Während ich also den See umrunde und mich an einem seiner verführerischen Ufer niederlasse und in den Dialog mit mir eintrete und mir sage: lass doch bei sich selbst sein, was eh nicht dein war. War aber immerhin meiner Augen paradiesisches Reich, in dem ich das archetypische Erbgut sich habe tummeln sehen mit den seit Jahrtausenden durchgeführten Handlungen und Ritualen, die keine Besatzung fremder Mächte hat stören können. Sondern im Gegenteil, alle wollten ein Teil werden von des kosmischen Urtons unergründbarem Grund und dem Streben nach vereinfachten Formen und Ritualen, die dem Nicht-Erklärbaren seine menschennotwendige Richtung gaben. Hier haben wir, die wir Anteil nahmen, zutiefst gerätselt zwischen Psyche und Atma wie zwischen Himmel und Hölle, dem Kreidestrichspiel, auf dem man frohgemut wechselt von einer Seite zur anderen, da sich beide in letzter Konsequenz doch entsprechen, wenn man sich lösen kann vom Druck unlösbarer Widersprüche. Während ich also beschäftigt bin mit meinen Umrundungen, warten in Wuhan immer noch eine ganze Menge Studenten auf Fluchthilfe vor der Angst des neuen Erregers, der inzwischen auch hier eine Frau erfasst hat, die aus China eingereist war. Solche plötzlichen Infiltrationen nicht sichtbarer Aliens haben eine ziemlich große Macht, alles vorher Besprochene aus den Angeln zu heben. Wenn die Entscheidungsfreiheit eingeengt wird von Emergency-Situationen, in denen auf einmal so viele Menschen das Unausweichliche auf sich zukommen sehen und keine Zeit mehr bleibt zum Bedenken. Wenn man sich wieder kümmern kann um die Rechtzeitigkeit des eigenen Eintritts und Auftritts und alles Angeeignete in Ruhe zu sich selbst zurückkehren lassen kann.
Der Zugang zum Gefühlten hängt nicht vom
Labyrinth der Fäden ab, doch ist es gut
zu spüren, wo in der Dichte eine Öffnung ist.
Die Verstrickungen gaukeln das
Nichtvorhandene vor. Das Vorhandene aber
will erkannt werden.
Nur es ist da. Es werde also Zugang zum Vorhandenen,
zum zeitlosen, immerwährenden Strom.
Die Götter sind wild übereinander gestaffelt,
manche unkenntlich gemacht durch den sich
selbst erzeugenden Staub des Erdachten.
Alles aus Stein oder bildhaftes Stückwerk
in Rahmen.
Die relative Zeit reißt Lücken in die
Photogenität der Wesen.
Ein Ast durchkreuzt den Tempel.
Überall Wirkung von Wirkung.
Dieses Bild habe ich heute früh unterwegs entdeckt und war erstaunt über die anregende Gesichtsschutz-Kreation, die bei dieser gendermäßig schwer einschätzbaren Figur zu sehen ist. Leider bin ich zu beschäftigt, um der brillianten und zeitgemäßen Geschäftsidee einer Mundschutzproduktion entgegenzukommen, denn ich denke, wir entern gerade eine Phase des Mundschutzzeitalters, das sich schon ein paar Jahre langsam aber sicher ankündigt. Wer wo und wann von wem und was rechtzeitig geschützt werden kann, wird uns weitere Vielfalt der Erfahrungen zeigen. Es gibt ja bereits diese Passion für öffentliche Verschleierung, sehr beliebt hier bei Vespa fahrenden Frauen, wobei wiederum landesbesuchende ChinesInnen und JapanerInnen eine geringere Hemmschwelle gegen Gesichtsvermummung zeigen als europäische TouristInnen. Ich habe mir vor drei Jahren auch schon mal ein Päckchen Mundschutzteile mitgebracht, man konnte sie nicht einzeln kaufen. Aber mit so einem Ding im Flugzeug sitzen oder sonstwo, ist mir trotz aller möglichen Gefahrensirenen wegen Swineflu oder Dengue Fieber usw. noch nicht möglich gewesen. Und obwohl es uns nicht direkt betrifft, haben wir schon nicht weit von hier eine wahrlich furchterregende Heuschreckenplage, die zu weiteren Selbstmorden von Bauern führt, die sich im Stich gelassen fühlen mit total abgefressenen Feldern. Gestern flog auf einmal über Jaisalmer ein kilometerlanger Schwarm roter Heuschrecken über der Stadt, weil sie auf den Feldern nichts mehr zu fressen fanden. Und nun kommt Wuhan. Wuhan, neues Dunkelwort. Verantwortliche grübeln, wie sie in Wuhan dort wohnende und arbeitende Inder herausbekommen, wissend, dass keiner vorbereitet ist auf den Umgang mit dieser neuen Herausforderung. Und danke für den hilflosen Hinweis auf Mundschutz, Händewaschen und möglichst wenig direkte Kontakte. Natürlich wollen wir Menschen nicht gerne von sowas sterben, was aus einem Fleischmarkt von Wuhan kommt. Es werden (wieder) die Tiere sein, die sterben müssen. Ich erinnere mich, als ich eines Tages im Fleischmarkt von Ajmer gelandet bin, dass überall diese nackten Tierkörper vor den Läden hingen, übersät mit Fliegenheeren. Das wird jetzt nichts nützen, auf die Quelle der neuen Seuche zu zeigen mit der Frage, wo genau er beginnt, des Menschen Irrtum, der inzwischen befreit ist vom Zwang des Jagens und Tötens. Auch leben wir ständig zusammen im Trotzdem, das uns auch lehrt, das Nichtzuvermeidende gemeinsam zu tragen. Das sollte uns nicht daran hindern, den eigenen Blick zu klären, und eigene Optionen in Erwägung zu ziehen, denn genau d a s ist es doch, was das Abenteuer lebendig hält. Nicht nur, dass der Tod immer mitreist, sondern auch das Lebendige ist immer da: die zweifelsfreie Tatsache der eigenen Existenz.
Es kann doch immer wieder mal erstaunen, wie einem die einfachsten Erkenntnisse die meiste Kraft abzuringen vermögen, wenn man denn zu der Erkenntnis wirklich weit genug vordringen möchte, um sie auszuhalten als etwas, was unleugbar ist. Das kann nicht so vieles sein, denn leugbar ist alles, was gedeutet ist und begriffen als etwas, was erklärt werden kann. Nur, dass der Geist in jedem Einzelnen andere Muster webt, die wiederum resonnieren und das jeweilige Konstrukt reflektieren, und in einem unvorstellbaren Strom wird alles weitergegeben und hat seine Wirkung. Man gähnt einerseits, denn man weiß es ja, doch was heißt hier wissen. Es fing an, mich heute unterwegs zu überwältigen, diese Realität unendlicher Geschichten, sich fortbewegend in unaufhörlicher Zeitlosigkeit, gebastelt aus Bildern und Worten. Es schien mir fast unmöglich, d a s in seiner ganzen Wirkung zuzulassen, denn wirklich: alles Geschichten. Weitergereicht und immer wieder neu erfunden, und soweit keiner sichtbar, der zur Daseinsperformance geladen hat. Einerseits ein gigantischer Anspruch an die Umsetzungsmöglichkeiten, wie z.B. Reichtum auf Erden empfunden wird, oder Arbeitszwang etc., all das Menschenmögliche, das auch alles ganz anders hätte laufen können und doch nicht wirklich, denn das, was da ist, ist immer das kollektive Resultat des gemeinsam Gewebten, wie auch immer man es sehen möchte und kann. Und doch verlässt mich das Gespür nicht von einer weiteren Dimension, die mit der Rückkehr zum Kind zu tun hat.Wenn man sich dort einlassen kann in die noch ungedeutete Sphäre und aushält, was man nicht nennen kann, dann kehrt man zurück. Das ist so sicher, wie so etwas oder überhaupt etwas sicher sein kann. Bild und Wort sind noch da, klar, man arbeitet weiter, einfach, weil es so ist. Keine Träume, keine Leistungen, so wenig wie möglich Meinungsfelder. Dem Züchten von neuen Samen fernbleiben, alles ist bereits vorhanden. Die Navigation auf dem eigenen Schiff hat schon seine Gesetzmäßigkeiten, braucht den Kompass und das Steuerrad. Wie sonst könnte Freiheit erfahrbar werden. Und es geht doch um Freiheit, auch von Bildern und Worten (!?).
Eigentlich ist (und war gestern) Sonntag mein Eremitinnentag. Jede/r kann seine oder ihre Bezüge herstellen zu dem Vorüberziehenden, und nicht jedes Gemüt ist geeignet für, sagen wir, einen Jogginghosentag zum Beispiel. Nachdem ich diese meine Tages-Nennung einem gerade im Dorf angereisten Freund mitteilte, wünschte er mir gutes ‚Eremitteln‘, und erfreut nahm ich den Begriff in meine Wortschatztruhe auf, der sich im Verlaufe der Stunden immer tagesgeeigneter erwies. Denn es war außerdem indischer Republic Day, den zu ignorieren mir jedes Jahr bisher gelungen war, obwohl wir auch hier auf der Kamelpiazza Darbietungen haben, die ich ebenfalls gerne vermeide. Dann wurde ich mitten im Eremitteln von der Familie meines Hausbesitzers vor das Fernsehgerät eingeladen und dachte mir, nun doch einmal hineinschauen zu können in diese gigantische Weltmacht-Performance, und wahrlich, da gab es viel zu sehen. ‚Jetzt siehst zu ‚Hindustan‘, meinte die Frau des Hauses voller Stolz, und es war klar, wie wenig ich damit zu tun hatte. Auch von indischen Poeten und Schriststellern etc. konnte ich lesen, dass sie sich auf dieser Parade nicht vertreten fühlen. Narendra Modi wirkte vollkommen erstarrt. Kein Wunder, denn auf den Wägen, die vorüberzogen, waren auch die kreativen Ideen aus Jammu und Kashmir, und Assam, und weitere Teile Indiens, in denen gerade die Proteste toben, das war sicher nicht einfach für den bei derart misslungenen Entscheidungen Ertappten, dessen düstere Geheimnisse, die er vermutlich für Lichtes hielt, sich zur Zeit durch die Reaktionen des Volkes entpuppen. Auch konnte man bei dieser Gelegenheit die ungeheuer grotesken Einstudierungen der Armeetruppen bewundern oder daran erschaudern mit der müßigen Frage, wie man so viele Menschen unentwegt und überall in solch eine Gehorsamsfolter einspannen kann. Dann waren da die vielen Displays indischer Zerstörungsmacht, alle möglichen phallischen Bomben-Kompositionen, und Panzer, die von der Moderatorin als einmalig gelobt wurden. Ich spürte, wie sich das Ermittelnwollen von meinem Tag ablöste. Ich stand auf und kehrte zurück in mein Refugium und erfreute mich an der Stille. Natürlich besteht keinem sein Hindustan nur am 26. Januar, wenn dem diesjährigen brasilianischen Ehrengast Jair Bolsonaro (bekannt als frauenfeindlich, schwulenfeindlich und rassistisch) in Delhi vorgeführt wurde, was alles hier schlummert, von dem die Welt wenig weiß. Auch hat nicht jeder so viel Menschenmaterial zur Verfügung wie Indien, und so viel Geld, und so viel durch religiöse Bindungen und Rituale eingeimpfte Gutgläubigkeiten. Insofern hat mich das Wenige, was ich von diesem Zirkus aus Delhi gesehen habe, genau dahin gebracht, wo ich hinwollte. In der Stille meines Raumes war ich dann doch innerlich wieder zuhause und dankte den vielen Möglichkeiten, die noch offen sind und vermutlich immer offen bleiben werden, solange man sie noch als Wege erkennen kann.
Um die Dinge, die uns wichtig sind, wirklich
schätzen zu können, müssen wir zuerst d i e
loswerden, die ihren Zweck erfüllt haben.
Und wenn man sie nicht länger braucht, dann
ist das weder verschwenderisch noch
beklagenswert. Kann man wirklich behaupten,
dass man etwas wertschätzt, das so tief in einem
Schrank oder einer Schublade verborgen ist,
dass man seine Existenz vergessen hat?
Heute dachte ich mal wieder an Shani Dev, den Saturn Gott. Klar, weil Samstag ist und ich schon eine Weile nicht mehr dort vorbeigegangen war und nach etwas Dunklem suchte. um es im Tag zu bündeln. Nicht, dass es schwer ist, Dunkles zu finden, nur welcher Art. Ich ging also hin und traf dort zu meiner Überraschung einen Mann am Baselitstein (dem Gott), der jahrelang wie ich zur selben Zeit die Runde um den See gemacht, aber durch schlimmes Erleben sein Vertrauen in die göttliche Hilfestellung verloren hatte. Vor ein paar Monaten war sein Bruder plötzlich verschwunden und hatte nicht nur seine Frau und seine zwei Kinder hinterlassen, ohne sich jemals wieder zu melden, sondern auch einen gigantischen Schuldenberg, den man nun samt Bruders Frau und Kindern dem jungen Mann auflastete. Nun hatte ihn gestern die Polizei in seinem Schmuckladen besucht und verkündet, dass der Bruder außerdem 3 Lakh Rupien, ungefähr 3000 Euro, der Bank schuldig geblieben ist, für die er nun aufkommen müsste. Er war am Zusammenbrechen im Angesicht des schier Unmöglichen. Ich hatte ihn schon ein paar Mal besucht und gründlich mitgelitten, aber nun durfte ich im Angesicht des schwarzen Gottes die totale Hilflosigkeit solch einer Situation erfahren. Und er, der in seiner größten Not zu diesem Gott gekommen war, wie konnte er hoffen, dass von diesem schwarzen Stein Hilfe für ihn kommen könnte? ‚Gott ist nicht gut zu mir‘, meinte er, das konnte ich nur bestätigen. Wenn er nicht zahlen kann innerhalb von zwei Wochen, wird er ins Gefängnis gehen, obwohl er im Alleingang bereits 6 Menschen im Haus versorgt. Das ist grausam, das ist unmenschlich, das ist Indien. Es ist das Indien, von dem man nicht wegreisen kann, um irgendwo anders sein Glück zu probieren, sondern es ist das Indien, das man nicht fassen kann und das einem ab und zu die Tränen in die Augen treibt. Mir fiel die Geschichte von Hiob ein und wollte gerade ansetzen, sie zu erzählen, merkte aber zum Glück rechtzeitig, dass mich das Hindi dabei überfordern würde, denn ganz sicher wollte er nicht von einem Mann hören, der in einer anderen Religion total von Gott verlassen wurde und alles Hab und Gut verlor. Außerdem erinnere ich mich gar nicht mehr, wie diese gruselige Gottesprüfung weiterging und ob Hiob sich nochmal von seinem Schock erholen konnte. Dann kam noch eine große Gruppe französischer Touristen vorbei und starrten uns in der entstandenen Totenstille an, als kämen wir direkt aus dem Hades. Insofern war alles so dunkel, wie es werden konnte an so einem leuchtenden Morgen. Noch liegt der Tag vor uns, obwohl der Wunsch, eine gute Fee mit einem Zauberstab zu sein, sich auch nicht umsetzen wird. Ich konnte dann nur noch bitten, dass er sich nichts antut, und dass auch jede Dunkelheit einmal ein Ende hat. Aber das Licht im Tunnel war noch nicht zu sehen.
Noch nie in all den Jahren war ich von der Morgenrunde um den See herum so lange ferngeblieben, bis es heute früh wieder soweit war. Eine Rückkehr in das orientalische Licht, in dem alles, was Indien sein kann, gebündelt ist. Da spüre ich dann mit dieser ungewissen Gewissheit, die den Eingebungen eigen ist, dass ich dazugehöre. Es sind die Orte, die es ermöglichen, dass man solchermaßen angesprochen und eingebunden werden kann in die Bewegung des ewigen Kreislaufs. Denn wir sehen ja jetzt, dass die störenden und die störungsfreien Abläufe kreisförmig sind in Wiederholungsschüben, die uns zu Ermüdungen führen können, wenn wir uns nicht um authentische Berührung mit dem Geist des Schöpferischen bemühen. Ein freier Geist, kein Zweifel, der scheinbar unbekümmert seine Substanz im Wohnraum des Alls angesiedelt hat, sodass davon nehmen kann, wer möchte, und wie und was daraus geformt werden kann, oder es gelassen, das Ganze also hinnehmen, als wär’s ein Geschenk oder eine Strafe des Himmels. Ganz so, wie man es selbst verstanden hat und sich Sichtweisen darüber angeeignet. Ach, da weht um mich schon eine Trauer über meine heraufziehende Abwesenheit von diesem Rundgang. Aber wer sagt, dass das, was wir tief in uns aufgenommen haben, jemals verlorengeht, sondern eine Er-Innerung bleibt im wahrsten Sinn des Wortes. Auch ich habe mein Wesen in diese Erde gesenkt und hatte die Muße, die Rosengärten aufblühen zu sehen. Berührt bin ich durch und durch von dieser Fülle, und keines Menschen Hand kann sie vermehren. Nur reicher werden können wir alle, allein und gemeinsam, wenn wir die wenigen Spielregeln des kosmischen Dramas nicht missachten. Und manchmal war ich auch ergriffen und wollte es lernen, dieses ‚hinduminische‘ Dahinschwimmen in der Nicht-Zeit, wo alles kommt und geht, wie es möchte, oder ganz, wie es ist und nur so sein kann. Und ich halte es durchaus für möglich, dass ich eines Tages aufstehen werde vom Webstuhl, vom Spinnrad, und meine Muster zurückspule in den undeutbaren Kern, der ganz ohne Überwachung am besten atmet. Und dann werde ich wissen, oder leuchtet es jetzt schon ein: was für ein Lernprogramm mir vergönnt war. Wie Pankaj’s Vater neulich zu mir sagte: man muss auch nehmen können vom Angebot.
Ist dies nicht das
(von Weisen ans Herz gelegte)
„Stirb, bevor du stirbst“!?
Der letzte Geheimtip
der wahrhaft Genießenden.
Jeder Nu eine Ewigkeit,
gespeichert in versinkenden Genen.
Gleichzeitiger Austritt und Auftritt.
Der Kosmos glänzt
mit eigenen Zusammenhängen,
die nur Leere sind
und wiederum nur Fülle.
Ich verkörpere mein Körnchen,
das Wirkung hat und Strahlkraft.
Ich gehe voran
und lasse zurück,
was der Freude am Wesen
des Geistes nicht zugänglich ist.
Nicht, dass ich den Eindruck erwecken möchte, am Schicksal der bald zu Hängenden zu hängen, aber ich fand noch bemerkenswert, dass ein Richter sich an die Mutter der (Nirbaya)-Tochter gewandt hatte mit der Frage, ob sie den Vergewaltigern und Vernichtern ihrer Tochter vergeben könnte, so wie, meinte er, Sonia Gandhi den Killern ihres Mannes vergeben haben soll, (daran konnte ich mich nicht erinnern). Nirbayas Mutter wies das empört zurück und meinte dass, selbst wenn Gott sie darum bitten würde, sie ablehnen müsste. Die Frage des Richters hat dieselbe Qualität wie die unzähligen und ungeheuerlichen Bemerkungen, die vor allem in den Fällen von Vergewaltigungen auch von Ministern als ‚Lösungen“ geäußert werden, zum Beispiel dass die Frau doch den Vergewaltiger heiraten solle, dann ist ihre Ehre gerettet. Wann und warum sich in den Köpfen eines Volkes etwas derart Unvorstellbares breitmachen und vor allem bereitmachen kann, ist und bleibt etwas schwer Nachvollziehbares. Fakt ist, dass jede Frau, die in diesen indischen, familiären Gefängnissen den Mut hat zu einer Weigerung, schon beiträgt zu der längst fälligen Bewegung, die ohnehin langsam in Gang kommt, wenn auch im Schildkrötentempo. Ich muss mich immer wieder mal selbst daran erinnern, dass ich ursprünglich in ein anderes Indien eingestiegen bin, in dem mir die Tragödien der Häuser weitgehend verschlossen blieben. Allerdings ging es auf meinem Weg auch jahrelang darum, mich als Frau in einer männlich besetzten Welt (von Sadhus und Mönchen und Bruderschaften etc) durchzusetzen, da man alle weiblichen Wesen für eine potentielle Gefahr der reinen männlichen Potenz hielt, worüber ich bald lachen und mit leicht formulierbaren Gegenfragen auffahren konnte, die die albernen Bemerkungen letztendlich zum Schweigen brachten. Das erschuf dann den wahrhaft beseligenden Zeitabschnitt meiner eigenen Forschungen. Ich war endlich selbst (als Ei/I/Eye) in der Wüste gelandet im Schutz eines schlichten Tempelgeländes, in dem ich den Anspruch auf meine Praxis erheben und außerdem noch vieles lernen konnte. Von dieser Zeit bin ich so grundlegend geprägt, da mich die Tiefen der Erfahrungen dann doch überraschten, auch weil die Wüste noch verhältnismäßig leer war, und Tier und Mensch sich durch die Stille des sandigen Raumes bewegten. Vor allem diese Zeit ist das Unauslöschliche, das ich mitnehme mit mir, nicht als Nostalgie-Bürde, sondern als Schatzkammer meiner eigenen geistigen Reichweite. Auch tiefer, unauslöschbarer Schmerz des Angetanen erzeugt eine innere Wüste, die vor allem von Frauen durchwandert wird, aber dennoch auch Rosengärten hervorbringen kann. Und obwohl ich persönlich kein weiteres Indien unter Narendra Modi erleben muss oder möchte, wird gerade seine Politik, die zur Zeit so oft mit Hitlers Nazi-Regime verglichen wird, Bewegungen hervorbringen, oder bringt sie bereits hervor, in denen man vor allem Frauen aus den schlecht belichteten Räumen ihrer Hütten und Häuser wird hervortreten sehen, die nicht mehr zurückschrecken vor den bedrohlich nah gekommenen Peinigern, die wir hier „Rakshas“ nennen, die Dämonen, und die eine indische Frau so trefflich mit den Worten „out of human“ bezeichnet hat. Und tatsächlich: verlässlich, wie das indische Wissen nun mal ist in seiner monumentalen Größe und Weite, steht dort irgendwo in einer Purana, die ich mir einmal habe übersetzen lassen aus dem Sanskrit, geschrieben, dass in dieser jetzigen Zeit (in ewiger Kreisläufigkeit gesehen) männliche dämonische Kräfte den ganzen Lebenskarren in eine tödliche Starre getrieben haben, und dass d a s dann der Moment ist, wo weibliche Kraft, ungehindert von den bestehenden, konventionellen Strukturen, das Große Fahrzeug wieder in Bewegung bringen wird. (in meinen Worten). Deswegen ist es gut, wenn eine Frau das Nichtzuvergebende nicht vergibt, damit endlich Schluss ist mit dem Vorgesetzten und die eigene Stimme erkennt, wann genug wirklich genug ist, in jeder Hinsicht gesehen.
Das Auge im Bild (gespiegelt) habe ich in einer Mauer entdeckt, als ich nach einem ganz bestimmten Affen Ausschau hielt, dessen Schicksal ich seit einigen Jahren beobachte. Wie schnell man etwas sieht, das einerseits da ist, und doch nur da ist, weil man es sieht. (Und auch nicht da ist als das, als was man es sieht, also eben nur durch das Gesehenwerden Existenz erlangt).
Dann muss ich noch etwas berichtigen, was die Hängung der vier als „Nirbaya-Sträflinge“ bekannten Vergewaltiger betrifft, über die ich am 15. Januar berichtet hatte, von denen Einer eine Gnadenbitte eingereicht hatte, deren hoffnungsloser, aber juristisch wohl noch nicht abgeschlossener Vorgang nun das Gehängtwerden noch einmal verzögert hat. Es gab Unmut darüber von einem Richter über diese Verzögerungstaktik, vor allem aber von der Mutter des Opfers, für die der dringliche Tod dieser Vier einen Abschluss ihrer Not bedeutet. Hier lässt man am besten das Meinungsbilden. Außerdem wird es ganz sicher einen Film darüber geben, wenn jemand nicht schon dran ist. Der Schlimmste bei der Tat war ja der Jugendliche, der wegen des e i n e n Jahres vor seiner Volljährigkeit in einem Heim für schwer erziehbare Jugendliche gelandet ist. Durch seine Gewalttat ist sie letztendlich gestorben. Ihre Innereien waren vollständig zerstört. Dann haben sie sie und ihren Begleiter nackt aus dem fahrenden Wagen geworfen, und lange hielt niemand an, weil keine/r verwickelt werden wollte in dieses offensichtliche Grauen. Ihr Gehängtwerden ist also vom 22. Januar 7 Uhr früh auf den 1.Februar um 6 Uhr früh verlegt worden.
Die Anlage dieser potentiellen Entmenschlichung des Menschen ist sicherlich immer dagewesen, aber wenn sich die Zeichen mehren und verdichten, wenn auch nur durch die medialen Möglichkeiten, das Ausmaß des Vorhandenen wahrnehmen zu können, dann..ja, was dann. Wo fühlen, wann fühlen, wie fühlen, was fühlen, wo mit und wo nicht mitfühlen. Das wird uns weiterhin beschäftigen. Vielleicht gibt es durch die Menschheitsgeschichte hindurch immer wieder Momente und Zeiten, in denen die Frage nach dem Gefühltwerden eine tiefere Note anstimmt. Auch in der Liebe hat nichts geklärt werden können außer, dass man fühlt, was man fühlt, und wenn man das Glück hat, überhaupt davon betroffen zu sein. Wenn man die Gefahren nicht auslässt, aber am Ende der Tunnel auch das Licht sieht. Wenn man die eigene Seltsamkeit annehmen kann, weil man verstanden hat, dass kein Same dem anderen gleicht. Das ist umwerfend. Und wenn man sich wieder aufgerappelt hat im Angesicht der Einzigartigkeit des Schöpferischen, macht man sich vielleicht ein wohltuendes Getränk und lehnt sich eine Weile zurück und lässt hineinsinken ins innere Universum die unbeschreibliche Mystik des Einfachen.
Dann ist alles wieder so wohltuend schön und nahezu vollkommen, so, wie es ist oder so, wie es scheint, oder so, wie es tatsächlich auch sein kann oder ist, während das Andere ebenfalls da ist und die Frage, ob es anders überhaupt sein kann, als es ist, fast überflüssig, wobei es ja bei allem scheinbar stabilen Sein sich ständig wandelt, also ist sowieso ständig, wie es jeden Nu ist. Es gibt zwei Meisterschaften, die im indischen Wissen verankert sind und die beide, obwohl anders gehandhabt, von derselben Quelle ausgehen und zu ihr zurückführen können. Einerseits ist es die völlige Hingabe der Ichverhaftung, wie man sie oft in der mütterlichen Hingabe an das Kind sieht und idealisiert. Und andrerseits ist es die durch Bewusstsein errungene Meisterschaft über die eigenen Gedanken, Emotionen, Handlungen auf der Basis von darauf ausgerichteter Praxis. Beide Wege sind schwer zu ergründen und zu manifestieren, und nur zu selten sieht man ein Beispiel, wie so etwas im täglichen Ablauf aussehen könnte, gibt es doch da, wo Meisterschaft reklamiert wird, selten Zutritt zu der gerne geleugneten Privatsphäre. In einem gestrigen Gespräch mit einem total von allen spirituellen Bemühungen desillusionierten Freund musste ich wegen dem schweren Halskloß in seiner Stimme lachen, als er mir mitteilte, dass er kein Ziel fand auf diesem Weg. Ich fand das super und bin grundsätzlich gegen die Kultivierung schwer greifbarer Karotten, die sich beim Träumen wie Lichträume im All vergrößern. Ich kenne das auch und weiß, wie lange es dauern kann, bis man durch große Aufmerksamkeit auf den eigenen Blick auf einmal die Karotte sieht und den Eselswagen verlassen kann. Das sind alles wertvolle Erfahrungen, denn wie soll man sonst lernen, wie und was etwas ist und wodurch sich das Eine vom Andern unterscheidet, bis auch d a s keine Übung mehr ist und die nächsten Übungsfelder sich auftun können auf der Reise. Jetzt vielleicht auf einem Schiff mit Ähnlichgesinnten, oder auch jede/r sein oder ihr eigenes Schiff, den eigenen Kompass, den eigenen Stil, mit der Fahrt in das Nichtzuwissende umzugehen, und vor allem durch die Begegnungen miteinander und mit sich selbs alle vor sich hinreifen wie gut besonnte und besonnene Früchte, die gar nicht befragt werden können, woher sie gekommen sind. Oder doch?
Wo der Geist ohne Angst ist
und der Kopf hoch gehalten wird
Wo Wissen frei ist
Wo die Welt nicht in Stücke zerbrochen ist
durch schmale Hausmauern
Wo Worte aus der Tiefe der Wahrheit kommen
Wo das unermüdliche Streben seine Arme
zur Perfektion streckt
Wo der klare Strom der Vernunft nicht
seinen Weg verloren hat
in den tristen Wüstensand toter Gewohnheit
Wo der Geist vor dir hergeführt wird
in immer größer werdenden Gedanken und Handlungen
In diesen Himmel der Freihei lasse mein Land erwachen.
Gestern kam Lali zu mir, direkt von der Schule, wo sie eine der letzten Prüfungen ablegt für einen Regierungs-Job als Lehrerin, der gut bezahlt ist und so ziemlich alle Sorgen für sie und ihre drei Kinder beenden wird. Ich kenne sie, seit sie vier Jahre alt ist und bin die einzige, die sie noch ‚Lali‘ nennt, ein liebevoller Name für Mädchen. Sie wurde in einem der wenigen Tempel geboren, in dem Fremde keinen Zutritt haben. Es soll mal durch sie einen Diebstahl gegeben haben, irgend etwas Kostbares, womit sie erwischt wurden. Ihr Vater war ein gutherziger, stiller Mann, der ihre Anwesenheit nach drei Söhnen willkommen heißen konnte und sie auch in allem, was sie wollte, unterstützt hat. Im Tempel verdiente er sich durch Wassertragen etwas extra Geld dazu. Es gab zu seiner Zeit noch keine Maschinen, und er zog das Wasser an Seilen aus einem Brunnen und trug es dann auf einer Holzstange, links und rechts in einem Kanister mit je 15 Kilo, zu den Priestern, wo er die großen Wasserbehälter aus Ton füllte. Als ich ihn kannte, saß er in seinem inzwischen eröffneten Pilgerrestaurant immer auf einer Bank wie ein Vogel und schwieg. Als er starb, war Lalis Familienglück beendet. Obwohl ihre Mutter keinerlei Sinn darin sah, ein Mädchen auszubilden, setzte sie ihre Ausbildung bis zum College durch. Dann verkuppelte ihre Mutter sie trotz intensiver Warnungen über die Familie ihres zukünftigen Mannes eben mit diesem Ehemann, von dem sie sich später, und leider auch zu spät, getrennt hat, weil ihre Kinder nicht mehr von einem Ferienaufenthalt nach Hause gehen wollten, ‚weil der Papa immer nackt auf ihnen lag‘. Nach der Trennung kam er irgendwann mal wieder und bat um Vergebung, aber sie wollte gar nicht vergeben. Etwas später hat er sich von einer Brücke heruntergestürzt, von da an bedauerte man sie als Witwe. Gestern erzählte sie mir, dass selbst ihre Mutter und ihr Junkie-Bruder, der seit dreißig Jahren auf Heroin ist und außerdem keinen Finger rührt, ihn immer wieder zu verstehen geben, dass sie eigentlich im Haus ihres Mannes leben sollte, von dem sie geflohen ist. Eine Witwe in Indien zu sein bedeutet, für Andere einen Schatten darzustellen, dem man aus dem Weg geht. Sie ist schon seit Jahren die verlässlichste Kraft in der Führung des Restaurants, aber es gibt nie auch nur die geringste Achtung dafür, sondern im Gegenteil erzählt ihre Mutter den Pilgern manchmal, auf ihre Tochter deutend, dass sie Witwe sei und halt durchgefütetrt werden muss. Ich war dann richtig erleichtert, als Lali in Tränen ausbrach, ein Schluchzen aus der tiefsten Tiefe dieser trostlosen Qual. Zur Zeit arbeitet sie im Restaurant von 7 bis 10 Uhr, geht dann in die Schule, in der sie 4 Monate Praxis als zukünftige Lehrerin absolvieren muss, geht dann, auch gestern nach unserem Kaffee, zurück in das Restaurant und arbeitet dort bis Mitternacht. Dann noch ein Examen, dann endlich der Beruf, dann ein größeres Spielfeld, dann langsam ein menschlicheres Umfeld mit ihren Töchtern und mit ihrem Sohn, mit denen sie auf gute und liebevolle Weise verbunden ist. Zum Glück ein Ausweg aus dem Alptraum. Weg von der Mutter, und weg von den Brüdern. Nein, die Götter bringen keine Menschlichkeit in diese Vorgänge hinein und verhindern eher ihr Erscheinen. Das muss schon vom Menschen selbst kommen, dieses nicht nur Mensch sein, sondern auch menschlich. Wer soll es uns beibringen (als wir uns selbst).
Manchmal betrachte ich die Wesen, die aus meinem oder durch meinen Pinsel hervortreten und denke, dass ich sie nie gekannt hätte ohne dieses Hervortreten durch ein Ringen, das in mir lebendig wird, bis sie da sind. Ich habe die letzten Tage viel mit einer sehr liebevollen Mutter verbracht und fand, sie schaute auch so auf ihr Kind: einerseits erstaunt, dass es aus ihr hervorkam, ein tief vertrauter Fremdling, das Kind, dessen eigenes Wesen sich nicht wirklich erklären lässt, mit dem aber diese unauflösbare Verbundenheit besteht. Natürlich ist es einfacher, ein Bild loszulassen als ein Kind, wo die Frage gar nicht auftaucht, das Mysterium der Verbundenheit aber dennoch atmet. Welche Blicke gehen in die Zukunft, welche in die Vergangenheit, und welche bewegen sich in verhältnismäßiger Unabhängigkeit von diesen zwei Räumen. Gestern hatte ich Besuch von Anil (einem Softwareprogrammierer für Schiffscomputer), der sich verabschiedete und mit seiner Familie auf dem Weg nach Delhi war. Mitten im Gespräch fing er an, mich als „Yogi“ zu bezeichnen, für die s.E. der Tod keine große Überraschung darstellt, während es für ihn als Familienmann wesentlich schwerer wäre. Er erzählte mir eine simple Anekdote, in der Yama, der Gott des Todes, zum Yogi kommt, der unbeschwerten Herzens mitgeht, während der Haushälter um Zeit bittet, damit er für die Angehörigen alles regeln kann. Noch habe ich weder in mir oder in Anderen eine Leichtfüßigkeit dem Tod gegenüber feststellen können, das ist ja nicht so einfach. Allerdings bemerke ich, dass meine klare Entscheidung, mich von Indien zu trennen, mich in ein anderes Bewusstsein und einen neuen Raum versetzt hat. Mir fielen diese Sätze ein, die tatsächlich in meinem „Yogi(ni)leben herumgegeistert sind wie „in it, but not of it“, was in Englisch einfacher auzudrücken ist im Sinne, dass man zwar in der Welt ist, aber nicht verwickelt in die Bezüge zu ihr. Das erlebe ich gerade und finde es spannend, dass es nicht nur meiner Liebe zu diesem Land und seinen BewohnerInnen keinerlei Abbruch tut, sondern eher noch eine Freiheit in dieser Liebe auftaucht, die eher an das Unauslöschbare erinnert. Einerseits suche ich zur Zeit weniger nach den Begegnungen, erfahre mich aber als sehr präsent, wenn sie stattfinden, sei es beim Gemüsemann oder im Gespräch mit dem Brahmanenpriester. Das gefällt mir, denn es gibt Hoffnung und Mut, weiterzugehen in das Ungewisse mit einer Freude an der Schöpfung, als was auch immer sie sich zeigt. Anil sprach auch über das Leiden, ohne das es dem Menschen fast unmöglich sei, zu sich zu kommen, da kann ich nur zustimmen. Am schwersten ist der Weg, dem Schrecken in sich und über sich selbst nicht auszuweichen, und es ist unentbehrlich, so tief zu tauchen, dass man weiß, was der existentielle Grund ist, von dem wiederum ein Aufsteigen nicht nur möglich, sondern automatisch möglich ist. „Automatisch“ ist ein Lieblingswort der einheimischen Inder, die damit ein positiv besetztes Schwingungsfeld meinen, das durch bereitwillige Hingabe an das Sein entsteht. Wenn man es in der Musik erfährt, kann man erleben, wie auf einmal die Instrumente sich selbst zu spielen scheinen, eine Ebene der schöpferischen Virtuosität, die auch Aspekte des Wahnsinns in sich tragen kann, die hier sublimiert werden. Und stand es nicht einmal in einem meiner frühen Gedichte: ‚Geh, bevor du gehst, damit wenigstens du da bist, wenn Da da ist.‘
Überall Zugang.
Ausklang und Einklang
im Herzen; vieles ergibt sich
als Gutes. Ich nehme so wenig
wie möglich und erfreue mich
an den Erscheinungen, ohne
von ihnen ergriffen zu werden.
Die Erde ist Raumschiff.
Sieh!, wie sie leise und sachte
durch immense Weiten steuert!
Wind in den Haaren,
Freude im Geist.
Wir denken uns durch das
Dickicht des Traumes,
bis wir wach sind und hörbar.
Ich werde in heilendem Schauder
berührt von dieser mächtigen
Symphonie der Nähe.
Ich bin dann also gestern durch das Dorf gewandert in guter Laune, weil die Technohämmer zweier konkurrierender Gruppen mit ihren riesigen, schwarzen Lautsprecherboxen auf beiden Seiten meines Wohnortes etwas von ihrer atembeklemmenden Wirkung verloren. Andere Gruppen waren mit dem Aufbau riesiger Mengen von Material für die Zubereitung der Pakoras beschäftigt, wobei die Geldspender aufmerksam auf den Vorgang achteten. Ich hatte bereits mein Interesse an Pakoras verloren und war nur erleichtert, im Haus von Freunden zu landen, wo der Technosound entfernter und dadurch leichter zu ertragen war. Jemand hatte aus Bikaner eine lokale Tageszeitung mitgebracht, in der ich einen weiteren Artikel über die vier Sträflinge fand, die eine tragische Weltberühmtheit erlangt hatten durch ihre brutale Vergewaltigung einer jungen Frau, die nach ihrem Tod im Jahre 2012 als „Nirbaya“ bekannt wurde. Es war vor allem ihre Mutter, die die selten ausgeführte Todesstrafe forderte. Das Ganze zog sich wie üblich jahrelang hin. Der Haupttäter war erst 17 Jahre alt, musste irgendwann entlassen werden und lebt irgendwo im Verborgenen. Nun wurde der Druck immer stärker auf das Gericht, und die verbleibenden juristischen Möglichkeiten der Täter waren ausgeschöpft. Sie sollen am 22. Januar durch Hängen hingerichtet werden. Jeden Tag kam ein weiterer Artikel über die Vorgänge und die Befindlichkeiten der jungen Männer. Weil wir alle davon Kunde erhielten, wussten wir nun, wann sie zusammenbrachen und wann sie weinten. Sie wurden Tag und Nacht beobachtet, damit sie sich nicht umbringen würden vor ihrer offiziellen Umbringung. Einer von ihnen wurde geistig so unstabil, dass man seine Mutter holte, die ihn nur beruhigen konnte, weil sie ihm Hoffnung machte auf weitere Anhörung. In der Zwischenzeit fand man einen Henker, dessen Vorfahren alle Henker waren und einen gewissen Familienstolz darüber entwickelt hatten, dem Bösen aus der Welt zu helfen. Auch schlimm war es für die vier Straftäter, als man ihren Halsumfang maß, um die Schlinge dementsprechend zu formen, und Proben wurden gemacht mit schwereren Dummies als die Körper, damit sichergestellt wird, dass sie auch ordentlich hängen. Dann wurden in diesem grässlichen Spiel noch eine Riesenmenge Bananen gekauft und in die Schnüre geschmiert, um sie weicher und beweglicher zu machen. Außerdem wurde zum ersten Mal in der Geschichte des Hängens eine Konstruktion erschaffen, die ermöglichen wird, dass alle Vier gleichzeitig gehängt werden können. Schrecklich ist es von Menschen, das Leben eines anderen Menschen zu nehmen, und schrecklich ist auch zu wissen, an welchem Tag und zu welcher Stunde man sterben wird. Je schwerer der Körper, sagte ein Vorbereiter, desto kürzer der Fall. Die Angehörigen können alle einzeln noch einmal mit den jungen Männern sprechen, bis hin zu Stunden. Seit der Name des Henkers bekannt wurde, steht er unter Polizeischutz. Ich finde die Todesstrafe in jeder Hinsicht unangebracht und könnte mir für die Täter keine schlimmere Strafe vorstellen, als bis zu ihrem natürlichen Tod im Gefängnis zu bleiben und auf diese Weise noch am Leben beteiligt zu sein. Jetzt ist also klar geworden, dass sie am 22. Januar um 7 Uhr früh sterben werden. Das ist alles auch immer gleichzeitig: das Pakoraessen, die aufgehende Sonne eines neuen Tages und die, die diesen Tag nicht mehr erleben werden.
Es ist erst 7 Uhr morgens, doch schon werden auf verschiedenen Dächern der jeweiligen Umgebung die Lautsprecher aufgestellt und auf höchste Lautstärke eingetuned. Man zuckt zusammen, obwohl man weiß, dass heute Sankranti ist, das Drachenfest. Tierliebhaber und Tierärzte-und Ärztinnen rüsten sich seit Tagen, vor allem für verwundete Vögel, die im Gewirr der Fäden hängenbleiben. Andere Ärzte kümmern sich um Motorradfahrer, deren Nasen unterwegs verletzt wurden, und man muss tagelang tierisch aufpassen, um nicht mit den Füßen in überall herumliegenden Fadennestern hängenzubleiben. Die Zeitungen berichten von den „Killer-Manjhas“ aus China (die verboten sind und überall unter dem Ladentisch verkauft werden), das sind Strings mit winzigen Glasscherben, mit denen man den Feindesdrachen aus dem Spiel schneidet. Jahrelang ließ ich mir bis zu hundert Drachen-Prachtexemplare aus Jaipur bringen und verteilte sie einen Tag vor dem Fest in einem bestimmten Gebiet, wo mehr Hütten stehen als Häuser. Aber seit ein kleines Mädchen, die vorne, wie hier üblich, auf dem Motorrad ihres Vaters saß und durch eine quergespannte Schnur geköpft wurde, habe ich keine Lust mehr auf das Fest. Im Laufe des Tages füllen sich die Krankenhäuser mit von Terrassen und Balkonen gefallenen Kindern, und alle sind froh über die, die lebend davonkommen. Als ich das gestern erwähnte, sagte jemand, na ja, das ist ja jedes Jahr so, das gehört eben auch dazu. Klar, auch das Oktoberfest würde niemals abgeschafft werden, „nur“ weil ein paar Frauen von Besoffenen belästigt oder vergewaltigt werden. Man kann sich über alles eine Meinung bilden und es auch wieder lassen, oder Konsequenzen ziehen, wenn angebracht. Leider kann man auch die Mütter nicht warnen, denn man weiß nicht, und auch sie wissen es noch nicht, wen es dieses Jahr treffen wird, weil man das Kind nicht vom Spiel zurückhalten wollte. Auch die Affenherde, die jeden Tag an meinem Fenster vorbeizieht, hat sich schon aus dem Staub gemacht. Ich bin auch gleich unterwegs, mit wenig Aussicht auf leisere Töne. Aber draußen gibt es überall super leckere Pakoras, und alle, wirklich alle, laben sich an dem köstlichen Zeug, manche süß, manche gewürzt. Das gleicht zumindet die unmenschliche Bedröhnung etwas aus. Und los geht’s.
Gestern habe ich eine Mail bekommen mit einem Plakat, auf dem zur Befreiung Kashmirs aufgerufen wird, und es zeigt Hitler und Modi Rücken an Rücken, darunter die Worte in großen Buchsteben: ‚Wir können keinen weiteren Holocaust erlauben.‘ Das geht mir jetzt langsam auf den Geist, und ich wüsste gerne, wo die historischen Holocaustforscher sitzen, um zu erkunden,was sie so antreibt. Klar, Hitler eignet sich vortrefflich als Figur des Bösen, mit der man Andere, die einem böse vorkommen, vergleichen kann, wenn man das möchte, oder aber sich an den zeitlos klugen Satz von Hannah Arendt erinnern über die Banalität des Bösen. Diese Faszination mit dem Bösen und der in der politischen Szene schon Mode gewordene Vergleich mit Adolf Hitler sind es, die mir auf den Geist gehen. Natürlich kann jeder zum Vergleichen die Bilder benutzen, die ihm oder ihr dafür geeignet scheinen, aber Vergleiche hinken immer und ermüden daher schnell in ihren Abläufen. Was mich interessiert hat an diesem Phänomen kann auch kein weiteres Licht darauf werfen, wie Hitler nun tatsächlich das Swastika in die andere, also als falsch benannte Richtung gedreht hat, und ob tatsächlich ein indischer Mentor seine geistigen Hände mit im Spiel hatte. Hitler, so hörte ich neulich reichlich erstaunt, soll selbst in Indien gewesen und sogar in Lucknow in der Universität aufgetaucht sein. Müsste aber belegt vorliegen, obwohl auf indischer Seite historisches Belegen eher abenteuerlich ist. Auch sollen Tausende von indischen Soldaten für das Dritte Reich gekämpft haben. Lange war Hitler in Indien ein Held und ich habe häufig irgendwo an einem Kiosk im Land das Buch „Mein Kampf“ gesehen. Ich selbst habe noch nie jemanden getroffen, der es gelesen hat. Insofern ist es günstig, dass dieser Illusionsschleier langsam fällt, wobei es scheint, als würde er nur durch ein neues Modell ersetzt. Ich merke, wie ich mit dieser neuen Richtung nichts zu tun haben möchte. Meine Entscheidung, Abschied zu nehmen von Indien dieses Jahr, bzw. im März 2021, sucht nicht nach Gründen, um sich zu erklären, weil es nicht wirklich einzelne Gründe gibt, die das notwendig machen würden. Ich sehe auch, dass alles, was in Indien gerade mit ziemlich heftiger Energie im Gange ist, seine Stimmigkeit hat, denn hier müssen sich Strukturen verändern, die derart unbeweglich sind, dass es viel Energie benötigt, um sie zu bewegen. Auf der anderen Seite kann ich aus eigener Erfahrung sagen, dass sich die Inder nie wirklich haben versklaven lassen durch diese Strukturen. Sie schätzen ihre Ordnungen und folgen ihnen manchmal penetrant, aber ich habe auch noch nirgendwo so freie Geister getroffen, die einfach alles Lebendige zulassen und einen sehr ausgeprägten Sinn für das Spiel haben, das sich für sie ja endlos fortsetzt. So habe ich Vertrauen in ihre Art zu sein, aber die deutlich sich abzeichnende Richtung ist gerade nicht meine. Noch zittert die Nadel von meinem Kompass nicht, aber das Ungewisse breitet weit seine Flügel aus.
Das Video (unten) zeigt eine Szene aus dem Film, den ich mit Freunden aus Delhi gesehen habe. Ich wollte nach Jahren mal wieder einen indischen Streifen sehen, und nicht nur die pompöse Ausstattung hat mich überrascht, sondern auch diese ausgeprägte Fähigkeit der Inder zu höchsten Formen des Klischees und einer dramatischen Traumwelt, die im sogenannten realen Umfeld niemals anzutreffen war und ist. Der Film ist der Traum, den jede/r träumt. Da wird getanzt und gesungen, was das Zeug hält, obwohl sich einiges auffallend verändert hat. Die Frauen waren immer schon ansehnlich bis schön, aber die Männer gehen eifrig in die Muckibude, und so muss irgendwann das Hemd runter, damit man das Resultat der Arbeit sieht. Die Erotik knistert ungehemmt vor sich hin, aber Küssen und alles mögliche Sonstige ist immer noch tabu, aber was man sieht, reicht durchaus, denn man versteht die gewaltigen Emotionen, die hier in vielen Turbulenzen sichtbarer und spürbarer werden als alles Gezeigte es kann. Irgendwie faszinierend. Man versteht vor allem, dass in den meist langweiligen Haushalten die Überdramatik dieser Performances mehr als willkommen ist, denn hier kann man miterleben, wie das Heldenhafte aufblüht in kraftvolle Taten, bei denen auch Frauen maßgeblich beteiligt sind. Auch Mastani tanzt nicht nur vor dem Prachtkerl herum, sondern sie ist Schwertkämpferin und mindestens so mutig wie er. Man sieht auch, dass Bollywood jetzt den nötigen Zaster hat, um jede Illusion zu ihrem Glanz zu führen, wo Lieder und Tod der Helden und Heldinnen in der Psyche verankert bleiben. Hier ein kleiner Ausschnitt.
Ja, wir stehen mittendrin in der Zweiheit und
ergänzen uns selbst, indem wir das Unvereinbare
verbinden, das Lautlose hörbar machen und das
Hörbare lautlos und es zulassen, dass in manchen
Ländern der Mond weiblich ist und die Sonne
männlich. – und umgekehrt. Das extrem Weibliche
i s t das extrem Männliche. Wir fühlen uns zögernd
durch das Verhältnis der Gegensätze zueinander
hindurch und nähern uns einer Ahnung, wie es sein
kann, wenn das Ich sich ergibt und das äußere Bild
verblasst und der Geist nur e i n e n Ort hat zum
Aufenthalt. Wir leben in der sichtbaren Abwesenheit
aller Farben und gleichzeitig in der Summe des Farbigen.
Es ist uns ermöglicht worden, die Spannung der Pole
zu erfassen und aufzufangen in einem einzigen Ton.
Wir sehen Lichtstrahlen, die abhängig sind von einem
Hauch von Materie, um sichtbar zu werden im Raum.
Wir haben Angst vor fremder Finsternis, die in uns
lauert als das eigene Selbst. Ach, zwischen dir und mir
steht dieser Widerspruch, das Unmögliche, das nach
dem Möglichen sucht, ohne das es nicht sein kann.
Wir wohnen in der Wechselhaftigkeit von Ja und Nein
und haben nichts als diesen einen Punkt, an dem wir
uns begegnen, heute, hier, im direkten und virtuellen
Raum des Geschehens, dem Strom der fließenden Zeit.
Gegrüßt sei der ewige Widerspruch,
der lebendige Widerspruch.
Gegrüßt sei das unsterbliche Ja,
denn es trägt in sich das
befreiende Nein.
Ja, wir wohnen im Gegen-Satz, und unsere
Werke leben fern von uns in ihren Gärten.
Wir alle wollen uns selbst sein, und sind
doch nur der Spiegel eines Anderen, das in
uns lebt als Wir, die Wahl also schwerfällt
zwischen dem, was uns erhebt und dem,
was uns am Boden hält. Man weiß nicht,
ob der Körper ein Gefängnis des Geistes ist,
oder der Geist eine Last für den Körper.
Wir wohnen im Zwiespalt – in scheinbar
unversöhnlichen Kluften – und kennen das
Nichterträgliche ungenügender Liebe noch
nicht, noch nicht genug. Wir sind vertauschbar
ohne ersichtlichen Grund und träumen
heimlich nachts mit offenen Augen von der
bewegten Stille, die unsere Sehnsuchtsgesten
ins Unzertrennliche führt und in die formvollendete
Zwanglosigkeit. Schwarz ist hier ein hilfreiches
Wesen, das uns liebt mit seiner unauflösbaren
Fremdheit. Wir können sie ertragen, die
Hochspannung ungeborener Möglichkeiten im
eigenen, inneren Raum, in dem Ende liegt und
Anfang zugleich. Wir leben im Weiß, im Marmor,
in der Perle. Ein Weiß, in dem alle materiellen
Eigenschaften und Substanzen verschwunden sind…
Als meine Augen heute früh beim Nach-Denken über unsere gestrigen Gespräche (ich verbringe hier auf Einladung Shivanis drei Tage, da die junge Familie aus Delhi gemeinsame Freunde sind) über die Gästebettdecke streiften, fiel mir auf, dass die Essenz unserer stundenlang dauernden Unterhaltungen bereits auf der Baumwolle gedruckt waren. In der Mitte (Leintuch) die Proteste der Studenten, links und rechts (Kopfkissen) die beiden Parteien, die sich kriegerisch gegenüberstehen, für und gegen das Gesetz, um das es m.E. gar nicht mehr geht, sondern der Kampfgeist ist geweckt, die Sache läuft und die Folgen sind unabsehbar. An einem bestimmten Punkt, wenn es schon genug Tote und Verletze gegeben hat, ist es fast unmöglich, den Aufruhr wieder einzudämmen. Auch psychische Phänomene wie die Lust am Untergang schleichen sich ein. Vielleicht meinte meine Mutter das auch, als sie manchmal in ihren Kriegsanekdoten vom ‚Tanz auf dem Vulkan‘ sprach, eine Art innerer Enthemmung im Angesicht lebensbedrohender Gefahren. Oder wie die indische Hausfrau in das Mikrofon sagte, dass sie bereit sei, für die Sache zu sterben. Klingt vermutlich irgendwie tapfer in Revoluzzerohren, aber meine Güte, wieviel sinnloses Menschengemetzel ist dabei immer wieder passiert, und dann der schmerzhafte Rückblick auf die ‚Sache‘, für die gestorben oder als verkrüppelter Mensch heimgekehrt wurde. Auch in unserem Freundeskreis hat jede/r seine und ihre Nummer drauf. Narendra Modi ist ein Reizthema, Da ich mir in Momenten schon vorkomme wie eine auf das rettende Schiff (des Beisichseins) rufende Kassandra, habe ich lieber die auf dem Kopfkissen erscheinenden Kriegsgelüste gewählt als das neueste im Netz tausendfach aufgetauchte und ausgetauschte Video von Hitler, der mit Modis Stimme verblüffend gut synchronisiert ist. Gerne würde ich mich mal mit diesen Kreativlingen unterhalten, aber das Netz selbst ist ein unübersehbares Labyrinth, und immer weniger reizt mich die Irrfahrt in sein Dunkelfeld. Niemand würde heute bezweifeln wollen, dass der Geist erweitert werden kann durch das Starren auf kalte und leblose Bildflächen, doch kann man auch nichts an der Tatsache ändern, dass es ein Außen ist, und ein Außen wird es bleiben, lange, sehr, sehr lange. Bis die, die das Ganze überleben, eines Tages vielleicht wieder zu sich kommen, aber vielleicht auch nicht. Alles, über was wir auch hier am Tisch reden, hat seine vielen Seiten, auf die mal von hier, mal von da ein Licht fällt, bis wir den erschöpften Synapsen eine Pause gönnen und uns für einen Film bei Netflix entscheiden. Aber kann man das eine Erholungspause nennen, denn der Film behandelt farbenprächtig und mit Gesang und Tanz das letztendliche Gemetzel zwischen Hindus und Muslimen über die Teilung Indiens und Pakistans. „Kalank“ heißt der Film wunderbar in (indische) Szene gesetzt und emotional hochgeheizt. „Kalank“ ist so etwas wie ein Dunkelfleck, ein Makel, und bezieht sich in diesem Film auf die als unakzeptabel gesehene Liebe zwischen einem Muslim und einer indischen Frau und noch weiteren komplizierten Zusammenhängen, in denen der gesellschaftliche Makel ein- und ausgeht. Und es ist auch eine Geschichte aus den Jahren 1945 bis 1947, als durch eine fehlgeschaltete Entscheidung in beide Richtungen Züge mit muslimischen und indischen Leichen fuhren, jeder auf seinem eigenen Weg in den zerstörerischen Hass. Aber nun sind es über 70 Jahre Frieden, den wir auch in Deutschland öfters dankbar begrüßen, obohl er immer mal wieder bedroht wird. In den Himmelreichen der Diktatoren gibt es keine verlässlichen Zusagen, und die Medien machen es möglich, dass sie sich gegenseitig Form und Stimme leihen. Also doch kein Hoffnungstrahl für die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins? Wir werden sehen, (u.a.) der Titel eines Gedichtes von Faiz Ahmad Faiz, das gerade in aller Munde ist im Kontext seiner politisch geäußerten Ansichten.
Wir werden sehen.
Gestern traf ich im Haus von Shivani, die fünf exzellent ausgestattete und durchweg gebuchte Hotelzimmer hat, eine befreundete indische Familie, die schon bei uns in Deutschland zu Besuch war. Ein weiterer Gast war eine Australierin, der ich seit Jahren immer wieder im Dorf begegne und die, wie die meisten AusländerInnen, hier für ihr Business einkauft. Gerade hatte ich einen Beitrag in ARTE zugeschickt bekommen über die für Menschen nicht mehr geeignete Luft in Delhi, und ich hörte nun von den Delhi-Bewohnern aus nächster Nähe, dass niemand, der es sich erlauben kann, mehr unnötig das Haus verlässt, wobei den Messungen zufolge die Qualität der Luft innen wie außen tödliche Werte erreicht hat. Ich erinnerte mich an die Jahre, wo diese Form von Lebensbedrohung noch nicht artikuliert wurde, ich aber vom Flughafen in diesen alten, klapprigen Taxis an Millionen von Menschen vorbeifuhr, die auf der Straße wohnten, und deren Elend über Kilometer hinweg oft genug die andere Seite, wieder im geliebten Land angekommen zu sein, schmerzhaft übertönte. Am schlimmsten fand ich die Nachricht, dass zur Zeit täglich um die 30 000 neue Autos bestellt werden, wo der Verkehr in Delhi jetzt schon völlig blockert ist. Gestern also am Tisch kam dann auch die australische Feuertragödie in spürbare Nähe. Sie könne sich nirgendwo mehr wohlfühlen, sagte die Frau, denn sie kann sich weder hier noch dort geistig aufhalten, sie könne nur noch weinen. Obwohl ihr Haus noch steht, ist es im Gefahrengebiet, und selbst, wenn es nicht abbrennt, müssen sie auf unbestimmte Zeit Masken tragen, da man die Luft, die noch höhere Grenzwerte hat als Peking und Delhi, nicht mehr direkt einatmen kann. Das Leid, sagt sie, hat eine apokalyptische Dimension erreicht, von wo aus es kein „nach der Katastrophe“ mehr gibt, denn vieles wird lange oder für immer unbewohnbar bleiben. Es ist so viel, es ist so viel, es ist zu viel. Der eigene Apparat ist überfordert, ständig bemüht um neue Einstellungen, um nicht nur dem Schrecken gerecht zu werden. Auch der Satz „so sind die Menschen nun mal“ fällt häufig. So sind sie nun mal? Wie sind sie denn nun mal, die Menschen, und wenn wir anfangen, so über sie, also uns, zu reden, dann kann man sich die Frage, wie ich selbst bin, eine Weile vom Hals halten. Auch muss man sich zutrauen können bei so viel gefühlter Ohnmacht, einen Unterschied machen zu können, auch wenn das ein bisschen bedeutungslos erscheint im Angesicht des Ausmaßes. Aber was ist das Maß, und um welche Einheit geht es? Deswegen begrüße ich die Nähe und den Austausch des Schreckens. Wir ringen in jedem Fall nach bestem Ermessen um unsere Menschlichkeit, und Antwort und Plan werden nicht frei Haus geliefert.
Meine Mutter erzählte einmal, wie es nach einer schweren Bombardierung in Berlin, als alles nur noch aussah wie ein schwarzes, zertrümmertes Feld, auf einmal leise anfing zu schneien und der Schnee das Grauen mit einer glitzernden Decke überzog und sie sich kaum mehr traute, das schön zu finden. Ähnlich ging es mir mit dieser Wolke (Bild), die ich im Kontext der australischen Waldbrände gesehen hatte und dachte, so wird ein Gott geboren im Geiste der Menschen, die dafür offen sind. Sie schau(t)en hinauf und da war er leibhaftig, der aufbrausende Zeus zum Beispiel, den das Tun der Menschen erzürnte, dann war alles klar und man konnte damit leben. Ich war auch mal bei der Geburt eines Gottes dabei. Damals saß ich im Tempel der Göttin Santoshi Mata, also der Friedensgöttin, die wiederum durch einen indischen Film gezeugt wurde, denn es gab sie vorher nicht. Aber offensichtlich machte es im kollektiven Unterbewusstsein Sinn, eine Friedensgöttin zu etablieren, und flugs gab es hier und dort Tempel für sie, und vor allem Frauen pilgern freitags (for future) dort hin. Die Mutter der Familie wurde Priesterin und man sah sie als die Verkörperung des Idols. Im immer geräumiger werdenden Garten kam in den Tagen, die ich dort verbrachte, ein Rechtsanwalt mit einer Gruppe BegleiterInnen, um der täglich frisch und hübsch angezogenen Göttin Ehre zu erweisen. Sie pilgerten auch um den alten Banianbaum herum und lo and behold!, der gebildete Mann sah irgendwo im Baum einen Elefantenkopf, was nicht schwer ist, denn die Wurzeln können auch als Elefantenherde gesehen werden. Aber nein, es gab auch links und rechts vom Rüssel eine Einbuchtung, in die etwas später von dem Finder Porzellanaugen eingefügt wurden, die das Ganze lebendig machten. Die Gruppe kam bald wieder, und Frauen trugen auf ihrem Kopf köstliche Zubereitungen, um die Ankunft zu zelebrieren. Es sprach sich herum, und irgend jemand wusste, dass Ganesh, also der neugeborene Elefantengott, eigentlich ein Sohn von Santoshi Mata war, was freudig abgenickt wurde. Fortan hatte die Familie der Caretakerin ausgesorgt. Die wahrhaft vertrauensunwürdigen Söhne, bekannt durch Schlägereien, zogen sich die orangene Farbe über und spielten herum im Swami(heiliger Titel) wesen, so gut sie’s halt konnten, bis keiner mehr hinsah. Dann habe ich später noch diesen 10-jährigen Jungen gesehen, das war schon eine Spur tiefer. Man hatte mich gerufen, um ihn zu sehen, eine Inkarnation Krishnas, und ich bin halt mal aus Neugierde hin und quetschte mich in die Überfülle der AnbeterInnen. Während sein Lehrer etwas erzählte, hatte der Junge die Augen geschlossen und ich beobachtete ihn. Auf einmal löste sich vor meinem erstaunten Blick die Festigkeit seiner Haut auf, und eine blaue Farbe erschien, dann sah ich eine Pfauenfeder, dann sah ich Krishna, den Gott der Liebe, wie ein bewegtes Bild ohne Rahmen. Das finde ich auch heute noch verblüffend, dass so eine innige Verbindung mit einer Figur die Materie durchdringen kann, was selbst für meine nüchteren Augen sichtbar wurde. Diese Ebene hat eine geradezu furchterregende Kraft, wie das Stigma in den Handflächen der dafür bereiten Frauen, eine mystische Entgrenzung. „Ich habe mich (auch) oft gefragt (Benn), woher das Schöne und das Gute (und das Seltsame und das Unfassbare) kommt, weiß es auch heute nicht und muss nun gehen.“
Dieses Tier, das man hier im Video erst im Wasser, dann in panischer Flucht vor den Menschen sieht, kam gestern aus dem naheliegenden Dschungel, wo es, den lokalen Vermutungen entlang, von einem Raubtier gejagt wurde. Sie nennen es einen Hirsch oder eine Rehkuh, aber ich weiß nicht wirklich, was es ist. Wir haben es zufällig vom obersten Stockwerk des Hauses aus gehört, nein, nicht das Tier, sondern das Menschengeschrei, und wie meistens war ein Smartphone zur Hand. Was mich berührt hat an der Szene war dieses weitere Beispiel des Unterschiedes zwischen einer Empfindsamkeit dem Lebendigen gegenüber und der Schaulust, die Menschen zu allem Möglichen treibt. Das ist wie auf den Autobahnen, wenn die zuhilfe Kommenden nicht durch die Meute der Schaulustigen gelangen, weil auch von allem, was die eigene Lebensödnis vertreibt, ein Schnappschuss gemacht werden muss, damit man wenigstens technisch dabei war beim Schrecken. Das scheue Tier raste also in panischer Angst durch das anhaltende Menschengekreische, und ich weiß, das kann man nicht erwarten, dass hier eine andere Einstellung vorherrscht, denn die hätte ja vorher schon stattfinden müssen, lange vorher in der relativen Zeit. Dann kamen unvermeidbar die weiteren Bilder von den verheerenden Bränden in Australien, eine geschätzte halbe Milliarde Tiere verbrannt in den Feuern, und immer mehr Menschen, die ohnmächtig zuschauen, wie ihre Häuser verbrennen. Wir sagen und fühlen ja in dieser Zeit alle immer mal wieder die Grenzen des Fassbaren und können nicht ständig von allem berührt werden. Oder kaum lässt man die auch notwendige Berührung durch das Schicksal Anderer zu, kommt schon der nächste Hammer, für den man kaum mehr Kraft aufbringen kann. Die erste Mail, die heute zu mir kam, zeigt einen derartigen Gewaltausbruch in Delhi, das ist kaum mehr zu bremsen und wirklich schon auch sehr nahe zu unserem heiliggesprochenen Örtchen, wo eh schon alles und alle im Duplikat der Illusionen leben. („Duplicate Maya“, ein von mir geschätzter Begriff indischer Seinsgrübler). Nicht, dass es zu sehr auffällt. Oder doch, es fällt schon vielen auf, aber das bewegt, wegen der vorprophezeiten Zukunft, noch keinen Strohhalm. Es ist dieses Jahr in meinem Denken öfters vorgekommen, dass mir meine eigene luxuriöse Befindlichkeit und Behausung nicht immer ausgleichend genug erscheinen zu all den weltlichen Schaurigkeiten, denen Mensch und Tier und der ganze planetarische Organismus ausgesetzt sind. Immer wieder aufs Neue weiteres Nachdenken darüber, welche Art von Beitrag wirklich erfordert und angebracht ist. Und immer noch Nelson Mandelas anregende Worte im Ohr, wie viel Mut es doch kostet, um das Gute und Schöne zu ringen, vor allem, wenn man nicht durch die unzähligen Angebote der Ichverhaftung selbst dem Einflus des Lichten, sprich: der Freiheit des geistigen Vorgangs, im Weg steht. Ja, alles war schon mal da, schon gut, schon gut, aber wer hätte gedacht, dass diese Verdichtungen des Dunklen uns einmal so viel abringen, unserem Geist, unserem Herzen, unseren Körpern. Vielleicht ist es tatsächlich eines (fernen) Tages eine Art neuer Mensch, der aus dieser Finsternis eine Geburt nimmt, die Mord und Totschlag hinter sich lassen kann. Man kann ja in der Stille der Räume schon mal mit den Proben beginnen.
Einige verehren Steine und ertragen sie
auf ihrem Kopf. Einige tragen den Phallus
als Wahrzeichen, aufgereiht an Halsbändern.
Einige empfinden die Anwesenheit ihres Gottes
im Süden, andere wiederum verbeugen ihren
Kopf gen Westen hin. Solchermaßen ist die
Welt gebunden in falsches Ritual, und das
göttliche Geheimnis ist mmer noch ungelesen.
Ein weiterer Beruf, den ich hier selten ausüben kann, ist Wolkenleserin. Zum Beispiel liegt seit Tagen über der ganzen Landschaft ein Dunst, durch den sich die Sonne mühsam durcharbeitet, aber darin kann man nicht lesen. Nun hat der Abendhimmel das Ganze ein wenig zusammengeschoben, und siehe da, man kann in der sich anbietenden Perspektive auf der rechten Seite des Bildes das Profil von Shani Dev erkennen (oder nicht), der hineinstarrt in das dialogische Wesen der Lichtgestalten. Man hadert ja häufig an anderen Tagen mit dem medialen Angriff finsterer Geschichten, und deswegen finde ich es gar keine so schlechte Angewohnheit, alles Finstere, das in einem rumoren könnte, samstags großzügig ans Licht zu bringen, dann hat man schon mal dafür gesorgt. Trotzdem, und in der frisch erschienenen ZwanzigZwanzig Kombination gehört es zu den angemessenen Prioritäten, dem kosmischen Vorgang im Prozess der Entfinsterung aktiv beizustehen. Vor allem so lange die verhältnismäßig friedliche Lage um einen herum sich im Ungewissen stabilisieren kann, ist die innere Zuwendung zu mentalem Lichteinfluss, nun ja, keine Bürgerpflicht, aber immerhin eine Möglichkeit. Genauso wenig, wie man gerne auf das Finstere wartet, bis es endlich da ist, kann man sich darauf verlassen, dass Bewusstsein sich von selbst belichtet. Im Westen wird Licht oft verwechselt mit der Kapazität des jeweiligen Intellektes, was auch erklärt, warum so mancher Intellektuelle in der Geschichte den Tod als eine Befreiung vom Leben empfand, was ziemlich beschämend ist bei all dem vielfältigen Angebot. Daher muss es noch an etwas anderem liegen als an den Resultaten der Existenz-Analyse. Hätte ich mir (z.B.) durch allerhand weltliches Entbehren nicht diesen lebendigen Luxus erschaffen, hier in Indien herumsitzen, gehen und stehen zu können, würde ich auch gerade mir gegenüber auf der Mauer den Languren nicht gesehen haben, wie er im Morgenlicht in einen Tiefschlaf verfällt. Bei meiner kurzweiligen Forschung über das sexuelle Verhalten der Languren (um mehr Klarheit zu erlangen über gewisse Beobachtungen), worüber allerdings nichts berichtet war, doch fand ich heraus, dass sie viel schlafen müssen wegen der ansonsten geradezu verblüffenden Beweglichkeit ihrer Körper. Aber auch hier zeigt es sich, dass, so stabil auch manches wirken mag, es sich doch ständig in Wandlung befindet, und nun steht auf einmal ein Mensch auf der Mauer. Zur Samstagfinsternisbündelung kann man auch das Hoffen dazunehmen. Man kann also zum Beispiel heute hoffen, dass auch in enthemmter Dummheit Grenzen auftauchen können, und Trump zum Beispiel von irgend etwas oder irgendwem davon abgehalten wird, einen weiteren Krieg egomanischer Dummköpfe anzuzetteln, dessen Wirkung wie immer unabsehbar ist. Daher stehen auch Licht und Dunkel in so enger Verbindung, weil nur und vor allem ihre Dosierung den Unterschied ausmacht.
In den Gesprächen mit indischen Freunden hier vor Ort habe ich mir angewöhnt herauszufinden, was und wie ihre Einstellungen zu Muslimen ist. Zum Glück habe ich auch ein paar muslimische Freunde und muss nicht nur aus einem hohlen, politischen Bauch heraus reden. Es ist ein schwieriges Thema, weil ich auch in Deutschland bei kriminellen muslimischen Attacken öfters mal gedacht habe ‚ach nee, schon wieder ein Muslim, merken die denn nicht, wie ihnen das schadet‘, naiv, wie man so manches Mal ist. Das Schwierige an dem Thema ist tatsächlich, dass Mohammed, der Gründer-Häuptling der muslimischen Weltgemeinde, zum pflichtbewussten Morden an Ungläubigen, also uns, aufgerufen hat, und man darf nicht erwarten, dass unter ihnen einer auftaucht, der den heiligen Aufruf infrage stellt. Das ist eben der Mohammed, der viele, viele Frauen brauchte, um dann die 6-jährige Lieblingsfrau zu sich zu holen. Jaja, sagte der befragte Muslim zu mir, das schon, aber er hat sie erst mit 9 Jahren…du weißt schon, als Frau zu sich genommen. Oft möchte man beim Denken von Anderen nicht mitdenken. Nun ist hier in Indien aber gerade ein Volksauslöschprogramm im Gange, das lässt einen dann doch unruhig werden. Vorgestern haben sich nun, wie man oben links im Bild als flüchtigen Einblick sehen kann, die Muslime zusammengefunden, um gegen das irritierende neue Gesetz zu demonstrieren, und das sind nicht wenige aufgebrachte Muslime, die sich da ausgegrenzt fühlen. Dass es letztendlich im Warschauer Ghetto zu einem Aufstand der Juden kam, war wohl der tödlichen Verzweiflung zu verdanken, die dem Leben keine weitere Wahl offenhält. Aber vielleicht war es auch der Grund, warum überlebende Juden in Israel gefragt wurden, warum sie sich haben abschlachten lassen wie Lämmer. Das könnte auch Hindus passieren, gelähmt wie sie auf bestimmten Ebenen sind aufgrund ihres irrigen Glaubens, ein friedliches Volk zu sein.
Das zweite Bild oben rechts bezieht sich auf eine laufende Geschichte, die zeigt, dass die schöne Zahl 2020 nicht automatisch das Fassungslose behebt. Seit Tagen kommen Berichte von einem Krankenhaus hier in der Nähe, in dem allein im Dezember 99 Neugeborene gestorben sind. Als langsam durchdrang, dass letztes Jahr im selben Krankenhaus 1.005 Kleinkinder starben, meinte ein Minister, das sei normal, denn sie würden in kritischer Verfassung gebracht. Es wunderte dann doch genug Menschen, um eine kleine Erkundungstruppe dort hinzusenden, und man fand nicht nur heraus, dass täglich weitere Kinder starben, sondern dass mehr als 50% der Geräte nicht funktionierten, es kaum Pflegepersonal gab und man beobachtete, dass niemand sich im Umgang mit allem die Hände wusch. Kein Wort von sich wehrenden Eltern, und nicht genug: das Krankenhaus ist immer noch offen, und es sterben täglich weitere Kinder!!! Wie kann das sein? Der befragte Direktor versprach Verbesserungen, jeder weiß, was das heißt. Vor allem aber jede, die dort ihr Kind hingebracht hat, ohne jemals zu erfahren, wie und an was es gestorben ist, oder es in einem anderen Krankenhaus ein Leben gehabt hätte. Und ich muss aus Erfahrung dazufügen, dass bei diesen Vorfällen nur d a Trauer zu erwarten war und ist, wo auf diese Weise ein Sohn verloren geht, denn man weiß nie, ob noch einer nachkommt. Diese erschreckenden und grotesken Realitäten werden uns weiterhin begleiten wie diese tiefen einfachen Eingangsworte eines Gedichtes von Gottfried Benn es ausdrücken: ‚Das sind doch Menschen!…
Gleich zu Beginn des neuen Jahres war es mir vergönnt, etwas nicht ganz Unwesentliches zu lernen. Der gestrige Stromausfall dauerte bis zum Nachmittag. Die Aufladekapazität meiner Geräte sank auf 11 Prozent, ich musste zwei Gespräche in die Zukunft verschieben. Mit müden Inderaugen blickte ich über das Dorf hin, wo ich die digital geschulte Bevölkerung beim Ausharren vermutete, wie immer allen Notlagen gehorsam trotzend. Ich wanderte rüber zu den alten Steinen, nicht ohne mich zweimal erkundigt zu haben auf Hindi, ob das ‚bijalee‘, das Licht, schon zurück sei, wobei ich vergessen habe in dem Moment, dass so ziemlich auf alles Nichtverstandene hier genickt und gelächelt wird, denn in jedem Hindu steckt ein potentieller Guru, für den Unwissen ein Tabu ist. Dann ging ich zu einer befreundeten Familie und war erstaunt, dass sie bijalee hatten, und ich konnte mein Phone aufladen. Ich fand dann so langsam heraus, dass eigentlich alle bijalee hatten außer mir, was sich dann bei meiner Rückkehr zum Haus als Realität erwies. Der Hausbesitzer hatte bereits einen Elektrtiker aus einem naheliegenden Dorf organisiert, der nun auf einer hohen Leiter zwei Drähte wieder mit meinem deutschen Isolierband zusammenfügen konnte, und siehe, es ward wieder Licht. In den verstreichenden Lebensmomenten lauert öfters ein Körnchen Erkenntnispotential, das man leicht durch Ablenkungen verpassen kann. Eine weitere Erkenntnis, die mir nicht erspart blieb, war das dritte Auftauchen in den unaufgefordert erscheinenden Nachrichten von Lord Google, und zwar die Prophezeiungen von Baba Wanga, die Nostradame vom Balkan. Da auch ich mich hineinlesend vorfand in ihren zu 80 Prozent korrekt eingeschätzten Prophezeiungen für das Jahr, kann man sich nur ausmalen, wie viele furchtbereite Leser-und Leserinnen das in schlimme Ahnungszustände versetzen wird, sodass eine der philosophischen Urfragen wieder auftaucht darüber, wie die schwer zu durchdringende Wirklichkeit zusammengebastelt wird: von wem, wodurch und überhaupt. Das Bedenkliche meiner persönlichen Erfahrung beim Lesen war, dass ich die Wahrsagungen auch ein bisschen für möglich hielt, ja hallo, in 2020 soll Europa kaum mehr besiedelt sein, dachte der schnelle Brüter in mir, wo sollen wir dann hinsiedeln undsoweiter. Da muss man so schnell wie möglich das mentale Gespann zur Ordnung rufen im inzwischen ja wieder belichteten Raum. Und hoffentlich kommen die Wahrsagungen nicht nach Indien, denn „Baba“ ist hier ein Titel für männliche Alleswissende, und obwohl sie niemals den Wahrsagungen einer weiblichen Person, hier als prophezeiende Großmutter, Gehör schenken würden, würden sie die Worte von diesem bulgarischen Hellseher als goldenen Wissensnektar aufsaugen und sich gar nicht wundern, dass diese terrorträchtigen Muslime in Europa einfallen und dort ihr Unheil treiben. Das alles verpflichtet einen zu einem aufgelockerten Maß an geistiger Freiheit, von der aus man das sich selbst Zugemutete auf gesunde und natürliche Weise vertreiben kann, solange es noch Dunst ist und nicht verfestigtes Wolkengebäude.
Auf der Kontemplationsebene könnte ich mir zum Auftakt der neugeborenen Zahl kein tieferes Bild erdenken, das mir aus deutschem Land von einer der Kreativinnen unseres Hauses zugespielt wurde, als dieses, das unsere Katze Coco (aus edlem Geschlecht ) zeigt bei einer Tätigkeit, die einen mühelos das Jahr, wenn nicht gar das ganze verbleibende Dasein, begleiten könnte. Herausblickend aus ihrer ganz persönlichen Behausung erforscht sie (möchte man meinen) ein dunkleres Gegenüber, das einige verblüffende Ähnlichkeiten mit ihr selbst aufweist, ohne sie jedoch selbst zu sein. Überhaupt: was sind mir die Tiere doch im Laufe der Zeit ans Herz gewachsen. Quält sie nicht, esst sie nicht, steigt aus aus der unmenschlichen Maschinerie. Das Bewusstsein, das uns Menschen zur Verfügung steht, erweist sich als Fluch und als Segen wie alles vom Menschen Produzierte. Denn es hat sich tatsächlich in diesem Zeitalter gezeigt, dass egal, wieviel scheinbare Brillanz in den Gehirnen aufgewirbelt werden kann, das alles bedeutungslos ist, wenn damit und dadurch nicht auch Harmonie erzeugt werden kann. Man sollte den eigenen Beitrag nicht überschätzen, aber auch nicht für unwesentlich halten. Die Handhabung herausfordernder Künste des Menschseins erwartet uns im komplexer werdenden globalen Spiel Allen Spielern und Spielerinnen also ein ausgewogenes
Hier ist seit dem Morgen (mal wieder ) das elektrische Licht ausgefallen, das lässt die digitale Revolution blass aussehen. Doch konnte ich immerhin auf dem smarten Phone meinen Beitrag tippen.