Ich habe wenig Möglichkeiten, den Geist anderer Menschen zu erkunden, die lange Jahre in einem anderen Land als ihrem Ursprungsland lebten, vielleicht mit einer Frage, die ich hier in Indien auch von länger Bleibenden gehört habe: ja, worum geht’s denn, oder ging’s denn, und warum ausgerechnet hier!? Als mich Ramesh, ein brahmanischer Paraphaneliaverkäufer am Ufer des Sees, mal wieder fragte, wie’s mir so geht, konnte ich ihm direkt aus meinen laufenden Gedanken antworten, denn ich hatte wieder einmal wahrgenommen, wie mir das Einfache an meinem Leben so kostbar erscheint, so kostbar diese Muße, mit der ich mich in der Frühe frei auf meinem Weg bewegen und die Freude unendlich tiefer und uralter Gefühle genießen kann. Denn es wurde doch in allen hohen Kulturen gepriesen, die Fähigkeit zu entwickeln, sich an die Essenz und das Wesentliche halten und diesen Halt dann irgendwann auch wieder aufgeben zu können, um sich im Gehaltenen vorzufinden. Was wiederum die Möglichkeit schenkt, eine Sicht zu erlangen, die ungetrübt bleibt von den vielen Angeboten und Verwirrungen und Verirrungen, die neue Berufe erschaffen, die einem aus den Abgründen Fluchtwege bauen aus der eigenen Inszenierung. Ein Satz, der mir hängengeblieben ist aus der Gita lautet ‚das Entsagen wunscherzeugter Taten nennen die Weisen Entsagung‘, wobei hier natürlich vorausgesetzt wird, dass das Entsagen irgendeiner Art von Interesse ist. Oder die Frage, was man wirklich braucht, deren Beantwortung einen erschüttern könnte, wenn man sich solch positiven Erschütterungen aussetzen möchte oder kann. Das einfache Leben hat sicherlich mit dem möglichen Überblick zu tun, wenn die Geschehnisse nachvollziehbar bleiben und einfach zu handhaben sind. Gar kein Zweifel, ich habe die Liebe für das einfache Leben von Indien gelernt. Einfach dadurch, dass sie es mich haben erforschen lassen , ob es geht, und es ging, weil sie in ihrer Ewigkeit Schutzräume eingebaut haben für diese Praktiken, die aus der Überwältigung in die Schlichtheit führen können, aber nicht müssen. Auch das Steckenbleiben in hohen Ansprüchen gehört zum Handwerk, denn man möchte doch zu gerne, dass „simple“ ‚einfach‘ bedeutet, was es dann doch nicht ist. Die Inder selbst wandern gerade zielstrebig heraus aus dem einfachen Sein, das noch Kultur war, als ich hier ankam, sie das kollektive Vermächtnis nicht als das ihre empfinden, womit sie recht haben. Von Kleidung bis Gedanken strahlte vor Jahren noch noch alles eine zeitlose Eleganz aus, die natürlich immer auf allen Ebenen möglich ist, wenn sie zur persönlichen Werteskala gehört. Was zur Zeit hier in großen Bewegungen läuft, interessiert mich nicht so sehr, denn ich bin ja im Westen schon einmal davon weggegangen, nicht so sehr wegen dem ansteigenden Materiezwang als des gänzlich unerwarteten Glücksfalls, der mich nach Indien brachte. Zu den Zwiebeltürmen und den Pfauenschreien. Zu den schönen Kühen und der Wüstenstille. Zu der Belichtung innerer Dunkelheiten, zu erlösendem Lachen und tiefer Ernsthaftigkeit. Simple living, high thinking: untopable truth. La vita contemplativa.