schweigen

Jahrelang habe ich Weihnachten in Indien verbracht, ohne zum Beispiel um 4 Uhr nachmittags, wenn es schon dunkelt, durch die glitzernden Straßen zu fahren in dem irreführenden Gefühl, drinnen in den Häusern wäre es nun lichter als vor der üblichen Beleuchtungsorgie, oder friedlicher, weil alle sich wehmütig an etwas erinnern, was es mal zu geben schien und weiterhin vor sich hinschien, bis man es mal reflektiert hat, nämlich was es einem denn selbst bedeutet. Doch als die festivitätsbesessenen Inder anfingen, rote Santa Claus Mützen aufzuziehen und sich ihr eigenes Weihnachten zu basteln mit Parties und Feuerwerken, jeder halt wie er konnte und wollte. Es ging vor allem um das Geschäftemachen mit den weihnachtshungrigen Foreigners, die auf neue Phasen der Einsamkeit stießen. Ich hatte mich dann entschieden, dem Ganzen zu entkommen und feierte einige Jahre mein eigenes Fest, indem ich, ganz und gar selbstversorgend, in meinem Raum entschwand und mich zu Schweigetagen zurückzog, also die ganze gemütliche Hängematte der Zeit entlang bis zum Anfang des neuen Jahres, wo es so laut wurde, dass auch die Lautstärke des Schweigens zunahm. Das waren gute und spannende Tage, jedes Jahr mit einer etwas anderen Gestaltung der Wortlosigkeit, beziehungsweise ohne gesprochene Worte, mich mal schreibend, mal tanzend, mal malend, mal nur sitzend in einer konzentrierten Unterhaltung befindend und immer irgendwie gestärkt aus dem Ganzen hervorgehend. Der aktuelle Bezug ist, dass ich die vergangenen drei Tage nicht gesprochen habe, hier im Kontext meines neuen Interesses, mich mal um die Bedeutsamkeit von „Meinungen“ zu kümmern. Im Moment meint das höchst politisch gehandhabte Wort „Meinungsfreiheit“ für mich eher, dass es auch eine Freiheit von Meinungen gibt. Es ist also meine persönliche Verantwortung, darüber nachzudenken, worüber ich eigentlich wirklich eine Meinung bilden möchte, und bitte, sie dann auch bilden kann und nicht bei der ersten Gegenüberstellung einer anderen Meinung nicht mehr weiß, um was es mir oder dem Anderen eigentlich geht. Wer sind überhaupt der oder die Andere, also meine Gegenüber, mit denen ich ständig zu tun habe, meist ohne zu wissen, wie sie das alles sehen, was ich auch sehe, nur eben anders, und günstigerweise noch ein Stück über den eigenen Rand hinaus. Ich denke dass, wenn ich die paar Einstellungen, die ich für wesentlich halte auf der Basis meiner eigenen Erfahrungen, und die mir zutiefst und geradezu unverrückbar am Herzen liegen, wenn ich also diese Einstellungen einigermaßen klar habe, kann ich meinen Wahrnehmungskreis vergrößern, ohne Gefahr zu laufen, in andere Meinungssysteme hineinbugsiert zu werden, so, als wäre es eine heilige Pflicht, sich den Meinungen anderer anzuschließen. Ich bin ja herzensfroh, in einem Land zu leben, wo ich das Gefühl haben kann, sehr vieles sagen zu können, ohne mich in Gefahr zu bringen. Das wiederum macht die Sache aber nur schwieriger, denn nun bin ich in der Tat verantwortlich für die Handhabung meiner persönlichen Freiheit und für das, wer ich in diesem Rahmen sein möchte und vor allem auch kann. Immer schon fand ich die Idee anregend, dass begnadete Städteplaner in die Mitte des pulsierenden Lebens Stille-Räume einrichten könnten, nein, eben nicht konfessionell gebunden, sondern nur zum stillen Herumsitzen mit Anderen, die auch mal raus möchten aus dem Meinungsstrudel. Man vergisst zu leicht, dass Schweigen der ganz schnelle Weg in das Innen ist. Das bewusste Schweigen, wohlgemerkt, und nicht das aufgezwungene der ungewollten Einsamkeit.

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert