drauf achten

Wegen dem schönen Flow der Gäste war ich nicht zu meinen Pinseln und Farben vorgedrungen und fand es passend für den letzten Tag des Jahres, unvermeidlich wie er nun mal ist, gar kein Bild zu haben, als mir dieses ins Auge fiel. Es entsprach sofort der Nüchternheit, die ich an solchen Tagen in mir hege, wobei ich erst spät bemerkte, dass am oberen Rand etwas stand, nämlich: das Kleinste. Sofort ahnt man, dass das rechts unten damit gemeint sein könnte, wozu einem einiges einfallen könnte, was aber nicht sein muss. Ich sehe es eher als eine Straße, die irgendwo hinführt, das reicht ja auch erst einmal. Immer habe ich es gerne vermieden, am Jahresende zwanghaft darüber nachzudenken, was denn alles so los war, während ich an allen anderen Tagen des Jahres dafür bin, darüber nachzudenken, was alles so los ist. Auch kann ich mich selten bei einem Vorsatz ertappen, den ich hier im Angesicht einer vorwärtsrückenden Zahl besonders gerne formulieren möchte, wobei natürlich die neue Zahl einen tiefen Eindruck hinterlassen kann. Wow, die Reste der Unsterblichkeitsphantasien verblassen allmählich, und nun weiß man schon, hier wechsle ich zum Ich, weiß also schon, dass ich bestimmte weltumwandelnde Geschehnisse nicht mehr erleben werde, sowas wie ein grasgrünes, von lieben Menschen durchtanztes Erdreich zum Beispiel, das kann sich kurz mal jammerschade anfühlen, also alle dabei, nur ich nicht, aber gut: dafür braucht man an solchen Tagen die Stocknüchternheit, natürlich nicht ohne einen Schuß Bereitschaft zu Glanzvollem, wie immer es sich selbst ausdrücken möchte: in der Entspannung, im Planlosen, im Essen, in der Freiheit, ins Bett zu gehen, wenn man müde ist. Aber klar, meistens hält man dann ja doch durch. Hey, man war dabei, als einem klar wurde, dass wir nicht einmal ein gemeinsames Mitternacht auf dieser Erde haben, nein, überall bricht sich der kollektive Feuerwerksorgasmus zu anderen Zeiten Bahn, bzw. brach sich Bahn, denn Zündeln und Crackern ist dieses Jahr fast verboten. Auf jeden Fall gibt es Feuerwerkskörperverbotszonen. Natürlich möchte man keinen Bürgerkrieg, und man kann auch am 8.Januar noch hoffen, dass es irgendwelchen begabten Diplomaten gelingt, Putins Selbstherrlichkeit in Zaum zu halten, ohne dass das potente Bärenfell auf seinen russischen Schultern Schaden nimmt. Was fällt mir denn sonst noch Unnützes ein? Geradewegs ein Traum, der gar nicht so unnütz war, allerdings nur für mich, aber das darf am letzten Tag des Jahres ruhig mal so sein. Ich saß also tatsächlich in  einem Flugzeug nach Indien und fühlte mich höchst beglückt, ja, fast überrascht, dass ich es trotzdem geschafft habe. Meine Blicke fielen beim Hinunterschauen am Vordersitz auf ein paar Socken. Offensichtlich hatte der Mann seine Schuhe ausgezogen und ich wusste, dass es der zweite Mann meiner Mutter war, und freute mich riesig, dass er dabei war. Er lebt schon lange nicht mehr, aber das Gefühl war trotzdem authentisch, auch wenn etwas verspätet. Alles andere, was mir einfallen könnte, weiß eh jede/r: dass der Regierungswechsel auffallend friedlich verlief, dass Omikron sein Heereslager am Rand des Daseins aufgeschlagen hat und keiner weiß, ob er einrücken wird oder nicht. Und halt so weiter innerhalb der sehr individuellen Schicksale, in denen viel Schweres zu ertragen und tragen ist, aber auch viel Schönes und Strahlendes vor sich geht, und auf beiden Seiten muss oder kann man auf die Konturen achten, und natürlich auf sich und die Anderen.

… – …

…und werdet auf der Reise nicht verwirrt.
Erlaubt es keinem, das Fundament der Liebe
zu erschüttern. Vergesst nicht in dem
Zwielicht der Stationen, dass ihr niemals
geboren wart zu dienen dem Schattenreich
der Illusionen. Der Tanz des Lichtes wird getanzt
von freien Tänzern und von Tänzerinnen, die
sich erinnern an die Harmonie der Einsamkeit.
Dort horchen wir hinein und finden andere Gesetze
als die Gepflogenheiten. Hört! Hört doch hinein!
Hört auf die innere Stimme.

Die Lage

Wir müssen anerkennen, dass wir eigentlich gar nicht genau wissen können, in was wir da gerade drinstecken, denn meistens denken wir ja nach und nicht vor, wobei auch das Vordenken hilfreich sein kann, wenn angebracht. Nun ist aber seit dem Hereinpreschen von Omikron in die Seinslage gar kein Ende abzusehen von dem, was wir (noch) gar nicht wissen können. Und wenn es schwer zu bewältigenden Stoff gibt, den wir Menschen nicht verarbeiten können, entsteht Stau und Frustration und Verstopfung. Wer möchte schon die sorgsam zusammengefügte Lebensgestaltung plötzlich auseinander fallen sehen? Zwei Jahre Pandemie haben dafür gesorgt, dass das Gefühl sich ausbreitet, die Erwartung der Anfänge dieser gestörten Zeit könnten nicht erfüllt werden und die heiß ersehnte Normalität sich nicht mehr stabilisieren, wenn sie denn jemals stabil war. Nein, sie war eben gar nicht stabil, nur durch Gedankenstränge zusammengehalten und zu eigenen Konstrukten gemacht und für gesellschaftsfähig erklärt, halt so, wie man es selbst macht und denkt. Und nun naht sie, die große Herausforderung, wie man umgeht mit den neuen Vorgängen, mit denen man am wenigstens gerechnet hat. Gehöre ich zu einem Land, das besorgniserregende Infektionszahlen hat, ist zwar (z.B.) Reisen noch möglich, aber ganz sicher will ich bei aller Hoffnung, mal wieder nach Indien fliegen zu können, mich dort nicht gleich in eine Quarantäne begeben müssen, um die restliche Zeit mit Maske herumzulaufen. Denn aus jeder indischen Kehle höre ich eine andere Berichterstattung über das, was angeblich an dem Ort, zu dem ich will, stattfindet. Auch weiß ich, dass man das hier und dort den Winter nennt, aber das ist ja nicht so einfach, hier nirgendwo mit dem Auge im Draußen auf Schönheit zu treffen, da will man gar nicht mehr hinaus, was sehr ungesund sein soll. Drinnen hat man allerdings noch ein ordentliches Maß an Freiheit, eben u.a. auch, sich mit der stetig sich entfaltenden Realität in Verbindung zu setzen, soweit man sie eben realisieren kann. Das eine ist der Umgang mit dem eigenen Zustand, das andere die kollektive Befindlichkeit, das, was über den Äther auf uns einströmt, die Atmosphäre also, von der wir umgeben sind und die wir nicht anders erfahren können als durch uns selbst, wir selbst also als Kern und als Filter, immer alles gleichzeitig, eben einerseits draußen mit großer Teilnahme, und andrerseits zurückgezogen in den Eremit*Innenbehausungen, wo nun Freundschaften möglich sind, und die Einsamkeiten aufgehoben in flackernder Wärme. Wir können uns glücklich schätzen, dass kein Krieg um uns tobt, sondern eine Pandemie, um deren Zähmung an allen Ecken und Enden gerungen wird. Denn das Abenteuer hat uns ja nicht in einem Vorher erklärt, wie es aussieht, und in der Tat, es ist und bleibt voller Überraschungen, und wann geht es nicht um Leben und Tod?

 

belegen

Für mich ist die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr mit sehr positiven Erfahrungen belegt, und ich sehe sie gerne als eine Hängematte, in der es sich gut aufhalten und kontemplieren lässt. Froh bin ich auch, dass ich an keinem Postamt Schlange stehen muss, um Pakete zurück zu senden mit Dingen, die mir nicht gefallen oder gepasst haben, oder in Läden Gutscheine in Ware umwechseln, aber wer weiß, das alles kann ja auch Freude hervorbringen, vermute ich zumindest. Man glaubt nach so vielen Lebensjahren, die Menschen etwas zu kennen, aber so ist es nicht. Es ist gut, sich eine Bereitschaft zu erhalten, sich mit ihnen auseinander zu setzen, wobei das einiges Training benötigt. Auf der einen Seite möchte jede/r  einzigartig sein, was ja auch der Fall ist, aber was für eine Einzigartigkeit entwickle ich denn, wenn ich mich gleichzeitig jahrelang menschlichen Standards unterwerfe oder verpflichten muss, bis ich mir einen gewissen Prozentsatz an Selbsterkenntnis erworben habe und stabiler werde in meinem eigenen Denken und Sein. Man muss bereit sein für lange Strecken von Einsamkeit, bei denen der Wunsch nach Zugehörigkeit nicht erfüllt werden kann. Vor allem gehöre ich zu mir, und wenn diese Beziehung gut ist, wird auch die Beziehung mit einigen anderen Menschen sich gut entwickeln. Das Maß an Selbsterkennen bietet einen bestimmten Schutz gegen die Verführbarkeit…von geheimen Sehnsüchten, von ungestillten Hungerattacken, von fanatischen Meinungsverbohrtheiten, von einer geradezu unausweichlichen Abneigung gegen bestimmte Verhaltensweisen, über die wir gerne an uns selbst erschrecken können, was ja immerhin eine Schneise bildet zu potentiellen Veränderungen, wenn erwünscht. Aber auch da ist viel Scheitern, denn wir bewegen uns auf die Phase der Meisterprüfungen zu. Die spielen sich vor allem im Kleinen ab. Zum Beispiel möchte ich mich auf keine Diskussionen über Impfen oder Nicht-Impfen mehr einlassen, aber wird es mir gelingen? Ein Satz löst sich aus meinen Archiven und segelt auf mich zu. Er ist schön und brauchbar: Ich stelle eine Wache vor meinen Mund und behüte das Tor meiner Lippen. Ursprünglich bat wohl ein Mensch Gott um diesen Beistand, aber ich sehe nicht ein, warum ich das Tor meiner Lippen nicht selbst behüten kann. Es ist ratsam, öfters mal stocknüchtern zu sein in der Selbstbetrachtung, damit man sich rechtzeitig beim Gaukeln erwischt. Ansonsten hat mich ein Mord berührt, der am zweiten Feiertag in Hamburg passiert ist. Ein Mann erschießt sich, zwei Kinder im Alter von 11 und 13 Jahren, und die Mutter. Drei sind tot, die Mutter lebt und wird schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert. Bevor man sie ins Koma versetzt, fragt sie nach ihren Kindern, die gibt es nicht mehr. Wie kann es so einem Menschen gelingen weiter zu leben. Menschen überleben unvorstellbare Grausamkeiten, das reicht weit über ihre eigenen Vorstellungen hinaus. Wir alle kennen die Morgen, an denen es schwerfällt, ein heiteres oder wohlwollendes Gemüt zu produzieren, nicht, dass man muss. Man kann sich Zeit geben oder nachfragen, wie es einem geht. Aber nicht mit ermordeten Kindern, oder geschlagenen Frauen, oder tiefschürfenden Verletzungen, die nicht mehr heilbar sind. Man kommt um das Nachdenken, wer man in diesem Leben sein möchte oder kann, nicht herum. Wer soll einem helfen?

27. Dezember


Die Nachbesprechung
Natürlich ist das beklagens -bzw. bedauernswert, wenn solche emotional geladenen Festivitäten wie Weihnachten wieder einmal an einem Wochenende landen und der Alltag zu schnell  einbricht, wo es doch eine ideale Zeit ist zu bedenken, was man bedenken oder endlich mal nicht bedenken möchte. Letztes Jahr hatten wir eine schwierige Situation zu bewältigen, da einer unserer eingeladenen Gäste anrief und uns informieren wollte über seine plötzlich aufgetauchte starke Erkältung, worauf wir uns entschieden, eher nicht zu treffen, da u.a. unsere Einstellungen zu Impfstoffen sehr unterschiedlich sind.  Es verursachte einen milden Freundschaftsklacks oder Klecks, der noch nicht ganz verschwunden ist, aber vermutlich ist es noch zu reparieren. Es waren zwei vom Nicht-Impfen Überzeugte, die inzwischen Covid hatten und sich zu den Genesenen zählen dürfen. Klar, das kann man auch machen, nämlich sich dem Virengetümmel aussetzen, durchwandern und dann so tun, als wäre nichts gewesen, wenn das System das mitmacht. So zeichneten sich die diesjährigen Tage aus durch Abwesenheit von Erwartungshaltungen, das kann man nur empfehlen. Je weniger Erwartungshaltung, desto erfreulicher die Möglichkeiten, die in solchen Stunden verborgen liegen und sich nur allzu gerne dem Möglichen erschließen. Durch die leicht angehobene Stimmung ergibt sich eine Bereitschaft, etwas von sich dazu zu geben, ohne dass man auf verpackte Geschenke, unter Stressbedingungen ergattert, ausweichen muss. Trotzdem spürt man, egal, wie man es spielt, dass man einer gewissen Ladung von Emotionalität nicht ausweichen kann. Die Luft ist ja voll von Dingen, die Menschen unbedingt glauben möchten, obwohl sie an Absurdität kaum zu übertreffen sind. Und selbst wenn so etwas im kosmischen Rahmen des Spiels möglich wäre, dass z.B. ein Gott sich entscheidet, herunterzusteigen von himmlischen Höhen, um in ärmlichen Verhältnissen zu erscheinen, damit keiner sich übergangen fühlt, so hat es auf jeden Fall nicht als gutes Beispiel gedient, sondern das Immer-mehr-wollen hat sich locker durchgesetzt, und trotz allen Gegenbewegungen hat sich bis heute daran wenig geändert. Man muss es ja, auch ohne Gott und Jesus und Buddha usw, überhaupt für möglich halten, dass es für praktisch jeden Menschen eine Gelegenheit gibt, aus sich selbst d e n Menschen herauszulösen, den man in sich spürt. Eben den, den man unbedingt zur Blüte bringen möchte, zumindest soweit es einem gegeben ist, diese Vision als real zu betrachten. Wer und wie kann man sein? Man muss sich verstehen lernen und Ordnungen herstellen in den geistigen Archiven, die für einen selbst nachvollziehbar sind, damit man sich nicht mit den Instrumentarien identifiziert, sondern dass es um das geht, was sie als Klang hervorbringen können. Letztendlich ist man ja nur eine ganz bestimmte Energie, die sich durch die Matrix bewegt und  ihr Seins-und Aktionsfeld entweder ausdehnen oder reduzieren kann. Ich sehe das auch so, dass die Akzeptanz der Fremdheit als das vorherrschende Phänomen unter Menschen eine befreiende Wirkung auf uns alle haben kann, sodass die innere Substanz, mit der wir umhergehen, sich lichtet und beweglich werden kann. Denn es ist doch so, dass ich sein kann, wer ich bin und mich in letzter Konsequenz nicht trennen kann von dieser Bestimmung.

Christina Thürmer-Rohr

Die Welt mit anderen teilen – an.schläge – Das feministische Magazin

Ordnung ist tröstend, sagt die Ideologie: eine Ordnung, die das Eigene normalisiert und das Fremde als diffusen Rest fremd hält, eine Ordnung, die Wert und Unwert zweifelsfrei zuteilen und das  Fremde im Außen lokalisieren will. Aber wo ist außen? Alle Praktiken, Fremdheit herzustellen und die Distanznahmen zu legitimieren, alle Versuche, Fremdheit zu stigmatisieren, alle Abwehr äußerer Fremdheiten und alle Irritationen über innere Fremdheiten: sie alle spiegeln eine Scheinordnung, die ein Trost für eine Norm ist, die es nicht mehr gibt, und ein Gift für alle, die von diesem Trost nichts haben.

In einer globalen und multipler werdenden Welt erweitern sich die Erfahrungen mit dem Eigenen wie mit dem Fremden, dem Fremdsein im Eigenen, dem Eigenen im Fremden und den Fremden in der Fremde. Das Fremde ist überall und überall sichtbar. Unsere Verstehensversuche können zwar nicht Einverständnis und Übereinstimmung garantieren, aber sie werden zu einer nicht endenden Tätigkeit, zum Ausdruck jener Unruhe, die einen Zugang zur Welt, vielleicht eine Anfreundung mit der Welt sucht. Die Grenzen des Verstehens sind damit mehr als nur vorübergehende Verunsicherungen.  Sie deuten auf eine grundsätzliche Fremdheit hin, eine existentielle Erfahrung, eine menschliche Grundverfassung. Das Fremde wird zum Anwalt der Realität. Würden wir beherzigen, dass wir Fremde unter Fremden sind, verlöre die Fremdheit ihre stigmatisierende und ihre einschränkende Bedeutung. Wenn alle sich als Fremde erkennen, kann Fremdheit zu einer Form von Freiheit werden.

Die gute Nacht

Bertolt Brecht

Bertolt Brecht | Spotify

Als der Krist zur Welt geboren wurd
War es für seine Mutter eine schwere Geburt.
Es kam auch überraschend schnell
Und da war kein Geld da für ein Hotel.
Maria setzte sich auf einen Stein
Und Josef lief herum sich das Geld ausleihn.
Da kam er aber übel an
Denn wer leiht einem Arbeitsmann?
Sie fanden am End mit knapper Not
Einen Bauern, der ihnen seinen Stall anbot.
Dann aber wandte sich das Blatt
Und alles ging plötzlich merkwürdig glatt.
Eine Kiste stand da, das gab einen Tisch
Und der Knecht brachte heimlich sogar einen Fisch.
Den trug er unterm Rock, dass es niemand sah.
Und plötzlich stand die Magd mit einem Strohbüschel da.
Damit konnt man, wenn man nur sparsam verfuhr
Die Ritzen zustopfen zwischen Haustür und Flur.
Die Kühe schnauften schwer und voll
Was einen Raum ja warm machen soll.
Das Licht war anfangs etwas schwach
Doch dann schien der Mond durch ein Loch im Dach.
So wurd es noch ganz behaglich. Je nun
Mehr konnte die Welt für den Krist nicht tun.

aufmerksam

Da eines Tages das, was sagt, sagte,
hörte ich aufmerksam hin, und siehe,
es war ganz nahe, so nahe, dass ich,
die ich da war, es erkennen konnte,
und wohl, weil es wollte, und weil
auch ich wollte, es sich zutraf, dass
die Netze, die in den Ätherstrassen
ausgeworfen dahinweben, mich im
Stromkreis des inneren Wortes auf-
nahmen, welches ohne Begrenzung
und nicht, wie man denkt, sondern
ganz so, wie man nicht denkt, wirklich
ist, denn es formt sich heraus aus
dem ersten und letzten Sichtbaren,
welchem viele Namen gegeben wurden
und werden, von dem aber alles
herausgezeugt und gezeigt wird, in
dem  auch hilfloser Spirit herumirrt,
mit goldenem Kelch belastet, und am
Ende, welches natürlich der Anfang
ist, alle Ideen eingehen und heraus
aus dem An-sich-Heranziehen, wo er
sie sein nennt, doch aber viel lieber
das, was er nicht herangeholt hat, als
seines erkennen würde, was dann
nicht mehr zugänglich ist, sondern
allein durch allerlei Methoden auf
Laborebene nun Schlüssel geformt
werden müssen, die vom „Genug!“
ihre Einengung so erfüllt sind,
dass nur eine einzige Drehung alles
zur Weite führt, und dieser Schritt
ist ein ganz alter Schritt, der hat
das Universum als seinen Altar, auf
dem steht das innere kosmische Paar
in aufgehobener Zweiheit  als eins
sich formierend, vom schützenden
Ring des Bewusstseins gehalten.

 

 

wünschen

Ich hatte nicht im geringsten versucht, mich in christliches Denken zu versenken, aber wer um diese Zeit herum zur (teuren) Goldfarbe greift, darf sich nicht wundern, wenn Verbindungen hergestellt werden. So ist es nun ein Ausschnitt eines vermasselten Bildes, das, weil Weihnachten ist, hier herumhängen darf, ohne dass die Figur gleich der jugendliche Heilige sein muss, überwältigt von Ursymbolen. Als Kind hatte mich mal der Gedanke ergriffen, man müsste arme Menschen einladen an den reichlich gedeckten Tisch, aber meine Mutter konnte sich für die Idee nicht erwärmen, vielleicht fand sie es schwer, an Arme heranzukommen. Oder vielleicht wollte sie einfach nur ausschlafen, eine kollektive Sehnsucht sehr vieler Menschen: einfach mal ausschlafen nach all diesen Endspurten, die Menschen vor ihrem letzten Endspurt packen können, damit sie noch alles hinkriegen, was sie von sich verlangen. Gar nichts von sich zu verlangen, ist natürlich auch keine Lösung. Nein, man kann aber entscheiden, was für eine freiwillige Anstrengung in Frage kommt. Wer möchte schon (und tut es doch) in einem Laden sich bewegen unter vielen anderen Maskierten, die entweder eine Liste in der Hand halten, weil es zu viel zum Erinnern ist, was da drauf steht, oder aber wissen, was sie wollen, weil das einfach zum eigenen Haushalt gehört. Der eine entscheidet sich für Bruderhühner, der andere für Schwesterngänse, ein dunkles Witzlein, weil ich eigentlich gar nicht weiß, wie viele Tiere extra für Weihnachten tot sein müssen, aber ich denke, es sind mehr, als ich denken möchte. Natürlich können die geballten Wünsche sich nur umsetzen, wenn die Lieferketten wieder ordentlich in Gang kommen, sonst muss der Gutschein her, ein trostloses Geschenk, mit dem kein Kind wirklich glücklich sein kann., auch keine Erwachsenen. Eigentlich lohnt es sich in so einer weitgeöffneten Wunschsphäre, darüber nachzudenken, was man sich wirklich wünscht, also einen einem selbst authentisch vorkommenden Wunsch zu formulieren, den man sich selber abnimmt. Da hilft es auch nichts, wenn wie ein Stehaufmännchen der Satz aus der Bhagavad Gita erscheint, der meint, dass die Weisen (wer immer das gewesen sein mag) das Entsagen  des Wunscherzeugten d i e Entsagung nennen, die sie als befreiend empfanden. Nun geht es beim Heranrauschen so eines Festes nicht um Entsagung, sondern um die Gestaltung dessen, was man selbst nicht nur für erträglich hält, sondern für förderlich und notwendig, damit man nicht unversehens in den falschen Korridor der Zwergenwelt einbiegt, wo die Kargen und Glanzlosen wohnen. Erfreulich fand ich die Nachricht einer zum Zuhören ausgebildeten Gruppe, die sich in der Stadt durch ein Symbol zu erkennen geben und nur dafür gekommen sind, Anderen zuzuhören. Eine der Frauen fragte einen jungen Fremdling, wie es ihm denn so ginge um diese Zeit, und er erzählte, wieviel Heimweh er hätte, und wie warm es zur Zeit in seinem eigenen Land sei. Aber gut, meinte er, wahrscheinlich gewöhnt man sich daran. Gerne vergisst man, wie hilfreich es ist, einfach etwas sagen zu können, ohne dass es kommentiert wird oder wir denken, jemand sagt es, damit wir unseren Senf dazu geben. Manchmal ja, manchmal nein. Das alles sind Einzelteile eines großen Kunststückes, dessen Fertigstellung und Auflösung permanent ablaufen. Und wir wissen von Beuys, dass alle Menschen beteiligte Künstler*innen sind, aber Achtung!, Reisende/r: nicht alles ist Kunst.

eben

WiffleGif

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Animation ist von James Kerr, der unter dem Namen „Scorpion Dagger“ veröffentlcht. Ich habe ihn im „Zeit Magazin“ entdeckt und erfreue mich gerade an der kleinen Auswahl meines Weihnachtsprogramms, das sich sozusagen von selbst gestaltet. Das Lied „Der Weihnachtsmann ist eine Frau“, das ich am vergangenen Sonntag „gepostet“ hatte, hörte ich einen Tag vorher unterwegs im Radio bei „Satire Deluxe“, eine oft ziemlich erheiternde Beilage zum Einkaufsevent. Niemand weiß genau, wo der Ernst, sofern vorhanden, aufhört und der Zugang zum Humor, sofern vorhanden, freigelegt ist. Jede/r möchte gerne eine heilige Ecke in sich bewahren, in der es keinen korrupten Handel gibt mit Ware und Gefühl, aber dann wiederum kann man mit einem nüchternen Blick so viel Ungeheures unter Menschen wahrnehmen, dass ein Durchbruch ins Absurde eine heilsame Wirkung haben kann. So schlendere ich also entlang und schaue einfach, wie sich alles mit mir und ohne mich gestaltet, zum Beispiel die Eisblumen am Fenster. Es soll ganze 8 Stunden Sonne geben. Um sie nach so langer Zeit angemessen zu begrüßen, muss ich irgendwo in eine höhere Lage fahren oder gehen, denn flach bewegt sie sich hinter den Bäumen entlang, aber kein Zweifel: sie ist es, auch wenn allerorts geraten wird, sich mit D3 Vitaminen zu boostern, damit man nicht unterbelichtet wird. Ansonsten läuft alles ganz gut, der Regierungswechsel ist wohl mit einiger internationalen Verwunderung abgelaufen, vermutlich weil es dann doch sehr lange dauert, bis man einem Volk, das in großer Übereinstimmung ein paar Millionen Menschenleben vernichtet hat, wieder authentisch friedliche Handlungen zutraut, oder zumindest einen Willen dazu. Leider hat man als Bürgerin nicht genug Macht, um bestimmte Herren von ihrem Amt abzuhalten, denn irgendwer wählt sie. Herrn Lauterbach zum Beispiel finde ich geradezu unheimlich, was natürlich jedem passieren kann, dass er oder sie als unheimlich wahrgenommen wird. Er soll sehr beliebt sein, weswegen Olaf Scholz nicht drumherum kam, ihn einzubinden. Das kann mir so schnell niemand erklären. Vor allem soll man sich ja selbst trauen, und die Weihnachtszeit ist eine ebenso passable Gelegenheit dafür wie Ostern oder überhaupt jeder Tag im All dafür eine gute Gelegenheit ist. So kann man sich in den Feiertagen einen kleinen Omikron schnitzen und ihn unauffällig zu den Hirten stellen, ihn sozusagen einbinden in einen hochangelegten Verlauf bei simpelster Ausstattung. Man kann sich darauf verlassen, dass es in allen Religionen schon erhabene Prophezeiungen gibt, warum eine Seuche über die Welt fegen muss, damit sie erwacht, vielmehr die Verursacher*innen innen erwachen und zu einer Umkehr bewegt werden können, immer wieder aufs Neue, denn man gewöhnt sich an alles. In einem Gerichtsprozess, den ich mal gesehen habe, wurde eine 20-jährige junge Frau zu lebenslang verdonnert. Sie war guter Dinge und machte Pläne, was sie dort alles beitragen könne in der Zukunft. Das Leben ist mächtig, und im Verhältnis zu denen, die den Planeten verlassen möchten, wollen die meisten doch hierbleiben und an diesem einzigartigen Abenteuer teilnehmen, koste es, was es wolle. Die Preise können verdammt hoch sein, und wie man weiß, fühlte selbst Jesus am Kreuz sich verlassen. Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Aber halt, ich presche voran. Wenn man bei den Gebeinen im Kölner Dom beginnt, kann man keine Könige mehr auf Reisen schicken. Eben.

Endspurt

Schön, wenn man es sich leisten kann, an einem „Endspurt“ nicht teilzunehmen, hier ist natürlich der Weihnachtsendspurt gemeint. Haben Sie schon das richtige Geschenk gefunden? Nein, denn ich habe gar nicht danach gesucht. Auch wenn sich zuweilen eine Schulter unter meiner Handführung zum Engelflügel wölben möchte, widerstehe ich, wenn auch nicht zu erfolgreich, und lasse es baumeln, wo immer es hin möchte. Ich weiß dann selbst nicht so genau, ob das Wesen sich an einer großen Zitrone festklammert, um nicht ins Dunkel der Nacht zu sinken, oder ob ein im Wasser gleitender Herold die angemessenen Texte vom zeitlosen Pergamentblatt verliest, jenseits vom lauten Rauschen der Pandemie, die die Erde zur Zeit im Griff zu haben scheint, und nicht nur scheint. Ein neues Scheinen unter neuen Ordnungen. Beflügelte bahnen sich einen Weg durch den Weltraumschrott und halten Ausschau nach sicheren Orten für ihre Posaunen und Trompeten. Zum Glück laufen bei uns noch die Kulturprogramme, da findet sich sicher eine Möglichkeit. Es ist ein wahres Wunder, dass die irrsinnigsten Geschichten, die das kollektive Gehirn hervorgebracht hat, immer noch Anlass geben für weltbewegende Veränderungen. Kurz vor den Nachrichten erwische ich mal wieder die letzte Minute des Pfarrerbeitrages, der sich riesig freut über die Ankunft des Heilandes. Immer sei der da, meint er, das dürften wir nicht vergessen. Ich darf und kann es doch nicht so ganz, aber schon besser. Geht es mich überhaupt etwas an? Und geht es irgend jemand anderen etwas an, wenn die Kirchenglocken für mich nicht süßer klingen zur Weihnachtszeit. Süßer die Locken nie schwingen, habe ich früher gerne gesungen, das trägt genauso viel Tröpfchen Wahrheit in sich wie alles andere. Und weil es hier emotional gesehen kaum Fluchtwege gibt, muss oder besser kann man sich einen eigenen Weg bahnen, der weder bemüßigt ist, sich in Ablehnung des einem gänzlich unwirklich Vorkommenden zu verstricken, sondern man schwingt irgendwie mit, indem man das Eigene erörtert. Der sogenannte Weihnachtsendspurt hat ja herzlich wenig zu tun mit einst heiligen Dingen, sondern der Erhalt der wirtschaftlichen und der persönlichen Lage hängt davon ab, wie vielen Menschen es gelingt, ihren Mitmenschen Gekauftes zu offerieren. Gleichzeitig läuft der eigentliche Sinnesrenner an vorderster Front, nämlich die Antworten auf die Frage, was an solch gehypten Tagen gegessen wird, und dann getrunken, denn beides sind exzellente Füllprogramme, die die wirklich brissanten Themen locker ersticken können. Denn hat man weit über die eigenen Vorstellungen hinaus vom ganz besonderen Nahrungsangebot zu sich genommen, breitet sich die berühmte Weihnachtsschwere aus, aber halt!, das alles muss ja nicht sein, wenn gut ausbalanciert mit etwas anderem, über das man noch nachdenken kann. Oder sich einfach entspannt dem öffnen, was auf einen zukommt, so wie halt sonst auch, nur mit mehr Kerzen und Lebkuchen und Walnüssen und Feigen und Datteln und Orangen und Marzipan usw. Und ja, so ein Gläschen Glühwein ist einfach was Angenehmes, und dass es in dieser Welt immer noch genügend Holz gibt, mit dem man ein prasselndes Feuer entfacht, kann aus dieser Dankbarkeit heraus das Innere durchaus auf Hochglanz polieren.

 

wundern

 
Das Irgendwo im Nirgendwo
Bitte füllen Sie die fehlenden Buchstaben ein. Nein nein, ein Scherzlein. Als ich das Bild aus dem fahrenden Auto knipste, kamen wir aus einer raren Filmvorführung über den Psychiater R.D.Laing, die einem ermöglichte, mal wieder die Wirkung von etwas, was einen interessierte und was man gerne zuließ, als direktes Phänomen zu beobachten. Laing gründete an einem bestimmten Moment seines Werdegangs eine Wohngemeinschaft von schizophrenen Patienten und Patientinnen, die er davor bewahren wollte, eingeliefert zu werden, und lebte mit ihnen. Er war ein Freund des „Living Theatre“, in dem ich damals arbeitete und lebte, und ich kann mich an einige sehr herausfordernde Gespräche mit Laing erinnern, als er in Marokko ankam, um uns zu besuchen, während wir ein neues Stück probten. Auf seine Einladung hin flog ich irgendwann später nach London, um mir diese Situation anzuschauen,und kann mich erinnern, dass ich ziemlich erschrocken war über die dort herrschenden Zustände einer entgrenzten Freiheit dieser Leidenden, an deren Ausflügen in die Außenwelt alle Mitmenschen der Gegend sich beteiligen mussten. Wahrscheinlich war es auch für sie interessant, mitzubekommen, was man andrerorts nicht für normal hielt. Für normal hält man ja meistens, was man aus sich selbst gemacht hat, wobei das ziemlich abweichen kann oder auch muss von allem anderen, mit dem man es abgleicht, bis man einen eigenen Weg eingeschlagen hat oder aber die allgemeinen Kriterien für sich selbst annimmt und als stimmig empfindet. Es gibt kaum eine Gesellschaft, die Menschen ermöglicht, genug Raum und Zeit zu haben für das, was sie wirklich als ihren eigenen Weg empfinden, und so gehört es zum Alltag der Gesellschaften in den verschiedenen Kulturen, dass Menschen aus dem Raster fallen und sich nicht mehr einordnen können in das Drama, das ohne sie abläuft. Aber die Geschichte ist ja auch keine gesunde Geschichte. Es gibt überhaupt keine gesunden Geschichten, oder vielmehr: was i s t eine gesunde Geschichte. Man geht irgendwo hin und bekommt sogar mühelos eine Lücke auf dem Frauenparkplatz. Nicht die Maske vergessen, auch nicht das Handy, auf dem die Impfdaten gespeichert sind, und den Personalausweis, damit die Bedienung erkennen kann, ob man das auch wirklich ist. Man ist froh, dass man es ist und kann weitergehen. Vor dem Film hatte schon alles einen, allerdings eher angenehmen Hauch von Irrealität, man hat sich ja daran gewöhnt, nur noch Maskierten zu begegnen, das läuft wie am Schnürchen. Aber nach dem Film kam noch etwas hinzu. Es wurde einem klar, wie leicht der Aufbau des Daseienden einem vorkommen kann wie der pure Wahnsinn. Obdachlose leben ihr Leben genau so wie die HeimkehrerInnen aus der Philharmonie, die aus dem Untergrund hervorquellen, vielleicht noch eine Note Bruckner im Ohr. In der Weihnachtszeit hört man gerne von Wundern (oder auch nicht), aber unleugbar ist, dass es ständig da ist. Wir leben in einem selbstgebastelten Wunder, und niemand weiß, ob es daraus ein Erwachen gibt. Oder weiß man es doch?

wieder…

Da ist sie nun also wieder, die Weihnachtszeit. Online-Geschenk-Bestellungen stehen noch höher im Kurs, Geschäftsleute verlegen das Beten auf die Eingangstür ihrer Läden, ob auch genug kommen werden und kaufen und sicherstellen, dass Wünsche umgesetzt werden. Man kann das natürlich auch alles anders machen, aber vielleicht kann man es gar nicht, denn wie soll das gehen. Bei uns im Haus gibt es die Idee und ihre Umsetzung, dass alle finanziell etwas beisteuern, und mit dem Beigesteuerten ersteht man etwas Gemeinsames, das erleichtert schon einiges. Dieses Jahr gibt es auch keinen Baum, wir haben das Geschenk unseres Grafik-Kunden dankend abgelehnt, er zieht Bio-Weihnachtsbäume heran. Zum ersten Mal habe ich allerdings verstanden, warum der Tannenbaum so geehrt wird, na, weil er nicht nur zur Sommerzeit grünt, sondern auch im Winter, wenn es schneit. Er steht also für Lebensenergie das ganze Jahr hindurch, weswegen er und die vielen anderen dann gefällt werden und in den Räumen herumstehen, bis man sie wegwerfen kann, „mission accomplished“. Hat man allerdings eine heilige Familie zur Hand, passt die natürlich herrlich unter die Tanne, haben wir aber nicht. Eigentlich bleibt einem nichts anderes übrig, als den Rahmen zu erschaffen, der einem entspricht. Das heißt noch nicht, dass inmitten dieses Rahmens eine Substanz sich formiert, aber immerhin hat man dann ein Spielfeld. Das Wort „man“ bezieht sich hier auf Menschen, die keine oder schon erwachsene Kinder haben und wählen können, wie sie ihre Zeit verbringen, ohne sich unnötigem Druck auszusetzen. Man muss sich mal überlegen, wie lange wir schon in einem Frieden leben, den sich davor keiner mehr vorstellen konnte. Davor eben, als Krieg war und kein Licht mehr schien in der Nacht, nur noch Asche. Jetzt glitzert alles wieder, die meisten Menschen in diesem Land haben genug zu essen und können ihr eigenes Leben gestalten. Wissen die meisten Menschen, dass sie ihr eigenes Leben gestalten können? Wenn die Grundbedürfnisse gedeckt sind, kommt nicht automatisch die Substanz dazu. „Was gibt dem Leben Sinn“ kann man auf der neuen Titelseite der „Zeit“ lesen. Hat es denn keinen? Und ist das vielleicht das wahrlich Beängstigende, dass es unter Umständen tatsächlich gar keinen hat, also keinen fixierbaren Sinn, ein letztes Erklärungsangebot, eine letzte Fassung des Wahren, statt immer nur Vorletztes zu sein, hinter dem noch was herkommt, was wieder Fragen aufwirft, die einem uralt vorkommen, bis man sie brandneu erlebt. Hauptsache, man denkt nicht nur ans Essen, nichts gegen gutes Essen. Was nennen wir gutes Essen? Das ist alles nicht mehr so einfach zu benennen, aber immerhin kann man es kaufen. Inhalt hat ja mehr mit dem zu tun, was man nicht kaufen kann. Man kann sich auch nicht freikaufen von Ritualen, die einem nichts mehr bedeuten, nein. Erfinderisch könnte man an die Sache herangehen und aufmerksam beobachten und wahrnehmen, was sich so tut unter Menschen, mit denen man in Kontakt und Berührung kommt. Um was geht es uns und kann man es finden. Bei einem bestimmten Grad an Liebesfähigkeit fallen die Sorgen weg, man kann sich zutrauen, eine authentische Einstellung mitzubringen in das Wasauchimmer. Wenn man nicht zu viel Sinn hineinpackt, kann es doch gar nicht wirklich schiefgehen. Und was bedeutet schon „schiefgehen“ im Gegensatz zu: es ist, wie es ist.

Hallo Fremdlinge!

 

Heute hörte ich im All einen Schrei.
Es war ein Kind. Es war natürlich ich,
das Kind, das schrie, und ich das Ohr,
das hörte. Noch nie hörte ich hier
im All so einen Schrei. Oder höre ich
den Schrei nur heute. Oder ist das alles
nur noch ein einziger Schrei, der von
denen gehört wird, die hören?
Da hörte ich weitere Stimmen. Als sie
näher kamen, hörte ich diese Stimmen
„Hallo“ sagen. „Haaallooo“ riefen die
Stimmen. Es waren Kinderstimmen.
Dann sagte eine Erwachsenenstimme
etwas. Daraufhin sagten die Stimmen
im Chor „Hallo!“ Und „Haalloo, Fremdlinge!
Hallo! Ihr da! Hallo Fremdlinge!“
Da konnte ich nicht mehr zurückhalten.
ich fühlte mich angesprochen. Ich rief:
„Hallo! Ihr da! Hallo!“ Da war ich froh.
Zwischen uns lagen zwar Grundstück
und Baum, aber in Wirklichkeit lagen
auch sie nicht zwischen uns.

endgültiges Anders

Im indischen Zeitenkreislauf gibt es tatsächlich eine positive Veränderung, wenn der Zeiger die Zwölf durchquert. Das Problem ist, dass niemand weiß, wie lange die geistige Umnachtung der Menschheit andauert, die man vor Zwölf vermutet, nein, nicht vermutet, sondern voll drinsteckt in ihren Ausläufern und Kanälen und Täuschungsmanövern. Denn selbst der Dunkelste unter uns, wenn es ihn denn nun gäbe, bräuchte ein Spielfeld, um sich und die mitgebrachte Last des Schicksals auszudrücken. Nun kann bekanntlich auch ein großer Druck  positive Auswirkungen haben. Man erwähnt im Orient gerne den Diamanten, aber zu diesem Hochdruck gehört auch das Geborenwerden, und eigentlich kann auch dieser Druck nur weichen, wenn die Ereignisse um das monumentale Geschehen so günstig wie möglich sind. Oft sind sie es nicht, und wir können davon ausgehen, dass da draußen mehr Verwundete und von Geburt an Geschädigte herumlaufen, als wir uns vorstellen möchten, können wir uns doch zuweilen unsere eigene Befindlichkeit unter den gegebenen Umständen kaum vorstellen. War ich trotz der dramatischen Lage gewollt, freute sich jemand über meine Ankunft undsoweiter, hinein in die Fragen, die wir uns immer wieder stellen, und weiter voran in die mögliche Freiheit einer eigenen Gestaltung, wenn einige Gesetzmäßigkeiten der Dramaturgie erfasst sind und der Wille zur Selbstgestaltung sich durchsetzen konnte. Allerdings heißt das Weltgefüge nicht umsonst „Drama“, denn wahrlich dramatische Dinge geschehen hier, die einen unaufhörlich zum Nachdenken anregen können, ahnt man nicht irgendwann, dass man selbst einmal ein Ende des Spiels bedeuten wird, während die Anderen weiterspielen. Daher bin ich der Pandemie auch zuweilen dankbar, nämlich (und nur als ein Beispiel) dass sie uns auf vielfache Weise über den Rand des Tellers schauen lässt, denn am Tellerrand kann man gemütlich entlangwandern in der Vorstellung, man käme zügig voran. Doch wenn dieser Sicherheitsgurt, als stetige Wiederholung des Gewohnten, einmal wegfällt, umgibt uns auf einmal die abgründige Tiefe dessen, was schon immer drumherum war. So entsteht wie von selbst durch den Druck dieses Schreckens, in das vollkommen Unbekannte geworfen zu werden, eine Gegenwehr. Auf einmal wollen ganz viele Menschen wissen, was denn eigentlich los ist, bei sich oder im Haus oder im Land oder in der Welt überhaupt. Ist etwas entgleist? Kann das, was geschehen ist, wieder heilen? Alle sind betroffen. Alle Räder der von Menschen konstruierten Maschinerie laufen auf Hochtouren. Ein Notfall ist eingetroffen, an dem alle beteiligt sind, und alles Lebendige will leben, solange es kann, das gilt auch für Viren. So taucht auf einmal aus dem Nebel des Ungewissen die dringliche Frage nach den Veränderungen auf. Muss ich oder will ich überhaupt und kann ich denn selbst etwas verändern? Vor allem da, wo mir das Vorgefundene unverrückbar schien oder noch scheint, bis endgültiges Anders eintritt. Wenn also etwas geschieht, was durch nichts mehr zu leugnen ist, und wenn diese durch Erkennen entstandene Klarheit sichtbar im Raum steht, dann ist Veränderung möglich, natürlich auch sie nur unter eigenen Bedingungen.

denken


Das erwachende Auge der Hippeastrum
Man darf sich ja freizügig und uneingeschränkt wundern, dass allen Menschen erwiesenermaßen ständig etwas im Kopf herumgeht, ohne dass der bewusste Zugang dazu gewährleistet ist. Dieses herumirrende Etwas, dass das Innere von Köpfen gerne begleitet, kann man nicht unbedingt Denken nennen. Vielleicht kann man dadurch unterscheiden, wenn man „es denkt in mir“ sagt im Gegensatz zu „ich denke“.  Wenn ich denke, ist es schon immer an etwas geknüpft, das gilt auch für oberflächliches Denken. Oberfläche jetzt im Sinne der Weltwahrnehmung: alles was ich denke, wenn ich was sehe oder höre und mich damit beschäftige. Wenn ich ein Reh im Garten sehe, kann ich anfangen, über Rehe nachzudenken, weil es sich durch das Bild angeboten hat. Und entdeckt man eine gewisse Freude an dieser Forschung, kann man ja auch was lernen. Allerdings kann man sich durch Weltanschauung auch ständig ablenken von dem, was  ich eigentlich denke. Dazu muss ich wissen, ob ich „eigentlich“ überhaupt was denke, also etwas, was aus meiner eigenen Quelle kommt und direkt mit meinem Bedürfnis oder noch besser mit meiner Gewohnheit gekoppelt ist, mit mir und meinem Denken verbunden. Also zu wissen, was mich beschäftigt und bewegt, und ob mir dieses Denken, in dem ich mich bewege, überhaupt gut tut oder meine Befindlichkeit eher beunruhigt. In Indien gab es oder gibt es vielleicht noch in den geistigen Schulen eine Überzeugung, dass man es schaffen kann, das Denken zu lassen und gerade dadurch in den Raum des Seins einzutreten. Einen Nu lang kann einem das absolut einleuchten, vor allem, wenn man beides zur Verfügung hat, eben das Denken und das Nicht-Denken. Ich habe auch in Indien niemanden getroffen, der diese exzellente Balance erreicht hätte. Sri Aurobindo, einer der großen indischen Philosophen, erzählte, dass sein Mentor ihn eines Tages aufforderte, das Denken zu lassen, und vermutlich hat er ihm auch den Trick verraten, den man selbst ausprobieren kann. Man konzentriert sich also nicht auf die Worte, sondern auf die Lücken dazwischen, auf die leeren Zwischenräume, die man dann durch Übung erweitert, bis man es eben schafft, keine Worte mehr zu denken. Aurobindo hat sich angeblich sofort an die Arbeit gemacht und behauptet, es in drei Tagen mühevoller Konzentration geschafft zu haben. Zweifellos war ihm diese Yoga Übung behilflich, später seine philosophischen Werke klar zu vermitteln, zumindest verständlich für Interessierte oder Praktizierende oder Eingeweihte. Es ist von unermesslicher Bedeutung, mit was ich mich gedanklich befasse, denn das ist der andere Weg, Klarheit in die eigene Gedankenwelt zu bringen: man konzentriert sich auf sie, will sie kennenlernen, sie herauslocken aus ihrem affenartigen Herumstreunen, und kann ihnen dann beibringen, was ich von ihnen möchte. Schließlich sind es meine Gedanken, und es ist doch ungeheuerlich, dass ich nicht informiert bin, was in meiner eigenen Dachstube los ist. Auch fehlt m.E. nach dem sicherlich bedeutungsvollen Satz von Descartes „Ich denke, also bin ich“ noch eine weitere Nuance, die man vielleicht „Ich bin, also bin ich“ nennen könnte im Sinne, dass Sein nur durch Sein erfahren werden kann und das Denken dabei nicht unbegrenzt die Hauptrolle spielt. Ich denke, man muss sich um beides bemühen: um den Zugang zum Denken, und um den Zugang zum Nicht-Denken, beides nur durch bewusste Aufmerksamkeit zu erreichen, durch wahrnehmende Übung also.

Montag

Das ist nun mein zweiter Winter in Deutschland, leider nicht selbst gewählt, obwohl die Abschiedswehen, in denen ich mich schon aufgehalten hatte, also Abschied von Indien,  nun einfach in eine unfreiwillige Verlängerung geraten ist, und sollte noch ein dritter Winter dazukommen, dann würde ich diese Ablösuing als beendet bezeichnen und auch empfinden. Als Fremdling kann man einer Kultur sehr nahe kommen, aber immer gibt es einen Moment, wo man sich entweder für das Eine oder das Andere entscheidet, ich meine bis zur Staatsangehörigkeit hin. Einmal wurde mir die indische angeboten, aber ich konnte mich von meinem deutschen Pass nicht trennen. Vermutlich auch nicht von der offenen Tür, die im Hintergrund immer vorhanden war. Und obwohl ich zeitenweise weniger besaß als alle, die ich kannte, war immer noch diese Tür da, durch die ich dann letztendlich auch wieder zurückkam in den Westen. Auf der Botschaft in Delhi zeigten sie mir eine Liste, auf der vermerkt war, dass ich mich ohne gültige Papiere in Indien aufhielt, aber sie gaben mir einen gültigen 24 Stunden Zettel, der mich legal machte und mich trennte von der blühenden Anarchie Indiens. Mein Glück ist, dass ich von beiden Seiten durchatmet bin. Und obwohl es sich im Geist anfühlen kann wie eine Vollendung, wenn man den Osten mit dem Westen zusammenfügen könnte, so kann es doch nur im Geist geschehen, und weit sind sie voneinander entfernt, und nur der Geist kann das Verbindende leisten und genießen und lieben. Gut, insofern habe ich mein Indien hier, obwohl meine Augen auf undurchdringliches Grau schauen, mit dem man umgehen muss. Es wird einem klar, dass das Wetter doch einen viel größeren Einfluss auf den lebendigen Verlauf hat, als man wahrhaben will. Und während in Indien alles nach oben gespielt wird, zieht es einen hier im Angesicht der Wolkendichte nach innen und nach unten, wo das Grübeln sich gerne breitmacht. Dann holt man die Lichter hervor, Kerzen und flackerndes Feuer, damit man dem Sog der Düsternis widerstehen kann. Es ist auch keineswegs mit heiteren Gedanken verbunden, wenn man weiß, dass man trotz glitschiger Matschwege da draußen öfters herumlaufen sollte, damit der Körper das Seine bekommt und nicht beginnt, einem zu schaden. Und man wird eben nicht von der Sonne beschienen, und manchmal vergisst man fast, wie es ist, sich in ihrer Wärme aufzuhalten. Aber ja, es gibt das Innen, es gibt die Freundschaften, die am Herzen liegen, es gibt die Möglichkeit, über alles gehaltvoll zu reden, wenn einem danach ist. Durch Sprache kann man sich leichter machen, und was eignet sich die deutsche Sprache doch prächtig zum Erringen des Klanges, beziehungsweise zum Ereignis der Nähe von Vermutetem, Geahntem, und Bewusstem. So höre ich wohl das Klagelied, das sich ergießen möchte über die braunen Blattflächen, und dann spüre ich auch eine Kraft, die zum Durchhalten bereit ist, denn auch auf dieser grauen Leinwand wird bald wieder Farbe auftauchen.

Karl Jaspers

To Karl Jaspers, uncertainty is not to be overcome but understood | Psyche  Ideas

 

Der Geist unseres Zeitalters kann erscheinen als der letzte Augenblick des Dahinschwindens aller Größe des Menschen und als das Aufhören der Schöpfung von Werken, während das Maß des technisch Machbaren schnell und unaufhaltsam wächst. Mehr noch: als der letzte Augenblick des Verstehenkönnens dessen, was einst war. Es wird vergessen, weil es infolge des Erlöschens der Fähigkeit des Verstehens nicht mehr wahrnehmbar ist, auch wenn man äußerlich noch so reiche Kunde von Schöpfungen, Werken und Taten hat. Die Keime des eigenen Schaffens verkümmern in der Dürftigkeit der neuen Umwelt.
Wir haben von Jugend auf gelebt in der inneren Revolte gegen die Bürgerlichkeit, d.h. gegen die Lüge der Konventionen, gegen den Unernst des alles verschleiernden Zustand, aus dem keine Größe des Menschen und nichts Verehrungswürdiges sprach, gegen die landläufige humanistische Bildung, die im selbstzufriedenen Nichteingreifen und ängstlichen Schweigen und billigem Verwerfen eine substanzlose Oberfläche schien. Wir wollten Wahrheit. Aber wir machten die Erfahrung, dass wir selber sie nicht kannten. Es bedurfte des eindringendsten  selbskritischen Bemühens, um auch nur auf den Weg der Wahrhaftigkeit zu gelangen.

konfessionslos

*

Ausgesprochen positiv finde ich die Nachricht, dass Olaf Scholz, Christian Lindner und Robert Habeck alle drei konfessionslos sind. Überflüssig die danach folgende Bemerkung, die Ampelkoalition sei deswegen nicht gottlos, was soll das denn bedeuten. Die drei sind gottlos, die anderen Vertreter der Parteien aber nicht? Nicht umsonst wird von Poeten und Poetinnen verlangt, ich weiß allerdings nicht von wem, dass sie sich zumindest zeitenweise mit den sogenannten ganz großen Themen befassen und Worte dafür finden, sodass andere Menschen sich dadurch angesprochen und unterstützt fühlen beim Aufbau ihrer Werteskala. Es bedeutet auch, dass man um die Auseinandersetzung mit Gott kaum herumkommt, so ist es auch mit der Liebe. Einer der tiefgreifendsten Sätze des sprachlichen Universums ist von Augustinus und lautet (amare et quod vis): „Liebe, und tu was du willst.“ Grandios einfach und schwer zu verstehen. Was für eine Liebe kann das sein, wenn man durch sie tun kann, was man will. Und was will man denn, wenn man das gute Schicksal hatte, anhand der eigenen Erfahrung unterscheiden zu können zwischen dem, was man für Liebe hält und dem, was sie ist. Denn vor allem sagt man über sie, sie könne nur in freiem Raum existieren und gedeihen, und wer will nicht an der Liebe festhalten, wenn sie des Weges kommt und viele wunderbare Dinge in einem bewegt und verursacht, die man nicht für möglich hielt. Und hat sie überhaupt eine greifbare Form, die auf einen zukommt und sagt „Ich bin für dich“ oder ähnliche Zauberworte, von denen man sich erhofft, dass sie die Flügelbreite besitzen, auf der man sich endlich niederlassen kann und sich zum besten Teil des Daseins wenden. Deswegen ist Gott vermutlich so populär, weil man gnadenlos und angstlos in seine Richtung powern kann, ohne dass sich Ermüdungsspuren zeigen. Und auch Mystik ist Macht, denn man kann das Göttliche oder was oder wen man damit verbindet, hautnah erfahren. Kranke werden zuweilen geheilt vom Unheilbaren, Blut dringt aus Jesuswunden, und Shiva , der Liebhaber/cum Yogi verwandelt im Wald für Parvatis Vergnügen alles ins Weibliche, eben damit sie sich erfahren kann in der Freude an sich, obwohl er natürlich der Auslöser des Ganzen ist. Wer will leugnen, dass das alles im unergründlichen Rahmen des Erfahrbaren seine Attraktivität haben kann. Auch kann man es nicht wirklich leugnen, denn inneres Sehen birgt viele Möglichkeiten, die man dann nicht mit der materiellen Welt vergleicht. Geht man aber rigoros weiter, ohne das Erfahrene ablehnen zu müssen, beginnen sich die Geschichten zu lichten. Als ich mich neulich genötigt fühlte, das Hindi Wort „Bhutkal“ zu übersetzen, erinnerte ich mich daran, dass Bhut (oder bhoot) Gespenst bedeutet, und Kal (oder kaal) Zeit, die Vergangenheit also als eine Gespensterzeit bezeichnet. Anders mit der Erfahrung, die wir persönlich mit etwas gemacht haben und die sich meist als Störungen bemerkbar machen, um die man sich günstigerweise kümmert. Ich habe mich sehr bemüht, vor allem nach der langen Zeit in Indien, ein Land, in dem von jedem Einzelnen einfach alles für möglich gehalten wird, zurückzuschauen in das, was ich einmal zu sein schien, oder mich noch immer erfahre als jemand, der daraus hervorgegangen ist. Aber es kann schon sehr gespenstisch sein oder wie in einem Spiegelkabinett, wenn überall Türen und Tore sich ins Unendliche hinausdehnen, gerade jetzt, wo ich einkaufen gehen muss, denn es ist Samstag, und auf der Liste stehen ein paar Sachen. Und wo ist denn nun schon wieder meine ausgeleierte Lieblingsmaske.

 

*Bild aus der FAZ, bearbeitet von U. Güdelhöfer

schweigen

Jahrelang habe ich Weihnachten in Indien verbracht, ohne zum Beispiel um 4 Uhr nachmittags, wenn es schon dunkelt, durch die glitzernden Straßen zu fahren in dem irreführenden Gefühl, drinnen in den Häusern wäre es nun lichter als vor der üblichen Beleuchtungsorgie, oder friedlicher, weil alle sich wehmütig an etwas erinnern, was es mal zu geben schien und weiterhin vor sich hinschien, bis man es mal reflektiert hat, nämlich was es einem denn selbst bedeutet. Doch als die festivitätsbesessenen Inder anfingen, rote Santa Claus Mützen aufzuziehen und sich ihr eigenes Weihnachten zu basteln mit Parties und Feuerwerken, jeder halt wie er konnte und wollte. Es ging vor allem um das Geschäftemachen mit den weihnachtshungrigen Foreigners, die auf neue Phasen der Einsamkeit stießen. Ich hatte mich dann entschieden, dem Ganzen zu entkommen und feierte einige Jahre mein eigenes Fest, indem ich, ganz und gar selbstversorgend, in meinem Raum entschwand und mich zu Schweigetagen zurückzog, also die ganze gemütliche Hängematte der Zeit entlang bis zum Anfang des neuen Jahres, wo es so laut wurde, dass auch die Lautstärke des Schweigens zunahm. Das waren gute und spannende Tage, jedes Jahr mit einer etwas anderen Gestaltung der Wortlosigkeit, beziehungsweise ohne gesprochene Worte, mich mal schreibend, mal tanzend, mal malend, mal nur sitzend in einer konzentrierten Unterhaltung befindend und immer irgendwie gestärkt aus dem Ganzen hervorgehend. Der aktuelle Bezug ist, dass ich die vergangenen drei Tage nicht gesprochen habe, hier im Kontext meines neuen Interesses, mich mal um die Bedeutsamkeit von „Meinungen“ zu kümmern. Im Moment meint das höchst politisch gehandhabte Wort „Meinungsfreiheit“ für mich eher, dass es auch eine Freiheit von Meinungen gibt. Es ist also meine persönliche Verantwortung, darüber nachzudenken, worüber ich eigentlich wirklich eine Meinung bilden möchte, und bitte, sie dann auch bilden kann und nicht bei der ersten Gegenüberstellung einer anderen Meinung nicht mehr weiß, um was es mir oder dem Anderen eigentlich geht. Wer sind überhaupt der oder die Andere, also meine Gegenüber, mit denen ich ständig zu tun habe, meist ohne zu wissen, wie sie das alles sehen, was ich auch sehe, nur eben anders, und günstigerweise noch ein Stück über den eigenen Rand hinaus. Ich denke dass, wenn ich die paar Einstellungen, die ich für wesentlich halte auf der Basis meiner eigenen Erfahrungen, und die mir zutiefst und geradezu unverrückbar am Herzen liegen, wenn ich also diese Einstellungen einigermaßen klar habe, kann ich meinen Wahrnehmungskreis vergrößern, ohne Gefahr zu laufen, in andere Meinungssysteme hineinbugsiert zu werden, so, als wäre es eine heilige Pflicht, sich den Meinungen anderer anzuschließen. Ich bin ja herzensfroh, in einem Land zu leben, wo ich das Gefühl haben kann, sehr vieles sagen zu können, ohne mich in Gefahr zu bringen. Das wiederum macht die Sache aber nur schwieriger, denn nun bin ich in der Tat verantwortlich für die Handhabung meiner persönlichen Freiheit und für das, wer ich in diesem Rahmen sein möchte und vor allem auch kann. Immer schon fand ich die Idee anregend, dass begnadete Städteplaner in die Mitte des pulsierenden Lebens Stille-Räume einrichten könnten, nein, eben nicht konfessionell gebunden, sondern nur zum stillen Herumsitzen mit Anderen, die auch mal raus möchten aus dem Meinungsstrudel. Man vergisst zu leicht, dass Schweigen der ganz schnelle Weg in das Innen ist. Das bewusste Schweigen, wohlgemerkt, und nicht das aufgezwungene der ungewollten Einsamkeit.

SF (Silent Fiction)

 

DURCHÄTHERT VOM
SCHLARAFFIABOOM
TRITT NEUTROFIX
IN ZERO-ROOM
ÄONEN LÄCHELN
IM BHUTKAL*

SCHALLVENEN ERHEBEN
DIE KOBRA ZUM STEIN

WIE CHANDAN* UND MASTIX
WIE TURBAN AM TAUSENDE
VON JAHREN ALTEN GEWAND
ABWESENHEIT VON SICH
ALS WURZEL
DER ERSTARRUNGSKLONIK

LOSE VOM GRIP
IM MONDSPIEGELACKER
TANZT ES
DAS WESEN
HINAUS

 

 

*Bhutkal (Hindi) : Vergangenheit
*Chandan (Hindi): Sandelholz

Ära-Wechsel

Olaf Scholz spricht in Regensburg - Regensburg - Nachrichten - Mittelbayerische

Es ist für meine persönliche Archivierung, dass Olaf Scholz heute auf meiner Bildfläche erscheint, denn gleich ist er unser neuer Kanzler, und so kann man das Datum schon mal der Technik überlassen. Auf der Suche nach einem Scholz-Bild war ich überrascht, dass ich nicht nur ein einziges Gesicht vorfand, nein. Die Ausdrucksweite war sparsam, aber es gab doch schon einige Nuancen. Ich habe dann dieses Bild gewählt, weil er in Richtung Zukunft lächelt und dann noch vergrößert hinter sich steht, bzw. als Plakat hängt. In den amerikanischen Medien wurde gemunkelt und verdunkelt, so, als würde sich nun nach Angela Merkels Entschwinden ein großer Abgrund auftun und Deutschland schutzlos im eisigen Wind der Zeiten zurücklassen. Dabei sind sich die Amtsantritte von Olaf Scholz und Angela Merkel gar nicht so unähnlich. Man starrt ein bisschen ratlos auf diese deutsche Bürgerlichkeit, ist aber dann doch froh, dass keine Hallodri-Züge zu erkennen sind, eher tierischer Ernst und heftige Fleißbereitschaft, die eine gewisse glaubwürdige Redlichkeit zum Vorschein kommen lassen, die allerdings in vielen Ländern eher ein unheimliches Gefühl hervorbringen, denn man weiß ja, wo sich dieser unbändige Fleiß überall zu schaffen gemacht hat. Aber erstaunlicherweise hat der neue Transit was Stimmiges. Gut, fast hätte es eine Frau ins Amt geschafft, aber gerne schaut man ihrem Wirken in einer anderen Reihe noch eine Weile zu, so ist es halt wieder ein Mann geworden. Dass Angela Merkel ihn schon auf Reisen mitgenommen hat, war sicherlich ein guter Schachzug für einen Vertrauenskredit. Teamfähig soll er sein und Führungskraft haben, ah ja, und ein harter Verhandler, das wird auch gefragt sein. Kurz: es sieht ganz ordentlich aus, ein paar Frauen sind auch dabei. Da hat man sich wirklich mächtig bemüht, und das ist gut so, und auch nicht nur gut, sondern verdammt nochmal nur in höchstem Grade zeitgemäß und kommt noch vor der künstlichen Intelligenz. Was kommt noch vor der künstlichen Intelligenz? Die weibliche Intelligenz! Nicht, dass sie nicht auch in männlichen Körpern stattfinden kann, aber vor allem findet sie in weiblichen Gehäusen statt und muss, immer noch gefährdet, durch den männlichen Dschungel mäandern, bevor wir vielleicht eines Tages die notwendigen Antworten darauf finden, wie das überhaupt in diesem Ausmaß geschehen konnte. Solange überhaupt Licht in der Finsternis erscheint, kann sich die Lichtquelle auch vergrößern. Was fällt einer grenzgängerischen Weltbürgerin und Inhaberin eines deutschen Passes zu diesem Szenenwechsel noch ein? In politischen Ausnahmefällen schaut man sich sogar mal die Ehepartner dieser regierenden Menschen an, und gerade erinnere ich mich an das Schaudern über die verdunkelte Existenz von Hannelore Kohl, als klar wurde, wie schief etwas laufen kann, wenn man getrennt haben möchte, was letztendlich gar nicht zu trennen ist. Auch Joachim Sauer hinterließ einen angenehmen Eindruck, und Britta Ernst wirkt kompetent und sympathisch, alle bei eigenen Namen geblieben, auch das ist zeitgemäß. So kann man nun fortan erleben, wie das alles zusammenspielt. Da wir es nicht wissen, zeigte sich der vorhandene Stoff  jetzt nicht als sehr kreativ, aber es musste doch sein, denn in der Tat, wir stehen am Anfang einer neuen Ära.
Kurz danach schaute ich in die Medien, es war 10 Uhr 20 und Olaf Scholz war Kanzler, beziehungsweise ist jetzt Kanzler. Ich gratuliere.

Anreiz

Ein kühner Satz, den ich im Reich der Zettel wiedergefunden habe. Er ist (leider) nicht von mir, sondern gilt als Mantra der indischen Kali, mit der ich günstigerweise hier eine Verbindung spüre, wodurch ich wiederum indischen Gegenübern mich zuweilen dieses Satzes bedienen konnte. Anders als die indische Kali reise ich (u.a.) auf einem Surfboard und bin mir bewusst darüber, dass es zu einer gelungenen Reise gehört, wieder möglichst ungeschoren zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Natürlich wäre es interessant, auch diesen Worten etwas gegenüber zu stellen, das sie gleichermaßen bestätigt wie enthebelt. Zum Einen kann man schon hinter sich lassen, dass Worte nicht in die Lehre führen sollten, zumindest verlange ich das von meinen. Eher sollen sie aus möglichst vielen Lehren herausführen, soweit da meinerseits überhaupt noch ein Fünklein Gefahr droht aus dieser Richtung. Andrerseits könnte man bedenken, dass Worte zum Beispiel auch bewusst in eine Leere führen könnten, es käme auf die Leere an. Das stimmt mich insofern kreativ, da ich zur Zeit damit beschäftigt bin, mir einen Pfad aus den Anreizen der Meinungsbildungen zu buddeln. Ich sage nicht, man solle sie, die Meinungen, nicht heranzüchten und eine Weile haben, bis man weiß, durch welche subatomaren Partikeln sie sich in Bereitschaft bringen. Unterwegs kann man lernen, kurz vor der Versklavung noch einmal in einen gesunden Schrecken zu taumeln und sich daran zu erinnern, dass nur konsequentes Selbstdenken zumindest zu einer Übergangslösung führen kann, ähnlich gewissen Medikamenten, die nur bedingt und zeitlich begrenzt von Nutzen sind, bevor sie sich als Schädlinge entlarven. Nun empfinde ich auf dieser Spurensuche nach den Zeichen einer hochpotenten Leere, die gleichzeitig Fülle sein kann, eine gewisse Dankbarkeit dem Pandemiegeschehen gegenüber, denn um sich auf neue Wege zu begeben, braucht es die notwendige Meinungserschöpfung. Sie kann entstehen durch gründliches Jonglieren, Beweisenwollen, Lavieren, Kritisieren, Besserwissenwollen, Oberflächendenken, Wortkutschieren, kurz, ein Gefangengenommenwerden von allen möglichen Worten, die sich als Themen tarnen, in Wirklichkeit weder bedacht noch begrübelt werden müssen, denn sie gehen einen schlicht und einfach nichts an. In Wirklichkeit, von der man selten weiß, wie wirklich sie wirklich ist, geht es eigentlich gar nicht so sehr um die Worte, sondern um das, aus was sie hervorgehen. Die leidige Frage: Bin ich tatsächlich vehement für oder gegen Impfen dient hier als Beispiel. Nach einigem Hin und Her und dem üblichen Für und Wider erscheint mir an diesem Punkt des Widersinns die amosphärische Herstellung eines Leerraumes als ein im wahrsten Sinne außerordentlicher Anreiz. Ich werfe mich also verhältnismäßig ungehindert an den Bug des Schiffes und ergreife das Steuerrad, hier als Tastatur verkleidet. Automatisch erscheint der Satz „Der Weg ist das Ziel“, denn besser könnte man es nicht ausdrücken, wenn man bewusst eine Fahrt beginnt, aber das Ziel nicht aus einer gesund wirkenden Karotte besteht, sondern nur aus einer gewissen Sicherheit, sich innerlich zuhause zu fühlen, wo auch immer man sei. Gut, es geht in die Praxis, das ist immer etwas anderes als die Worte. Doch bewegt man sich entschlossen und klar im Freiraum des Ungewissen, ist man bald vom eigenen Staunen umgeben. Daran erkennt man dann ein Genug.

Anstoß

Eigentlich dachte ich wir bekommen schon heute einen neuen Kanzler, und als wer reihe ich mich da in ein Wir ein. Es ist jedenfalls klüger, nicht als Nikolauskanzler in die Geschichte einzugehen, und man muss es Satire Deluxe ja nicht zu leicht machen. Deswegen werde ich nicht unbedingt auf Mittwoch warten, oder das Warten überhaupt lassen, und dann könnte man gleichzeitig die Erwartungshaltungen lockern, bis ein gewisser Freiraum entsteht, in dem das, was tatsächlich geschieht, Platz hat. Natürlich fragt man sich zuweilen, warum so ein Terz gemacht wird um die drei simplen Wörtchen „be here now“, sei also jetzt da, anwesend und bewusst, wenn es so einfach und selbstverständlich wäre, wie es sich sagen lässt. Oft genug ist, meist von DenkerInnen, auf die Traumqualität des Lebens hingewiesen worden, so als bräuchte das tägliche Herumgehen im Dasein noch einmal einen Anstoß des Erwachens, der gewährleisten würde, dass man die Geschehnisse noch einmal deutlicher und präziser wahrnimmt. Also nicht nur die eigene Befindlichkeit einschätzen lernt, sondern auch darüber hinaus noch Raum lassen kann für die äußeren Bedingungen. Viele Erinnerungen kamen mir oft wie ein Traum vor, wobei andere Erfahrungen, die in einer bestimmten Aufmerksamkeit und Wachheit erlebt wurden, gar nicht mehr als Erinnerungen auftauchen, denn sie sind Teil geworden des lebendigen, bewussten Seins, bei dem man anwesend war mit Körper und Geist und sich dadurch in einer lebendigen Stimmigkeit befand und weiterhin befindet. Gestern meinte jemand im Kontext eines neuen Filmes über das Dritte Reich, dass wir noch keineswegs abgeschlossen hätten mit dieser unseligen Geschichte, da wir vieles darüber noch gar nicht wissen: zum Beispiel warum so viele Menschen diesem grauenhaften Geschehen zustimmen und zuspielen konnten. Auf jeden Fall weiß ich es noch nicht, und vielleicht weiß es niemand so ganz genau und es gehört zu den dunklen, unheimlichen Vorgängen in dieser Welt, über die viel nachgegrübelt wurde und wird, aber die nicht wirklich verstanden werden können. Zumindest nicht, ohne sich mit tiefem Interesse und großer Intensität um die Wurzeln des Menschseins herum zu bewegen, mal von hier aus gesehen, mal von dort aus für möglich gehalten, immer ohne letzten geistigen Sicherheitsgurt. Denn man hütet sich doch davor zu behaupten, dass der Mensch nun mal so sei, bevor man auf die brenzlige Frage stößt, wie er denn nun sei. Und schon erhebt sich der unsterbliche Satz aus der Urgrube delphischen Denkens und beansprucht einen aufs Äußerste. Denn man denkt doch gerne, dass ein Mensch, der sich selbst erkennt, nicht mehr brauchbar ist für eine derart entgleiste Idee wie der Mord an 6 Millionen jüdischen Menschen. Und man konnte ja später, vor allem als Kinder, die das überlebt hatten, vielfach ohne Elternteile, man konnte zuschauen in dem vorhandenen historischen Material, dass die meisten Täter keineswegs einsichtig waren, ein passendes und wirksames Wort: einsichtig. Sie waren nicht einsichtig, weil sie gar nicht zulassen konnten, was sie da taten. Das geht uns ja auch oft so in viel kleinerem Maß, dass es uns schwerfällt, zuzulassen, was wir verursachen, und das Ganze nimmt so eine Traumqualität an, weil wir davon ausgehen, dass wir das eben sind, aber was heißt das: können wir nicht anders oder könnten wir doch anders unter anderen Bedingungen, die wir selbst gestaltet haben, und die uns zwar weder eine Sicherheit geben noch eine Garantie, aber dafür eine Nähe zu unserem inneren Empfinden, und einen Hinweis in die Richtung, für die wir uns entschieden haben. Montag, sechster Dezember, mitteleuropäische Zeit.

wünschenswert


Winterstille
Ungern nehme ich das scheußliche Wort „Zapfenstreich“ noch einmal auf, nachdem ich mich gestern schon durch häufige Benutzung davon entlastet zu haben glaubte. Denn ich wollte außer der Rede der Kanzlerin dann doch nachträglich in das ganze Ritual hineinschauen: was machen die denn da so bei dieser eine einzige Person so hochverehrenden Feier. Abgesehen davon, dass Frau Merkel auf dem kalten Thron ziemlich deplaziert aussah neben der ebenfalls frierenden Frau Karrenbauer und noch jemandem. Aber was fand da statt, was so lange dauerte, dass man sogar den Nutzen der Masken sehen konnte, die die eisige Luft vom eigenen Atemdampf abhielten. Aber was war da n o c h zu sehen!? Da standen überall sehr viele gedrillte Männer herum und zeigten, was man ihnen alles beigebracht hatte. Es brauchte nur der große Vorbrüller einen Befehl hinausjagen in die Atmosphäre und konnte sich todsicher  darauf verlassen, dass alle das Gleiche taten. Die Gesten, die hier offensichtlich schon sehr lange eingeübt waren, kannten an Sinnlosigkeit keinerlei Grenzen, und zack!, war das Gewehr oben, und zack! in der Mitte, und wieder zack! jetzt war es unten, das Gewehr, das man zum Töten von Menschen angefertigt hatte, hier aber nur als Performance vorgeführt wurde. Ein Ehrenzirkus sozusagen für politisch Eingeweihte, und dann wieder zack, da muss der Helm runter, und zack! muss er wieder rauf, der Befehl heißt „Helm auf den Kopf“. Alle diese grundverschiedenen Menschen zeigen die unheimlichste aller Shows, das ist die militärische Show, in deren Hinterzimmern es um Blut und Ehre geht. Ich weiß noch, wie wir als öfters mal bewusste Naivlinge der Sechziger Bewegung den Satz „Stell‘ dir vor, es gibt Krieg und keiner geht hin“ so gerne hatten, weil so vernünftig und einleuchtend, und immer wieder mal haben es ja manche tatsächlich geschafft und sind nicht hingegangen, oder sind rechtzeitig weggegangen, weil sie ahnten, dass etwas geschehen musste, was keinem Wesen gut tun kann. Aber die meisten sind hingegangen, obwohl man davon ausgehen darf, dass viele von ihnen erfahren haben, dass der Tod doch nicht das Schlimmste ist, was einem passieren kann. Denn es gibt noch viel grässlichere Dinge, die an einem Menschen lebenslang zerren und zehren können, sodass das, was man gerne „das Leben“ nennt, gar nicht mehr auf lebendige Weise stattfinden kann, sondern es kann in einem erstarrten Zustand so zusammenschrumpfen und kein Versteck der Welt dieses Nicht-Sein erlösen kann. Warum machen all diese Männer das mit, so etwas vollkommen Idiotisches und Absonderliches, das immer wieder demonstriert, und hier noch als Auszeichnung, wie leicht es ist, einen Menschen in das dem Menschlichen total Widerstrebende hinein zu manipulieren. Und die, die mitmachen, als wäre das das Normale, die kommen dann nicht mehr heraus aus dem Spiel, wenn es ans Töten geht. Denn wenn man wirklich nicht töten will, warum spielt man dann mit einer Waffe herum. Einmal kam ich ganz nah an die Gefahr einer Anziehung heran, was Waffen betrifft. Eine Ärztin aus Kalkutta, die ich sehr schätzte, wollte ihren Lady Revolver verkaufen, um Verbesserungen in ihrem Krankenhaus vorzunehmen. Ich wollte das Ding unbedingt haben (für 70 000 Rupien). Es übte einen geradezu erotischen Reiz auf mich aus,  diese scheinbare Sicherung gegen alle möglichen Schreckensszenarien, die wir Frauen zuweilen auf dem Schirm haben. Das halte ich für den gefährlichsten Unterton der Waffenhandhabung, eben diese dunkle Note triebhafter Macht oder aber triebhafter Unterwerfung unter etwas, was jedem geistig wachen Menschen gegen den Strich gehen müsste. Müsste, aber nicht muss. Daher auch nicht zu viel Winterstille, sondern eine Bereitschaft für Wachheit in jeder Hinsicht ist immer das Wünschenswerte.

Zapfenstreich


Zapfenstreich
Ich habe dieses deutsche Zapfenstreich-Ritual nicht „life“, heißt: direkt auf den Kanälen gesehen, weil ich woanders unterwegs war, aber habe mir heute morgen mal die Rede der scheidenden Kanzlerin angehört, das war an trüber Wetterlage und nüchterner Zurückhaltung kaum zu steigern. Es war ja ein Teil ihrer Größe, so angenehm stocknüchtern sein zu können. Sie soll aber bei den Zapfenstreichliedern einige Emotionen gezeigt haben. Das wusste ich (auch) nicht, dass ein Kanzler oder eine Kanzlerin sich beim Abschiednehmen 3 Lieder wünschen darf, die die Zapfenstreichkapelle auswendig lernen muss, und man muss gestehen, dass die Wahl von Angela Merkel einen kurz verblüffen konnte. Allerdings kannte ich das Lied von Hildegard Knef nicht und dachte, ich verhöre mich bei dem Titel, dass ich selbst singe, dass auf mich rote Rosen regnen sollen. Ganz zu schweigen von Nina Hagen und ihrem Song „Du hast den Farbfilm vergessen“, also wenn das nicht von einer Prise gesundem Humor und gelebtem Leben und Leid singt, so tolle Songs, Angela Merkel, muss ich schon sagen. Und dann noch der große Gott, der gelobt wird und  sicherlich mächtig stolz sein könnte/kann, wenn es ihn gäbe/gibt auf sein Töchterchen, die es immerhin an den Gipfel der politischen Weltbewegung gebracht hat und sehr viele Menschen zurück lässt, die zufrieden waren und sind mit ihrer Arbeit, u.a. ich. Und jetzt isses auch gut, dass was Neues kommt, bevor das Gähnen sich einnistet. Dass sie aber, die Kanzlerin, bis zum Schluss etwas hatte, was man nicht wirklich erklären kann, spricht auch für sie, vieles spricht für sie, sie ist ein Original. Ja was macht sie jetzt wohl, wenn sie mit dem Ehemann nach Hause geht, dachte jemand laut nach. Die Antwort war einfach, denn man weiß von ihr, dass sie gerne zuhause Radio hört, meist Klassik, und gerne liest und gerne kocht. Das mit dem Kochen hat mich überrascht, aber nicht lange, da konnte ich mir das gut vorstellen. Und wandern natürlich tut sie auch gerne, und weiterhin nach Bayreuth gehen, und wer weiß, welche herkulischen Jobs sie noch annehmen wird im Hintergrund, der nach vorne atmet, oder auch nicht, hier will ich gerne aufhören mit der überflüssigen Seite des Denkens. Ich würde mich vielleicht mehr anstrengen, hätte ich nicht schon so viel Gutes über sie verlauten lassen. Weil, was sie für mich getan hat, und auch das mit Erfolg, war, mich mühelos aus der begrenzten Sicht zu führen, mit der wir uns damals aufregten über ihr biederes Aussehen und ihren Kleidungsstil, bevor sich zeigte, wie anders sie das alles machte, als man dachte. Und da die Sechzehnjährigen nur sie in diesem Amt kennen, ist es gerade für die Jugend jetzt eine wesentliche Wende, indem diese Ära zu Ende geht. Es ist höchste Zeit, dass nicht nur die Grünen, sondern dass die Jugend aktiv nach vorne kommt, denn egal, wie weit ihre Ideen sich tatsächlich werden umsetzen können, so sieht man schon jetzt, dass sie zum Hüten dieser Erde besser geeignet sind als die meisten der VorgängerInnen. Die Not ist groß, und die Ketten der Hoffnung schlenkern müde in der Giftpfütze. Große Bewältigungsarbeit wartet auf uns alle, damit wir im Riss das hereinströmende Licht nicht übersehen oder falsche Schlüsse daraus ziehen.

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HEY, WANDERER DER WELTEN
DAS AUGE SIEHT DICH
AUF DEM PFAD DES UNBEGRENZTEN.
DER ALTE WEG –
GEDANKEN EINES STILLEN RAUMES.
GEWISSHEIT HIER, DASS NEUHEIT
IN DEM SELBST ENTSTEHEN KANN
UND MUSS. GEWISSHEIT, DASS DER
GEIST SICH NÄHRT VON DER ERINNERUNG
AN DIE OASE UNSERES SEINS. GEWISSHEIT,
DASS DAS SICH-WIEDER-FINDEN DEN
URSPRUNG BIRGT DER SEINS-VERBUNDENHEIT.
HIER FINDEN WIR DIE HOCHZEIT
DES FEUERS MIT DEM EIS.

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Natürlich ist das keine Frage, die man sich täglich stellen möchte, nämlich, ob es den Menschen, also uns Menschen, gelingen wird, einen Heilprozess einzuleiten, der sichtbar von Maskierungen ablassen kann und zeigen, zu was wir auch in der Lage sind. Nun melden sich die schwierigen und leicht missverständlichen Worte,  so halte ich mich an das Wort Menschlichkeit. Wir denken darüber nach, was es bedeuten könnte, und warum ein Mensch nicht automatisch menschlich ist. Es dauert nach unserer Geburt ja nicht lange, bevor wir entweder annehmen, dass das, was wir vorfinden, mehr oder weniger immer schon so war, und wir reagieren darauf und machen mit, wo wir uns mit unserer Art einreihen können. Oder nicht einreihen können und anfangen zu grübeln, warum das wohl alles so ist, wie es ist, und viele Jahre braucht es und viel Mühe, bevor wir für uns selbst vielleicht eine Klarheit erlangen, die wiederum dazu führt, dass wir wahrnehmen können, dass es tatsächlich (nur) ist, wie es ist, wobei hier günstigerweise persönliche Sicht mit der Weltsicht in einen Einklang kommen kann. Denn wir sind nun mal PlanetarierInnen und können nicht leugnen, dass hier die einzige Welt ist, die wir kennen, und wir sind auf die eine oder andere Weise daran beteiligt, was auf ihr geschieht. Doch was auch immer uns möglich gemacht wird zu lernen und zu erleben, so wird uns keiner beibringen können letztendlich, was wir von dem, was wir sind, hineinbringen in die Welt, denn dafür tragen wir „Verantwortung“, so unsympatisch mir dieses Wort in anderen Kontexten auch sein mag. In den ersten Tagen meiner Ankunft in Indien sagte eine Frau zu mir, dass es unsere einzige Pflicht auf der Erde sei, uns selbst zu sein. Damals konnte ich das Ausmaß dieser Worte noch gar nicht verstehen, sie kamen mir eher vor wie eine lockere Selbstverständlichkeit. Nun zeigt es sich aber, dass vieles im Nicht-Außen, also dem Innen und dem Verborgenen geschieht, dieses Ringen eben um uns selbst und unseren Beitrag zum Lebendigen, damit das, was wir selbst uns vorstellen können an menschlichem Verhalten und Tun, nicht nur von uns selbst beantwortet werden kann, sondern Resonanz findet in genau dem Maß, in dem es geschöpft und gedacht war. Sein, wer man (wirklich) ist, das ist doch nach wie vor das Abenteuerlichste an der ganzen Reise.  Das Gute an Krisenzeiten ist, dass es die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche steigert. Und immer wieder die Nachfrage, was es uns hier und jetzt in diesen Kontexten bedeutet, und wie wir selbst gefragt sind , mit uns und den anderen entsprechend umzugehen, unserem eigenen Wesen entsprechend.