nur das, was drin ist. Daher führt kein Weg herum um das Drin. Mit dem Draußen muss man lernen, souverän umzugehen, denn jede/r sieht, was er will und kann. Das Erfassen des eigenen Blickes interessiert deshalb, weil er den Ausblick schult auf das Gegenüber. Da bin ich ja frei und ganz meine unterhaltsame Schulung. Mein Anspruch an mich selbst. Meine Herausforderung. Mein Schachbrett.Mein Ozean. Mein Nullpunkt. Undsoweiter.
Das Bild zeigt das Gesicht des Puttenengels, den ich in meinem Beitrag „firmen“
vor ein paar Tagen schon einmal etwas größer gezeigt habe Schon in der Kathedrale,
wo ich ihn entdeckt habe, war er weit weg. Wenn dem ehemaligen Künstler so etwas
gelingt, kann man nur danken. Wenn man, völlig unerwartet, seinen Blick noch
spüren kann.
unermüdlich
Es sollen ja flammende Zungen gewesen sein, die sich herniedersenkten auf die Jünger und Apostel am jüdischen Fest Shawuot, als sie in Jerusalem versammelt waren. Jerusalem gibt es immer noch, und man könnte sich gut und gerne ein kleines Wunder vorstellen, wo auf einmal alle in fremden Sprachen sprechen, beziehungsweise sich alle verstehen trotz der fremden Sprachen, und über die Unterstützung des Geistes zu einer verständlichen Lösung des Konfliktes kommen. Man muss das Gegebene nur in Anspruch nehmen, denn auch der Geist ist immer noch da. Unentwegt strömt es oder er oder sie durch alles hindurch und man kann sich dieser Präsenz widmen, wenn das Spürbare, aber doch auch Geheimnisvolle der Anwesenheit des Geistes einen anspricht. Der Mangel an geistigem Reichtum ist sicherlich zu beklagen, wenn man bedenkt, dass es sich hier um eine Art Substanz dreht, die, wenn auch „nur“ als geistige Materie, doch allen zur Verfügung steht. Das einfache Dasitzen kann ein Vorgang sein, bei dem man sich über diese Tatsache bewusst wird, allerdings nur, wenn das Bewusstsein eine gewisse Schulung durchlaufen hat, die einen zur Aufnahme des Daseienden auf eine für uns und Andere förderliche Weise befähigt. Ganz sicher aber kommt es auf die Einstellungen an, die man sich selbst erzeugt hat, und für deren Wirksamkeit man die Unterstützung des geistigen Raumes braucht. Was den Pfingstmontag betrifft, so wollte ich noch einmal wissen, was er eigentlich bedeutet und war überrascht, dass er eigentlich gar keine Bedeutung hat. Er ist sozusagen ein angehängter Feiertag, der in verschiedenen Gegenden mit eigenen Ideen gefüllt wurde. Er bietet sich also als ein freier Tag an, um mit eigenen Ideen gefüllt zu werden, und da das Wetter auf erfreulichste Weise mitspielt, kann man sich die Welt in kriegs-und diktatorenfreien Ländern auch mal als einen paradiesischen Garten vorstellen, in dem Frieden herrscht, weil genug Menschen sich bemühen, Verantwortung für ihr eigenes Tun zu übernehmen. Und da wir inzwischen wissen, dass Frieden nur sein kann, wenn ich gelernt habe, so wenig Schaden anzurichten, wie es mir möglich ist, kommt es auch an sogenannten freien Tagen auf die Bemühungen an, zu denen ich bereit bin, was die kreative Gestaltung des Tages betrifft. Auf meiner Pfingstzeichnung sieht man einen Geist-Trinker. Gut, es ist keine flammende Zunge, die herniederkommt, sondern eher ein kosmisches Ei (I), dessen Bedeutung sich sicherlich noch enthüllen wird, da einem so ein bedeutungsloser Feiertag ja die Möglichkeit gibt, dem lebendigen Vorgang unermüdliche Aufmerksamkeit zu schenken.
Laotse
Alle Welt sagt, der SINN sei zwar groß,
aber sozusagen unbrauchbar.
Gerade weil er groß ist,
ist er unbrauchbar.
Wenn er brauchbar wäre,
so wäre er längst klein geworden.
Ich habe drei Schätze,
die ich schätze und wahre.
Der erste heißt: die Liebe;
der zweite heißt: die Genügsamkeit;
der dritte heißt: nicht wagen, in der Welt voranzustehen.
Durch Liebe kann man mutig sein,
durch Genügsamkeit kann man weitherzig sein.
Wenn man nun ohne Liebe mutig sein will,
wenn man ohne Genügsamkeit weitherzig sein will,
wenn man ohne zurückzustehen vorankommen will,
das ist der Tod.
Wenn man Liebe hat im Kampf,
so siegt man.
Wenn man sie hat bei der Verteidigung,
so ist man unüberwindlich.
Wen der Himmel retten will,
den schützt er durch die Liebe.
schmerzen
Ach ja, jetzt erinnere ich mich, wie es dazu kam, dass mir der Samstag so geeignet schien, mich gedanklich in phantasievolle Konstrukte zu stürzen, was dem inneren Reichtum des Haushaltes auch nicht geschadet hat, denn es war die adäquate Handhabung des Umfeldes, aus dem das permanente Dröhnen des oder der Rasenmäher kam. Menschen, die selbst den Rasenmäher führen, haben andere Erlebnisse als die, die nicht nur zuhören, sondern auch erkennen müssen, dass hier nur ein aktiv gestalteter Fluchtweg ins Abseits einen selbst noch unterhalten kann. Hält man zur Abwechslung die schon Donnerstag erschienene „Zeit“ für ein geeignetes Ablenkungsmanöver, (also die Unterhaltung durch äußere Anregung) für das man noch keine Zeit gefunden hatte, und bleibt an einem Artikel hängen, der einem interessant scheint, gelingt der Umschwung auch nicht viel besser. Zuerst fischt man also sorgfältig einen Teil heraus mit dem Artikel, den man zuerst lesen möchte, weil der innere Kopf das Thema schon abgenickt hat, jaja, sehe ich auch so, wir sollten die Tiere nicht vermenschlichen und die Menschen nicht vertieren (eigene Formulierung). Und dass die Unterscheidungen grundsätzlich interessanter sind, ist mir auch schon aufgefallen. Ich blättere also weiter, wo ich etwas noch nicht weiß, das kommt schnell. Es geht um die Beiträge von Tausenden von Teenagern, die auf Instagram Photos ihrer Selbstverletzungen posten. Einerseits wird es auch von Psychologen u.a. als ein Resonanzfeld für Schmerzen gesehen, kann also behilflich sein als Schmerzhilfegruppe. Kann aber auch, eben weil so viel Resonanz kommt, zu weiteren Verstörungen und zu Suiziden kommen. Auch hier scheint erst einmal die Form ziemlich neu, die außer dem ungehörten Schmerz auch noch andere (z.B. narzisstische oder exhibitionistische) Störfaktoren mit sich bringen kann , denn ja, nach dem Erscheinen von Goethes „Die Leiden des jungen Werther“ gab es wohl auch eine Selbstmordwelle. Dennoch scheint sich eine gewisse düstere Begeisterung für Narben und Wunden breit zu machen, vielleicht auch, weil über den Schmerzensweg eine gewisse Dopaminausschüttung gewährleistet ist. Aber was steckt da noch alles dahinter außer der Lust an neuen Wegen der Romantik. wenn junge Menschen mit der Rasierklinge auf ihren eigenen Knochen treffen müssen, um etwas zu spüren, und dann im Krankenhaus noch ein Wunden-Selfie machen für ihren Instagram-Account, wo eine riesige Truppe von Gleichgeritzen nach neuen Schreckensnachrichten süchtelt. Gut, wenn es nur Sturm und Drang ist, sollten trotzdem auch Andere auf Zeichen achten, sodass das Leben zumindest noch weiter geht, bis man etwas mehr durchblickt. Wie achtet man auf Zeichen? Auch viele Durchtätowierte sparen schon auf das nächste Design, solange noch Platz ist. Der Tätowierer muss das Spüren liefern, dafür wird vieles gerne in Kauf genommen. Der künstlich aktivierte Schmerz wird durchlebt und bringt dann die gewünschte Entspannung, in der sich das Glückshormon vorübergehend tummelt. Aber wo liegt der eigentliche Schmerz, der immer schwerer zu erkenne ist, da immer mehr drübergeschminkt und gelächelt wird. Wenn da noch ein halbwegs liebevoller und vernünftiger Kontakt mit dem Zuhause existiert, ist immer noch alles möglich. Aber was, wenn er nicht mehr da ist, obwohl es an Esswaren und Kleidung und eigenem Zimmer nicht mangelt? Wie gehen Menschen in den Häusern, die man „Privatsphäre“ nennt, miteinander um? Die jugendlichen Mörder, die mit den Waffen ihrer Eltern unbeschreibliches Unheil anrichten, werden meist als so unauffällig beschrieben, dass sich kaum jemand an sie erinnern kann. Bis sie ihre Umgebung dazu zwingen, sich an sie erinnern. Bei dem neuen Fall in Amerika sagte wohl der junge Mörder, dass er vorhatte, sich selbst zu töten, aber keinen Mut dazu hatte. Es ist schwer, als Mörder von 10 Menschen durch das Leben zu gehen. Das entsetzte Schweigen führt dann wohl oft in die Blumen-und Kerzenläden.
Auf meinem gepinselten Bild kann man, wie meistens von mir gewünscht, sehen, was man möchte. (Was, und wie ich sehe, kann ich leider nicht übertragen.) Das kleine Bild rechts zeigt eine Wunde, die ich vor Kurzem photographiert habe. Erst heute habe ich gesehen, dass sie aussieht wie ein Auge.
wandern
Neulich habe ich den Begriff „Weg des Nicht-Wissens“ gehört, das hat mich angesprochen. Wie wenn das Spielbrett sich kurz um die eigene Achse dreht, und man stellt fest, dass man genau an der Stelle gelandet ist, wo man hin wollte. Wo man hin wollte, wird einem eigentlich jetzt erst klar, denn es hat wenig mit dem Ziel zu tun, aber alles mit dem Weg. In diesem Fall weiß man vom (verhältnismäßig) lange gegangenen Pfad, dass es nie einen Moment geben wird, wo eines Menschen Wissen abgerundet sein kann. Das akkumulierte Wissen kann gute Dienste leisten, kein Zweifel, aber Wissen per se kann es nie sein, da an jeder Ecke Anderes von Anderen gekonnt und gewusst wird, was einem selbst nie zugänglich sein wird. Am besten, man lässt das wissensvoll Erworbene durch sich hindurchströmen, damit es, wenn benötigt, zur Verfügung stehen kann. Ansonsten ist es angebrachter, keine zu fixierten Archive damit aufzubauen, damit man nicht zu den Waffen greifen muss, um sie zu verteidigen. Da dachte ich, dass es doch eigentlich viel einleuchtender ist, vom Nicht-Wissen auszugehen, denn dann kann man sich, wenn man mal was weiß, selbst daran erfreuen, muss auch nicht immer darauf bestehen und kann sich vom Fleck rühren, wenn Beweglichkeit in der Wahrnehmung angesagt ist. Ich denke allerdings auch, dass man im Fahrzeug des beweglichen Geistes einiges Material beieinander haben muss, um eine gewisse Stabilität zu haben während der Reise. Als ich aus Indien zurück kam und eine Weile bei der Kleiderfirma gearbeitet habe, hatte ich einen Kollegen gegenüber am Schreibtisch sitzen, dem ich ab und zu aus meinem mir schlicht vorkommenden Leben etwas erzählte. Er schrie auf und flüchtete, wenn auch mit Humor, aus dem Raum. Für ihn war die Navigation durch meine Erlebnissphäre schwindelerregend. Damals wusste ich noch nicht, was „zumuten“ ist. Und selbst wenn man weiß, was es für einen selbst ist, kann man sich dafür oder dagegen entscheiden. Nicht-Wissen ist nicht dasselbe wie „Unwissen“, so, wie Nicht-Tun nicht dasselbe ist wie Nichtstun. Sehe ich meine Ich-Ebene als wissensvoll an, bewege ich mich eigentlich ständig in persönlichen Irrungen und Verwirrungen, die vorprogrammiert sind, da ich dann dem Wissen der Anderen nicht wirklich geöffnet bin. Gehe ich aber locker von dem eher realen Nicht-Wissen aus, kann immer noch was Überraschendes dazukommen, und man kann dem Geist eine Liebe für Vielfalt und Unterscheidungen beibringen, oder es wird einem vom Geist beigebracht, who knows. Auch liegt im Nicht-Wissen eine größere Beweglichkeit, kreativ mit dem Augenblick umzugehen. Auf dies und jenes muss man dann auch verzichten können, aber ist es wirklich Verzicht. Vor Kurzem ist mir auf der Suche nach Emily Dickinson ein wahrhaft kleines Büchlein entgegen gefallen von Epikur über das Glück. Einerseits war er nicht gegen das Schlemmen und Genießen, andrerseits bat er hier auf der aufgeschlagenen Seite einen Freund, ihm doch etwas Käse zu schicken, da ihm das Essen von nur Brot und Wasser vielleicht doch etwas langweilig vorkam. Man muss wissen, was man selbst unter Unterhaltung versteht, und dass es auch erquickend sein kann, sich einzuschränken, oder zum Beispiel von dem Wenigen, was immer als Bestes vorhanden ist, sich auch für das einem als das Beste vorkommende zu entscheiden. Das kann auch das Fasten sein. Stimmt, es ist Ramadan zur Zeit für die Muslime. Was müssen sich da für innere Kämpfe abspielen! Wahrscheinlich ist es auch hier so, dass, wenn ich sorglos hineingehe in den Monat, ohne zu wissen, ob ich es schaffe, es wahrscheinlich leichter fällt als sicher zu sein, dass ich es mit meinem Willen hinkriege. Sieht so aus, als stünden die Tore des Nicht-Wissen weit offen. Das, was ich weiß und wissen muss, passt in ein Bündel. Dann noch den Stab und die Wanderschuhe. So, wie der Lama mal in Kathmandu zu mir sagte: Ihr (er meinte die klugen Foreigners) könnt mit dem Helikopter an den Gipfel fliegen, soviel ihr wollt, aber irgendwann müsst ihr doch den Fußweg zum Gipfel nehmen. Wie wahr!
Aufgaben
In der „Zeit“, die wir abonniert haben, gibt es in jeder Ausgabe eine bestimmte Seite, bei der ich schnell weiterblättre, weil das, was ich da (flüchtig) erfasse, mich verstimmt. Es ist das große Photo eines Tieres, unter dem der unveränderte Text heißt: „Du siehst aus, wie ich mich fühle.“ Was soll das, denke ich. Alles in der Welt Sichtbare kann und wird auch für eigene Zwecke benutzt, und hier wird das Tier benutzt, um zu überprüfen, ob ich mich manchmal so fühle. Gut, nett gemeint, vielleicht bin ich kleinlich an dieser Stelle, aber so vieles ist nett gemeint, ohne seine dunklen Keller zu offenbaren. Und was ist hier gemeint? Nur an oberflächlichster Stelle kann jemand so aussehen, wie ich mich fühle. Ja, wie fühle ich mich denn? Die Frage muss erst einmal hervorgeholt werden mit einer gewissen Ernsthaftigkeit, will man nicht von selbstverständlichem Nichtwissen ausgehen. Das Gehirn kann dann die Suchscheinwerfer einschalten, ohne die man sich in den inneren Gewölben nicht zurechtfindet. Man kennt die Bilder von Eremiten mit Laternen, nun entwickelt zu einem Laser-Stab, obwohl auch der unsterbliche Satz „be a lamp unto yourself“, also „sei dir selbst eine Lampe“, kaum zu übertreffen ist in seiner schlichten Anweisung. Wohin leuchtet’s? Ach ja, das Gefühl. Ich denke also nicht, zum Beispiel, dass die Katze so aussieht, wie ich mich fühle, sondern ich schaue nach, was meine Gefühle sind, ohne die Katze als Projektionsfläche zu nehmen. Oder Menschen, die ständig sich spiegelnden und sich vergleichenden Wesen, wir, die wir die planetarische Architektur durch unsere Projektionen erst erschaffen, können auch erst Verantwortung übernehmen, wenn wir uns klar werden über das Ausmaß unserer Projektionssucht, mit der wir ständig unterwegs sind, so, als könnte jeder von uns isoliert vom Anderen leben und gleichzeitig den eigenen Augen trauen, die das Gesehene dem Gehirn mit schnellen Kommentaren zuführen. Die Isolation ist ja das Geschädigte, das einem manchmal zu einem erschreckenden Bild führen kann, wenn man ein ganzes Volk, um es mal eingeschränkt zu nennen, als ein Volk von Traumatisierten sieht. Bei allem Wahrheitsgehalt kann auch das nur ein Blickwinkel sein, wenn auch ein tiefer, der nicht übersehen werden darf, will man tatsächlich die Arbeit auf sich nehmen, aus dem Weg zu räumen, was einem den Weg blockiert..zu was? Ich, als Fan des Weltendramas, finde es ja großartig, dass alle sich die Gefühle leisten können, zu denen sie in der Lage sind, sonst gäbe es ja weder Rumpelstilzchen noch den König von Sibirien, denn jeder ist beschäftigt mit dem, was er kann. Aber wer sagt, es gäbe unendlich viele Gefühle, die jeder beliebig loslassen kann, ohne zu schaden? Vielleicht gibt es nur eines, das wohltuende Wirkung hat und hinter dem alle her sind, und das vielleicht nie zu einem gekommen ist und nie erfahren wurde, oder zu wenig, oder nicht genug, oder was auch immer das Muster ist, das in den Teppich gewebt wird, der einen tragen muss über die Zwiebeltürme hinweg. Vielleicht hat ja das Sein tatsächlich nur eine Quelle, und jede/r ist ihr Ausdruck, verbunden mit dieser geradezu ungeheuren Freiheit die sich als Verantwortung entpuppt, deren Spiel-Raum der innere Vorgang ist, der nein, nicht (nur) abhängt vom sogenannten guten Schicksal und den oft als mehr oder weniger günstig gesehenen Bedingungen, sondern jede/r hat das innere Spielfeld zur Verfügung und kann die ihm oder ihr eigenen Künste und Fertigkeiten entfalten für den jeweiligen Umgang mit dem Vorgefundenen. Alle Geschichten sind unendlich lang, bis man da angekommen ist, wo man herumsteht oder herumsitzt. Dann gibt es neue, spannende Aufgaben.
Wenn ich, veranlasst durch was auch immer, hinuntergehe in die dunklen Gewölbe des Traumhaften
verständigen
Wenn man Zeit oder gewisse Anlagen dafür hat, ab und an mal nachzufragen, ob man entweder selbst verstanden hat, was das jeweilige Gegenüber verlauten ließ, oder sicher gehen möchte, vom Gegenüber verstanden zu werden, kann man seine blauen Wunder erleben. Was ist ein blaues Wunder? Das kann eine himmlische Illusion sein, zum Beispiel die Illusion des Verstehens, oder aber ein Schlag in die geistige Magengrube, wenn man erkennen darf, wie gering die Verlässlichkeit dessen ist, was Ohren so im Allgemeinen aufnehmen, was ihnen als sinnvoll vorkommendes Material erscheint. Das ist ja eigentlich schon (zu) viel verlangt, dass das Gehörte auf „Sinnmachendes“ überprüft wird. In Indien hatte ich eine Zeitlang die Angewohnheit, die Hindi Lautsprecher Ansagen, in den Bahnhöfen auf Deutsch zu hören, oder auf Englisch usw. Das heißt, man konzentriert sich auf eine andere Sprache als die gehörte, und hört bewusst auf das, was es auf keinen Fall sein kann. Als ich einmal unbedingt das 10-tägige Vipassana-Meditation-und Schweigeretreat mitmachen wollte und dafür nach Jaipur fuhr, hatte ich eine furchterregende Erfahrung mit einem Vogel, vermutlich eine Taube, aus deren gurrenden Lauten ich jedes Mal, wenn ein innerer Zwang mich hinhören ließ, einen anderen, sehr wohl verständlichen Satz vernahm („was machst du hier“, „sei doch nicht so“), der auch nicht sein konnte, bzw nur von mir sein konnte, ohne das Gurren aber nicht ausgelöst wurde. Während vorne die MeditationsleiterInnen ab und zu einnickten, kämpfte ich mit dem Wahnsinn des Verstehens, das über eine Vogelstimme transportiert wurde. Irgendwann konnte ich mich losreißen. Die Frage, von was ich mich losreißen musste, tauchte viel später in einem neuen Kostüm und anderem Kontext wieder auf. Da es unendlich viele Zugänge zum Weltgeschehen gibt, kommt es auch ständig auf den Blickwinkel an, von dem aus ich die Dinge betrachte. Kann ich überhaupt von Anderen verstanden werden, oder wo setze ich die notwendigen Mühen ein, um sicher zu sein, dass ich einerseits versuche, so verständlich wie möglich zu sein, und andrerseits ernsthaft interessiert bin, mich auch auf das mir nicht Vertraute so weit einlassen zu können, wie es eben jeweils möglich ist. Ich persönlich finde gerade zur Zeit die geheimnisvollen Vorgänge der Kommunikation zwischen Menschen wieder hochaktuell, da die bereits etwas verdunkelte Begeisterung über die Macht der Smartphone-Substanz nicht mehr rückkgängig gemacht werden kann. Man ist also schon in der Wahrnehmung der Folgen. Immer mehr Heilanstalten für Suchtkranke werden entstehen, dazwischen ab und zu ein digitales Juwel von einem Super Nerd genießen. Überhaupt ist die sogenannte Masse, also wir, wenn sie ergriffen ist von einer unleugbaren Verführung, nicht mehr zu bremsen. Als Leopold von Sacher-Masoch noch verhältnismäßig allein war mit seinen ausgefeilten Ekstasen, konnte er nicht ahnen, wie auch ich nicht, dass ich eines Tages meinen netten Milchverkäufer im indischen Dorf um zehn Uhr früh aus einem Porno locken musste, um zum simplen Wunschobjekt zu gelangen. Was ist schon simpel. Obwohl erstaunlich vieles auch verständlich ist, wenn man dranbleibt und nicht vergisst, was man selbst als das Wesentliche betrachtet, und wo das Sich-Kümmern auch eine gewisse Freude mit sich bringt. Als ich gehört habe, dass junge Leute, die die Fahrprüfung machen, immer länger brauchen, bis man sie loslassen kann in den Verkehr, und zwar, weil durch das viele Schauen auf Smartphones (Computer, iPads usw) die direkte Wahrnehmung ihrer Umgebung nicht mehr gewährleistet ist, dachte ich: Wow! Manchmal schadet es nicht, sich vorzustellen, in was für eine Welt wir gemeinsam hineinwandern, wo d a s für Kommunikation gehalten wird, was grundsätzlich ohne direkten Kontakt auskommt. Auch wenn man Reinkarnation noch ernsthaft bedenken würde, müsste man in der Lage sein, sich als futuristischer Avatar zu konzipieren. Auch das ist schon ein alter Hut, obwohl gerade zum ersten Mal von mir gedacht. Dann kann ich mich geistig immer noch mit den Matrix-Entschleierinnen verbinden. Ja, wat et nich allet jibt.
Das Bild zeigt eine Matrix-Entschleierin bei der Arbeit.
Shal(Om))
Ich höre also während des Schminkens am Morgen die Nachrichten, nicht mit Bild, sondern mit Radio. Diese drei Minuten der globalen Informationen können Informationen bleiben, oder auch manchmal zu Berührungen oder auch Erschütterungen führen. Der Wahnsinn zwischen den Israelis und den Palästinensern in Kombination mit der beispiellosen Dummheit Donald Trumps kann einem die Sprache rauben. Die Sprachlosigkeit, die z.B. diese verheerende Vernichtungsorgie in Israel in einem auslösen kann, bzw in mir ausgelöst hat, ist nicht die Sprachlosigkeit, keine Worte zu haben, sondern jedes Wort als schal und unpassend zu empfinden angesichts von etwas, das man kaum nennen kann und mag. Deswegen habe ich zuerst ein Bild gesucht und war bereit, etwas zu konstruieren, was zumindest einen Ton der Gefühle trifft. Ich dachte an japanische Kabuki-Masken, an eine Kälte des Schreckens, an das gefühlsbetäubte Verhältnis zwischen Deutschland und Israel, wo eine Zwanghaftigkeit des Niemals-Vergessen-Dürfens herrscht. Niemals vergessen, was angetan wurde von einem selbst, ja, aber dann kann das Gelernte wohl nicht überspringen auf die von einem selbst gepeinigte Seite wie ein Heilungsvirus, der dem Verstehen der Geschichte entspringt. Hier rankt sich nun der eiskalte Krieg um einen Tempel und um einen Streifen gefangener und gedemütigter Menschen, von denen gerade über fünfzig Angehörige erschossen wurden und über zweitausend verletzt. Ein glorreicher Tag für die Helden der flüchtigen Stunde, die gar nicht ahnen können, von wie vielen sie bereits innerlich entmachtet sind. Wegtreten! Was das Bild betrifft, so habe ich dann ein Schwarz gesucht und diesen akademischen Hut gefunden, der bei uns herumlag und nun kurz als abstrakte Fläche dient. Vor diesen Hut hatte ich vor ein paar Tagen das Püppchen gestellt, das man im Bild sieht. Ich wollte Hamid meine Flummi-Sammlung zeigen und hatte dabei das Püppchen wieder gefunden. Es ist ein Schmerzenspüppchen aus Guatemala. Damals hatte ich einige von ihnen von dort zurückgebracht, weil ich die Idee, vor allem für Kinder, schön fand, nämlich, dass man sein Leid dem Püppchen erzählen kann, das zum Zuhören geschaffen ist und einen Tel der Last abnehmen kann. Das Püppchen in meinem Bild ist allerdings schon ziemlich lädiert und bräuchte eher selber Zuspruch. Ein Auge ist weit aufgerissen wie im Schrecken, und man weiß nicht, ob es noch alle Beine und Arme besitzt, die ein Mensch braucht, um mit den Hindernissen dieses Daseins umgehen zu können. Es ist ja schon schlimm genug, dass nun wieder einmal die Angehörigen von sechzig Toten trauern, denn da sind auch noch die Angehörigen der zweitausend Verletzten, und wie verletzt sind sie. Wer erinnert sich nicht mit Schaudern an die Bilder der Heimkehrer. Heimkehren vom Schlachtfeld. Die Heldentaten und die, denen die Glieder fehlen. Wie oft schmeißt sich vermutlich auch so mancher in das Getümmel, weil es sich besser anfühlt als die Ohnmacht einer aufgezwungenen Realität gegenüber. Der Doktorhut in meiner Bildkonstruktion steht für das ungläubige Staunen, dass kein Wissen der Welt die Macht hat, durch solche versteinerten und machtbesessenen Gehirne durchzudringen mit genau d e n religiösen Werten, die Religionen und die dazugehörigen Gehirne so gern unter sich verklickern, so als könnte man für diese selige Inzucht Andere verdursten und verhungern lassen, heißt: ohne Recht auf die Gestaltung eines eigenen Lebens. Hätte also bereits (wegen eines Tempels) jede glaubwürdige Manifestation des Menschenmöglichen aufgegeben. Shalom.
rätseln
Seit vielen Jahren kenne ich dieses Herumrätseln, alleine oder mit Anderen, über unsere Zeit, und man konnte stets diese zwei Meinungen vorfinden, nämlich, dass es „schon immer so war“, oder dass es eine „ganz besondere Zeit“ ist, in der Dinge geschehen, die wir alle aus der Menschheitsgeschichte (noch) nicht kennen. Wir wissen auch von fernen und versunkenen Kulturen, in denen eine hohe Form meisterhafter Technik existierte, also das digitale Zeitalter, das jetzt die Gesellschaft beherrscht, bzw beschäftigt, auch nur eine weitere Entwicklung der Dinge ist, wie sie sich eben jedem Menschen in der eigenen Lebenszeit anbietet. Auffallend ist auf jeden Fall, dass das ganze Menschheitsgebilde eine Neigung zum Mehr hat, immer mehr, mehr Menschen, mehr Autos, mehr Gewalt usw., sodass eher die Frage auftaucht, wie dieser ganze Aufschwung zu dämmen und zu ordnen ist. Da es aber gleichzeitig eine starke Neigung hin zur Ich-Erfüllung gibt, werden die Kommunikationswege immer isolierter, auch wenn es aussieht wie das Gegenteil. Es sieht auch so aus, als hätten die meisten Menschen, vor allem im Westen, grenzenlose Kostümfreiheit. Wer kann sich hier noch wundern? Was wundert, ist, dass auch hier nicht wirklich Individualität auftaucht, sondern eher eine perfekte Gleichstellung mit wilden Stammeszeichen -und ritualen. In manchen Kulturen, Indien zum Beispiel, dient das Selfie als Erkennungsmarke eigener Ich-Wahrnehmung. Es kann ein Übergang sein oder eine Sucht werden, das hängt von vielen Faktoren ab. Weil es dieses unendlich erscheinende Viel gibt, taucht gleichzeitig und der kosmischen Logik folgend, das Gegengewicht auf, nämlich die Kernfragen wie: wer bin ich eigentlich. Das war mal eine Frage, die geistig hoch angelegt war, denn die Antwort ist schwierig macht viel Arbeit, ist also zeitaufwendig. Aber die Antworten werden nun von Einzelnen gebraucht, denn es muss dringend entschieden werden in jedem einzelnen Leben, ob ich die Welt sehe als eine Art Mutterbrust, an der ich zu saugen berechtigt bin bis an das Grab, so als hätte es sich als menschlich förderlich erwiesen, den Reifeprozess zu überspringen, und so als wäre ich irgendwo stecken geblieben, wo es nichts anderes zu geben scheint als das Recht der persönlichen Sättigung. Wann ist ein Mensch satt? Wann tritt Übersättigung ein? Von unserer eigenen Kultur kennen wir es doch: wenn alles da ist, was der Mensch braucht und was er sich überhaupt vorstellen kann, dann erst wird ja klar, dass man die Verantwortung für die Grenzsetzung selber hat. Ich nenne das meistens „Konturen“ statt Grenzen, weil es beweglicher ist. Wann wird etwas zu etwas anderem? Wann und wie hat das angefangen, dass aus deutschen Bürgern, die sich sicher alle für brav hielten, kalte und hemmungslose Mörder wurden. Ja, nicht alle, aber viel zu viele.Wussten sie von diesen Trieben, bevor sie jemand für geeignet hielt, unsagbare Pflichten auszuüben, so als gäbe es keinen humanen Gradmesser mehr. Genau an solchen Punkten der Irrnis und Wirrnis, wenn man müde wird, der politischen Clownerie zuzuschauen, und auch selbst keine durchschlagenden Lösungen parat hat, fällt mir der indische Vorschlag ein für diese Zeit. Für sie ist die Zeit ja ein Rad, ein Kreislauf, in dem verschiedene Zeiten immer wiederkehren, und für diese hier sagt man: schau dich selbst an. Jede/r kann sich selbst anschauen, das ist kein Geheimnis mehr. Ob ich das in Anspruch nehme, hängt von mir ab. Obwohl es oft nicht so aussieht, haben wir doch alle einen gewissen Radius der Handelsfreiheit zur Verfügung. Es kommt nur darauf an, wohin ich meine Aufmerksamkeit lenke, wie ich mit meinem Energiehaushalt umgehe, und dass ich möglichst wenig Schaden anrichte, bzw merke, wenn ich es tue. Und dann natürlich (psst! das verborgene Thema Liebe), denn daran hängt wiederum der Humor, und ohne Humor und ohne herzliches Lachen, o nein, das wäre zu schrecklich! Schließlich sitzen wir alle gemeinsam im Hörsaal der Menschwerdung, und noch trägt keiner die erhabene Zaubermütze.
Kalu Rinpoche
Die Art und Weise , wie man in dieser Welt handelt, wie man sich
verhält, lässt sich immer in physische, sprachliche und geistige
Aspekte einteilen. Diese können sowohl in negativen Aktivitäten
oder in positiven Strömungen und Tendenzen bestehen. Alles,
was man tut, belebt und verstärkt immer wieder einen dieser drei
Aspekte des Schicksals. Wichtig ist nun, einmal ein gewisses
Vertrauen, ein Erfassen dieses karmischen Vorgangs zu erlangen.
Man muss lernen, die Beziehung zwischen einer Handlung, die
man ausführt. und der Erfahrung, die man daraus später machen
wird, herzustellen. Hat man das einmal erreicht und erkennt den
Zusammenhang zwischen Handlung und Auswirkung, kann man
eine Art moralischer Wahl treffen. Man kann sich entscheiden
zwischen dem, was eine gute Erfahrung herbeiführt, und dem,
was ein negatives Ergebnis bringt. Man bekommt den karmischen
Prozess sozusagen in die Hand. Man gewinnt eine Art Schlüssel
zum Schicksal.
Quelle
Gestern war ein Teil der afghanischen Familie bei uns, mit der wir seit einigen Jahren befreundet sind, und Hamid, der jetzt im Juni sechs Jahre alt wird und schon von seinem Geburtstag schwärmte, der (von ihm) (wahrscheinlich) (?) unbemerkt hinter Ramadan geschoben wird, da man während des Ramadan, wo heftig gefastet wird, nachmittags keinen Geburtstagskuchen mit Sahne servieren kann. Für mich ist sein Geburtstag auch deswegen bedeutsam, weil ich mich einige Tage vor seinem vierten Lebensjahr entschlossen hatte, diesen Blog zu beginnen, und den Anfang zusammenlegte mit Hamids Geburts-Datum. Ich konnte ja nicht ahnen, dass ich mich zwei Jahre lang, und das immer mehr, dem furchterregenden Moment aussetzen würde, den gespeicherten Archiven meiner Lebenserfahrungen so ein Zutrauen entgegen zu bringen, dass sie mich wissen lassen, welche Worte dafür zur Verfügung stehen. Man könnte nun nachfragen (bei sich selbst), was daran furcherregend ist. Nun ja, man weiß ja lange nicht, wo man die eigene Quelle orten kann. Ganze Heerscharen selten im Getümmel des Marktes angetroffene Geschöpfe haben sich durch die Zeiten hindurch auf ihre Weisen darum bemüht, der Sache näher zu kommen. Je näher man kommt, desto komplexer wird es. Wer Quelle, wo Quelle? Außen Quelle, innen Quelle? Unten am unterkühlten, tropfsteindurchzogenen Urgrund, oder ganz oben in den ätherdurchtränkten Kosmo-Konstrukten, von denen die Religionen ihre verführerische Nahrung nehmen, damit die ganz besondere Beute ausgeworfen werden kann, die den potentiellen Schafen tröstlicher ist als der schicksalsgeschulterte Einzelgang. Und ja, das wiederhole ich gerne, der Geist , der so freizügig durch die Sphären weht und offensichtlich keine Probleme damit hat, sich dem Willen der anwesenden Geister zu beugen, sieht sie, die Beschenkten, offensichtlich nicht mit dem Auge der Unterscheidung oder des Vergleiches, sondern ist auch als FormwandlerIn tätig. Das „In“ ist hier wichtig, denn wer sagt, dass er männlich ist, der Geist. Und hätte er männliche Eigenschaften, so könnte ich ihn in eine hohe Konzentration bringen (ich meinen Geist, wohl bemerkt!), und ihn hineinsenken in das Rund meiner weiblichen Sphäre. Man kann auch den Geist in seiner erotischen Lebendigkeit nicht genug wertschätzen. Wer sich auf die Erotik des Schöpfungsvorganges nicht einlassen kann, wird seine unermessliche und grenzenlose Fülle nicht schätzen können. Manche Worte, die in der Welt durch Missbrauch geschunden wurden, muss man zu sich zurückholen und sie ans Herz nehmen und sie heilen lassen, bis sie wieder sich selbst sind und mit ihrem Ursprung verbunden. Eben, der Quelle. Wer soll einem das Verstehen von sich selbst schenken? Für die Freiräume, die benötigt werden, um bestimmte Aufgaben zu erfüllen, muss man sich kümmern. Schon gibt es Oasen, in denen sich das Komplexe auflöst und sich verwandelt in nachvollziehbare Einfachheit. Das sind Vorgänge, die man einem Computer nicht vermitteln kann. Nein, niemals! Den ganzen Tag tue ich (vor allem simple) Dinge, die er nie tun können wird, und mein inneres Erleben wird er niemals erfassen, weil ich selbst im Seinsvorgang nichts anderes bin als lebendig, ständig mich wandelnd und ständig neu, auch wenn das ganze Gebilde ich-mäßig begrenzt erscheint, ich aber durchaus der Vielfalt meines eigenen Ausdrucks verpflichtet bin.
(Mit dem Bild zu meinem gestrigen Beitrag war ich so unzufrieden, dass ich es, durch Fortunas Anwesenheit, heute mit einem Original austauschen konnte. Man kann dort jetzt das Photo eines Gemäldes von Henrike Robert sehen.
Böen
Als ich gerade bei Google News gesehen habe, dass es beim Vatertag Sturmböen gab, dachte ich: Ja, genau, gab’s. Christi Himmelfahrt brauchte auch gar nicht genannt werden, ein sehr abstrakter Vorgang, wenn man sich nicht damit verbinden kann, aber der Vatertag herrscht vor. Der Muttertag hat ja eine sehr emotionale Tiefe. Was haben wir nicht alles an Kunstvollem gebastelt, um die Liebe für sie auszudrücken. Schon im Kindergarten wurde darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, der Mutter etwas Schönes zu schenken. Oft sind, aus vielen verschiedenen Gründen, die Väter nicht nur weniger, sondern überhaupt nicht da, oder nicht mehr da. Vermutlich haben sich auch die Erbfolgengefühle mit der Zeit etwas gelockert, seit mehr Frauen entscheiden können, mit wem, wie, wo und warum sie ein Kind haben wollen. Die Auswirkungen der Tatsache, wenn ein Kind, wie ich, ohne Vater aufwächst, sind auch sehr unterschiedlich. Wie war die Verbindung, bevor er entschwand. Wie hat die Mutter das Entschwinden kommuniziert. Wie war überhaupt die Beziehung der Eltern, bevor sie damit umgehen musste, dass er nicht mehr da war. Es ist erschütternd, wenn man an diesem Punkt des kollektiven Bewusstseins, das nun auch den Kindern von Anfang an waches Bewusstsein zugesteht, wenn man also sieht, wie die Schritte für eine neue Kriegsführung gelegt werden, so als wüsste man nicht, dass dort dieselben Vorgänge wieder stattfinden werden, an denen wir aus dem letzten Krieg immer noch leiden: das Nicht-Zurückkehren der Väter zum Beispiel, und der neue, anspruchsvolle Umgang mit denen die traumatisiert zurückkehren, oft bis zum Ende ihres Lebens. Mit allem anderen kann man umgehen. Es gibt Trennungen, ja, und es gibt auch neue Verbindungen. Es kann wunderbare Neuanfänge geben, und was die Kinder betrifft, so brauchen sie wie alle Menschen den sorgsamen und liebevollen Umgang, unter dessen Schutzschirm die Wesen gedeihen können. Was soll das, das Vaterland ehren und beschützen und verteidigen, was man nur muss, weil andere Väter auf der anderen Seite denken, sie beschützen ihre Familie und ihr Hab und Gut. Ich betrauere doch die Abwesenheit des lebendigen Vaters. Einer, der da war, und dann nicht mehr. Mit dem himmlischen, das konnte nicht wirklich gut gehen. Was sollte ein himmlischer Vater letztendlich für mich tun? Auch ein „Was-wäre-gewesen, wenn…“ hilft nicht weiter. Vielleicht ist es für das Kind wie es für Jesus am Kreuz war, denn es wird ja überliefert, dass er gesagt haben soll: warum hast du mich verlassen.“ Irgendwie war die Verbindung gekappt. Man kann ja mit vielen Gedanken und Empfindungen nichts machen, als sie tiefer und tiefer zu verstehen. Die Dinge sind, wie sie sind. Aber man kommt nicht umhin, sich um den eigenen Schmerz zu kümmern, um den eigenen Verlust. Man ist unter vielem Anderem auch ein Universum mit schwarzen Löchern, deren geheimer Lichtgehalt sich erst bei Durchdringung offenbart.
firmen
Es ist nun wirklich, was ich einen puren Zufall nennen könnte, im Sinne von etwas unverhofft Schlichtem, das einem entgegenkommt, nämlich, dass ich gestern in eine große Nähe zum Christentum kam, die mir durch die katholische Kindheitserfahrung meiner Begleiterin und ihre Berührung damit in eine Möglichkeit brachte, meine eigenen Verschlossenheiten und Vorbehalte gegen die aufgebauschte Ritualistik religiöser Darstellungen etwas zu lockern. Wir waren also unterwegs und erblickten an einem bestimmten Punkt inmitten des Grüns diese gigantische Kirche, eher wie eine Kathedrale, in deren Eingangstor wir später, bei mächtigem Glockengeläut, eine Menge Menschen hineineilen sahen. Wir gingen auch hinein. Die Kirche war proppenvoll. Es war eine Firmung. Da ich weder katholisch bin, noch von irgendwem jemals zu einem Glaubensweg gedrängt wurde, wusste ich herzlich wenig von dem, was da vor sich ging, aber es erinnerte mich doch in seiner Intensität an die Versammlungen der Gläubigen in indischen Tempeln. Ein Bischof war da in prächtigem und geschmackvollem Gewand. Er trug den Hirtenstab, sehr schön geformt, der ihm manchmal von einem Kirchendiener abgenommen wurde. Das erste Wunder trat prompt ein: Der Hohepriester sprach mit menschlicher, heißt: authentischer Stimme, wer hätte das denken können. Ach ja, die zu Gefirmten Werdenden waren zuvor um das Taufbecken herumgesammelt und mit dem Wasser aus dem Taufbecken mit einem Kreuz auf der Stirn als Neugetaufte gezeichnet, bzw. gesegnet worden. Während sie den Kirchgang auf- und abliefen mit angestrengt ernsthaften Gesichtern, konnte man sie ein wenig betrachten. Viele waren schick angezogen, die Mädchen mit sehr hohen, sehr glitzernden Damenschuhen, offenbar ein modischer Firmungstrend, der der ernsthaften Atmosphäre keinen Abbruch tat. Jugend, von der man erhofft und wünscht, dass sie den Glauben annehmen und darin verankert werden soll. Die Rede des Bischoffs war exzellent, bis sie verführerisch wurde, und manchmal auch schrecklich, nämlich da, wo, verbunden in gemeinsamem Gesangesklang, die unmöglichsten Gedanken eingeträufelt wurden. Man geht ja wohl hier von der Erbsünde aus, ist also, ohne was getan zu haben, in große Schuld verstrickt. Deswegen soll die Jungfrau für die Sünder beim Herrn vorsprechen. Auch mussten alle zu den unglaublichsten Sätzen sagen: ich glaube. Etwa, dass Jesus von den Toten auferstanden ist und zur Rechten Gottes sitzt. Ich kenne aus Indien schon einige, die dort auch sitzen, aber wer weiß schon, wie das läuft. Allerdings sagte der Priester auch zu den Jugendlichen, sie sollen auf keinen hören, sondern sich ihr eigenes Urteil bilden, auch wenn sie sich dadurch manchmal ausgegrenzt fühlen. Das fand bestimmt inneren Anklang. In einer Nebenszene, auf der hintersten Kirchenbank sitzend, wurde ich aus einem Kinderwagen von einem etwa 1-jährigen Kind permanent angestarrt und bewunderte den zärtlichen Vater, der angefüllt war mit Glück über seinen Sohn. Ich fühlte mich also beim Beobachten beobachtet und musste immer wieder hinschauen. Dann kündigte der Weihbischof einen unermesslich großen Moment an, der nur erlebt werden konnte, wenn man niederkniet mit gefalteten Händen. Wir knieten nicht, aber lauschten aufmerksam. Die Versammlung begab sich auf die Knie. Es wurde sehr, sehr still, die berühmte Stecknadelstille trat ein, denn er hatte verkündet, dass nun der Geist herabkommen kann und eintreten in diejenigen, die dafür geöffnet sind. Gut, jede Religion kann offensichtlich mit dem Geist machen, was sie will, denn er ist ja niemandes Eigentum. Aber klar, wenn er gerufen wird und einer sagt: jetzt ist er gleich da, da will man doch nicht vom Geist übersehen werden, wenn er schon mal da ist. Dem ist doch eh egal, ob ich kniee oder nicht, ich kenne ihn doch selbst, er ist nicht kleinlich. So habe ich das mal kosten können mit einem offenen Herzen. Schadet doch nicht, wenn man sich einlässt auf etwas, was Anderen mal wesentlich am Herzen lag und immer noch, wenn auch geläutert, dennoch tief liegt. Hauptsache, wir kehren zu uns zurück mit der natürlichen Dankbarkeit für die Möglichkeiten des eigenen Erlebens und des Erlebens derer, die uns nah sind.
Der kleine Puttenengel hing rechts oben im Kirchenschiff an einer Art kugeligem Fußableger der Heiligen Jungfrau Maria und fiel mir ins Auge. Dank digitaler Technik und der globalen Tatsache, dass einem keiner mehr verbieten kann, etwas zu photographieren, konnte ich ihn zu mir heranzoomen. Deswegen entdeckte ich das Kind darunter, das mich unverhohlen erforschte, sodass ich mich selber aus dem Wagen herausschauen sah, mit dem Blick auf mich gerichtet.
arbeiten
Als ich einmal ein paar Jahre in Indien war, ohne das Land zu verlassen, wäre niemand auf die Idee gekommen (hätte man jemanden darauf gebracht), dass ich nicht arbeite. Ich war arbeiten unter extremen Umständen gewohnt. Es ging selten um hohen Lohn, mehr um die Erfahrung. Dann das Privileg, in der Wüste in einem Tempel als Frau zu wohnen und zu lernen, wie man das macht. Es gab keine Beispiele. Was war ich für sie, keine Ahnung. Ein geschminktes Bleichgesicht, das sich durchsetzen konnte? Ich konnte mich durchsetzen, weil ich wissen wollte, wie es ist. Wie man das macht. Wie man das, was die eigene Arbeit ist, richtig macht. Hätte ich mir träumen lassen, dass das einmal meine Arbeit sein würde? Nein, natürlich nicht, aber es erregte auch kein Aufsehen in mir, es war ein natürlicher Werdegang. Ich wollte u.a. d a s lernen, was die Inder am besten können: sitzen und still sein, und schauen, was im Innern los ist. Der Tempel war unter einem Banianbaum, ein wahrer Palast aus dem Märchenreich des Zeitlosen. Der Baum hatte Wege wie kleine Straßen und barg sorglose Holzzufuhr für ein Feuer, das niemals ausging. Dort war ich außerordentlich fleißig. Ich wurde eine Weile von einer Mönchsgemeinschaft beobachtet, dann war auch damit Schluss. Ich konnte sie wohl überzeugen, an was ich wirklich interessiert war, und das passte gut zusammen mit der üblichen Praxis, die auch den Umgang mit den Besuchern und Besucherinnen des Tempels einschloss. Dann kam ich zurück in den Westen und fing an zu arbeiten, um meine Lebensweise zu finanzieren. Zuerst arbeitete ich bei einem Chinesen in einer Druckerei, dann bei einer jüdischen Kleiderfirma. Die Frau in der Pelzabteilung fand Gefallen an mir, aber leider musste ich ablehnen, da ich es nicht so sehen konnte wie sie, nämlich, dass Tiere geboren werden, um Mäntel zu sein, auch wenn es um Zucht geht. Da, wo ich grad herkam, waren Fisch, Fleisch und Eier nicht erlaubt. Man denkt dann ja gar nicht daran. Ja, was esst ihr denn so da drüben? Das ist schwer zu beschreiben, weil die Küche so meisterhaft ist. Dann arbeitete ich in einem Verlag und las viele interessante Bücher aus der Zeit vor dem Dritten Reich, als der deutsche Genius noch nicht durch die Hölle wanderte und die Sprache noch klang, als wenn sie Worte transportieren könnte wie frisches Wasser. Dann arbeitete ich noch für einen Laden mit japanischen Betten, Tatamis und so, der von einem Türken geführt wurde. Zwischendrin immer wieder Indien, zum Anschluß an die Architektur des Weges. Dann war ich entschlossen, endlich zurückzukehren zu meinem eigenen Tun. Die Ideen immer einfacher. Gute Gesellschaft, eigenes Arbeitsfeld. Freischwebende Aufmerksamkeit.
abstammen
Heute früh kam mir im Kontext eines Frühstücksgespräches diese Geschichte noch einmal in den Sinn, die sich letztes Jahr in Indien um eine große, öffentliche Empörung rankte, und das vor allem in illustren, wissenschaftlichen Kreisen, weil jemand, den man offensichtlich ernst genug nahm, um ihn zum Zentrum einer Debatte zu machen, sich gemeldet hatte mit der Ansicht, man müsste Darwins Lehre vom Weg des Affen zum Menschen aus den Schulbüchern entfernen, weil es einfach nicht sein konnte. Ja, warum denn nicht!!! Ja weil, sagte er, es in unserer Geschichte niemand erzählt hat! Jemand hätte davon erzählt. Denn wie sollte das unbemerkt stattgefunden haben, wo doch jeder immer alles sieht und auch davon erzählt. Nicht, dass ich mich dadurch unterstützt fühlte in meiner eigenen Abneigung gegen die Affe-zu-Mensch-Theorie, sondern mir gefiel der schlichte Zugang zu einer, gut, ebenfalls absurden Variante, egal, wie viel über die andere schon rumgeforscht wurde, dass man sich gar nicht mehr traut, das Vorhandene infrage zu stellen. Was ist, wenn sich eines Tages auf eben diesen Wegen herausstellt, dass manche von der Krähe abstammen und andere vom Ameisenbär. Noch ist ja Zeit, herauszufinden, was er eigentlich hier tut, der Mensch, außer den scheinbaren Offensichtlichkeiten, die er sich eingeschweißt hat im Hochofen des psychischen Veranstaltungsortes. Schließlich hat man sich schon oft genug dabei ertappt, etwas in der Welt Erblicktes nicht nachvollziehen zu können. Manche Menschen haben sich ihre Unterlippe so groß wie Teller gedehnt, Andere wiederum haben die Füße ihrer Töchter gleich nach der Geburt eingebunden, damit sie beim erotischen Spiel in die Achselhöhlen des zukünftigen Mannes passen. Und ja, der Schmerz hindert das Weglaufen, und vieles davon schmerzt ein Leben lang, so wie sehr hohe Absätze den Rücken verkrümmen können. Der Mensch experimentiert mit den Möglichkeiten seiner Ausdehnung. Wenn einem das dann in der eigenen Zeit alles hochinteressant vorkommt, weil man ja irgendwie ahnt, dass da auch eine Quelle der ursprünglichen Verbundenheit vorhanden ist, dann kommen einem die Fragen, die man für beantwortet hielt, erneut in den eigenen Sinn. Dieses Wissen, das gesammelt wurde und vorhanden ist aus dem kollektiven Geist, das ist die Kompassnadel, mit der ich, wach und nervös und angeregt, meine Fährte erspüre, meinen Weg, auf dem ich mich wohlfühle. Und nicht mit der Freiheit, die alles haben und kaufen kann, was sie will, sondern mit der Freiheit für das, was an Einleuchtendem erfahren und gelernt werden konnte, egal, über welche Wege. Hauptsache, die Erfahrungen haben im Bewusstsein eine Spur hinterlassen, die man erkennt als die, die man entweder hinterlassen will oder nicht. Hinterlassen und Lassen. Wie komplex und gefahrenumwoben das Menschsein doch ist. Man ist gefordert, das Beste zu geben. Nur, was ist das Beste, was man geben kann. So viel hängt ab vom Blick allein. Diese Blicke sind nicht austauschbar und auch nicht ansteckend wie ein Virus. Oder wie Liebe, der ultimate Freiheits-Virus. Bei so einem Wort, das ich selbst noch nie gesagt, geschweige denn geschrieben habe, halte ich jetzt einfach ein. Wie kommen die Dinge zu einem, oder muss ich hier fragen: wie kommen die Dinge zu mir?
Auf den Bildern kann man sehen, wie aus einem simplen Balanceakt ein Hörvorgang wird.
prachtvoll
Wenn dann, man weiß ja nie wann und ob überhaupt, im Mai auf einmal die Natur eine Performance hinlegt, die man nur paradiesisch nennen kann, müssen alle, wie zum Beispiel gestern am Sonntag, damit umgehen, denn es sind nicht die offenen Läden, die zum Zwangskauf animieren, sondern es ist die Fülle und der Reichtum des Schönen, die hervorlocken aus den Räumen und Zimmern und Fluchten und Schluchten des Daseins. Es ist kleinlich, an so einem Tag zu klagen, denn sobald man den Wirkungskreis der Sonne erreicht, setzt ein Wohlbefinden ein, das sich sträubt gegen die Widersacher im Inneren. Ich habe mich mal durch die karge Vermittlung eines Angehörigen hineingewagt in die Vorstellung einer sibirischen Eiseskälte, in der die Gefangenen einfach durch Weitergehen das Unvorstellbare leisteten, aber genauso grausam stelle ich mir vor, wenn, wie zum Beispiel in Syrien, inmitten eines Krieges der Sommer ausbricht mit all seinem Glanz, und man versteht noch einmal besser mit unerbittlicher Klarheit, wer der Verfinsterer des Seins ist, wer der Vernichter, der in dieser Anmaßung dahinwütet, als sei er Herr über Leben und Tod und hätte das Recht, das Leben Anderer zu kürzen. Oder Gottfried Benn, der mal die Furcht bzw den Wunsch ausgedrückt hat, nicht im Sommer zu sterben. Auch die Sonne kann gefährlich sein. Deswegen herrscht im Winter in Indien immer so eine Dankbarkeit als kollektive Grundstimmung, wenn sie, die Sonne, einen verlässlich erwärmt am späteren Morgen, und man kann sich hineinsetzen in ihre wohltuende Umarmung, und wenn man dann noch den Genuss schätzt, eigene Gedanken zu formen im Angesicht und in direkter Verbindung mit den Angeboten des Daseins, dann kann es sehr schnell gehen, dass nichts mehr fehlt. Wenn tatsächlich, hier oder dort, mal ein Rahmen erscheint, dessen Inhalt, wenn auch nur für Momente, nicht mehr als ein Fehlen deklariert werden kann, dann weiß man schon mal, wie sich das anfühlt. Wie, mir fehlt nichts, nur weil die Sonne scheint, und Blüten und Bäume eine gigantische Strahlkraft entfalten, und die Farbe Grün eine Intensität erreicht, die erschüttern kann, denn hier wird einem das „Drinsein“ so einfach gemacht, so als würde man direkt ohne eigenes Zutun ins Satori (Erleuchtung im Zen) geschoben und würde selbst erkennen, wie überflüssig es ist, jetzt den Artikel über „Ignaz den Furchtbaren“ ( „Zeit“: ‚Recht und Unrecht‘) zu lesen, wenn gerade die Chance läuft, sich mal von der Schönheit der Welt erschüttern zu lassen. Tun im Nicht-Tun, Mutter aller Weisheiten, hier kann man sie üben. Man kann, und muss meistens auch, den Tunsdrang einschränken, denn was lockt der schöne Tag nicht alles noch hervor an Vorstellungen, was man mit ihm „machen“ kann. Da ist der Sonntag eben ideal, auch wenn er von der Religion verordnet ist. Es herrscht mehr Ruhe. Und wenn es einem gelingt, sich darin aufzuhalten, ohne ständig an das zu denken, was man noch alles tun könnte oder müsste, dann könnte man mühelos beobachten, wie sich Tun im Nicht-Tun einstellt. Das Tun wäre nicht im Gehirn produziert, sondern von den Gegebenheiten natürlich erzeugt, und demnach wie ein Strom ergibt Eines das Andere, während die Ruhe einen begleitet. Je größer die Freiheit von zwanghaftem Tun, desto mehr Freiraum für das, was sich tut und wirklich getan werden muss. Die Erfahrung der Praxis meditativer Wege“, vor allem aber ihre innere Ausrichtung auf erfahrbare, universelle Gesetze, kann hier nützlich sein, da man die Möglichkeiten des Seins kontempliert haben muss, um Sein als solches überhaupt wahrnehmen zu können.
Das mittlere Bild zeigt einen photographischen Ausschnitt der Tonfigur eines Yogi (von Ursula Güdelhöfer) ohne ausgeformte Gesichtszüge . Die Skulptur steht bei uns im Garten und überrascht immer wieder durch die Veränderungen, die sich durch
Lichteinflüsse und Wetter auf der schlichten Oberfläche des Tones abspielen.
Emily Dickinson
Gedanken haben nicht täglich Worte
Sie kommen einzelne Male
Wie geheime Zeichen wenn du nippst
An der Abendmahlschale
Und dir der Wein so natürlich schmeckt
So einfach so zu sein
Du kannst seinen Preis nicht begreifen
Noch seine Seltenheit.
*
Ahnte die irdische Lippe
Die ungeformte Fracht
Einer gesprochenen Silbe
Sie zerbräche unter der Last.
aus Versehen verhören
Wie schnell kann man sich verhören oder versehen, und merkt es meist gar nicht, denn auch zum Hören und Sehen gehören bestimmte Bedingungen und Eigenschaften. Auch ist das flüchtige Ohr und das schweifende Auge nicht unbedingt etwas, das man ablegen muss, denn ständig fordert das eigene System von einem, bestimmte Entscheidungen zu treffen, die vom Willen geklärt werden können. Wann will ich etwas hören und wann nicht? Wann will ich genauer hinschauen, und wann ermüdet der Blick, weil das Gesehene nicht anspricht oder resoniert. Eigentlich ist man mit dieser subtilen Akrobatik ständig beschäftigt. Als Kind schon lernt man solche Künste, die oft mit Schrecken verbunden sind. Man lernt das Weghören und erleidet den Mangel an Gehörtwerden. Manchmal sieht man Mütter, die beim Kinderwagenschieben mit ihrem Handy beschäftigt sind. Es ist ja nicht so, dass das Kind ständig betrachtet werden muss, aber beim Beobachten solcher Neuheiten kann sich ein unwohles Gefühl einschleichen, denn Mutter und Kind gehen nicht mehr durch dieselbe Welt. Menschen mit Ohrstöpseln sind allgegenwärtig geworden. Als dieses woanders Hinhören in Indien anfing, hat mich manchmal interessiert, was sie denn da so hören. Beim morgendlichen Gang um den See sind es oft Mantren, die ins Ohr rezitiert werden. Man erhofft hier wohl eine direkte Transzendenz. Das ist sehr tricky, denn man hört die stattfindenden Geräusche nicht mehr, was immer häufiger dazu geführt hat, dass Menschen überfahren werden, weil sie das Hupen oder den heranfahrenden Zug nicht gehört haben. In den Workshops der Welt ging es viel um das Wesen des Zuhörens, und TeilnehmerInnen kamen nach Hause und übten eine Weile an oder mit ihren Partnern. Ist der Andere nicht im selben Kurs, wird es schwierig. Klischeehaftes Verhalten ist durchaus Norm. Man will gehört und gesehen werden. Essere es percipi. Langsam merkt man, wie komplex das alles ist. Wie tief und authentisch ist das Interesse am Anderen. Will man denn wirklich wissen, was sie so sagen, die Gegenübersitzenden, und wie weiß man, wer sie sind? In manchen Ohren kann ein tieferes Interesse klingen wie ein Verhör, wenn man nicht gewohnt ist, sich auch mal ernsthaft einzulassen, um der Flüchtigkeit eine Grenze zu setzen. Gestern hörte ich aus dem Freundeskreis eine kleine, simple Geschichte , in der eine Frau während eines offiziellen Dinners mit ihrem unbekannten Tischnachbarn ein so angeregtes und langes und intensives Gespräch führte, dass sie sich am nächsten Tag bei ihm meldete, um zu sehen, wie es nun weitergehen würde. Er sagte, er wolle nie mehr mit ihr reden, denn sie würde alles nur negativ sehen. Sie war so entsetzt, dass sie ein Buch darüber schrieb, das ich vermutlich nicht lesen werde, denn die kleine Anekdote sagt schon viel aus. Was um Himmels Willen war geschehen? Wir können niemals wissen, was im Anderen vor sich geht, auch wenn wir uns als Top-Menschenkenner empfinden. Erst wenn wir selbst bestimmte Erfahrungen in uns wahrnehmen und sie aussprechen, ist der Andere, wenn er kann und will, befähigt, seine eigene Wahrnehmung dazu kund zu tun. Wenn das stattfinden kann, sind wir schon fast im Garten der Freundschaft, wo Ehrlichkeit und Offenheit geschätzt werden, und die Angst voreinander durch erworbenes oder gewährtes Vertrauen gemindert und gelindert ist. Wie lange es dauert, bis wir wirklich begreifen, dass jeder Mensch bei allen garantierten Übereinstimmungen eine vollkommen andere Welt sieht als ich selbst, und dass dieses Anderssein der Grund und Anlass sein kann für eine erhöhte Aufmerksamkeit und eine Bereitschaft, über das eigene Sehen und Hören Aussage zu machen, damit wir ein bestimmtes Maß des Verstehens und des Verstandenwerdens erreichen können, das uns aus der Isolation unseres Verhörens und Versehens bringt und direkt in das Wunder der Vielfalt.
Das Bild zeigt eine Lichtreflektion auf dem Fell unserer Katze.
(nicht) sollen
Osman, ein Mann, den ich bei unserem hochgeschätzten Automechaniker zufällig traf und der einen Freund hatte, der, so sagte er, an unserem alten Auto interessiert sein könnte, brachte diesen Interessenten tatsächlich zu uns, und es kam zu einem zufriedenstellenden Ausgleich. Da Herr Osman mich mit „Frau Sybil“ vorstellte und ansprach, erklärte ich, Sybille sei mein Zweitname, und eigentlich hieße ich Kalima. Das erweckte sofort ein gewisses, religiöses Interesse in ihm, denn er war Muselmane und freute sich besonders darüber, dass ich mich erinnerte, selbst einmal das Wort „Kalima“ in einer Moschee gelesen zu haben und zu erfahren, dass es ein Name ist für die 5 Glaubensbekenntnisse des Islam. Immer froh, mal wieder einige positive Erinnerungen religiöser Stätten in Erinnerung zu rufen, konnte ich die Sufi Dichter preisen und überhaupt, schade, dass der Islam gerade so einen schlechten Ruf hat, was soll man machen. Ja, was soll man machen. Zum Beispiel darüber nachdenken, was sich die Gründer und die Erhalter der Religionen alles ausgedacht haben, um den autoritätshungrigen Menschen d i e Gesetze zu geben, die ihnen das Herdendasein erleichtern, bzw. das angstdurchtränkte Alleinsein in eine gemeinsame Ordnung lenken. Die Gesetze bestehen hauptsächlich aus Sollen und Nicht-Sollen. Du sollst die Ungläubigen aus dem Wege räumen. Du sollst nicht stehlen und nicht lügen. Du sollst deinen ganzen Leib mit einem schwarzen Sargtuch umhüllen, damit dich draußen keiner sieht. Du sollst nur Einem mit Haut und Haar gehören. Du sollst nur einen Gott haben. Du sollst nicht Zeugnis reden wider deinen Nächsten. Du sollst einen Giftbecher trinken, Sokrates, weil du das lehrst, was nicht gelehrt werden soll. An den Tieren soll experimentiert werden, an was der Mensch nicht sterben soll. Du sollst (hier schleicht sich schon das Muss ein) möglichst jeden Tag was Neues kaufen, damit der ganze Apparat weiterlaufen kann. Du sollst den Gott fürchten wie dich selbst. Du sollst gehorsam sein, damit du werden kannst, was du sein sollst. Deswegen, wenn mir manchmal in Indien eine Frau vermittelt, wie gut wir’s hier haben, wo alle frei sind, zu tun und zu lassen, was sie wollen, dann muss ich das notgedrungener Weise relativieren, denn gut, wir haben vielleicht eine gewisse Freiheit vom Sollen und Müssen, aber ganz sicherlich haben wir auch die Bürde der vorhandenen Freiheit. Jetzt soll ein Kreuz in allen Ämtern hängen? Ja hallo, wer ist denn hier glaubwürdiger Christ? Als ich mal meine Mutter fragte, ob sie an Gott glaubt, wühlte sich ein interessanter Vorgang in ihr hoch. Vielleicht auch ein leiser Ärger, aus dem Kollektiv des automatischen Christen-Daseins herausgenommen zu werden und gar nicht zu wissen, wie es für einen ganz persönlich ist. Ein Gott? Der liebe Gott?, über dem du keine anderen Götter haben sollst. Heute habe ich beim Frühstück gehört, dass einst Mohammed eine eigene Glaubensgemeinschaft gründen wollte, in der alle Religionen integriert waren. Dann wollten die Juden nicht mehr mitmachen und Mohammed sagte, nun sollen alle Blicke der Gläubigen nur noch nach Mekka gerichtet sein. Nur noch auf Einen. Laaa Ilaaha Illa-IlaahuMuhammadur-Rasoolu-Ilaah. (Niemand ist anbetungswürdig außer Allah und Mohammed ist sein Botschafter). (Das ist die erste Kalima) Letztes Jahr bei einem Treffen syrischer Poeten erzählte jemand die wahre Geschichte einer neu gebauten Toilette, die umgemodelt werden musste, nachdem potentielle und gläubige Lustmörder „Sünde! Sünde!!“ schrien, weil der Sitzende nach Mekka schaute. Du sollst auf dem Klo nicht in Richtung Mekka schauen. Das Sollen muss immer genügend einleuchten, damit die Ausübung davon ein Gefühl der Zusammengehörigkeit erschafft und eine Abgrenzung gegen die Anderen hervorbringt, die was Anderes sollen. Und irgendwann sitzen alle im Trog des Sollens. Sollen wir (Deutsche), nach allem, was hier geschehen ist, wirklich Milliarden ausgeben für Waffen, die Andere vernichten können? Nein, sollen wir nicht, aber wir müssen. Sonst plätten die uns doch mit Genuss, wenn es soweit ist. Trotzdem muss ich den Weg des freien Handelns nicht aufgeben. Solange ich hier bin, kann mich niemand außerhalb des Menschseins schieben. Ich bestimme selbst. Nur ich selbst kann bestimmen, was für ein Mensch ich in der Lage bin zu sein, und ob es meinen Ansprüchen an das Menschsein entspricht.
Das Bild zeigt eine bekümmert dreinblickende Gottheit.
vergleichen
Das Vergleichen kann eine Art Sucht sein, die, von den Süchtigen selbst unbemerkt, hemmungslos ihr Unwesen treibt. Der Impuls muss vom Haben kommen, oder auch vom Nicht-haben-wollen wie „ach, bin ich froh, dass ich eine weiße Haut habe“. Oder in Indien, wo Witwen auf den Straßen ungern wahrgenommen werden, weil sie als schlechtes Omen gelten (das Ungeheure leichthin geplaudert), könnte man vergleichen mit der Freude, keine Witwe zu sein, oder nicht auf dem Sklavenmarkt verbraten zu werden, sondern z.B. in einem Land zu leben, wo ein ziemlich großer Raum von Handlungsfreiheit zur Verfügung steht, wenn man mit den paar nachvollziehbaren Gesetzen nicht in Konflikt kommt: man muss vor allem angemeldet sein und einen gültigen Ausweis besitzen. In Indien, wo die Götter noch integriert sind in den täglichen Lebensraum, strebt dann so manch Einer danach, mit den Göttern verglichen zu werden. Schon die Eltern hängen gerne ein „Dev“ oder „Devi“ (Gottheit) an den Namen des Kindes in der Hoffnung, dass sich von der Schwingung was durchsetzt. Auch an der globalen Armee der Tätowierten kann man sehen, dass Haut mit einer anderen Haut irgendwo verglichen und der Gedanke geboren wurde: das habe ich nicht, noch nicht, aber das kann ich auch haben. Ist man mal durch irgendeinen Schubs in die wirbelnden Gewässer des Habenwollens geschwemmt worden, oder hat sich selber hineingeworfen, dann wird das Vergleichen eine von außen schwer erkennbare Suchtbewegung mit den Augen, die nach all dem suchen, was noch gehabt werden kann im Vergleich zum eigenen Schon-haben. Ich erinnere mich gerade (wieder mal) an einen Mann aus der untersten Kaste im indischen Dorf, der eine hohe Achtung genossen hat in der Gesellschaft, weil er praktisch alles, was man ihm brachte, in seinem winzigen Gehäuse reparieren konnte, ja, noch besser machte als zuvor. Er hatte eine schöne Sammlung von Nägeln, und so konnte man immer den passenden Nagel finden. Nein!, kein Ruf zurück meinerseits in den Urwald der Simplizitäten, nein, ich finde es beruhigend, dass es Obi gibt, wo auch alles, was man haben will, kaufbar ist. Alle Maschinen und ihre Erzeuger sind ehrenwert, wenn sie d a s zur Verfügung stellen, was man von ihnen braucht. Natürlich kann man nicht vergleichen, was der Eine oder die Eine wirklich braucht oder zu brauchen scheint, oder ein Recht darauf spürt zu haben, was man sich leisten kann, angesichts des Ackerns, mit dem man sonst beschäftigt ist. Das Vergleichen ist müßig. Du siehst aus wie….ja, wie wer denn. Vielleicht ist deshalb der Satz (von Gertrude Stein) „eine Rose ist eine Rose ist eine Rose“ so berühmt geworden, weil er u.a. sagt, dass eine Rose immer eine Rose ist, auch wenn man sie „Blume der Liebe“ nennt oder was auch immer. Eines der Dinge, die man auf Einkaufsstraßen beobachten kann ist, dass, wenn es Frauen gibt, die offensichtlich ihre eigene Kleidungs-Komposition tragen und darin stimmig wirken, es Anlass zu vielen Vergleichen gibt. Das Auge, dass sich ans Vergleichen gewöhnt, kommt schwer davon los. Diesem Auge erscheint dann die Welt als ein Konstrukt, mit dem ich mich vergleiche. Es ist der sichere Weg zur totalen Anpassung bei gleichzeitiger Selbsteinschätzung, total individuell zu sein und alles genau so gut zu können wie die Anderen, im Vergleich also ganz gut abzuschneiden. Ich denke, dass ein freischwebendes Auge auch so etwas Schweifendes hat, das die Dinge erfassen kann oder nicht. Das Schädigende ist wirklich nur das Suchtverhalten, weil es einen darunterliegenden Mangel ausdrückt, da der natürliche Zugang zur eigenen Seinsart entweder verhindert oder gar nicht als eine mögliche Variante erkannt wurde.
herz-eigen
Schon ein paar Jahre hängt an meiner Tür aus Glas ein starkes Stück Papier, auf dem steht, von außen lesbar „Wortfindungsamt“, und nach innen „Sprache für die Sprachlosigkeit“. Es fällt mir nicht schwer, für dieses Amt zu arbeiten, da ich die Worte selber zusammengeklaubt habe, um meiner Lebensart wieder mal eine Facette Beruflichkeit mehr dazu zu fügen. Das Wort und seine potentiellen Möglichkeiten spielen in meinem Leben eine kreative und reichhaltige Rolle. Worte haben mich auch aus den Tiefen der Nacht herausgerufen und wieder hineingeleitet und hindurchbegleitet, sodass ich das Dunkel nicht so sehr als eine Finsternis empfand, sondern eher als eine Prüfung für starke Gemüter. Was wird einem nicht alles zugemutet, bis man den Wert der Zumutung erkennt und damit die Beschaffenheit des ureigenen Schicksals, dessen Seinsdichte von keinem Anderen genutzt und benutzt werden kann. Die Würde des Menschen ist in der Tat unantastbar, auch wenn sie oft genug antastbar erscheint. Die Worte sagen aus, sie erschaffen Bilder und Geschichten mit einer Schnelligkeit, die keine Maschine toppen und stoppen kann. Was Maschinen können, kann ja auch aus einer bestimmten Perspektive her ziemlich lächerlich sein im Vergleich zu den endlos sich kombinierenden Wundern, die allein das Bewusstsein täglich unter Menschen hervorbringt. Man geht ja oft davon aus, dass alle ihren Wortschatz beieinander haben und damit ihre herz-eigenen Auftritte choreographieren können, aber nein, was ich geschrieben sah, hieß gar nicht „herz-eigen“, sondern herzeigen (zeigt her eure Füße usw). Mir wurde hier also genau das richtige Wort, wenn auch in meinem Sinn, zugespielt, das ich brauchte, um zu sagen, dass eben nicht alle Menschen ihre herz-eigene Sprache haben und damit ihren eigenen Ausdruck, sondern oft fehlen einem die Worte. Man kann sie in sich selbst suchen und muss sie nicht erfinden, denn sie sind da. Nun gilt es und gelingt nur über das Fühlen, Wort und Bild zusammen zu fügen, sodass die atmosphärische Struktur des Raumes ein angenehmes Beieinander zulässt. Dass Sprache und Liebe zusammen unschlagbar sind, lässt sich nicht bezweifeln. Und obwohl sich auch nicht bezweifeln lässt, dass die stillende Ruhe der Liebe wesentlich ist, so ist das Suchen und Finden der Worte, um einander das Verborgene sichtbar zu machen, der andere Teil des Wesens. Wer fühlen will, muss nicht unbedingt reden, aber wer wissen will, was gefühlt wird, kommt um das Wort nicht herum. Nicht immer muss man auch wissen wollen, aber man braucht unbedingt eine Sprache für die Sprachlosigkeit. So konnte ich schon am frühen Morgen durch einen flüchtigen Blick , der sich von selbst konzentrierte, als er in einem Glanzmagazin, dass mir zum Durchschauen gegeben wurde, auf das Wort traf und es meinem Wortschatz hinzufügen konnte: herz-eigen. Es empfiehlt sich also, den Augen zu trauen. Die Blumen auf dem Bild, die gerade bei uns ihre Pracht entfalten, stehen für das Wort: schön.
satt
Wenn man an so einem Tag nicht jemand ist, der auf Demonstrationen geht, prallt das ganze Angebot des Freiraums auf die Frage, wie man ihn verbringt, an diesem anderen Ufer der Brücke, wo die Läden geschlossen sind. Gestern war ich noch mit einer Freundin aus Guinea, die bei Aldi einkaufen wollte, unterwegs und überrascht, da ich im Auto bei dem schlafenden Kind blieb, so viele Menschen ein-und ausgehen zu sehen mit für meine Augen unvorstellbar überladenen Einkaufswägen, die alle zu signalisieren schienen, dass zuhause eine leergeputzte Wüste herrscht, die dringend aufgestockt werden muss, damit am freien Tag niemand hungern und dürsten muss. Das Wort „man“ ist auch nicht immer die adäquate Beschreibung dessen, was man persönlich erlebt. Es kann mit einer gewissen Sorglosigkeit benutzt werden, wenn es kein Versteck ist für das Ich, sondern eher eine mitlaufende Wahrnehmung darüber, dass Menschen doch auch sehr ähnlichen Situationen ausgesetzt sind, aber dann wiederum sehr unterschiedliche Verhaltensweisen damit verbinden, die man letztendlich nicht mehr verpflichtet ist nachzuvollziehen. Und doch ist es gut, das eigene Weltbild immer mal wieder mit dem Bild der Welt zusammen zu bringen. Wenn ich zum Beispiel ein halbes Leben in einer anderen Kultur gelebt habe, kann es passieren, dass ich den Blick verliere für die augenscheinlichen Differenzen und das Menschsein sehe als eine gemeinsame Herausforderung, wo es um sehr ähnliche, und dann auch um sehr verschiedene Werte geht. In Indien ging es dieses und letztes Jahr (z.B.) viel um ein neues Gesetz, dass von einem Richter befürwortet wurde, der offensichtlich davon ausging, dass alle muslimischen Frauen nicht möchten, dass sich ihr Ehemann durch das drei Mal ausgesprochene „talaq“ sofort von ihr trennen kann, aber Tausende von Frauen haben demonstriert und wollten kein Einmischen in ihre „talaq“-Struktur. Was soll man machen. In jeder Richtung gibt es schwarze Löcher, die sich ausdehnen ins nicht mehr Nennbare. Oder wenn ich meine eigene Story anschaue und eines solchen Tages wie heute mal denke: Wow! Da bin ich doch tatsächlich von der oft als solche wahrgenommenen Randgruppe, (wer? ja wer) der, ja wie soll ich sie jetzt nennen, KünstlerInnen, oder ReflektiererInnen, oder ForscherInnen, oder TraumatisierterInnen oder GestörterInnen oder DaseinsgestalterInnen oder GepeinigterInnen, alles innen und drinnen der am Rande sich Bewegenden, die ganze Gesellschaft also eine Randgruppe mit endlos vielen Bezeichnungen und Berufen, alle bemüht, die akrobatischen Künste des Teller-Jonglierens am Laufen zu halten. Denn wenn einer zerbricht, weist das auf etwas anderes hin, und da will der Eine oder die Andere mal auschlafen können und den Tag der Arbeit verpassen, da es überall um viel geht. Aber das ist ja gar nicht meine eigene Story! In meiner eigenen Story also schätze ich am Morgen die noch tiefere Stille in der Gegend, die einem ermöglicht, noch fassungsloser in die aufbrechende Natur zu starren, die auf einmal so schnell erscheint, als käme man gar nicht mehr mit mit ihrem Werdegang. Eine unmessbare Zeit breitet sich aus, in der man die Vorstellung von „Frieden“ erfahrbar machen kann. Dabei dachte ich schon früher gar nicht so viel über den Rand nach, wissend, dass die Forschungs-Labore selten ihren Eingang am Marktplatz haben. Auch von ihnen gehen die Gefahren aus, und die Kern-Kenntnisse der Zusammenhänge, und die narzisstischen Verfehlungen, und die reinen Momente des Glücks. Geschützt ist der Ort, wo die hmöopathische Dosierung ihre Wirkung entfalten und man von den Randbetrachtungen ins bewegliche Zentrum des Kerngeschehens schlendern kann und damit in den identitätslösenden Halt.
Das erste Bild zeigt einen Ausschnitt aus dem Zeit-Titelblatt, wo die Frage angeschnitten ist: „Wo bleibt die Arbeit?“, was ja zum auferlegten Stilletag passt. Allerdings könnte man auch aus „Wo Blei……eine Gedichtzeile machen, z.B. „Wo Blei der Liebe Nahrung ist, geh weiter, lass das volle Maß, dass so der übersatte Geist sich gut erhole….undsoweiter….