konstruieren

Schon der frühe Morgen entpuppte sich als der Samstagsklassiker im indischen Sinn, dass Shanivar, also der Tag des Gottes Saturn, sich prächtig eignet für Dunkles, auch wenn man nicht danach suchen muss. Schon bevor die Sonne sich zeigt, torkelt der Bruder meiner Freundin Lali total besoffen über die Piazza und stört so ziemlich jeden, der auftaucht. Ich kann das von einem meiner Seitenfenster aus sehen und bin immer mal wieder engagiert in diesem grässlichen Drama, da vor allem Lali, aber auch andere Familienangehörigen von diesem Menschen täglich massiv beschimpft  werden. Durch alles hindurch beschützt ihn die Mutter und steckt ihm Geld zu, womit er sich Heroin beschafft, und wenn das nicht da ist, eben irgendeinen außerhalb des Dorfes verkauften Schnaps trinkt, von dem öfters mal einige sterben. Dann hören wir auf einmal gellende Schreie einer Frau. Ich bin gerade auf dem Weg zum See und sehe fünf halbnackte Männer mit Stöcken bewaffnet an mir vorbeihasten. Die Frau des Husbesitzers ist beim Sonnengebet von der gefährlichen rothaarigen Affenherde angegriffen und auch gebissen worden, aber zum Glück zeigt sich kein Blut, wodurch es gefährlicher wäre. Sie geht trotzdem zum Yogakurs gegenüber, wo immer mehr AusländerInnen und Einheimische, zusammen atmen lernen. Ich beende meine Runde, denn es ist vorerst mein letzter Rundgang. Ashok schenkt mir ein paar getrocknete und in einem Buch geplättete Rosen, die ich in einer Zellophantüte nach Hause tragen muss, sonst zerbröeln sie. Sein Chef versteht in der Zwichenzeit, dass es eine Art Ritual ist, das einfach so ist. Dann spreche ich noch etwas länger mit dem Mann aus Chennai, der hier, wohl nach einer Lebenskrise, tapfer am Ufer durchmeditiert hat. Er hat einen länglichen Sitzteppich, auf dem sich seit Wochen links und recht von ihm eine Hundefamilie niederlässt. Während er meditiert, ruhen sie sich aus, ein Hundepaar mit sechs Kindern. Ach, es ist schön da draußen am Morgen, alle so beschäftigt mit förderlichen Dingen, bevor der schwere Teil beginnt, das Leben mit den hohen Anforderungen. Alle wollen unbedingt glauben, dass das das Leben ist, was sie leben, und man kann es ja schwerlich verneinen. That’s life, Kalima, ist ein beliebter Satz, den ich regelmäßig infrage stelle. Das scheinbar Unausweichliche kann unbedingt reflektiert werden, denn mir scheint, dass es immer Optionen gibt, die jedem zur Verfügung stehen. Nicht alle Traditionen erlauben den freien Blick auf die Möglichkeiten. Als Frauen das Verbot der Shani-Priester den dunklen Tempel zu betreten, (endlich) anzweifelten, fiel denen eine Menge ein, um zu beweisen, dass mächtige Kräfte für Frauen nicht geeignet sind. Und wir fragten uns, welche mächtigen Kräfte sie wohl meinten, zu denen wir keinen Zugang haben, oder haben wollen, oder können, und überhaupt, was soll das ganze Theater!? Man kann mal darüber nachdenken, was für ein Spiel einem selber glaubwürdig vorkommt, und wie man sich das Agieren mit den Gestalten und Formen und Farben vorstellt, und wodurch man selbst an der Schöpfung beteiligt ist. Es wundert einen nicht, dass sich manche langweilen, und andere die Autos und Häuser anderer Leute anzünden, weil ihnen nichts Besseres einfällt, und ihnen offensichtlich und leider auch nichts Besseres vermittelt wurde und wird. Dann, wenn alles schiefgeht, pilgern sie gerne zu Shani, der auch nur ein Konstrukt des menschlichen Geistes ist.

 

ausloten

In den vielen Jahren hierzulande habe ich auch etwas über den Unterschied zwischen ‚liking‘ und ‚loving‘ gelernt. Es ist ja eine der peinlichen Grenzen, wenn man zuweilen denkt oder glaubt oder für möglich hält, alles Daseiende mit einer Liebe, möglichst bedingungslos, zu durchströmen, und dann einen Stromschlag erhält an der nächsten Ecke durch etwas, was man nicht lieben kann, Vergewaltigung, Mord und weiteres Unsägliches, dem man im Laufe der Zeit begegnet. Man kann grundsätzlich das Schöpfungsphänomen lieben, in dem sich all dieses Drama bewegt, und in dem das, was wir vom Menschlichen und Unmenschlichen lernen können, seinen Auftritt hat. Und es gibt eine schöne Nüchternheit, unter deren Obhut die Bereitschaft zu Betroffenheiten sich auflösen kann, auch weil man weiß, dass alles so stabil erscheint, in Wirklichkeit aber nur vorüberziehender Nu ist. ‚Mögen‘ ist auch die Grußebene, besonders vortrefflich praktiziert hier in Indien, denn auf ihr muss man nicht wissen, wer wer ist, sondern man kann das Wunderbare erleben, wenn das Antlitz eines Entgegenkommenden sich aufhellt wie das  eigene, und man hat einander als Menschen getroffen. Anders ist lieben. Ach, dieses Lieben. Man lebt mit den Anderen durch die Schattentäler, bis etwas ins Herz trifft, was einen trennt von den Gruppierungen und Gemeinplätzen, und man ist allein mit der Ausbreitung des galaktischen Raumes, in dem das zeitlose Spinnrad seine eigenen Formen webt. Dann erkennt man, wenn man ein Glückskeks ist, die Symbolik und das Feld der eigenen Liebe, wenn sie die Karottenprüfung bestanden und hinter sich gelassen hat. Heute habe ich mich von Rahul, dem Priester verabschiedet und ihn gefragt, ob er denn seine vielfältigen Selfies lieber mag als seine Frau, was er verneinte und meinte, er sei im Bhakti, also der liebevollen Anbetung verankert und außer Gefahr. Außer Gefahr!? Niemand ist außer Gefahr, auch wenn sich die meisten auf dem Vorgeschriebenen niederlassen. Oder dem Nachzulesenden, oder dem Anzuschauenden, oft auch serial, wo sich Geschöpfe in ihren austauschbaren Masken und Kostümen um das von allen Ersehnte bemühen, das Lieben, das man nur geben kann. Bevor man das kann, kann einen ein Schmerz erfassen, den man am besten willkommen heißt in der leuchtenden Hütte. Entspanne dich!, lächelt der Buddha, du wirst sterben. Da bekommt die verfügbare Liebe noch eine reifere Note, denn es ist nicht nur die Liebe allein, die ins Herz trifft, sondern die Liebe zur Wahrheit, die ihr den goldenen Schimmer verleiht. Wegen dem Menschen, oder dem Meer, oder den Steinen. Es gab eine Zeit, da drängte sich das Wasser zu meinen Augenlidern hinauf, als sie auf Asche blickten, diese exquisite Materie, die das Lieben zu sich nimmt wie ein Hauch. Dann das Liebenswerte am Menschen, bis man die Werteskala auch nicht mehr braucht, denn an was soll man messen, wenn man liebt? Und bei aller Hilfestellung verblasst doch das viele Liken vor dem Tropfen an nicht nehr messbarer Tiefe, deren Ausloten einen zu sich selbst bringen kann.

 

erlöschen

Überraschenderweise erlöschen hier auch, zusammen
mit den Göttern, die lebendige Philosophie und die
renommierten Wissenskonstrukte. Überhaupt
die Systeme und Wissenschaften.
Und die Religionen.
Das dient alles vortrefflich als Durchgangsgewölbe,
und hält nicht, was keiner versprochen hat.
Auch will man keine Eremitin mehr sein mit einer
verstaubten Laterne in der Hand,
nach dem Findlosen suchend.
Keiner wartet. Keiner ruft.
Alles verblasst, was an künstliche Himmel
geheftet wurde.
Teilchenbeschleuniger.
Raketendepos.
Ram, der König von Ayodya.
Narendra Modi.
Kein Links und kein Rechts mehr.
Kein Oben, kein Unten.

Das Gefäß füllt sich selbst mit dem Besten,

 

Rundgang

Der Rundgang, den ich morgens durchwandere, ist, wie wahrscheinlich jeder Rundgang, perfekt dafür geeignet, die eigene Einstellung reflektiert zu bekommen, mit der man momentan, und vielleicht nur einen Nu, durch die Gegend läuft. Nicht immer ruft es Heiterkeit hervor, wenn die Augen etwa das kleine Distelfeld streifen, in dem sich nach dem heiligen Bad abgelegte Unterröcke und Blusen und eine erstaunliche Menge männlicher Unterhosen tummeln, und mittendrin steht und niemand weiß woher es kam, ein schönes Bild von Durga, auf dem Löwen reitend und alles Mögliche mit den vielen Armen jonglierend. Ja, man kann das auch als eine totale Verwahrlosung sehen. Aus den Steinen ragen starke, unbenutzte  Stromstränge hervor, die man am besten vorsichtig umgeht, denn man weiß nie, was angeschlossen ist und was nicht. (Was nicht mehr oder noch verbunden ist). Die duplikate Maya hat sich eingenistet. Man gewöhnt sich daran, das absolut Künstliche als eine Norm zu erfahren, die sich durchgesetzt hat. Wenn man das also weiterhin rotationsmäßig oder gewohnheitsmäßig durchreflektiert, bleibt dennoch die Frage offen, wie man damit  umgeht. Schon allein über dieses himmelsschreiend absurde Treffen zwischen Modi und Trump, über das ich mit dem Priester spreche, könnte man sich stundenlang aufregen, wenn wir nicht die Ohnmacht auch schon duchlaufen hätten und einige Einstellungen korrigiert gemäß der neuen Anforderungen durch die Zeit. Wenn ich nun aber diesen anderen Blick einschalte, den Augen wegen der auch vorhandenen Schönheit eine gewisse Trunkenheit zugestehend, mit den Füßen den antiken und zeitlosen Raum erspürend, die unauslöschliche Atmosphäre dieses Raumes auslotend, der uns nicht braucht, wir aber schon ihn, dieses Wohlwollen des Blickes also, das macht ungern Halt, und nur dann, wenn es muss. Muss es? Das Einzige, was sich direkt erschließt, ist der Augenblick, der allerdings ohne bewusste Begleitung nicht eindeutig ist, also nicht das, was er ist. Wir nähern uns langsam dem Herzen des Paradoxons: wir sind der Blick, der die Welt kreirt, die wir kennen. Wieviel Raum wir etwas geben, wo unsere Prioritäten und Leidenschaften und Kräfte und Interessen und Instrumente hineinfließen, die wir ausloten mit dieser uns zugehörigen Welterfahrung. Auch ist man nicht verpflichtet, an den jeweiligen Reflektionen zu hängen, nein, eher den Seiltanz ehren, der leichtfüßig aber wachsam in die Arme des Ungewissen führt, wo andere Gesetze ihr beflügeltes Wesen ausbreiten.

wie geht’s

Wenn ich hier grüße und gefragt werde, wie’s mir so geht, sage ich meistens ‚anand hai‘, sozusagen supermegagut. Anand ist ‚Entzücken‘, und mehr kann man vor allem morgens nicht von jemandem erwarten. Auch stoppt es jede weitere Nachfrage, die eh nicht angeboten wird. Leider habe ich nicht den Mut, mal ‚grottenschlecht‘ zu sagen oder ‚mein Geist ist total verdüstert‘, das könnte ich mir bei Lord Google auf Hindi übersetzen lassen, aber warum? Viel interessanter ist ja eigentlich, sich selbst mal ab und zu zu fragen, wie es einem so geht. Das ist, wie wenn man auf die tintenverschmierte Holzschulbank gesetzt wird und beginnt, am Bleistift zu nagen. Wo geht’s mir wie. Wann geht’s mir wo wie. Und warum dort und nicht woanders. Ja, wie geht es überhaupt, das ist doch eigentlich die Frage. Den Einblick zulassen, innen öffnen sich Tore. Entlang gehen. Ein Reich voller Zellen, jede einzelne autonom, aber dem Ganzen zuspielend. Abenteuerliches Strömen der Eindrücke. Führen Sie mich bitte direkt zum Kern, wende ich mich an die Anwesenden. Der Widerstand ist gering, alle sind aus freien Stücken hier und freuen sich über die Entschlossenheit. Entschließen. Etwas sehr Angenehmes und Schönes anziehen. Sorgfältig schminken. Der Freude Raum lassen. Überhaupt: die Räume weit hinausdehnen ins All. Auf Zeichen der Ankunft warten. Das Pochen des Herzens, die Gewissheit. Man begrüßt sich selbst als Gast und führt herein auf die gewünschte Ebene. Langsam (aber sicher) bildet sich die Atmosphäre unter den Gedankenrhythmen. Auch hier ist nicht alles gefahrenlos. Wer den Jaguar liebt, muss wissen, wie man mit ihm umgeht. Seine Tempel liegen tief drin im Dschungel. Selten kommt hier ein Weiser vorbei und lässt sich freiwillig zerfleischen. Man braucht auch die Sorgfalt dem Gehäuse gegenüber, dieser architektonische Schutz vor dem Weltenandrang, den das innere Auge zu ordnen bemüht ist. Dann ist zwischen dem Außen und dem Innen eine Gelassenheit, und man kann das Lebendige in seiner Vielfalt bestaunen und zelebrieren.

 

(3) Nachrichten

 *

Dieses scheußliche Bild links, das zwei fragwürdige Staatsmänner zusammenmorpht, passt zum Event, der gerade hierzulande „Namaste Trump“ genannt wird. Ich war ja kurz ziemlich verblüfft, von Freunden in Deutschland via WhatsApp zu hören, dass der Besuch von Donald Trump noch gar nicht durchgedrungen war. Hier ist die offensichtlich von Modi gekaufte Zeitung voll des unermüdlichen Preisens von dem, was man daraus holen könnte, wenn alles gut läuft. Ja, Donald und Melanis und Javed und Ivanka und eine Riesenhorde von BegleiterInnen sind gelandet und verbringen in Indien ein paar teure Stunden. Es ist der Moment, in dem fast wie nebenbei Amerika das coronavirusgestresste China als Partner ersetzt. Modi und Trump verstehen sich prächtig. Narendra hat Donald versprochen, dass  Millionen von Fans den Pfad des gewichtigen Freundes  säumen werden. Alles, was vor sehr Kurzem noch arm aussah, wurde seit Tagen zur Seite geschafft, eine neue Straße wurde gebaut und eine Mauer, die das Schlimmste versteckt. Wer alles für diese paar Stunden entwurzelt wurde, wird nie einer wissen.  Für die kleine illustre Reisegruppe wurden Gold-und Silberutensilien extra hergestellt. Es gibt kaum ein anderes Land wie Indien, das einen derart aufwendigen Zirkus veranstalten kann. Die Straße wird gesäumt sein mit kulturellen Events undsoweiter, während ich hier in die kichernden Augen einer jungen Brahmanin schaue, die sich wünscht, jemand hätte den Mut, den Kerl umzubringen. Um Himmels Willen, bloß nicht! Dann könnte ihn wirklich niemand mehr vergessen, und Modi würde sich eine geistige Kugel durch den Kopf jagen. Nein nein, das wird so ungeheuer bunt und einfallsreich werden wie alles, was Indien hervorbringen kann, wenn’s ums Ganze geht. Hier ist keinerlei Mangel an Menschenware und Kostümen, und man kann blitzschnell ganz viele Menschen stolz machen, wenn man (noch) PM von Indien ist.
Dann hat mich wirklich überrascht zu hören, dass es bereits Tausende von Japanern und Japanerinnen gibt, die geradezu mühelos vom Zen zu Jainismus in Indien gewechselt haben und regelmäßig hierher reisen zu ihren Lehrern. Der Jainismus ist ähnlich krass wie der Zen Buddhismus, was die Strenge der Lehre und vor allem die Mönche und Nonnen unter ihnen betrifft, die nur zu Fuß gehen und zum Beispiel ein Tuch über dem Mund tragen, um nicht aus Versehen ein Tier zu schlucken. Da hat sich auch was untereinander sehr gut verstanden. Der Jainismus ist die einzige Religion, in der es einen rituellen Selbstmord gibt als Option der Lebensbeendung.
Dann habe ich die Bilder einer Künstlerin abgebildet gesehen, die mit Menstruationsblut malt und eine ihrer Installationen „Den Schrein der Vaginas“ nannte. Man muss das nicht wichtig finden, aber immerhin geschieht es in Indien, wo von Frauen erwartet wird, dass sie sich verkriechen während ‚ihrer Tage‘, und dürfen auch nix von der Küche anfassen.
Alle Neugkeiten sind relativ. Vieles war schon immer da, und sehr, sehr wenig hat die Eleganz des ungestörten Seins, das keine Nachrichten braucht.

 

*Das rechte Bild oben ist von Lyla Freechild/Jaipur

nachwehen

Wir sind alle, wie die Kuh, noch mit den Gaben von gestern beschäftigt, oder erholen uns davon, denn das ging ja einfach so weiter. Meine indische (so von mir genannte) Tochter kam angereist, und als uns der Sohn des Hauses, der das halbe Dorf versorgte, ein Schlückchen Cannabistrunk anbot, sagten wir nicht nein, denn es soll das ursprüngliche Soma sein, das kann man dann besser verstehen. Es wird auch in manchen Tempeln in dieser verdünnten Form gereicht. Dann gab es den Götterumzug mit Maschinen, die Blumen durch lange Rohre jagten, die auf alle niederregneten, sodass der ganze Bazaar einen Blumenteppich hatte. Die Phallusverehrung in den Tempeln lief den ganzen Tag, das ist ja nicht wirklich was Neues, nur hier offensichtlicher. Es ist ja nicht so, dass es auch einen wilden Feiertag gibt, wo die Yoni mit Milch, Honig und Butter angehimmelt wird, nein, man vergisst eher, dass sie da ist, deswegen wollen vielleicht einige Künstlerinnnen das jetzt ändern. Immerhin hat das Prinzip Shiva einen Aspekt, der Ardhanaishvara heißt und gleichermaßen aus beiden Geschlechtern besteht, wovon man sich nicht wirklich eine Scheibe abschneiden kann. Gut, ich habe dann bei meinem Rundgang einen Brahmanen beim intensiven Herumzupfen auf einem kleinen Fleck Erde beobachtet und erkundet, was er da so macht. Er brachte ein Sträußchen kleiner, frischer Grashalme und erklärte mir, dass vor allem die Frauen der Götter diese Gräschen lieben. Warum, frage ich. Seine Geste wird weit und ungenau. Weil ihr Leben dann…er zögerte…interessant wird, sagte er dann, und das kann man ungehemmt wünschen. Bei dieser Gelegenheit habe ich erfahren, dass Ganesh, der Elefantengott, auch verheiratet ist, und zwar mit zwei Frauen, Siddhi und Riddhi, die mögen wohl auch gerne das Gras. Weil dann die Augen der Erzähler derart leuchten, kann man es einfach als eine Geschichte aufnehmen, denn es ist ja nicht wirklich möglich, sich zu fragen, wie das alles möglich ist. Ist Christus wirklich nach Kaschmir gekommen und dort zu Krishna geworden, und war Hitler wirklich mal in Lucknow. Wenn jemand ernsthaft nachforscht, kann vieles erklärt werden, aber ist das, was erklärt werden kann wirklich das, was es ist. Das Gras, meinte der Priester geheimnisvoll, sei unglaublich wichtig, da will ich doch nicht mit etwas noch Wichtigerem aufwarten. Nein! Es ist das Lächeln, das alles in eine lebendige Logik führt, nicht der Beweis. So kann Shiva weiterhin Totenköpfe in das Opferfeuer von Brahma hineinwerfen, was als notwendiger Störfaktor gekennzeichnet wird, oder er versinkt weiterhin im fernen Kailash im Yoga, oder er verwandelt für seine  Begleiterin die ganze Gegend ins Weibliche, wer hört nicht gern sowas. Und selbst wenn ich einen Zauberstab hätte, würde ich ungern all diese Manifestationen ungern wegzaubern. Wer könnte so viel Leid verantworten und mittragen!?

Zeichen

Beide Bilder stammen aus der „Times of India“ und künden zwei scheinbar sehr verschiedene Programme an, die heute an- bzw. ablaufen. Dass der Kölner Karneval mit dieser begabten Kreation der regierenden Weltgrößen Einzug halten konnte in die indische Times, fand ich erheiternd, natürlich auch ein ‚Zeichen‘ auf der kosmischen Scherzebene, nicht nur, weil ich dort in ein paar Tagen hinreise, sondern weil auch hier heute ein Festival abläuft, das mit ‚Zeichen‘ zu tun hat. Es ist Shiva Ratri, und man kann kühn behaupten, dass sich alles um den ‚Lingum“ dreht, was u.a. auch  ‚Zeichen‘ heißt und ziemlich eindeutig die Form eines Phallus hat, und zwar der von Shiva, der heute verehrt wird. Ich erspare mir die vielumrankten Anekdoten über Größe und Ausmaß dieses Zeichens, denn es kommt in allen Größen, und auch als die Götter selber mal wissen wollten, wer der Größte ist, demonstrierte Shiva, dass es bei ihm nach oben und unten keine Grenze gibt, da gaben sie nach und sahen es ein. Es ist auch der Tag, wo das meist verborgene Teil mal öffentlich angebetet werden kann, und in manchen Tempeln watet man gegen Nachmittag in einer Mischung aus Butter, Yoghurt und Honig, dann ist auch Kushi Gras dabei, und eine giftige Blume, und Disteln, denn er hat schon einmal das ganze Gift getrunken und die Menschen gerettet, das wäre jetzt auch hilfreich. Seine Kehle wurde dann grünblau, da heißt er Nilkantmahadev, der mit der blauen Kehle.  Die Atmosphäre ist derart energetisiert, sodass einem alles Mögliche einfällt, was man im Leben noch unternehmen kann. Früher musste ich auf einer Bühne auf dem Marktplatz meinen berühmten Kalitanz tanzen, der natürlich Shiva gewidmet war, solche Dinge kann hier jeder verstehen. Während sich in meiner inneren Wahrnehmung seither sehr viel verändert hat, muss das nicht weiter auffallen, denn ungehindert strömen die Flüsse aus Milch und Honig, und auch die Frauen sind fleißig dabei, dem für sie unentbehrlichen Zeichen Achtung zu zollen. Auch wurde heute mal der übliche Gruß aufgelockert, und statt RamRam sagten wir ‚Jai, Bolenath‘ zueinander, was soviel heißt wie ‚Gegrüßt sei der unschuldige Herr‘. Sei er also gegrüßt. Auf jeden Fall kann man teilnehmen an der sich langsam aufbauenden Kraftebene, bevor sie irgendwann wieder in sich zusammenfällt. Schön, wenn man von  Ritualen und Zeichen nicht abhängig ist.

Denkmal

Ein Fremdling wollte sich selbst
begegnen und fragte sich wie.
Da erschuf er einen Ort, wo nur
er war. Doch obwohl er dort nur
mit sich selbst wohnte, wusste er
nicht, wen er als sich selbst
mitgebracht hatte. Er blieb lange,
sehr lange, und Haar und Bart
wurden weiß. Seht!, sagten die
Anderen, das ist Einer, der sucht
nach sich selbst, und bauten ihm
ein Denkmal, an dem sie sich
aufrichten konnten.

simple

Ich habe wenig Möglichkeiten, den Geist anderer Menschen zu erkunden, die lange Jahre in einem anderen Land als ihrem Ursprungsland lebten, vielleicht mit einer Frage, die ich hier in Indien auch von länger Bleibenden gehört habe: ja, worum geht’s denn, oder ging’s denn, und warum ausgerechnet hier!? Als mich Ramesh, ein brahmanischer Paraphaneliaverkäufer am Ufer des Sees, mal wieder fragte, wie’s mir so geht, konnte ich ihm direkt aus meinen laufenden Gedanken antworten, denn ich hatte wieder einmal wahrgenommen, wie mir das Einfache an meinem Leben so kostbar erscheint, so kostbar diese Muße, mit der ich mich in der Frühe frei auf meinem Weg bewegen und die Freude unendlich tiefer und uralter Gefühle genießen kann. Denn es wurde doch in allen hohen Kulturen gepriesen, die Fähigkeit zu entwickeln, sich an die Essenz und das Wesentliche halten und diesen Halt dann irgendwann auch wieder aufgeben zu können, um sich  im Gehaltenen vorzufinden. Was wiederum die Möglichkeit schenkt, eine Sicht zu erlangen, die ungetrübt bleibt von den vielen Angeboten und Verwirrungen und Verirrungen, die neue Berufe erschaffen, die einem aus den Abgründen Fluchtwege bauen aus der eigenen Inszenierung. Ein Satz, der mir hängengeblieben ist aus der Gita lautet ‚das Entsagen wunscherzeugter Taten nennen die Weisen Entsagung‘, wobei hier natürlich vorausgesetzt wird, dass das Entsagen irgendeiner Art von Interesse ist. Oder die Frage, was man wirklich braucht, deren Beantwortung einen erschüttern könnte, wenn man sich solch positiven  Erschütterungen  aussetzen möchte oder kann. Das einfache Leben hat sicherlich mit dem möglichen Überblick zu tun, wenn die Geschehnisse nachvollziehbar bleiben und einfach zu handhaben sind. Gar kein Zweifel, ich habe die Liebe für das einfache Leben von Indien gelernt. Einfach dadurch, dass sie es mich haben erforschen lassen , ob es geht, und es ging, weil sie in ihrer Ewigkeit Schutzräume eingebaut haben für diese Praktiken, die aus der Überwältigung in die Schlichtheit führen können, aber nicht müssen. Auch das Steckenbleiben in hohen Ansprüchen gehört zum Handwerk, denn man möchte doch zu gerne, dass „simple“ ‚einfach‘ bedeutet, was es dann doch nicht ist. Die Inder selbst wandern gerade zielstrebig heraus aus dem einfachen Sein, das noch Kultur war, als ich hier ankam, sie das kollektive Vermächtnis nicht als das ihre empfinden, womit sie recht haben.  Von Kleidung bis Gedanken strahlte vor Jahren noch noch alles eine zeitlose Eleganz aus, die natürlich immer auf allen Ebenen möglich ist, wenn sie zur persönlichen Werteskala gehört. Was zur Zeit hier in großen Bewegungen läuft, interessiert mich nicht so sehr, denn ich bin ja im Westen schon einmal davon weggegangen, nicht so sehr wegen dem ansteigenden Materiezwang als des gänzlich unerwarteten Glücksfalls, der mich nach Indien brachte. Zu den Zwiebeltürmen und den Pfauenschreien. Zu den schönen Kühen und der Wüstenstille. Zu der Belichtung innerer Dunkelheiten, zu erlösendem Lachen und tiefer Ernsthaftigkeit. Simple living, high thinking: untopable truth. La vita contemplativa.

atma sambandh *

Der Kater eines guten Freundes musste gestern eingeschläfert werden, die Trauer reiste gute 8000 Kilometer, oder war sie schon in mir als Mitgefühl. Es ist schrecklich, Tiere zu verlieren, die man geliebt hat und die lange bei einem waren. Mit Menschen ist es nicht anders, was das Ausmaß der Trauer betrifft. Alles, was das Herz öffnen kann, lässt die Gefühle in Bewegung kommen, die dort verborgen lagern. Man lernt sie erst kennen, wenn sie da sind. Dann weiß man, wenn man Glück hat, was das ist: die Liebe, der Schmerz, die Trauer. Vorher wurden vielleicht nur Schälchen gereicht mit Wasser und leckeren Tierdingen, und es fällt einem auf mit der Zeit, wie gern man das tut für die Wesen, die wie reingeschneit kamen in das eigene Leben, bis man merkt, dass man sie liebt, nicht nur ihrer potentiellen Unschuld wegen, sondern weil sie einem Stunden und Momente schenken die kostbar sind und unverwechselbar und mit nichts zu vergleichen. Denn sie haben diese ihnen eigene Persönlichkeit, die man lieben lernt und das auch kann, weil irgend etwas an ihnen einem zutiefst entspricht. Es passiert ja verhältnismäßig selten, dass man zu einem anderen Wesen in Liebe erwacht, das kann auch erschrecken zuerst, denn es ist die totale Freiheit der Bindung, das Schwert unter dem Flügel, das Krabbeln der Zecke auf dem Fell, die Erschütterung der inneren Hemmschwelle. Und so musste wohl gestern beim Tierarzt entschieden werden, das Leiden von Fridolin, so hieß er, der Kater, nicht noch länger zu verzögern, man entdecckte Tumore, die nicht mehr zu heilen waren. Es sind ja immer die Hinterbliebenen, die mit den Gefühlen umgehen müssen, mit der nackten Realität des Todes, wo etwas so unerbittlich klar wird, dass man es langsam einsinken lassen muss, um nicht selbst hinterhergehen zu wollen, des großen Verlustes wegen. Und hier vor Ort haben sommerliche Temperaturen Einzug gehalten und man hört wieder die unheimlichen Schreie der Pfauen. Überall  Abschied und Seelenverbindung.

*Atma sambandh: Seelenbeziehung

(miss)verstehen

Wenn man mal Zeit hat und unbedingt wissen will, und das aus eigener Erfahrung, was ein Wunder ist oder besser was Wunder sind, denn es kann nicht nur eins geben, und ob und wo man sie finden kann, und wie man sie erkennt und was das dann mit einem macht, wenn man ihnen gegenübersteht. Wenn man also dafür etwas Zeit übrig hat, kann man es sich verhältnismäßig leicht machen. Das größte Wunder, das einem bald in die Augen springt ist, dass Menschen sich überhaupt zu verstehen glauben, obwohl die Sprachebene durchfurcht ist von Missverständnissen, die selten geklärt werden können, weil man ja erstmal denkt, man hat was verstanden. Wenn dann noch eine Fremdsprache dazukommt, die man vielleicht zu einem Großteil beherrscht, so doch nur zu einem Großteil, und eben nicht das Ganze. In Indien habe ich Kommunikation vor allem über das Schwingungsfeld kennengelernt, und das mit notwendigen und aufschlussreichen Tonuntermalungen. Wenn etwas Gesagtes dazukommt, kann man auf jeden Fall die Stimmungslage einschätzen und sich im Gespräch zurechtfinden, mit einer gewissen Nonchalence dem Inhalt gegenüber, denn oft muss man ja auch gar nicht, und manchmal will man gar nicht verstehen, oder es gibt gar nichts zu verstehen. Natürlich kommt es auch immer auf Gegenwärtigkeit und Klarheit an und vielleicht auf eine Bemühung um Sinn und Ausrichtung und Motivation eines Gegenübers und von einem selbst ausgehend. Nicht überall kann oder will man nachhaken, sondern eigentlich nur da, wo überhaupt Möglichkeit besteht, gemeinsam Klarheit zu erzeugen und Missverständnisse mühelos zu entwirren. Dann gibt es die Lebensanekdoten, bei denen man fast aus Versehen etwas lernt. Ich war beim Gemüsehändler unten im Bazaar auf der Straße, und kaufte unter anderem Kartoffeln ein. Er gab mir riesengroße Dinger und ich sagte nein nein, nicht so groß, die mittlere Größe. Aha! meinte er und fing an zu kichern, du magst mittlere Größe. Ich dachte ich traue meinen Ohren nicht, durchkontempliert wie sie sind nach der MeToo Debatte mit sich selbst. Jetzt aber mal schön aufpassen, sagte ich in verständlichem Hindi, konnte aber sehen, dass es mit mir gar nichts zu tun hatte, denn er benutzte nur sein Gemüse zur Manifestation seines Geistes. Es war also in gewisser Weise ein erzeugtes Missverständnis, das ich dann habe ruhen lassen. Auch ist es auf allen Ebenen der Kommunikation völlig ungewiss, in welcher Wahrnehmung sich das Gegenüber bewegt, oh Wunder über Wunder, man weiß es nicht und kann es höchstens ein bisschen erspüren und sich diesem Gespür gemäß verhalten. Wenn Missverständnisse geklärt werden können, wird es reichhaltiger, aber wenn sie sich häufen, wird es schwieriger bis unmöglich, und wer weitermachen will, sucht sich Hilfe. In Indien schwebt ein gewisser mystischer Charme über dem Mangel an Anspruch, was menschliche Kommunikation betrifft. Five Finger no same, ist ein schlecht formulierter Lieblingssatz der Einheimischen, und außerdem auch noch wahr. Es verschafft dem Spiel eine ungheure Bandbreite und Tragweite, wenn man einerseits tatsächlich etwas präzise verstehen kann, und andrerseits, im Urwald der Deutungen wandernd, sich das Missverständnis ans Herz nimmt und lernt, damit zu leben.

Friedrich Nietzsche

 

1.

Als Zarathustra dreißig Jahre alt war, verließ er seine Heimat und den See seiner Heimat und ging in das Gebirge. Hier genoß er seines Geistes und seiner Einsamkeit und wurde dessen zehn Jahre nicht müde. Endlich aber verwandelte sich sein Herz, – und eines Morgens stand er mit der Morgenröte auf, trat vor die Sonne hin und sprach zu ihr also:

»Du großes Gestirn! Was wäre dein Glück, wenn du nicht die hättest, welchen du leuchtest!

Zehn Jahre kamst du hier herauf zu meiner Höhle: du würdest deines Lichtes und dieses Weges satt geworden sein, ohne mich, meinen Adler und meine Schlange.

Aber wir warteten deiner an jedem Morgen, nahmen dir deinen Überfluß ab und segneten dich dafür.

Siehe! Ich bin meiner Weisheit überdrüssig, wie die Biene, die des Honigs zuviel gesammelt hat, ich bedarf der Hände, die sich ausstrecken.

Ich möchte verschenken und austeilen, bis die Weisen unter den Menschen wieder einmal ihrer Torheit und die Armen wieder einmal ihres Reichtums froh geworden sind.

Dazu muß ich in die Tiefe steigen: wie du des Abends tust, wenn du hinter das Meer gehst und noch der Unterwelt Licht bringst, du überreiches Gestirn!

Ich muß, gleich dir, untergehen, wie die Menschen es nennen, zu denen ich hinab will.

So segne mich denn, du ruhiges Auge, das ohne Neid auch ein allzugroßes Glück sehen kann!

Segne den Becher, welcher überfließen will, daß das Wasser golden aus ihm fließe und überallhin den Abglanz deiner Wonne trage!

Siehe! Dieser Becher will wieder leer werden, und Zarathustra will wieder Mensch werden.«

– Also begann Zarathustras Untergang.

2

Zarathustra stieg allein das Gebirge abwärts und niemand begegnete ihm. Als er aber in die Wälder kam, stand auf einmal ein Greis vor ihm, der seine heilige Hütte verlassen hatte, um Wurzeln im Walde zu suchen. Und also sprach der Greis zu Zarathustra:

»Nicht fremd ist mir dieser Wanderer: vor manchem Jahre ging er hier vorbei. Zarathustra hieß er; aber er hat sich verwandelt.

Damals trugst du deine Asche zu Berge: willst du heute dein Feuer in die Täler tragen? Fürchtest du nicht des Brandstifters Strafen?

Ja, ich erkenne Zarathustra. Rein ist sein Auge, und an seinem Munde birgt sich kein Ekel. Geht er nicht daher wie ein Tänzer?

Verwandelt ist Zarathustra, zum Kind ward Zarathustra, ein Erwachter ist Zarathustra: was willst du nun bei den Schlafenden?

Wie im Meere lebtest du in der Einsamkeit, und das Meer trug dich. Wehe, du willst ans Land steigen? Wehe, du willst deinen Leib wieder selber schleppen?«

Zarathustra antwortete: »Ich liebe die Menschen.«

»Warum«, sagte der Heilige, »ging ich doch in den Wald und in die Einöde? War es nicht, weil ich die Menschen allzusehr liebte?

Jetzt liebe ich Gott: die Menschen liebe ich nicht. Der Mensch ist mir eine zu unvollkommene Sache. Liebe zum Menschen würde mich umbringen.«

Zarathustra antwortete: »Was sprach ich von Liebe! Ich bringe den Menschen ein Geschenk!«

»Gib ihnen nichts«, sagte der Heilige. »Nimm ihnen lieber etwas ab und trage es mit ihnen – das wird ihnen am wohlsten tun: wenn es dir nur wohltut!

Und willst du ihnen geben, so gib nicht mehr als ein Almosen, und laß sie noch darum betteln!«

»Nein«, antwortete Zarathustra, »ich gebe kein Almosen. Dazu bin ich nicht arm genug.«

Der Heilige lachte über Zarathustra und sprach also: »So sieh zu, daß sie deine Schätze annehmen! Sie sind mißtrauisch gegen die Einsiedler und glauben nicht, daß wir kommen, um zu schenken.

Unsre Schritte klingen ihnen zu einsam durch die Gassen. Und wie wenn sie nachts in ihren Betten einen Mann gehen hören, lange bevor die Sonne aufsteht, so fragen sie sich wohl: wohin will der Dieb?

Gehe nicht zu den Menschen und bleibe im Walde! Gehe lieber noch zu den Tieren! Warum willst du nicht sein wie ich – ein Bär unter Bären, ein Vogel unter Vögeln?«

»Und was macht der Heilige im Walde?« fragte Zarathustra.

Der Heilige antwortete: »Ich mache Lieder und singe sie, und wenn ich Lieder mache, lache, weine und brumme ich: also lobe ich Gott.

Mit Singen, Weinen, Lachen und Brummen lobe ich den Gott, der mein Gott ist. Doch was bringst du uns zum Geschenke?«

Als Zarathustra diese Worte gehört hatte, grüßte er den Heiligen und sprach: »Was hätte ich euch zu geben! Aber laßt mich schnell davon, daß ich euch nichts nehme!« – Und so trennten sie sich voneinander, der Greis und der Mann, lachend, gleichwie zwei Knaben lachen.

Als Zarathustra aber allein war, sprach er also zu seinem Herzen: »Sollte es denn möglich sein! Dieser alte Heilige hat in seinem Walde noch nichts davon gehört, daß Gott tot ist!« –

 

 

 

hell

Links im Bild zwei Räucherstäbchenschalen und rechts der Abfallkanister des dunklen Gottes Saturn, der, wie ich gestern von einer spanischen Horoskopstudierenden erfahren durfte, auch grad seinen Einfluss auf den Planeten ausübt. Wer will schon wissen können, was wer irgendwo ausübt, da alle ständig an Üben und Ausüben beteiligt sind. Ich selbst könnte eigentlich heute mal Anker werfen, denn mir ist partout nichts Dunkles über den Weg gelaufen, ich daher keine Dunkelheitsbündelung durchführen konnte, nein, es war ein leuchtender Morgen mit freundlichen Menschen. Kalu Bhai habe ich mal wieder gesehen, den ich auch schon  108 Jahre lang kenne, was sind schon Zahlen. Die Zeitung habe ich auch  deswegen noch nicht geöffnet, um nicht gleich über sprunghaft Angestiegenes informiert zu werden, oder d e m hinterherzugrübeln, was man nie verstehen wird. Manches kann man nicht verstehen, manches muss man und wird man nicht verstehen. Nachdem das mal so richtig eingesunken ist und sich in Zeitlupe anderem Eingesunkenem nähert, kann man weiterhin angenehme Dinge tun wie einatmen und ausatmen, was natürlich nur eine Wirkung hat, wenn man es merkt, beziehungsweise, wenn man dabei ist beim scheinbar automatisch Ablaufenden. Es hat hier in Indien in allen Lehren Platz gefunden, das bewusste Atmen, und so mancher Lehrer hat behauptet, dass das durch dieses vom Geist begleitete Atmen den Arztbesuch überflüssig macht. Und so kann man behaupten, dass das immer hektischer werdende Aktionsfeld des Menschen ein ungeheures Potential von Möglichkeiten birgt, aber was es nicht birgt, ist die Seinserfahrung. Auch der ungeheuer beunruhigende und aufwühlende Satz „Wer das Sein hat, hat auch die Worte“, gibt hier keinen Aufschluss. Denn überall, wo man etwas länger hinhorcht, zeigt sich das Komplexe auf abenteuerliche Weise. Denn uns kann ja nicht wirklich etwas von jemandem so erklärt bekommen, dass man es dadurch in der Tasche hat, nein, mühselig ist der Weg der Ameise, oder ist es der Flug des Adlers? Heute fiel im Vorübergehen mein Blick, in alle Richtungen geöffnet, auf ein kleines, zerfallenes Ein-Raum-Gebäude, und in einem Nu war ich in einer anderen Zeit, als Maharaja, mein damaliger Lehrer, mir dort beibrachte, wie man einen Feuerplatz anlegt, ihn täglich mit frischem Kuhdung säubert und neu belegt, dann die Asche durchfühlt nach gröberen Teilen, dann Holz nachlegt und nie und nimmermehr etwas Unheiliges hineinwirft wie einen Zigarettenstummel zum Beispiel. Er nannte Gott einen Schlingel, und einmal  erzählte er von seiner Kindheit auf meine Frage hin, wie er Sadhu geworden sei. Seine Mutter, erzählte er, zog ihn ein paar Jahre wegen seiner zierlichen Gestalt als ein Mädchen auf und an und band Schleifchen in sein Haar. Was ihn rettete, war eine schwarze Kobra, die sich eines Tages oder nachts um seinen Kopf gelegt hatte, da wusste man, dass das Oben was mit ihm vorhatte, und gab ihn zur Ausbildung in einen Tempel. Irgendwann zog er sich in die Berge zurück und wurde dort, hörte ich später, ermordet an einem Baum hängend gefunden, vermutlich für Geld, das ihm die Pilger brachten. So ist doch noch was Dunkles aufgetaucht, wenn auch aus weiter Ferne, und so findet,  der Rundgang darin einen Abschluss.

erwarten

Ziemlich früh im Leben erfahren wir an uns die Erwartungshaltung und die daraus resultierenden Enttäuschungen. Man schreibt Menschen etwas zu, was sie gar nicht vorhaben zu sein und ist erstaunt bis verblüfft bis empört, wenn man als etwas gesehen wird, was der eigenen Wahrnehmung von sich selbst keineswegs entspricht. So langsam klärt sich dann das Ganze, wenn der eigene Maßstab etwas präziser wird, was noch nicht heißt, dass man schon die Gewohnheit losgeworden ist, Andere damit zu messen. Die Anekdoten sind zahlreich und oft auch lehrreich. Gerne erinnere ich mich an einen Morgen in meiner noch sehr strikten Yogapraxiszeit, als ich vor anderen Mitpraktizierenden mein völliges Unverständnis darüber ausdrückte, dass nicht alle hellbegeistert darüber waren, morgens um vier Uhr zu meditieren, und jemand mir riet, doch zur Abwechslung auch mal auszuschlafen. Man muss ja auch einen gut gemeinten Rat nicht unbedingt annehmen, vor allem aber Anderen  mit den eigenen konstruierten Selbstverständlichkeiten nicht  auf den Wecker gehen. Berechtigt finde ich wiederum eine gewisse Erwartungshaltung, wenn jemand sich klar äußert über das Erreichen bestimmter Ziele, die eine gewisse Disziplin erfordern und eine Unterstützung auf dem Weg sinnvoll machen. Man hat ja wirklich keine Ahnung, was so alles auf einen zukommen kann. Als ich hier im indischen Ort einst ankam, hatte ich z.B. noch in Kathmandu ein aus neun Jahren Sammelleidenschaft geschöpftes und mit Kostbarkeiten vollgepacktes Zuhause, und kurze Zeit später saß ich hier freiwillig am Leichenverbrennungsplatz (einer der schönsten und stillsten Plätze im Ort), und als einigen Brahmanen klar wurde, dass ich tatsächlich d a war, erwarteten sie sofort von mir die dazugehörigen Aufgaben, die daraus bestanden zu beobachten, wenn eine neue Leiche ankam, was für Tiere sich zeigten, um Aufschluss zu erhalten über die nächste Geburt Des-oder Derjenigen. Erwartungshaltung kann auch fördern, was man an sich noch nicht kannte oder kennt, wobei es natürlich nur funktioniert, wenn man offen ist für den Vorgang und ein gewisses Interesse dafür empfindet. Aufpassen muss man, wenn Menschen einen für ihre Erwartungshaltungen benutzen oder sich mit d e m schmücken möchten, was man in ihren Augen zu sein scheint, ohne dass die eigene Zustimmung erfragt wird. Meist wird ja die Zustimmung eh nicht erfragt, da jede/r denken und sehen will und kann, was er oder sie möchte. Das kann man sich als ein gnadenloses und undurchdringliches Knäuel von Meinungsströmen vorstellen. Mir fiel mal auf an mir, wie schnell es geht und wie unterhaltsam es sein kann, wenn man die (inneren) flotten Sichtweisen im Vorübergehen auf Andere ablagert. Dann habe ich es mir abgwöhnt. Auch die Erwartungshaltung, die von einem sogenannten ‚guten Ruf‘ ausgeht, kann beides, anregend und ziemlich nervig sein. Genau wie beim schlechten Ruf fallen flüchtigen Denkern eine Menge Sachen ein, mit denen man so eine Person ausschmücken oder kleintreten kann. Beides ist gleichermaßen unangenehm, und wenn es sich als notwendig erweist, lohnt  es immer, sich um eine Einschätzung zu kümmern, die ihren Inhalt aus gemeinsamen Gesprächen nährt und sich vorsichtig dem nie ganz Erreichbaren antastet. Da man langsam aber sicher erkennt, dass man nur an und in sich selbst etwas erreichen oder nicht erreichen kann, muss man sich in letzter Konsequenz doch auf den eigenen Maßstab verlassen, auch wenn man dazulernt, Andere nicht damit zu belästigen oder zu stören oder diese Ausrichtung für die wesentliche zu halten.

 

(Einst) nicht mehr da sein

 

Das Nicht-mehr-da-sein ist deswegen so unvorstellbar,
weil es davon weder Erfahrung noch Vorstellung gibt.
Es ist das Ende der eigenen Vorstellung.
Nur e i n Zugang  liegt als ein Angebot im Davor:
„Stirb, bevor du stirbst“, was vermutlich eher heißt:
Lebe, bevor du gehst, denn wer gestorben ist, bevor
er/sie/es geht, kann nur im Schoß des Lebens landen.
Lebe und stirb also, bevor du gehst, damit der Vorgang
ein erfreulicher wird. Wer lebendig stirbt, verliert die
fesselnde Anziehung an die Dinge, und die Liebe
wird spürbar im freigewordenen Raum. Sie, die immer
da war und da ist, empfängt und wird empfangen.
Der Name dieses Todes also ist: Liebe. Ich selbst gehe
und werde ein Teil ihrer zeitlosen Anwesenheit.

Herzkraft

Welch unbeschreibliche Freude hat mich ergriffen, als ich heute früh aus der Tür trat und mein Blick, bereits von meinem Fenster aus auf die Affenbande gerichtet, nun nach längerer Zeit wieder gesehen habe, nach was meine Augen gesucht hatten. Da ich im öffentlichen Raum  eine Smartphoneherausholhemmschwelle habe  und mich deswegen  hinter einem Ladendach verschanzt hatte, konnte ich kein so klares Bild erzeugen, um das Wesentliche auch für Andere sichtbar zu machen. Es stammt aus der selben Geschichte, von der ich in größeren Abständen berichtet habe, denn der (oder die) Kleine links auf dem Bild ist der Sohn (oder die Tochter) des Languren und von der braunen Rasse wie seine Mutter, die frühere Geliebte des Languren-Häuptlings, denn er ist der Größte der Herde und kann sich offensichtlich seit Jahren mit dieser Extravaganz durchsetzen. Keiner weiß, wie es kam, aber sie waren lange ein Paar, das braune Weibchen und das silberne Alphatier, und hatten, aber das ist nicht so sicher ob voneinander oder nicht, zwei Kinder, beide braun wie die Mutter, die irgendwann wieder zurückkehrte zum braunen Stamm, der (oder die) Kleine aber beim Vater blieb. Ein cleverer Kerl, der Kleine, oder eben die Kleine, denn eines Tages sah ich ein braunes Alphatier die üblichen sexuellen Handlungen an der Kleinen vollziehen, und mit Mohan, dem Brahmanenpriester, der die Geschichte auch verfolgt, weil er wenig anderes zu tun hat, könnte ich keine Unterhaltung über sexuelle Praktiken der braunen Rasse führen. Bei den Languren, habe ich mal gehört, gibt es meistens einen Boss, der sich diesen Platz hart erkämpft hat, und der Rest sind Weibchen, die man regelmäßig mit Winzlingen durch die Gegend turnen sieht in ihrer atemberaubenden Akrobatik-Performance. Nach dem Geschlechtsakt war alles anders. Die Kleine war hin-und hergerissen, lag mal herum mit dem Begatter, mal japsend und schreiend allein auf der Suche  nach dem anderen Stamm. Ich rannte ein paar Mal hinunter zum Obststand und hoffte, die Bananen zielgerecht werfen zu können, aber schon war ich umringt von der Familie und musste loslassen, um nicht noch einmal von Affen belagert und gebissen zu werden. Gott behüte, wir haben grad andere Sorgen, oder haben wir, beziehungsweise habe ich gerade gar keine Sorgen. Ich war also hocherfreut, die Kleine beim Boss sitzen zu sehen, der sie lauste und nahe an sich ran ließ, was auch nicht immer möglich ist, denn eine Weile fauchte er sie nur an. Wie oft habe ich alles weggelegt, was gerade zu tun war, nur um sie zu betrachten und die rastlose Verbundenheit unter ihnen zu spüren, und dann diese Ruhe, wenn sie direkt vor meinen Augen einschliefen, weil ich sie noch nie verjagt habe. Und danken kann ich ihnen auch nicht, dass sie diese ganz bestimmte Liebe aus mir locken können, manche Tiere, für die der Blick selbst sich verantwortlich fühlt, so als könnte die Herzkraft sie über diesen Weg schützen. Vielleicht kann sie’s ja auch.

 

Die Anbetung

Bevor ich nach Indien kam, kannte ich nur einen einzigen Menschen, der Yoga ernsthaft praktizierte. Es war in meiner fünfjährigen Zeit im Living Theater, und wir, die wir auch wild durcheinander meditierten, bewunderten ihn oft für sein Schweigen und seine permanenten Übungssessions, die auch nerven konnten und eher an das Unverbundene als an das Lebendige erinnerten. Ich ahnte damals nicht, dass Gene Gordon, so hieß er, so ziemlich der einzige Inder, denn er war Inder, bleiben würde, den ich in Indien unter Indern ernsthaft praktizieren sehen würde, und dem diese Praxis auf Leib und Seele geschrieben schien. Später fand ich dann die Unterscheidungen interessant, die in der Bhagavad Gita gelehrt werden (von Krishna zu Arjun), und die, sprachen sie einen an, einem gemäß der eigenen Anlage Entscheidungsmöglichkeiten ließen. Unter diesen Formen ist die beliebteste  das Bhakti Yoga, also die Anbetung, denn sie erlaubt so  ungefähr jedem, teilzuhaben am rituellen Götterreigen, ohne viel nachdenken zu müssen oder zu wollen. Man braucht, so meint man gern, einfach nur Hingabe. Von Anfang an hatte ich eine natürliche Abneigung gegen diesen Weg, dem man in Indien nicht ausweichen, an dem man aber vorübergehen kann, wenn auch oft mit Rührung im Herzen über die Schönheit ihrer Gesten und ihre demütige Hingabe an das, was sie als größer und mächtiger empfinden als sich selbst. Am schlimmsten traf es bei dieser Anziehung aber die Foreigners. Jahrelanges Trommeln und Chanten und stocksteifes Herumsitzen war die Folge, und immer rührte etwas sehr schnell an das Unglaubwürdige und Peinliche. Auch wir, die wir uns dem Wissen zugewandt hatten und buchstäblich Tage und Nächte (und viele Jahre) durchgeackert hatten mit Sitzen in höchsten Anstrengungen der Konzentration, landeten irgendwann in herbem Erwachen. Nicht, dass dieses stille Sitzen jemals ein Verlust sein könnte, aber etwas anderes kam in die Quere, das, ich wechsle jetzt zum Ich, mich nicht mehr losließ. Nämlich genau dieses zumeditierte Ich, ganz auf westlichem Boden gewachsen, stand auf einmal mitten in der Yogasonne und warf einen Schatten. Sudhir Kakar, ein indischer Psychoanalytiker, hatte einmal in einem Artikel in der Zeit berichtet, warum Therapie in Indien schier unmöglich war, da „das Ich“ keinerlei Aufmerksamkeit erhielt und das bewusste Reflektieren der persönlichen Geschichte, auch noch ohne Götter, völlig unbekannt. Wenn er in Indien überhaupt arbeiten konnte, dann nur mit Einberaumung der Götter. Hinter uns  westlichen Fremdlingen aber dröhnte, wenn wir Glück hatten, früher oder später unser westliches Ich mit seinen Abgründen und unverarbeiteten Konflikten, die offensichtlich kein Yoga und kein Meditieren wirklich an die Oberfläche bringen konnte. Von dieser indischen Praxis aber zurückzukehren mit Wachheit und Aufmerksamkeit, das verlangte schon einiges an neuer Versenkungs – und Erkenntniskraft. Vor einiger Zeit überkam mich endlich die erfrischende Nüchternheit, die es ermöglicht, mit einer gewissen Heiterkeit auf das Ganze zu schauen. Und genau diese heitere Nüchternheit macht wiederum möglich, zu wissen, dass z.B., der See in Wirklichkeit eine von künstlichen Leitungen genährte Dreckbrühe ist, in die ich schon sehr lange keine Hand mehr hineinhalte, dann aber auch eine glitzernde Oberfläche, die lebensnotwendig ist, weil sehr viele Familien im Dorf von der Anbetung der Menschen abhängig sind, und vice versa. Deswegen wird weiterhin Wasser, Milch und Butter über den göttlichen Penis gegossen, ohne dass jemand es hinterfragt, weil das Ich des Gießenden noch keine Ahnung hat von der eigenen Wirklichkeit und ihrem Potential, sich in alle vorstellbaren Weiten auszudehnen, dann aber auch das persönliche Ich und seinen gewebten Teppich nicht aus den Augen zu verlieren, damit der Kern der Sache nicht verloren geht.

 

Das Virus

Das Virus ist unsichtbar, aber mächtig in seiner Wirkung. Es verursacht das schier Unmögliche. Es friert Luxusschiffe am Hafen ein. Es blockiert den Welthandel. Es befördert riesige Gruppen von Ärzten nach Wuhan, wo die Leichen sich häufen. Erst soll es der illegale Fleischmarkt gewesen sein, dann das Pangolin, ein Schuppentier, dann die Fledermaus als Angsttransporter. Die Angst vor den Chinesen war ja schon vorher da, man weiß nie geanu, was alles von wem in den Chow Meins enthalten ist außer chinesisch gebratene Nudeln. Ich wusste gar nicht, dass ein Lieblingsessen der Inder das chinesische Essen ist. Jetzt, so höre ich, schleicht sich eine Bedrückung ein beim Anblick chinesischer Restaurants und chinesischer Reisender, so als würde der Tod einen anspringen, wenn man sie sieht.  Dieses ganze Geraune nimmt etwas psychisches Gewicht von den Muslimen, die ja gerade noch das Feindbild darstellten, das man auslöschen wollte. Jetzt das Virus, alle zusammen auf dem planetarischen Luxusdampfer gefangen, vereint in potentieller Todesgefahr. Anderswo, davon kann man ausgehen, rotieren die Forschergehirne. Wer das Serum findet, dem lockt der Nobelpreis. Ein Anderer sagt, dass es zu spät kommen wird, selbst wenn es gefunden wird. Zu spät für was!?  Auf meinem Rückweg von der Morgenrunde meinte mein ehrenwerter Hausbesitzer zu mir, ich solle zu Gott beten, dass das Virus nicht nach Indien kommt. Er weiß nicht, dass ich da oben keinen Ansprechpartner mehr habe. So eine Seuche wird ja gern als Strafe für das Gottlose gesehen. Außerdem i s t das Virus schon im Land, drei Fälle im Süden, zwei Verdachtsfälle in der 12 km entfernten Stadt. Man stellt sich ungern vor, wie überfordert die Inder sein würden mit so einem schnellen Ausbruch. Der Internationale Airport in Delhi wird heute in der Zeitung nach einer deutschen, mathematischen  Studie als einer der gefährlichsten Ansteckherde  genannt. Na mal sehen, in drei Wochen bin ich auch dort und sehe mich schon schwer atmend unter dem Mundschutz die üblichen Torturen durchwandern. Anmerkung: am besten selbst einen Mundschutz basteln über das Apothekending drüber. Das war ja ursprünglich gegen Swineflu gedacht, aber jetzt denkt man, wenn auch gemäßigt, an nCoV, wie es neuerdings genannt werden soll. Wenn was mal einen Hausnamen bekommt, kann man davon ausgehen, dass es eine Weile bleibt. Auch wird gemunkelt, dass es vielleicht nie wieder geht. Viele gefährliche Dinge sind nie wieder gegangen,oder zurückgekehrt, wenn man sie für besiegt hielt. So geht man entlang mit den neuen Erscheinungen, nicht z u gefesselt von ihnen, aber sie auch nicht ganz missachtend. Denn wer stirbt schon gern, wo man doch immer denkt, man hat  noch was Zeit. Das Virus ist somit auch ein Illusionstöter, denn wer sagt, man könne nicht jederzeit in den vielen Momenten eine falsche Bewegung machen, und schwupps!, pustet einen das Virus von der Rundform. Auf jeden Fall haben wir schon mal 73 Inder zurück vom Cruise Liner World Dream, die alle virusfrei sind, und dann harren noch 138 Inder aus auf der Diamond Princess, wo 69 Passagiere sich angesteckt haben. Derweil ist die Luft noch verhältnismäßig rein hier bei uns, und man kann tief durchatmen.

Zora Neale Hurston

 

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Es gibt Jahre,

die Fragen stellen

und Jahre,

die antworten.

Sunny

  1.  
Der Samstag zeichnet sich hier dadurch aus, dass der Bazaar fast aus den Nähten platzt mit durchpilgernden, indischen Familien aus der rasant anwachsenden Middle Class, die alle ausnahmslos ein Smartphone in der Hand halten, um das vorüberziehende Leben, wie es halt so erscheint, festzuhalten. Sie sind auch gut ausgerüstet mit externen Festplatten, um die unüberschaubare Fülle der Selfies unterzubringen. Dann ist natürlich Verehrung des schwarzen Steines, dort fließt das Öl in Strömen. Man sieht oben in den Bildern einmal die Spenden-Box des schwarzen Gottes und eine der Ölgefäße, die den ganzen Tag lang brennen, einer Art heiligem Verdauungssystem all der Wünsche, die dort hingetragen werden. Es lohnt sich schon, samstags mal vorbeizugehen, denn das Schwarz des Tempel -Podiums ist so tief, dass alle Blumen darauf zum Leuchten kommen. Man bringt vor allem Hibiskusblüten und versteht dadurch die Erotik des Spiels, ohne die es nicht funktionieren würde, beziehungsweise sie, die Anbetung, käme ohne Blüten und Öl nicht in Schwung. Das alles sind geheimnisvolle Vorgänge, bei denen eine gewisse Bewusstseinsförderung nicht vonnöten ist, es wird eher auf die Qualität der Hingabe geachtet. Man kann da sehr schöne Aspekte der indischen Seelenhaltung wahrnehmen, die uns Westlern verschlossen sind, und alles Kopieren dieser Gesten wirkt eher peinlich. Es hat die Fremden in Indien schon immer ergriffen, wieviel Einfaches und Schönes möglich ist unter Menschen und Göttern, aber meist hat es nicht gereicht bei uns und ist in den Handlungen stecken geblieben. Nicht gereicht für den Punkt, auf den das alles hindeutet, bis auch der sich auflöst im Nichts. Zu fürchten sind ja letztendlich nur die Vorgaukeleien, so als wäre da jemand, der gar nicht da ist. Deswegen hilft es nichts, wenn man den Weg zu Shani und den Göttern kennt, denn es heißt doch nur, dass man den Weg zu sich selbst noch nicht kennt. Ein paar Schritte weiter vom Dunkelfeld kommt man an Krishna vorbei, den alle lieben. Am Gitter um seinen Tempel herum hängen eine Menge kleiner Kleidchen aus teurem Material, die dem Marmorgott gehören und der jeden Tag hübsch angezogen wird. So ist das, und die wärmende Sonne tut gut im Vorübergehen am Unmaß der Widersprüche. Ich laufe zur Zeit rückwärts, so oft ich kann. Das soll gut sein für die Muskulatur, meinte mein Hausbesitzer, und als ich es ausprobiert habe, fand ich es erstaunlich angenehm. Schließlich ist Samstag, und alles offen wie immer.

Das Bedeutungslose

Eingebettet in den kosmischen Vorgang liegt die menschliche Last des Bedeutungslosen. Was so sicher schien als Gehäuse, entpuppt sich im Alleingang oft als zerrinnender Staub. Das Vorgefundene und das Vorgegebene überwältigen den persönlichen Eindruck, was zu beklemmenden Fragen führt, und zuletzt zu der einen. Wohin führt er, der eigene Blick. Wohin webt er, mit meist unbedachtem Gehalt, das atomare Feld seiner Möglichkeiten in das gemeinsam sich bildende Mustergewebe, wo es treibt, was es kann, ohne dass wir es ahnen. Der eigene Blick also und nur dieser Blick, geschult durch innere Prozesse, gibt der Welt, die wir sehen, die Deutung, aus der wir bestehen. Unser Denken, unser Fühlen, die Handhabung unserer Instrumentarien, das Maß an unermüdlichem Einsatz, um das Sein und die Seienden nicht zu stören durch eigene Bedürftigkeiten, durch beschwerende Leere, durch Ausweichen auf ein Bedienertum. Ganz so, als könnte man dem Logbuch vorgaukeln, wo und wie man unterwegs war, und die Nadel des Kompass‘ hätte von selbst sich verbogen und einen d a abgesetzt, wo man gezwungen wird zur Entscheidung, anstatt sie freiwillig zu fällen, als alles noch möglich war. Im durch Bremsvorrichtungen verzögerten Verlauf eigener Geschichte wechselt die Bedeutungslosigkeit willig ihre Kostüme, ihre Orte, ihre Vorlieben. Und doch bleibt sie spürbar, die Frage. Sie sucht sich im berauschenden Treiben des Illusionären das Verstehbare, das sich als einfach erweist: denn es geht keine/r außer mir durch die Welt, die durch mein Dasein entstanden ist. Und ist es nicht gerade die tiefe Anerkennung der eigenen Bedeutungslosigkeit, die mich beflügelt und lächelnd aufwärts trägt, bis ich verschmelzen kann mit dem Undeutbaren, ohne mich selbst zu verlieren.

Meine Sprache

 

Meine Sprache ist aus der
Asche entstanden, aus dunklen
Korridoren des Seins, aus der
sprachlosen Sphäre des Katastrophalen.
Meine Sprache ist Aufstieg aus
dem Unmenschlichsein, aus dem
verbunkerten Einstieg.
Entvatert die genetische Ausrichtung,
die Mutter erschrocken von blockiertem
Zugang zum Lebenswerten.
Da kam meine Sprache, ein Phönix,
heller Vogel der Entwurzelten,
und war mir der Ort und das Wesen.
Nein!, ich leugne weder,
noch bin ich mein Land.
Ich bin meines Menschseins Sprache
und Ausdruck, ein Stammbaum mit
freigelegten Wurzeln, die hinausragen
in die Fülle des Seins.

singen und erzählen


(Kosmische Gauklerin mit ihrer Mondtochter)

Wenn es stimmt, dass man sich d a ruhig niederlassen kann, wo Menschen singen, dann habe ich gut daran getan, mich viel hier niederzulassen, denn noch habe ich keinen Einheimischen getroffen, der nicht singt. Es fängt mit den Mantren an und geht in die beliebten Bollywoodgesänge über, die von d e m singen, was alle gern sagen würden, wenn sie so schöne Worte hätten. Deswegen singen sich die SchauspielerInnen auch in den Filmen gegenseitig an, denn im Gesang steckt vieles drin, was man mit Worten nicht sagen kann. Was die Mantren betrifft, so kann man ein paar Silben oder auch nur ein einziges Wort den ganzen Tag lang singen, denn es gäbe niemanden, der das verstörend finden würde, im Gegenteil, es wird empfohlen. Zum Beispiel das Wort „Ram“ kann gesungen und gesprochen werden, und man kommt gar nicht drum herum, denn Ram ist gleichzeitig König und Gruß und Gott, vielleicht so, wie man ‚Grüß Gott‘ auch mit ‚Grüß Gott‘ beantworten kann, obwohl man gar nicht vorhatte, ihn zu grüßen. Morgens fahren Männer auf Motorrädern gerne laut singend durch den noch leeren Bazaar und schmettern den göttlichen Angstvertreiber in die frische Luft. Frauen singen meistens in Gruppen, aber alle haben Lieder, und in den Gesängen wird von dem erzählt, was alle verstehen, ähnlich wie Witze, die ohne den Hintergrund der Kultur schwer zu vermitteln sind. Ich kenne nur ein einziges indisches Lied, kann aber damit Wunder bewirken. Neulich habe ich einem Dreijährigen ein gefährliches Instrument aus der Hand nehmen können, weil ich das Lied im Takt mit dem Eisen begleiten konnte, was ihn zum Mitklatschen veranlasste. Manchen Ländern, wie z.B. Deutschland, ist vielleicht das Singen vergangen. Es ist ja irgendwie schön für einen selbst, wenn ein Lied aus einem herauskommt, mit dem man die Welt besingen kann. Erzählen ist auch sehr beliebt hier, das kann auch jeder. Es gibt sehr schlichte, aber wirkungsvolle Formen, mit denen man sehr viel zu vermitteln vermag, wenn man z.B. einfach aufzählt, was es irgendwo und irgendwann mal gab. Der Priester zählt also vor einer riesigen Menge PilgerInnen auf, was es alles hier gibt, wodurch vieles klar wird, warum sie gekommen sind. Er sagt etwa: Es gibt den Schöpfer, und seine Frau, und seine Geliebte, und es gibt den See, die heiligen Kühe, die Unsterblichkeit, für die man das Wasser umrundet und dann darin badet. Dann weist der Priester darauf hin, was sie selbst, die Pilger und Pilgerinnen, alles haben. Da sind die Ahnen, da ist der Vater und der Großvater, da ist die Mutter undsoweiter. Die Menschen merken dadurch, was es alles gibt, denn die meisten sind ständig so beschäftigt, dass sie gar nicht wissen, was alles da ist. Die Geschichten handeln vor allem von den Göttern, da kann man unbesorgt hinsehen und hinhören, schließlich sitzt man endlich in der Geschichte drin und merkt selbst, wie es ist. Oder auch nicht, es fällt ja nicht weiter auf. Das Wichtigste ist die bloße Anwesenheit, und natürlich der Segen des Ortes. So hält man aufrecht, was unzerstörbar scheint, obwohl sich das, was es gibt, ständig verändert.

Stufen

Heute früh fing das Licht an zu flickern, dann war es aus. Draußen war d a Licht, wo Inverter war. Im Dunkeln arbeitete ich mich, flüchtig geschminkt, zum Besitzer des Hauses durch, der Gebete murmelnd in heller Beleuchtung saß. Sein Lichtstrang war intakt.  ‚Government‘, sagte er und meinte unser Elektrizitätswerk, vor dessen Toren schon einige Proteste stattfanden. Dann sank die Technik naturgesetzgemäß ins selbe Dunkel, Das ging bis 8 Uhr, als das Himmelslicht einiges möglich machte. Ich habe bereits  Erfahrungen mit mir in dieser Richtung und bin immer wieder leicht verblüfft, wie schnell man von gut drauf in nicht gut drauf schliddern kann. So, als würde das Leben auf einmal seinen Inhalt verlieren, weil die Reihenfolge der Gewohnheiten nicht eingehalten werden kann: bei angenehm gestaltetem Dämmerlicht der grüne Tee mit den verfügbaren Kontemplationen, dann das heiße Bad, dann der heiße Milchkaffee mit der sich steigernden Laune, hinauszutreten in die Frühlichtrunde. Alles heute nicht möglich, und das nur an einem Tag. Man erwartet einiges mehr von sich und denkt wie zwanghaft an all die Menschenmassen, die jährlich alles aufgeben müssen, was ihnen vertraut war, und nicht nur für ein paar Stunden. Gut, dann mussten die Geräte aufgeladen werden, und langsam kam alles wieder ins Gleichgewicht auch ohne Morgenseerunde. Ja was erwartet man denn also von sich. Von sich kann man es ja, aber wenn was von außen hereinfunkt und den Ablauf irritiert, dann möchte man vielleicht genug Gelassenheit an den Tag legen und wissen, dass sie das da drüben früher oder später wieder hinkriegen. Außerdem hatte ich auch noch eine Kerze und eine Taschenlampe, die sogar im tiefen Dunkel zu ertasten waren. Auch keine Kinder, die man rechtzeitig zur Schule hinausschieben muss oder sonst was, das unerlässlich ist. Nein, einfach mal die Stunden anders gestalten können und durchhalten, bis alles wieder fit ist und sich einrenkt. Ich hatte eigentlich für heute eine Menge Treppenstufen aufgenommen, die ich genüsslich und bildhaft miteinander verbinden wollte, sodass man geistig auf ihnen auf- und absteigen oder hinauf-und  hinunter hätte steigen können, wenn man einen entzückten Blick in ein potentielles Nichts geworfen hat. Die architektonischen Möglichkeiten eines Gedankentums, das diese Kunst vorzugsweise in die Wüste legt, damit aus der Bevölkerung heranwandern mag, wer möchte, und gemeinsam Treppen, Podien und Raum genießen kann als sich selbst. Gut, das war heute wegen dem elektrischen Kinkerlitzchen nicht möglich, aber meistens ist es möglich, auch wenn einen zuweilen die Furcht anfällt, man könne alles verlieren, nur weil das Licht nicht brennt.

 

gesetzlich

Ein Strang des kollektiven Gedankengebildes in Indien geht gerade zu den immer noch nicht Hängenden, von denen ich nun auch gerechterweise nochmal berichtigen muss, dass sie es geschafft haben, nach dem 1. Februar, ihrem Hängetermin, immer noch zu leben und nun ein juristischer Streit ausgebrochen ist über sehr unklare Rechte bei eindeutigem Unrecht. Vielmehr nutzen die vier Täter der schrecklichen Nacht ihre zum Vorschein kommenden Möglichkeiten, offensichtlich, um Lebenszeit zu gewinnen und am bereits zerbrochenen Strohhalm einer Begnadigung die letzten Tropfen der Hoffnung zu nähren.  Die Mutter des Opfers weinte mehrmals ob des nicht enden wollenden Vorgangs. Eine Frau, Advokatin, setzte sich für die Verurteilten ein. Wir nehmen hier menschliches Leben, meinte sie, und dass jeder das Recht hätte, seine Möglichkeiten auszuschöpfen. Sie schöpfen also weiter, während neue Gesetze gebastelt werden, die solche Vorkommnisse besser lösen. Dieser Fall aber, der „Nirbaya-Fall“, war eines der wichtigsten Ereignisse dieses Landes und ist bereits in die kollektive Geschichte des Grauens eingegangen. Es gab ein Erwachen und ein geradezu episches Erkennen, dass wir in d e m Zeitalter angekommen sind, von dem die Seher sagten, sie könnten sich nicht vorstellen, in so einer Welt zu leben. Wir leben aber darin, und es gibt Momente, da schaue ich wie fast beschämt auf den verhältnismäßig stillen und friedlichen Glanz meines Lebens, auf den Reichtum der Freundschaft, auf die Freude der Begegnungen, die ich erlebe, auf eine, ja, selbst konstruierte Lebensweise, durch die das Vertrauen fließt, dass trotzdem Gutes erzeugt werden kann. Ein schöpferischer Beitrag zum Lebensprozess herzlich hineingegeben: was sollte weiteres von uns verlangt sein, selbst wenn es einen Gott gäbe, oder gibt, oder würde. Es ist ja auch nicht so, dass die Seher und Seherinnen gesagt hätten, es wäre nur Finsternis in diesem Zeitalter. Sie brauchten auch letztendlich gar nichts sagen, denn da balanciert sich ja stetig wie selbstständig etwas aus, was man auch gerne eine absolute Gerechtigkeit nennen könnte. Denn auch wenn dem schnellen Auge das Dunkel zu überwiegen scheint, so gewinnt doch gerade dadurch der Zugang zum Licht an Intensität. Ist es doch die Finsternis, in der das Licht sichtbar wird, auch wenn es erst geboren werden muss, damit man am Ende des Tunnels für sich selbst sichtbar wird. Wenn man das möchte. Die damals Sehenden haben uns also wissen lassen, dass ja, die Dämonen unterwegs sein werden, um ihr unvorstellbares Unheil zu treiben, aber dass der Weg zum Kern des Wesens einfacher sein wird. Wenn man das möchte und bereit ist für die Wunder des Tanzes der unbeirrbar sich webenden Muster.

Hermann Hesse

Nach Art des Algorithmus ist mir dieses Video zugespielt worden, indem es offensichtlich eine meiner Eingaben in eine Ausgabe übergeführt hat, und da war er, Hermann Hesse, einerseits zeitlos und mit höchst willkommener Botschaft, andrerseits wie aus der Zeit gefallen. Eine andere Zeit, eine andere Sprache, vor allem, wenn man ihn persönlich hört. Unsterblich: sein Siddharta. Seine Mutter wurde in Indien geboren.

nah

In der Nacht des Menschen leidet in schwer zu erfassendem Maß auch das Tier, weil es seinem Wesen enteignet wird. Es braucht sehr viel geistige Freude an diesem Fellwerk, dieser Körperkraft und Schwere, dann wieder so leicht in Zwitschern und Flug, dann so akrobatisch meisterhaft, dass man Stunden verbringen möchte in der Nähe solcher Künste. Dann die Eleganz und Schönheit der Kuh, die zum verderblichen Gleichnis mit der Schönheit der Frauen führte. Oh please!, do not compare! Und was ich nicht alles von ihnen gelernt habe wie das tänzerische Ausweichen von Bullen, damit sie einen nicht rücklings zu Boden stoßen, weil die Kommunikation und der Umgang dann doch tiefer erlernt werden müssen, sieht man sie nicht als Störenfriede, sondern als Möglichkeit, mit weitgefächerten Zärtlichkeiten im eigenen System in Berührung zu kommen. Oder in Berührung zum Beispiel mit Mohans Tränen, als er mir heute früh erzählte, dass seine Lieblingskuh verendet ist, als Familienangehörige gesehen, und was für eine von allen geliebte Persönlichkeit sie hatte. Und als ich einmal 10 Tage lang mit einem Kalmelwagen unterwegs war und zugeben musste, dass ich Ali Baba, das Kamel, nicht verstehen konnte. Es sah auch immer sehr kompliziert aus, wie die beiden Kameljungs mit ihm umgehen mussten. Oder dieses hoffnungslose Gefühl, das ich hatte am Amber Fort in Jaipur, als ich sah, dass sie die Elefanten noch immer rauf-und runtertraben lassen den Betonpfad, voll besetzt mit Touristen. Und diese betäubende Anzahl von Tieren, die verbrannt sind in diesen australischen Feuern. Und immer noch verbrennen, und die Kühe immer noch Plastiktüten samt Inhalt fressen, fressen müssen, weil ihnen keiner erklären kann, wie tödlich das Zeug ist,  das hier überall großzügig verstreut wird mit Restlachen von köstlichen Dingen drauf. Ich kannte vor Indien kein Land, in dem Tiere so frei herumlaufen, sodass man immer mit ihnen rechnen muss. Wo man langsam unter verschiedenen Gruppierungen Persönlchkeiten sich herausbilden sieht wie z.B. das Hundepaar, das jetzt sechs Junge hat und jeden Morgen gemeinsam bei einem Meditierenden auf der Matte sitzt, der sich offensichtlich daran gewöhnt hat, dass sie ihn auch zur Familie zählen. Und dann fällt mir noch ein in dem Anrauschen der Bilder, wie Zarathustra, mein Adler, sich eines Tages trotz scheinbar gestutzter Flügel in die Lüfte hob, und mein Herz vor Schrecken fast stehen blieb. Bis es Freude werden konnte über seine Freiheit.