kühl

Der angesagt heißeste Tag des Jahres brütet empor, daher zwei kühle Bilder, auf denen nicht viel zu sehen ist. Man kann natürlich, wenn man will, was sehen, aber es drängt sich nichts auf, eine Geschichte, ein Zusammenhang, eine fassbare Gestalt, nein, das Ganze kann sich in den Wolken abspielen, kann Verdichtung der Wolkengebilde hervorrufen, kann notwendigen Regen ankünden und Petrus, unser Wetterexperte, zum Handeln aufrufen. Dürr stehen die Kühe auf dem Feld, o Herr, die Flüsse vertrocknen und legen gefährliche Felder des letzten Krieges frei, während woanders das Verminen schon wieder in vollem Gange ist, durch das weiter in der Zeit Andere, die nichts mehr damit zu tun haben, vernichtet werden. Die Maiskolben sind felderweise am Vertrocknen, da hilft kein Wasserschlauch mehr und keine Gießkanne. Das, was gerade noch ein schöner Sommer genannt wurde, endlich mal wieder ein richtiger Sommer, wird auf einmal eine Dürre genannt, ein Notzustand, der klar macht, dass, wenn sich das wiederholen sollte, der Mensch sich verändern muss, was nicht unbedingt etwas Nachteiliges ist. Ronald D. Laing, ein britischer Psychiater, hat einmal einen schönen Text verfasst darüber, wie wir uns immer in die Augen sehen, wenn es einen Notfall gibt, oder einen Störfaktor, jedenfalls etwas, was uns zwingt, uns einander zuzuwenden, weil sonst die Katastrophe freie Fahrt hat. Wir Menschen im Westen sind gar nicht mehr gewohnt, die ganze Szenerie des Daseins nicht kontrollieren zu können. Wir kontrollieren ja weiterhin alles, nur die Wirkungen verändern sich. Wenn ich mich von einem A/C Bereich in den nächsten bewege, und zwischendurch mal in den Brutkasten steige, der vor kurzem noch Auto genannt wurde, dann kann da viel passieren. Man kann die Kontrolle verlieren, oder in eine Art Trance verfallen, wo man plötzlich im eigenen Haus somnambulenähnlich zum kühlsten Ort wandelt, ein Buch in der Hand, unermüdlich annehmend, man könnte ein paar wache Seiten weiterkommen in dem interessanten Text, aber nein, zum Lesen fehlt irgendwie die Lust und die Kraft. Gut ist Sinnieren, eine Art Vor-sich-hin Sinnieren, von dem keinerlei intellektuelles Resultat erwartet wird. Das muss keineswegs dümmlich werden, nur entspannt. Die Hitze erlaubt einem eine enorm körperliche Entspannung, die gerade noch ausreicht, um ein paar unumgängliche Handlungen zu verrichten, essen und trinken und die Pflanzen wässern und den Tieren, die geplättet herumliegen, eine Schale Wasser reichen. Ist man selbst Gast oder hat Gäste während der Brüttage, kann man sich selbst beobachten, wie man ist. Man kann den Drang verlieren, etwas zu sagen, was Anderen eine Gelegenheit gibt, in Fahrt zu kommen und Geschichten zu entwickeln, die einem einen neuen Einblick in die Person verschaffen. Man greift dann vielleicht auch gern zu den Instrumenten, und da kann man, der ungewöhnlichen Situation wegen, sich etwa beim Singen erfahren, oder beim Heidelbeerkuchenessen oder all den anderen luxuriösen Ausbreitungen, die in den Häusern stattfinden. Der Appetit lässt nach in der Hitze und man erreicht leicht eine Grenze, die ein Sattsein meldet. Da man einige Stunden am Tag als entscheidungsfreier  bzw. in guter Arbeit aufgehobener Mensch nirgendwo hingehen kann, kann man Sätze genießen wie: Ich bin hier. Ich bin satt. Ich habe alles, was zum Überleben nötig ist. Gut, 39 Grad ist kein Klacks, aber in Delhi war ich häufig Ende März in Temperaturen bis zu 49 Grad unterwegs, eine Art Transzendenz ins Unvorstellbare. Auch habe ich mir neulich die wirklich blöde Frage erlaubt, eine Afrikanerin, mit der ich befreundet bin, zu fragen, ob das für sie nicht die angenehmen Heimathitzegrade sind. Nein, sind sie nicht. Alle schwitzen und suchen den Schatten auf, wenn sich das Thermometer 40 Grad Celsius nähert. Der Fakt, dass man sich an alles gewöhnen kann, weist nicht auf die Tatsache hin, dass etwas dadurch leichter erträglich wird. Es gibt genug Berufe, wo die Freude, dass es etwas wärmer wird, durchaus zu einem Fluch gerät, dem man nicht entrinnen kann. Wenn es wirklich Sklaven waren zB, die die Pyramiden gebaut haben, kann man sich nur vorstellen, wie viel Qual und Folter auch damals beobachtet werden konnte, ohne dass die Vielen eingeschritten wären zum Schutz der Gequälten. Oder Gast-und Bauarbeiter, alle immer auch froh, überhaupt eine Arbeit zu haben. So muss man sich während dieser heißen Tage immer wieder selbst gedanklich und körperlich in eine Kühle locken, damit man nicht unversehens hineingleitet in die dunklen Schächte der Menschheitsgeschichte.

Das Bild zeigt Petrus in tiefer Reflektion über die Fortführung seiner Arbeit.

 


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