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Ausgesprochen positiv finde ich die Nachricht, dass Olaf Scholz, Christian Lindner und Robert Habeck alle drei konfessionslos sind. Überflüssig die danach folgende Bemerkung, die Ampelkoalition sei deswegen nicht gottlos, was soll das denn bedeuten. Die drei sind gottlos, die anderen Vertreter der Parteien aber nicht? Nicht umsonst wird von Poeten und Poetinnen verlangt, ich weiß allerdings nicht von wem, dass sie sich zumindest zeitenweise mit den sogenannten ganz großen Themen befassen und Worte dafür finden, sodass andere Menschen sich dadurch angesprochen und unterstützt fühlen beim Aufbau ihrer Werteskala. Es bedeutet auch, dass man um die Auseinandersetzung mit Gott kaum herumkommt, so ist es auch mit der Liebe. Einer der tiefgreifendsten Sätze des sprachlichen Universums ist von Augustinus und lautet (amare et quod vis): „Liebe, und tu was du willst.“ Grandios einfach und schwer zu verstehen. Was für eine Liebe kann das sein, wenn man durch sie tun kann, was man will. Und was will man denn, wenn man das gute Schicksal hatte, anhand der eigenen Erfahrung unterscheiden zu können zwischen dem, was man für Liebe hält und dem, was sie ist. Denn vor allem sagt man über sie, sie könne nur in freiem Raum existieren und gedeihen, und wer will nicht an der Liebe festhalten, wenn sie des Weges kommt und viele wunderbare Dinge in einem bewegt und verursacht, die man nicht für möglich hielt. Und hat sie überhaupt eine greifbare Form, die auf einen zukommt und sagt „Ich bin für dich“ oder ähnliche Zauberworte, von denen man sich erhofft, dass sie die Flügelbreite besitzen, auf der man sich endlich niederlassen kann und sich zum besten Teil des Daseins wenden. Deswegen ist Gott vermutlich so populär, weil man gnadenlos und angstlos in seine Richtung powern kann, ohne dass sich Ermüdungsspuren zeigen. Und auch Mystik ist Macht, denn man kann das Göttliche oder was oder wen man damit verbindet, hautnah erfahren. Kranke werden zuweilen geheilt vom Unheilbaren, Blut dringt aus Jesuswunden, und Shiva , der Liebhaber/cum Yogi verwandelt im Wald für Parvatis Vergnügen alles ins Weibliche, eben damit sie sich erfahren kann in der Freude an sich, obwohl er natürlich der Auslöser des Ganzen ist. Wer will leugnen, dass das alles im unergründlichen Rahmen des Erfahrbaren seine Attraktivität haben kann. Auch kann man es nicht wirklich leugnen, denn inneres Sehen birgt viele Möglichkeiten, die man dann nicht mit der materiellen Welt vergleicht. Geht man aber rigoros weiter, ohne das Erfahrene ablehnen zu müssen, beginnen sich die Geschichten zu lichten. Als ich mich neulich genötigt fühlte, das Hindi Wort „Bhutkal“ zu übersetzen, erinnerte ich mich daran, dass Bhut (oder bhoot) Gespenst bedeutet, und Kal (oder kaal) Zeit, die Vergangenheit also als eine Gespensterzeit bezeichnet. Anders mit der Erfahrung, die wir persönlich mit etwas gemacht haben und die sich meist als Störungen bemerkbar machen, um die man sich günstigerweise kümmert. Ich habe mich sehr bemüht, vor allem nach der langen Zeit in Indien, ein Land, in dem von jedem Einzelnen einfach alles für möglich gehalten wird, zurückzuschauen in das, was ich einmal zu sein schien, oder mich noch immer erfahre als jemand, der daraus hervorgegangen ist. Aber es kann schon sehr gespenstisch sein oder wie in einem Spiegelkabinett, wenn überall Türen und Tore sich ins Unendliche hinausdehnen, gerade jetzt, wo ich einkaufen gehen muss, denn es ist Samstag, und auf der Liste stehen ein paar Sachen. Und wo ist denn nun schon wieder meine ausgeleierte Lieblingsmaske.
*Bild aus der FAZ, bearbeitet von U. Güdelhöfer