heiter

Eine Antwort, die ich auf die nimmerendende Frage hätte, was nun an diesem Land so unwiderstehlich ist, wäre unter anderem, dass nirgendwo so viel von Herzen kommende Heiterkeit in mir ausgelöst wird. Es hat schon einen sehr tiefgreifenden Unterhaltungswert, das Spiel des Lebens hier verhältnismäßig ungestört betrachten und daran teilnehmen zu können. Das Ungestörte für mich besteht darin, dass ich auch nur eine Figur in ihrem Drama bin, an die sie gewohnt sind und von der sie gewisse Dinge gespeichert haben, wie ich von ihnen. Dann kommt die tägliche Menge der Pilger dazu, mit denen auch ich vor allem morgens umgehen muss. Früher wurde ich öfters mal als Mann von ihnen gesehen, das fand ich auch erheiternd, auf einmal „Sadhu Maharaj“ zu sein, die übliche Anrede für Mönche. Jedenfalls ist es mir lieber als die andere Angewohnheit der Inder, jeden Menschen nach Belieben mit einem Familientitel zu belegen, das kommt bei mir nicht so gut an. Ich bestehe auch darauf, dass an das „Ma“ in meinem Namen das „Kali“ drangehängt wird, sozusagen als Garantie für Freiraum. Erheiternd finde ich auch manche Schriftzüge wie an der großen Wand des Advaita Ashrams, an dem ich täglich vorbeigehe. „Is all“ steht da. Außer kichern kann man auch noch was lernen. Is all! Essenzvoller geht’s nicht. Oder die Affen, die sich nach den Festen die Gaben im Tempel abholen. Oder die Raben, die auf den Rücken der Kühe durch die Gegend ziehen und gleichzeitig auf ihnen was zu fressen finden. Dann der Satz an der Brücke für die Foreigners: „Don’t put shoes on Bridge“, wo das fehlende „g“ in der Brücke sie in eine Braut (bride) verwandelt, auf die man die Schuhe nicht stellen sollte, auch guter Hinweis. Oder der Wagen, auf dem statt „Lion’s Club „Loins“ Club steht, und keinen stört’s, dass aus einem Löwen Club ein Lenden Club wurde. Es stört ja überhaupt selten jemand was. Five Finger not same, Kalima, habe ich auch schon 2017 viele Male gehört, das ist wohl wahr. Lustig sind auch die religiösen Fanatiker. Es gibt ein paar, die sind so überdreht, dass der übliche Umgang mit dem Ritual für sie nicht mehr möglich ist. Krächzend beten sie mal nach rechts, mal nach links, ob auch genügend Bewunderer ihre Darbietung wahrnehmen. Religiöser Wahnsinn wird hier geschätzt, weil es zu schwer ist, ihn einzustufen. Einiges ist schwer zu verstehen. Zum Beispiel tummeln sich in der „Straße der Süßigkeiten“ so viele Hunde, dass man als Mensch kaum durchkommt. Jede Regelung des draußen stattfindenden Unerträglichen ist für den Inder eine extra Last, hat er doch den täglichen Irrsinn bereits im Haus. Auch durch den Bazaar fahren täglich 8-bis 10 Jährige das Motorrad ihres Vaters. Natürlich fällt es auf, aber wer will schon was dagegen unternehmen, da die eigenen Kinder auch ohne Führerschein Motorrad fahren. Dann stehen am See, vom Bürgermeisteramt finanziert, 2 Lakh das Stück, das sind immerhin fast 2000 Euro, 4 künstliche Bäume, die keiner will und wollte, ein Alibi für das Geld in der Tasche. Eine Woche später waren alle Plastikblätter am Boden. Seither ragen nur noch Eisenstäbe gen Himmel, wohl, bis auch sie vergehen. Manchmal verirrt sich ein Vogel drauf, bis er merkt, dass irgendwas nicht stimmt. Das alles führt einzeln gesehen ja nicht unbedingt zum Heiteren. Es ist die Überdosis der Eindrücke,, die einen irgendwann zu einer einem entsprechenden Medizin führt, zB eine Dosis Heiterkeit. Man versteht, dass man nur ganz begrenzt was machen kann. Das kann mir dann im rechten Moment so schwindend wenig vorkommen, dass es ein eher befreiendes Lachen hervorbringt. Auch wird mir klar, dass alles doch auch sehr stimmig ist. Man darf es nur nicht so krass beurteilen, so als wüsste man immer, wie es besser geht, dabei weiß man’s gar nicht besser. Wenn man Glück hat, fällt einem vielleicht noch Freund Sokrates ein, das kann auch noch zu einem Lächeln führen. Dann wieder der Freude das stetig vor sich Hinströmen des Aufenthaltes überlassen…Und dem Universum danken, dass es mir bzw ich mir ermöglicht habe, mich in (m)einen Raum zurückziehen zu können. Ja, nicht genug! Ich habe auch ein Land, in das ich zurückkehren kann.

Das Bild habe ich eigentlich gemacht, weil ganz oben links ein Spitz sitzt. Den sieht man aber leider kaum, aber er ist trotzdem da. Für mich hat der Spitz eine besondere Bedeutung, weil ich als Kind überzeugt war zu wissen, dass im Paradies ein Spitz war. Und nun ist er tatsächlich da.

Sommer/Neumond

Der Sommer bahnt sich an. Die Pfauen senden ihre durchdringenden Töne durchs All. Pfauenschreie locken Pfauenerinnerungen in mir hervor. Staubige Straßen. Tempel, irgendwo in den Sand gebaut. Gruppierungen von „Nilgai“, einer Art Antilope, scheu und unzähmbar. Die Edlen unter den Herren tragen jetzt Lunghi und Kurta aus feinstem Tuch: Baumwolle, diese Tage schwer zu finden, und wenn, dann teuer. Um 9 Uhr schon heißer Sonnenstrahl. Erst sitze ich eine Weile am Winterstammplatz, dann ziehe ich um in den Pavillon, mein beliebtester Ort, durch die kalten Monate hindurch immer in Sichtweite, bis es wieder soweit ist. Innen und außen geschützt von den Materialien und der Architektur reichhaltiger Kulturen, auf die der Sonnengott sein Licht gegossen hat und gießt. Man darf mir vergeben für die Wegrutscher dahin, wo Göttliches auch für mich noch Namen und Form hatte. Allerdings war ich nie Sonnenanbeterin und habe sie immer gern weiblich gesehen, wie wir es in Deutschland gewohnt sind. Von mir aus könnte sie auch auf den Bildern in einer goldenen Kutsche und wildmähnigen Rassepferden durch die Gegend preschen. Sie ist ja auch nicht so lieb hier wie bei uns zuhause, wenn sie sich zeigt und alle nur froh sind, sondern hier brennt sie und drängt die Gemüter zum Nichts oder zum Äußersten. Und wenn wir Foreigners „Adieu“ sagen, geht es erst richtig los. Fünf Jahre war ich mal hier, ohne abzureisen. Die Zauberzeit ohne offizielle Dokumente. Ich erinnere mich an reichhaltiges Schattenspenden riesiger Banianbäume, an viele Nächte ohne Schlaf, aber mit viel Gesang und wunderbarer Musik, die irgendwann ins „Automatische“ abhob und wir einander zunickten. Es fiel nicht schwer, dann Gottheiten zu sehen, waren sie doch lebendig und segensspendend unterwegs in jedem anwesenden Geist. Da dachte ich oft, ich könnte Gedanken lesen, alles zwischen Menschen schien offen und schwerelos. Mit Manchen ist es auch gelungen, warum sollte ich daran zweifeln. „Schau mal rüber zu mir, wenn du das hörst“, sagte ich innerlich zB. Zu Gyan Shyam, dem Arglosen, und er schaute herüber und lächelte. Mehr Beweis war nicht nötig. Wir waren alle noch unter uns und unterwegs miteinander. Es war die Zeit in Indien noch vor den Computern, dem Fernsehen und den mobilen Geräten. Niemand hatte Interesse an Telefongesprächen, man war ja da. Nicht, dass ich in Ohren so klinge, als wollte ich die Zeit zurückhaben, nein!, aber es wundert schon manchmal, mit wem sie nun ständig am Smartphone reden, so als wäre auf einmal ein ganzes Volk an Telefonitis erkrankt. Aber zurück ins Jetzt. Wir durchqueren Amavashya, die mondlosen Stunden. Die Ufer sind voll mit irrsinnig lauten Pilgern. Die Grasverkäuferinnen auf der Brücke noch aufdringlicher als sonst. Na ja, besser, die Kühe fressen auch Gras außer Plastiktüten. Heller Rauch steigt auf von den kleineren Opferfeuern.
Gestern war ich in dieser Saison zum letzten Mal bei Krishna und Sangita zum Tee und um Brot zu holen. Schon zu heiß, um auf staubiger Straße zu ihnen zu wandern. Leise Trauer des Abschieds. Da mich gerade die Welt der Erscheinungen und ihre Geheimnisse beschäftigt, und wie man sich an ihr erfreuen kann, ohne durch komplizierte Vorgänge daran gehindert zu werden, kam ich voll in Fahrt mit dem Thema. Beide schüttelten lachend den Kopf. Außer dir kenne ich niemanden, der sich noch mit diesen Fragen beschäftigt, sagte Krishna zu mir. Und wenn du nicht da sitzt, denke ich auch nur darüber nach, wieviele Rechnungen ich noch bezahlen muss etc…Das beunruhigt mich eher, und ich richte mich auf in der kosmischen Hängematte. Alle denken nur noch ans Geld???? Ach ja, wusste ich eigentlich doch schon, habe ich euch doch gesagt: Narendra Modi, von wegen der Zerstörer der bösen Korruption und der Bringer frischer, pinker Banknoten! Was soll’s! Dann höre halt ich nur noch den Pfauenschrei, und das Wasser kräuselt so schön persönlich zu mir hin… Mir soll’s recht sein. Zum Glück kenne ich noch ein paar Andere, die das Wachsein im Dasein genießen. Die Welt singt für unsere Ohren das Schwanenlied. Warum nicht?, ist meine Beitragsfrage zum Neumond. Einen Monat später fängt das Neujahr der Hindus an, gemäß des Vikram Kalenders. Sie gehen ins Jahr 2074. Nun, sie sind uns halt 4 ½ Stunden und 57 Jahre voraus….Why not?

Das erste Bild zeigt Neumondfestivitäten von meinem Platz aus aufgenommen, das zweite einen Blick in den nahestehenden Banianbaum.

Mahadevi Akka

Oh! Lord your Maya does not give me up even
When I have given it up. In spite of my
resistance it clings to me and follows me.

Your Maya becomes Yogini to the Yogin. It
becomes a nun to the monk, it becomes a
herald to the saint. It adapts itself to
each according to his nature.

When I climbed up the hill, your Maya too
came up; when I entered the forest, your
Maya too entered behind me.
So the world does not take its hand off
my back even now!

O, Lord of infinite mercy, your Maya frightens
me. O Lord Mallikarjuna, bestow your grace on me.

von Menschen und Tigern

Ich hatte Besuch von zwei Freunden, Beatrix und K.K. Er ist aus Delhi, sie aus Hamburg. Sie leben ihre Liebesgeschichte jedes Jahr ein paar Monate hier in Indien, wo alles möglich ist. Sie sind dann unterwegs mit dem Motorrad, und aus diesen Abenteuern und Erlebnissen hat K.K eine Geschichte erzählt, die ich hier nochmal aufgreifen möchte. Und zwar kam er in Kontakt mit einem für ihn höchst authentisch wirkenden Mönch, der sich oft im Dschungel um Rishikesh herum aufhält, wo es noch Tiger und Leoparden gibt, und er hat K.K. von einem Erlebnis erzählt, dass er dort einmal hatte. Er saß also eines Tages da herum auf einem Stein, und auf einmal kam ein Tiger und setzte sich genau vor ihn. Man darf dann keinen Mucks machen, sonst fressen sie einen auf. Nach einer Weile aber kam ein zweiter Tiger dazu und der Mönch sah sein Leben schwinden. Denn selbst, wenn der eine Tiger sich trollen würde, würde der andere ihn fressen. Dann kam aber noch ein dritter dazu, und Mensch und Tiere starrten sich gegenseitig an in der Hochspannung ihrer jeweiligen Interessen. Da tauchte plötzlich ein Scheinwerferlicht aus dem Hintergrund auf, das die Raubtiere in die Flucht trieb. Es war eine Gruppe Männer aus dem Punjab, die herbeieilten und sich allesamt dem Mönch vor die Füße warfen und ihm magische Kräfte zusprachen. Denn was sie gesehen hatten war, dass der Mönch umringt war von seinen Tigerschülern, denen er Wissen beibrachte in ihrer Sprache. Es half nichts, dass er beteuerte, wie er um sein Leben gebangt hatte, die Heiligengeschichte nahm bereits ihren Lauf. Und genau so ist es immer und überall. Man will dem Geschehen die eigene Wahrnehmung zuschreiben, doch sie ist nie, was da ist. Man kann es wohl selbst als ein „Wahres“ nehmen, und diese relativen Wahrheiten werden von unserem Geist permanent produziert, und das macht ja auch die Schönheit und Lebendigkeit des Spiels aus. An den Gerichtshöfen der Welt ackern sich geschulte Gehirne oft jahrelang durch Gespenstergeschichten, deren Wahrheitsgehalt schwer zu ermessen ist, denn in jedem Gehirn läuft ein anderer Film ab (da fiel mir auch „Rashomon“ ein), in  dem die Rollen von eigener Sicht her besetzt werden. Gibt es überhaupt Zugang zu einer letzten, stabileren Realität? Ich denke, man darf den Background nicht mit dem Spiel verwechseln. Man kommt um die Leere nicht herum, denn sie erscheint doch als der luzideste Aufenthaltsraum.Verlagert man das Bewusstsein auf diesen Raum, hat man den königlichen Logenplatz. Von da aus erst zeigt sich das Ausmaß des Geschehens. Heute früh war ich kurz von der Vorstellung inspiriert, mal alle Menschen, also uns, vom Planeten wegzudenken. Was wäre da außer dem Chaos und der Zerstörung, die von Menschen angerichtet wurde. Bald würde Gras drüber wachsen. Die Grundausstattung wäre mit sich allein: Pflanzen Tiere Wasser Äther usw: ein Garten. Und doch ohne uns ein wilder Dschungel ohne all diese Wunderwelt der Geschichten, an denen wir teilnehmen und die wir selbst erzeugen können. Es ist ganz sicherlich gut und förderlich, in dieser unermesslichen Freiheit d e n  Ort und d i e Ordnung zu gestalten, die einem in der eigenen Geschichte zusteht und bekommt. Egal, wie weit man die Sprache dehnt, man kann auf einmal nicht so viel von ihr erwarten. Noch ein paar Worte gibt sie her, die sind auch schon fast alle vergriffen, Dann ist (kurz)  Schluss mit Wort. Alles ist da, und alles ist, was es ist. Hier kommt noch das Wunder zu Wort. Das besteht aus dem Zusammenspiel. Freundlich einander begegnen. Das ist schon viel.

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Das Bild ist irgendwie albern in seinem scheinbaren Passen, aber gut, gerade habe ich kein anderes…..

Shiva Ratri

„Ratri“ heißt „Nacht“, also die Nacht von Shiva, und die liegt bereits hinter uns..gestern abend also: rastloses Herumirren ist zu beobachten zwischen Foreigners und Indern. Was tut man in dieser Nacht? Sitzt man irgendwo bis morgens dabei und wankt dann erkältet (die Nächte sind immer noch kalt) zurück ins Hotelzimmer? Dann werden heftig und öffentlich Chillums geraucht und Bang wird genommen, unter dem Ladentisch kommen freie Päckchen hervor…man will ja vor dem großzügigen Herrn nicht kleinlich erscheinen. Und man muss durchhalten! Ja, wer ist „man“? Ich werde überall gefragt, wo ich denn hingehe, und immer sage ich was anderes, damit ich nirgendwo vermisst oder erwartet werde. Ich mache schon seit Jahren diese Nacht nicht mehr durch. Als ich selbst ein Sadhu bzw. eine Sadhni war, saß ich jedes Jahr in Hochspannung an irgenmdeiner Dhuni, dem Feuer, das meist von Shivaiten gehütet wird, und wurde angefeuert, wach zu bleiben für „Nataraj“, also Shiva als kosmischer Tänzer, von dessen Haarpracht u.a. alles Wissen über Musik, Tanz und überhaupt die Künste fließt. Wir sollten also hellwach sein in der Nacht für den Herrn der Unschuldigen, denn wir waren ja seine besten Freunde, ihm leidenschaftlich zugetan. Um 22 Uhr herum waren dann alle zugedröhnt genug, um zu schlafen. Oft war ich tatsächlich die Einzige, die noch wach war, und damals wusste ich auch, warum. Was waren das „wunderbare“ Zeiten im wahrsten Sinn des Wortes, wo ich selbst das alles so ernst nehmen konnte! Unter den Göttern einen Shiva zu treffen war für viele von uns Westler eine wirkliche Befreiung nach dem bedrückenden Schuld-und Leidprogramm der christlichen Welt. Shiva! Yogi und Liebhaber! Selbst auf der höchsten, meditativen Ebene kein Hauch von Verlust an erotischer Ausstrahlung (siehe Bild). Ein resonnierendes Gegenüber (?!), das meinte ich oft nüchtern gecheckt zu haben, weil ich ihn manchmal lachen hörte, wenn ich tierisch ernst drauf war. Wer hat gelacht? Keine Ahnung, wie es funktioniert, aber ich muss sagen: es hat(te) was!! Vielleicht ist es nur der Name, der so geladen ist mit all den Energien, die in ihm gebündelt werden. Auch heute früh so um 7 Uhr herum, ich war auch früher draußen als sonst, fließen schon aus den am Wasser liegenden Tempeln Ströme von Milch und Butter (Ghee) in den See. Auf dem Markt werden Tüten der Shiva-Offerings verkauft mit den seltsamsten Dingen drin: Kushi Gras, Blätter vom Bel Baum, Karotten, Disteln und die Akh Blume, klein und nicht wohlriechend. So wie Jesus angeblich das Kreuz für uns trägt, so isst Shiva das Gift, deswegen heißt er auch „Nilkantmahadev“, der große Gott mit der blauen Kehle. Das Zeug wird also zu ihm gtebracht, das heißt zu seinem Lingam, dem phallischen Symbol, das grenzenlose Deutung erfährt. Man verlernt in Indien schnell, sich in präzise Meinungen zu versteifen, denn sie helfen eh nicht und tragen auch nichts bei. Da Inder nicht die Gewohnheit haben, etwas infrage zu stellen, strömt das alles vor sich hin mitten durchs Paradoxe, Absurde und Widersprüchliche, das fällt nicht weiter auf, und der „warum?“ fragende Foreigner wünscht schnell, er hätte nie was gefragt, denn auch in den Antworten strömt es munter vor sich hin, als hätte nie einer unter ihnen über irgendwas alleine nachgedacht. In der Geschichte von Brahma, dem Schöpfer und seinem brahmanischen Eröffnungsritual für seinen eigenen Ort spielt Shiva die Rolle des Störenfrieds, der z.B.mal die Heiligkeit des Vorgangs mit ein paar reingeschleuderten Totenköpfen verunreinigt. Seine Tempel sind auch das ganze Jahr eher underground, und nur an Shiva Ratri ist dort so viel los, dass gegen Nachmittag von den vielen Geschenken ein Sumpf entsteht, durch den gewatet werden muss. Na ja, ich wate nicht mehr. Mein Shiva-Bewußtsein hat eine kosmische Transzendenz erfahren, die ich selbst so verblüffend finde, dass mir die Worte dafür fehlen. Sollen sie! Ja, was war noch so phantastisch an ihm? Unter den Foreigners war zu beobachten, dass Frauen und Männer ihn gleichermaßen liebten, und jede/r wurde natürlich vom eigenen Shiva mächtig zurückgeliebt, und man wurde als sich selbst geliebt ohne Bedingungen und Moralaposteleien. Einmal hat er bei einem Liebesspiel mit irgendeiner der Göttinnen, die stets als die „Eine“ verklickert werden, zu ihrer Unterhaltung die ganze Umgebung ins Weibliche verwandelt(!?). Dann gibt es ein Bild von ihm, fast hätte ich Photo gesagt, da ist er „Ardhana Ishwara, halb Mann, halb Frau als Verkörperung des Nicht-Dualen. Beeindruckend! Wie kam es zustande? Durch die Kraft, die hinter diesem Prinzip verdichtet ist, hatte auch ich die Kraft, ziemlich massive Hindernisse unbeschadet zu durchqueren und Anspruch zu erheben auf eine Lebensweise, die nur hier möglich war: in der Nähe der Asche, geschützt durch die unbändige Energie des Unkonventionellen. Ja, schöne und wilde Jahre. Aus Dank habe ich heute dem Unschuldigen Herrn auch eine Blumen-Mala gekauft. Dort drüben liegt sie um einen der wenigen Lingams herum, die ganz im Freien stehen.
Dann ging ich später ein paar Jahre in eine Meditations-und Yogapraxis, die hatte als Kernpunkt auch Shiva. Hier war er Punkt und kosmisches Ei und die alles durchwehende Energie des universellen Bewusstseins. Das war auch gut in seiner stocknüchternen Abstraktion, bis auch das ausebbte.
Ich aber: immer noch liebend und auch geliebt. Eben: das transzendente Geheimnis und das ganz und gar Unkonventionelle als seine inhärente Bedingung, dafür muss man geeignet sein. Das offene Gehimnis liegt mir am Herzen.

 

(zyklisches) Denken

Es ist jetzt fast einen Monat her, dass ich in einem neuen Wohnort lebe. Die Terrasse über den Räumen ist wunderbar, mit weitem Blick über den See, das Zimmer ganz in Ordnung, mit attached bathroom. Als ich einzog, direkt gegenüber von dem Haus, in das ich bald wieder zurückkehren werde, sagte der Besitzer, es gäbe, weil solar geheizt, immer heiß Wasser. Aber meistens verschwende ich 4 Eimer Wasser des kostbaren Nass, bis ich weiß, ob es warm werden wird oder nicht. Heute morgen nicht. Schlechte Laune bahnt sich an. Sie müsste nicht sein, denn ich habe auch etwas, von dem der Besitzer nichts weiß: ein Övchen, auf dem ich nicht nur koche, sondern auch locker heiß Wasser produzieren kann und auch heute produziert habe. Eigentlich würde ich jetzt gerne seitenweise mein Övchen preisen, mein Lebensretter, mein helles Geheimnis: 90 Rupien (1Euro 20) hat es gekostet,und alles, was mit ihm mal passiert, ein Kurzschluss, ein durchgebrannter Draht, kann ich  reparieren undsoweiter, aber ich wollte ja eigentlich über zyklisches Denken nachdenken. Die Inder haben’s gut. Sie wissen, dass es noch eine längere Zeit dunkel sein wird auf Erden, dann wird’s eine Zeitlang richtig finster, dann erreicht es einen gewissen Punkt und siehe!, es wird wieder hell, sozusagen paradiesisch. Ein bisschen so wie mein Morgen halt. Beim Hinausgehen und am See entlang habe ich noch auf dem Stein, wo ich immer in meine Barfußschuhe wcchsle, da man am Wasser nicht mit Schuhen laufen darf, ohne von einem der permanent frustrierten Brahmanen eins auf den Deckel zu kriegen, habe ich eben dann noch meinen Schal liegen lassen, der mir mindestens so lieb und unentbehrlich ist wie mein Övchen, mein Rapidograph, mein Notizbuch, mein Make-up usw. (was die Dinge betrifft)…Ja, ich musste dann, zum Glück von nicht zu weit, eine Kehrtwende machen und meinen Schal auflesen, bevor ich mich wieder, jetzt auch noch verstimmt über mich selbst, in den Energiestrom der Umrundung einlassen konnte. Dann wurde es langsam besser. Durch was wurde es besser? War es Denken oder war es einfach mein Einlassen in das, was schon da war, hat es doch genug Schönheit und Substanz, um jeden kurzzeitig verstimmten Fremdling aufzufangen. Ich persönlich liebe die Worte und das Wunder des Denkens, auch wenn ich keineswegs einverstanden bin mit dem, was alles damit angerichtet wird. Wie Max Picard es so vortrefflich ausgedrückt hat, so sehe ich es auch, nämlich, dass das Wort aus dem Schweigen kommen muss. Auch aus dem Alleinsein muss es kommen, aus den blühenden Gärten der Einsamkeit, wo wir unter uns sind, meine Worte und ich, und wo die Wesen, die ich liebe, willkommen sind mit ihrem Schweigen und mit ihren Worten. Es geht ja nicht darum, dass wir übereinstimmen müssen, dass zu viel geredet wird in der Welt. Was wird denn gesprochen? Was wird gesagt? Was wird gedacht? Nein!, man kann nicht einfach aufhören zu denken, das muss geübt werden. Es gibt viele Empfehlungen. Die Praktizierenden bzw. davon Wissenden reden sich den Mund fusselig darüber, wie man gedankenlos wird. Aber als ich mal wieder den Experten Eckhart Tolle eingeschaltet hatte, hatte ich auch keine große Lust, auf seinen verschlossenen Mund zu starren, bis da mal was rauskommt. Reden und Denken sind vor allem bereichernd und unterhaltsam, wenn man weiß, dass sie nicht der unendliche Raum sind, in dem sie stattfinden. Wir sind also jetzt im zyklischen Rahmen der Inder da angekommen, wo alles Wissen zugänglich ist wie nie zuvor, aber wo Ignoranz und Gewalt zu viele Leben beherrschen. Das gibt zu denken. Wenn ich die Inder frage, warum sie ihr Wissen nicht anwenden, wo man es doch z.Zt.  gut brauchen kann, antworten sie gerne: Kaliyug hai! Heißt: wir gehen doch jetzt durchs dunkle Zeitalter. Ach so ja! Stimmt ja! Kann man ja selbst hinschauen und überprüfen! Und dann kann man, bzw. kann ich, mach ich öfters, mach ich gern, sag ich liebend gern: da steht doch noch was bei Euch geschrieben über diese Zeit! Nämlich: gerade weil es so dunkel ist, soll man sich selbst anschauen, sozusagen den Blick auf sich lenken, und nach innen richten. Jetzt bin ich schon wieder ziemlich heiter, denn mir fällt die unbändige Begeisterung vor allem der jüngeren Inder über „Selfies“ ein. Seit November gab es schon 5 Selfie-Tote, dh., die Begeisterung über das eigene Bild an irgendeinem heldenhaften Standort war so groß, dass es rücklings in den Tod führte. Falsch verstandenes Wissen!!?? Am Ende des zyklischen Denkens steht also die Frage: was sehe ich, wenn ich mich selbst betrachte. Was denke ich? Und was denke ich nicht? Und was könnte, sollte und wollte ich schon immer denken? Und kann ich überhaupt denken, was ich will, und kann ich nicht dann erst bedenken, ob und wann ich damit aufhöre. Oder auch nicht?

Oben zwei Bilder vom Morgen….

haben wollen müssen

Während ich mir den Luxus erlauben kann, über das einfache Leben nachzudenken und mich auch zu einem gewissen Maße in dem aufzuhalten, was ich darunter verstehe, treffe ich kaum noch einen Inder, der sich das leisten kann oder will. Das einstige, kollektive „Gut“ zeigt sich nun als ein kollektiver Sog, der bestenfalls in eine Individualisierung führt oder auch in ein tieferes Verständnis des Illusionären, vor dessen Gefahren sie sich und Andere unermüdlich gewarnt haben. Okay, die Güter waren und sind immer ungerecht verteilt, aber es geht ja nicht nur um arm oder reich, sondern vor allem um die sichtbare Grenze, die die Gier nach den immer zügelloser produzierten Materialien in Geist und Leben eines ganzen Volkes bewirken kann. Auf der Bazaarstraße des Dorfes kann man sich kaum noch entspannt bewegen, denn lückenlos rasen Motorräder hin und her, dazwischen Rikshas, Kühe, Transportmittel. Eine Ministerin hat gefordert, endlich der „Schlachterei“, wie sie es genannt hat, von Menschenleben auf den Straßen Indiens Einhalt zu gebieten. Am Steuer wütet uneingeschränkter Alkoholkonsum, da gibt es wirklich viel „too late“, denn die hungrigen Geister sind losgelassen. Alles scheint so ziemlich gleichzeitig aus den Fugen zu gehen. Das bewegt mich schon seit einigen Jahren, dass ich fast nebenher Zeugin werde vom Untergang dieser einzigartigen Kultur. Und sie muss aus den Angeln gehoben werden, damit das schmerzhaft Grausame, das sich in ihren Fugen verbirgt, endlich in seinem ganzen Ausmaß ans Licht kommen kann. Zu viel und zu lang haben sie auf den Gott und die Götter geschaut, zu wenig gekümmert um die Menschen. Das ganze Gekümmere in den Familien ist oft nur noch Qual und Pflicht, und oft nur noch erschreckende Lieblosigkeit. Sie gehen vom Wir in das Ich, da gibt es auch gesunde Wege, denke ich mal. Vorprogrammiert ist, dass es viel Leid geben wird, Schutzlosigkeit, Angst. Und wie wir auch bei uns gesehen haben, führt die Beschleunigung nicht immer in das gewünschte Ergebnis. Was kann man vom Alles-haben-wollen auch erwarten, wenn man eigene Bedürfnisse und Wünsche nicht genug erforscht hat, um ihnen selbst eine schmerzlose Grenze setzen und sich an Erworbenem auch erfreuen und dann wieder Raum  machen kann für Erweiterungen und inneren Reichtum. Auch hier in den Häusern sind natürlich schon alle Truhen voll gewesen, bevor in den Läden der Umschwung passierte vom Wir-Einkauf in den Ich-Einkauf. Um das, was grenzenlos gewünscht wird, alles unterzubringen, werden nicht nur Straßen erweitert, sondern Häuser, Gehirne und Gelüste, die zu unerfüllbarem Hunger führen. Durch diese Art von Erweiterung wird es eng, immer enger. Warum soll nicht jede/r haben dürfen, was das Herz begehrt! Was begehrt denn das Herz? Und ist es überhaupt das Herz, das begehrt?

Das Bild zeigt einen hungrigen Geist. Macht nix, wenn ihn jemand nicht sieht.

simple living –

„Simple living – high thinking“ ist m.E. der beste Satz, den die Inder ausgebrütet haben, und den ich je über das Leben gehört habe. Einfach leben, hoch denken! Das ist so genial, dass ich immer wieder davon ergriffen und angeregt bin. Sofort weiß man, dass es die reinste Wahrheit ist, was nicht bedeutet, dass man gleich in ihr leben kann. Als ich über zwei Jahre in der Wüste in einem Tempel saß und lernte, mich mit den Menschen, die aus naheliegenden Feldern und Dörfern kamen, zu unterhalten, war ich oft verblüfft über ihre Weisheit, die sie, ohne selbst lesen und schreiben zu können, von Mönchen und Priestern gelernt hatten, und die durchaus auch in ihrem Leben Wirkung zeigte und Achtung einflößte. Dann war ich allerdings auch noch da, als die Maschinen kamen, und da sah ich, dass sie absolut nicht gefeit waren gegen das Neue, das sie für eine Gottheit hielten. so wie den Lichtschalter, vor dem sie sich auch heute noch verbeugen mit der simplen Logik: Gott ist Licht, dann ist Schalter Gott, bzw, ist er da, wenn man ihn einschaltet. Wenn dann die Elektrizitäts-Rechnung kommt, geht sie da leider oft nicht auf.
Das einfache Leben, ja, was ist das!? Als ich das eigene Leben in Indien dann an den Punkt habe kommen lassen, wo ich tatsächlich nichts mehr hatte als 2 Lunghis (Tücher, die man zu einer Art Rock faltet), zwei Oberteile, einen Schal und eine Decke, etwas Papier und ja! Juhu!, einen Rapidographen, für den mir mal ein Bombay-Besucher von dort Tinte mitgebracht hat, o seliges Wunder. Da war dann mein ganzes Sein vollkommen erfüllt mit Da-Sein. Alles war nur noch reichhaltig, aufregend und einfach. Mit allem war ich so gern und intensiv beschäftigt: mit Wasser holen, Holz holen für mein nie ausgehendes Feuer, alles durchfegen, bevor um 6 Uhr früh die ersten Tempelbesucher kamen. Dann vor allem das Sitzen, das gute und begeisterte Sitzen, um die Pracht des Universums innen und außen zu genießen, die zurückstrahlt auf das eigene Denken und Wirken. Ja, das geht bzw. ging in dieser Form nur in Indien, weil Wetter und Tradition es ermöglicht haben. Auch geht es nicht darum, gar nichts zu haben, sondern zu wissen, was „genug“ ist, damit man das Wesentliche nicht aus den Augen verliert. Der Satz muss überall lebbar sein, sonst ist er nicht viel wert, gebunden an ein einziges Land. Aber überall kann man lernen, das Komplizierte zu vereinfachen, um dem Komplexen Raum zu geben  in seiner ganzen, bereits vorhandenen Vollkommenheit. Dann sind wir Reisende auf einem Weltschiff und durchqueren in großer Ruhe und Aufmerksamkeit die kostbaren Stunden des Lebens. Hier wie dort muss Leben finanziert werden, das ist wahr, und das kann mühsam und anstrengend sein. Aber es fügt sich besser, wenn das Wesen des Lebendigen vorherrschen kann und man für die eigenen Fähigkeiten Verantwortung übernimmt. Es gibt nichts auf der Erde, von dem man nicht lernen kann, und so scheint alles gewillt, dass man zu sich kommt und erfüllt ist mit Freude und Dankbarkeit.
Was das „Haben und Nichthaben“ angeht, so gibt es eine dieser schönen Anekdoten hier von einem König, der so hungrig war nach Wissen, dass er einen berühmten Weisen kommen ließ, der nur eine Schale und einen Stab besaß. Irgandwann brach ein Feuer aus im Schloss, und der König, schon tief berührt von der Weisheit des Seins, bewegte sich leichtfüßig ins Freie, während sein Lehrer bemerkte, dass er drin seinen Stab vergessen hatte, an den er sehr anhänglich war, zurücklief ins Feuer und verbrannte.

Das Pflänzchen auf dem Bild habe ich gestern auf einer Marmortreppe entdeckt, beeindruckt von so einer natürlichen Durchsetzungskraft.

sonntags

Am Sonntag gehe ich meistens nicht raus. Nicht, weil alle Läden zu sind wie bei uns im Westen, sondern weil eine Unmenge Menschen hier antanzen, einerseits, um das obligatorische Bad zu nehmen, andrerseits, um die berüchtigten Foreigners zu sehen. Da sieht man auch eine ganze Menge, zB habe ich, weil ich ausnahmsweise doch draußen war, einen jungen Mann gesehen, der hatte ein Bein vollkommen schwarz tätowiert, ganz ohne Design, nur schwarz. Das muss schmerzhaft und vor allem teuer gewesen sein, sagte ich fragend, und er bejahte das gerne. Ich war auf dem Weg zu Lali. Wir gehen einmal im Jahr zusammen zu einem Devi-Tempel, hier Jamunda Mata genannt, eine der furchterregenden Göttinnen, die meist aus einem runden Stück Stein besteht, in den man Augen einsenkt und dann das Ganze mit Farbe überpinselt. Na ja, wir gehen da gerne hin, weil der Tempel in einer wunderschönen Gegend liegt, wo einen das zeitlose Indien ergreift und man überlässt sich erstaunt dem Erleben an sich. Links eine Felsenwand, auf der Affen sich tummeln, rechts riesige Gärten, wo sattes Grün wächst und Rosen, die berühmten Rosen, die man später in der Marmelade oder dem Wasserfläschchen finden kann oder in den Tempeln vor den angebeteten Herrschaften. Auf dem Weg schweigsame Männer mit großen Herden der schönsten Ziegen, die ich je selbst betrachten durfte. Kann man mal eins der Kleinsten von ihnen auf den Arm nennen, ist man verwandelt, denn man weiß jetzt, was das ganz und gar Schmiegsame ist, das gleichzeitig vollkommen frei ist. Bei Jamunda hat man übrigens früher Ziegen geopfert, das macht der Mönch, der dort jetzt lebt, zum Glück nicht mehr. Sein Stein hat ein hübsches Kleidchen an, davor ein bunter Vorhang, der zugezogen wird, wenn sie schläft. Das ist alles in seiner Schlichtheit so ungetrennt vom Irrsinn, dass es schon wieder befreit, denn wer es verstehen will, wird scheitern. Da sitzen Lali und ich dann herum, der „Baba“ kennt uns schon und redet eine Weile mit uns oder erklärt anderen, die dort ankommen, wer wir sind, und da hört man lieber nicht hin, denn es kann sehr weit von allem entfernt sein, was man selbst über sich weiß. In Indien habe ich außerdem erfahren, dass ein schlechter Ruf keineswegs ungünstiger ist als ein guter Ruf, beides möchte man lieber nicht haben. Aber gut, ich komme zum Kern meiner Sonntagsgeschichte: wir sitzen also da, Lali und ich, und reden über etwas Neues, was sie in ihrem Leben machen will, da kommt ein Rajasthani Maharaj, wie sie hier genannt werden, mit einem riesigen roten Turban auf dem Kopf und einem Dhoti an, einem ausgetüftelten Teil aus ein paar Metern feinster Baumwolle, und setzt sich nicht weit von uns entfernt hin und hört nicht auf, uns anzustarren. Dann spricht er uns an. Forschend und ernst sagt er zu Lali, sie sei wohl die Frau, die man überall sucht, weil sie ohne ein Wort zu sagen ihre Familie verlassen hat, und, strenger Blick auf mich, wohl mit dem Mann (ich), der nun neben ihr sitzt. Sie schafft es, in Marwari, dem lokalen Dialekt, zu verneinen, ob er überzeugt war, wissen wir nicht. Obwohl ich es am Morgen erlebt habe, staune ich noch am Abend darüber, und noch, während ich es erzähle, kichert es hilflos aus mir heraus. Wieviel Freiheit man doch den Menschen gewähren muss, einen in ihrer Geschichte so zu sehen, wie es für sie in ihre passt. Früher stand ich oft dabei, wenn jemand aus dem Dorf einem Pilger, der wissen wollte, wer ich denn sei, zB munter und angeregt erzählt hat, ich würde so schön Flöte spielen, obwohl mein Mund seit meiner Kindheit an keiner Flöte mehr war, oder ich würde Tag und Nacht die Zimbeln schlagen, davon war ich noch weiter entfernt. Und so ist es vorteilhaft, das eigene schlichte Leben, das ich nun einmal führe, unbekümmert weiterzuführen, und auch Andere in der Weiterführung ihrer Geschichte nicht weiter zu stören, auch wenn man darin als vielerlei auftaucht, wen kümmert’s. Dann gibt es die Wunder. Das Auge der Liebe. Die Achtsamkeit. Die Freundschaft……

Das Photo von Lali, die ich seit ihrem vierten Lebensjahr kenne, habe ich vor einiger Zeit gemacht. Heute dachte ich, dass es vielleicht ganz schön ist, mal den Namen mit dem Bild zu verbinden.

Hilde Domin

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 Unaufhaltsam

Das eigene Wort,
wer holt es zurück,
das lebendige –
eben noch ungesprochene
Wort?

Wo das Wort vorbeifliegt,
verdorren die Gräser,
werden die Blätter gelb,
fällt Schnee.
Ein Vogel käme dir wieder
nicht dein Wort,
das eben noch ungesagte,
in deinen Mund.
Du schickst andere Worte
hinterdrein,
Worte mit bunten,
weichen Federn.
Das Wort ist schneller,
das schwarze Wort.
Es kommt immer an,
es hört nicht auf,
anzukommen.

Besser ein Messer als ein Wort.
Ein Messer kann stumpf sein.
Ein Messer trifft oft
am Herzen vorbei.
Nicht das Wort.
Am Ende ist das Wort,
immer
am Ende
das Wort.

 

„Heimat“

 

Immer wieder mal kann man sich fragen, warum man irgendwo ist und was man da tut. Der Titel für diesen Beitrag hat mich selbst überrascht, obwohl ich das Wort schon in mir hatte, als ich die beiden Photos oben gemacht habe. Irgendwie haben sie für mich ein Gefühl von Heimat ausgestrahlt: die tiefe Bläue des Himmels, Steine und Treppen, auf denen man sitzen kann, und kunstvolle Öffnungen im Stein, durch die man täglich einen frischen Blick und neue Sicht erwerben kann, die wiederum zu tiefster Wertschätzung führen in Anbetracht all der sich dem Auge darbietenden Schönheit. Ich fühle mich auch aufgehoben in diesem Rahmen kunstvoller Architektur, die hier eher dem Kollektiv dient als dem persönlichen Leben.
Ich empfinde auch meinen Ort in Deutschland als „Heimat“ und bin froh, dass es u.a. das Land ist, wo ich keinen Pass und kein Visa brauche, außer wenn ich es verlassen will. Aber „Heimat“ und „Zuhause“ bestehen für mich in Deutschland aus meiner persönlichen Welt, meinen Freunden, meiner und ihrer Arbeit, und wie es in vielerlei Gestalt und Gestaltung zusammenfließt in eine Lebensform, die gleichzeitig ein Freiraum ist und eine Verantwortung, ihn lebendig zu halten. In Indien wiederum kann man sich, wenn man „das Ganze“ nicht liebt und akzeptiert, nicht wohlfühlen. Über Indien gibt es die weitverbreitete Erfahrung der Fremden, die es besuchen, dass man es entweder liebt und immer wieder kommt, oder es hasst und nie wieder kommen will. Ich gehöre ja zu den Liebhaberinnen dieses offenen Lebensexperiments, in dem mit der Präzision eines exzellenten Künstlers oder eines Wissenschaftlers mit immer neuen und uralten Wegen an dem Rätsel des Daseins getüftelt wird. Diese Notwendigkeit, immer wach und flexibel zu sein, hat mir von Anfang an gefallen. Kaum beginnt sich in einem eine Meinung zu festigen, muss sie schon wieder relativiert werden anhand der komplexen Erfahrungen, denen man überall und ständig ausgesetzt ist. Das berühmte und von Westlern reichlich mystifizierte geistige Wissen Indiens ist jetzt nicht „höher“ oder besser als zB das Wissen von Plato oder Jaspers etc, aber da der Hinduismus keine Religion, sondern eine Lebensweise ist, ist sein Wissen in alle Adern des Lebens geflossen, und nie ermüden sie, es zur Sprache zu bringen, auch wenn es zunehmend an praktischer Umsetzung davon mangelt. Hier kann man wirklich teilnehmen an der totalen Widersprüchlichkeit des Daseins. Irgendwann weiß man, dass das Rätsel des Lebens, mag es noch so offen und durchschaubar wirken, letzendlich ein offenes Geheimnis bleiben wird, in dessen Strom und Vorübergehen wir unsere eigene Existenz  erleben und gestalten können. Und dann: ich sage ja jetzt öfters „Inder“ oder „Hindus“, aber das sind auch zB. die „Sikhs“ mit eigener Welt und eigenen Tempeln, dann die Jainreligion mit ihren herrlichen Tempeln, dann die Buddhisten, die weder an Gott noch an das Selbst glauben, und die Muslime, die sehr lange friedlich mit  Hindus zusammen gelebt haben, bis es zu ersten Gewalttaten kam, die sich zum Glück einigermassen beruhigt haben. Hindus ist vor allem der Frieden wichtig…gewesen, könnte ich fast sagen, denn in der Tat, er schwindet zunehmend, und außer den uralten Prphezeiungen, was alles kommen wird, kann man es nur ahnen, wenn man möchte, oder von den Indern lernen, wie man das Unvorstellbare handhabt. Denn noch leuchtet alles in farbenfroher Pracht, die Saris, die Tücher, die Schals, die Turbane. Und so ist alles gleichzeitig so herzerfrischend schön, und dann begegnet man wieder dem ganz und gar Erschreckenden. Und was löst ihre Art zu leben nicht alles in uns aus!, sodass wir Heimat spüren, wenn absolut nichts mehr gewiss ist, dafür aber alles lebendig.

Sweeper

Unterste Kaste. Unberührbare. Menschen, die nur den Dreck von anderen wegmachen dürfen. Von den Straßen, den Dreck vor den Türen, den schwarzen Schlamm dort, wo die Kinder aufs Klo gehen, die Toiletten in den Häusern. In jedes Haus kommt ein Sweeper für die niederste Drecksarbeit. Manchmal werden die Frauen „rani“, „Königin“ genannt, das finde ich niederträchtig, als würde es dem verachteten Job eine Krone aufsetzen. In der Zwischenzeit gibt es auch kleinere Lastwagen mit Sweepern, die den Müll mit irgendwelchen Pappkartonteilen hinaufwerfen. Ich zwinge mich immer hinzuschauen, weil ich nicht wegschauen will. Um den See herum sind es fast nur Frauen, die kehren. Irgendwann hat man ihnen neue Besen mit langem Stiel verabreicht, sah besser aus, da sie sonst das Zeug mit Händen in Plastiksäcke verfrachtet haben. Die neuen Besen haben es aber auch nicht besser gemacht. Gute und regelmäßige Bezahlung würden es besser machen, aber das wird oft verschleppt oder vergessen. Ich grüße die Frauen seit Jahren; sie sind nicht leicht ins Freundliche zu gewinnen, so freue ich mich über jeden herzlichen Kontakt, oder wenn sie mich nach all dieser Zeit von selbst grüßen. Einmal wollte ich ein Photo machen von einer Sweeper-Frau, aber sie lehnte vehement ab und schaute mich streng und misstrauisch an. Ich habe mich dann entschuldigt und erst heute aus der Ferne das Bild (s.o.) von dem Sweeper gemacht, der um meinen Platz am See herumfegt. Gegen Arbeit, egal welcher Art, ist sicherlich nichts einzuwenden, wenn man selbst oder eine Familie ernährt werden muss. Aber eine Kaste daraus zu machen, wo jeder und jede Hineingeborene nur Sweeper werden kann, das ist vollkommen unakzeptabel. Vor allem jetzt, wo sich alle weiter entwickeln wollen und Fernsehen und Smartphones zur Standard-Ausrüstung gehören, lässt man eine bestimmte Kaste weiterhin den Dreck wegräumen und die Klos putzen! Manchmal bin ich so empört, dass ich eine Zeitlang das Thema bei jeder Gelegenheit anspreche. Dazu kommt, dass die Mädchen dieser Kaste nie sicher sind vor Vergewaltigung. Sie sind ja nichts wert in anderen Augen, und die Eltern gehen selten zur Polizei, weil sie wissen, dass ihnen niemand hilft. Und trotzdem bewegt sich langsam hier und da was…..sehr langsam, aber dennoch. Von den Nutznießern solcher Unmenschlichkeiten ist nicht zu erwarten, dass sie etwas verändern wollen. Aber es gibt neue Initiativen, und Schulen, oft von Ausländerinnen gegründet, wo alle willkommen sind. Reena hat mir erzählt, dass in ihrer Klasse eine Sweepertochter saß, ganz hinten und verstummt, weil niemand mit ihr geredet hat. Dann hat sie eine Freundschaft mit diesem Mädchen angefangen, und alle haben auch mit ihr nicht mehr geredet. Ihre Mutter war entsetzt, nicht darüber, sondern dass ihre Tochter diese Freundin hatte. Wir Menschen sind alle auch schrecklich. Es dauert so lange, bis man wirklich berührt wird von dem Unsäglichen, das in vielen Formen unter uns stattfindet. Lali nennt es „out of human“, also das Menschliche verlassend. Man grübelt vergebens, durch was es geschieht, denn so sehr Bildung gepriesen wird, macht es vor ihr nicht halt. Durch Bildung wird es, wie wir im Dritten Reich gesehen haben, nur abgefeimter, perverser, sadistischer. Man muss das eigene Wesen kennen lernen und hüten, bis man sicher sein kann, dass man zu manchen unmenschlcihen Taten nicht mehr fähig ist. Garantie scheint es keine zu geben. Wir müssen verstehen wollen, was „menschlich“ persönlich für uns bedeutet, sodass wir uns eines Tages ohne Scham und Entsetzen im menschlichen Leben bewegen können.
Zurückgekommen vom Morgen überfliege ich die Titelseite der Times und sehe die stolze Nachricht, dass die Inder 104 Satelliten auf einen Schlag ins All befördert haben. Dann daneben eine kleinere Notiz, die mich erstaunt und erfreut, dass nämlich ein neues Gesetz herauskommt, um die Gästezahl und die Anzahl der dargebotenen Gerichte bei Hochzeiten einzuschränken. Wer über 4 Lakh ausgibt, muss 10% für Hochzeiten armer Familien spenden. Die ekelerregende Großkotzerei bei Hochzeiten ist in den letzten Jahren in der Gesellschaft oft Gespräch gewesen. In allen Ländern kotzen manche groß, wo andere nichts haben, aber in Indien weitet sich der Abgrund schon ins Unermessliche, und es sind nicht nur die 84 registrierten Billionäre Indiens, die einen das Fürchten vor dem Menschen lehren können.

zuschauen und teilnehmen

 

Natürlich schaue ich auch viel zu, weil es eine Menge zu sehen und über das Sehen zu verstehen gibt. Das Zuschauen ist extrem ausgeprägt in Indien. Viele von denen, denen ich zuschaue, haben noch nie ein Buch gelesen. Wenn sie lesen können, vielleicht mal eins der vielen Gebetsbüchlein, oder die Zeitung, aber kein Buchlesen, wie wir es kennen. Es gibt einen richtig guten Buchladen im Bazaar, da kaufen nur die Foreigners oder tauschen Bücher, oder lassen ihre gelesenen zurück. Auch in den Hotels stapelt sich Gelesenes, aber noch nie habe ich Einheimische, auch wenn sie gut Englisch sprechen, daran interessiert gesehen. Die Menschen schauen dem Leben zu, in jeder freien Minute. Ich schaue also auch viel zu, wenn ich nicht mit meinen Sachen beschäftigt bin, aber ich lasse mich auch ein, und wenn ich drin bin, schauen wir wieder alle gemeinsam zu. Gestern war ich bei einem großen Familientreffen, das bestand fast nur aus Zuschauen. Dem Sohn des verstorbenen Kalu wurde ein 7 Meter langer Turban um den Kopf gewickelt als Zeichen dafür, dass er jetzt die Verantwortung für die Familie übernimmt. Er ist ein moderner junger Mann, und das sah ziemlich unzeitgemäß aus, aber gut, erklärt mir Reena, das muss alles sein, weil wir es brauchen. Der Brauch. Die Bräuche. Wir Foreigners schauen oft den Bräuchen zu, da die Welt der Inder fast nur aus ihnen besteht. Durch Bräuche in Schach gehaltene Anarchie. Da weiß man einfach, was zu tun ist, und eigenes Denken ist nicht unbedingt erforderlich. Da steige ich dann aus dem Zuschauen aus. Reena ist auch etwas lockerer. Sie zieht die frische Witwe an die Türschwelle, damit sie dem Turbanritual ihres Sohnes zuschauen kann. Sofort schreien drei Frauen auf, sie soll drin bleiben, darf ihr Gesicht nicht zeigen. Ich stelle mich neben sie und schalte den „wollen wir doch mal sehen“ Blick ein. Wer um Himmels Willen erfindet all das Zeug, dem man eben nicht zuschauen will. Dann schauen alle zu, wie die anwesenden, verheirateten Frauen einen Finger mit Henna gefärbt bekommen, ich will gar nicht wissen, warum. Das viele Zuschauen der Vielen hat auch zur Folge, dass kriminelle Fälle oft verblüffend schnell gelöst werden, denn es gibt immer welche, die zugeschaut haben, obwohl die Dunkelziffern aus verschiedenen Gründen auch hoch sind. Es gibt sehr viele Menschen, meistens Männer, die nichts anderes tun als zuschauen. Entweder sie haben nichts zu tun oder sind eingebettet in Rituale, die das Zuschauen fördern wie zB. Sadhus und Priester. Dann die Bettler, die unzähligen Obdachlosen, und all die offenen Läden, in denen oft nichts los ist, aber zuschauen kann man ja immer. Es gibt auch im Zentrum am Markt den Ausländer-Tea-Shop, da schauen sich Ausländer und Inder gegenseitig zu beim Dasein. Mein momentaner Hausbesitzer, der sich in „vanprasht“ befindet, der Zeit, wo der Mensch nicht mehr arbeiten muss, weil der Sohn oder die Söhne sich um alles kümmern, der steht und sitzt den ganzen Tag vor seiner Türe herum und schaut allem zu. „Vanprasht“ heißt eigentlich „„Waldaufenthalt“, ein Wort das besagt, dass der Lebensabschließende sich auf Pilgerschaft begibt oder sich eben in den Wald zurückzieht und dort was Karmaaufbauendes tut, aber da es das alles nicht mehr gibt, schaut er jetzt dem Gewühl und Gewimmel des verwirrenden Verkehrs zu und gewöhnt sich an, „immer happy“ zu sagen, wenn man fragt, wie es denn so geht. Ich bin auch sehr für Herumstehen, aber es muss schon mit dem Genuss des Raumgefühls und der Weite sein, die das Interesse am Außen vermindern. Auch möchte ich weiterhin feiern, dass ich da bin und teilnehmen kann an dem, was ich mit erschaffen habe.

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Bilder: bei einem Besuch in der nächstgrößeren Stadt hatte ich heute das Glück, diesen Pelikanen zuzuschauen, die sich kurze Zeit auf dem Wasser niedergelassen haben, ein seltener Anblick.

Das Bild rechts zeigt Teilnehmer einer Prozession für die lokale Gottheit Dev Narayan.

limit/less

Die Unterhaltung, ob es eine Grenze gibt oder nicht, habe ich mal mit dem in Uttarkashi als Krishna Avatar gesehenen – ja was war er…Guru und Meister seiner SchülerInnen…Giridhar…und hinter Giridhar noch einer, der mal in der American Navy Navigator war, und dann ist irgendwas Lichtblickmäßiges in Bombay passiert etc. Jedenfalls kam er mit seiner Truppe jedes Jahr hierher und breitete sich direkt vor meinem (damaligen) Fenster aus zur Morgen-und Abendmeditation. Mit ihm hatte ich dann irgendwann diese Unterhaltung über Grenzen ja oder nein, und er vertrat den Punkt, es gäbe keine Grenze, jedenfalls nicht im indischen Denken. Richtig ist natürlich, da sie den Drama-Ablauf des Lebens kreisförmig sehen, dass sie auf endlose Wiedergeburten zugehen, endlose Zeit, keine Eile. Er meinte auch, Inder könnten auf einem Schutthaufen stehen und unbeirrt leuchtende Weisheit von sich geben. Ich finde, der Schutthaufen ist schon eine Grenze. Aber von was? Auf der Suche nach etwas Unakzeptablem, mit dem ich punkten könnte, formte ich aus einem schwarzen Autoreifenstück ein Figürchen und klebte goldene Füßchen dran und kleine Porzellanaugen, die man im Bazaar für solche göttlichen Zwecke kaufen kann, und fertig war die unakzeptable Gottheit. Von wegen. Klug,wie er nun einmal war, verbeugte er sich sofort davor und murmelte das übliche „Jai ho!“ Ein andermal nahm er vom Boden eine Plastikröhre, um zu demonstrieren, wie grenzenlos göttlich alles sei. Es gibt einen Punkt, einen Zustand, eine Einsicht, wo man es nicht leugnen kann, aber für den täglichen Gebrauch ist das wenig hilfreich. Gestern, als ich in einer Familie zu Besuch war, hat der Ehemann das Essen seiner Frau mitten in den neu gebauten Marmorpalast geschmissen mit der Frage, ob sie ihn mit Kartoffeln töten wolle, denn sie wisse doch, dass sie ihm nicht bekommen. Er will eine Grenze in ihr finden, die er angreifen kann. Sie sagte mir später, sie sei gar nicht mehr da, hat abgehängt von den Dramen. Abhängen als Grenze oder Befreiung? Man muss mal wieder selbst entscheiden. Ich habe nichts gegen Grenzen und setze immer mal wieder eine, wo es mir angebracht oder notwendig scheint. Ich hebe sie auch gerne wieder auf, wenn möglich. Auch suche ich nicht nach ihnen und trage sie nicht bewusst in mir. Man merkt ja auch, wenn man auf die eigene stößt. Man muss lernen, aus was eine innere Grenze gebastelt ist. Schnell landet man, wenn man will, auch wieder im Unbegrenzten, wo einiges sich löst ohne gedankliche Anstrengung. Die Erkenntnis, wie das Universum und seine Gesetze funktionieren im Hinblick auf Manifestationen und dem Gesetz von Ursache und Wirkung ermöglicht einem keine letztendliche Wahrnehmung von Limitation. Natürlich setzen einem andere Menschen auch Grenzen, die man selbst nicht setzen möchte oder würde. Man muss immer schauen, um was es geht. Wenn es um Gutes geht, sind Grenzen nicht nur annehmbar, sondern verlieren auch im Licht der Vernunft ihre begrenzende Wirkung.  Es gibt sie also nur im Wirken und der Auswirkung vorhandener und produzierter Muster, an dem alles Lebendige beteiligt ist. Dadurch sind auch wir beteiligt am täglichen Umgang mit mehr oder minder flüchtigen Begrezungen, die uns signalisieren können, dass wir auf unserem Weg auch uns selbst im Wege stehen können. Wir selbst als Grenze, das hat seine Logik. Beides also gemeinsam da: limit & limitless, Äther und seine Reflektion im Wasser, Wolken und wolkenlos, Ich und ichlos.

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Das Bild zeigt einen der schönsten alten Tempel mit einer Baustelle davor. Ich fand, es passte irgendwie zu limit und limitless.

News (?)/Reality (?)

Das Bild ist von der Titelseite der heutigen Times, auf der u.a berichtet wird, dass in Alwar in drei Monaten das sechste Opfer von einem Leoparden erwischt wurde. Außerdem wurde auch berichtet, dass Algorithmen heimlich unsere Welt bestimmen, wieder mal so eine Wundernotiz, wo geschaudert werden darf  vor kalten Formularen, und eigentlich vor menschlichen Fehlschaltungen geschaudert werden sollte. Oder gar nicht mehr geschaudert.
Also  im politischen Großbereich gibt’s nicht viel Neues, obwohl ja endlos Neues geschieht; überhaupt gibt es nur das ewiglich Neue und das niemals Neue. Der Kernpunkt des Ganzen scheint konstant, die Erscheinungen wechseln Farbe und Form. Immer mal wieder läuft das Drama auch aus dem Ruder. Gewalt-und Gewaltlosigkeit können Dinge aus den Angeln heben, können tiefe Schrecken erzeugen  und wahre Wunder vollbringen.
Durch die Informationen in der Tageszeitung ist zu beobachten, dass das Interesse an Narendra Modis Geldtricksterprojekt und die Sucht nach weiteren diktatorischen Exzessen von Trump fast gleichzeitig nachlässt. Das war und bleibt dennoch eine bange Frage: was, wenn er siegt, (u.a. auch verursacht durch den erschöpften Rückzug denkfähiger BürgerInnen) bzw. all seine Geisteskumpel auf den eisigen Gipfeln ihrer Politik. Das Ermüden am Weltgeschehen und die Chance, den Zeitraum gut zu nutzen, um Ordnung und Klarheit im eigenen Leben zu checken, sind zweierlei Dinge. Sind wir verpflichtet, den Werdegang der Weltgeschichte auch in seinen schwächsten Darbietungen pausenlos und atemlos zu verfolgen?, als gäbe es nichts Wesentlicheres zu tun bei sich selbst und mit sich selbst und Anderen im Dialog. Oder mit Freunden das Daseiende bewältigen in liebevoller Zuwendung. Nichts Neues? Dann kann es ja ruhig so weitergehen…

  • Die Transvestitengemeinde hat einen Durchbruch bei der Zutrittserlaubnis spiritueller Großtreffen erzielt. Eine große Anzahl von ihnen sind vor Ort in safranfarbenen (heilige Farbe)) Saris erschienen und erklärten sich als Akhara (geistige Bruderschaft). Es gab gelinden Aufruhr. Dann sagte der oberste Entscheider, es gäbe nichts dagegen einzuwenden, dass sie nun eine Bruderschaft seien. Nur gäbe es keine Anerkennung dafür. Das war ihnen vermutlich egal. (!??) 
  • Von den Hügeln Indiens (zB. Uttarkashi und Garwhal), wo gerade gewählt wird, kommt die Nachricht, von einem dortigen Priester bestätigt, dass vor den Wahlen stets ein Anstieg an Tieropfern für die Götter stattfindet. Das geopferte Ziegenfleisch wird den Dörflern angeboten, die wiederum über die Identität der opfernden Politiker Schweigen wahren. Nicht nur muss hier die verbreitete Idee erneuert werden, dass Hindus generell Vegetarier sind, sondern man muss manchmal aus dem Staunen auch wieder herausfinden.  Tiere opfern für die Götter!!! Wo stecken sie wohl während dessen  ihre Smartphones hin!?
  • In meinem persönlichen Bereich habe ich wieder mal gesehen, dass es erstaunliche Geschichten gibt, aus denen vermutlich oft die gehaltvolleren Streifen  und Seriendramen gemacht werden. Das Leben ist aber häufug besser, weil es nicht erstarrt, sondern sich weiterbewegt ohne direktoriale Anweisungen. Seit ein paar Tagen erkundige ich mich auf einem kleinen Umweg bei einer Sindhi-Familie (aus dem ehemaligen Sindh) danach, wie es zwei jungen Männern aus dem Dorf geht, die vor einigen Tagen in der Nähe von Jaipur einen mysteriösen Unfall hatten, denn an ihrem Motorrad und an ihren Körpern gab es keinerlei Spuren, aber beide lagen auf der Strasse mit Wunden am Kopf, und beide liegen im Koma. Gestern treffe ich am vorletzten Tag von Kalu’s Todesfeiertagen die Tochter von Reena, die in Jaipur studiert, und bin erschrocken, wie schlecht sie aussieht. Später erfahre ich, dass sie mit einem der Verunglückten schon jahrelang (und auf seiner Familienseite heimlich) liiert ist. Sie ist im Schock, da niemand sagen kann, wann und wie und ob er erwachen wird. Dann hat jemand, der eingeweiht war, sie gebeten, an sein Bett zu kommen. Sie sagte, er hätte bei ihrer Stimme eine Hand gehoben, und als sie ging, ihre Hand gedrückt. Das sind gute Zeichen. In der Tat werfen gute Zeichen ihr Licht voraus. Geduld ist angesagt.
  • Überall

unter Auserwählten

Die Brahmanen, ja, das ist ein Grüppchen, an dem sich schon einige Geister die Substanz abgewetzt haben. Ich fange mal mit den menschlich erträglichen Priestern an und weiß nicht, ob eine einzige Hand mit fünf Fingern nicht schon zu hoch gegriffen ist. Lali ist Brahmanin von der höchsten Sorte, denn in ihrer Kaste gibt es allein im (10 000 EinwohnerInnen umfassenden) Dorf 36 unterschiedliche Brahmanenkasten oder wie immer man’s nennen möchte. Sie ist ein Juwel und ihre Kaste ist ihr glaubwürdig egal, das ist erfreulich zu erleben, und ich habe auch bereitwillig bei dieser Einstellung mitgeholfen. Bei dem Rest ihrer Familie sieht es schon anders aus. Der Sohn bzw ihr Bruder, ein Junkie, der, wenn er kein Heroin hat, sich auch gern mal betrinkt, lallte neulich mal an einem Sadhufeuer (Dhuni) rum und war so fies, dass ich den Sadhu im Vorübergehen fragte, wie er das zulassen könne. Er sagte, mit schiefem Blick auf den Störenfried: Brahmin hai! Er ist Brahmane! Darf lallen und Worte auskotzen, ist aber immer Brahmane. Es gibt die verbreitete Angst vor ihnen, die ich früher auch ein-oder zweimal hatte, als ich zu irgendwas eine gegensätzliche Meinung äußerte und nicht nur merkte, wie gefährlich das sein kann, sondern erst später begriff, dass Brahmantum nichts mit üblicher Bildung zu tun hat. Eigentlich ist nur noch die Einbildung übrig, das ins Blut geträufelte Auserwähltsein, von dem in Indien keiner mehr weiß, wie lange das schon gebrütet und gewütet hat, Man möchte gerne mal konsequenterweise von einem Land fernbleiben, in dem solche Realitäten unumstößlich scheinen. Doch da ich selbst aus einem Land komme, in dem der arische Auserwähltenalptraum in unvorstellbarem Maß gewütet hat, kann man auch mal hinschauen in eher gelassener Position, und schauen, wie so etwas möglich ist. Es braucht Diener, um Herren zu machen und zu halten. Sie halten sich gegenseitig in Form. Das schützt den Missbrauch. Wenn der zu offensichtlich wird, kommen Groll und unterdrückter Hass gegen das darin Gefangensein. Ich erinnere mich an die Türken in Deutschland, die unsere Abfallkübel in die Lastwagen geschüttet haben, und niemals wussten wir irgendwas über sie oder von ihnen, bis erstaunte deutsche Blicke auf ihren Mercedes-Limousinen landeten. Auch hier gibt es ein Hochkommen aus dem Kastensumpf. Jetzt hassen die Brahmanen die niederen Kasten eher, weil die Regierung, gezwungen durch internationale Kriterien, ihnen die besseren Chancen für Bildung anbieten. Aber das hört nicht wirklich auf im Alltag. Noch im Tod wird getrennt. So gilt wohl, wer sich einfügt in das Vorgegebene, muss sich damit zurechtfinden bzw. damit umgehen lernen, vor allem, wenn es scheinbar keine Wahl gibt. Es gibt aber Wahl. Mir kam der Gedanke bzw. die Erkenntnis, dass auch die Kuh, die an meinem Sitz vorbeitrabt, auserwählt ist, denn sie ist da, und auch sie hat eine gewisse Entscheidungsfähigkeit wie mein Geist, der seine eigene Art hat, mit den Dingen umzugehen. Er bewegt sich innerhalb und außerhalb des Kastensystems. Selbst frei, regt er gerne an zum Erwachen in diese Freiheit. Dann wird alles einfach und man kommt ziemlich gut miteinander aus….Mir wurde auch mal das Brahmanentum angeboten. Von der ganz frühen Kastengeschichte her kommt die Sage, dass es einst nur um die Einordnung verschiedener Talente und Fähigkeiten ging. Dass ich aus dieser Gedankenhypnose heil herauskam, rechne ich mir an: dass ich stocknüchtern genug war, der Verlockung solch geistiger Reize und Angebote, wie sie unter Hindus üblich sind, zu widerstehen. Das ist lange her, aber immer noch kann ich ihn spüren, den kalten Windhauch um das gefährdete Herz.
Interessant ist (vielleicht) noch, dass die Brahmanen in ihrer eigenen Geschichte, nämlich die von Brahma, dem Schöpfer, von dem sie ja (ihrer Meinung nach) direkt abstammen, von dessen Frau Savitri direkt am Anfang der Story verflucht werden, weil sie es zugelassen haben, dass sie, da sie verhindert wurde zum pünktlichen Beginn der Rituale, sie mit einer anderen Frau bzw dann Göttin, ersetzt haben. Arm werdet ihr sein, fluchte sie, und selbst wenn Reichtum zu euch kommt, werdet ihr nichts davon haben….Man könnte es fast glauben, so wahr sieht es aus…..

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Bild: Immer mal wieder liegen diese kleinen Gebetshefte in Sanskrit in der Gegend herum. Das da oben habe ich heute früh gesehen und fand vor allem die kleine fette Figur unten so ausdrucksstark, da es mich an die Brahmanen erinnert hat

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Johann Wolfgang von Goethe

Prometheus

Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst
Und übe, dem Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen dich und Bergeshöhn;
Mußt mir meine Erde
Doch lassen stehn
Und meine Hütte,
die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Glut
Du mich beneidest.

Ich kenne nichts Ärmeres
Unter der Sonn, als euch, Götter!
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät,
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Toren.

Da ich ein Kind war,
Nicht wußte, wo aus noch ein,
Kehrt ich mein verirrtes Auge
Zur Sonne, als wenn drüber wär
Ein Ohr, zu hören meine Klage,
Ein Herz wie meins,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.

Wer half mir
Wider der Titanen Übermut?
Wer rettete vom Tode mich,
Von Sklaverei?
Hast du nicht alles selbst vollendet,
Heilig glühend Herz?
Und glühtest jung und gut,
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden da oben?

Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Tränen gestillet
Je des Geängsteten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herrn und deine?

Wähntest du etwa
Ich sollte das Leben hassen,
In Wüsten fleihen,
Weil nicht alle
Blütenträume reiften?

Hier sitz ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, zu weinen,
Zu genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten
Wie ich!

Ordnung(en)

Da unten am Ghat schreit eine Frau so herzzerreißend, dass mein Denken erschrocken einhält. Hinstarren. Der Mann, der sie am Arm zum Wasser führt, scheint freundlich und besorgt. Sie lässt sich willenlos ins kalte Wasser führen. Sie ist außer sich. Kaum ist sie eingetaucht, hört ihr Schreien auf. Sie taucht selbst ein paa Mal unter und scheint zu sich zu kommen. Alles wird still. Er reicht ihr trockene Kleider. Sie ist beschäftigt. Weiß noch, wie alles geht. Sie zünden Öllichter an, murmeln Mantras. Sie scheint verändert und bewegt sich jetzt alleine und gefasst. Unglaublich, was das für eine Wirkung hatte. Rituale können so hilfreich sein für den Umgang mit Schmerz und Verlust. Haben wir welche? Die uns helfen?

Dann beobachte ich, dass eigentlich alles und alle für Ordnung sorgt/en, jede/r auf seine und ihre Weise. Das läuft alles gleichzeitig. Alle mit eigener Ordnung beschäftigt. Jeder froh, wenn das, was zu tun ist, reibungslos abläuft. Da, wo Reibung passiert, wird die Ordnung unterbrochen. Da, wo Explosion stattfindet, wird sie zerstört. Dann muss man schauen, ob neue Ordnung möglich ist. Meistens taucht wieder etwas auf und ordnet sich. Man staunt, wenn irrsinnige Mengen von zerstörtem Material in zerstörten Welten, zB. von Erdbeben oder Kriegen, wieder aus dem Weg geräumt werden konnte und neue Formen und Welten sich bilden. Auch beim Hineinschauen in persönliche Zimmer kann man staunen, mit welchem Ausmaß an Unordnung manche leben können. Vom Chaos kann man nicht sagen, dass es eigene Ordnung hat, obwohl es Teil der universellen Ordnung ist. An manchen Straßen hier im Dorf kann man sehen, dass niemand um Ordnung bemüht ist. Dann fügen alle immer nur Unordnung dazu. Es gibt einen kleinen Teich, auf dem nur noch Plastiktüten schwimmen. Ein Sumpf. Ein Ort der Hoffnungslosigkeit. Eine Quelle der Ansteckung von Krankheiten.
Ich weiß gerne, wo die Dinge sind, mit denen ich lebe. Beim Umzug in einen neuen Wohnort, wie ich ihn gerade hinter mir habe, dauert es ein paar Tage, bis Dinge sich ordnen. Es scheint, als ginge es wie von selbst,  aber es ist der eigene Geist, der sich der Sache annimmt. Er schaut, was praktisch ist und förderlich für den täglichen Ablauf. Ich kümmere mich um die Beleuchtung und die Farbtöne.
Am See arbeiten gerade ungefähr 100 Männer und Frauen leise und fast unbemerkbar an der Renovierung der Seeumwandlungs-Struktur. Hellrosa Stein wird eingesetzt. Alle wissen, dass es schlechte, brüchige Qualität ist, die schnell wieder zerbricht. Das hat mit umgepoltem Geld zu tun, das trotzdem noch eine gewisse Ordnung zeigen muss. Die Ordnung akzeptierter Ausbeuter. Wie die Brahmanenkaste, deren Vorstellung von Ordnung immer noch uneingeschränkte Macht genießt und beansprucht. Ein paar Wenige von ihnen sprechen noch das erhabene Sanskrit, eine Sprache höchster Ordnung, das allerdings einst für bestimmte Ohren verboten war zu hören. Niedrigen Kasten war es auch verboten, den Schatten eines Brahmanen zu kreuzen. Gut, dass sich Ordnungen auch wieder auflösen und aufheben lassen.
Auf dem Photo oben sieht man eine Gruppe von Foreigners, die sich haben einreihen lassen in die übliche Ordnung einer Puja, eines meist teuren Rituals, das der Fremdenführer mit dem Priester abgesprochen hat. Geld wechselt Hände. Es gibt Ordnungen mit hellen und dunklen Schattierungen.
Am Brahmghat erklärt mir Ashok, dass nun leider die Saison für Rosen beendet ist. Ach ja?, frage ich, warum? Wachsen sie nicht mehr? Doch, sagt er, das schon, aber jetzt kommt Shiva Ratri, da brauchen wir andere Blumen. Wir haben ja, meint er lächelnd, so viele Götter, die brauchen alle was anderes. Durga und Kali brauchen Rosen (!!??), Shiva braucht Kushi Gras etcetera. Das sind Ordnungen, die den Geist des Hindu in Bewegung halten.
Ich bewege mich durch das Ganze in meiner eigenen Ordnung, die mit ihrer Ordnung nicht mehr allzu viel gemein hat. Ich achte sie, wo ich sie achtenswert finde, denn auch mir gibt sie oft Rahmen und Schutz.
Die Gestirne spielen auch noch mit mit ihrer eigenen Ordnung. Heute ist Vollmond mit high level Pilgertum. Die Atmosphäre ist aufgeladen mit sehr viel Tun. Beten. Opfern. Schenken. Baden. Einschreiben in das Ahnenbuch. Tagesordnung als Höchstleistung. Wie überall. Nur anders.

„frei“

Gestern stand neben meinem Sitz am Wasser ein Paar Schuhe, die ich beinahe einem Sadhu angeboten hätte, da ich dachte, sie wären liegen geblieben. Sie gehörten aber einem Musiker, der auf dem Literature Festival in Jaipur gespielt hatte und nun ein paar Tage hier Ferien macht. Heute brachte er seine kleine Flöte mit und spielte so herzergreifend, dass alle Vorübergehenden stehen blieben und lauschten. „Vrindaban!“, sagte mein Mund als Dank. „Sangit Bhagwan hai! Musik ist göttlich. Und ich dachte: ja, die Kunst kann mehr berühren als alle Götter. Vielleicht gab es auch die höchste Kunst derer, die sie den Göttern angeboten haben, wie es so viel Sakrales in der Welt gibt, dessen Schöpfer nie genannt oder gekannt wurden. In jedem Fall ist es egal, wieviel wir durch Bücher und Dialoge und Monologe und Vorträge  und Lehrer und Götter etc verstanden zu haben glauben, nie führt es zum „Das bin ich“, wenn wir nicht durch eigene Erfahrungen, Gedanken, Irrwege, lichte Momente und unerschütterliches Vetrauen in den eigenen Weg navigiert sind. Ich denke auch, dass es eine Schulung braucht, um auf dem Weg die Kraft zu haben, sich letztendlich dem vollkommen Ungewissen anvertrauen und überlassen zu können. In der Kinder -und Jugendzeit dient die Schule vor allem der Ingangsetzung des persönlichen Lernvermögens. In der geistigen Schulung geht es mehr darum, Klarheit für mich selbst zu erringen darüber, was universelle Gesetze, ihre Realität und ihre Erscheinungsformen für mich bedeuten und welche Mittel für mich akzeptabel und glaubwürdig sind, mein eigenes Wesen zu verstehen bzw. zu sein. Nach Jahren des Praktizierens von was auch immer können wir günstigerweise erkennen, dass es tatsächlich eine allen und allem gemeinsame Quelle gibt, dass aber die Ausstrahlungen davon vielseitig und sehr unterschiedlich und widersprüchlich, paradox und irreführend sind, sodass das ganze Glaubens-und Wissenskonstrukt in einem zu einem knirschenden Halt kommt. An diesem kritischen Punkt kann einem sonnenklar werden: man ist allein. Jetzt nicht allein auf Erden auf das Ego fixiert, und nicht ohne gute Freunde, ohne die man nicht gedeihen kann, sondern allein im Sinn vollständiger Verantwortung, die man bereit ist, für sich selbst zu übernehmen. Das ist die Freiheit, die es zu erkennen und zu erleben, auszuhalten und zu ertragen gilt. Als Jugendliche hatte ich schon manchmal den Verdacht, dass alle Menschen in Wirklichkeit frei sind, und wenn sie es wüssten, würde auch nicht viel mehr passieren als das, was bereits passiert, denn diejenigen, die der Weg zu sich selbst anspricht, haben sich ja bereits aufgemacht, um eigene und manchmal sehr neue Wege zu gehen. In der Zwischenzeit wissen wir auch, wieviele Zugänge es gibt zu sich selbst und zu der Quelle. Alles ist Zugang. Es braucht eine Akzeptanz alles Daseienden, da jedes Trennenwollen von der Quelle in den dualen Aufenthalt führt. Dann ist man gefangen zwischen gut und böse, schön und hässlich, richtig und falsch. Das gibt es alles, kein Zweifel, es ist die Natur des Weltendramas. Das Spiel erhält sein Spannungsfeld durch das Duale. So übernehme ich Verantwortung für den eigenen Blick. Hinter diesem Blick lagert mein Wesen in seiner ganzen, ja was, ständigen Offenheit zur Neuheit des Nus. Und dieses ganz persönliche Ich, an dem wir uns entlanggetastet haben, hat es uns nicht dorthin geführt, wo ein anderes Ich auf uns gewartet hat, ein Ich, das sich von Druck und Drang des Wissens über sich selbst entlastet hat. Und siehe da: es lächelt.

nasha

„Nasha“ bedeutet Droge. Das Wort hat in Indien keineswegs so eine bedrohliche Wirkung im Ton wie sonstwo, denn auch im Westen diskutiert man nicht allzu häufig die erschreckende Macht der Gesundheitsausbeutung durch die Pharmaindustrie, vor allem wenn man von Allopathie nicht abhängig ist. Das Wort „nasha“ ist ebenfalls weit gefächert. Wenn sich einer täglich so ein Stück Betelnuss (supari) in den Mund steckt, bis in der Rachenhöhle eine rote Soße zusammenfließt, die man dann in die nächste Ecke ausspuckt, dann ist das auch nasha. Auch Tabakkauen ist nasha. Man kann die kleinen metallenen Tütchen überall kaufen, obwohl sie verboten sind. Und was im Hintergrund so alles recherchiert wird, kommt selten an die Oberfläche. Menschen gehen an so vielem zugrunde, da soll man auch noch das nasha lassen?, ist eine verbreitete Einstellung. Außerhalb von Hardwar habe ich bildschöne Marihuana-Felder gesehen, in deren Mitte eine kleine Sadhu-Siedlung angelegt war, die ein bisschen an ein Asterix Dorf erinnert hat, mit Zaun drumherum gegen die Tiere, und Wäscheleinen für die Tücher. Und jeder geht mal raus und schneidet ab, was er braucht. Der Satz dazu ist: time pass. Der Tag ist lang, das Amt vergessen, und die Droge hebt heraus aus der Schwere des Alltags. Schade, finde ich, dass Ganja als Seher-Droge nicht mehr respektiert oder als Meditationsunterstützung nicht mehr genutzt wird. Trotzdem gesünder als manches andere, zB der Konsum von schlechtem Whisky, der sich breitgemacht hat. Lalis ältester Bruder ist am Alkoholkonsum gestorben, der Nächstältere stirbt grad an Heroin langsam vor sich hin, das ist auch gräßlich. Man fasst es nicht, wieviele junge Männer hier im Dorf schon an Heroin gestorben sind. Keiner greift ein. Die Polizei hat keinen Bock, einen bakshisch-unfähigen Junkie durch seinen Entzug zu füttern. Daher sitzen sie an dunklen Zugängen zum See und ziehen sich das Zeug rein auf Silberfolie. Dann gibt es noch eine Gruppe edler freundlicher alter Männer, Freunde von Prakashs Vater, der täglich alle mit Bang versorgt hat, einer Knetmasse aus feinstem Marihuana, weibliche Blüte. Jetzt ist der respektierte Bang-Meister tot, aber sie machen weiter, jeder mit seiner ihm bekömmlichen Dosis. Die sind ganz gut und heiter drauf, die alten Herren. Ramu wiederum, der außer legalem Material unter dem Ladentisch ein bisschen Bang verkauft, hat auch eine Opium-Lizenz. Als ich in der Wüste den Tempel betreute, wurde ich mal von der Sadhu-Bruderschaft der Naths eingeladen auf ein Fest. Dort stand vor dem Oberhaupt (Mahant) eine lange Schlange Männer, die alle nach und nach ein (ganz schön großes, fand ich) Stück Opium direkt in den Mund geschenkt bekamen. Wenn die Dinge ihren adäquaten Rahmen haben und der Mißbrauch in Schach gehalten wird, ist dosiertes nasha ganz gut integrierbar im Alltag einer Gesellschaft. Wenn jeder freien Zugang zum sogenannten Verbotenen hat, zeigt sich meistens, dass eh nicht jede/r für alles geeignet oder offen ist, und ja und nein kann auch fast jeder sagen. Also ein kleiner Ausflug ins Nasha-Land. Ich kam darauf, weil ich am Abend des letzten Tages im Jahr von einigen hörte, sie hätten keine Lust auf Parties (auch ziemliches Neuland), weil so viele sich betrinken und zu viele Drogen nehmen, daher fürchte man mit Recht die Entgrenzung, da ohne tragende Ordnung.  Selbst die geistige Entgrenzung unterliegt, soll sie gelingen, einer Ordnung, oder vielmehr unterliegt eine Ordnung der geistigen Entgrenzung. Auf diesem Weg ernsthafter Bemühungen erscheint irgendwann, nun jenseits von Anstrengung, das Gefühl, wach und anwesend zu sein mit sich selbst. Das ist die Grenze, die liebend gern (auch nashalos) kooperiert mit der kosmischen Weite.

PS. An dieser Stelle fällt mir noch der Postbote ein, der früher hier Briefe ausgetragen hat. Er soll süchtig gewesen sein nach dem Gift, das sich angeblich im Kopf einer Eidechse befindet. Man muss sich ja nicht unbedingt vorstellen, wie er da rankam, aber es ist die extremste Geschichte, die ich aus der Welt der natürlichen Gifte/Medizin kenne.

Tiere

Die Tiere, ja, die Tiere! Ihre Schönheit! Ihre Einfachheit – ihre Unschuld, die auch im Jagen und Morden sichtbar ist. Ihr Fell mit den berückenden Landschaften. Ihre Federn! Ihre Wachsamkeit uns Menschen gegenüber. Sind wir wohlgesinnt – oder sind wir tückisch – sie können nie sicher sein. Hinter uns und vor uns und über uns und neben uns huschen und traben sie vorüber, und manchmal kommen sie uns nah und bleiben bei uns, und unsere durch sie hervorgelockte Liebe strahlt auf sie zurück, und für kostbare Momente sind wir in diesem arglosen Sein gebannt, und im Inneren dehnt sich eine zärtliche Weite aus. Einmal saß auf einmal ein Ziegenbock neben meinem Sitz. Es war verwirrend, und Augen schauten verwundert auf dieses morgendliche Miteinander. Als ich anfing, mein Gemüse mitzubringen, war der Pakt besiegelt. In dieser Zeit kam Brij Mohan, ein Priester, immer morgens vorbei mit seiner Milchkanne, um bei seinem Freund chai zu kochen, und wir redeten eine Weile miteinander. Eines Morgens gestikulierte er in meine Richtung, da stand der Ziegenbock auf und griff ihn an. Was für eine Macht diese Tiere haben, Zugehörigkeit zu vermitteln! Dann geht man weg und lässt sie und sich selbst wieder frei. Zur Zeit kommt ein Hund, den die Leute ringsum „ghoda“ nennen, „Pferd“, weil er so kraftvoll gebaut ist. Er kommt und jault furchterregend, bis ich mich setze. Dann legt er seine Pfote über meinen Fuß. Dann die Tauben! Ich denke oft an Venedig, wenn ich sie beobachte, weil ich sie als Kind dort schon gefüttert habe. Die Pilger lieben es, Tauben zu füttern. An jeder Ecke gibt es Taubenfutter. Man setzt sich hin und öffnet die Handflächen mit den Körnern und genießt dann das Kribbeln ihrer Schnäbel auf der Haut. Neben mir sitzt gerade ein Affe und sonnt sich. Oft schlafen sie eine Weile ein, erschöpft von der Genialität ihres Freerunnertums. Wer würde dem eigenen Neid nicht einen Jauchzer gönnen, wenn das Auge sieht, wie sie mühelos Abgrund und Wand überwinden und so vieles können im Sprung, was für uns niemals möglich ist. Die Kühe dagegen sind still und prächtig. Klar weiß ich aus eigener Erfahrung, warum sie zum wahrhaft Göttlichen gezählt werden, war ich doch oft genug nahe dran, in die Kniee zu gehen vor ihrer gnadenreichen Schönheit, ihrer Ausstrahlung vollkommener Ruhe, sodass man die Ansteckung spürt. Hier tragen sie keine Knöpfe im Ohr mit Zetteln dran wie auf deutschen Wiesen. Sie werden nicht gegessen in dieser Gegend, nur gefüttert wie die Fische und die Vögel und die Schildlkröten und überhaupt alle Tiere hauptsächlcih gefüttert werden. Manchmal liegt ein totes Tier vor einem auf dem Weg. Wir haben auch 28 Gänse auf dem See. Eine lag neulich tot da, ein großer, schneeweißer Tod. Zwei Mal habe ich auch schon zuschauen müssen, wie ein Affenkind stirbt (s.o.). Man sieht sofort, dass es nicht leben kann. Die ganze Bande ist daran beteiligt. Sie werfen es in die Höhe und schauen, ob es noch klammern kann, und riechen an ihm. Wenn es tot ist, schleppt eins der Tiere es mit sich, wir wissen nicht, wohin. Unten am Wasserbecken sitzen manchmal bis zu zehn weiße, langbeinige Vögel. Sie jagen sich gegenseitig und überraschen mit ihren Verhaltensweisen. Manche Tiere, die ich noch erleben durfte, gibt es nicht mehr. Ein einziges Mal sind auf der Durchreise 80 weiße Pelikane auf dem Wasser gelandet und drei Tage lang geblieben. Ich habe alle Menschen, die ich kenne, aktiviert, um daran teilzunehmen, aber sie hatteen keine Zeit, so ist das Unvergessliche in mich hineingesunken. Ab und zu hört man noch einen Pfauenschrei, oder entdeckt sie auf einmal irgendwo in einem Garten bei der Darbietung ihres Tanzes. Wie froh wir sind, eine ihrer Federn zu finden! Die Fledermäuse mit den Menschengesichtern sind schon lange nicht mehr da. Auch eine schwarze Kobra habe ich im Tempel mal an mir vorbeigleiten sehen. Dort saß auch tagelang ein Stachelschwein direkt über mir auf dem Banianbaum. Ich war gespannt, wann es sich endlich bewegen würde. Dann haben mich erschrocken rufende Farmer darauf hingewiesen, wie gefährlich sie sein können mit ihren beeindruckenden Stacheln, mit denen wir unsere Haare zusammenhalten können. Und klar! Die Eichhörnchen, die flink und ruckartig durch die Gegend flitzen, und die Eidechsen, die, lauernd auf etwas Mücken-oder Spinnenartiges, in unseren Zimmern wohnen. Einmal, ich erinnere mich genau, fielen zwei gleichzeitig beim Jagen auf meinen Rücken und rasten dort herum, bis ich sie durch mein Lachen verscheuchte.
Man muss sich das mal tief im Herzen vorstellen, dass der Planet immer auch ein paradiesischer Garten ist, in dem unergründlicher Reichtum der Arten herrscht. Und wollten wir es doch wirklich verstehen und erfassen, dass wir Hüter sind und keine Herrscher.

Kalu’s Tod

Als ich gehört habe, dass er gestorben ist, hatte ich nicht gleich den Impuls, dort hinzugehen, obwohl ich ihn und seine Familie schon sehr lange kenne. Als erstes fiel mir nämlich eine Szene ein mit ihm, die aus wahrhaft dunkler Erinnerung hervorkam. Er war einer der 56 Neugeborenen, die eine aus Kalkutta hier angesiedelte Ärztin der Welt erhalten und bei sich aufgenommen hat im Laufe langer Zeit. Die Mütter wollten entweder abtreiben oder ließen das Kind nach der Geburt zurück; es gab viele Gründe, doch nur e i n e Tatsache: die Mutter wollte oder konnte das Kind nicht bei sich haben. Dr. Shyama, oder Shyama Bai, wie wir sie nannten, hat sie auch verheiratet, und Kalu und Rekha wohnten auf geschenktem Land und hatten vier Kinder (Rekha hat sie immer noch). Mit Rekha hat mich mal eine lange Reise verbunden, da wir Shyama Bai zu einer Augenoperation nach Kota begleitet haben, die mich in der Nähe haben wollte. In dieser Zeit saß ich oft neben ihr. Sie war Gynäkologin und erlaubte mir, in ihrem kleinen Hospital 3 Geburten mit zu erleben (uffh!), weil sie der (richtigen) Meinung war, dass ich dem Leben auf dieser Ebene näher kommen müsste (OmG). An einem dieser Tage saß ich mal wieder neben ihr. Sie war damals schon 85 Jahre alt und konnte schlecht sehen und hören. Da kam Kalu herein, der Alkoholiker war, und ließ sich von ihr unter dem Vorwand, ein Dokument zu suchen, den Schlüssel für ihren Schrank geben. Da sah ich, dass er sich einen ordentlichen Packen Geld in die Jacke schob und ging. Sollte ich es ihr sagen? Ja, habe ich gemacht, gefasst auf ihren Schock. Aber sie war gar nicht geschockt. „Das macht er immer“, sagte sie, „was soll ich tun?“ Naja, dazu wäre mir einiges eingefallen, aber mich hat ihre Reaktion trotzdem berührt. Als sie tot war, hörte Kalu auf zu trinken (dachte ich immer). Ich habe ihn noch bei zwei Hochzeiten kurz gesehen. Alles schien freundlich und friedlich. Rekha, seine Frau, ist Hebamme, eine starke Frau, die meistens das Geld für alle verdient hat. Heute Nachmittag gehe ich zur Trauersitzung. 12 Tage!, sitzen Angehörige und Freunde im Haus herum, die Männer müssen die Haare schneiden bzw ihr Haar dem Toten opfern. Es wird viel geschenkt und gegessen und nur Gutes über den Toten erzählt (macht ja Sinn). Jetzt sag ich auch noch was Gutes über Kalu. Letztes Jahr, als ich ihn bei der Hoczeit seiner jüngsten Tochter gesehen habe, machte er auf mich den Eindruck eines liebevollen Vaters. Wenn das kein Lob ist!
So, nachdem ich dann das Lob aus mir herausgehebelt hatte, bin ich nachmittags zu der Trauergemeinde. Kaum fiel mein Schatten an die offene Türschwelle, hob drinnen lautes Pflichtschluchzen an. Rekha saß auf einem erhöhten Kissen, neben ihr das blumenumkränzte Bild von Kalu, ihr Gesicht mit tiefem Schleier bedeckt. Nach einer liebevollen Umarmung und ihrer Freude, dass ich gekommen war, schien es mir unmöglich, mich zu dem Kreis der Frauen zu gesellen (die Männer rauchten draußen), und ich ging zu ihrer Tochter ins Nebenzimmer. Mit Kusum verbindet mich auch eine Reise, denn sie war vor Jahren mitten im Studium plötzlich halbseitig gelähmt, und wir fuhren zu einem „heiligen“ Ort, wo nur Gelähmte und Gehbehinderte mit Angehörigen waren, um bei eienm Heiligen zu beten, bei dem Wunderheilungen angeblich häufig sind. Sie wurde auch geheilt danach, was mich neugierig machte. Ich fragte einen Arzt, der mir sagte, dass diese Lähmungen zu 80% von selbst wieder verschwinden. Jedenfalls sprach ich dann mit ihr über ihren Vater und war überrascht zu hören, dass er bis zu seinem Tod schwer getrunken hat und außerdem von Opium abhängig war und was sonst noch des Weges kam. Als sie ihn vorgestern ins Kranklenhaus brachte, sagten die Ärzte, seine Venen seinen vom Missbrauch so zerschlissen, dass nichts mehr zu machen war. Dann war er auch gleich tot.
Es gibt für eine indische Frau einiges zu schluchzen, wenn der Mann geht. Sie muss ihren Schmuck ablegen, darf nicht mehr an Zeremonien teilnehmen, wird auf der Straße nicht gern gesehen, weil der Anblick einer Witwe als unglücksverheißend gilt. Da möchte man gerne selbst laut aufschreien, wie sie sich hineinfügen in diesen irren Quatsch, den mal ein krankes Gehirn ausgeknobelt hat, und ähnlich kranke Gehirne darin was Profitables fanden. Kusum war angenehm nüchtern und realitätsfähig. Vor zwei Jahren hat sie einen Mann auf der Bank, bei der sie arbeitet, kennengelernt und geheiratet. Eine Liebesheirat! Deswegen bin ich einen Tag zu ihrer Hochzeit. Es war schön zu sehen (wie immer), wenn Liebe und gegenseitige Wertschätzung spürbar und sichtbar sind. In der Zwischenzeit kam viel Lachen und Erzählen aus dem Nebenzimmer. Bei meiner Verabschiedung bemühte sich Rekha noch, die üblichen Kernsätze (das wirklich Traurige!) zu sagen: jetzt ist Schluss mit Welt! Nix mehr! Vorbei, aus! Dabei ist sie eine exzellente Hebamme, hat ein schönes Haus und kann machen, was sie will. Sie waren halt auch aneinander gewöhnt, meinte Kusum, trotz all des Leides wegen seiner Sucht. Amen.
Übrigens: Zwei der Kinder sind schon in Hardwar mit der Asche, um das Karma des Verstorbenen für die nächste Runde aufzulichten.
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Götter

Die indischen Götter dienen dem großen Gemeinsamen.
Sie sind anregend , großzügig und vielschichtig.
Das wäre schon gelacht, wenn hier jemand seinen oder
ihren Gott nicht finden würde. Sie sind ein erotisches
und bewegliches Gegenüber, eine Beruhigung der Sinne,
eine Entspannung im Daseins-Taumel. Die indischen Götter
lieben und werden geliebt. Sie halten das ganze Gefüge
gnadenreich aufrecht, man kann mit ihnen rechnen.
Sie beleben die Dinge von der Seifenpackung bis ins hohe
Abstraktum. Was gäbe es da für die Pilger für einen Grund,
zum See zu kommen, wenn die nicht mehr rufen.
Nicht mehr sind. Verschwunden. Erloschen die hohe
Struktur ihrer Daseinsfähigkeit. Dann ist der Mensch
ohne Götter. Ohne Gott. Keine bevölkerten Himmel,
kein Entzücken beim Hören der Ramayana.
Die Epen grotesk finden.
Epenarm werden.
Die Sonne und den Mond nur als Sonne und Mond sehen.
Nur? Ja genügt denn das nicht? Sind sie etwa kein Wunder?
Brauchen sie Kutschen und Gewänder?
Braucht die Frau zuhause eine Götterpuppenstube, wo
die Herrschaften herumstehen in ihren Prunkkleidchen und
den Babyförmchen, damit alle, wenn sie traurig sind oder
verzweifelt, etwas zum Liebhaben haben?
Wenn die Gottheiten dann in den mobilen Netztwerken
auftauchen, ist immer noch eine Spur von ihnen vorhanden.
Im digitalen Display ist ihr vorletzter Auftritt. Der bereitet
die Menschheit auf das Gottlose vor. Auf den Ur-Schock, nur
Mensch zu sein ohne höheren Halt, nur Universumsprodukt am
Partikel-Fließband, ein totales Sich-selbst-überlassen-sein ohne
Ausweg, ohne Ausflucht, ohne jemals zu wissen, woher und
wohin die Reise kommt und geht. Niemand, der es weiß.
Keiner, der es einem erklärt.
Aufenthalt im Ungewissen.
Da bewegt sich Freude im Herzen.
Unbedenkliche Freiheit breitet die Flügel aus.
Das Leben regt sich und atmet auf.

Gottfried Benn

Menschen getroffen

Ich habe Menschen getroffen, die,
wenn man sie nach ihrem Namen fragte,
schüchtern – als ob sie gar nicht beanspruchen könnten,
auch noch eine Benennung zu haben −
„Fräulein Christian“ antworteten und dann:
„wie der Vorname“, sie wollten einem die Erfassung erleichtern,
kein schwieriger Name wie „Popiol“ oder „Babendererde“ −
„wie der Vorname“ – bitte, belasten Sie Ihr Erinnerungsvermögen nicht!
Ich habe Menschen getroffen, die
mit ihren Eltern und vier Geschwistern in einer Stube
aufwuchsen, nachts, die Finger in den Ohren,
am Küchenherde lernten,
hochkamen, äußerlich schön und ladylike wie Gräfinnen
und innerlich sanft und fleißig wie Nausikaa,
die reine Stirn der Engel trugen.

Ich habe mich oft gefragt und keine Antwort gefunden,
woher das Sanfte und das Gute kommt,
weiß es auch heute nicht und muß nun gehen

 

Foreigners

/ 

Sie wirken nicht immer so dekorativ wie diese Japanerin, die sich in meinem Photo im goldenen Glanz der Abendsonne von ihrer Begleitung belichten lässt vor der grandiosen Architektur. Aber sie, d.h. wir, die AusländerInnen, sind nicht mehr wegzudenken vom indischen Alltag. Im Jahr meiner Ankunft gab es außer mir noch eine Australierin, die im Dunkel undurchsichtiger Welten ein Verhältnis mit dem tantrischen Priester hatte. Doch von was die meisten Einheimischen sich noch vor Jahren naserümpfend abgewandt haben, ist nun ihr Erwerb geworden, ihr Haus, ihre Zukunft und die Zukunft ihrer Kinder und Enkelkinder. In der Unterwelt des Dorfes arbeiten bei düsterem Licht die neuen Diener der neuen indischen Herren, deren Herren wiederum die Fremden sind aus den vielen fremden Ländern. Wir reden von Schneidern und Nähmaschinen, die rattern bis tief in die Nacht im Hades, wo das Lichtlose seine Spuren und seinen Preis hinterlässt auf müden Gesichtern. Die fremden Auftraggeber kommen in angenehmer Jahreszeit, geben ihre Auftragswünsche durch, und ab geht’s, meist auf herrlichen, alten und neuen und hochgemotzten Royal Enfields, ab also geht’s nach Goa in die portugiesische Traumstation für hungrige Geister. Derweil kommen hier im Städtle andersartige Fremde an und bevölkern die überzähligen Guest-Houses und Hotels und Resorts, die alle dem „smart city“ Projekt der Regierung hinterherhecheln. Naja, viele haben auch schon ausgehechelt, denn ihre neuen Häuser stehen, und die vielen Glühbirnen in der Deko lassen die Elektrizitäts-Rechnungen hochschießen. Im Bazaar weiß man auch nicht mehr genau, wer nun was am liebsten kauft und trägt. Die sich durch die Welt bewegenden Touristengruppen pilgern vorbei an den Auslagen, schauen alles an, kaufen oft nichts, gewarnt von dem Gruppenführer, der wiederum bei seinen Connections Kommision einheimst. Ist ja alles nichts Neues, ist überall so oder ähnlich. Doch je mehr Gruppen erscheinen, und das von ihnen Erwünschte herbeigeschafft wird, desto mehr verschwindet von der Bildfläche, was wir so schön finden und fanden. Das indische Volk stolpert durch die gefürchtete Maya, immer weiter entfernt von der eigenen Weisheit des Landes, und immer tiefer hinein in die nimmerendenden Gelüste, die nun zur Auswahl stehen. Dann kommen die ehemaligen Hippies zurück aus dem Beach-Festival und lassen die geprüfte Ware packen. Die geht in die westlichen Märkte. Wieder marschiert die neue Händler-Kaste der Fremdlinge durchs Dorf, schwer tätowiert und unfehlbar mit Rastahaaren beladen, vor bunten Bob Marley Gemälden ihre Joints drehend, als wäre die Uhr stehen geblieben. Dann ist alles fertig vom Gewünschten, das nun von dürren, einheimischen Körpern auf Ledeflächen mit Rädern zum Abtransportplatz geschoben wird. Alles ist inzwischen gut organisiert. Die Inder sind Meister im scheinbar Menschenunmöglichen. Sie schauen auch nicht mehr so genau hin auf die Fremden (ich auch nicht). Zu unübersichtlich ist alles geworden. Im günstigsten Fall führt das alles zurück zu sich selbst. Dort findet neues Grübeln über die Gestaltung eigenen Lebens statt. Dringend notwendig! Viel Erfolg wünsche ich euch allen, denn jetzt wissen wir, dass es kein Scherz war mit dem Geheimnis der schillernden und verlockenden Maya!
Nicht, dass ich die Vollständikeit des Beschriebenen anpeile, denn es gibt sie nicht. So will ich aber doch noch d i e Foreigners erwähnen, die still und aufmerksam an den Ufern sitzen, oder im Herumgehen offensichtlich berührt sind von dem Mysterium des Daseins, das uns zur Verfügung steht. Auch dieser tiefe, wertschätzende Blick von uns Fremden hält das Ganze in seinem unsterblichen Bann.

Trampeltier Avatare

Während uns das amerikanische Trumpeltier mehr oder weniger beschäftigt (obwohl es auch begrenzt lustvoll sein kann, sich mal so richtig aufzuregen), warum also weniger: weil, ja was: soll man aus der Haut fahren, oder merken, dass es nicht auf eine Hutschnur passt, wenn man gar keinen passenden Hut trägt, oder jetzt, nach all dem, auf Demos mitmarschieren!? Und hier im Land haben wir Narendra Modi, den man sich ganz verzaubert vorstellen darf von Trumpeltiers’s Darbietung, kann doch nur der Herrgott persönlich  ganzen Kerlen so viel Kraft geben wie halt auch ihm, Modi, gegeben wird, mit seiner Demonetisierung (auch Dämonetisierung genannt), die sich in der selben Schieflage befindet wie das amerikanische Einreiseverbot für eine ganze Liste von Ländern. Und siehe da: prompt zur Stunde kommt ein Beitrag in der indischen Times, der hüllt die Leserin in eine Mulmigkeit, die Indien auch grandios in einem erzeugen kann. Jahrelang musste ich mir selbst von Elite-Studenten des renommierten Mayoor College anhören, dass sie das „Werk“ von Hitler als heldenhaft gelehrt bekommen, denn so eine Macht kann ihrer Meinung nach keiner allein aktivieren, da kann nur Göttliches im Spiel sein. In ihren Stories haben Hindus auch einen ganz Bösen, Ravan, der raubt die makellose Sita weg von Ram, dem König von Ayodhya, der sie, nachdem sie von Hanumann, dem Affengott, gerettet und zurückgebracht wird, verstoßen muss, denn, so die Moral: Ram’s Volk wird immer zweifeln, ob dort im Palast des Bösewichts nicht doch das Unsagbare geschehen ist!!! Aber zurück zum prompten Beitrag der Stunde in der Zeitung unter der Überschrift: „Mythologie für moderne Zeiten: Dieser Indra wird Svarga (die Heimstätte der Gottheiten) „great again machen. Und alle drei Welten verändern.“ Dann das Photo wie oben, und unmissverständlich die Hand von Trump mit dem „Wissens-Mudra.“
Ich zitiere aus dem Text:
„Aus dem Nichts kam die Stimme: Der Retter von Svarga, der bereits geboren ist, kommt aus den Reihen der wohlhabenden Yakshas, groß und breit (tall and large), mit Haar von der Farbe der Sonne und einem Gesicht von der Farbe des Mars. Er wird häufig das Mudra des Wissens (s.o.) zeigen. Wild und hart in der Rede, wird er alle lieblichen Worte überstimmen, um den unterdrückten Gottheiten eine Stimme zu geben. Mit dem Kampfschrei:“Make Svarga great again!“, wird er den Sitz des nächsten Indra (Wettergott) einnehmen. Durch Mich (Gott) ermächtigt, wird dieser Indra, ungezügelt und nicht gebremst von dem Gewicht des Amtes, zerstörerisch und revolutionär bleiben Die Gottheiten und die Rechtschaffenen werden seinen Sieg bejubeln. Die Gottlosen, die diesem Dharma nicht folgen, werden klagen und Proteste abhalten in großer Anzahl. Heil! Dem neuen Indra! Dieser Indra wird nicht nur Svarg „great again“ machen, sondern er wird alle drei Welten verwandeln.“
Dazu ein „historisches“ Gemälde, das irgendwas beweisen soll. Da könnte einem doch angst und bange werden. Hitler soll ja auch einen indischen Guru gehabt haben. Das war wohl ziemlich schwer zu researchen, obwohl ich hier zB. ständig auf das Swastika treffe, allerdings mit einer positiven Deutung. Und die „Times“ mit Millionen von Lesern! Der Schreiberling ist ein „Historiker“. Was und wem will er diese Nummer nahebringen!!!(?) HUHUHUHU! Unheimlich!

Hier noch ein  Photo von Narendra Modi als Sherlock Holmes Avatar, die neue Währung erforschend. (von der Titelseite der Times)

heilig

Das Bild von dem Pilger habe ich heute früh gemacht im Vorübergehen, ganz schnell, um ihn nicht zu stören. Niemals möchte ich vergessen, dass es von diesen Menschen Millionen gibt im Land. Sie leben oft in für uns Westler unvorstellbarer Armut und Ausweglosigkeit, mit einem Ballast an Sorgen und Mühen, die wir in dieser Form in unseren jetztigen Leben nicht kennen. Dann kommen sie einmal im Leben an das gesegnete Wasser wie Dieser gekommen ist. Er schüttet ein Kilo Milch hinein in den See und Rosenblüten aus einer Tüte. Sein ganzer Körper atmet Hingabe aus, underschütterliches Vertrauen in die Wege Gottes und seine gegebene Bestimmung. Diese Demut zu sehen treibt mir die Tränen in die Augen. Die kindliche Schlichtheit dem Göttlichen gegenüber, diese einfachen Gesten des Gebens von dem, was ihm möglich ist zu geben. Der Platz, den er gewählt hat für sich am Ufer ist weit entfernt von aufdringlichen Brahmanen, die alles aus den zu ihnen Kommenden an vorhandenem Zaster herausziehen, sondern seiner ist ein stiller Ort, wo etwas geschieht, was ich mühelos als heilig erkennen kann. Sofort hat die Welt, wenn auch nur für mich, einen heiligen Glanz. Solange diese einfachen und kindlichen Seelen ihre Herzkraft in die Welt geben, ist das Heilige da. Auch für uns ist der Zugang nicht verschlossen. Aber an diesem Mann konnte ich sehen, wie weit und groß der Weg ist, und er scheint einfach, aber wie schwer ist er wirklich zu gehen! Nicht um Anbetung geht es, das ist ja auch nur eine der vielen Formen, sondern um die Klarheit und Reinheit des Herzens, das zeitlose und unsterbliche Gut.

Shamshan

Immer mal wieder kommt der Tag, wo es mich auf einmal drängt, zum Sham-Shan zu gehen. Ja, es ist der Ort, wo die Toten hingebracht und die Körper verbrannt werden. Aber es ist auch der Ort, wo ich einmal im Einst eine tiefgreifende Entscheidung getroffen habe. Bis dahin gab es keinen Zweifel in mir, dass ich in mein (gemietetes) Haus in Kathmandu zurückkehren würde, das angefüllt war mit Schätzen aus 9 Jahren Leben dort, aber es kam dann anders. Auf der Suche nach nichts war ich direkt in einem Juwel gelandet, einem Ort reinster Poesie, dem Konzept des göttlichen Schauspiels auf allen Ebenen gerecht werdend. Ich schrieb einen kleinen Zettel an die Freundin, die das Haus in Nepal gerne samt und sonders übernahm. Nach meinem öffentlichen Auftritt als Kali hier gab ich meine wertvollen Silberschmuckstücke zum Entsetzen der Brahmanen an Zigeunerinnen weiter und zog zum Sham-Shan. Mal sehen, wie das so ist bei euch und euren Göttern. Mehr von der Pike auf dafür gab es nicht. Wunderbarer, magischer Ort! Wunderbare, kostbare Zeit! Ein Banyan und ein Peepalbaum ganz nahe beieinander. Wir nannten sie die Freunde, die uns Schatten und Schutz gaben. Auf dem Bild oben sieht man die kleinen Häuschen, wo die Angehörigen sitzen und warten können, bis alles nur noch Asche ist. In eins der Häuschen zog ich dann ein, was heißt „einziehen“, da war ich dann, Beziehung zu Shiva aufbauend, das würde nun woanders hinführen…..
Gestern ging ich also dort hin, und sofort umfing mich die Stille. Es war wie ein Tor in eine andere Zeit. Es war weder die Vergangenheit noch die Zukunft, es war keine Zeit an sich. Überall schneeweiße Aschehaufen von Körpern, die kommen und gehen, in der Asche sieht man da keinen Unterschied mehr. Ich besuchte Josi Baba, der den Sham-Shan seit vier Jahren nicht mehr verlassen hat. Ich kenne ihn seit vielen Jahren. Er hat Lepra, nur noch halbe Finger und Zehen. In seiner Jugend hat er Philosophie studiert und gilt auch hier als wissensvoll, ja, weise. Ist er auch. Gelassen sitzt er da, schwer krank. Manchmal bringt ihm jemand was zu essen. Er ist hellwach und in seinen Augen ist es lebendig. Ich sitze einfach, sagt er, und höre den Vögeln zu….
Ich wandere noch etwas herum zwischen den Aschebergen und den riesigen Stapeln aus Holz, das außer dem Ghee (Butter), mit dem das Feuer genährt wird, das wichtigste Material am Sham-Shan ist.