Der Mensch ist zu allem fähig. Die Zweideutigkeit des Satzes kann einen erschaudern lassen. Wir wissen alle, alle Menschen, zu was er fähig ist, der Mensch, also wir, einmal als Spezies, die genug dokumentiert ist, um einiges über sie auszusagen, und das andere Mal als einzelner Mensch, in letzter Konsequenz also als ich selbst, als Mensch. Warum ausgerechnet das Ich in letzter Konsequenz? Oft ist das Ich vornehmlich beschäftigt mit der Draußenwelt, die Arbeit, die Anderen, die Befindlichkeiten. Kann man erkennen, ob und wann ein Mensch bei sich ist, und wenn er oder sie nicht bei sich ist, wo sind sie dann? Wenn man nun die Augen umdrehen könnte, sozusagen von der Außenansicht in die Innenansicht, was würde man dann innen sehen. Wie kommt man überhaupt hinein? Gibt es einen Schlüssel oder ein Password? Was es gibt, sind Bücher und Vorträge von Leuten, die behaupten sich „drinnen“ auszukennen. Man darf sie, wenn man möchte, anstaunen, oder in Zweifel setzen, oder sie ablehnen, aber man weiß auf jeden Fall nicht, worüber sie reden. Denn wüsste man’s, dann würde man ja nicht da sitzen und etwas suchen, von dem man gar nicht weiß, dass es das wirklich gibt? Auf der anderen Seite würde einen das Thema gar nicht beschäftigen, wenn man mit dem, was man ist, voll zufrieden ist, und z.B. kein uneingelöster Anspruch an einem nagt. Man kennt auch von sich, dass man in sozial erwartetem Täuschungsmanöver ein Frohsein vorgaukelt, wenn es innen tobt und brodelt bis an die Mundwinkel. Man muss seinen Zustand ja auch nicht überall und für jeden sichtbar zur Verfügung stellen, Hauptsache, man weiß selbst, wie man sich fühlt. Wie weiß man, wie man sich fühlt. Hier beamen wir uns kurz in ein extra dafür erschaffenes Wochenend-Seminar, freitags Ankunft und Kennenlernen, Samstag Krisentag, Sonntag Feedback und Abreise. Jetzt habe ich (vorübergehend) den Eindruck erweckt, als könnte ich auch Wochenend-Seminarbesucherin sein, was ich zu dem Zweck, den ich hier verfolge, nicht brauche. Ich brauche nur geistig den Seminar-Raum und die TeilnehmerInnenrunde, um sie darum zu bitten, mal rundherum so genau wie möglich zu beschreiben, was jede/r so gerade fühlt. Fühlen, was ist das. Jeder hat’s, doch wie heißt es. Kann ich wissen, was es ist, wenn ich es nicht nenne. Neulich habe ich unterwegs ein Interview mit einer Sängerin gehört, das mich aufhorchen ließ. Ich habe mir ihren Namen gemerkt, Etta Scollo, und sie mir im Netz angehört. Man kann hier Gefühle hören. Hört man denn bei den anderen Sängern keine Gefühle. Ich persönlich kann klassisches Gesinge nicht gut ertragen, das ist natürlich ein Banausen-Kommentar. Vielleicht fehlt mir bei diesen Tönen das Fühlen. Können ist auch nicht immer alles. Auch nicht jeder Fado erreicht das Fühlen, es kommt auf die Darbietung an, auf die ausgelotete Tiefe des Empfindens, das hier gewünscht ist. Jeder hat sein oder ihr Gebiet. Wenn man Anthony (and the Johnsons ) hört, weiß man was von großer Verlassenheit, oder die Stimme schenkt einem d e n Tropfen großer, eigener Verlassenheit, den man so selten kosten kann, weil er so selten hervorgelockt wird. Auch mitzufühlen kann so bereichernd sein, vielleicht steht es an irgend einem hellen Ausgang als das Bereicherndste da, der Reichtum schlechthin also, dass man mitfühlen durfte bei Anderen, weil man es ja nur können kann, wenn man genug mit sich selbst gefühlt hat. Was ist genug? Vorerst muss man schauen, ob man die Gefühle überhaupt erkennen und nennen kann. Es gibt auch Berichte von Gefühlen, die andere dafür halten, die man selbst aber gar nicht kennt, Schmetterlinge im Bauch, zum Beispiel, überhaupt dieses Bauchgefühlte, da würde ich mir eher in der trauten Kammer eines Nachmittags die mutige Frage stellen: schon geboren? Oder noch im Kanal unterwegs? Das muss jede/r selbst wissen. Das ist es ja gerade, dass es nur jede/r selbst wissen kann. Auch die Freiheit, um das Wissen herumzukommen, muss nicht nur da sein, sondern ist da. Wen geht’s was an, was ich fühle. Nur, wenn ich selbst es nicht weiß, was dann?
Was heißt hier
Wille und Vorstellung?
Intelligenz macht noch nicht den Ikarus.
Nur:
Wer schafft hier wen ab?
Ein abgründiger Mensch
auf der Suche
nach Denkexzessen
ist ein Tiger auf dem Sprung,
ein Mythos.
Experten zögern.
Wo ist das ungeheure Sprachloch?
Oder:
Wie radikal ist realistisch?
Wie gesagt, man kann sich auf verschiedene Weise als Alien betrachten, oder von Anderen als Alien wahrgenommen werden. Ich erinnere mich an eine Reise, auf der ich zum ersten Mal als Erwachsener auf einem Campingplatz übernachtet hatte und mich mit einem gewissen Interesse wie ein Alien unter Aliens fühlte. Es geht schnell, dass man sich in einer Gruppe pudelwohl fühlen kann. Jede Häkelnadel kann zu einem Club der Gleichgesinnten werden. Auch kann es überraschend sein, wenn man mit vorgefassten Meinungen aus irgend einem Grund mit einer Gruppe in Berührung kommt, dass man bestimmte Dinge, die einem selbst vertraut sind, dort anfindet. Die gut gemachten Filme über Mafiabosse sind ja vermutlich deshalb so anziehend, weil der Bösewicht nicht nur kein Dummkopf ist (obwohl es darauf ankommt, wie man „dumm“ definiert), sondern es werden die Werte des Helden bewundert sowie sein Werdegang und sein Verenden. Das war auch bei den Hells Angels so, von denen ich mal eine Gruppierung in London anlässlich einer Living Theater Performance traf, und später nochmal auf der Tour in Amerika. Die fühlten sich alle wie die Helden der Gerechtigkeit, verlässlich und vertrauenswürdig, wenn man das Glück hatte, kein Feindbild darzustellen. Ich sprach eine Weile mit einem jungen Mitglied der Bande, sehr sympathisch und warmherzig, sodass man hoffen konnte, denen allen war klar, dass das nur ein Dumme-Jungen-Spiel ist, wo keiner zu Schaden kommen muss. Aber Menschen kommen zu Schaden. Da ist ja etwas passiert, was den vermeintlichen Helden treibt. Es ist der Hass, und wie früh er ausgelöst wurde, und wie wenig Menschen damit umgehen konnten und können, sehen wir jetzt u.a in Chemnitz. Das gibt ja den Gruppen Macht, wenn alle so ohnmächtig sind. Je mehr die Ohnmacht steigt, desto unvermeidlicher werden die Ausbrüche. Was soll man da zurückspulen können, und überhaupt: wohin spulen. Das sind Menschen, die vor aller Augen ihr eigenes Reich aufgebaut haben, das in ihrem selbst auferlegtem Blick gelungen ist, weil Gewalt und Waffen eine Sprache sind, die sie verstehen, und das soll nie wieder gegen sie selbst sein. Nie wird einer wirklich wissen, was in dem obdachlosen Hitler vorging, bevor die dunklen Untergrundsströme der bedürftigen Massen in seine Leere gespült wurden. Das gibt Halt, wenn man sich wehren kann. Bei „Raumschiff Enterprise“ hatten wir ja Gelegenheit, durch die Eingebungen des genialen Gene Roddenberry mit der Vielfalt des Alientums in Kontakt zu kommen. Die Begrenztheit und die Schönheit der Welten und ihre Eigenarten. Wer sich permanent schützen muss, kann nicht wirklich offen sein. Ist die eigene Welt zu wenig offen für andere Welten, schleichen sich Rituale ein, die zu Gesetzen werden, dann zu Kriegen. Wenn es zu weit geht, dann klingen die einfachen Sätze mit dem Wahrheitssenfkörnchen auf einmal wie Dummheiten. Dass niemandem hier lang was gehört, und dass wir bei aller Freiheit abhängig sind voneinander, und dass es ohne Wohlwollen füreinander schwer ist, auf diesem Planeten ein gutes Leben zu führen.
E i n e Sicht auf die Welt, und nicht nur als Sicht oder Gedanken, ist, dass sehr viel Leid in ihr ertragen und getragen wird. Nirgendwo scheint es mal nicht gewesen zu sein, das Leiden, überall kommt und geht es. Und so, wie aus den Ghettos auch schöne Geschichten kamen und kommen, und auch aus den Booten der Flüchtenden manches Gute zu Ohren kommen wird, so kann man sich tiefes Leid auch in beschützten Gebieten vorstellen, wo Menschen auf andere Weise um ihr Leben und gegen den Wahnsinn des Seins kämpfen. Das ist ja nicht leicht, so ein Leben zu verstehen. Überall greift einen das Wissensbegierige an, überall gibt es Hindernisse, Widerstände, Grenzübergänge. Auch ist das Wissen immer beschränkt auf die Zeit, und es hat sich auch nicht gezeigt, dass es vor allem anwendbar ist, um Menschen zumindest das vermeidbare Leid einschränken zu helfen. Wissen mag Macht sein, aber Dummheit ist auch Macht, es kommt auf die Handhabung an. Ein Ei ist eben nicht wie das andere. Der langsame Anstieg der Identität, die wir uns von innen her architektonisch erschlossen haben (oder nicht), führt zu der logischen Folgerung eines Anspruchs, dem wir gerecht zu werden uns bemühen, und für den es keine Garantie gibt, ob das von uns Erwartete einlösbar ist. Sieht man das Leben als einen ehrgeizigen Vorgang, der zu einem möglichst erfüllenden Außen führen soll, kann es einem eine ganze Weile besser gehen als denen, die das Außen nicht als das gegebene Ziel betrachten, obwohl es dazu gehört, es eventuell zu meistern. Ich finde, der Anspruch, sich selbst zu sein wird zu wenig befeuert. Man gewinnt vor allem auch über die Politik oft den Eindruck, dass man Menschen das Sichselbstsein nicht zutrauen kann, weil die in eine Anarchie Losgelassenen dann nur Unfug treiben würden und mit Sicherheit werden. Wenn jedem unermüdlich vorgeschlagen wird, wer er oder sie ist , und wo und warum, da bleibt nicht viel Raum zum Selberdenken. Es sind die Erfahrungen, die fehlen, die unter Umständen zu anderen Entscheidungen führen würden. Hier bin ich leider im Würden gelandet und muss wieder einen Weg herausfinden. Ich nehme das Wort „würden“ ohne das „n“, und schwupps!, bin ich im Unantastbaren. Ob nun ein Mensch den Anspruch, den er hatte oder hat, einlösen kann oder nicht, so ist doch seine Würde unantastbar. Das führt zum selben Punkt hin. Die Angst vor der Anarchie ist ja irrelevant, denn wenn Menschen einen ungestörten Raum zur Verfügung haben, besinnen sie sich automatisch auf sich selbst. Die Erfahrung des Ungestörten ist ein hohes Gut. Wenn ich selbst erschaffen kann, wofür ich geeignet bin. Wenn der Anspruch sich auf natürliche Weise einlösen und man bei sich und mit sich sein kann.
Wo auch immer sie herkamen, die verschleierten Frauen, und wo sie hingehen, ich weiß es nicht. Etwas hat sich hier ausdrücken können. Geht’s mich was an, und wenn, was? Interessant war für mich, dass am nächsten Tag die 14-jährige Tochter einer mit uns befreundeten, afghanischen Familie zu uns zum Essen kam. Sie war vor ein paar Tagen erst mit ihren Eltern aus Afghanistan und Iran zurück gekommen. Ach, in Herat, sagte sie, sind keine Taliban, da ist es moderner. Sie zeigte ihre vielen Mini-Videos vom Inneren heiliger Hallen, alles sehr glitzernd und funkelnd und hoch und weit, überall vorbeihuschende Burkas, wobei man sehen kann, dass sie da prima hinpassen. Die anderen Videos waren von Einkaufshallen in ähnlich durchdesigntem Glitzer, der den unermüdlichen Wanderern und Wanderinnen die Attraktivität der Ideen vorgaukelt, vor allem aber einen Hauch von bedrohlich attraktivem Display auswirft, der einflüstert: nimm auch du teil an der Freiheit des Aufkaufs! Nimm und zahle. Atena, so heißt sie, die dort war, photographierte auch große Eisbecher mit Sahne, die sie alle vor sich hatten in einem teuren Restaurant, wo man auf persischen Teppichen saß. Vermutlich sind dort zur Zeit nicht viele AusländerInnen, denn wir haben eher Angst und Rauchschwaden vor Augen, wenn wir an Afghanistan denken, ein sichtbares Haar unterm Kopftuch und du bist tot. In Kabul ist das wohl eher so. Atenas Vater und Mutter waren auch auf einigen Photos. Der Vater sah wirklich sehr stimmig aus in seinem lokalen Outfit, ein Jammer, dass diese Kleidung hierher nach Deutschland so wenig passt. Die Mutter, eine schöne, noch jugendlich wirkende Frau, sah aus in dem schwarzen Zeug wie ihre eigene Großmutter. Verschleierung kann sehr erotisch sein, kein Zweifel, aber dieser Druck, dieses Müssen, das kann doch nicht wahr sein. Es ist aber so. Die meisten Menschen passen am besten in ihr Zuhause. Nicht vielen, sagte der Dalai Lama mal, gelingt es, in einer anderen kulturellen Denkstruktur heimisch zu werden. Das konnte man viele Jahre beobachten, wie einige dann noch mehr Buddhist als Buddha und noch mehr Hindu als Hindus wurden, und wenn sie nicht gestorben sind, dann sind sie es noch heute. Nicht aus allem tief Eingestiegenem kommt jeder wieder heraus. Man lernt ja auf dem Weg erst, was ein Weg ist. Nun spricht diese junge Frau schon besser Deutsch als Farsi, meint sie, aber irgend etwas an ihr ist auch verändert von dieser Reise in ihr Ursprungsland. Sie ist in der Phase, wo Systeme, clever gemanaged, einen großen Reiz auslösen können. In all ihren Bildern war Reichtum zu sehen. Und Männer, die ihn erschaffen und erweitern nach dem Motto: ist die Frau zufrieden mit Kindern und Einkauf beschäftigt, kann das Leben wieder Fahrt aufnehmen. Das ist natürlich mein vereinfachter Blick auf diese Bilder, und das hat ja auch was, diese Materie im Lichterglanz, wo Frauen zuweilen ihre Burkas ablegen können und ihre eleganten Kostümierungen zeigen, und ihre aufwendigen Glitzerschuhe. Wem es gelingt, an der Oberfläche zu bleiben, gehört eine Weile zu denen, die beneidet werden. Aber jede/r wird begleitet und durchströmt von den unterirdischen Flüssen, die keine Ruhe verheißen, bis man sie durchquert und sich in ihnen erfrischt hat. Und vielleicht kaufe ich mir ja eines Tages mal eine Burka, um zu sehen, wie das so ist ohne Weltenzugang. Allerdings ist auch ohne Burka der Weltenzugang nicht garantiert. Auch nicht der Zugang zu sich selbst.
Das sind doch Menschen, denkt man,
wenn der Kellner an einen Tisch tritt,
einen unsichtbaren,
Stammtisch oder dergleichen in der Ecke,
das sind doch Zartfühlende, Genüßlinge
sicher auch mit Empfindungen und Leid.
So allein bist du nicht
in deinem Wirrwarr, Unruhe, Zittern,
auch da wird Zweifel sein, Zaudern, Unsicherheit,
wenn auch in Geschäftsabschlüssen,
das Allgemein-Menschliche,
zwar in Wirtschaftsformen,
auch dort!
Unendlich ist der Gram der Herzen
und allgemein,
aber ob sie je geliebt haben
(außerhalb des Bettes)
brennend, verzehrt, wüstendurstig
nach einem Gaumenpfirsichsaft
aus fernem Mund,
untergehend, ertrinkend
in Unvereinbarkeit der Seelen –
das weiß man nicht, kann auch
den Kellner nicht fragen,
der an der Registrierkasse
das neue Helle eindrückt,
des Bons begierig,
um einen Durst zu löschen anderer Art,
doch auch von tiefer.
Oh weh o jeh oh jemineh, da geht er dahin, es mehren sich die Zeichen der Einschränkungen, der Sommer, der vielgelobte und gepriesene, schleicht sich auf Ledersandalen davon, noch ohne Strümpfe, ein paar Tage, dann fallen noch mehr Blätter. Stimmt ja, es war Dürre und ist noch immer Dürre, die Bauern bitten um Unterstützung, die Regierung bittet um Nachdenken, was das Bebauen betrifft. Man erinnert sich und wird erinnert an das Umstellen: der Klimawandel, die Sommerzeituhr. Das Volk darf sich melden und mitreden, wir sind eine Demokratie. Selbst der Stau kann einem, wenn man mit ihm umgehen lernt, als in die Ferien fahrender Mensch etwas schenken, erzählte neulich irgendwo jemand: da ist man auf einmal z.B. mit der Familie im Auto, also auf engem Raum allein, und kriegt mal mit, wie sie sind, wenn sie nicht irgendwo herumrennen und ihrem Zeug hinterher hetzen. Zwar alle noch bewaffnet mit Maschinen, aber auch games und chats dauern nicht ewig. Oder zuhause bleiben und nie Ferien machen, was man auch die ferienlose Freizeit des schöpferischen Prozesses nennen kann. Wenn die Sonne längere Zeit scheint, hat man viel mit ihr zu tun. Man will sich in ihr aufhalten, die Wärme genießen, das Außen. Das ganze Außen wird prächtig, man kommt mit der Wahrnehmung der pompösen Farbausbrüche kaum hinterher, versäumen will man auch nichts. Das trunken machende Grün, die Beeren, dann die Äpfel. Man möchte sich gerne fernhalten von der Politik, aber es geht nicht. Die Menschheit wartet auf Antworten auf die brennenden Fragen. Auf ein früher undenkbares Maß energetisch zusammengerückt, erkennen wir immer schneller die Fragen, die von weit her zu kommen scheinen, so als hörte man sie zum ersten Mal, nur um dann zu sehen, dass sie immer schon da waren, nur jetzt so dringlich, sodass man sich an die uralten oder neuzeitlichen Thinktanks wenden muss, wenn man keine eigene Quelle im Haus hat. Ist es menschlich, „die Afrikaner“ in ihr eigenes Land zurück zu schicken, und sich dort um ihr Land und die herrschenden Verhältnisse zu kümmern, oder geht es darum, menschlich zu handeln, um die ziemlich Gepeinigten zumindest erst einmal ankommen zu lassen, bevor die neuen Enttäuschungen einsetzen. Als Menschheit sind wir ein Strom, aber unsere Schicksale sind einzeln. Wer wo herkommt und wo hingeht, und wo zum Bleiben kommt, und wo nicht bleiben kann, und wo und wer weiter oder woanders hin möchte, und wer das will und es auch kann, und wer Bleibe verhindern und wer sie geben kann. Das hängt von so vielen Dingen ab. Und wer weiß, wo diese vielen Gottheiten sich herumtreiben, zu denen auf vielen Sprachen gebetet wird auf den Fluchtwegen, denn wenn du, oh Herr (meistens ist es ein Herr) nicht helfen kannst, wer dann! Manchmal sieht man auch Berge, die versetzt werden, jeder hat eine andere Methode und schwört auf einen anderen Weg. Und doch hat das Menschliche eine geradezu unheimliche Ähnlichkeit mit sich selbst. Als wären die Maskeraden nur Beiwerk, und es ginge letztendlich immer um dasselbe. Dass man am Ende des Weges jemanden entdecken kann, der einem so ähnelt, dass man voller Freude ist, sich getroffen zu haben, obwohl man gar nicht wusste, wie es geht. Aber zurück zum Sommer. Gerade blättere ich in Gottfried Benns Gedichten herum und musste erkennen, dass ich eine seiner Zeilen jahrelang missverstanden habe. Ich dachte immer, dass er sagt, es wäre das Schlimmste für ihn, im Sommer zu sterben, wenn alles hell ist, und die Erde für Spaten leicht. Aber nein, er sagt, dass am schlimmsten ist, nicht im Sommer zu sterben, wenn alles hell ist, und die Erde für Spaten leicht. Jede/n beschäftigt so viel.
Immer kommt ja der Moment, wo man ein Bild, das man (sich) macht, zu einem Abschluss geführt werden muss. Dabei kann man sich beobachten, wie man manchmal die Stimmigkeit des Abschlusses erfährt, oder das nicht mehr Veränderbare akzeptieren muss, weil es sonst der Vertuschung anheim fallen würde. Anheim fallen, ein schöner Begriff. Vertuschung würde also in das heimliche Heim fallen, und man könnte nicht mehr wirklich etwas darin sehen. Wenn ich mir vorstelle, ich hätte geplant, eine Kimono tragende Japanerin, die einer männlichen Figur mit mönchischem Kopf in Hundeshaltung einen Spiegel vorhält, dann wäre mir das sicherlich nicht gelungen, denn ich wäre gar nicht auf so eine Idee gekommen. Nun kann ich mich zwar fragen, was aus dem Teich meines Unbewussten alles aufsteigt, was sich nur auf diese Weise kundtun kann. so tut es sich ja nicht einfach kund, sondern ich treffe auf der erzeugten Farbfläche gewisse Entscheidungen, die natürlich dazu führen, dass auch für mich eine gewisse Sicht sich zeigt, die bei einem anderen zu völlig anderen Figuren geführt hätte. Nur überquert man dabei einen sehr großen Raum der Vorstellungskraft, bei der u.a. archaisches Gut sich herauskristallisieren lässt, das auch vom persönlichen Gut einen Abstand hält, ohne es verleugnen zu müssen. So sind die Bilder für mich selbst eine Art freies Bilderbuch, in dessen Darstellungen ich auch jedes Mal etwas anderes sehen kann, entweder, weil ich in einem anderen Zustand bin, oder weil ich meinen Blick darauf bewusst verändere. Oft verbindet sich während des Prozesses das Persönliche direkt mit einem Erkennen, das kann ein bedeutsames Puzzle-Teil des eigenen Bausteins sein, durchaus. Neulich wurde ich mal darauf aufmerksam gemacht, dass in meinen Bildern verhältnismäßig häufig ein kleines Kind auftaucht, auch sehr kleine Kinder, die trotz der einfach punktierten Knopfaugen mit einem alten Blick direkt aus dem Bild schauen. Das gab mir die Gelegenheit zu sagen, dass sie ja nicht zu mir kommen, sondern ich sie, das ist noch nicht so lange her, geradezu bei der leisesten Andeutung heraushole und in das Bild integriere. Ihr Blick fasziniert mich, die Intimität ihres Daseins. Hier könnte ich auch dazufügen: die Abrundung eines Teils meiner Geschichte durch die Möglichkeiten der Kunst. Kommt also hervor, ihr Gestalten, und lasst mich lesen, was in den geheimen Büchern geschrieben steht, und was zu meinem ganz persönlichen Buch gehört, und was nicht. Um wirklich zu merken, was nicht zu meinem eigenen Buch gehört, muss ich dranbleiben an den unzähligen Anekdoten und sie überprüfen auf Wahrheitsgehalt. Da ich nicht wissen kann, wie es für all die anderen Anwesenden war, als ich bei ihnen war, kann ich nur herausfinden, wie es für mich war. Wie es sich anfühlte dort, wo einen aus irgendwelchen nimmer zu findenden Gründen das Schicksal hingelegt hat, an irgendwelchen wilden Küsten, wo üblicherweise Helden miteinander herumtoben und durch Abwesenheit oder frühen Tod die Existenz ihrer Brut gefährden. Und was ist mit den Müttern der Helden, oder wie geht es den Töchtern der Heldinnen, oder den Kindern der Versager, oder den Enkeln der Missbraucher. Daher vielleicht der hündische Blick in den Spiegel der Mutter, oder aber das Wittern einer Blindheit, die uns geschlagen hat wegen zu viel Wissen und zu viel Informiertwerden über alles, was getan und angetan und gar nicht getan wird, oder schon längst hätte getan werden müssen, hätte man’s früher geahnt oder besser gewusst, oder hätte die Zeichen deuten müssen, nur spielten sie lange genug gar keine Rolle.Wenn es dann eine Rolle spielt, kann das Individuum aufhorchen und sich ein Bild machen von dem Verborgenem, das sich dann, aufgeweckt durch Interesse, auf die eine oder andere Weise meldet.
Es klingt sicher sehr simplifiziert in den Ohren, wenn sie hören, dass es im Grunde nur zwei Lebenswege gibt, die man beobachten kann, wobei sich beide in nahezu unerschöpfliche Vielfalt in ihre jeweiligen Manifestationen formieren. Ich berufe mich hier gedanklich auf etwas, was mir einmal in Indien als eine indische Sehensweise vermittelt wurde, und zwar, dass es einerseits den Familienpfad gibt, sozusagen das Rad des Lebens in all seinen räumlichen und häuslichen Möglichkeiten und potentiellen Freuden, und andrerseits diejenigen, die sich aus irgend einem Grunde aus diesem Rad herausbewegt haben, oder sich dort nicht zuhause gefühlt haben, oder deren Pläne mit dem Familiensystem nicht harmonisiert haben. Wer weiß schon, warum er/sie was macht, und warum auf diese Weise und warum nicht anders. Es ist auch nicht so, dass diese scheinbare Trennung der Lebensarten dann notgedrungen zu streng getrennten Leben führen musste, sondern die Ordnungen und die Einstellungen waren klar definiert. Vom Religiösen her war und ist es dort nicht viel anders als hier. Von Nonnen und Mönchen wurde einfach nicht erwartet, dass sie Nachkommen zeugen. Als ich drei Jahre lang in einem indischen Tempel saß auf eigener Studienreise, wurde ich gerne öfters gefragt, ob ich auch zölibatär unterwegs sei, bis ich eines Tages auf Hindi klären konnte, dass, wollte ich zur Zeit Männer verführen, ich wohl am falschen Ort dafür sei, und dass das wenigstens für mich klar wäre. Ich war da, um ein Feuer zu hüten, und es waren gerade die bestehenden Ordnungen, die es für mich als Frau möglich machten, mich auf diesem Weg zu bewegen. Nicht nur in hochbezahlten Jobs, sondern auch da musste und vor allem konnte man als Frau schon dadurch mehr leisten, dass man den Job ernst nahm. Keine Kraftvergeudung, ganz im Gegenteil: unermesslicher Reichtum für ein paar Entbehrungen. Die Grenzen dieser beiden Richtungen verschwimmen jetzt überall, vor allem überall vor aller Augen, denn an jeder Ecke der Welt sind die meisten Menschen informiert darüber, was woanders läuft, und wie ein riesiges Maul mahlt sich der Ozean der Meinungen durch die Denkmaterie, und lehnt sich hinaus, und schreckt zurück, und fragt sich, oder fragt sich nicht, wer er oder sie oder es ist, wie es ist und wer es bestimmt, und wer man selbst darin ist. Man kann auch beobachten, dass diese beiden Systeme, also das der Einzelstruktur und das der Familienstruktur, bis heute nur da funktioniert, wo Bewusstsein am Werke ist, denn es ist noch nie auf Vergleiche angekommen, sondern es geht unter anderem auch darum, dass jede/r mit seiner Existenz den angemessenen Ort findet oder erschafft, wo das, was man von sich möchte, auf Umsetzung wartet. Das Unerwartete fühlt sich immer erst einmal gefährlich an. Es ist immer unerwartet, wenn Grenzen bewusst geöffnet oder zumindest geweitet werden müssen. Eine Sozialarbeiterin, mit der ich bei der ersten Ankunft von Flüchtlingen in Kontakt war, fragte mal nüchtern, ob wir denn schon so weit wären, zum Beispiel die ganzen Afrikaner auf selbem Augenmaß zu betrachten wie uns selbst. Was, wenn sie alle nicht mehr gehen, oder wenn man denken möchte, dass sie sich eh bei uns nicht wohlfühlen werden, weil sie ja die Wüste brauchen, oder was jeder so an Bildern in sich trägt, bis man vielleicht die liebevolle Mutter mit ihrer klugen Tochter trifft, oder einfach Menschen, mit denen man gerne Kaffee trinken und herzlich lachen kann. Es ist ja nicht so, als wenn nicht alles schon da wäre: das Vielfarbige, das Erfrischende, das Verantwortungstragende den Einstellungen gegenüber und dem eigenen Verhalten.
Da ich selbst mit einem gewissen Interesse einen Artikel von Bernd Ulrich im Zeitmagazin der „Zeit“ gelesen hatte über seinen Weg vom Fleischesser über Vegetarier hin zum Veganer, fiel mir nun ein Leserbrief darüber ins Auge, in dem sich jemand beklagte über „die neue Personenbetulichkeit“ und lieber hätte, dass persönliche Befindlichkeiten in der Zeitung außen vor blieben Dafür kann man Verständnis in sich finden, wenn man die „Zeit“-lesenden Veganer jetzt einmal weglässt, unter denen das vermutlich ein Wohlgefühl ausgelöst hat. Nun sind die Übergänge von dem, was als „persönlich“ gesehen wird, oder als an Persönlichem mangelnd, oder z u persönlich bis missionierend oder übergriffig empfunden wird undsoweiter, diese Übergänge sind meist sehr fließend. Doch können wir wirklich von dem berichten, der wir nicht sind, oder das erzählen, was wir nicht erlebt haben. Auch kann das, was für den einen wie eine Schlaftablette wirkt, für den anderen hochinteressant sein. Es ist ja auch eine Kunst, eigene Erfahrungen möglichst nah und lebendig zu vermitteln, und außerdem darin noch einen Kern zu entdecken, der auch für andere anregend sein könnte. So scheinen es vor allem die Verbindungen zu sein, die ich mit einem gewissen Thema herstelle und die verbalen Bausteine, die ich benutze, die gleichzeitig meine Erfahrung beschreiben, andrerseits einen eigenen Sinn ergeben, der sich vom persönlichen Erleben auch wieder lösen kann, um eine weitere gedankliche Spur zu öffnen. Also: wann und wo und wodurch wirkt etwas persönlich, und kann ich überhaupt etwas von mir geben, was nicht persönlich ist. Auf den Gedanken kam ich heute früh, als ich einen Freund erwartete, den wir gebeten hatten, in einer meiner Wände die fünfte Katzenklappe im Haus anzubringen, also noch ein Loch in eine Wand, diesmal in die in einem meiner Zimmer, zu bohren, und ich war noch nicht sicher, ob ich das wirklich für sinnvoll hielt. „Seltsam“, löste sich ein langsamer und absurder Gedanke aus mir heraus, seltsam, dass man eines Tages in einem Haus mit fünf Katzenklappen lebt. Wer hätte es vermutet, wer für möglich gehalten. Oft wird geunkt, ein Mensch könne sich nicht verändern. Doch, kann er oder sie, doch, geht. Ist immer mit riesigen Prozessen verbunden und entweicht grundsätzlich der Vorstellungskraft. Die Vorstellungskraft ist der Antrieb, das Ergebnis oft überraschend. Manchmal, wenn die Anekdote abgerufen wird, erinnere ich mich an mich in New York in einer Bar sitzend an der Theke, vor mir tierisch Gehacktes mit einem rohen Ei drin und Zwiebeln und Gürkchen an der Seite, und Worcester Sauce natürlich, und dazu eine Blood Mary, wenn schon, denn schon, und der Leidenschaft des Rauchens frönend, und was nicht noch alles dazu gehörte. Das schien so sehr ich selbst, sodass ich mir auch heute noch freundlich zulächeln kann. Das muss ich wohl gewesen sein, wer denn sonst. Die Bewegung war wichtig. Wir waren die ersten persönlichen Umsetzer, die sich geistig, politisch und körperlich von allerlei Gesellschaftsbanden befreiten. Sehr rigoros, sehr persönlich. So uneingeschränkt, dass es wieder Grenzen brauchte. Ein Mensch, der von anderen nicht zu sehr gestört oder begrenzt wird, sucht sich eigene Freiheiten und Grenzen, die passen dann meistens ganz gut in die Lebensgestaltung. Manchmal, wenn ich mich morgens dem Computer nähere, um meinen Beitrag zu schreiben, bemerke ich, dass in meinen Archiven die Öllampen angehen, von mir aus auch ein LED Strahler, und etwas, das sich in meinem Inneren abspielt, bereitet sich auf einen öffentlichen Zugang vor, das ist eine Tatsache, ein Automatismus. Trotzdem gibt es Gefahren, immer gilt: Auge, sei wachsam! Was die Katzenklappe betrifft, so verstehe ich, dass alles, was man liebt, seine eigene Freiheit haben muss zu kommen und zu gehen.
Neulich hatte ich (mal wieder) die Gelegenheit, kurz und tief ins All hinein zu danken, dass ich die Kraft hatte, in entsprechenden Situationen meines Lebens der Idee zu widerstehen, einem eigenen Kind über meinen Leib den Eintritt in die Welt zu gewähren. Da mein Fenster hier zum Glück keine Beichtkammer ist und ich dem Thema „Abtreibung“ weder entkommen bin noch wollte, fällt mir lieber das winzige Mädchen ein, dass ich vor 23 Jahren auf einer indischen Straße gefunden habe, mit dem ich heute, wenn ich im Westen bin, Mails austausche und Ereignisse und tiefe Verbundenheit, und die ich in Indien, wenn wir unterwegs sind zusammen, als meine Tochter vorstelle. Das Geschenk der Verbundenheit ist also auch ohne Blutsbande möglich. Manche Frauen, haben sie mir erzählt, konnten den Vater ihrer Kinder erkennen, als sie den Mann trafen. Wenn man gerne staunt, kann man das auch hier tun. Hat sich etwas in der Weltgeschichte einmal eingebürgert, muss man, wenn man möchte, früher oder später einmal die Zwanghaftigkeit des „Normalen“ bedenken. Normal ist, auf was sich eine Riesenmenge von Menschen geeinigt hat und nun darauf besteht, als hinge jedermanns Leben grundsätzlich davon ab. Eine dieser schweren Erdspuren, die Menschen hinterlassen haben in ihren Köpfen, ist die Idee, dass eine Frau unter allen Umständen gebären muss, da ihr sonst das Frausein entfleucht und sie zu etwas Unnennbarem wird. Und da Frauen, zumindest in diesem Land, wenn sie allein leben und arbeiten, nicht mehr unter dem Jungfrauenfluch leiden, setzt sich die Frau langsam aber sicher als undefinierte Mitspielerin durch, mit der man rechnen muss. Leider auch für sich selbst oft genug noch als undefiniert, nicht, dass Männer definierter wirken. In den weiblichen Systemen wurzeln nur andere Träume, andere Abenteuer, andere Ängste. Eine Frau, würde ich locker meinen, bei der z.B. die „biologische Uhr“ tickt, scheint mir, wenn auch als Laiin in der Sache, geeignet, Ausschau zu halten nach dem Vater ihrer Kinder. Und wenn ich die Chance habe, eine (hier passt das Wort „gut“), also eine gute Familie zu erleben, ist das ein sehr schönes Erleben, zumindest für zwei bis drei Stunden oder mal zu Besuch über Nacht. Was mir am Herzen liegt ist, dass der Bann, den das patriarchale Denksystem auf den Geburtszwang gelegt hat, von den Frauen selbst verstanden und aufgehoben wird. Die Frau muss nicht, nur weil sie kann, ein Kind in die Welt setzen, vor allem, wenn ihr gar nicht danach ist, sondern sie eher eine andere Route vor Augen hat, auf der sie ihren Nachen durch den Großen Strom navigieren möchte. Das ist sicherlich richtig, dass viele Frauen, die das Kind gar nicht wollten, dann doch noch eine ordentliche Mutter geworden sind, oder, wie mir Frauen gerne gesagt haben, das käme ja automatisch mit dem natürlichen Vorgang. Schon möglich, aber ich habe ja nichts gegen Kinder, sondern habe nur andere Prioritäten gesetzt. Insofern habe ich mich aus dem Rad der Ahnen und der Familiengestaltung und der Gesellschaftsnormen herausbewegt und lebe und visioniere mit Anderen zusammen die neuen Wege des Zusammenseins. Hier ist der Geschlechterkampf nicht das führende Element. Hier sucht man nicht immer nach dem Anderen, der einen ergänzen oder ernähren kann. Ich erinnere mich, dass ich mich, soweit das zurückreicht, schon immer gerne als einen Ort fühlte, an dem ich zuhause bin. Wer hätte gedacht, wieviel unermüdliche Arbeit es braucht, um auf das, was man zu wissen und zu sein vermutet, eine entsprechende Resonanz zu suchen und zu finden. Natürlich möchte man, wenn man so vor sich hin lächelt, gerne mitteilen, was man als sich selbst erlebt, bevor einem klar wird, dass die meisten Menschen genau dasselbe tun und empfinden, da es ja ihr ureigenes Leben ist. Der Wetterexperte wird bei einem poetischen Satz ertappt: „Die Wolkendecke“, sagt er, „hat die Nacht warm gehalten.“
Schade, dass nicht jeder Mensch von Anfang an einen Zurufer oder eine Zuruferin hat, also jemand, der oder die einem in regelmäßigen Abständen des Lebens zuruft: Hey, schau mal: das ist d e i n Schicksal! Questo è il tuo destino! Deines, dein eigenes, was nur du hast und kein/e Andere/r, das ist das Paket, das für dich geschnürt ist, damit du auf deine eigene Weise Umgang erlernst mit diesem Bündel, denn so könnte man doch das Leben (heute mal) definieren: Der Umgang mit dem Schicksalsbündel. Das Schicksal wiegt immer schwer, weil es unausweichlich ist. Das wird doch an dem Ozean vorhandener Filme so geschätzt: dass es von unausweichlichen Schicksalen handelt, denen man zuschauen kann, indem man dem eigenen ausweicht. Also nicht unausweichlich. Doch, über Umwege und Schleichwege und geheime Verstecke und Abstellkammern hinweg kann man die Zeit in eine Art künstliches Feld dehnen, wo man gelernt hat anzunehmen, dass d a s das Leben sei, ohne infrage gestellt zu haben, ob es das wirklich sei, oder ob es nur mir so vorkommt, als sei das Leben so, wie ich es sehe. Und genau so ist es ja, wenn auch nur immer für Einen allein: es ist genau so, wie ich es sehe. Das verblüfft. Ja, wie sehe ich es denn. Und wie, wann, wo und wodurch strömen das Außen und das Innen zusammen in einem mir verständlichen Kontext. Ist irgendwo etwas Vermeidbares in den Szenen zu finden, oder bin ich gebunden für immer an das, was durch mich, bewusst oder unbewusst, verursacht wurde und wird. Hey du!, ruft der Zurufer, das ist dein ureigenes Material, dein Zeug, von dem du da redest, das bist Du in deiner einzigartigen Verantwortung der Gestaltung, in der Erfüllung deines Schöpferdranges, in der Heldenrolle auf den Kanus, auf den Booten, auf den Schiffen, die alle hinübergehen mit ruhigen oder stürmischen Segeln in das Niemandsland, das Land also, das niemandem gehört, da, wo das Haben ein Ende hat. Vorher ist alles da, der unerhörte Reichtum des Menschseins, der Körper, der die Substanz, die ihn am Leben hält, durch die Gegenden trägt, die geistigen und körperlichen Nahrungsketten. Wer sich nicht kennt, kann sich nicht führen. Dann kann man Hilfe holen und sich umsehen im Traumareich. Das ist doch wunderbar, wenn man all dieser planetarischen Möglichkeiten gewahr wird. Aus jeder Ecke des Runds kommen nicht nur Überlebende, sondern auch große Berührungen, die uns geschenkt werden von Menschen, die von ihrem Glück und von ihren Strapazen berichten, bis mehr und mehr Schachzüge einleuchten und man die Regeln des Spiels erkennt. Die sind nicht streng, aber klar. Die sind nicht zwergenhaft, sondern großzügig. Die zwingen keinen, etwas zu sein, was eine/r nicht ist. Die bieten nur an, was zu sich selbst führt, weil sie das Zu-sich.selbst-Geführte sind, daher weder aufdringlich noch helferisch. Immer und für alle ist alles immer nur so, wie es ist. Oberfläche und Tiefe vereint, denn ja, alles geht vorüber, da ist nicht dran zu rütteln. Nur wie, und durch wen, und warum.
Was ich sah, mein Blick in dem einen Moment,
war etwas Sanftes, ein Feld von Federn ohne Vögel.
Es zog pulsierend vorbei, aufgetürmt, oszillierend,
eine Geometrie variierender Fasern
in einem Flug durch die Atmosphäre der Erde.
Ich dachte an deinen Charakter,
an das Geordnete und Unsichere, in dem du dich bewegst.
Eine vornehme Essenz, die dich leitet,
immer in Auseinandersetzung mit der Geschichte,
mit dir selbst und den Büchern, den Bildern,
dem Interesse an Baumeistern und Kathedralen,
mit Vergehendem an sich, und der Angst um das Erbe,
gefasst in den Gemälden und Bauten aus Stein.
Im Hintergrund Allegris „Miserere,“
auf dem Tisch Photographien eines Portals von Reims.
Als wir dann sprachen, sagtest du, es sei auch anders:
Francis Bacon sei dir nah – verzerrte Körperteile
im Bann von irgendeinem Eros.
Auch Hieronymus Bosch, der den Irrsinn aufzeichne –
die Exzesse der Triebe, die Schatten um uns alle.
Und die Macht und Pracht, das Umhertragen der Dinge,
das rücksichtslose Verjagen der Anderen,
die Gier nach deren Land, die oft falschen Fragen.
Was vorbei flog, war der Wachtraum einer schwindenden Welt,
in der die Zeit zu einem Du wird, wie ein Geist, der sich umschichtet,
den man noch liebt.
Es gibt schlichte Definitionen, die durchaus bedenkenswert sind. So ist „reich“ ganz sicher der-oder diejenige, der oder die alles hat, was er oder sie braucht. Kaum hat der Wahrheitsgehalt dieses Satzes in einer Gehirnwindung gezündet, wird es sofort komplex. Die Hinterfragung der uns am einfachsten, selbstverständlichsten und logisch erscheinenden Dinge ist und bleibt eine der wichtigsten Zweige des Denkapparates. Wer entscheidet also, was ein Mensch braucht, und weiß der Mensch selbst, was er braucht. Da ziehen z.B. die neuen, wohlhabenden Senioren-Nomaden hinaus in die weite Welt, komfortabel in der vertrauten Enge ihres Kleinheimes, alles wieder ganz klein und einfach. Da das Bild, das man sieht, sich so ähnelt, fällt es schwer, sich dort in etwas hineindenken zu können, was vielleicht gar nicht da ist. Vielleicht grassiert ja ein äußerer Reichtum Hand in Hand mit einer inneren Armut. Selten kommt großer weltlicher Reichtum mit innerem Reichtum zusammen, doch wer will und kann das korrekt einschätzen. In den wohlhabendsten Wohnungen, in denen ich Gast war, schien mir die Schwere der Einrichtung schon als Kind beklemmend. Die unverrückbaren Schränke und Betten, das oft traumatisierend Einsinkende in die Materie-Welt, wo tüchtig geschuftet werden muss, um zu haben, was gewünscht wird. Es kann allerdings auch einen großartig kreativen Charakter haben, wenn ein Mensch, oder auch Menschen zusammen, die Unverrückbarkeit ihres gemeinsamen Schicksals manifestieren. Das meint hier die Akzeptanz des Von-mir-selbst-Erzeugten, auf das ich Antwort hören und geben möchte. Reichtum hängt ab vom Möchten. Was habe ich schon, und was möchte ich noch. Es geht auch um ein Gefühl, das geschult werden muss. Durch was und durch wen fühle ich mich bereichert, wen und von wem wahrgenommen? Wenn man durch die Geschichte der Völker streift, in welcher Weise auch immer, fällt auf, wie man mit eigenem Zeitraffer sehen kann, wie alles kommt und wieder geht, wie Reiche und ihre Bräuche zerfallen und wieder entstehen, wie stabil Geglaubtes so einfach zerrinnt, und wie oft Menschen vor den Trümmern ihres Reichtums gestanden sind. Und immer wieder werden Menschen geboren, die glauben, dass ihnen alles gehört, die Tiere, die Meere, die Wüsten.Wer hat ausgeteilt? Wer hat gegeben? Das Maßlose kennt keine Grenzen, daher merkt es zu spät, dass es sich selbst vernichtet. Dabei gibt es gar keinen Gesetzgeber gegen die Freiheit. Nur der Körper der Erde gibt Antwort. Das Körperliche hat eine Grenze. Wo führen sie hin, die Gedanken. Manchmal halten sie ein und führen nicht weiter. Wer weiß da noch, wer den Kompass nimmt und das Steuerrad, und wer den Nachen bewegt durch die Kairosgewässer, sich das neue Mantra zueigen machend: Spurwechsel!
Man kann davon ausgehen, dass jeder Mensch auf die eine oder andere Weise und je nach der persönlichen Vorstellung von Hell und Dunkel etwas Lichtem entgegen gehen möchte. Licht ist die Lampe, die uns anzieht. Es kann auftreten als Vielversprechung oder als Schalter, der an- und ausgeknipst werden kann je nach Bedarf, es kann der neue (oder der alte) Jaguar sein, der Trieb also in die Nähe der Lichtgeschwindigkeit und über sie hinuaus in den Kern der Gedanken. In einer Oase, angereichert mit Vogelgesang, besinnt sich der Alien, oder der Fremdlng, oder der Migrations-Mutant, oder die archaische Mutantin auf das abgrundtiefste aller Gefühle, das sich vor allem im sogenannten „Sommerloch“ geradezu anbietet. Der embryonale Zustand im mutterleibsähnlichen All verweist auf ein kostbares Wohlbefinden. Es lässt einen das Dasein im Entstörten bzw.im Prägestörten, erahnen. Was heißt erahnen? Das ist lange her, ja, und wenn es nicht gänzlich vernichtet worden ist, ist da immer noch ein Funke des beseligenden Empfindens, an dem neues Feuer entfacht werden kann, oder kann sich gar selbst wieder entfachen. Vielleicht stirbt nach der Hoffnung erst der Funke, doch der letzte Funke stirbt selten, vermute ich, denn es gibt ja in einem grundsätzlich wohlwollend gearteten Universum genug Ausweichmöglichkeiten in der illusionären Natur der Matrix. Wer in mir selbst saß denn im Raumschiff und hielt für durchaus real, dass sie alle am Leben waren, um die Welt(en) zu retten. Endlich mal menschliche Exemplare, die man verstehen konnte. Captain Picard (Shakespeare Darsteller) wurde einmal in einer Folge von „New Generation“ von den Borg, einer dunklen, techischen Macht, assimiliert und zur halben Maschine gemacht. Widerstand war zwecklos. Leider erinnere ich mich nicht mehr, wie er da wieder heraus gekommen ist. Das ist doch immer wieder auch eine gegenseitige Befruchtung. Woopi Goldberg meldete an, dass sie unbedingt mitspielen will und wurde die sehr überzeugend beratende Seherin der Besatzung. Und dann das Holodeck! Die bewusste Gestaltung virtueller Räume, in denen man sein Wasauchimmer ausleben und es als Illusion genießen kann. Auch kann man es einen Genius nennen, wenn jemand in der Atmosphäre ein Wohlbefinden erschaffen kann, das weder Anteile von Harmonieterror noch entwertende Gleichgültigkeit enthält, sondern nur genügend Raum um sich selbst und die Anderen herum, ein Hinweis auf das selten ganz erloschene Urgefühl. Das Geheimnis der Matrix ist ihr ureigner Grund. Hier erst ziehen sich die Worte zurück.
Wenn aus dem Dunkel, also dem Unbewussten, Gefühle oder Gedanken oder Bilder aufsteigen, so kann es unheimlich wirken, denn die inneren Welten sind eigen und haben ihren eigenen Weg, sich zu zeigen. Man kann da selbst nur rätseln, wenn einem ein Zugang ermöglicht wird. Ich unterscheide zwischen dem Dunkel, das böswillige Intentionen hat, und dem Dunkel, das seinen Geist entlässt, um sich sichtbar zu machen in Gefühlen, in Wärme, in Seltsamkeit, in dem Annehmen der inneren Welten, die oft abgetrennt werden von dem, was wir als Vertrauen zu unserem ganzen Lebensvorgang stabilisiert haben, um uns in den Labyrinthen des Seins zurecht zu finden Niemand kann den vernichtenden Vorgängen auf diesem Planeten „gerecht“ werden, was heißt das. Es gibt diese Gerechtigkeit nicht, von der wir ausgehen möchten. Menschen werden zu allen Zeiten zermalmt und gefoltert und von fehlerhaften Brücken in die Tiefe gerissen. Man ist selten in der Nähe der Trauernden und der Erschütterten, aber das ist oft schon genug, um Kenntnis zu haben von dem Unerklärlichen, für das dann Erklärungen bereitgestellt werden und Beruhigungen und Wissen und Weisheit und Stille und wirkliche Hilfe und Trost undsoweiter. Schon als Kind saß ich gebannt auf dem Hintersitz des Wagens, zum Glück unangeschnallt, und starrte auf die vielen Häuser in den vielen Ländern, die wir manchmal durchquert haben. Im Dunkeln konnte man ab und zu Menschen bei ihren Bewegungen in den Wohnungen zuschauen, das war beruhigend, denn sie waren meist mit Dingen beschäftigt, die man nachvollziehen konnte schon als Kind: herumgehen und Sachen machen, und dann das geisterhafte Licht der Fernsehgeräte, das mir heute noch unheimlich ist, wenn ich hineinschaue in Fenster, denn da werden ständig Leben und Geschichten angeboten innerhalb der Leben, wer will da noch unterscheiden können zwischen dem einen und dem anderen, obwohl die Geräte inzwischen einen hohen Stellenwert haben, denn es wird vorausgesetzt, dass jeder Mensch sie braucht und ohne den freien Zugang zu all diesen Kanälen ein unglücklicher Mensch ist. Ich denke, dass einem bei so viel Zufuhr fremder Geschichten Hören und Sehen vergeht, denn es kommt ja darauf an, Zugang zu eigenem Hören und Sehen nicht abstumpfen zu lassen. Es ist schon bemerkenswert, dass durch den Wissensdrang von Freud, Menschen und ihr Wesen wirklich ergründen zu wollen, eine einmalige Praxis in die Welt gekommen ist, nämlich dass ein in einer ganz bestimmten Schulung der Wahrnehmung trainierter Mensch einem anderen Menschen Stunde um Stunde zuhört, sodass dieser Gelegenheit hat, sich kennen zu lernen und Zugang zu bekommen zu den tiefsten Erfahrungen seines Wesens. Ein Weg, der Licht ins Dunkel bringen kann, und der sicherlich für die meisten Menschen ohne Begleitung nicht möglich wäre. Wie lange so ein Sich-kennen-lernen dauert, kann nur der entscheiden, der sich auf diesen Weg macht. Bis es auch hier nicht mehr um ein Ziel oder ein Ankommen geht.
Es würde mir nicht einfallen, ein Bild zum Text zu malen. Manchmal korrespondiert was, manchmal entscheide ich mich für einen Ausschnitt. Das muss immer auch aus sich selbst heraus leben können, muss unabhängig voneinander sein können. Allerdings: wenn ich es befrage, wird es mir Antwort geben, die wiederum von meinem Wortschatz oder meiner Beobachtungsgabe abhängt, insofern wird es schwerer, mich von meinem eigenen Ausdruck zu lösen. Aber da warten ja ab und an auch Überraschungen auf einen. Zum Beispiel auf diesem Bild, als ich vor einigen Minuten das halbe Gesicht eines jungen Mannes entdeckt habe, das man waagrecht sehen muss, und das gleichzeitig der Oberkörper des da sitzenden Mannes ist. (Ja?) Diese als solches jetzt gesehene Figur hat mich an einen Beitrag der Kurznachrichten erinnert heute früh, nämlich dass, diesmal in Amerika, wieder herauskam, dass katholische Priester über Jahre hinweg Jugendliche und Kinder missbraucht haben, das macht über die Jahre hin mit all den anderen Nachrichten darüber in anderen Ländern, das macht eine Menge Kinder und Jugendliche, die von Erwachsenen missbraucht wurden und werden. Ich kenne das persönlich aus unzähligen Geschichten, die aus den mir bekannten indischen Familien kamen, auch da eine grenzenlose Ohnmacht dem ganzen Erleben gegenüber, und der zwanghafte Schutz dessen, was sich schon zu lange als fauler Kern gezeigt hat. Wenn sich das Ganze um sich herumdreht und die Ausnahmen zur akzeptierten Regel werden und alle mitspielen, weil es nur noch um die Erhaltung des Machtgefüges geht, da hebe ich gerne mutterseelenallein am Computer das innere Glöckchen und ergreife danach vielleicht noch den Auktionshammer und sage adieu zu den Religionen und den anderen Formationen, in denen schon lange etwas den Geist aufgegeben hat, wohl wissend, dass meine Worte keine Bremse sind für irgend jemanden, sondern eine klare Weiche für mich selbst. Ich könnte nachschaudern in Gedenken an alles, was ich auf meinem Wege für möglich hielt, ich meine jetzt speziell die Bereitschaft, einem Gott die Zügel meines Schicksals in seine Ungewissheit zu legen. Da gehe ich doch lieber direkt in meine eigene Ungewissheit und sehe mich dort um. Auf meinen Bildern sehe ich noch immer Geister und Götter durch die Schwaden des Erzeugten ziehen. Mich erschreckt nicht das Unheimliche am Ungewissen, sondern mich erschreckt eher das Offensichtliche am Gewissen. Im universellen Geschehen bewegen sich Tod und Leben als derselbe Atemzug. Dazwischen die ganzen Ebenen in unendlicher Ausdehnung. Und zurück zu den notwendigen Erschütterungen, die durch die Handlungsweisen der Wesen geschehen und dem Drama Höhe und Tiefe geben. Das ändert nichts an der Tatsache, dass da draußen eine furchterregende Dunkelzifferzahl von missbrauchten Kindern und Erwachsenen herumlaufen. Man staunt manchmal, dass es auf der Erde als Menschen vor allem Männer, Frauen und Kinder gibt. Ein kleiner, überschaubarer Baustein, möchte man meinen.
Ich bin als Kind oder Jugendliche oder Erwachsene nie in Kontakt mit den Büchern von Karl May gekommen und habe das alles wohl versäumt, ohne es deswegen bedauern zu müssen. Nun höre ich von einer Nachbarin, die zum ersten Mal bei uns vorbeikommt, dass dieser May oft im Gefängnis saß und dort seine beliebten Bücher schrieb, und dass er selbst glaubte, Old Shatterhand zu sein (?), was nicht erstaunt, sondern eher seinen Erfolg erklärt. Dass er sich in Fremdes, das er sich erdachte, so hineinversenken konnte, dass es seine eigene Realität war. Manchmal sieht man sehr viele geschätzte Karl May Bände irgendwo herumstehen von Ausgaben, die jetzt kostbar sind, und die vielen Filme, die der imaginierte Stoff zur Verfügung gestellt hat. Auch war er, neben einigen kriminellen Handlungen, wohl auch öfters gefährdet, seinen Verstand zu verlieren, denn zwar denkt sich jeder das Eine oder das Andere aus, aber nicht eine ganze Welt, die durch Phantasie bevölkert wird, bis auch da die Konturen immer schwankender werden. Es ist ja nicht automatisch geklärt, ob wir nicht alle ständig etwas erfinden, was den Realitäten, die wir zu erkennen meinen, in keinster Weise entspricht. Wenn Hindus von dieser Zeit, in der wir gerade leben, sprechen, nennen sie es oft eine „duplikate Illusion“ (duplicate maya) Im Sinne, dass es eine Grundausstattung gibt, in der zum Beispiel produziert wird, was die Anwesenden brauchen, damit sie ein gutes Leben leben können. „Gut“ heißt hier nicht, dass Harmoniezwang herrscht, nein, es ist eher wie im Kasperle Theater, da ist der Kasper und da ist der Polizist und halt alle die Figuren, die man überall antreffen kann, eine Art Übereinstimmung mit einer Norm des Daseins, die keinem schadet, aber auch unterhaltsam ist. Jetzt wird diese Bühne mit der Zeit derart zugemüllt, dass gutes Spiel immer schwieriger wird, die Einsätze immer sinnloser, die Resultate immer fader, die Objekte immer absurder. Das ist dann die duplikate Illusion, da vor allem als hochwertig und optimierend angepriesen wird, was eigentlich keiner braucht. Nun beginnt aber jeder das Überflüssige zu brauchen, es entsteht eine Art Sog, aus dem schwer zu entkommen ist. Die Zeichen, wann und wodurch eine Grenze erkannt werden kann, werden unschärfer. Ist eine betende Frau in Burka eine Bereicherung für meine Wahrnehmung, oder ein Angriff auf meine persönliche Lebenseinstellung. Das kann doch gar nicht sein, dass eine Frau in einer Burka sich wohlfühlt! Doch, das kann sein. Das ist es ja, dass alles sein kann, nur ich (jeweils) kann nicht alles sein. Daher ist die Frage, wer ich selbst bin in Zeit(en) und Räum(en), so wesentlich, oder zumindest erschien es immer einigen als wesentlich. Karl May war unter anderem ein Hochstapler, der unter den Geschichten seiner hochgestapelten Figuren zusammenzubrechen drohte, was darauf hinweisen könnte, dass es nicht immer gesund ist, sich nur zu erfinden. Und doch hat er viele beglückt, hat Fluchtwege erschaffen in drögen Alltagswelten, wo niemandem etwas Belichtendes einfiel. Nun ist es ja so, dass wir alle in einer Geschichte herumlaufen und ein gewisses Maß an Realität beanspruchen, das sicherlich keinem anderen Maße gleicht. Was ist erfunden, und was ist real. Gibt es hinter dem Spiel noch eine andere Wirklichkeit, von der aus wir eines Tages bemerken, dass wir mit den Füßen in der Quelle unserer eigenen Heiterkeit waten, erstaunt und hocherfreut über die einfachen Spielregeln, die sich selbst zu erkennen geben.
Das Bild zeigt den Gott Merkur, der dabei ist, ein Kind in Sicherheit zu bringen.
Schöner Titel. Habe ich mir unterwegs im Vorübergehen aus dem Äther geholt, man wird doch wohl noch…Bei mir ging es jedenfalls nicht um Sternschnuppen, oder ging es dann doch noch um Sternschnuppen. Drei Mal bin ich aufgestanden, von der Schnuppenunruhe getrieben, und zweimal habe ich jeweils eine gesehen, das war dann nicht nur erfreulich, sondern auch beruhigend. Heutzutage werden wir ja informiert, auch wenn sich am Himmel was Außergewöhnliches tut, und wieder einmal fiel mir auf, wie wohltuend es ist, in eine sternenklare Nacht zu schauen und sich vom Ausmaß bildlich ergreifen zu lassen. Man kennt das aus der Kindheit, diese Ergriffenheit über das spielerische Funkeln in der vorstellungssprengenden Größe des Alls, wodurch dann die gebastelten Sterne und die Laternen entstehen, ins Maß des Vorstellbaren gerückt. Nach vernünftigem Widerstand gegen die unausrottbare Idee, man solle den Sternschnuppen einen Wunsch mitgeben, der ihn schnell und sicher in die Umsetzung transportiert, habe ich doch noch jeweils zwei Wünsche hinterhergesandt. Es fehlte ihnen etwas an Kristallisation, da ich in meiner Werkstatt selten Wünsche bastle. Und blieb da nichts zu wünschen übrig? Doch, blieb es. Es geht ja nicht darum, das Wünschen abzustellen, nur an einem wünschenswert Erscheinenden anzuhaften scheint nicht wünschenswert. Und wenn man etwas Gewünschtes schon hat, ist man gewissermaßen von der zukunftsweisenden Richtung der Wünsche befreit und beschäftigt mit dem lebendigen Umgang. Einige Stunden vor dem Schnuppenvorgang war ich mit Freunden zu einer Halle gereist, in der Künstler-und Künstlerinnen, von einem Künstlerehepaar eingeladen worden waren, um 10 Tage da zu arbeiten und zu wohnen und gemeinsam zu kochen. (Busch 8 Künstlersymposium Atelerprojekt). Es war der letzte Tag, und sie zeigten die Arbeiten, die in den Tagen entstanden waren. An manchem vorübergehen, dann auf einmal hinschauen wollen, näher kommen, sehen und sich zeigen lassen. Die andere Welt, die sichtbar wird, sich zeigt und Originale vor das Bewusstsein bringt, die einerseits vom tief persönlichen Stil erzählen, der innerhalb der Wahlunmöglichkeit der Ausführenden immer wieder in etwas Sichtbarem geboren wird, sich andrerseits aber loslöst vom Schöpferinnenleib und weiterzieht, wohin, ja, wohin. Setsuko Fukushima mit ihrer ausweglos japanischen Exzellenz doch wieder in atemlos machender Freiheit in der ihr gemäßen Materie herumwütet, um hohe und helle Ordnungen zu erschaffen, in denen die Schatten auf geniale Weise gehalten werden. Auch Brigitta Heidtmanns Ordnungen erstaunen immer wieder, wir fahren die vielen Kilometer, um ihre Arbeiten zu sehen, präzise gehandhabt und mit genau d e m schöpferischen Reichtum gefüllt, der einen ins Staunen bringt und in die Freude. Tatjana Basting kannte ich nicht, aber ihre Zeichnungen auf einem Bildschirm haben mich nahe herangezogen..Kunst ist auch das Eigenwillige der Sicht, und klar, das genügt auch nicht. Es ist die kunstvolle und gekonnte Umsetzung der inneren Wahrnehmung, die einen anspricht. Da steht man dann da, sehr bereichert, hat sich bedankt für die Teilnahme an den verschiedenen Quellen der Kunst. Kunst, die so oft Überbezahlte, sodass man sie als solches gar nicht mehr nennen möchte oder darüber reden, was von wem und warum und wenn und wo und durch wen ist oder gar nicht ist undsoweiter, und die oft Unterbezahlte, so als müsste ein Schöpfer oder eine Schöpferin sich immer bedanken für das, was er oder sie schenkt. So einen unbezahlbaren Reichtum, durch den man die kosmischen Ordnungen erläutern kann, denn hier kann man sehen, wie die Dinge entstehen, und was sie auslösen und bewirken. Deshalb galt der (geheime)Wunsch einer meiner beiden Sternschnuppen den Künstlerinnen, den, wie diese Drei, Besten unter ihnen, und den Strahlen ihrer Laufbahn.
Die Welt zu enttaufen,
den Namen der Dinge opfern,
um ihre Anwesenheit zu gewinnen.
Die Welt ist ein nackter Ruf,
eine Stimme und nicht ein Name,
eine Stimme mit ihrem eigenen Echo auf dem Rücken.
Und das Wort des Menschen ist ein Teil dieser Stimme,
kein Fingerzeig,
keine Aufschrift im Archiv,
keine Seitenansicht des Wörterbuchs,
kein hörbarer Personalausweis,
kein Kennwimpel
der Topographie des Abgrunds.
Der Dienst des Wortes
jenseits der kleinen Armut
und der kleinen Zärtlichkeit, dieses oder jenes zu bezeichnen,
ist ein Liebesakt: Anwesenheit zu schöpfen.
Der Dienst des Wortes
ist die Möglichkeit, dass die Welt zur Welt spricht,
die Möglichkeit, dass die Welt zum Menschen spricht.
Das Wort: dieser Körper, gerichtet an alles.
Das Wort: diese offenen Augen.
Es ist schwer, zu wissen, was man sieht, wenn man nicht genau hinschaut. Man kommt ja in die Gewohnheit des Sehens, und meistens sind wir nur überrascht, wenn etwas nicht so aussieht, wie wir es gewohnt sind oder uns vorstellen können. Dabei gibt es sehr viele Dinge und Menschen , die die Gewohnheit des Sehens sprengen. Wenn sich die meisten Menschen nicht so davor fürchten würden, die konstruierte Fassade ihres Sehens gedanklich zu durchdringen, ja, was wäre dann…Gewohnt, den Anderen als Feind oder zumindest misstrauisch zu betrachten, würde einem vielleicht ein Cowboy Movie einfallen, wo es darum geht, wer den Colt schneller zieht., während, will man eigentlich sich und den Anderen kennenlernen, andere Wege gegangen werden müssten. Noch schwerer ist es natürlich zu wissen, was man fühlt. Hier muss ich spätestens, ob ich will oder nicht, ins Ich gleiten, denn nur ich kann wissen, was ich fühle, während man in der Sicht leicht und gefällig und oberflächlich übereinstimmen kann. Man kann auch leicht und oberflächlich übereinstimmen, was man fühlt, aber kann ich wirklich? Wie kommt man denn ran ans Fühlen? Wer in der Kindheit aus den vielen möglichen Abgründen heraus keine klare Erfahrung gemacht hat, was Fühlen ist, der wird gezwungen sein, Gefühle zu produzieren, oder auf das, was als Gefühl genommen oder vermutet wird, zu antworten. Immer wieder geht es im Einzelnen um die Fragen, was an der Quelle passiert ist, und was waren die jeweiligen Folgen davon, die vermutlich auch immer mit den eigenen Anlagen korrespondieren. Wann begann der Hass gegen die Juden z.B. an Hitler zu nagen. Als ich einmal auf dem langen Weg der Versuchsverstehung des schwer Verständlichen gehört habe, dass Hitler einst eine jüdische Frau liebte, die ihn zurückgewiesen hat, dachte ich ja, so kann das sein, dass ein kleiner bitterer Funke im falschen Moment, also etwa bei extrem niederem Stand der Selbstachtung, einen Rachefeldzug gegen ein ganzes Volk auslösen kann. Seit in Indien in die öffentliche Meinung vorgedrungen ist, dass manche Männer sich an Kindern vergehen, sind schon einige Männer auf der Straße gelyncht worden, weil sie einem Kind eine Süßigkeit gekauft haben. Menschen brauchen nicht nur Vorbilder, sondern auch Bösewichte, auf die das Nichtverdaute abgeladen werden kann. Herr Hitler, fragt der Interviewer, wie fühlen Sie sich eigentlich so als Mensch!? Hitler ist verwirrt, das hat er nicht gern. Er weiß nicht, wovon der Fremdling redet, und von wem. Weiß der denn nicht, wer er ist? Nein, man weiß nicht, wer jemand ist, man kann nur wissen, wer man selbst ist und was man selbst da will und tut, wo man ist. Wie logisch kommt wohl Frau Assad dieser ganze Wahnsinn vor, oder denkt man fälschlicherweise, überall wäre noch Raum genug zum Atmen und Handeln? Ein Diktator ist u.a. auch eine Art Nichts, eine leere Leinwand,auf der sich die Projektionen unendlich anhäufen können, bis eine Illusion von Macht entsteht, mit der derjenige dann umgehen muss. Das kann nach hinten und nach vorne losgehen. Hier ist das Hinten eine Neigung zur Überschreitung menschlicher Grenzen ins Unmenschliche hinein, das Vorne eine Möglichkeit für gute Entwicklungen. Wo schaut man hin, wenn man nach innen schaut. Wen sucht man, und wen findet man. Wie an allen Wochentagen, so ist man auch samstags mit den großen Fragen, wenn es sie wirklich gibt, erst einmal allein, bevor man in der Lage ist, das Selbstreflektierte mit Anderen zu teilen, sofern das möglich oder erwünscht ist.
Wie ungewiss alles ist!
Wie getragen mit zarten
Händen. Wie hinter der
scheinbaren Härte des Bildes
sanft das Einfache lächelt.
So soll das bei uns sein, wenn
sich uns hinter dem geistigen
Vorhang Seelengeheimnis
enthüllt und Quantensprung.
Es soll sein wie das Licht auf
der Lieblingsmauer: berückend,
tief atmend, nicht zu stören
das lebendige, funkelnde Gut.
Von mir aus kann das Bild zum Beispiel eine Einstellung zum Klima ausdrücken. Es hilft ja nicht viel, wenn man bestürzt auf brennende Flächen starrt, vor denen Menschen in anderen Ländern fliehen, oder wie sie mit Booten von ihren Dächern weggerettet werden, aber es ist auch nicht so, dass einem automatisch alles selbst vom Leibe bleibt. Und obwohl man ungern zu der Gruppe gehören möchte, die das Wetter als Hauptthema ihrer Gespräche bemüht, ist auch ziemlich eindeutig, dass vieles vom Wetter abhängt. Manche sagen, es war schon immer so, andere, es war noch nie so. Da weder der Eine noch der Andere recht haben kann, muss man sich auch hier aufraffen, um eigene Wahrnehmungen zu bedenken. Während es gestern einmal durch die Dürre getröpfelt hat und man leider keinen Regengott kannte, den man hätte feiern können für das freigegebene Nass, so drohen nun die Experten mit der Sintflut und riesengroßen Hagelkörnern. Wo bitte findet das statt? Man weiß es nicht so genau, bzw. so weit ist man noch nicht mit den Messungen, dass man voraussagen kann, wo und wann genau die Eiseier einschlagen werden. Ich denke an unsere schrägen Fenster im Dachbodengeschoss, nein!, eben kein Geschoss, man muss vorsichtig sein mit den Worten, denn sie haben Wirkung. Man dankt ein bisschen vor sich hin, dass man an einem Hügel wohnt, wo man öfters die Massen schon hat hinunterströmen sehen. Ach ja, nicht vergessen, die Computer vom Stecker zu nehmen, das habe ich mir beim ersten Donner schon angewöhnt, da im Bekanntenkreis der Blitz schon in die Maschine eingeschlagen hat. Wenn so etwas wahrlich Furchterregendes wie in Siegburg passiert, denkt man auch schon mal (wieder) über das visionierte Täschchen nach, in dem die Dinge sind, die man auf keinen Fall zurücklassen wollte, ja, was wäre das denn? Außer den Ausweisen, dem Autoschlüssel, dem Smartphone und dem verfügbaren Geld. Das lohnt sich doch rein gedanklich mal zur Unterhaltung, während sich draußen noch keinerlei Spur des heranrasensollenden Orkans zeigt. Wo ist denn eigentlich die Katze? Wo wird sie sein, wenn es hagelt. Schafft sie es bis zum Haus, bevor ich hier, in guter Gesellschaft, nervös herumsitze, so als wüssten die Raubtiere nicht, sich in der Natur zu behaupten. Sie wissen nichts von einem Wetterexperten, der sie vorwarnt, sie erleben das ganze Spiel direkt und ohne Vorwarnung. Aber es gibt ja immer auch intuitive Vorwarnung, auf die man durchaus hören sollte. Oder durchaus mal nüchtern die potentiellen Szenarien bedenken, nur um zu merken, dass sie gar nicht bedacht werden können, was wiederum dazu führt, dass ein grundsätzlich wacher und aufmerksamer Zustand in jeglicher klimatischen Lage vermutlich am hilfreichsten ist. Irgendwo schmilzt es massiv vor sich hin, woanders prallen unvorstellbar mächtige Platten aneinander oder schieben sich übereinander, und überall auf dem Planeten wird durchgegrübelt, wie das alles zusammenhängt und sich gegenseitig verursacht, bis das nicht mehr Aufhaltbare die Richtung weist, der sich alle unterordnen müssen. War es schon jemals aufzuhalten, was auf uns zukommt und unsere Aufmerksamkeit beansprucht? So als käme es letztendlich nur darauf an, wie wir selbst es handhaben, denn es ist doch vor allem diese Handhabung des Aufgetauchten, die unser Wesen prägt und uns alle unterscheidet, obwohl derselbe Regen auf uns fällt.
In Ländern, in denen Bildungmöglichkeiten als selbstverständlich angesehen werden, geht man davon aus, dass Menschen langsam aber sicher in eine gewisse Reife trudeln, und natürlich würde hier die Frage auftauchen, was ist das:“Reife“?, und wie kommt sie zustande. Obwohl man nicht sehen und wissen kann, wie viele Menschen therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen, ist es doch ziemlich wahrscheinlich, dass es bei allen, die diese Hilfe nehmen, um ein früheres Erleben geht, das ihr Leben bedrückt und überschattet. Meist ist es ein Schrecken, den es zu bewältigen gilt, eine Katastrophe, die Worte braucht und ein geschultes Ohr. Da Leid als sehr persönlich empfunden wird, ufert die Literatur der Bewältigung und des Erfassens erst einmal in eine große Welle aus, bevor man auch an sich und um sich herum anfängt, die notwendigen Fragen zu stellen. Der Wunsch, an sich selbst Fragen zu stellen und sie auch selbst zu ergründen, gehört sicherlich auch zum Pfad der Reife. Was verblüfft, ist ja nicht die Reife, wenn man sie in Geschöpfen antrifft, sondern das Vorherrschen eines tief empfundenen Leides, das noch keine Beachtung gefunden hat. Außer dem Leid gibt es noch die pure Ignoranz, die zum Beispiel bei ersehnten Söhnen von Frauen auftaucht, die es gewohnt sind, mit ihrer Geburtgebung durch den Sohn mehr Macht in der Sippe auszuüben. Zu dieser oft subtil ausgeübten Macht der Frauen kommt als Mit-und Gegenspielerin die Unterwefung, und man könnte auch sagen, dass ein autoritäres System oft aus einem Mama oder Papa-System entsteht, in dem alle Anderen Kinder sind, die bewusst oder unbewusst darunter zu leiden beginnen, dass sie nichtsich selbst sind, ohne je zu erfahren, was das sein könnte. Ahnt ein Mensch automatisch, dass er nicht sich selbst ist? Viele, die sich gerne im Schweigen bewegen und denken, sie brauchen das Wort und die Begriffe nicht, merken eines Tages vielleicht, dass sie den Ausdruck gar nicht haben, von dem sie innerlich ausgegangen sind, und dass da dann etwas blockt und nicht weiß, wie es heraus kann, denn es ist irgendwo gefangen. Man kann selbst beobachten, wie viele Kinder als Erwachsene herumlaufen, bzw. Erwachsene, die wie Kinder wirken. Bleiben Menschen gerne Kinder?, oder hält da etwas fest, was noch verstanden werden will, und nicht nur mit dem Verstand, sondern mit dem inneren Blick auf den eigenen Lebensstrom. So sehe ich auch meine gepinselten Bilder eher wie vorüberziehende Masken und Muster, die einen einerseits berühren können mit ihrem direkten Anspruch, dann aber sind auch sie wie die Wolken, die vorüberziehen, damit man sich an der Klarheit des Tages erfreuen kann. Und auch die Klarheit des Tages ist begrenzt, denn immer wieder braucht es neue Einstellungen, da nichts so schnell haftet und ausdauernd an der eigenen Substanz nagt wie Betroffenheiten, oder auch festgefahrene Schienen, die gar nicht mehr befahrbar scheinen, bis sie von einem entdeckt werden. Wenn das Erlebte, also das eigene Leben, nicht reflektiert wird, kann es nicht verstanden werden. Wer soll es verstehen außer mir selbst? Das Paradoxe ist, dass ich es letztendlich allein gar nicht verstehen kann, wer ich bin, denn es braucht ein Gegenüber, das möglichst über viele Wellenlängen verfügt, um der Resonanz des Reflektierten den notwendigen Raum zu ermöglichen. Die Weigerung, zu eigener Kraft Zuflucht zu nehmen, beziehungsweise die eigene Kraft in Anspruch zu nehmen, weist uneingeschränkt auf etwas vom Erwachsenen zu Bewältigendes hin, damit, wenn das gewünscht ist, der Aufenthalt in kindlichem Verhalten und Kleiden aufgegeben werden kann.
Der angesagt heißeste Tag des Jahres brütet empor, daher zwei kühle Bilder, auf denen nicht viel zu sehen ist. Man kann natürlich, wenn man will, was sehen, aber es drängt sich nichts auf, eine Geschichte, ein Zusammenhang, eine fassbare Gestalt, nein, das Ganze kann sich in den Wolken abspielen, kann Verdichtung der Wolkengebilde hervorrufen, kann notwendigen Regen ankünden und Petrus, unser Wetterexperte, zum Handeln aufrufen. Dürr stehen die Kühe auf dem Feld, o Herr, die Flüsse vertrocknen und legen gefährliche Felder des letzten Krieges frei, während woanders das Verminen schon wieder in vollem Gange ist, durch das weiter in der Zeit Andere, die nichts mehr damit zu tun haben, vernichtet werden. Die Maiskolben sind felderweise am Vertrocknen, da hilft kein Wasserschlauch mehr und keine Gießkanne. Das, was gerade noch ein schöner Sommer genannt wurde, endlich mal wieder ein richtiger Sommer, wird auf einmal eine Dürre genannt, ein Notzustand, der klar macht, dass, wenn sich das wiederholen sollte, der Mensch sich verändern muss, was nicht unbedingt etwas Nachteiliges ist. Ronald D. Laing, ein britischer Psychiater, hat einmal einen schönen Text verfasst darüber, wie wir uns immer in die Augen sehen, wenn es einen Notfall gibt, oder einen Störfaktor, jedenfalls etwas, was uns zwingt, uns einander zuzuwenden, weil sonst die Katastrophe freie Fahrt hat. Wir Menschen im Westen sind gar nicht mehr gewohnt, die ganze Szenerie des Daseins nicht kontrollieren zu können. Wir kontrollieren ja weiterhin alles, nur die Wirkungen verändern sich. Wenn ich mich von einem A/C Bereich in den nächsten bewege, und zwischendurch mal in den Brutkasten steige, der vor kurzem noch Auto genannt wurde, dann kann da viel passieren. Man kann die Kontrolle verlieren, oder in eine Art Trance verfallen, wo man plötzlich im eigenen Haus somnambulenähnlich zum kühlsten Ort wandelt, ein Buch in der Hand, unermüdlich annehmend, man könnte ein paar wache Seiten weiterkommen in dem interessanten Text, aber nein, zum Lesen fehlt irgendwie die Lust und die Kraft. Gut ist Sinnieren, eine Art Vor-sich-hin Sinnieren, von dem keinerlei intellektuelles Resultat erwartet wird. Das muss keineswegs dümmlich werden, nur entspannt. Die Hitze erlaubt einem eine enorm körperliche Entspannung, die gerade noch ausreicht, um ein paar unumgängliche Handlungen zu verrichten, essen und trinken und die Pflanzen wässern und den Tieren, die geplättet herumliegen, eine Schale Wasser reichen. Ist man selbst Gast oder hat Gäste während der Brüttage, kann man sich selbst beobachten, wie man ist. Man kann den Drang verlieren, etwas zu sagen, was Anderen eine Gelegenheit gibt, in Fahrt zu kommen und Geschichten zu entwickeln, die einem einen neuen Einblick in die Person verschaffen. Man greift dann vielleicht auch gern zu den Instrumenten, und da kann man, der ungewöhnlichen Situation wegen, sich etwa beim Singen erfahren, oder beim Heidelbeerkuchenessen oder all den anderen luxuriösen Ausbreitungen, die in den Häusern stattfinden. Der Appetit lässt nach in der Hitze und man erreicht leicht eine Grenze, die ein Sattsein meldet. Da man einige Stunden am Tag als entscheidungsfreier bzw. in guter Arbeit aufgehobener Mensch nirgendwo hingehen kann, kann man Sätze genießen wie: Ich bin hier. Ich bin satt. Ich habe alles, was zum Überleben nötig ist. Gut, 39 Grad ist kein Klacks, aber in Delhi war ich häufig Ende März in Temperaturen bis zu 49 Grad unterwegs, eine Art Transzendenz ins Unvorstellbare. Auch habe ich mir neulich die wirklich blöde Frage erlaubt, eine Afrikanerin, mit der ich befreundet bin, zu fragen, ob das für sie nicht die angenehmen Heimathitzegrade sind. Nein, sind sie nicht. Alle schwitzen und suchen den Schatten auf, wenn sich das Thermometer 40 Grad Celsius nähert. Der Fakt, dass man sich an alles gewöhnen kann, weist nicht auf die Tatsache hin, dass etwas dadurch leichter erträglich wird. Es gibt genug Berufe, wo die Freude, dass es etwas wärmer wird, durchaus zu einem Fluch gerät, dem man nicht entrinnen kann. Wenn es wirklich Sklaven waren zB, die die Pyramiden gebaut haben, kann man sich nur vorstellen, wie viel Qual und Folter auch damals beobachtet werden konnte, ohne dass die Vielen eingeschritten wären zum Schutz der Gequälten. Oder Gast-und Bauarbeiter, alle immer auch froh, überhaupt eine Arbeit zu haben. So muss man sich während dieser heißen Tage immer wieder selbst gedanklich und körperlich in eine Kühle locken, damit man nicht unversehens hineingleitet in die dunklen Schächte der Menschheitsgeschichte.
Das Bild zeigt Petrus in tiefer Reflektion über die Fortführung seiner Arbeit.
Als meiner Mutter einmal während meines Besuches klar geworden war, dass ich tatsächlich Vegetarierin geworden war und bin, und keine Ausnahmen mit Fleisch machte, stellte sie immer mal wieder die Frage, „ja was esst ihr denn „da“ (Wo? Wer?!?). Wenn man das Fleisch aus den Supermärkten herausbeamen würde, würde es an reiner Essensmasse gar nicht auffallen, so viel fleischloses Allerlei steht da herum. Was allerdings drin ist in den schön verbrämten Substanzen, das zu wissen, das bedarf nicht nur eines Interesses, sondern einer gewissen Meisterschaft, die sicherlich durch Nahrungswissenschaft erworben werden kann. Doch was hat man gemeistert? So, wie auf den Zigarettenpackungen jetzt steht, dass Rauchen tödlich sei und ist, so liest der essende Mensch von verottetem und ungesundem Fleisch, von massiv gequälten Tieren, von absolut untragbaren Zuständen in Einrichtungen, in denen man auch als Angestellter vergessen muss, dass es sich hier um Lebewesen handelt. Und fragt man, wie es dazu kommen konnte, dann muss man nicht nur lange nachdenken, damit auf der anderen Seite der Geschichte nicht auch Uniformen auftauchen und Ordnungshüter, sondern man kann mal wieder nachschauen, um was es einem selbst geht in diesem lebendigen Moment. Im Zeitmagazin der dieswöchigen Ausgabe ist ein sehr kluger Artikel von Bernd Ulrich erschienen über seine Erfahrungen und den Weg vom Fleischesser über Vegetarier zum Veganer. Es ist ja oft erfrischend, wenn man der Erfahrung eines reflektierten Kopfes zuhören kann, und die nüchterne Klarheit der Erzählung lässt einen aus einer noch beschatteten Gedanken-Ecke heraustreten in eine mögliche Belichtung. So hat mich an seinem Artikel berührt, dass er sich die Mühe machte, auch mit Menschen zu sprechen, die täglich den Tieren die Todesbolzen ins Gehirn jagen, und ein Mann erzählte ihm, dass er nachts Alpträume hat, weil alle Tiere, die er getötet hat, sich im Traum um ihn versammeln und ihn ansehen, was auf ein noch existierendes Gefühl hindeutet. Wann deutet etwas (noch) auf ein nicht (mehr) vorhandenes Gefühl hin. Jonathan Foer, der das wunderbare Buch „Tiere essen“ geschrieben hat, hat mir den unvergesslichen Dialog geschenkt, den ich zumindest sinngemäß wiedergeben kann. Sein Sohn hat ihn gefragt, was da auf seinem Teller liegt. ‚Das sind Tiere, mein Sohn, das sind Tiere‘, hat er wahrheitsgemäß zu ihm gesagt, und noch jetzt macht der Satz was mit mir. Das sind Tiere, muss ich immer noch selbst tiefer begreifen, das sind Tiere, die überall um uns herum irgendwo gequält werden, da hilft kein Verneinen, denn der Kreislauf dieser durch menschliche Gier und Sucht und absolute Grenzenlosigkeit im Verhalten anderen Wesen gegenüber hat sich verselbständigt, wozu man ’normal‘ sagen kann, wenn man hier von der Wahrnehmung einer großen Menge spricht, also uns. Da den Menschen permanent auch so viel Grausames angetan wird, muss man sich ja förmlich zwingen, mal den Tieren die volle Aufmerksamkeit zu widmen. Nicht nur werden sie gegessen zu unangemessenem Ausmaß, aber ihre Substanzen stecken überall drin. Und wenn man so als Person nicht behandelt werden will, muss man sich umschauen nach anderen Optionen. Die Berührung mit einigen Sätzen dieses Artikels hat mich angeregt, mal wieder zwei Items auszutauschen, um zu schauen, ob es nicht nur alles eine Frage der Gewohnheit ist. Ich finde auch, dass es schmecken muss und ärgere mich manchmal über die vegetarischen Knackwürstchen, so als könnte man geistig doch nicht auf Form und Geschmack verzichten. Und das mit dem Leder und der Wolle liegt für mich noch im Dunkeln, wo ich mich vor den Zwergen fürchte. Wo führt nur Konsequenz aus dem Gerede heraus, und wo fängt der Gartenzwerg an. Jeder kann es ja formulieren wie er es möchte. Gestern habe ich mich mal kurz unterhalten mit der Idee, was für ein Poster ich designen würde, wollte ich mehr Menschen auf flexiblen Veganismus aufmerksam machen, jetzt mal von der Erfolgmasche her gesehen. Ich kam auf zwei Titel, von denen ich mir vorstellen könnte, dass sie einschlagen. Der eine ist „Die heimliche Macht des „Flexiblen Veganismus“ (zwei Fliegen mit einer Klappe, denn man hätte schon den Namen der Bewegung),…und zweitens „Schönheit und Anmut des Flexiblen Veganismus“, das würde dann einen anderen Teil der Menschheit ansprechen. Bitte!, greifen Sie zu! Das mach ich doch gerne!
an dem neuen ort unter Haut
liegt gewebe das du nicht kennst
du denkst dass nicht du es bist
darunter: du denkst
unter der haut liegt nur Horizont und
bröckelnder Stein
und doch:
das ist dein fleisch freigelegt
und zart keine spur von staub
es glänzt im licht der nacht
du denkst dir dass du da bist
und das heisst: du existierst
Es ist ja auch nicht so, dass an den Wochenenden nur eingekauft und rasengemäht wird, nein, viele Wochenden bieten sich an für Zusammensein mit wem auch immer, und höchste Wachsamkeit ist geboten, damit etwas, was man sich vorher nicht ausmalen kann, auch gelingt. Allerdings ist auch „gelingen“ für jeden anders. Welches Kind erinnert sich nicht an Orte und Häuser, wo es selbst niemals freiwillig hingegangen wäre, und wo von einem erwartet wurde, jemand zu sein, der man nicht war. Kinder sind die noch arglosen Schöpfer der Welt, kreativ auf der ganzen Skala, und auf gesunde Weise noch in der Lage, wieder zu zerstören, was aufgebaut ist.Wir brauchen Diskrepanzen und Widerstände und Widersprüche, damit das ganze vorhandene Orchester sich zeigen kann, von der Querflöte über den Paukenschlag bis zur Violine undsoweiter. Ich schaue mir also zur Zeit meine Bilder an und frage mich, was ich sehe, und was es mit mir zu tun hat. Und kann ich auch etwas erzeugen, was mit mir nichts zu tun hat. Oder dass es zum Beispiel heraustritt und mir nichts sagt? Oft habe ich ja auch gar nicht gefragt, was es da macht, und obwohl ich es erzeugt habe, muss ich es fragen, was es da macht und wer es ist, und ob ich in diesem Blick etwas erkennen kann, was mich anspricht. Von der Verantwortung des Erschienenen kann ich mich erst einmal nicht trennen. Ist der erzeugte Zustand, mit welchen Mitteln auch immer, spürbar, dann ist es letztendlich freigegeben für die jeweilige Sicht. So habe ich heute während des Frühstücks die Anwesenden gebeten, mir eine kurze Mitteilung zu formulieren, was auf dem Bild gesehen wird. Mir selbst hatte ich auch schon mitgeteilt, was ich darin sehe. So wurde die Figur in der Mitte einmal gesehen als eine Mutter, die dabei ist, ihr Kind zu retten, und dass das Bild etwas Religiöses hat. Dann sah jemand in der Figur gleichzeitig einen Mann und eine Frau, dann, das Bild klärend, einen Mann mit Sari, das heilige Kind auf dem Arm. Ein bisschen wie das Wandeln im Garten Eden, aber auch links unten im Bild die dunkle Silhouette eines Engels. Die dritte beschreibende Person sah das Bild in der Antike angelegt und in der Mitte eine Königin, die mit dem Säugling auf dem Arm in die Ferne schaut, wo ein ungewisser Krieg tobt. Auch sind schon Friedenssymbole sichtbar, aber dre Kampf ist noch nicht gewonnen. Ich selbst hatte mich eindeutig entschieden, einen korpulenten Brahmanenpriester mit einem von Erotik-Phantasien ermüdeten Blick zu sehen, seine Lieblingskatze durch die kühlen Tempelhallen tragend, geplagt von allerlei religiösen Phantasien. In der Tat musste ich mich zwingen, die Gestalt als Mutter zu sehen, da sie für mich etwas Transsexuelles hatte. Auch war ich froh, dieses Mal kein Baby zu wählen, sondern ein anderes Wesen, eine andere Kreatur. Das finde ich wichtig, auch dass Kindern so früh wie möglich beigebracht wird, dass man z.B. Tiere weder quälen noch essen muss, um gesund zu leben. Deswegen gehe ich nicht samstags an die Bio-Ecke der Supermärkte, weil ich danach nicht vorbeigehen kann an den überladenen Einkaufskörben, denn ich will es nicht sehen, was man für billig und normal hält. So kann alles Erdachte auch praktisch enden.
Nein, ich weiß nicht, wer das ist auf meinen Bildern. Es hängt, so wie ich arbeite, von vielen hochkonzentrierten Momenten ab, um das Unsagbare in eine Form zu bringen. Es ist ja sagbar, aber erst, wenn es sichtbar wird. Selbst dann ist noch nichts klar. Was soll denn klar werden? Woher stammen die Gestalten, die hervortreten? Ich sehe da manchmal schon auch eine Ähnlichkeit, als seien sie aus dem selben Stein gehauen, oder würden sich im selben Strom bewegen. Aber ich kann jetzt auch nicht mit Bestimmtheit sagen, dass ich sie kenne, obwohl sie zweifellos durch meine Hand entstehen. Auch gefällt mir gerade das Fremde an ihnen. Sie haben eine vertraute Fremdheit, die mit mir korrespondiert. Sie sind auch ihrer Beschaffenheit nach kulturell nicht sehr gebunden, obwohl man eher orientalische Gassen vermutet, und zeigen sozusagen sich selbst als jemanden, der oder die jederzeit da sein könnte. Ich denke an sie und ihre Persönlichkeit, wenn sie hervor kommen. Manchmal kann ich unterwegs noch das Geschlecht wechseln. Es scheinen auch, fällt mir gerade auf, gleichermaßen Frauen wie Männer aufzutauchen. Auch Kinder. Wenn die Kinder auf meinen Bildern sehr klein sind, schaue ich mir das Bild in dieser Hinsicht genauer an. Es hat mich verblüfft, wie intensiv ein Kinderblick sich gestalten kann mit sehr vorsichtig angebrachten Punkten als Augen, für deren Blick man Verantwortung spürt, denn sie setzen den Ton für das Ganze. Immer geht es um Leben oder Tod. Manchmal kann man sich bei etwas zuschauen, was derart nicht stimmt, dass man eine Entscheidung treffen muss. Einmal war da ein Blatt vor mir, auf dem ich einige unstimmige Striche hervorgebracht hatte, die mir jetzt noch den Schauder einjagen. Dann, nach einer spontanen Entscheidung, das Blatt schweren Herzens in den Papierkorb zu tun, habe ich es dann doch nochmal herausgefischt, um das schier Unmögliche möglich zu machen. Ich muss sagen, dass ich doch überrascht war, dass mir dabei kein Übertünchen weiter geholfen hat, sondern ich musste die ganze Schöpfungsmaschinerie nochmal in Bewegung setzen für eine Neugestaltung, die als Basis den Schmerzpunkt hatte. Vielmehr: das Grauen. So kann man sich glücklich schätzen, wenn man nicht entrinnen kann, wo man selbst freiwillig nicht hingegangen wäre. Aber war es nicht gerade der freie Wille, der entschieden hat: so und nicht anders will ich mit dem mir als nichtgelungen Vorkommenden umgehen, und nicht wie du das Schnell-weggeworfen-Gehättete. Das drückt auch nicht unbedingt eine gespaltene Persönlichkeit aus, die nicht weiß, was die andere Hand tut, nein, es ist bestenfalls eine Art Dialog, in dem gerne hingehört wird, was die andere Seite sagt, wissend , dass hier keine Trennung vorliegt, sondern eher eine Ausgleichung. Hier tritt für jede/n in jedem Nu, mit oder ohne Pinsel, eine neue Schöpfung hervor.
Die Frage, ob alles, was aus mir herauskommt und einen Ausdruck findet, für bewusste oder unbewusste Zustände zum Beispiel, für Befindlichkeiten und Wahrnehmungen, ob das alles automatisch nur ich selbst sein kann, scheint beendet, wenn ich es für eine absurde Frage halte. Kein Mensch kann wirklich leugnen, dass das, was er denkt oder tut, notgedrungenerweise aus dem eigenen Wesen heraustritt und Formen annimmt, die von ihm zeugen. Nur, was ist das eigene Wesen, und kann man, wie eine gute Lehrerin mal andeutete während des Meditationsunterrichtes, kann man sich auch verpassen? Wer verpasst wen? Gibt es da irgendwo noch ein anderes „Ich“, das ich als „wirklicher“ empfinde, wenn ich mich hervorgelockt habe aus den Ich-Identitäten, die notwendig sind, um durch das Prinzip des Dualen, was leicht beobachtet werden kann, eine Klarheit zu erlangen über die Beschaffenheit meiner eigenen Existenz, sodass ich irgendwann Baustellen und Renovierungen nicht mehr als die Architekturen betrachte, die mich ausmachen, sondern als den Raum, den ich mir gestalten muss, um das oder der oder die zu sein, die ich bin. Wohl eher eine gefühlte Substanz mit eingeschränkter Haftung, denn nur für mich kann ich wirklich verantwortlich sein, heißt, auf mich selbst zu antworten und mich zu bemühen, mich zumindest eine Zeitlang ernsthaft mit den Fragen zu beschäftigen, die durch die jeweils vorhandenen Zeichen der Zeit eine lebendige Intensität erhalten. Der durch Bewusstes und Unbewusstes hervorgebrachte Strom ist mein Aufenthaltsort, an dem mir Agieren und Wirken und Sein usw. ermöglicht wird. Das wahrhaft Bewundernswerte an der Schöpfung (wie auch immer man das Daseiende versteht) ist, dass sie frei ist von Vorwurf. Und obwohl Worte erschaffen wurden für Menschen als Schlafende oder Träumende oder gar Tote, wie Hindus in einigen Schriften die gedankenlos Herumwandelnden nennen, so fällt es im Alltag nicht sonderlich auf, dass sich Menschen als wach oder schlafend empfinden, außer die üblichen Erwecker sind am Werke: Schmerz, Traumatisierung, Erschrecken, also die unsanften Arten der Wachrüttelung, die geschätzt werden von denen, die sie durchlaufen haben und das berühmte Licht gesehen haben am Ende des Tunnels. Das tiefe Erschrecken ist ein Zugang zur Quelle und vereinfacht erst einmal die Fragestellungen. Was ist mit mir geschehen, was ist mir angetan worden, und was habe ich selbst angetan in der unseligen Verquickung zwischen Opfer und Täter. Ansonsten gab es immer auch Wege und Schulungen und Orte und Oasen und Gärten, wo Menschen, die das wollten und wollen, zu sich kommen konnten und können. Wenn Bei-sich-sein als menschliche Erfahrung verloren geht und das äußere Spiel verlockender wird als der eigene Inhalt, dann schwanken die Schicksalsträger und das hungrige Geisterheer ist losgelassen, und zu seiner immer aufwendigeren Fütterung braucht es immer neue Waren und Angebote, und noch zeigt der Schlund keine Grenze, da passt die ganze Menschheit hinein. Und wenn wir (noch) nicht (daran) gestorben sind , dann sind wir immerhin noch da und können das Abenteuer an uns nehmen und bejahen.
Jedes Jahr fahre ich einmal früh am Morgen wie heute in die Stadt, parke mit einem 24 Stunden Ticket an einem günstigen Ort, zur Zeit günstig auch wegen schattenspendenden Bäumen, nehme dann die U-Bahn bis zum Reisebüro, wo ich mit freundlichen, indischen Menschen mein Ticket nach Delhi plane, und wandere dann hinüber zum Visa Office, was zusammen 2-3 Stunden dauern kann. Da ich jährlich nur dieses eine Mal U-Bahn fahre in dieser Stadt, fühlt es sich immer an wie ein Erleben der anderen Art. Hinunter in die Schächte, wo die lautlosen Türen auf-und zugehen und das Fremdsein unter Menschen eine spürbare Form annimmt. Ich setze mich einem riesigen Berg von Mann gegenüber, der zwei Sitzplätze in Anspruch nimmt. Er ist sehr müde und schläft ständig ein, um sich ruckartig wieder aus dem Schlaf zu lösen. Während eines Schlafanfalls tritt er auf meinen Fuß und entschuldigt sich auf sehr höfliche Weise, sodass ich froh bin, sagen zu können „alles gut, nichts passiert“. Dann hält die Bahn an einer Station minutenlang mit offenen Türen, es gibt eine Durchsage. Ich frage eine Frau am Nebensitz, ob sie verstanden hat, was los ist. Sie muss ihr flinkes Posten unterbrechen, um mir schlechtgelaunt zu sagen, dass das doch nur das Übliche sei, eben ein Rückstau. Aha, ein Rückstau. Sie kann ja nicht wissen, dass ich nur ein Mal im Jahr U-Bahn fahre. Ein Vater befiehlt seinem kleinen Sohn, auf dem Sitz zu bleiben, während er die Fahrkarten holt. Der Vater verschwindet in der smartphonebesetzten Menge vor den ängstlichen Kinderaugen. Hier in der Unterwelt ist Fremdsein Pflicht. Ich kann nicht einfach hinübergehen und tröstende Worte sprechen. Ein Kind erlebt am Tag viele Katastrophen, bis es begreift, wie die Sache läuft, und auch dann wird es dadurch nicht immer besser. Ich denke an die U-Bahn in Lissabon, weil es dort so ähnlich war. Es gab die U-Bahn fahrenden Touristen, die an schöne Orte unterwegs waren, zum Kaffeetrinken und Törtchenessen, und es gab die Menschen, die zur Arbeit fuhren, die sahen nicht so unternehmungslustig aus. Man hatte sich sogar bemüht, Künstler die Schächte gestalten zu lassen, aber nur die Besucher standen und staunten über die antiken Weisheiten, oder lasen die Sprüche von Fernando Pessoa. Trotzdem möchte man im Dunkel nicht steckenbleiben und ist froh, wenn es weitergeht und man nur zweimal Billets lösen muss. Es liegt ein Schweigen über dem Ganzen, so als hätte jemand die Gespräche verboten. Orpheus späht angestrengt durch die zitternden Körper. Vielleicht ist sie ja hier in einem der Wagons!? Derweilen sitzt Eurydike in einem anderen Abteil und postet den unsterblichen Satz: „Hör endlich auf, mich zu suchen. I m here. But where r u !? Dann darf ich aussteigen mit dem Gefühl, in kurzer Zeit sehr viel Wortloses erlebt zu haben, was nun dem Licht des Tages ausgesetzt ist.