Vakuum-Spreader

19th Century brass laboratory vacuum pump engraved `E. Ducretet & Cie, Rue des Ursulines 21, PaJoachim Löw – Wikipedia

Es werden so viele neue Worte erfunden, da kann man ruhig ab und zu mal selber eins ins Spiel werfen. Auch die Symbolik kann man selbst bestimmen: hier eine Vakuum-Pumpe aus dem 19. Jahrhundert neben Jogi Löw, mit dessen Namen man auch stets spielerisch umgehen konnte, und nun ist halt passiert, was man, auch ohne zu viele Emotionen lieber anders gesehen hätte, auch weil es das eigene Schauen betrifft. Zweifellos lag eine geradezu unheimliche Spannung in der entfesselten Atmosphäre der zugelassenen tausenden von Fans, eine Art englischer Kumbha Mela, für deren Erlaubnis ein weiterer Männerclub sich vermutlich nicht verantwortlich zeigen muss, wenn in der dort galloppierenden Variante die drei Gs sich doch nicht so verlässlich gezeigt haben. Erstaunt hat mich dann doch ein kleines Mädchen, die gar nicht aufhören konnte zu weinen über den Verlust, und ob sie sich später wohl erinnern wird, mit was er verbunden war. Oder hat er auch nur gedient für etwas ganz anderes, zum Beispiel einfach ein Wunsch nach viel Weinen. Auch zum Beten gefaltete Hände konnte man sehen, und für Thomas Müller war es auch nicht so schön, dass der Fußballgott ihm praktisch das Tor vor die Füße legte. Das wäre auch für ihn ein guter Abschluss geworden, wobei diese wichtige Frage  natürlich auch auftaucht, nämlich wann ein guter Abschluss ist, als könnte man das vorher ahnen. Und doch gibt es ihn. Siege und Gewinne können im Augenblick ihres Geschehens ungeheure Emotionsgewitter hervorrufen, die man günstigerweise lernen muss zu verschmerzen, egal, wo sie auftauchen. Für die, die noch  Trauer zu bewältigen haben, stehen außerdem an öffentlichen Gebäuden heute die Fahnen auf Halbmast, zum Gedenken an die Covidtoten, was man wiederum mit der verblüffenden Anzahl der Fans im Stadium verbinden kann. Ich finde, dass das Wort „Vakuum“ ein sehr passendes ist für den momentanen gesellschaftlichen Befindlichkeitszustand. Wir alle wollen unbedingt wieder reisen, und beim Blick in die mühsam zu bereisende Welt entstehen dann diese Vakuum-Blasen mit den latenten Fragen, die nicht zu beantworten sind. Eben wie’s weitergeht diesen Herbst. Denn auch wenn wir den Lockdown bestens bewältigt haben, will man doch das Ganze ungern nochmal bewältigen, ohne zwischendurch eigene Reiseziele umgesetzt zu haben. Als ich gestern mit Anil in Delhi telefoniert habe, hat mich verstimmt, dass er die tausenden von  Neuinfektionen und der ziemlich hohen Anzahl der täglich an Covid Sterbenden in ein Verhältnis zur Bevölkerungszahl gesetzt hat als doch verhätnismäßig gering, und ich musste etwas Vakuum hineinpumpen. Dann hat mich doch verblüfft, dass er mich fragte, ob Basti Schweinsteiger das Spiel wieder kommentieren würde. Wenn etwas in der globalen Entwicklung sich zum „Normalen“ zugesellt, verliert man leicht den Blick auf die vielen Auswirkungen des revolutionären Vorgangs, der unaufhaltsam stattfindet. Eben: „Sich über alles wundern oder über gar nichts…ja was denn nun!?“ (Aus einem ehemaligen Comic der Frankfurter Allgemeine unter dem Titel „Zank der Philosophen“.)

Muskeln

Wahrscheinlich hat schon irgendwer bewiesen, dass nicht nur die körperliche Form je nach Vorstellung und Praxis wahre Muskulatur-Wunder hervorbringen kann, und nicht nur so mancher Mann ist auch im Business durch gut platzierte Muskeln zu Erfolg gekommen, sondern auch Frauen wie Grace Jones haben davon profitiert – wie komme ich nur jetzt wieder raus aus dieser Gedankenschiene, denn sie führt ganz woanders hin, als die Richtung, die ich einschlagen wollte, und ich würde dann unter Umständen bei den halbschattigsten Anekdoten meines Lebens landen, who knows? Ich steuere also zurück zu der vermuteten Beweisführung, dass auch das Gehirn durch Praxis Muskeln entwickeln kann, was z.B. zur Folge hat, dass man sich selbst bei Spielen, von denen man relativ wenig kapiert, nicht unbedingt langweilen muss. Es kommt auch immer auf das Setting an, in dem etwas stattfindet. So hatte ich tatsächlich um 18 Uhr alles erledigt, was ich mir in der schwülen Luft gerade noch vorstellen konnte, und noch ein Fußballspiel gesehen, bei dem die Deutschen eben nicht gespielt haben. Das war lehrreich, denn tatsächlich musste ich mit meiner Behauptung zurückrudern, die Deutschen hätten diese oder jene auffallenden psychischen Strukturen, die nur auf sie zutreffen. Nein, weiß ich jetzt. Jede/r, der irgendwie und irgendwo verliert, muss sich wieder hochrappeln aus der latenten Traumatisierung, und das funktioniert ja meistens ganz gut, hat man nicht tief in der Urstruktur der Psyche ein resonierendes Leid, was dann angeregt  zu werden vermag und an die Oberfläche gelangen, wo es sich mit dem Leid des Momentes verbünden kann. Außerdem kann man, bemerke ich, etwas entspannter zuschauen, wenn das Spiel des eigenen Landes einen nicht in emotionale Wallungen bringt. Man staunt auch still vor sich hin, was vollkommen durchtrainierte Körper alles leisten können, so als wären kurze Körperflüge doch eine Möglichkeit, was man ja auch von der Kunst des Tanzes kennt. Schwerelosigkeit, Überwindung der Körperträgheit. Beeindruckend- Doch sitze ich  auf der anderen Seite der Scheibe und kann mich durch alle möglichen Beobachtungen schulen und korrigieren. Und wie ausgeklügelt das Ganze in den letzten Jahren geworden ist. Kein Millimeter entgeht dem digitalen Auge, kein Fehltritt, keine Glanzleistung. Der Schiedsrichter, eine interessante Berufung, kann sich zur Überprüfung an den neuen „deus maximus“ wenden und dort Klarheit erlangen darüber, wie es wirklich war. Unterdessen blüht und brütet und wächst die Natur wild vor sich hin oder nimmt mal wieder alles sorgfältig Gepflanzte mit in Strömen von einem Zuviel. Nicht zu viel für sich, sondern den Menschen, der trotz aller inneren und äußeren Muskulatur so anfällig ist, so zart, so ungeschützt, und kein Training und kein Muskel kann es verhindern, dass man umgehen muss mit den Kräften, die sich aus dem Zusammenspiel ergeben. Auch hier gilt der schöne Spruch, dass „Liebe (oder Respekt) der Verzicht ist auf Mord“, auch im Sport. Ein lebendiges und anregendes Spiel wünsch‘ ich, und d a s den ganzen Tag.

Sommerloch

Den Begriff „Sommerloch“ fand ich immer schon fragwürdig, denn das sogenannte Loch besteht doch nur aus bewusst entleerten Orten, die auch ohne die in fremde Länder Reisenden und Rasenden gut zurecht kommen. Und die sich quasi auch von den vielen Verstopfungen erholen können, und man findet auch mal entspannt einen Parkplatz in einer Großstadt, sollte man da hinwollen. Auch da ist kein Summer-Lockdown, sondern im Gegenteil, alle Geschäfte lechzen nach Übriggebliebenen, die kaufen wollen, denn ohne Kaufenwollen geht gar nichts. Aber wir PlanetarierInnen wissen jetzt, dass sich seit dem Virus-Eindringling vieles verändert hat. Einerseits geht die Inzidenz  rapide runter, sodass man sich die Ferien-Turbulenzen ungestört vorstellen konnte. Eben nur konnte. Gestern habe ich vier Gespräche mit Freunden in Indien geführt und bemerkte erstaunt in den Stimmen einen fast schuldbewussten Ton, so als täte es ihnen leid, dass es an vielen Plätzen gar kein Covid mehr in Indien geben soll (schwer zu glauben), wir aber offensichtlich von der zuerst in Indien gefundenen Variante D heimgesucht werden. Werden wir heimgesucht? Da jede Angst, die geschürt wird, ihre Macht ausübt, kann man davon ausgehen, dass dies ein weiterer, anstrengender Sommer wird, von Sommerloch zu Sommerabgrund. Obwohl ich nochmal sagen möchte: ich bleibe trotzdem verhältnismäßig frei in der Entscheidung, wie ich es spielen werde. Dass ich entgegen meiner Abneigung gegen Impfen Covid- geimpft bin, hat nicht geschadet. Man kann auch möglichen Abgrundsszenarien vorbeugen, indem man Entscheidungen trifft, die einem vorher nicht ratsam schienen. Veränderungen sind also möglich, das ist gut zu wissen und zu erfahren. Die Persönlichkeit an sich ist ja meist das Interessante an einem Menschen. Mit der Zeit zeichnet sie sich ab, gestrickt aus all den Gedanken, die keiner s o gesehen und gehört hat, wie sie innen stattfanden und finden. Und um den Kern herum dessen, was man ist und sein wird, ranken und bilden sich all diese anderen Dinge, mit denen man das vorhandene Material geformt hat. Das Persönliche also in seiner selbsterschaffenen Sichtbarkeit, wer kann es leugnen. Und so ist er also jetzt hier, dieser Sommer mit den Borkenkäferwäldern und dem wuchernden Dschungelsegen, überall Natur in Hochform.  Und diese Sehnsuchtssucht nach dem, was man unter dem Normalen verstand, und dem der Zauberteppich entzogen wurde, den es auch nur im Märchen gab. Als man noch im Schlaraffenland umherging und behauptete, dort säßen Löwe und Lamm friedlich beieinander, bevor das Kind eines Besseren oder mit einer Dosis Nüchternheit belehrt wird. Ich würde gegen Ende des Jahres auch gerne, sehr gerne, wieder die Indien-Reise antreten, aber es ist derart ungewiss, was da stattfinden kann und vor allem wie ich mich selber fühle mit all den Nebeneffekten, die das mit sich bringt. Ausloten als Meisterprüfung also. Und natürlich kann man auch alleine am Schreibtisch humorvoll vor sich hinlachen, aber das ist doch eher selten. Und ich bin ganz dafür, dass alle auf ihre oder seine Weise den Sommer zelebrieren (wie auch das Frühjahr, den Herbst und den Winter), bevor die neuen Herausforderungen unseren Geist entweder besetzen werden oder tatsächlich beschäftigen müssen.
Das Photo unserer Katzen ist von C.M. Brinker

Else Lasker-Schüler

 Else Lasker-Schüler (Autorin) | Lebenslauf, Biografie, Werke

Weltflucht

Ich will in das Grenzenlose
Zu mir zurück,
Schon blüht die Herbstzeitlose
Meiner Seele,
Vielleicht – ist’s schon zu spät zurück!
O, ich sterbe unter Euch!
Da ihr mich erstickt mit Euch.
Fäden möchte ich um mich ziehn –
Wirrwarr endend!
Beirrend,
Euch verwirrend,
Um zu entfliehen
Meinwärts!

nachlesen

Der Artikel  lag auf dem Tisch, als ich zurück kam vom Draußen und kann unten leserlich nachgelesen werden. Ich hatte gerade im Radio gehört, dass Aldi vorhat, in Zukunft 4 verschiedene Fleischarten einzuführen und anzubieten. Natürlich will Aldi durch den Vorstoß kein Geld verlieren, aber es ist trotzdem ein Schritt in die Gehirne der KundInnen, die in neue Entscheidungen quasi gezwungen werden darüber, wieviel Gras z.B. eine Kuh betreten darf, bevor sie zur Verspeisung abgeholt wird. Das erledigt auch beileibe nicht alle Quälereien, die auf Erden üblich und akzeptiert sind, bevor man von den zeitweiligen Empörungen wieder ablässt und sich fragt, welche Art von Wahrnehmungen denn nun eigentlich angebracht sind für einen selbst. Ich habe kein Problem mit der Menschenmöglichkeit, mich vom Weltgeschehen zeitweilig zu distanzieren, denn auch das Mitgefühlte verblasst, und nach Moria kommen Leichen am Ganges und Verfolgte und dann auch mordende Muslime, alles dann doch Einzelschicksale, die einem allerdings durch die inneren Bewegungen menschliches Schicksal  zu Herzen führen, sodass man sich schulen kann im freiwilligen Mittragen des Leides. Günstigerweise gleichzeitig mit dem Zulassen der Liebe, und welcher Liebe, und wie überhaupt die Grenzen des Hungerns nach allem Möglichen überschreiten und Raum finden auch für das Unsagbare. Denn es bleibt doch unsagbar, wenn das Quälen der Wesen einfach nicht aufhört, und man nie wieder herausfinden kann, wer der mordende Somalier eigentlich war, bevor er psychisch am eigenen Hass erkrankte, vielleicht am schwer zu kapierenden Unrecht in der Verteilung der Güter und der Hautfarben und der zugestandenen Rechte.  Und man darf  vor lauter Grauen und Schrecken nicht vergessen, dass sich immer auch Pfade bahnen in die lichteren Richtungen, nur, dass man sie auch für sich klären muss: was bedeutet das, eine lichtere Richtung zu wählen, und lichter als wer? Es ist verständlich, dass die Mutter von Derek Chauvin Leid erfährt, wenn der Sohn, den sie für den besten der Welt hält, trotzdem vor aller Augen gnadenlos auf die Ader des Schwarzen gedrückt hat, damit alle sehen können, was für ein ganzer Kerl er ist.  Auch für die unergründliche und unerbittliche Torheit und Dummheit des Menschen kann man Mitgefühl haben. Kann man?

Der Text:

Die Fleischindustrie hat sich in den letzten Jahrzehnten ein perfektes System geschaffen, das es ermöglicht, alles zu unternehmen, was der Profitmaximierung dient. Das Prinzip ist vergleichbar mit der Mafia;  Die Fleischbranche hat das nur noch mehr perfektioniert: Dinge, die eigentlich illegal sein müssten, wurden sogar legalisiert. Wir sprechen hier von institutionalisierter Tierquälerei in der Nutztierhaltungsindustrie. Da ist es nur folgerichtig, dass man sich „handzahme“ Behörden schafft, die diese Tierquälerei kontrollieren und auch noch für gut erachten. Ein Landwirtschaftsminister, der wirklich seinen Job macht, würde wohl schneller rausfliegen, als man gucken kann, weil das als Bedrohung für die Branche wahrgenommen würde. Mit der momentanen Politik, egal ob rot, schwarz, grün oder sonstwas, wird es keinen echten Wandel geben. Uns läuft die Zeit weg, und die Lösungen, die jetzt kommen, um den Klimawandel und andere große Probleme anzugehen, oder auch zukünftige Pandemien zu verhindern, sind, als hätte man versucht, das Problem auf einem Bierdeckel zu bewältigen. Nichts davon hat die Tatkraft oder die Wucht, die nötig wäre, um diese Probleme zu lösen.

Friedrich Mülln

(sich) hüten


Traveller
Es ist doch erstaunlich, wie viele Menschen zur Zeit darauf hinweisen dass, wenn „wir“ unseren Lebensstil nicht verändern, die EnkelInnen keinen lebenswerten Planeten vorfinden werden können. Natürlich weiß man heute genauso wenig wie in irgendeinem Früher, was uns Menschen noch alles einfallen wird, um  d a s, was man als die bedrohlichste Gefahr sieht, abzuwenden. Allein auf der Science Fiction Ebene, auf die wir uns schon als Weltgemeinschaft gehievt haben, kann es skrupellos und unbedenklich weitergehen, denn wer will (z.B.) nicht den schnellen Beförderer G5 kriegen, und wer ihn nicht will, ist eh schon zurückgeblieben. Und man nimmt beim kalten All-Ritt selbstverständlich auch das Wissen mit, das es einem ermöglicht, als Mensch so weit vorzudringen in die lästige Verschlossenheit des Universums, bis man genügend Data ansammelt um zu wissen, dass man auch darin ohnmächtig ertrinken kann. Und ja, der Kapitalismus bietet bei aller Erfüllungskompetenz keine redliche Antwort, und vor allem auch kein Genug! Da ist man dann wieder allein und muss heraustüfteln, aus was ein Genug bestehen könnte, wenn man es überhaupt erforschen will. Und wer soll den vielen Menschen beibringen (wollen), hey, du bist auch beteiligt an der Beraubung der Kindheiten in fernen Ländern, wo die preiswerten Schnäppchen herkommen. Und wer bietet das überhaupt alles an, sodass man nur zugreifen muss, um zu haben, was man will. Und bezahlen dafür natürlich muss man schon, das ist der Deal, das ist hart, denn dafür muss man viel arbeiten, das ist er, der Kreislauf des Habens, und ist nicht immer kompatibel mit dem Kreislauf des Seins. Und ich würde auch sagen, dass der Mensch, also zum Beispiel ich, mich nicht zu weit wegbewegen sollte von der Natur, denn es entgeht einem sonst zu viel von dem, was wirklich schön und erlebenswert ist. Ich favorisiere ja das Wort „HüterIn“, am liebsten gleich „Hüterin“, weil sich der männliche Geist m.E. in der Hüterrolle nicht sehr bewährt hat, und ja (unauffälliges Gähnen), die Frauen haben auch mitgespielt. Aber ist jedes Spiel nicht irgendwann einmal zu Ende? So wie „das Geheimnis Tod“ uns das vormacht, wenn es sich wie zufällig an unsere Schwelle wagt, aber weiter geht’s trotzdem, meistens erschütternd fließend, ohne einen selbst. Da steht man dann an irgend einem Tor mit dem ganzen Pakt, den man geschlossen hat. Hat man geschadet, hat man geraubt und geglaubt, das wäre irgendwie tragbar. Gestern habe ich gehört, es wäre normaler Usus für Gärtner, die als widerlich und gefräßig empfundenen Schnecken mit einer Schere mittendurch zu schneiden, Salatterroristen, die sie nun mal seien. Und klar, dass seit Jahren, wenn es ein Moskito schafft, sich durch meine Vorhänge zu arbeiten, dort schon meine Mordwaffe bereitliegt, eine schlichte Sandale, die das Ziel durch ihre Biegsamkeit selten verpasst, was wiederum zu einem Blutfleck an der Wand führen kann. Der Dalai Lama, der bei solchen Gedanken, in gefährlicher Nähe zum Naiven,  gut als Joker Karte dienen kann, würde zum Beispiel vom Moskito auch genervt sein, sagte er, aber nicht töten würde er das Tier, sondern vielleicht eher fangen und raustragen, oder mehr darauf achten, dass sie nicht reinkommen. Zum ersten Mal fällt mir die Verbindung von „Hüten“ und „Verhüten“ auf. Wer verhüten kann, was er oder sie nicht will, ist vermutlich zum Hüten besser geeignet. Nicht, dass man den Erfahrungspegel nicht ausreizen sollte. Aber irgendwann, denke ich, muss man die vorhandenen Einstellungen soweit klären, dass eine Richtung zu erkennen ist.

unentschieden

Es kam, wie es kommen musste, nein, nicht musste, sondern es war, wie es war: (auch) ich blieb bis zum letzten, halbbitteren Tropfen deutscher Ballspannung, obwohl ich zwischendurch dachte, nee, muss ich mir nicht reinziehen, aber dann doch antat, diese qualvolle Spielweise, die man dann ein spannendes Spiel nennt. Vor allem, wenn am Schluss dann doch die mindeste der Möglichkeiten erreicht wurde, auch wenn es kein glanzvoller Durchgang der Gladiatoren war, sondern fußballernde Menschen mit hohem Kopfpreis, die im immer enger werdenden Netz nach kaum auffindbaren Chancen suchten. Und dunkle Konflikte bahnen sich ihren Weg durch die dafür geeigneten Labyrinthe, wo man d e n roten Faden aufgreift, der einen letztendlich dann doch in heiterer Stimmung zum Ausgang lenken kann.  Natürlich erwartet man fast automatisch von denen, die persönlich oder als Gruppierung eine gewisse Meisterschaft errungen haben, eine gute Leistung, wegen der man ja dasitzt. Man muss auch aushalten, wenn einer, der schlechter spielt, trotzdem weiter kommt. Überall ist Auslotung. Mich interessiert das Spiel der Deutschen auch, weil es bei allem Können unberechenbar ist. Berechenbar ist nur das, eben dass man sich auf nichts verlassen kann. Hier drängt sich der schöne Satz auf, dass nur das Spiel weiß, was auf dem Spiel steht. Und obwohl man den grimmigen Orban ohne weiteres in eine Flatscreen hineingrollend visionieren konnte, war es angenehm, auch den Ungarn den Sieg zu gönnen, das hätte vieles vom Verlust ausgleichen können. Verlieren ist ja nicht einfach, sondern eine Kunst für sich, die geübt werden will. Also ich denke, abgesehen von der Freude am Spiel, dass ich da immer mal wieder gesessen bin, weil mich die deutsche Psyche interessiert. Sind diese Befindlcihkeiten, die man unter den Spielern wahrnimmt, nicht noch dieselbe Todesangst vor dem Abgrund, in dem durch vernachlässigte Menschlichkeit zu große Verluste verursacht wurden,  sodass ein (deutscher) Mensch nie wieder sicher sein kann, dass das Grauenhafte nicht jederzeit (wieder) einbrechen kann in den Raum, den wir gerne, wieder ganz frisch im Pandemie-Geschehen, die heiß vermisste „Normalität“ nennen. Die Norm also des Gehirngewaschenen, das in finsteren Gängen seine Untaten ausbreitet. Und deshalb gibt es die Gewissheit des Siegens nicht mehr, sondern man kann von Glück sagen, wenn man es hinbekommt, die eigene Position und Person einigermaßen im lebendigen Prozess zu integrieren. Unvergesslich in diesem Kraftakt wird auch die politische Tragik-Komödie mit der verbotenen LGBT Beleuchtung des Stadions bleiben.  Diese bewundernswerten Aktionen, die damit einhergingen, du meine Güte, nicht nur Fähnchen, sondern auch vielfarbigen Mundschutz zu produzieren und zu verteilen. Schildkrötenmäßig bewegt sich die Nachfrage nach menschlich erweiterten Verhalten-und Denkweisen voran, aber siehe da, es kommt der Tag, wo man bezeugen kann, wie ernst es manchen unseren PolitikerInnen ist, Farbe zu bekennen mit Themen, die vor Kurzem noch undenkbar schienen. Wenn eine unleugbare Wahrheit sich durchzusetzen vermag in der Gesellschaft, kann es einen Sog erzeugen. Denn schließlich und endlich wollen alle als Menschen erkannt und akzeptiert werden. Und schrecklich genug war der historisch irrgeleitete Erfolg der abgenickten Gehirnwäsche, dass irgend eine andere Rasse weniger Recht hat auf Leben als die andere oder eigene. Die eigene? Was für eine Rasse ist das? Und auf dem Spielfeld sind noch die letzten Spuren dieses unbeschreiblich grauenhaften Tuns zu spüren: einerseits wollen viele, dass die Deutschen sich als Meister beweisen, und andrerseits spürt man dieses Lechzen danach, dass sie endlich besiegt werden. (Auch) deswegen ist ein 2:2 eine ideale Lösung, zumindest für diesen Moment.

zuschauen

Dann gibt es natürlich all das einigermaßen Vorhersehbare, das auch dem Ungewissen unterliegt, aber die meisten der Termine, die Menschen so haben, können eingehalten werden. Denn der durch unvorhergesehene Vorkommnisse entstandene Schockzustand ist eher die Ausnahme, zumindest für jede/n Einzelne/n. Ziemlich vorhersehbar ist auch, dass ich heute das Fußballspiel zwischen den Deutschen und den Ungarn sehen werde. Nur ich kann mir erklären, warum ich das weiß. Und warum ich es überhaupt mache, da es mir nicht gelungen ist, bei all den Meisterspielen für Europa und Welt, die Spielregeln so zu verstehen, dass ich die Spielart über sie verstehen kann. Es fehlt der notwendige Funke des Interesses. Aber ich lernte doch über die eigene Sehweise, wie z.B. die Meisterschaft aus Teamwork entsteht, und wie geradezu vollkommen das Zuspiel zuweilen war, sodass man von Genuss durchaus reden konnte und kann. Und man hatte selbstverständlich Glück, wenn man in der Ära Sebastian Schweinsteiger schon zuschauen konnte, und hat sich mitgefreut mit vielen Fans neulich, als Schweini da rumstand und bei Nahaufnahme einen gut gereiften Eindruck machte. Unvergesslich auch die Szene, als das Blut des redlichen Kampfes auf dem Heldenantlitz zu sehen war, und wer weiß, was mir noch alles einfallen könnte, wenn ich darüber nachgrübeln wollte. Natürlich kann ich mich auch nebenher fragen, warum ich nur die Spiele mit den Deutschen schaue !! Nagt da eine verborgene Patriotin unbemerkt an einer Synapsenkurve? Nein, es ist viel einfacher. Ich kenne ja gar niemanden in den anderen Ländern außer vielleicht Ronaldo, wer könnte ihn vermeiden oder übersehen. Da ging e r , der noch nie, so hörte ich, einen Ball in das deutsche Tor gebracht hatte, da gelang ihm genau das, ja, er hatte einerseits die Kette des Wahrscheinlichen durchbrochen, aber dennoch siegte das Team nicht. Da passieren schon bittere Dinge, die tief in die Seelen der Spieler eingreifen. Wenn man für so viel Geld gekauft wird, und kommt dann doch nicht mit einem Kranz aus der Arena. Was ich bei den Spielen mit den Deutschen immer interessant fand, war die Möglichkeit, den deutschen Team-Geist zu beobachten. Wenn ich’s recht bedenke, ist doch letzten Samstag eigentlich ein Wunder passiert. Das Tor der Portugiesen war gefallen, da erwartete man eigentlich die abgründige Erstarrung des deutschen Kollektiv-Geistes, eben da, wo man als ZuschauerIn gerne eingreifen würde und sagen: jetzt bitte nicht ins Trauma des Versagens verfallen usw…., und siehe, sie kamen tatsächlich wieder heraus  und spielten sich, geistig begleitet von Millionen von Schauenden, an die einsame Spitze. Einsam, weil alles so ungewiss ist, keine Garantie, wie es ausgeht. Auch in Indien hatte ich mir angewöhnt zu wissen, wann Cricketspiele stattfanden, oft zwischen Indern und Pakistanis, denn man konnte der Wirkung des Ausgangs nicht entfliehen. Am besten war es natürlich, wenn die Inder gewannen, dann war wirklich jeder gut drauf. „Jeder“ muss man hier als jeder Mann lesen, aber ich denke, dass es auch drinnen den Frauen besser ging, wenn ihre Seite gewann, wobei sie wahrscheinlich selber vor dem Fernseher saßen und wussten, was auf sie zukommen würde. Mucksmäuschenstill kann es da oft werden, bis man sich selbst beim Aufspringen und Yeah!- Schreien ertappt und sich fragt, wo diese Kräfte sonst wohl so vor sich hinschlummern.

kontrollieren (?)

Die Theorie und Praxis des sogenannten „Hier und Jetzt“ erzeugt vor allem an d e m Punkt eine Wirkung im Inneren, wenn man tatsächlich versteht, dass der lebendige Moment, gerne von mir „der Nu“ genannt, der einzige Zeitraum ist, in dem man aktiv anwesend sein kann und von d e m Ausdruck geben, was sich in einem bewegt. Alles andere unterliegt der Täuschung, weil das Illusionäre und Flüchtige des Vorgangs, in dem jeder Einzelne sich bewegt, keinerlei Garantie birgt für Bestand oder Sicherheit, denn es unterliegt keiner Kontrolle, mag das auch immer wieder so empfunden werden. An bestimmten Politikern, die sich gnadenlos an ihren Sitzen festkrallen, kann man natürlich auch studieren, wie eine mit ungeheurem Kraftaufwand betriebene Ichsucht eine gewisse Vorhersehbarkeit hervorzubringen vermag, denn man kann in der Tat die Matrix und ihre Gesetze bezwingen, wenn man bereit ist, den angemessenen Preis dafür zu zahlen. Überall, wo etwas, das als das Fließende erkannt wird, zum Stocken gebracht wird, gibt es Stau, der wiederum neue Lösungen fordert. Oder gar keine mehr zulässt, das dauert oft lange. Solange sich auf der Autobahn (z.B.) die Schlange noch ein bisschen bewegt, bleibt man zwar angespannt, aber zuversichtlich, dass man weiterkommt. Kommt es aber zum Halt und nichts bewegt sich mehr, dann bleibt einem nichts anderes übrig, oder vielmehr ist es günstig, die Lage vorerst als das, was sie ist, zu akzeptieren. Oft passieren ja Dinge, die keiner vorhersehen kann. Vielleicht ist wegen der notwendigen Akzeptanz in ein paar hundert Autos plötzlich eine geistige Raumlücke entstanden, durch die Beweglichkeit wieder in Gang kommt. Ich meine das ganz praktisch, weil es ziemlich unerforscht bleibt, wie so manche Ballung sich plötzlich auflöst. Man sucht vergebens nach der Unfallstelle, aber es gab gar keine. Natürlich weisen Statistiken und Forschungen und geistige Praktiken auf Möglichkeiten hin, mit dem Ungewissen  angemessen umzugehen, da es sich als einzige Freiheit herausstellt. Eben der ständige Umgang mit dem Ungewissen. Um mich also zurecht zu finden im Chaos des Lebendigen, bleibt mir vor allem die Schulung, die ich mir selbst zukommen lasse, damit ich von mir und auch den Anderen lernen kann, wie man umgeht mit dem letztendlich nicht Begreifbaren. Daher die unterhaltende und unermüdliche Emsigkeit des Verstehenwollens, die ja immerhin den Vorteil hat, dass man sich das allerortens und zu allen Zeiten Beschriebene und Erklärte zu Gemüte führen kann. Zumindest so lange, bis man sich selbst zutraut, d a s zu sehen, was man sieht, und sich von dem, was man denkt, nicht zu solch einem Ausmaß ablenken lässt, dass die Ablenkung beginnt, einen zu steuern. Auch Vortäuschung kann hilfreich sein, weil sie automatisch zur Enttäuschung führt, also zur Erkenntnis, dass etwas ganz anders war oder ist, als man dachte. Oder man schaut sich mal wieder mit der dazugehörigen Faszination eine Meisterschachpartie an. In der Atmosphäre kein Hauch, nur ein hoher Grad von besessener Konzentration, die sich ohne Garantie, aber mit hohem Wahrscheinlichkeitsgrad in eiskalte Zukunftsvariationen wagt, in denen das Gegenüber seine eigenen Konstrukte beherrscht und kaltblütig einsetzt. Hochspannend war es (vor einigen Jahren), den indischen Schachweltmeister Vishwanathan Anand mit einem der berühmten Russen spielen zu sehen. Der indische Geist beherbergt immenses Chaos mit beeindruckenden Ordnungen, die schon dem Kind vermittelt werden, damit es in den ständigen Katastrophen  überleben kann. Er wirkte auf jeden Fall bei aller Konzentration wesentlich entspannter als der russische Gegner, und natürlich ahnt bis heute keiner, wie irgend jemand etwas macht, was man sich nicht vorstellen kann. Kann man sich aber einmal vorstellen oder gar mitbekommen, wie es bei einem selbst ist, dann wird es mit der Zeit schon etwas leichter zu sehen, was direkt vor einem ist oder stattfindet. Man hat ja nur sich selbst, um die Nus, die einem permanent entgegen strömen, auf s o eine Weise zu handhaben, dass sie einen  nicht unglücklich machen. Zumindest da, wo man sich noch frei entscheiden kann.

neti neti (weder so, noch so)


Luxus-Sommermantel von Lamotte
Was einem nicht so alles einfällt, wenn Hitze derart ansteigt, dass man sich am liebsten so wenig wie möglich darin aufhält, und da man wenig ausweichen kann, deutet es eher auf gelungenes Schicksal hin, wenn einem auch das Miteinander unter erhitzen Umständen gut gelingt. Oder der Eyeliner verzweigt sich in nicht vorgesehene Rinnsale, und man kann nicht damit rechnen, dass es dem Gegenüber so verheerend vorkommt wie einem selbst. Dabei hätte man einfach die Sonnenbrille, die man nie auf, aber dabei hat, herausholen können, aber nicht nur kam man nicht drauf, sondern dann wäre man jemand gewesen, der dem Gegenüber oder der Gegenüberin mit einer Sonnenbrille gegenüber gesessen wäre, wer will das schon. Hier hätte ich mich bereits in die Ich-Form stürzen müssen, aber ich habe es nicht getan, sondern gehe davon aus, dass es immer ein paar anwesende SpielerInnen gibt, die unterschiedliche Spielarten kennen, was sich auch in der Hitze in bestimmten Gesprächen günstig auswirken kann, denn Denken findet trotz allem ja statt, davon zeugen die Kulturen. Vor vielen Jahren kam ich in Delhi an, wo ich zum Glück bei Freunden übernachtete. Das Thermometer kletterte auf 56 Grad Celsius. Ich wusste gar nicht, dass man sowas überleben kann, aber man kann, obwohl auch viele gestorben sind. Wir waren den ganzen Tag damit beschäftigt, kalte Handtücher auf uns zu legen, für Denken war da kein Raum. Viele vermuten, dass es in Indien durchgehend heiß ist, aber erst Ende März ist es so heiß wie jetzt hier in Deutschland. Wenn der Wunsch nach schattiger Siesta sich in einem vertieft. In Apulien hat mich dann doch überrascht, dass praktisch so ziemlich alle Läden geschlossen hatten, und das stundenlang, eben so lang, wie eine Siesta dauert, mit Duschen und Entzweigung der Eyelinerspuren. Auch kann es vorkommen, dass man sich einen Kleiderschrank voller leichter und anregender Kleidungsstücke wünscht, die trotz aller Luftigkeit noch einen Hauch an Eleganz vorzugaukeln vermögen. Also gut, an so was denke ich eben heute. Und dass sich bestimmte Wüstenstämme unter der gleißenden Sonne eher noch dichter bekleidet haben mit großen Turbanen, statt Schirmmütze und Shorts. Auch in Indien habe ich das bei uns beliebte Sonnenbraten nie gesehen, weil die rassistischen Einstellungen gegen dunklere Haut nicht wegzudenken sind. Bei Hochzeiten wird die Braut hellgepudert, das läuft ganz selbstverständlich und steigert den Wert des Objektes. TouristInnen aus Japan und Korea sieht man in Indien ebenfalls nie bei bewusster Sonnenaussetzung, hier geht es um den Erhalt des Haut-Porzellans. Als günstigen Einfluss habe ich in Indien während krasser Klimaverhältnisse gesehen, dass das Herunterfahren von den Aktionsfeldern in ein eher sitzendes und verlangsamtes Durchhalteprogramm auch sehr kreativ sein kann. Da einem automatisch wenig einfällt, kann man sich mit etwas Einsatz was einfallen lassen, was vielleicht gerade wegen der Entschleunigung einen eigenen Reiz entfalten oder gar zu schlichten und überzeugenden Weisheiten führen kann wie zum Beispiel die, die es in einer alten, indischen Schrift  gibt über d a s, was das Ganze ausmacht: „neti neti“ nämlich, weder so, noch so, eben nicht beschreibbar, und wird auch die Neti Neti Methode genannt.

Raimund Hoghe

 Choreograf Raimund Hoghe gestorben,
e
iner der wichtigsten Protagonisten
des zeitgenössischen Tanzes

Raimund Hoghe, geboren in Wuppertal, verfasste zunächst Porträts von Außenseitern und Prominenten, die in „Die Zeit“ erschienen und auch in mehreren Büchern zusammengefasst wurden. Von 1980 bis 89 arbeitete er als Dramaturg für das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, über das er auch zwei Bücher schrieb. Seit 1989 entwickelt er eigene Theaterarbeiten für verschiedene Tänzer und Schauspieler. 1992 begann seine Zusammenarbeit mit dem bildenden Künstler Luca Giacomo Schulte, der bis heute sein künstlerischer Mitarbeiter ist. 1994 realisierte er das erste Solo für sich „Meinwärts“, dem „Chambre séparée“ (1997) und „Another Dream“ (2000) als Trilogie über das vergangene Jahrhundert folgten.
Neben seiner Theaterarbeit arbeitete Hoghe vielfach für das Fernsehen und realisierte u.a. für ARTE den Film „Die Jugend ist im Kopf“ über die französische Theaterleiterin Marie-Thérèse Allier (2016), „Lebensträume“ (ZDF/3sat 1994) und 1997 im Auftrag des WDR das einstündige Selbstportrait „Der Buckel“. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt, mit seinen Stücken gastierte er in verschiedenen Ländern Europas, Nord- und Südamerika, Asien und Australien. Er hat zahlreiche Preise erhalten, darunter 2001 den „Deutschen Produzentenpreis für Choreografie“. 2006 erhielt er den „Prix de la critique Francaise“ für „Swan Lake, 4 Acts“ in der Kategorie „Beste ausländische Produktion“. 2008 wurde Raimund Hoghe in der Kritiker-Umfrage der Zeitschrift „ballet-tanz“ zum „Tänzer des Jahres“ gewählt. 2019 ernannte ihn der französische Kulturminister zum „Officier de l’ordre des Arts et des Lettres“. Raimund Hoghe erhielt die Auszeichnung in Anerkennung seiner „außerordentlichen Verdienste um die kulturelle Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich“. 2020 wurde ihm der Deutsche Tanzpreis verliehen – die höchste Auszeichnung, die der Tanz in Deutschland zu vergeben hat. Bücher über seine Theaterarbeiten sind in Frankreich, Deutschland, England und den USA erschienen. Raimund Hoghe lebt in Düsseldorf.


„Den Körper in den Kampf werfen“, schreibt Pier Paolo Pasolini. Dieser Satz: für mich auch ein Anstoß, auf die Bühne zu gehen. Andere Anstöße: die mich umgebende Realität, die Zeit, in der ich lebe, die Erinnerung von Geschichte, Menschen, Bilder, Gefühle und die Kraft der Musik, ihre Schönheit und die Konfrontation mit einem Körper, der – in meinem Fall – herkömmlichen Vorstellungen von Schönheit nicht entspricht. Auf der Bühne auch Körper zu sehen, die nicht der Norm entsprechen, ist wichtig – nicht nur mit dem Blick auf die Geschichte, sondern auch mit Blick auf Entwicklungen der Gegenwart, an deren Ende der Mensch als Objekt des Designs steht. Zur Frage des Erfolgs: Wichtig ist, arbeiten zu können, den eigenen Weg zu gehen – ob mit oder ohne Erfolg. Ich mache einfach das, was ich tun muss.
Raimund Hoghe

In seinem erstem Solo, „Meinwärts“ (1994), beschäftigte sich Raimund Hoghe vor dem Hintergrund der vierziger Jahre mit der Biografie des jüdischen Tenors Joseph Schmidt. In „Chambre séparée“ thematisierte er seine Kindheit im Deutschland der Wirtschaftswunderzeit, das die braunen Schatten der Vergangenheit noch längst nicht abgestreift hat. In „Another Dream“ schließlich dreht sich alles um den Aufbruch der sechziger Jahre. Raimund Hoghes Tanztheater ist explizit politisch, ohne die Form zu vernachlässigen. In seinen minimalistischen Stücken begegnet die rituelle Strenge des japanischen Theaters der amerikanischen Performance-Kunst und dem deutschen Expressionismus mit seinem Interesse an menschlichen Gefühlen und gesellschaftspolitischen Befindlichkeiten. Kleine anekdotische Texte erhellen wie Streiflichter die Widersprüche der Zeit und die kleinen großen Sehnsüchte, die den Menschen Hoffnung geben. Die szenische Aktion bleibt dabei stets der Abstraktion vorbehalten, während die Emotion allein in den alten Schlagern liegt, die Hoghe dem jeweiligen Thema und der Zeit entsprechend sorgfältig auswählt. Dabei formuliert er seine Erinnerungen auf eine Art, die geschichtliche Ereignisse durch den subjektiv und rein privaten Moment hindurch aufruft. Doch sein Körper, der durch seinen Buckel nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht, ist immer auch ein Platzhalter für uns alle und unsere persönlichen Erinnerungen. Zwischen Dingen, Worten und Liedern öffnen sich Freiräume für eigene Erinnerungen und affektive Momente. Es sind durchaus auch humorvolle Momente des Eingedenkens.
Gerald Siegmund

Raimund Hoghe im Interview: »Ich vergesse meinen Körper sehr oft« - SZ Magazin

Spielereien

Das Bild stammt von einem Laden-Café und der Inhalt war im Boden in einer verglasten Vertiefung eingelassen.  Links ein Draht, mit dem man das Ganze belichten kann. Sonst war im Laden alles Fair Trade, kunterbunt gemischtes Zeug in Körben. Auch die Pistolen sehen ganz harmlos aus, gleich zwei nebeneinander in hellen Tönen, denen man schon von Weitem ansieht, dass sie nicht töten können. Es sind Kinderspielsachen, denn jedes Kind, vermutet man, will früher oder später mal irgendwo hinschießen und freut sich, dass das Gegenüber umfällt. In dem einzigen Computerspiel, an dem ich mal teilnahm, musste ich mir als erstes eine Waffe besorgen. Nein, stimmt gar nicht, sondern ich konnte und musste mir einen Identitätsoutfit zusammenbasteln und erinnere mich, dass ich ziemlich happy war mit meiner Wahl. Es war in Delhi und ich spielte mit dem Sohn meiner Freundin und erhoffte mir davon einen Spalt zu seinem Seinsfeld hin, scheiterte aber bald kläglich an der Tatsache, dass ich mit dem Dolch, den ich als Waffe gewählt hatte, ein im Weg stehendes Einhorn vernichten sollte. Ich kam dem Jungen lächerlich vor mit meiner Weigerung und meiner Ahnung, was für Heldentaten ich wohl noch alles vollbringen würden müsse, sollte ich mich darauf einlassen. Man denkt gerne, man kann alles immer beenden, wenn man möchte, aber nein. Irgendwann gibt es kein Zurück mehr, und dann erst kommt es auf die Wahl an, die man getroffen hat, denn in dieser Wahl liegt die Kraft verborgen, die ich brauche, um durchzuhalten, wenn die Ereignisse ihren Lauf nehmen. Und die Frage, warum Pistolen für Kinder gemacht werden, scheint genauso albern wie die Aussage, Kinder schießen einfach gern mit Pistolen. „Das ist doch nur ein Spiel“, erklärte mir Jonathan. Das war mir nicht entgangen, und ich wollte wiederum von ihm wissen, ob er das Spiel von der Realität wirklich trennen kann, wenn die Handlung des Tötens im Spiel schon so viel Freude gemacht hat. Selbst das deutsche Haiku „Liebe ist der Verzicht auf Mord“ hilft nicht immer weiter, denn die Mordgelüste geistern locker durch die Sprache, und zum Glück hat man so weit, so gut, noch keinen umgelegt. Irgendwann wird es eher unwahrscheinlich. Die Töchter sollte man m.E. so früh wie möglich in die Ausbildung der Selbstverteidigung schicken, damit die Möglichkeiten sich erweitern können für Frauen, die Welt zu betreten, zu bereisen, zu erkunden undsoweiter. Statt einer Waffe vielleicht eher noch einen wachsamen Hund dabei, oder was einem noch so alles einfallen kann, um bei der Lebensgestaltung so wenig wie möglich durch unnötige Vorgänge gestört zu werden. (Was sind unnötige Vorgänge?) Ich schließe also diesen Gedanken ab mit der ziemlich unwesentlichen Tatsache, dass diese zwei Pistolen nicht zur Fair Trade Auslage gehören können, denn selbst als Spielzeug können sie nicht Fair Trade sein. Dann nehme ich noch wahr, dass heute Samstag ist und immer noch ziemlich heiß für diesen Monat, denn seit eintausendachthundert Jahren war es noch nie derart heiß gewesen. Und das mit der Maskenbefreiungsorgie war auch noch zu früh gegriffen. Eigentlich bewegen wir uns allein und miteinander oder gar nicht durch eine zähe, illusionäre Sommerlochgedankenpause im Prä-D- Varianten-Angst-Gehege  ohne die geringste Ahnung einer Weiterentwicklung. Deswegen ist es schon o.k., dass die Deutschen nochmal an den Ball rankommen, und wenn sie verlieren, na gut, und wenn sie gewinnen, auch gut.

(de)maskiert

Das geht ja jetzt rapide, sozusagen Schlag auf Schlag, eine Phase jagt die nächste. Nicht, dass man das Nick-Knattertonmäßig verfolgen muss, nein, es ist total freiwillig, eben die Phase, wo man als 3G-BürgerIn (nicht zu verwechseln mit G5 BürgerInnen), das freie Dürfen wieder erlernen können muss, also wieder dürfen wollen können kann. Die nächste Phase steht schon bereit, als Tor verkleidet, an dessen scheinbar stabilem Rahmen man sich kurz anlehnen kann, wenn man das vermag. Denn höre und siehe: die Masken werden demnächst in diesem Theater fallen oder einfach nicht mehr da sein, obwohl sie schon überall auf den Böden herumliegen und man sich manchmal fragt, ob das Absicht war oder Vergesslichkeit oder unauffälliges Lösen vom Handgelenk, huch, wo ist denn jetzt (wieder) meine Maske? Oder eben all die anderen Erfahrungen, die mit der Maskentragung einhergingen und immer noch einhergehen, nun mehr als Probezeit und psychische Rückeinfühlung in die Nacktheit des menschlichen Antlitzes. Es ist natürlich so, dass einen von da an, also von der offiziell verschriebenen Demaskierung an, absolut keiner zwingen kann, die Maske abzulegen. Das möchte ich in diesem meinem Blogbeitrag auch gerne mal als eine von zahlreichen möglichen Inspirationen  ins Netzwerk des gesellschaftlichen Geschehens rücken, und zwar als Anregung dafür, selbst zu entscheiden, ob man, nein, S i e, ob also S i e zum Beispiel die Maske wirklich ablegen möchten. Ja, es ist heiß, ich weiß, aber was macht das schon, wenn man die Gelegenheit hat, sich völlig solo oder solamente an einer bedeutungsvollen Aktion beteiligen zu können? Denn nun ist ja auch Raum für einen persönlichen Befreiungsschlag! Man kann sich genau d i e Maske anfertigen lassen oder selbst nähen, die einen Quantensprung entfernt ist von dieser grässlichen Apothekenmaske oder diesem Schweinchenmonstrum, das einen irgendwo einreiht, wo man sich gar nicht angesiedelt fühlt, nur, weil da mehr Atemraum sein soll. Und dafür dann auch noch einen Preis zahlen, der keineswegs europaweit stabil war. Das ist natürlich für viele Menschen schwer zu verkraften, jetzt wieder selber die geistigen Zügel in die Hand nehmen können zu müssen, denn man muss schauen, ob man es tatsächlich kann. Und da hilft selbstverständlich auch keine maßgeschneiderte Maske, es war nur eine Idee. Vielleicht eher für Herbst und Winter geeignet, wo man dort in der Ecke, wo die Masken herumliegen, mühelos denken könnte: ach, da sind sie ja!, die könnte ich auch mal wieder tragen. In der Zwischenzeit hat man gar für elegante Ausgehkleidung die passende Maske gefertigt und geht gerne auf die inzwischen berühmten und selbst von Mega-Nerds und Optimal-Followern geschätzten Maskenparties, wo eine Neugeburt der menschlichen Erotik verzeichnet werden könnte, da keine/r mehr ahnen täte, wer sich hinter dem Dahinter verbirgt, und die Maskierung eine Weile, nur eine Weile leider doch, vor den Schockzuständen schützen gekonnt würden hätte, die menschliches Verhalten und Seinsweisen so mit sich bringen. Denn man darf bei all dieser (meiner) (scheinbaren) Begeisterung für die Maskierung nicht vergessen (doch, darf man), dass hinter den Stoffmasken sich weitere Masken verbergen, die es zu ergrübeln gilt.  Sei also wachsam, Maskierte/r!

Tag X

Das Entschwinden der Maskenpflicht
&
Die Befreiung von auferlegtem Dürfen

Ich-Podium

Trotz der Bedrängnis, meinte der Moderator (in seinen eigenen Worten), in die man beim Betrachten des deutschen Spiels kommen könnte, so waren doch alle froh, beim „Rudelkucken“, wie er es nannte, dabei sein zu dürfen. Jetzt, nach all dem, was man so durchgemacht hat ohne einander. Das Wort „Rudelkucken“ ist ein Wort, durch das man lernen kann, was ein schreckliches Wort ist. Jetzt habe ich es selbst schon zwei Mal geschrieben, obwohl ein Mal völlig reicht, um es schnell wieder verschwinden zu lassen, entlang dem finsteren Korridor der Worte, die man im Sprachgebrauch eher vermeiden möchte. Jede/r hat seinen eigenen Kanal, dessen Inhalt nur der persönlichen Verantwortung unterliegt. Es ist praktisch ausgeschlossen, wahre Kenntnis von einem Anderen zu erlangen, außer den Mitteilungen, die der oder die Andere über sich selbst aus seinem oder ihrem Kanal macht. Hier wird es komplex, weil der Wunsch der Zugehörigkeit mit dem inneren Anspruch des Selbstseins notgedrungener Weise kollidieren muss. Man muss Wege finden, mit dem Zusammenspiel und den Auseinandersetzungen so umzugehen, dass man selbst genug Lebensraum behält, um der Frage „Wer bin ich (eigentlich)? weiterhin  wach und aufmerksam begegnen zu können, denn auch die eigenen Antworten sind keine stabilen oder eingefrorenen Elemente, die nicht ab und zu mal enstaubt und neu arrangiert werden müssen. Trotzdem kann es ganz tief im Innern einen stabilen Baustein geben, der vielleicht ganz persönlich mit drei Worten zu nennen wäre, bevor Worte ihre Deutungshoheit verlieren. Nur, um sie nach diesem kaltblütigen Vorgang in aller Wärme wieder zu finden. Die Worte eben, die so viel können, und dann ihre inhärente Begrenzung, wo sie wirklich nur im Weg herumstehen. Vor ein paar Tagen bekam ich einen Brief mit meiner auf Maschine geschriebenen Adresse, ohne Absender und Hinweis auf mögliche Senderpersonen, auch innen kein Wort zum Bild (siehe oben), das da lag, offensichtlich aus einer Heimdruckermaschine. Das Bild gefiel mir sofort. Ich liebe Treppen, die in ein schwer definierbares Irgendwo führen und konnte diese ekstatischen Momente häufig in Indien erleben, wo sehr viele Treppen in das Unvorstellbare führen.  Hier aber ein Ich-Denkmal, scheinbar in Gold gemeißelt, also anspruchsvolle Ich-Variante, daneben ein paradiesisches Bäumchen, das vielleicht warnen soll, dass hey, ihr könnt da hochsteigen, aber überschätzt die Höhe nicht undsoweiter. Wir haben dann durch Netz-Nachforschung herausgefunden, ja, das ganze Bild haben wir gefunden und den Namen des Denkmal-Kreators, den ich nachtragen werde, wenn ich ihn wieder finde. Es gibt dieses Werk auch in anderen Plätzen und ist s o konzipiert, dass jeder da hoch kann und, wer möchte, kann dort oben das eigene Ich sein, was immer das heißt. Oder natürlich könnte man von sich selbst auf dem Ich-Podium ein Selfie machen und es denen senden, die einem aus irgend einem Grund in dem Moment einfallen. Auch könnte man jeden einzelnen Menschen aus dem Rudelkucken herauslocken und wäre wahrscheinlich verblüfft, wie unterschiedlich jede/r aus dem Ich-Podium wirken würde. Vorher müsste man etwas Anregendes zum Ausdruck bringen wie „Seien Sie einfach ganz entspannt sich selbst, wenn Sie da oben angekommen sind, und dann als sich selbst in die Kamera schauen“, aber zum Glück funktioniert das ja so gar nicht. Ich finde trotzdem, dass der Absender des Briefes sich selbst hätte auf das Podium stellen sollen, damit ich weiß, wer es ist, aber muss ich das überhaupt wissen. Wahrscheinlich hat jemand irgendwo gedacht, das könnte ihr gefallen, ich schick’s einfach mal. Das anregende Ich-Podium.

im Danach (?)

Ja, tatsächlich am Meer, ich war am Meer. Nicht, dass ich einen Beweis dafür brauche, aber so ein Bild tut doch gut, denn es zeigt, dass man wieder einen Plan umsetzen konnte, der lange nicht möglich war. Man ist in guter Begleitung und schaut auf das, was man geistig vor Augen hatte und nun tatsächlich hat. Auch die Füße, oft mal gemartert durch zu eng oder zu hoch oder zu weit, finden hier im Sand beglückende Resonanz. Wo kommt man her? Wo war man? Da rauscht das mächtige Wasser-Viel trotz aller Dunkelheiten, die es birgt, wieder beruhigend vom Hinaus ins Hinein und wieder zurück. Solange man das nicht als aufdringlich empfindet, ist es angenehm, rausch rein, rausch raus, man süchtelt vor sich hin. Der Lockdown-Blick erkämpft sich sein Recht auf unkontrollierte Weite, ah, und da hinten, weit weg von einem selbst, ziehen Dampfer und Ladeschiffe geisterhaft vorüber. Kaum jemand am Strand bis Mittag, dann aber viel Liegestuhl und Sonnenbraten und all das Enthemmte und Nackte, was halt an Stränden so üblich ist. Der Sonnenbrand und die Kindersandburgen, entspanntere Mütter und zuweilen auch Väter dabei. Das ist ja alles nichts Neues, wenn wir nicht gerade aus unseren Seinsgebilden heraustreten würden, immer noch einen Hauch Blase um die Ohren, und wie geht’s wohl den Anderen so? Ich frage mal hier, mal dort nach und wundere mich über die nahezu makellose Maskenfreiheit, die hier herrscht, und es ist nicht nur einmal, dass ich denke: hoffentlich geht es gut. Eine weitere Welle wäre, ja was wäre sie denn? Sie wäre eine weitere Welle, über die man zur Zeit nicht herumsinnieren kann, weil es sie gar nicht gibt. Hier und da frage ich mal jemanden, wie es denn so für sie war, als wir uns alle nicht begegnen konnten, und ganz eindeutig spürt man die Erleichterung, mit der das Wort „normalisieren“ ausgesprochen werden kann. Alles normalisiert sich fast automatisch wieder, oder sieht es nur so aus. Man kann betrachten, wen man möchte, aber es wird keinen unter ihnen geben, der oder die nicht betroffen war von den Veränderungen, das ist schon erstaunlich. Hat man nun den vergangenen Zeitraum nicht für etwas ganz Bestimmtes genutzt, scheint ein nahtloses Anknüpfen an das vorher Vertraute ja gar nicht so schwer. Selbst die beste Option, eben statt Irritierungen den Eigenraum gut gestaltet zu haben, brachte Veränderungen herbei, denen man sich nicht entziehen konnte. Es kam und kommt immer noch darauf an, wie man darauf antwortet. Natürlich kann man sich mit Antworten ebenfalls weitgehend zurückhalten, aber das macht erst Sinn, wenn man auch die Fragen kennt, damit der Spielraum erhalten bleibt, und das soll er unbedingt, also vor etwas und nach etwas, und mittendrin auch. Von Erfahrungen, die keinen Spielraum mehr ermöglichen, sollte man sich zweifelsfrei fernhalten. Die Existenz des Spielraums hört erst auf, wenn das Leben direkt bedroht wird. Und man kann von Glück sagen, wenn man nach dieser langen Zeit der Pandemie herum schaut  und sieht, dass die Menschen, die einem am Herzen liegen, noch da sind, obwohl es auch Verluste zu beklagen gab. Auf jeden Fall ist gerade Pause im kollektiven, globalen Stress. Verfügbare Medizin wird an ärmere Staaten weiter geschickt. Das Sterben soll ja eingedämmt werden, nicht zuletzt, weil wir jetzt wissen, wie nah alles letztendlich doch beieinander liegt. Vielleicht haben sie deswegen die Schilder mit „Abstand halten“ noch nicht weggeräumt, obwohl man den Text nirgendwo umgesetzt sieht, denn Abstand war gestern. Mal sehen, was das Morgen bringt. Vielleicht sind ja allerorts Erwachte zugange, die frei herumknobeln können, was sie mit dem geschenkten Dasein anfangen.

Gottfried Benn

Gottfried Benn | S. Fischer Verlage

Ein Wort

Ein Wort, ein Satz – aus Chiffern steigen
erkanntes Leben, jäher Sinn,
die Sonne steht, die Sphären schweigen
und alles ballt sich zu dir hin.

Ein Wort -, ein Glanz, ein Flug, ein Feuer,
ein Flammenwurf, ein Sternenstrich -,
und wieder Dunkel, ungeheuer,
im leeren Raum um Welt und Ich.

wirken

Eben: was, wenn unwirklich wirkliche Wort-Wünsche nach Wiedersehen mit der Wirklichkeit mit Wiederkehr drohen? Keiner weiß es, und das ist vermutlich das Gute daran. Es ist ja geradewegs eine Zumutung, darüber nachdenken zu möchten, wie wirklich die Wirklichkeit überhaupt sein kann, wenn man sich schon die Mühe gemacht hat, aus dem Labyrinth des als wirklich Deklarierten unbeschadet heraus zu finden. Es ist ja keine Schnitzeljagd, oder heißt es Schnipseljagd, oder ist es vielleicht doch eine. Man zieht sozusagen aus den beweglichen Feldern, die ständig auf einen  zufließen, die Schnipsel an sich, die einen berühren, also etwas mit einem zu tun haben, und mit diesen Schnipseln rekonstruiert man d a s Puzzle, das einem vorkommt als man selbst. Das dauert, bis sich andere Dinge regen, denen man nachgehen muss oder möchte. Das, was einem mal „wirklich“ vorkam, verändert sich, und das Veränderte kommt einem auch wieder wirklich vor. Entsprechen Tatsachen der Wirklichkeit, und wenn, welcher Wirklichkeit? Gegenüber dem Traumerleben hat Wirklichkeit eine Chance, oder kann als Weltwesen gedacht werden, aber welcher Wirklichkeit entspricht das, und gibt es eine absolute, die unleugbar ist? Und wer sollte sie leugnen wollen? Mir ging es  auch um das W an sich, seine Wartehallen und wehmütigen Wohngebiete,  seine Wasserfälle in wunderbarer Waldeinsamkeit, sein wachsames Wild, seine Wanderwege, sein wärmespendendes Wetter, seine wuchtigen Wattewolken, wuchernd um die Wetter-Wand. Eben. Außerdem mussten anscheinend viele Bergsteiger, die den Mount Everest erklimmen wollten, wieder heruntersteigen, weil sie sich mit dem Virus infiziert hatten und die Luft dort eh so dünn ist Dadurch muss man sich nicht beirren lassen, sondern jede/r kann sich weiterhin so frei fühlen, wie es einem eben möglich ist, ohne Schaden anzurichten, das ist schon schwer genug. Am Samstag lasse ich immer etwas locker, auch die Synapsen brauchen mal Ruhe, und nur ich muss die Verantwortung tragen. Vielleicht trage ich sie  (die Synapsen) gar morgen mal kurz ans Meer, das wird auch mir sicher gut tun. Man kann die Wirkung beobachten, die Gedanken und Ideen auf einen haben. Davon hängt viel ab, aber natürlich nicht alles. Ich frage mich  allerdings, wie ich hier noch die Kurve kriegen soll, aber vielleicht braucht es gar keine Kurve, sondern einen  Punkt. Hier ist er, wirksam, wie nur ein Punkt sein kann.

 

Mühe

Schwerlich kann man (z.B.) einem Neugeborenen den schwer wiegenden Titel „Mensch“ versagen, denn, kaum das Licht der Welt erblickt, erhebt er oder sie automatischen Anspruch auf das Grundrecht. Man ist eben k e i n Tier oder k e i n Gegenstand, wird aber in die Natürlichkeit der Erscheinungen mühelos eingereiht. Denn jetzt ist man da und wird als „Mensch“ gesehen.  Erst später wird einem klar, was das beinhaltet, und zieht die Konsequenzen aus den Erkenntnissen, die man ansammelt und die zu weiteren Entscheidungen führen. Das, was sich dadurch entfaltet oder nicht entfaltet, ist der Mensch, der man ist und den man dadurch kennen lernt. Die Kontemplationen über das Menschsein und was es nun eigentlich sei und ist, kommen meist in reiferem Alter, wenn einem klar wird, dass man um sehr komplexe Gedankengänge nicht herum kommt, will man wissen, aus welchem Stoff man selbst gemacht ist. Und zwar einerseits von der angelegten Geschichte her, andrerseits aber durch ein bestimmtes, eigenes Verhalten, das sich im äußeren Raum zu zeigen beginnt. Ohne Beweise, dass man das Andere tatsächlich s o sehen kann, wie es wirklich ist. Und ja: was ist schon wirklich, wenn ich die „Wirklichkeit“ eines Anderen nicht infrage stellen kann. Kann ich ja trotzdem, nur beweist das wiederum gar nichts. Wenn ich nun ohne den Wunsch oder die Ausrichtung, mich selbst erkennen und kennen lernen zu wollen, mein Leben erfahre, befinde ich mich zwangsläufig in der berühmten Blase, und irgendwie ist die Blase nicht der günstigste Aufenthaltsraum, um weitere Einschätzungen des planetarischen Vorgangs bewältigen zu können, da das Matrix-Feld selbst ein illusionäres Konstrukt ist, in dem jede/r schaltet und waltet gemäß den für sie oder ihn vorhandenen Möglichkeiten. Ich habe da also auch einen gewissen Spielraum, das, was ich bin oder denke zu sein, auszuprobieren, um die beiden Extreme meiner Anlagen wahrnehmen zu können. Was aber muss passieren, damit ich den Tellerrand, dessen unterstützende Rundung lange ein sicherer Ort schien, damit ich also diesen Rand verlassen kann, um mich dem Ungewissen in seiner absoluten Neuheit oder Fremdheit überlassen zu können, ja muss das denn sein. Zum Glück kommt einem so ein Gedanke erst, wenn man ohne ihn nicht weiter kommt. Hier ist genau der richtige Ort, um einen genialen Satz zum besten geben zu können, den mir ein Freund neulich am Telefon „schenkte“, möchte ich schon fast sagen, denn er schlug ein wie ein Blitz, traf auf sich selbst und nahm allen Raum ein, den er für seine Wirkung benötigte. Der Satz ist: „Für einen Hammer sieht alles aus wie ein Nagel.“ Eben ein voll auf den Kopf getroffener Satz, der auf vielen Ebenen seine Kraft entfalten kann, bis man sich erschüttern lässt von seiner scheinbar harmlosen Tiefe. Es ist natürlich nur ein anderes Bild als das mit der Blase, aber es vermittelt einem noch einmal die Tatsache, wie viel Verantwortung man trägt für die Qualität des eigenen Blickes, und dass die Menschwerdung, auf deren Pfad man ständig unterwegs ist, kein Klacks ist, sondern sehr viel Mühe bereitet, wenn man wissen will, was für ein Mensch man selbst ist, und was für Möglichkeiten man hat, sich auch selbst, ganz persönlich, darum zu kümmern, mit was man ständig so alles unterwegs ist.

unbedingt

Die Frau ist Selbst.
Essenz und Asche der Weisheit.
In der Fremdheit findet sie Ewiges.
Sie geht mit dem Begriff Freiheit
fachmännisch um und erkundet die Protokolle
des Sichtbaren. Sie akzeptiert die Grenzen
des Machbaren. Sie sucht Menschen und
Plätze auf und möchte wissen, wie sie wurden,
was sie jetzt sind. Unermüdlich schöpft sie
aus dem Grund ihrer eigenen Wahrnehmung,
genau an der Quelle, wo sie auf das Andere trifft.
Sie steht auf der Schwelle des Tores
und verbleibt  des Rätsels Lösung.
Unbedingt.

freundliche Note


Der Surfer, erfreut über die niedrige Inzidenz,
kehrt nach Zen-La zurück, um den weiteren
Verlauf von dort aus zu beobachten.
Zum Glück haben wir mit unserem Nachbarn ein gutes Verhältnis, aber e i n e  Spannungsebene tut sich zuweilen auf, wenn es dafür Anlass gibt: er hat einen Hund, der gerne Katzen jagt, und wir haben Katzen. Wegen diesen Katzen, meint er dann, müsse er seinen Hund zurückhalten. Na klar, meine ich, der Hund ist es ja, der Katzen jagt und nicht umgekehrt, und ich möchte nicht um das Leben unserer Katzen bangen müssen. Dann sagt er an diesem Punkt, es ist schon eine Art Gewohnheit, dass nämlich, würde es zu einem ungünstigen Ausgang (für die Katze) kommen, dann fällt das halt unter „that’s life“. Diesen Satz kenne ich auch aus Indien, wo in einem Gespräch früher oder später jemand  meinte, dass das, was da vorgefallen ist, „das Leben sei“. Was ja erstmal schwierig zu leugnen ist, kommt doch scheinbar auf jede/n konstant etwas zu, mit was man umgehen muss. Nun sind wir allerdings selbst es, die darauf reagieren oder resonieren, was da auf uns zukommt. Und obendrein treffen wir ständig darüber Entscheidungen, mischen mit, wenden ein, bleiben stumm, werden aufgebracht, wovon weitere Wirkungen ausgehen , die wiederum erstarren, beleben, erschüttern oder sich verflüchtigen können oder einfach weiterziehen. Man kann sich ja vorstellen, wie viel in der Menschheitsgeschichte schon darüber nachgegrübelt wurde , was denn das Leben sei. Also die Sphäre, in der wir uns vorfinden und Kunde darüber erhalten, was man hier so alles vorfinden und erleben kann, bevor man anfängt zu bedenken, was man selber damit macht. Formt sich diese Suche in eine potentielle Umsetzung, beginnt sich auch langsam die Architektur durchzusetzen, mit der das innen Wohnhafte ausgestattet ist oder wird. Aus der Wildheit der Experimente erschließt sich die Unterscheidungskraft. Günstig ist, wenn ich wählen kann, denn das bringt mich zu den natürlichen Grenzen, die weitere Herausforderungen bergen. Mir scheint, dass das Leben ein unermessliches Potential ist, in dem alles Vorhandene stattfindet, was sich manifestieren lässt, von der Tasse bis zum Weltkrieg. Vieles wird auch einfach wiederholt. Immer neue Tassen werden erfunden, obwohl es an Tassen gar nicht mangelt, und wenn Krieg ist, gehen eben viele hin, so, als wüssten sie gar nicht, was da los ist, das ist schon bizarr. Kann man vom Leben behaupten, dass es Krieg wolle, nein, kann man nicht. Dass alles vorkommt, was wir bisher davon wissen, ist ja etwas anderes, denn alles könnte unter Umständen völlig anders sein, als es soeben ist. Und es wird auch anders sein, eben wenn andere Köpfe das Andere denken und bei Anderen damit auf Resonanz stoßen. So finde ich gar nicht, dass ich mich darauf vorbereiten sollte, dass das Leben meine Katze vom Hund verfolgen lässt, sondern es ist der Nachbar…na ja, eigentlich bin ich es, die versuchen kann, dem Nachbarn klar zu machen, dass es schön wäre, wenn wir alle darauf achten, dass es möglichst nicht zu leidbringenden Zwischenfällen kommt. So endete das Gespräch zum Glück auf einer freundlichen Note. Man tut, was man kann. Ein tiefer Satz, wenn man’s bedenkt.

hier sein

Ein weiterer Zettel, der länger schon bei mir herumliegt und großzügige Deutungen zulässt. Sogar als Liebesbotschaft könnte die Aussage durchgehen, eben: wart doch nicht länger, sondern komm noch heute. Oder aber der Spruch appeliert an die Anwesenheit, und man kann mal kurz checken, ob man bei der Sache ist, die gerade ansteht, oder auch über Anwesenheit an sich nachdenken, denn weiß man denn wirklich, was Anwesenheit von Nicht-Anwesenheit unterscheidet, und wie man das zu erkennen vermag. Und was entgeht einem überhaupt, wenn man nicht anwesend ist, sondern eben woanders als da, wo man ist. Ich wurde am Morgen schon benachrichtigt, dass der Tourismus  in den Startlöchern steht. Die Busse sind gewartet, die Hotels ausgebucht, die Touristen packen ihre Koffer, startbereit und legal der Berechtigung entgegen strebend, auf Meere , auf Strände, auf Inseln, eben da hin, wo es diese Reisegruppen gibt, und das ist überall. Obwohl es sehr unterschiedliche Wahrnehmungen unter einander und voneinander gibt, kann man, das hat man im Lockdown gemerkt, nicht mehr ohne einander leben. Klar hat man sich lustig gemacht über die Eindringlinge, aber bald hat man sie schon gebraucht und hat ihnen gerne gebracht, was für einen selbst undenkbar war. Der indische Ort, an dem ich lange gelebt habe, war vermutlich auf der Erde der einzige vollkommen vegetarische Platz, vor allem, weil die oberste Kaste kein Fleisch und keine Eier und keinen Fisch aß, es war verpönt. Ich hörte allerdings auch mal, dass die Armen sich zuweilen ein Ferkel schnappten und brieten, oder aus dem heiligen See einen Fisch holten, das spricht auch Bände.  Als die Foreigners kamen, gab es bald alles, was ihre Geschmacksrichtungen begehrten. Diese Sorte Traveller war bald nicht so beliebt, obwohl sie genügend Geld einbrachten für das Leben, das die Einheimischen selbst lebten. Alkohol kam herein und veränderte viel. Dann kam eine Fehleinschätzung bezüglich der Touristengruppen, die zwar viel Kohle für die überteuerten Hotels und aufgemotzten Paläste hinlegten, aber vor dem Kaufen gewarnt wurden von Betrügern, die vor Betrügern warnten. Und dann das Meer! Klar will ich auch ans Meer, obwohl ich weiß, was ich weiß, und alle anderen wissen es ja auch. Trotzdem wird an jeder freien Lücke der Meere geplanscht, oder getaucht, oder gesegelt oder gesurft, und was man nicht alles am Meer machen und essen kann. Ich fand Blaise Pascals Satz, dass  „das ganze Unglück der Menschen allein daher rührt, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen“ nie sehr angesprochen, hatte aber meine eigene Version parat. Die bestand aus beständigen Bewohnern von Häusern überall in der Welt, die WeltwanderInnen willkommen heißen würden, sozusagen als Televisionsprogramme, die die Nachrichten allen zugängig machen würden. Man säße beieinander, die NeuigkeitvermittlerInnen bekämen Bett und Frühstück und was zum essen (Grundeinkommen) und soweiter. Aber wandernde GeschichtenerzählerInnen gab es auch schon, ich hoffe, ein paar „*Innens“ waren dabei, ansonsten kann man sich in Nüchternheit üben. Tag der Meere (heute), und ja!, beliebt und gerühmt sind sie, die Ozeane, und das zurecht. Denn kein Mensch wird je ihre wahren Tiefen ausloten können, auch wenn des Menschen Plastik vermutlich dort hingelangt. Ansonsten haben wir so ziemlich alle im Lockdown eine eigene Erfahrung des Hierseins gemacht. Wer sich allerdings fühlte, als würde er oder sie zum Hiersein gezwungen werden, weil man lieber dort wäre, wo Hingehen nicht möglich war, der oder die konnte es dann natürlich nicht genießen.

landen

Es ist nicht schwer zu verstehen, dass jede Geburt ein Einzelwesen hervorbringt, von dem es kein zweites Exemplar gibt, denn es ist ganz automatisch einzigartig. Was mit dieser Einzigartigkeit dann jeweils angestellt wird, sprengt jede Vorstellung, obwohl man auch sagen kann, dass jedes manifestierte Bild oder jeder Ton ein Zeugnis davon ablegt. Mütter erfreuen sich offensichtlich, solange das möglich ist, an der unschuldigen Arglosigkeit ihrer Kinder, in denen früh genug die Kräfte sich auszudrücken versuchen. Und kein Erstaunen kann ich mir größer vorstellen, als zu sehen, wer da kommt und wie ich dieser unbekannten Persönlichkeit begegne, die gerade dabei ist, sich herauszuformen. Nicht, dass es jemals aufhört. Das Hineinhorchen in den eigenen Ton war immer schon eine geeignete Beschäftigung, will man wissen, welches Instrument man im Orchester spielt, wenn man denn daran interessiert war, in den inneren Räumen ein Orchester zu organisieren. Das Schöne an der inneren Leinwand ist ja u.a., dass man, braucht man gerade eine Wüste zum Aufenthalt, sich eine herbeiholen kann, wobei es hilft, wenn man mal in einer Wüste war und dort gute Erfahrungen gemacht hat. Nun läuft man natürlich Gefahr, oder laufe nur ich Gefahr, jetzt durch die Angebote schlendern zu wollen, mal kurz in einem japanischen Garten der Schlichtheit vollkommener Linien entlangschauen, oder am See des indische Dorfes verweilen, aber nein, worum ging’s. Ich bin also wieder zurück beim „Worumgingsmir eigentlich“, und stelle fest, dass ich wieder mal verblüfft bin über die Andersartigkeit des einen Menschen vom anderen. Oft verschwindet dieses Bewusstsein, weil wir uns in einer Gesellschaft auf so vieles einigen, auch zuweilen müssen, damit überhaupt eine Übereinstimmung zustande kommt. Und zum öffentlichen Umgang mit den Anderen reichen ja oft ein paar Grundhaltungen, um wenigstens das Schlimmste zu vermeiden. Das Beste will man aber natürlich auch nicht vermissen, und so gibt es einen Kunstzweig, der heißt Menschenkenntnis. Immer wieder ist es angebracht, sich dabei zu ertappen, wie schnell Eindrücke zu Meinungen und Wertungen und Projektionen werden. Und obwohl es den Spruch gibt, der erste Eindruck wäre der „richtige“, so hält man oft das Flüchtige für das Wahre, was es nicht sein kann. Es kann sich vielleicht eines Tages als eine gute Intuition erwiesen haben, wenn man sich die Mühe gemacht hat, sich mit den komplexen Strukturen eines Mitmenschen auseinander zu setzen. Oder sich überhaupt auseinder setzen musste, weil sich die Komplexitäten des Zusammenlebens erst auftun, wenn man sich schon entschieden hat, dass man an ihnen nicht scheitern will. Gelingt es dem Einzelnen, während des Durchgangs das eigene Wesen nicht zu verkorksen oder zu verdrehen, also nicht zu verlieren, dann entsteht unweigerlich der Wunsch nach dem Gegenüber. Kommt also das Ich einigermaßen unversehrt aus dem Tunnel, dann tritt es…hier öffnen wir zur Untermalung den chinesischen Glückskeks, und ja!, da steht es: …tritt es hinaus ans Licht der Welt, ganz so, als hätte man das schon einmal erfahren und durchgemacht, und war im Lebendigen gelandet, also auch im Willen zur authentischen Begegnung.

Parul Khakkar

Parul Khakhar's stream
Das nachfolgende Gedicht von Parul Khakkar, am 11. Mai von ihr auf Facebook gepostet, ist aus dem nackten Grauen geboren, in dem sich Indien zur Zeit bewegt. Es verbreitete sich in Windeseile, denn es drückt einerseits den Schmerz aus über die vielen Leichen im Ganges, andrerseits kritisiert es  die Regierung, die aus religiösen und politischen Gründen das Leben ihrer BürgerInnen  bewusst aufs Spiel gesetzt hatte. Noch zur Zeit sterben in Indien mehr als vier tausend Menschen täglich, und weitere Katastrophen fügen sich diesem Leid hinzu. Zu meiner Überraschung erschien in der „Fankfurter Allgemeine“ vom 20. Mai eine Übersetzung des Gedichtes „Leichenbahre Ganga“ (Shav Vahini Ganga). Parul Khakkar wurde sofort des Landesverrates bezichtigt und eines „lockeren Lebenswandels“ angeklagt. Offensichtlich traf sie aber den Nerv der aufgebrachten Bevölkerung über die Zustände des Landes, und jede/r versteht, wer mit dem nackten König diesmal gemeint ist. (Nämlich Narendra Modi). Auch eine Vertonung des Gedichtes ist entstanden, ich füge es unten an für die, die es hören möchten.

 

Leichenbahre Ganges
(Shav Vahini Ganga)

 

Und einstimmig singen die Leichen: Alles in Butter, alles paletti.
Herr, in deinem Reich fließt im Ganges nur der Tod.
Herr, in den Wäldern kein Baum, kein Holz für Scheiterhaufen.
Herr, wo sind die Leichenträger, wo die Trauernden?
Herr, in jedem Heim tanzt Yama (der Gott des Todes) seinen Reigen.
Herr, in deinem heilig Reich fließt im Ganges nur der Tod.
Herr, der Schornsteinrauch verlangt nach Atempause.
Herr, unsere Armreifen sind zerschmettert, unser Herz schlägt Klage.
Mitten im Feuer zupft er die Leier. Bravo, Mörderpack.
Herr, in deinem heilig Reich fließt im Ganges nur der Tod.
Herr, deine Kleider einst so göttlich wie dein Glanz.
Herr, dein wahres Gesicht haben alle nun erkannt.
Wer wagt es da zu sagen: „Es ist der Kaiser nackt.“
Herr, in deinem Reich fließt im Ganges nur der Tod.“

 

(Aus dem Gujarati von Shalini Randeria und Ilija Trojanow)

 

 

 

 

 

 

 

verzetteln

Seit Tagen geistert ein Zettelchen auf meinem Schreibtisch herum, das es aus welchen Gründen auch immer nicht in den Papierkorb geweht hat. Oder ich habe einfach vergessen, was drauf steht, und hartnäckig flattert es immer wieder zwischen den größeren Notizblättern heraus, auf denen ich schnelle Infos sammle. Und da heute Samstag ist, schaue ich doch mal drauf und lese: „Hinein stieß sie ihren Fuß in den großen Schuh. Ließ nicht locker. Erhob sich und ging geradewegs auf das Nirgendwo zu, öffnete Tore, die wie von selbst erschienen und den Eintritt in Welten gewährten.“ Das hat insofern eine gute Wirkung auf mich, weil ich den Zettel jetzt wegwerfen kann. Tatsächlich ist der Schuh, den ich online bestellt habe, sehr groß. Auf jeden Fall größer als die Schuhe in der Phase „italienische Eleganz“, die sich selbst als Stiefel angenehm um die Knöchel legten. Die neue Mode hat viel mit Ausdauer und Standhaftigkeit und sportlichem Willen zu tun. Die meisten Sohlen brauchen gar keinen Schuhmacher mehr. Jedenfalls ging ich offensichlich mit solchen Sohlen auf das Nirgendwo zu, das man sich einen blitzschnellen Nu als eine immense Raumfreiheit vorstellen kann, in der sich noch keine Architektur ausgebreitet hat, weil es ja nirgendwo stattfindet. Da kann man dann gespannt sein, was sich als Nächstes meldet, denn auf jeden Fall meldet sich was. Ich könnte mir allerdings einen Zustand vorstellen, wo sich gar nichts mehr meldet, einfach, weil man die Entstehung der Meldung oder der Meinung oder des Gedankens nicht zulässt. Damals, als ich den Zettel schrieb, erschienen offensichtlich ein paar Tore, die natürlich sofort einen Zugang oder einen Einlass ermöglichen. Nun kommt man aber um die Qual der Wahl nicht herum, oder wie wir einst in der Meditationspraxis erleben konnten, wie anspruchsvoll der kleine Schritt vom Teppich zum Alltagsgeschehen war. Und konnte man wirklich integrieren, was gerade noch selbstverständlich schien, nämlich die freischwebende Aufmerksamkeit auf die ausgelotete Verbindung des Ichs mit sich selbst gelenkt, sodass sich das Wort automatisch zurückzieht, weil es hier zwar noch Resonanz gibt, aber keine Spiegel. Und natürlich gab es eine Übertragung des Zettelinhalts auf meine Beitragsseite, denn ich kenne ja meine Tore und meine Drehtüren, die oft mitten im Raum stehen und zum Durchgang anregen. Nur die Schuhe waren neu: vielversprechend, standfest und tragfähig. Das kann man täglich gebrauchen, und natürlich auch an einem Samstag, wenn Saturn auf seinem schwarzen Streitwagen durch den Äther fegt, isn’t it?

zurück


Transport und Unterbringung des Vergangenen
Zurück!, zurück!, singt allerortens leise anschwellendes Jauchzen über das (fast) Durchstandene, und nun zurück!, zum Tanzbrunnen, zum Festival, zum Konzertsaal. Zum entbremsten Leben also zurück, das zwischendurch auch mal das „echte“ Leben genannt wird. Den Fans von irgendwas und irgendwem kommen die Tränen in die Augen, denn endlich wieder zurück ins Vorher, ins Leben also, so, wie man es kennen gelernt hat. Auf jeden Fall da, wo noch was davon übrig ist. Klar fühle ich mich zuweilen als Luxusgeschöpf, alles, was mir etwas wert ist und was ich liebend gern tue und wahrnehme, die ganze Zeit bei mir gehabt zu haben, und habe mir gar ein paar Schuhe online kommen lassen, die sofort gepasst haben. Vieles war gar nicht anders, jeder Tag eine willkommene Neugeburt, und an nahem und weiter entfernt stattfindendem Leid hat es wahrlich auch nicht gefehlt. Viele Meinungen und Mahnungen und erhabenen Gedanken fielen lautlos in Tümpel. Wo also war das Leben denn hingegangen. Wo hielt es sich auf, während nicht wie üblich gelebt wurde, sondern an Entbehrungen gelitten, und unfreiwillige Dimensionen von Einsamkeit wurden erreicht, wobei genau dieses komplexe Wort in anderem Kontext die gegenüberliegende Seite der Waage darstellt. Auch hat niemand jemandem den freien Willen weggenommen, den Durchgang durch die Pandemie auf eine bestimmte Weise zu leben, nein, auch da war der übliche Spielraum zwischen dem dringend Notwendigen und dem schöpferisch Gehandhabten. Menschen werden (z.B.) schon nach drei Tagen in einem politischen Hungerstreik von einem Arzt betreut, während jeder sich unter guten Bedingungen zum Fasten Entscheidende aufbauende Kräfte sammeln kann, Leichtigkeit und klarere Wahrnehmung. Und auch wenn das Unfreiwillige (wie üblich) auf einen zukommt, ändert es nichts an den vielen Möglichkeiten, wie ich damit umgehe. In Amerika werden gerade Leute mit Geld und Tickets und Spielen gelockt, sich impfen zu lassen. Man weiß, dass man sie nicht zwingen kann, aber warum sollte man sie locken? Sie sind halt die unfreiwilligen HerdenimmunitätsgegnerInnen, sie müssen ja nicht unbedingt der vorherrschende Herdentrieb sein, eben der, wo alle nicht wollen. So gibt es zur Zeit ein Spannungsfeld, wo die einen zurück möchten in ein erinnertes Damals, das es natürlich nicht mehr gibt, und einem Drang ins Vorwärts, das es auch noch nicht gibt. Man sitzt also irgendwo und ist einfach da. Einfach kann es wiederum nur sein, wenn sich nicht zu viele Turbulenzen in einem oder um einen herum abspielen, wie es auch die berühmte Anekdote von Loriot sehr schön zeigt, wo der Mann einfach nur sitzen wollte, was die Frau als untragbar empfand. Kann man das aber ungestört, einfach dasitzen, dann kann man verhältnismäßig schnell verstehen, warum Menschen auf den Begriff der „Leere“ kamen, ein Wort wie „Einsamkeit“, mit dem jede/r etwas anderes verbindet. Leere ist natürlich auch einfach  ein Potential, das, wenn benötigt, auf vielerlei Art und Weise zum Ausdruck kommen kann, aber nicht muss. Wenn man also an sich selbst erfährt, dass immer weniger zum Ausdruck kommen muss, hat genau das, was gesagt werden möchte, mehr Raum. Dasselbe gilt für die Einsamkeit. Sie soll einerseits töten können, habe ich gestern unterwegs gehört, aber sie kann auch lebendig machen, und kann geradewegs zu den Anderen führen, die auch lebendig da sind.

 

hindurch

Wir fühlen uns zögernd hindurch durch das Verhältnis
der Gegensätze zueinander, und nähern uns einer
Ahnung davon, wie es sein kann, wenn das äußere Bild
zurücktritt und der Geist nur e i n e n Ort hat zum
Aufenthalt. Wir leben im Weiß, in der Abwesenheit aller
Farben, und gleichzeitig in der Summe des Farbigen.
Es ist uns ermöglicht worden, die Spannung der Pole zu
erfassen und aufzufangen in einem einzigen Ton. Wir
sehen Lichtstrahlen, die abhängig sind von einem Hauch
von Materie, um sichtbar zu werden im Raum.
Wir haben Angst vor fremder Finsternis, die in uns
lauert als das eigene Selbst. Auch zwischen dir und mir
steht dieser Widerspruch: Das Unmögliche, das nach
dem Möglichen sucht, ohne das es nicht sein kann.
Wir wohnen in der Wechselhaftigkeit von Ja und Nein
und haben nichts als diesen e i n e n Punkt, an dem wir
uns begegnen: heute, hier, virtueller Raum des
Geschehens, mitteleuropäische Zeit.

einläuten

Das „Danach“ ist praktisch eingeläutet, und langsam sickert der Hoffnungsstrahl in die mentalen Ebenen der Bürger und Bürgerinnen hinein. Das ging oder besser geht so ziemlich schnell voran und prallt in erfreulicher Intensität mit dem Strahlen des Sommers zusammen. Zum Glück muss ich nicht zu einer fernen Wiese schweifen oder in einem Biergarten nach einem Bier lechzen (nicht, dass das nicht auch schön ist), sondern befinde mich eher, aber nur auf dieser Ebene, in abwartender Haltung, vielleicht bis der erste Schwung etwas gesättigt ist, wobei man auch hier Sättigung nicht erwarten sollte. Der Lockdown bot ja unzählige Möglichkeiten, ihn wahrzunehmen, aber ein Aspekt war sicherlich das Geisterhafte. Ein Großteil der planetarischen Bevölkerung in Geisterstimmung, natürlich mit Ausnahmen und inneren und äußeren Aufenthaltsorten, die ganz frisch und neu entstehen konnten. Zweifellos konnte man sich, bestenfalls unter guten Bedingungen, besser kennen lernen. Es gibt ja tatsächlich, wenn auch sehr wenige, unverrückbare Wahrheiten, die auch den letzten Test (wenn es ihn gibt) noch meistern, und eine davon ist (meines Erachtens) die Tatsache, dass man sich nur kennen lernt, wenn man Zeit dafür einräumt. Die simple Frage nach dem, wer man nun sei, hätte nicht in Delphi ihren Unsterblichkeitsbeweis schon hinter sich gebracht, sondern stets hat sie wieder neue Kraft, Geister in Unruhe zu versetzen. Vor allem in Zeiten, wenn der als normal empfundene Zusammenhalt auseinander bricht und die alten Pfade mit den vertrauten Spuren verweht werden vom Sand der Zeit. Man kann es auch so sehen, dass wir alle zusammen in eine Dunkelheit getreten sind, die zweifellos wahrgenommen werden musste und konnte, denn sie war spürbar durch Maßnahmen, die das „Normale“ zum Schwanken brachten. Und jetzt sind wir tatsächlich, wenn auch nicht gleichzeitig, so doch in einer Bewegung, die langsam aus dem Lockdowntunnel führt und ins Licht. Im Licht fühlt man sich natürlich sichtbar. Ein kollektives Trauma bietet seine Heilungsverfahren an, denn der/die Einzelne steht ja im Licht und atmet tief durch, was außerdem gut ist für die Lungen, über die wir einiges gelernt haben. Manche haben an Gewicht zugelegt, andere an Gewicht verloren. Aber in den vielen Spiegeln, die sich in Häusern tummeln, schauen Menschen sich an und versuchen zu erkennen, wer sie anschaut. Ist man sich vertrauter geworden oder fremder? Auch brechen sich mächtige Geschäftigkeiten wieder Bahn, eben die, die noch können, die durchgehalten haben und Unterstützung aktivieren konnten. Wegen den Masken und den Ausgangssperren war es auch nicht leicht, fällt mir gerade auf, zu sehen, was die Menschen so an Neuem an Kleidung in die Welt tragen, denn man war ja häufiger zu Hause und vielleicht nutzten die meisten die Gelegenheit, den bequemen Home-Dress zu tragen, oder halt wie sonst auch, immer durch sich selbst gekleidet also. Wahrscheinlich verlassen ganz viele sehr schnell die vergangene Erfahrung, und andere bleiben dort weiterhin in Bewegung, das hört ja nicht auf. Fakt ist, man muss mit sich selbst in Verbindung bleiben, damit man da ist, wenn man sich braucht. Und wann ist das nicht?

leichter

Warum ich gerade dieses Bild gewählt habe, um den Sommer, der gerade gelandet ist, zu begrüßen, musste ich mir (auch) selbst erklären. Vielleicht drückt das pralle Grün mit dem Ahornzweig nur in Kombination mit dem dunklen Hintergrund für mich aus, wie ich diese plötzliche sommerliche Hitze fraglos einordnen kann in die Flüchtigkeit des Nus, die mir zeigt, wie nah die Dinge immer beieinander sind und sein können. Vorne im Blick können sich die Augen kaum satt sehen an der Fülle des natürlichen Ausbruchs, während gleichzeitig tief innen eine Trauer herrscht und ein großer Fluss, der einst eine Göttin war, nimmt tausende von toten Körpern mit sich mit, bzw. treibt sie in den Buchten gnadenlos aufeinander. Tatsächlich, das kann nur ein Mensch, das gleichzeitig zu erleben, und das wird ein Computer nicht lernen können. Etwa mit einer derartigen Mühelosigkeit die Programme einschalten zu können ohne jegliche Zwischenablagerung. Das sich im Inneren bewegende kann zeitlose Momente im Sein verharren, kann im schwarzen Teil des Bildes ein Gesicht sehen mit Augen und einem Mund, aus dem ein Lichtstrahl fließt  (usw.) Je weniger ich eingesperrt bin von Wunsch oder Vorstellung oder Ideologie, desto freier fühlt sich das alles an, was ich dann zur Verfügung habe. „Alles“ heißt  wiederum, dass ich nun wählen muss, oder vielleicht ist  das Wort „Verantwortung“ hier gut untergebracht, nämlich schlicht und einfach für alles, was ich bin. Und eine Ahnung existiert da sicherlich schon vom „Wer“? Denn ohne zu wissen, wer ich bin, kann ich im Ungewissen nicht gut herumstehen, geschweige denn, die Navigationsgeräte einstellen, damit die Bewegung auch ein Tanz sein kann, oder eine Martial Arts Praxis. Wenn Menschen sich kennen, fühlt man sich auf eine bestimmte Weise zu ihnen hingezogen. Beim Sich-Kennen gibt es eine simple und eine komplexe Variante. Ich habe Bauern in der Thar Wüste getroffen, die waren die verkörperte Selbstwürde. Die meisten, auch Frauen, versammelten sich abends nach der schweren Arbeit im Tempel, wo sie, ohne lesen und schreiben zu können,  das Beste zu hörten bekamen, was das indische Wissen zu bieten hat, und das ist nicht wenig. Auf jeden Fall tropfte eine Essenz davon in ihr Leben und hatte Auswirkung auf ihr Verhalten. Auch hier kann man solche Menschen treffen, die einfach wegen viel Arbeit nicht dazu kommen, in Selbstgrübeleien zu verfallen. Problematisch wird es erst, wenn Dinge auftauchen, die dieser Lebensweise nicht mehr entsprechen. Dann kommen Erschütterungen, denen man ohne eigenes Denken und eigene Kontemplation nicht gewachsen ist, und dann folgt entweder ein Scheitern oder eine Bereitschaft zur Anerkennung der Komplexität. Natürlich kann innere Freiheit mit persönlichem Instrumentarium auch eine wahre Freude sein am kreativen Ausdruck, der sich durch das Zusammenspiel ergibt. Ergibt er sich einmal bei einem selbst, wird auch der Zugang zum Spiel der Anderen leichter.