Kismet

Wenn das Fassungslose auftritt, kann es Menschen vorübergehend dafür dienen, mit sich selbst in Berührung zu kommen. Das hält dann meist so lange, bis das Verbindende, also die Tragödie, ihre Wirkung verliert. Es kann auch, habe ich bei mir bemerkt, zu einem inneren Rückzug im Angesicht dessen kommen, was schwer zu verdauen und zu begreifen ist, wenn sich bestimmte Nachrichten über etwas Schreckliches häufen. Ja, nicht nur die Nachrichten, sondern z.B. die ungezählten toten Körper, die immer wieder, verbunden durch menschenverachtende Transportmittel, im Meer versinken samt Träumen und Smartphones.  Das Grauen wandert fast beliebig durch die Welt, und manchmal kann man froh sein, dass man etwas nicht versteht, weil man es vielleicht gar nicht kann. Morgens den Kindern über den Kopf streicheln, dann zur Arbeit in die Gaskammer? Und natürlich sagt das nichts aus über Ausländer, dass der bereits als verhaltengestört aufgefallene  Täter  in Frankfurt  ein Eritreer war. Das ist nur besonders ungünstig in einer Zeit, in der sich in einem Teil des Volkes ein inneres Grollen bildet, meist auf dem Nährboden persönlicher Unzufriedenheit gewachsen, die unbewusst nur ein geeignetes Feld wittert, sucht und findet, um diesen angesammelten Groll zu entladen. Wenn man selbst durch irgendetwas an einem menschlichen Unglück beteiligt ist, kann es einen durchaus was angehen. Nur was und wie und wann und warum geht einen was an? Dieser Mann wurde bereits von der Polizei gesucht, aber sein Nichtgefundenwerden kostete beinahe drei Menschen das Leben. Es war ausgerechnet das eine Leben dieses Kindes, und diese Mutter, die sich retten konnte und nun mit ihrem Schicksal umgehen muss. Dieser Schmerz ist beinahe nachvollziehbar, aber nicht wirklich. Er ist aber vorstellbar, und die Schauspieler greifen zur Trauermaske. Für einen kurzen, wertvollen Moment halten sich die Meinungen wie von selbst aus dem Spiel. Es wäre auch schön, wenn zufällig ein Gandolph (der Weise) an der tragischen Stätte vorbeikommen würde und vielleicht erst einmal zur Vertiefung des Betroffenseins beitragen könnte. Zur brütenden Glut der Trauer. Zum Gewahrsam des flüchtigen Daseins, denn nicht nur heute, sondern immer ist Gefahr, denn Dasein ist unter anderem auch lebensgefährlich. Es ist gut, das zu wissen, auch wenn es im Alltag nicht sinnvoll und auch nicht förderlich ist. Man kann nur tun, was einem möglich ist, und das ist unbedingt einen Gedanken wert. Was ist mir denn möglich zu tun, und habe ich den Freiraum dieser Möglichkeiten schon genug bedacht und erweitert? Bei aller wunderbaren Anregung, die durch Menschen erlebbar ist, ist es doch gleichermaßen wesentlich, allein über die Dinge nachzudenken  und jederzeit ergründen zu können, was sich im eigenen Schicksal abspielt. Denn ohne diese Verbindung gibt es keine glaubwürdige in das Draußen.

(was) verstehen (?)

Heute früh fiel mir der berühmt/berüchtigte „Nirbaya“ Fall aus New Delhi ein, der ganz Indien zumindest für einen Moment wachgerüttelt hat. Eine junge Frau, die man später „Nirbaya“ nannte, kam mit ihrem Freund gegen 21 Uhr aus dem Kino und sie warteten auf einen Bus. Da hielt ein Kleinbus und ein Mann nickte und behauptete, in Richtung ihres Zieles zu fahren. Ich dachte vor allem an den 17-jährigen Jugendlichen,  der im Bus war und letztendlich, nachdem sie den Begleiter der Frau festgebunden hatten, der Frau eine Eisenstange zwischen die Beine stieß bis in die Gedärme hinein, woran sie dann starb. Was da aufwachte, war ein beunruhigtes Staunen über das Ausmaß der Brutalität, das wenige mit sich selbst verbinden können oder wollen. Man fand in den nachfolgenden Tagen einiges über das triste und hoffnungslose Leben dieses Jugendlichen heraus, aber es war meine Erfahrung einer Grenze durch diesen Fall, dass ich mich innerlich abwenden musste von dem aufsteigenden Verstehen im Angesicht einer Tat, die man mit keinem Verständnis erleichtern sollte. Die Vorschläge, wie mit so etwas in Zukunft umzugehen sei, waren so grotesk, dass Frauen sich zu einem Aufschrei verbündeten. Ziemlich viel Heiliges entpuppte sich als aufgeblasener Ballon, der endlich zum Platzen kam. Interessant, dass das ja auch neulich in Deutschland passierte, als ein Priester der Gemeinde vorschlug, man könnte dem oder den Vergewaltigern (vom Campingplatz) doch vergeben. Nein, man beleidigt die Opfer. Ich komme darauf wegen diesem laufenden Vorfall, wo ein Eritreer dabei war, drei Menschenleben zu beenden, und nun den Tod des Kindes verantworten muss. Egal, was zu diesem Ausraster geführt hat, man weiß, dass etwas zu weit gegangen ist. Was auch immer die manchmal wirklich erschreckenden Zusammenhänge auch sein mögen, es kann nicht dazu führen, ein Verständnis aufzubringen für so eine Tat. Wenn ein hoher Grad an Verzweiflung dazu führt, dass man unbedingt Andere schädigen muss, statt mit dem eigenen Zustand umgehen zu können. Und es ist ganz klar, dass wir mit solchen entgrenzten Zuständen und Taten in der Zukunft immer mehr umgehen müssen. In den gleichen Nachrichten, die von dieser Schreckenstat des Mannes berichtet haben , wird unabhängig davon eine unglaublich hohe Zahl an Wohnungslosen genannt, die einfach keine Chance haben, in ein einigermaßen lebbares Leben zu gelangen. Ja, viele Ausländer sind unter den Tätern, zu viele, denn es wird die Agressionen der Rechten schüren. Man spürt förmlich, wie man bei solchen Themen langsam eingekreist wird von den unglaubwürdigen Notlösungen, und es schlägt die Gedenkminute der Ohnmacht. Es ist eine Art absurdes Beiwerk dieser unserer Zeit, dass jede gute Lösung, die einem einfällt, durchaus im Rahmen potentieller Möglichkeiten existiert.  Natürlich hätte Donald Trump, das Irrlicht der Weltpolitik, auch statt einer Mauer das Geld für sozialen Wohnungsbau ausgeben können, das auch ein paar Mexikanern das gute amerikanische Leben ermöglicht haben würde können hätte, aber man will ja gedanklich nicht zu sehr ins Naive gleiten. Noch mehr Menschen werden kommen aus welchen unannehmbaren Abgründen auch immer, und werden wohnen und essen wollen und mit jemandem sein, der sie versteht oder gar liebt. Und viele werden sterben wollen, und sie werden es nicht können.

also

In den geistigen Schulen Indiens war es üblich, dass Dazukommende mehr oder minder rigoros angeregt wurden, alles, was bisher war, zurück zu lassen um sich so intensiv wie möglich den neuen Denkfeldern  widmen zu können. Das wird bzw. wurde keineswegs als Gehirnwäsche gesehen, sondern als erste Bedingung einer sich (freiwillig) wandeln wollenden Substanz, die bestrebt ist, ja wie soll man das jetzt ausdrücken trotz den vielen unterschiedlichen Methoden und Praktiken, also bestrebt ist, von einem Ende des Ichs zum anderen zu kommen, vielleicht von einer Oberfläche erstmal zu einer bewussten Tiefe zu kommen oder, vertikal gesehen, zu einer Höhe, was günstigerweise zu einem Ausloten der beiden bewusst gemachten Pole kommen kann. Nun musste der Versuch der vielen westlichen Fremdlinge, die hier einen verlockenden Weg sahen, der erfrischende Weiten und Wahrnehmungen versprach, allerdings allein daran scheitern, dass es sich für gedanklich ausgebildete Westler ziemlich schwierig, ja unmöglich gestaltete trotz aller leidenschaftlichen Sehnsucht nach gelingender Hingabe, dort auch ohne ihre eigenen Gedanken hinzugehen, beziehungsweise ohne  Gedankenkonstrukte, die gewohnt waren, sich vor allem in Zukunft und Vergangenheit aufzuhalten. Und vermutlich trieb gerade die Leere des nie ganz erfüllten Momentes viele dazu, sich auf diese östlichen Lehren einzulassen. Nun finde ich es nach wie vor angebracht, sich auch mal die Möglichkeit des Nicht-Denkens vorstellen zu können mit Hilfe sehr schlichter Übungen. Und siehe, auch hier geht das ja vor allem, weil die Konzentration sich auf etwas ganz Spezielles verlegt. Statt des traumartigen Vorüberziehens endloser Gedankengebilde (zum Beispiel) die Konzentration auf die Atemzüge, was nur gelingt, wenn man nicht denkt, sondern beim Atem ist. Übrigens ein superbes Einschlafmittel, und sicherlich wirksamer als eine Schlaftablette. Was mich daran interessiert ist diese Fähigkeit des menschlichen Apparates, sich für Veränderungen des Zustandes oder des Gefühls bewusst zu entscheiden, da es dann zu der Art Freiheit führt, die ich erstrebenswert finde, auch nicht als Selbstkontrolle, sondern als souveräne Möglichkeit, das eigene Dasein bewusst zu gestalten, ohne sich durch  eigenes Verhalten im Wege zu stehen. Natürlich ist es ein anregender Gedanke, alle Wege für offen zu halten, aber ohne dass ich bei mir selbst in einer gewissen stabilen Verankerung bin, können die vielen Optionen ja nur als Chaos wahrgenommen werden, oder als Überforderung. Wenn man in Indien, zum Beispiel im Zug, sagen würde, dass alle Wege nach Om führen, könnte man das R getrost weglassen, alle würden wissend nicken und zustimmen mit der klügsten aller Kopfbewegungen, die besagt, dass es einerseits so ist, und andrerseits auch anders sein kann. Deswegen muss man sich, wenn man möchte, auf den Weg machen, und während man entlanggeht, schauen, wie er sich entwickelt. Ist man in guter Gesellschaft kann man sich selbst schulen und verstehen, was man denkt, es gibt ja keine Vorschriften. Ich persönlich bezweifle, dass es jemanden gibt, der nicht denkt, obwohl es einige spirituellen Lehrer gerne von sich behaupten. (Ich frage mich, woher sie ihren Stoff nehmen). Auf jeden Fall ist es außerordentlich nützlich, sich mit dem eigenen Denken zu beschäftigen, und dass es einen nirgendwo hinführt, wo man gar nicht sein will, in Ängste, in Sorgen, in Erstarrungsräume, in Meinungsschluchten, in Behauptungskammern, weg also vom prasselnden Feuer, das einerseits gehalten wird von der Asche, aber auch frische Zufuhr  braucht, damit es lebendig bleibt. Eine hörbare Stille also, und auch ein hörbares Denken.

Aye, Babalu (*)

Manchmal kann man sich ja vorstellen, wie Götter entstehen. Man ist daran gewöhnt (zum Beispiel), dass man irgendwo lange wohnt, es geht einem richtig gut, man ertappt sich nicht bei rigorosen Klagereden und dankt für die Zeit, die man am eigenen Kerngeschehen verbringen kann, vorne die Welt offen, in der sich von Sokrates bis Boris Johnson alle herumbewegen auf ihren Bahnen und Verursacher von Weltgeschehen werden. Doch nicht nur ertrinken weiterhin zahllose Körper im Meer, was das potentiell Vermeidbare ins Unvermeidliche drängt, doch das Wissen selbst über die Dinge stößt an vorprogrammierte Grenzen. Natürlich können wir weiterhin von Sokrates lernen, nur was ist es für jede/n Einzelnen, der nach den Antworten sucht, wie man ein Leben leben kann: ein paar hilfreiche Tips, ein paar Hinweise. Das kann sehr wohltuend sein, bei Rewe oder Aldi in schnellem Tempo die Gänge zu durchqueren, weil es in der Tat ziemlich wenig ist, was ich da brauche, oder auch sonst im Konsumgenuss lieber weniger vom Besten als zu viel vom weniger Gehaltvollen zu mir nehme. Ich erinnere mich an die Götter, die ich vorhin glaubte, mir entstehend vorstellen zu können. Na ja, nicht wirklich an diesem Punkt. Vielleicht war es einfach schön, irgendwo hindanken zu können, wenn man miterleben musste, wie die Erde sturztrocken wird, der Wald ein gefährlicher Ort, der Sitz am Schreibtisch ein wahrer Brütkasten. Da dankte man hin zu Indra oder zu Babalou, schenk uns wieder den Regen. Dann kommt der Regen (endlich), ja, und wem dankt man dann. Wenn man sich allerdings keine Götterwesen mehr vorstellen kann, die das Schicksal von uns  Menschen regeln, oder sogar nur ein Einziger, der alles regelt, dann muss man vielleicht kurz schlucken, sieht aber schnell, dass alles zu seiner Zeit richtig war und ist, und dass man auch als einzelner Mensch kein Atlas werden muss, um die Welt durch die Gegend zu tragen. Erst jetzt versteht man ja das außerordentlich Gute am Keine-Wahl-haben. Wenn man registriert, dass man keine Wahl mehr hat, dann kann man entspannen. Achtung, was heißt hier entspannen, man ist wachsam, diese Art von Entspannung also, ruhend im Wachsamen sozusagen. Man schlägt dem Widerspruch ein Schnippchen und lässt ihn einfach sein, was er ist. Ich finde es auch keineswegs unpassend, dass einige höchst widersinnige Gestalten gerade auf den politischen Hochsitzen herumturnen und jede souveräne Möglichkeit in eine Groteske verwandeln. Da ist man einerseits doch ziemlich ohnmächtig, weiß aber auch, dass im dritten Akt des Dramas meist Überraschungen auftauchen, bisher nicht Geahntes, kaum vorher Vorstellbares, ja, förmlich vorangetrieben von einem tief verankerten Vertrauen in redliches Menschsein, das man nun als entwurzeltes Gut erkennen kann. Noch betrifft das Sterben die Einzelnen, gemäß ihrer Zeit, gemäß unseres Schicksals, aber im Großen Sterben bleibt keiner unberührt, von der großen menschlichen Kälte  gibt es kein Trennen mehr, wenn man es fälschlicherweise als etwas Cleveres sah, mit dem man punkten kann durch kläglichen Einsatz. So bleibt es spannend, ob in der Straße von Hormus  oder am Küchentisch: Menschen auf einem kleinen, blauen Planeten, ganz unter sich.

*ehemaliges Lied, erinnert aus ferner Kindheit: Aye Babalu, schenk uns wiede den Regen. Aye Babalu, er bring Erntesegen. Das Land ist trocken wie Stein, das darf nicht sein, die Früchte sind klein, das darf nicht sein, die Quelle ist tot, hilf uns aus der Not…..etc

(wie) viel

Natürlich wäre es erfreulich, wenn alle Menschen das haben könnten, was sie sich wünschen und ersehnen. Dieser Gedanke muss notgedrungener Weise bald im Stau stehen. Die Wunschpalette ist so groß geworden, die Angebote so aufwühlend in ihrer Vielfalt,  wie der Fernseher es zum Beispiel bietet, wenn bis zu 500 Programme zur Auswahl stehen, wie mir ein amerikanischer Freund vom Haus seines Sohnes berichtet hat. 500 Programme! Die Welt wird einem überall für einen gewissen Preis serviert, und es ist ja zweifellos so, dass die meisten Dinge in der Menschheitsgeschichte einen Preis hatten, den man bereit sein musste zu zahlen. Neu ist natürlich, dass der Planet übervölkert ist, was der persönlichen Wunschliste keinen Abbruch tut. Freiwillig oder unfreiwillig wird man in ein Erziehungsprogramm hineinbewegt. Ach echt, nicht alle können gleichzeitig über den Brenner fahren? Gerecht ist, dass der Jaguar hier zusammen mit der Ente wartet und brütet. Die  Lösungen für das Unlösbare sehen allerdings immer grotesker aus. Man kann den Menschen ja nicht empfehlen, zuhause zu bleiben, oder weniger Zeug zu kaufen, damit die Entsorgungsmaschinerien entlastet werden. Wenn das Erwachen durch Notzustände erzwungen wird, birgt es keine echte Freude, weil das Gezwungenwerden auch ein „Zu spät“ beinhaltet. Alle haben am Missbrauch oder der Habgier usw. mitgewirkt, nun geht es um den Umgang damit. Auf einem Sticker der Friday for Future Bewegung steht „Macht es wie wir Kinder! Werdet erwachsen!“. Auch schön. Oder genauso schön wie „Werdet wie die Kinder“, beides wahr. Vieles ist auch über die Oberfläche verständlich, aber nicht wirklich. Der Wirklichkeitsgrad, soweit vorhanden, kann meist nur in der Tiefe ausgelotet werden, wo das, was wir selbst sind, seine Resonanzen erzeugt. Wer bestimmt, was ich brauche? Was braucht das, was ich bin? Und wer bin ich. Die Kernfragen liegen oft auf der Hand, aber auch für das Erkennen der Kernfragen braucht es gewisse Bedingungen. Daher gibt es auch kein automatisches Klugwerden durch das ferne Sehen, auch wenn es eine Art Süßspeise ein kann für  Menschen ohne Zugang zu Weltgeschehen oder Natur oder Menschen und ihren Geheimnissen, bis die Sucht als solche nicht mehr erkannt werden kann und jeder sterbende Mensch eine Flimmerkiste im Zimmer hat. Habe ich noch Raum – und Zeit – für das, was ich selbst als meine Freiheit erkenne? Frei von was? Wenn man mal Ebenen durchwandern kann, wo Sphinxen die zu enträtselnden Fragen stellen, geht es einem schon besser. Es gibt ja noch Orte, die nicht so voll sind, und auch im Kopf selbst muss ich auf die Einrichtungen und Einstellungen achten, denn aus allem Eingelassenen werden Umgangsformen, mit denen man zu tun hat. Eigentlich ist es ja das Ausmaß der Freiheit, das so überwältigend ist. Wer und wie und wo ich bin, wenn ich herumsitze und herumgehe mit diesem ganz persönlichen Blick, für den ich in jeder Hinsicht zuständig bin.

heiß

Eine meiner ganz persönlichen Theorien über die Geburtsstunde vedischer Weisheit in Indien ist, dass es diese Stunde gar nicht gab, sondern dass die extremen klimatischen Verhältnisse Menschen dazu gezwungen haben, im Sitzen den Extremen zu trotzen, mal dem Eiskalten, mal dem brütend Heißen, und dabei haben manche unter ihnen, überwältigt vom Kräfteaufwand, begonnen, nach Wegen zu suchen, wie man solche Situationen einigermaßen souverän durchlaufen kann. Und da die Berührung mit Extremen eher schweigsam macht als gesprächig, wurde irgendwann das Innen entdeckt und schien so manchem forschenden Geist als fruchtbarer Acker und lohnender Zeitvertreib.  So erleben wir auch hier im Westen während der aktuellen Hitzewelle, dass das System sich selbst herunterfährt und man sich was einfallen lassen muss, um einigermaßen erträglich durchzusegeln. Im Haus steuere ich nachmittags das kühlste Zimmer an, das Gästezimmer, das als einziges einen Fernseher hat mit einer etwas größeren Bildfläche. Wenn kein Gast den Raum bewohnt, ist dort selten jemand von uns zu finden, da jede/r Einzelne in laptopischer Ungebundenheit lebt. Ich schleppe natürlich ein Buch mit, das ich dann trotz der erfreulichen Kühle nicht mehr aufschlage. Da es mich auf meinem Werdegang nie in die Nähe von Fernsehern geschleust hat, fühle ich so eine Art von exotischer Neugier, auch mal ein bisschen herumzuzappen. Ich sehe ein bisschen von den letzten Tagen  des erinnerungsschwächelnden Sherlock Holmes, schaue kurz rein bei Tele5, weil ich von einem Freund weiß, dass dort nachmittags die Raumschiffe der Enterprise Crews unterwegs sind, aber auch da finde ich die Maskierungen der Frendlinge zu extrem. Dann lande ich zum Glück bei Phoenix, denn dort wird live das Verhör von Robert Mueller übertragen. Die Lauterkeit dieses Mannes ist in der Tat wie ein kühler Wind. Man weiß, dass er  nicht hinwollte, denn da sitzen zwei Rudel hungriger Wölfe sich gegenüber, alle an dem einen Mann zerrend, der gar nichts mehr sagen will, weil alles, was er sagen wollte, bereits geschrieben steht. Heute früh höre ich, dass Mueller nicht gut weggekommen ist, offensichtlich, weil keiner ihn provozieren konnte, und ja, es stimmt, er sah ermüdet aus, neun Stunden Verhör sind ja auch kein Klachs, vor allem, wenn man nichts verbrochen hat. Dann schaltete der Sender um auf Boris Johnson, der auf dem Weg war zu seiner ersten Rede. Man muss keine gewiefte Seherin sein, um das Scheitern dieser Groteske bereits vor Augen zu haben. Da ist er nun, der kleine Bruder von Trump. Es gibt ja auch diese Lust am Untergang, wo ein Abbruch gar nicht mehr möglich ist, sondern nur noch der schmerzhafte Weg durch das Verursachte und von so vielen Meinungen Ausgelöste. Und es wird Theresa May nicht schaden, Boris Johnson scheitern zu sehen, kann doch die Weltbevölkerung nun alles selbst sehen mit den vielen Augen und sich dadurch am eigenen Wesen schulen. Und ich muss schon sagen, dass das Maßhalten sich auch beim Fernsehen bewährt. Wenn man also z.B. wie ich einmal im Jahr in einer Hitzewelle durch die Sender zappt, kann man in einer Stunde mehr Welten durchkreuzen, als es einem mit irgendeinem Transportmittel möglich wäre. Nicht, dass man da irgendwo hingehen wollte, nein, es kann einfach mal eine kleine, unterhaltende Weltreise sein, wie wenn man von einem Gehirn ins andere wandert. Am liebsten hätte ich noch mehr von Robert Muellers Verhör gesehen und gehört, die Kamera bringt das Geschehen ja noch näher, als wenn man drin gesessen wäre im Raum. Da war eine stark unterkühlte Grundstimmung. Mueller war mal FBI Chef, das zeigte sich da als hilfreich. Mir kam er trotz dieser anstrengenden Zurückhaltung menschlicher vor als alle, immer lauter und intensiver werdenden Herausforderer. Beide Seiten wollten etwas von ihm, das war von vorneherein zum Scheitern verurteilt, gefolgt von unermesslichen Dummheiten und Unverfrorenheiten aus Trumps Twittermaschine. Ich war unversehens in ein antikes Theater geraten, die Masken und die Demaskierungen wie immer erschütternd und lehrreich zugleich.

 

sehr

Als ich diesen Blog anfing, schien es mir wichtig, Bild und Wort möglichst getrennt zu halten, sodass ich als Pinsel- oder Federhalterin nicht in die Gefahr gerate, dass sich die beiden bedienen oder sich komplementieren wollen, aber die Angst war unbegründet. Eigentlich ist es jeden Tag anders, und immer wieder fällt mir dazu etwas auf oder ein. Wort und Bild kommen aus derselben Quelle, aber bei aller Rätseltragweite des Wortes kommt mir das Bild rätselhafter vor. Obwohl ich die Schöpferin des Bildes bin, erschließt es sich mir nicht sofort, und ich muss es ergründen (wenn es mir zusagt). Es ist diese Mischung aus grundtiefer Vertrautheit und grundtiefer Fremdheit, die mich anpricht, kein Zweifel etwas, womit ich mich auf verschiedenen Ebenen auskenne, ja, manchmal beides noch durch Aufmerksamkeit darauf vertiefe. Es gibt also diese Welt in mir, in der diese Gestalten ein eigenes Dasein führen. Ich finde nicht, dass es Leute sind, die ich gerne lebendig in meinem Stamm hätte, hätte ich solch einen. Es sind eher vertraute Zustände, die ich hier erkenne, und die eine zarte Verbundenheit in mir auslösen, die keine Anhaftung ermöglicht, an was auch? Vermutlich sind sie der Teil, der stets in Bewegung ist, allerdings verankert im Wortlosen. Dem Wortlosen selbst und seinen Verstummungsanfällen gelingt es zuweilen, bei Hellhörigkeit in die Sprache zu kommen. Ich erinnere mich an eine Zeit, in der ich als schweigende Insel im Weltmeer des Wortes galt, aber innerlich doch sehr reichhaltig lebte und mich nicht als wortarm empfand. Das lag  wohl auch daran, dass ich zu denen gehöre, die mit einer Gänsefeder am Ohr geboren wurden, halb seltsamer Vogel, halb menschliche Möglichkeit, die wegen den großen Dunkelheiten im Flug nicht weiter auffiel. Und es ist ja auch so, dass selbst leidenschaftliche SammlerInnen oder AnhäuferInnen Wege erschaffen müssen, um einen Gewahrsam zu entwickeln über das Maß des Besitzes. Und ob es bereitgestellt werden kann für weitere Nutzung, sodass man nicht durch plötzliche Besitzansprüche zu verarmen droht. Doch zurück zu den Bildern, oder auch dem heutigen Bild. Oft wirken die Gestalten geschlechtslos, es könnten auch Transvestiten sein, auf jeden Fall nicht so leicht geschlechtlich definierbar, und sie bewegen sich eher in zeitlich undefinierbaren Räumen, auf der Bühne in antikem Setting denkbar. So einen Text empfinde ich als sehr persönlich und eher vorstellbar als eine Anregung, Pinsel und Stift nicht aus den Augen zu verlieren, da sie uns die Teilnahme und Teilhabe an uns selbst ermöglichen. Natürlich gibt es, vor allem auch im Orient, viele verschiedenen Praktiken, von denen meist von mindestens e i n e m  Menschen behauptet wurde, durch sie bei sich selbst angekommen zu sein. Wer soll es beurteilen, da die Erkennungszeichen nicht vorhanden sind. Ohne persönliche Schöpfungswerkzeuge (Jeder Mensch ist ein Künstler! (Beuys)) gibt es noch die vielen Formen des einen Sitzens, das den Sichsuchenden einen potentiell günstigen Raum verschafft. Nirgendwo Garantie des Erreichbaren. Was für den Einen ein Gott ist, ist für den oder die Andere/n etwa ein imaginiertes Dreieck, oder ein Punkt, oder gar kein Punkt in der Luxusherberge des planetarischen Aufenthaltes. Erfrischendes Air Be and Be, mit guter Luft, wenn möglich, und klaro, ein Bett und ein gutes Frühstück, das lässt sich aushalten selbst an den heißesten Tagen.

widersprüchlich

 

Man vergisst ja leicht, dass durch die auf allen erdenklichen Ebenen rasant vor sich hinmutierende digitale Revolution u.a. auch ein kollektives Bewusstsein erschafft, von dem man wahrlich sagen muss, dass es so noch nicht dagewesen sein kann, da die dazugehörigen Instrumentarien fehlten. Es gab allerdings auch stets, wenn auch weniger häufig, die natürliche Wahrnehmung eines inneren, verbindenden Netzwerkes unter den Menschen, die einen gewissen Grad an Telepathie für etwas eher Normales hielten, ganz einfach, weil die Gehirnbahnen weniger überlastet wurden und  ein störungsfreierer Raum vorhanden war. In der jetzigen Zeit mit diesem manchmal durch Schock, manchmal  durch Lebensfreude gebeutelten Bewusstsein umzugehen, ist in der Tat keine simple Sache. Auf dem Weg zur Post hört man, dass die Wälder sterben und auch die Lunge der Welt, die Regenwälder Brasiliens, gnadenlos abgeholzt werden. Klar, sagt jemand, können doch mit ihren Wäldern machen, was sie für richtig halten, und kümmere sich jeder doch um seine oder ihre eigene Lunge. Das Rechthaben ist ja auch tiefgründig geübt und praktiziert worden von uns allen, und nun scheut man ein wenig zurück vor der Meinungsbildung. Es ist klar geworden, dass immer einige Angela Merkel vom Sitz haben wollten, und andere nicht. Oder Boris Johnson wählen, um die Lust am Untergang zu personifizieren. Oder wenn nicht jede/r Amerikaner/in demnächst zur Wahlurne geht und weiß, was sie oder er tut, dann wird es weiterhin Donald Trump sein, der alle in ermüdetem Atem hält. Es ist eben auch eine Bühne und ein Schauspiel, und man kann nicht wirklich sagen, dass es egal ist, wie der Einzelne handelt und wo wir  uns als programmierte Masse hinbewegen, umgeben von toten Bäumen. Eben nicht mehr der unbeschwerte Sommer, dessen eine Seite man durchaus noch genießen kann, dann aber auch diese Zeugenschaft des Aussterbens dessen, was wir für unersetzlich hielten. Doch das war ja auch schon da, bzw ist immer da. Die Anhäufung technisch verbrämter Kaltmetalle aber ist es wohl, die die Menschheit in eine faszinierende Phase transportiert hat, denn diese kühlen Dinger umlagern uns und stehen zu unserer Verfügung und lassen uns wissen, was das mächtige Influencen ist und wie wir damit umgehen. Noch nie konnte man so tiefgründig Wissen wie Nichtwissen genießen, alles und nichts sein, ichverhaftet und ichgelöst agieren, ohne durch den Widerspruch aus der Bahn geworfen zu werden. Nun kann dieser spannende Akt auf dem Seil zwischen den beiden Polen nur innerlich geleistet werden, denn nur wenige Berufene können als menschliche Darbietungsform die Trägheit der Materie für wenige Sekunden überwinden. Der Geist, geschult im Wachzustand, kann hier unterstützende Beihilfe leisten. D.h., wenn der Wille erwacht, zu innerer Gelassenheit zurückzukehren und Raum zu machen für den lebendigen Widerspruch. Das große Es ist zum Glück nie nur auf e i n e Weise, sondern unnachahmbar in seiner unendlichen Vielfalt. Dem gegenüber ist es geradezu rat-und unterhaltsam, sich für eine schlichte Variante des eigenen kreativen Beitrags zu entscheiden, das aber ganz und gar, damit in den Erntezeiten nichts im Wege steht.

eignen

Stimmt, eigentlich sind wir keine Passagiere hier auf dem Weltschiff, die ihr Reiseticket bezahlen und dadurch Anspruch haben auf gewisse Dienstleistungen, sondern gehören alle zur Crew, jeder und jede gleichermaßen verantwortlich für die Richtung. Dass es nicht so läuft, gehört auch zum Spiel. Man staunt ja selbst, wie vertraut und im besten Sinne „normal“ einem alles Daseiende vorkommen kann, wobei jede Norm wiederum letztendlich der Illusion unterliegt, denn nichts ist Norm, sondern alles ständig zu neuem, lebendigem Rätsel sich zusammenfügend. Wir hatten einen indischen Freund zu Gast, der für eine deutsche Firma als Geschäftsrepräsentant ihres digitalen Produktes arbeitet und hin-und herreist zwischen Indien und einigen europäischen Ländern. Es gibt mir wieder mal Gelegenheit, mit den momentanen Bewegungen in der indischen Gesellschaft in direkten Kontakt zu kommen. Wir streiten regelmäßig über Narendra Modi, der im Chaos des indischen Umbruchs eine Art Messias darstellt, der das indische Volk durch gewagte Transaktionen in die nächste Seinsphase zu hieven versucht. Schließlich haben sie außer vielen Armen und Notleidenden und Analphabeten die Atombombe, die natürlich auch Pakistan hat, was groteskerweise eine gewisse Sicherheit verspricht. Und doch habe ich vor einigen Monaten, als zwischen den beiden Ländern fast ein Krieg ausbrach, bereits diesen Hass der Hindus auf die Muslime wahrgenommen, den ich nun von Anil bestätigt höre. Ja, nicht nur Hass, sondern Bereitschaft, ihn im Kampf auszuagieren. Immer wieder mal muss ich in unseren Gesprächen über dieses Thema an das Dritte Reich denken, und wie schleichend der verborgene Prozess gegen die Juden gewesen sein muss, aber vielleicht auch gar nicht so schleichend, sondern es braucht manchmal nur das notwendige Signal, ein  Sprachrohr, um den bereits angesammelten Zündstoff in Flamme zu setzen. Das wird ein Blutbad geben, sage ich, das weiß er auch. Aber die Inder fühlen sich vom Islam bedrängt. Die Muslime produzieren mehr Kinder als Hindus, jeder muselmanische Mann kann 4 Frauen haben, wenn er sich das leisten kann. Geistbetäubende Themen irrlichtern auf dieser Erde herum. Die Muslime vermehren sich also alle viel zu schnell, das macht den Hindus Angst. Vor zwei Jahren versuchte Modis Regierung tatsächlich, die indischen Frauen zu motivieren, jeweils fünf Kinder in die indische Welt zu setzen, aber zum Glück war ein gewisser Grad an Erwachen schon in Schwung gekommen. Nun ist aber die Bedrohung immer noch da, und Anil erzählt mir, dass die Kriegsbereitschaft gegen Muslime zunimmt, und man sie eigentlich so schnell wie möglich weghaben möchte. Was hilft’s, dass wieder etwas anwächst, von dem wir nicht werden sagen können, wir hätten’s nicht gewusst, aber wir wissen ja, dass wir auf diese finsteren Ballungen keinen Einfluss haben, weil, sagt Anil, die Inder noch nie sich gewehrt haben, und nun ist das Maß voll. Sie wollen sich wehren gegen das lange schon Verhasste, das Essen, der anderer Gott und die Götter, der Geruch, die Tempel, das Fremde, das zum Auslöschen reizt.  Narendra Modi will aus Indien wieder machen, was es angeblich einmal war, bevor die Nicht-Hindus alle antanzten mit ihren goldenen Kälbern, um die man eine Weile herumtanzen konnte, bevor sich der Urtrieb zum Selber-Gott-Werden wieder durchsetzte und einen eventuell von der mühsamen Erdanhaftung erlösen konnte. Und ja, ich brauche nicht wirklich eine Meinung über Modi, sondern eher ein wachsames Auge auf die Bewegungen. Die Heerscharen der Enttäuschten und Unzufriedenen wachsen an, die unlebbaren Zustände und Umstände, die es dem Menschen nicht ermöglichen, an eine Grundausstattung heran zu kommen, ohne die er oder sie glaubt, nicht selig werden zu können. Das ist richtig, nicht selig. Das rotiert auch unter Milliardären. So unterhalten wir uns oft mit dem Wortaustausch, wenn die Weichen für Weiteres nicht gestellt sind, oder noch nicht, oder nie. Weder Schweigen noch Reden an sich sind Lösungen. Man muss schauen, in welchem Verhältnis man zu beidem geeignet ist, und um was es einem jeweils geht.

Karl Krolow

Worte

Einfalt erfundener Worte,
die man hinter Türen spricht,
aus Fenstern und gegen die Mauern,
gekalkt mit geduldigem Licht.

Wirklichkeit von Vokabeln,
von zwei Silben oder von drei’n:
aus den Rätseln des Himmels geschnitten,
aus einer Ader im Stein.

Entzifferung fremder Gesichter
mit Blitzen unter der Haut,
mit Bärten, in denen der Wind steht,
durch einen geflüsterten Laut.

Vokale – geringe Insekten,
unsichtbar über der Luft,
fallen als Asche nieder,
bleiben als Quittenduft.

schulen

Sicherlich sind der Austausch mit Anderen, das Zwiegespräch, der Dialog, der fruchtbarste Weg, über sich selbst und den Anderen oder die Andere etwas mehr zu erfahren. Auch muss man sich förmlich darin üben, die oft sehr unterschiedlichen Wahrnehmungen Anderer in Hinsicht auf die eigenen nicht nur zu akzeptieren, sondern sich auch daran erfreuen zu können. Das heißt z.B., den Raum mit zu gestalten, in dem sich andersartiges Denken und Schauen ausdrücken kann. Auch am Außen kann man sich gut und unermüdlich schulen. Es ist klar, dass der „Dialog“ zwischen Donald Trump und Ali Chamenei  nicht auf gegenseitigem Vertrauen basiert und auch keiner erwartet, dass hier menschliches Interesse am Werke ist außer für die eigenen Vorteile. Da sitzt kein Gott am Schachbrett, der um einen gefallenen Engel trauert, der auf die dunkle Seite geraten ist und unbedingt ein Spiel gewinnen möchte, bei dem keiner gewinnen kann, weil etwas viel Kostbareres verloren gegangen ist, was auch möglich war, dann aber doch nicht. Überall, wo sich aus dem selbsterhaltenden Trieb ein zerstörerischer bildet, wird der  Raum zu einer Dunkelkammer, und man kann froh sein, wenn die Liebe darin nicht zerstört wird, sondern wieder zum Vorschein kommen kann, wenn die Gefahr vorbei ist. Lieblosigkeit ist eine Gefahr. Bei Arte läuft gerade ein empfehlenswerter Film über Amy Winehouse. („Amy“, Mediathek). Man weiß ja selten, was und wie früh etwas in einem Kind zerstört wird und erst das Leben die Karten ausspielt, die das dunkle Geheimnis bezeugen. Man kann durch dieses kurze Schicksal hindurch, das hier jemand von der Sängerin zusammenstellte, vieles nachempfinden. Das begabte Kind, das entdeckt  und gnadenlos durch die ganze Prozedur des Berühmtwerdens getrieben wird, bis eine gemeinsame Drogenabhängigkeit zum letzten Schlupfloch einer Verbundenheit wird, bis auch die scheitern muss. Und die Masse, die die teuren Tickets zurückhaben will, wenn die Gefangene nicht tut, was man von ihr erwartet. Diese Bereitschaft, einen Menschen weit über ihre Kräfte hinaus zu verbrauchen, und dieses inzwischen irrlichternde Wesen, das nicht mehr die Kraft hat, dem schaurigen Spiel ein Ende zu setzen. Warum berührt es? Man spürt ein authentisches Wesen, einen Menschen, der der Ausbeutung nicht gewachsen ist. Das Kind, das die Habgier des Vaters ins Rollen brachte. Das Ausgeliefertwerden an die Meute, die abgrundtiefe Verwundung als Fraß. Und hier nun im Now: der Sommer, der sich erneut in Bewegung setzt.

lockern

Es dauert wirklich sehr lange, bis man in der Tiefe versteht, wie unnütz und vergebens auch der innigste Wunsch nach Veränderung ist, was andere Menschen betrifft und ihre Art zu sein. Und wie man sich die Dinge gerne einfacher vorstellt, meist an der persönlichen Latte gemessen, an der diese Einstellungen oft eingraviert sind. Aber das stimmt ja auch nicht, denn warum und was sollte denn einfacher sein, wenn Menschen dem entsprechen könnten, was man sich so gerne als eine Möglichkeit vorstellt. So ist man immer mehr mit dem eigenen Verstehen und dem Ausloten der Beziehungen und Begegnungen zugange, wohl wissend, wie tief man graben muss, um in sich selbst die Vorstellung einer gewünschten Veränderung umzusetzen in erfahrbare Realität. Und durch das Graben wird ja erst das Feld gelockert, und man kann gespannt sein, was alles zum Vorschein kommt. Nun benötigt man einerseits diese lebenslange Bemühung um die Sicht nach innen, aber gleichermaßen braucht man die Sicht von Anderen auf die Entwicklungen, die man durchmacht, und man braucht die Aufmerksamkeit dieses Blickes auf Andere. Da, wo keine Resonanz auf das eigene Sein erfolgt, bleibt etwas verborgen. Zu viel Verborgenes führt zu Erstarrungen, ist es einem nicht selbst wichtig, es aus den Tiefen zu locken und mit den vielen Aspekten des eigenen Wesens förderlich umzugehen. Es stimmt ja auch nicht, dass der Mensch von  eigenen Erfahrungen nichts lernen kann, und nie kann man sicher sein, was in Anderen vor sich geht, es ist mühsam genug, Kenntnis zu erlangen von den persönlichen inneren Vorgängen: wie man gestrickt und gewebt ist, und wie und wann und wo die Schicksals-Schatzkammer geöffnet, gehütet oder verschlossen bleiben muss. Und so bleibt einem auf der einfachsten und tiefsten Ebene der Erkenntnis eigentlich nur, unermüdlich den Kompass auszurichten auf die Unruhe der Meere, auf die bewusste Steuerung durch das Abenteuer des Ungewissen, auf die Freude des lebendigen Unterwegsseins. Und war der staubaufwirbelnde Schritt auf dem Mond wirklich so ein tolles Ding, oder fand nur ich es immer schon albern, als würde da ein Mensch jemals leben wollen, wo eh schon durchgesickert ist, wie krank die Herren alle irgendwann wurden, körperlich und geistig. Wenn wir die Menschen mitnehmen, die schon immer so waren und sind, was soll da anders werden. Und klar sind wir erstaunt darüber, wie winzig das blaue Rund, auf dem wir leben, da im All hängt. Und noch keine Aliens in Sicht, und kein Messias. Nur wir unterwegs mit dem unlösbaren Rätsel. Und es steht auch nicht in den Sternen, wer  zu sein wir in der Lage sind.

schleierhaft

Die Tochter der afghanischen Familie, mit der wir befreundet sind, verbringt ein paar Ferientage bei uns. Mit teilnehmender Freude haben wir sie in eine selbstbewusste junge Frau (15) heranwachsen sehen, deren Mutter das Kopftuch abgelegt hat und sich gegen die Kontrolle ihres Mannes wehrt. Er spricht kaum Deutsch und hat jeglichen Boden unter den Füßen verloren, geht kaum aus dem Haus und lebt von dem Gehalt seiner Frau, die froh ist, sich draußen einigen Freiraum verschaffen zu  können, auch wenn es hauptsächlich um Einkäufe geht. Jetzt wollen Tochter und Mutter ein paar Tage in den Iran, wo sie eine große Familie haben, die irgendwann alle vor den Taliban in den Iran geflohen sind. Dort müssen die verhüllenden Tücher wieder her, es ist gefährlich, sich  westlich beeinflusst zu zeigen. In der Familie sind fast alle Männer Apotheker. Wir hören von einem Onkel, der kleine Jungs regelmäßig betäubt hat, um sie sexuell zu missbrauchen. Wohl eher das Übliche und selten Geahndete, das finstere Zeichen hochdosierter Moral, die dann heimlich als das unerreichbar Erlebte beantwortet wird. Die afghanische Tochter kann es nicht glauben, dass es in Deutschland solche Sachen gibt wie der laufende Horrorfilm vom Campingplatz und seine schwer zu beantwortenden Fragen. Wie kann man als Vater oder Mutter nicht merken, dass das eigene Kind missbraucht worden ist, das ist etwas, das ich schwer verständlich finde. Aber vielleicht hat man selbst einfach nur Glück gehabt, nicht als potentielles Opfer jemandem ins Auge gefallen zu sein. Ich fand auch die Bestrafung, also Freispruch mit Auflagen, für den gestern verurteilten Mann unter aller Würde, der immerhin beteiligt war an einem Missbrauchsvorgang mit Anfeuern. Na prima, dass er jetzt in geregelten Verhältnissen lebt, das Kind aber vermutlich niemals wieder. Dieses besagte „Kind“ ist auch nach der Urteilsverkündigung schreiend aus dem Saal gelaufen, höre ich. Bekommt 3000 Piepen von dem Voyeur ihrer Pein. Heikle und aufwühlende Tatsachen sind das, auch wenn man Glück hatte und sich erwehren konnte. Ich fand das immer schon abartig im wahrsten Sinne des Wortes, dass für Frauen die Welt schon zu lange wie ein Dschungel ist, wo man nie weiß, wie viele Raubtiere unterwegs sind, die ihre eigenen Vorstellungen vom verfügbaren Wild züchten. Schon meldet sich der Drang, hinzuzufügen, dass man weiß, dass nicht jeder (Mann) so ist, ja, das wissen wir zum Glück auch, eben: Mensch und kein verrohtes oder überzüchtetes Tier, und ‚menschlich‘ sein, ja was ist das. Und wie soll zum Beispiel ein Muslime infrage stellen können, warum Mohammed wohl seine geliebte Ayesha schon mit 6 Jahren bei sich haben wollte. Nein, sagte man mir mal, mit sechs Jahren getroffen, ja, aber erst mit 9 Jahren mit ihm gewohnt. Ach so, ja dann. Und es ist auch nicht unbedingt wahr, dass ein unter der Burka hastig dahineilender Mensch viel einsamer sein muss als eine single Frau in Deutschland, die mit 20 Millionen anderen Singles diese Wahl als „fei“ deklarieren muss, ist es doch, was gewählt werden konnte. Man muss auch nicht gegen das Geborensein  sein (Antinatalismus), um zu reiferem Nachdenken darüber anzuregen. Einen Menschen in die Welt setzen, der immerhin ein paar Jahre nichts anderes oder Besseres zur Verfügung hat als das, was die Eltern zu geben imstande sind. Da quälen sich manchmal die Worte aus einem heraus, weil es der Meinungsbildung auch nicht zu verdanken ist, dass das nicht aufhört, bis genug Schrecken entstanden ist, um neue Gesetze zu formulieren, die bestimmt werden von den Irrgärten des dunklen Netzes. Zum Glück habe ich auch einen überraschten Kommentar zurückgehalten, als die junge Frau aus dem Zug stieg mit einem so kurzen Minirock, dass man ihn als Rock kaum mehr definieren konnte. Ich kann anregen, warum nicht, aber ich bin nicht die Hüterin der Bahn. Für mich ist es eher so, dass es mich interessiert, wie sie mit all dem umgehen, und bin froh über jede gelingende Verbindung, die den schwierigen und den leichteren Themen Raum lässt, sich dem eigenen Denken entsprechend zu bilden.

Power

Herzlichen Glückwunsch also zum 65. Lebensjahr und 15. Regierungsjahr, Angela Merkel. Da habe ich doch aus meiner Bildersammlung ein passendes Photo herausgeangelt und mit lebendigen Blüten bedacht. Wenn ich mich mal erkühne, als deutsche Staatsbürgerin unserer Kanzlerin auf diesem politischen Pfad meine Achtung zu zollen für all das, was wir bzw. ich von ihr mitbekommen habe, so ist es vor allem ein Gefühl gewesen und ist auch noch eins, von einer klugen und glaubwürdigen Person regiert zu werden, das hat mir und den meisten MitbürgerInnen ja nicht geschadet. Auch höre ich, dass sie zB. in Frankreich beliebter ist als in Deutschland, obwohl zur Zeit ihre Tremblancen, also die viel zitierten und kommentierten Zitteranfälle mehr Raum einnehmen als ihre poilitische Arbeit. Klar, die große Frage ist: wer kommt nach Angela Merkel, das kann sich außerhalb der inneren Beratungsküche gerade niemand vorstellen. Ich höre auch, dass Frau Kramp-Karrenbauer zur neuen Verteidigungsministerin wird, und muss sie dafür ihr jetziges Amt verlassen, so, wie Frau von der Leyen sich vom Heerwesen verabschieden musste, um europäische Fäden in einen stabilen Teppich zu weben zu versuchen? Man darf ruhig staunen, wie weit Ehrgeiz einen Menschen transportieren kann und was sich Menschen aus diesem Urgrund heraus alles zutrauen. Was Frau Karrenbauer betrifft, so kann man sich kaum mehr vorstellen, dass aus ihr eine Kanzlerin wird, was vielleicht auch daran liegt, dass Angela Merkels ruhige Souveränität zwar auch was Biederes hat, aber nicht nur. Und gut, zittert sie mal, so what. Wie will man sich vorstellen, was es braucht, um so einen Job durchzuhalten. Dein Arzt, der absolut Schweigeverpflichtete. Ein bisschen Cannabis in den Nachtsitzungen wäre sicherlich gesünder, wäre es nicht so streng gehandhabt, damit die richtigen Konzerne davon profitieren. Wer weiß, veilleicht koksen sie mal alle kurz durch in der Pause, vermutlich aber nicht Frau Merkel. Da es Idealsituationen nun einmal nicht gibt, bleibe ich persönlich bei meiner nüchternen Wertschätzung für die Kanzlerin. Der exzellenten Führungskraft also weiterhin alles Gute. Und ja! Ist Frau, die Kanzlerin. Man traut sich ja nicht mehr so freizügig an die Genderfrage heran, weil das bodenlose Hin-und Herschwanken zwischen Idee und Wirklichkeit mehr Schatten erzeugt hat als Lichteinfälle, und hat neue Theorien in Gang gesetzt. Sitzen denn schon genügend Frauen auf den heiß begehrten Powerplätzen, um von einem tiefen Wandel in der Gesellschaft auszugehen? Doch die Gesellschaft wandelt sich trotzdem. In Indien wird diese Zeit das dunkle Zeitalter genannt. Es zeichnet sich aus durch das Erscheinen weiblicher Kräfte, die ohne Gebundenheit an Konventionen agieren können und darin zu einer Gelassenheit gelangen, die schwierige Prozeduren handhaben und das Erforderliche entscheiden kann. Alles Gute und Menschenmögliche also.

 

trumpeln

In den paar Minuten Nachrichten, die ich als Minimum des Zugangs zum Weltgeschehen betrachte, kam heute mal wieder Donald Trump zu Twitter-Wort, und ich konnte bemerken, dass der dumpfe Kick, den man am Anfang seiner Amtsausübung noch aus seiner Darbietung erfahren konnte, wenn auch wider Willen, nun aber nicht mehr wirklich Varianten des Kicherns zündet, sondern das eher Beklemmende an den Durchsickerungen ist die scheinbar unwandelbare Form einer Dummheit, der man hier ausgesetzt ist. Man hat doch ziemlich selten die Gelegenheiten, die Dummheit als solches, sozusagen als ein menschliches Phänomen, über längere Zeit im politischen Außen betrachten zu können, kommentiert von vielen verschiedenen, in Tonlage sich wenig zurückhaltenden Sprechern und Sprecherinnen. Klar, es gibt sie einerseits haufenweise auf den übrigen moralisch morschen Thronen der politischen Weltgestalter, aber viele von ihnen sind eher begleitet von einer gefährlichen Intelligenz, die es erst ermöglicht, sie zu Bestien zu machen. Dummheit wird  meist mit stark beschränkter Intelligenz verbunden, und Einstein, der außer sehr intelligent auch noch sehr menschlich war, muss viel Verstörendes erlebt haben, bis er zu der Aussage kam, dass ‚zwei Dinge unendlich sind, das Universum und die menschliche Dummheit, und dass er sich beim Universum noch nicht ganz sicher war‘. In einem wohlwollenden Freundes-oder Familienkreis kann es ganz entspannend sein, mal beim Dummsein ertappt zu werden, und es ist günstig, wenn man erkennen kann, dass man nicht ganz auf der möglichen Höhe war. Nicht jetzt Höhe als Himmelsmaßstab oder heilige Karotte, nein, sondern einfach etwas neben der Spur, auf die man dann ja wieder zurück kann. Auch hängt die Erfahrung des Dummen davon ab, wie häufig und unter welchem Intelligenzbanner sie zum Ausdruck gemacht wird, und zu welchem Prozentsatz man den dummen Anteil des Inhaltes bereit ist, für real zu halten. Man kann davon ausgehen, dass viele intelligente BürgerInnen schon gedacht haben, dass es z.B. nicht gutgehen kann, wenn immer mehr traumatisierte Afrikaner in unseren Ländern herumirren und gar kein schönes Leben vorfinden, und ja, was ist da wirklich los in all diesen enthemmten Ausbeutern dort, die ihrem Volk kein Bleiben ermöglichen undsoweiter. Aber wenn Donald Trump etwas sagt, klingt es einfach nur dumm und rassistisch. Und Dummheit ist gefährlich, wenn sie sich im Wirt eingenistet hat und langsam aber sicher ein eigenes Wesen entwickelt, das den Ahnungslosen unbeirrt in immer dunklere Gewässer führt. Das kümmerliche Stimmchen, das noch da war, als der kleine Donald schon früh in sich selbst nicht dem entsprach, was er von sich hielt, dieses Stimmchen ist nun auch zum Schweigen gebracht, und der kleine Donald ist immerhin Präsident eines großen Landes geworden, in dem, was auf unerbittliche Weise offensichtlich geworden ist, sehr viele so sind wie er und sich freuen, endlich zum Zuge zu kommen mit einem ihnen entsprechenden Sprachrohr. Und man kann sich einen dummen Finger auf dem Roten Knopf besser vorstellen als einen durch Intelligenz gehemmten. Allerdings fällt mir hier sofort das Beispiel von Oppenheimer, der Intelligenzbestie ein, dem es eben nicht gelang, den „kleinen Jungen“ (Little Boy) an der Explosion zu hindern, die Atombombe mit diesem Namen also in ihrer orgiastischen Tatkraft zu bewundern, sein Werk, sein Orgasmus, sein Atom. Wer sollte wen jemals wirklich zurückhalten können, sind dererlei Triebe am Werk. Und ja, sie können auch, wenn das noch möglich ist, umgeleitet werden in förderliches Tun, doch dazu braucht es sehr viel von dem, was der Dummheit (und dem egozentrischen Trieb) nicht zuträglich ist. Da ist immer noch Raum für ein tieferes Erkennen, man muss ihn nur nutzen.

 

ländlich

Ein Vogelnest bzw. ein Meisterwerk der Vogelkunst. Beim näheren Hinschauen wurden die Haare unserer Katze sichtbar, da sind sie auch gut aufgehoben. Als wir aufs Land zogen, war ich mir nicht sicher, was für eine Wirkung das auf mich haben würde. An was auch immer ic mich in meiner Kindheit erinnere, so sehe ich wenig Naturverbundenes. Meine Lebensvorstellung kreiste mehr um Städte wie meine Geburtsstadt Berlin, dann Paris und London, und meine eigene Zeit in New York und weiteren Großstädten, die mir gefielen, aber letztendlich verbrachte ich mehr Zeit in eher engeren Communities, in Nepal, am Rande der Wüste Thar, und nun seit Jahren auf einem wunderbaren Stück Land, deutschem Land. Indien ist immer noch nah und bis jetzt kann ich mir gar nicht vorstellen, dort nicht mehr zu sein. Aber ich habe ein sehr ausgewogenes Empfinden zwischen beiden Seiten und bin froh, von beiden gelernt zu haben und weiterhin lernen zu können. An beiden Seiten gefällt mir die Nähe zur Natur, ich musste wohl nachholen. So viele Tiere treffen zu können aus nächster Nähe, und die Bäume, und das Wasser, und die Zusammenhänge. Aha, nicht alle können Rosengärten ungehemmt bewässern. Es gab also doch eine Grenze zum Wasserverbrauch. Jetzt müssen die meisten Einheimischen Wasser kaufen. Oft trauen sie sich nicht, den Touristen den Notstand zu vermitteln und sie zu bitten, etwas sparsamer mit dem Wasser umzugehen. An einem Montagmorgen, an dem die Hälfte der Bevölkerung schon andersweitig verbringt, kann man, bzw ich mich, fragen, wie ich vom Vogenest zum indischen Wassermangel kam, so, als lägen keine 10 Flugstunden dazwischen. Entdeckt man  solch eine gedankliche Ausuferung, ist es ratsam, sich zu fragen, was man eigentlich sagen wollte. Zurück zum Landaufenthalt also, der mir erstaunlich gut gefällt und mich immer wieder daran erinnert, welch, nein, halt ein, paradiesisch sind die Zustände nun leider nirgends, auch im Paradies waren sie ja nicht paradiesisch, wenn man dort hinausflüchten muss, weil man vom Apfel der Erkenntnis gegessen hat, obwohl die Autorität es einem verboten hatte. Und trotzdem ist es immer mal wieder eine tiefe Erfahrung für mich, die erstaunliche Vielfalt und Schönheit des Planeten wahrhaben zu können. Auf dem Land hat man mehr Ruhe zur Betrachtung. Viele Tiere leben noch, immer wieder taucht eins auf, das man noch nie gesehen hat. Man lernt andere Sprachen außerhalb der menschlichen. Andere Geräusche und Gesänge und Töne der Verständigung. Dieses Grün als Wohltat der Augen. Mir tut auch der Blick in die Wüstenweite hinein gut, die Sandfarbe, die Stille. Dann aber eben das Grün, so erfrischend. Immer staune ich bei meiner Rückkehr, wieviel Fläche es noch davon gibt. Wie viele Blüten, wie viele Früchte, und überhaupt kann man, höre ich, so vieles davon essen. Man könnte eine Zeit damit überbrücken, wenn es nicht gerade atomar verseucht wäre. Noch hält sich alles in immer wieder neu geordneten und zu ordnenden Grenzen. Vielleicht lernte ich auch von den ländlichen Regionen die Dankbarkeit kennen, die Möglichkeit einer Teilnahme an den kostbaren Stunden, in denen man die Lebendigkeit des Ganzen auf sich wirken lassen kann. Die ungeheure Kraft der Natur, immer wieder dem Unsäglichen standhalten zu können, so, als wäre es das Natürlichste der Welt, sich dieser Intelligenz zu bedienen und sie auszusaugen bis auf den letzten Tropfen. Das eigene Denken bleibt einem zum Glück nicht erspart.

Kate Tempest

Hier noch einmal Kate Tempest in deutscher Sprache, es gibt noch sehr wenig Übersetzungen, schon wegen der Länge ihrer poetischen Texte muss man sich heranwagen, und bei allem Verlust, der sich durch eine Übersetzung einstellen kann, bin ich doch froh, wenigstens e i n e n ihrer Texte übersetzt gefunden zu haben. Sie ist nicht mehr so jung wie Greta Thunberg, aber jung genug, um m.E. aufmerksam diese Stimmen zu hören, die sich Gehör verschaffen können und auch wissen, was sie zu sagen haben, das ist erfreulich, wenn auch nicht beruhigend. Es soll ja aufwühlen, ansprechen, berühren, wach machen. Egal, wo sie auftauchen mit ihrem Anliegen im Angesicht der menschlichen Notlage: ich bin froh, dass sie da sind.
 

Europa ist verloren

[Intro:]
In der Kellerwohnung, bei den Garagen
wo die Leute ihre Matratzen entsorgen,
sitzt Esther in ihrer Küche und macht belegte Brote.
Die Lamellen ihrer Jalousien sind ganz wackelig und schief
Man kann sie von der Straße aus sehen, bevor sie sich aus dem Blickfeld bewegt
um ihre Stiefel von den müden Füßen zu streifen.
Sie wischt sich die Stirn mit dem Handgelenk.
Sie ist gerade von einer Doppelschicht nach Hause gekommen.
Esther ist eine Pflegekraft, macht Nachtschichten.
Hinter ihr, an der Küchenwand,
ist ein Schwarzweißbild von Schwalben im Flug.
Ihre Augen tun weh, ihre Muskeln schmerzen.
Sie macht eine Bierdose auf und nimmt einen Schluck.
Sie hält sie an ihre durstigen Lippen
und kippt sie runter bis sie leer ist.
Es ist schon wieder 4.18 Uhr in der Früh.
Ihr Hirn ist voll von all dem, was sie an diesem Tag getan hat.
Sie weiß, dass sie nicht einen Moment schlafen wird,
bevor die Sonne sich auf den Weg gemacht hat.
Esther macht sich heute Nacht Sorgen um die Welt.
Sie macht sich ständig Sorgen.
Sie weiß nicht, wie sie diese Gedanken aus ihrem Kopf
heraushalten soll.

Europa ist verloren, Amerika – verloren, London – verloren,

Dennoch reklamieren wir den Sieg für uns.

Alles, was bedeutungslos ist, herrscht,

wir haben nichts aus der Geschichte gelernt.

Die Leute sind schon zu ihren Lebzeiten tot,

benommen im Schein der Straßen.

Aber schau, wie der Verkehr sich immer noch bewegt.

Das System ist zu glatt um aufzuhören zu funktionieren.

Das Geschäft ist gut.

Und da sind jede Nacht Bands in den Lokalen,

Und da gibt’s zwei zum Preis von einem Drink in den Clubs.

Und wir haben uns aufgedonnert,

wir haben die Arbeit und den Stress runtergewaschen

und jetzt wollen wir nur ein paar Exzesse

besser noch;

eine erinnerungswürdige Nacht, die wir bald vergessen werden.

Dieses ganze Blut, das vergossen wurde, damit diese Städte wachsen konnten,

diese ganzen gefallenen Menschen.

Die Wurzeln, die aus der Erde gegraben wurden,

damit diese Spiele gespielt werden konnten

Ich sehe es heute Nacht an den Flecken auf meinen Händen.

Die Gebäude schreien.

Aber ich kann nicht um Hilfe bitten, niemand kennt mich,

feindselig, besorgt, einsam.

Wir bewegen uns in unseren Rudeln und das sind die Rechte, die uns durch Geburt zustehen:

Arbeiten und arbeiten, damit wir alles sein können, was wir wollen.

Dann das Trübsal wegtanzen

Aber selbst die Drogen sind langweilig geworden.

Naja, Sex ist immer noch gut, wenn man denn welchen hat.

Schlafen, träumen, den Traum in Reichweite halten

Jedem einen Traum,

nicht weinen, nicht schreien,

behalt es drinnen,

verschlaf einfach weiter.

Was mach ich nur, um aufzuwachen?

Ich spüre den Preis davon meinen Körper vorantreiben,

so wie ich meine Hände in Taschen treibe

und vorsichtig gehe ich und ich sehe es, das ist alles, was wir verdient haben.

Die Schandtaten unserer Vergangenheit sind wieder ans Licht gekommen,

trotz allem, was wir getan haben, um die Spuren zu verwischen.

Sogar meine Sprache ist befleckt

mit allem, was wir gestohlen haben, um es hiermit zu ersetzen,

ich bin still,

spüre den Beginn eines Aufruhrs,

ein winziger Aufruhr allerdings,

das System ist riesengroß,

der Verkehr bewegt sich immer weiter, beweist, dass man nichts tun kann.

Denn es ist das große Geschäft, Baby, und sein Lächeln ist widerlich.

Gewalt von oben herab, strukturelle Bösartigkeit.

Eure Kinder sind mit pharmazeutischen Beruhigungsmitteln zugedröhnt.

Aber macht euch darüber keine Sorgen. Sorgt euch lieber wegen der Terroristen.

Die Meeresspiegel steigen! Die Meeresspiegel steigen!

Die Tiere, die Elefanten, die Eisbären sterben!

Hört auf zu weinen. Fangt an zu kaufen.

Aber was ist mit der Ölpest?

Psst. Niemand mag Leute, die die Party verderben.

Massaker

Massaker

Massaker

Neue Schuhe

Ghettoisierte Kinder, die am hellichten Tag ermordet werden von denen, die sie beschützen sollten.

Porno in Echtzeit, der in die Schlafzimmer eurer Grundschulkinder gestreamt wird.

Die gläserne Decke, keine Kopffreiheit.

Die Hälfte einer Generation lebt unterhalb der Armutsgrenze.

Oh, aber es ist Happy Hour an der Hauptstraße,

endlich Freitagabend, Jungs, die Runde geht auf mich!

Alles lief gut bis der Typ in der letzten Bar ein Glas an den Kopf gekriegt hat,

der ganze Raum spielte verrückt, du kannst unseren Lou fragen,

es war Irrsinn, die ganze Straße wurde rot, purer Rotwein.

Und wegen der Migranten? Ich mag sie nicht.

Meistens kümmere ich mich um meine eigenen Angelegenheiten.

Aber die kommen nur hier her, um reich zu werden.

Es ist eine Krankheit.

England! England!

Patriotismus!

Und du wunderst dich darüber, dass Jugendliche für ihre Religion sterben wollen?

Es geht so: arbeite dein ganzes Leben für ein Almosen,

vielleicht wirst du mal Manager,

bete für eine Gehaltserhöhung.

Streich die beigen Tage an deinem Strandhäuschenkalender aus.

Die Anarchisten sehnen sich verzweifelt nach etwas, das sie kaputtmachen können.

Skandalöse Bilder von modischen Rappern in glamourösen Zeitschriften.

Wer geht mit wem aus?

Ein Politiker mit Bargeld in einem Briefumschlag,

der dabei erwischt wird, wie er ein paar Lines von den künstlichen Brüsten einer Prostituierten zieht,

kriegt nur einen Klaps auf die Finger und geht zurück ins House of Lords.

Sie entführen Kinder und ficken die Köpfe von toten Schweinen

aber der Typ im Kapuzenpulli, der ein paar Joints hat –

Steckt ihn in den Knast, er ist der Kriminelle!

Steckt ihn in den Knast, er ist der Kriminelle!

Es ist die VonAllemGelangweilt-Generation

Die Produkte von Produktplatzierung und Manipulation

Schieß sie ab1, Brutalo, mit Sorgfaltspflicht

2.Komm schon, neue Schuhe.

Schöne Haare.

Blödsinnige, zuckrige Balladen

Und Selfies

Und Selfies

Und Selfies

Und hier bin ich vor dem Palast des ICHs!

Konstruiere ein Selbst und eine Psychose

und währenddessen sind die Menschen scharenweise tot

und nein, niemand hat es bemerkt.

Naja, doch, ein paar haben es bemerkt,

man konnte es an den Emojis erkennen, die sie gepostet haben.

Der Schlaf bedeckt eure Augen wie eine behandschuhte Hand

Die Lichter sind so schön und hell, also lasst uns träumen

Aber manche von uns stecken fest, wie Steine im Windschatten

Was werde ich tun, um aufzuwachen?

Wir sind verloren

Wir sind verloren

Wir sind verloren

und trotzdem wird nichts

aufhören,

nichts innehalten

Wir haben Ambitionen und Freundschaften und Liebschaften, an die wir denken müssen,

Scheidungen, die wir aus unseren Gedanken wegtrinken müssen

Das Geld

Das Geld

Das Öl

Der Planet ist erschüttert und verdorben

und das Leben ist ein Spielzeug.

Ein Kleid, das beschmutzt werden kann

Plackerei, diese Plackerei.

Ich kann einfach kein Ende sehen.

Nur das Ende.

Wie kann das etwas sein, das man wertschätzt?

Wenn die Stammesleute in ihren Wüsten tot sind,

um Platz zu schaffen für fremdartige Konstruktionen?

Entwickeln, entwickeln

und töten, was man vorfindet, wenn es einen bedroht.

Keine Spur von Liebe in der Jagd nach dem großen Geld

hier in dem Land, wo es niemanden einen Scheißdreck interessiert.

 

Ferien feiern

 

Es ist wieder so weit. Man erfährt irgendwann das Datum des Ferienbeginns, auch wenn man nicht betroffen ist, und  kann sich durchaus in neidloser Freude mit denen verbinden, die diese Zeit dringend benötigen, weil sie es redlich verdient haben. Doch auch für die, die keine Pläne geschmiedet haben zum Hinausströmen, vor allem in die Küstengebiete, für sie kann es heißen, aus verschiedenen Gründen erhöhte Wachsamkeit auf den Vorgang zu lenken. Während der Megaste Superstau jemals auf allen befahrbaren Straßen angekündigt wird, kann man davon ausgehen, dass kein Stau der Welt die co2 Ausstoßsüchtlinge davon abhalten wird, sich auf eben diesen Straßen in großen Ansammlungen zu formieren, vielleicht auch in der Annahme, als Besonderling oder SUV Driver durchzubrettern, aber nein, hier wird etwas Gemeinsames zelebriert, das auf diese Weise besonders gut zu erleben ist: manchmal geht es einfach so, wie man möchte, nicht weiter, das ist gesund, das gibt extra Zeit, die man natürlich zu nutzen wissen muss. Man kann darüber nachdenken, wie sehr man für die reine Luftbeatmung des Planeten war, wie intensiv man Greta Thunbergs Anliegen für angebracht fand bei allem Staunen über den schnellen Ruhm. Unentwegt hört man das Lob der Jugendlichen, deren Eifer die Politik in die müden Kniee zwingt. Und nun soll das Benzin teurer werden, darüber kann man auch etwas nachdenken, ist es doch eh schon teuer genug, das finden auch Leute wie ich, die nicht im Stau stehen. Es stehen ja auch nicht alle im Stau, nur sehr viele aus dem Volk sind unterwegs in andere Kulturen , wo man nun damit rechnen muss, dass am Strand, während man da ahnungslos herumliegt, Fremdlinge aus Kriegsgebieten angeschwemmt werden, denen die Heimat völlig und ganz und manchmal für immer entschwunden ist. Und es muss ja nicht immer das Schlimmste passieren, es ist schlimm genug, wie es ist. Nun ensteht durch diesen langen Pilgerzug aus den Städten eine Raumleerung. Die erzeugte Luft legt sich auf das gerade noch Bewohnte nieder. Wird von keinen Schritten mehr bewegt. Man hat vielleicht jemanden gefunden, der oder die die Blumen gießt und die Tiere versorgt, oder man legt sie ab in den Heimen oder einfach hinaus, wo jemand sie unter Umständen finden kann. Überall taucht es auf, das Märchen, wo war das doch gleich, vom Töpfchen und vom Kröpfchen, nämlich die, die lieb sind, und die, die zu viel co2 ausstoßen. Deswegen sorgt der Stau in kosmischem Einklang mit den politischen Dringlichkeiten für ein gemeinsames Langsamfahren, schließlich hat man ja Ferien. Indessen bereiten sich gut organisierte Gangs auf oft sehr erfolgreiche Diebstäle vor, haben das alles rechtzeitig ausgeheckt, die Lage und die Nachbarschaft und die sehr heruntergelassenen Rolläden. Klar könnte man sich den Einklang mit der Menschheit anders vorstellen, der Vorstellung sind ja keine Grenzen gesetzt. Ich persönlich habe mir den Samstag erkoren, um meine Vorstellungskraft etwas locker zu lassen, wenn auch nicht zu entbinden. Und wie vollkommen anders kann es doch sein, als man es sich vorstellt, also wie man sich das „ES“ vorstellt. Oder kann man sich ganz präzise einer Vorstellung nähern, indem man einfach hineinschaut? Wir wissen es nicht, und es ist auch nicht brennend wichtig. Hauptsache, man erfreut sich auf ganz persönliche Weise am Ferienbeginn und tut genau das, was man nicht lassen kann.

Das Photo (von C.M.Brinker) ist mir zugewhatsapped worden und zeigt eine Kunstfigur in einem holländischen Teich. Ich ahnte sogleich, dass es ein optimales Ferienbeginnsphoto sein können würde.

steuern

Co2co2coc (Steuer?) Klimaschutz.und wandel…eine gewisse Ermüdung stellt sich ein, einerseits die angenehme, wenn in guten Gesprächen vieles von dem, was einen bewegt, zum Ausdruck kommen kann, und dann die andere Seite, die auch in diesen Gesprächen in Themen auftaucht, sei es die unter uns“ (Menschen) herrschende Kraft der Eigennützigkeit oder die offensichtliche Unbelehrbarkeit des Menschen, der von sich wiederholenden, katastrophalen Zuständen nichts zu lernen scheint, nein, ganz im Gegegenteil von den angebotenen Süchten und Früchten nicht genug haben kann, sondern statt weniger immer mehr braucht und dann wegen so vielem Brauchen gar nicht mehr zu sich kommen kann. Einzigartiges Angebot des Wasauchimmers oder des Allerseits oder Allerleis, dass der Mensch als einziges bisher bekanntes Reflektierwesen merken kann, dass er zB. nicht bei sich ist, und dann wieder zu sich finden kann, oder auch nicht, das fällt erstmal gar nicht so auf. Man weiß ja oft nicht, wie Menschen sich mit sich selbst wirklich fühlen, wissen wir es doch selbst oft auch nicht und erfreuen uns an einem Gegenüber, das die noch verborgenen Dinge aus einem herauslocken kann und umgekehrt, dass man auch anregend wirken kann unter Menschen, auch wenn sie einem und man ihnen vielleicht unheimlich vorkommt. Zur Auflösung des Unheimlichen dient oft nur ein Lächeln, auch nicht jedes, und auch nicht immer kann das geschehen, es ist eher selten. Ja, der Klimaschutz, und der co2 Ausst0ß, das hämmerte dann heute früh durch die 3 Minuten Nachrichten, die Teil meines Morgenrituals sind. Wissen wir denn nicht alle, dass das nicht gutgehen kann. Und ja, o Polis, lasset die Grünen ran an das Steuer, dann kann man sich schulen an letzten Formen des Scheiterns; ach, ihr macht auch Milliardengeschäfte mit Waffen in Kriegsgebiete. Wie konnte das geschehen. Und doch macht jeder weiter, wo er gerade ist. Noch ist er oder sie ja da, der Mensch ist  noch da, man kann noch darüber nachdenken, wie man das sieht, und ob man tatsächlich vom Affen abstammt, oder man lässt jedem einfach sein Abstammungskonstrukt…wie…das ist wissenschaftlich bewiesen. Auch die Götter haben sich geirrt und sich beirren lassen, und man hat ihnen diese Launen zugestanden. Jedem seine Ahnenreihe, jedem seine oder ihre DNA, das ist nur in gewissen Kontexten untrüglich. Und dann die Strohhalme, die in düsteren Zeiten in der Leuchtschrift des Messias in den Himmel ragen. Asha pasha vinir mukta, rufts vedisch in den deutschen Wald, befreit von den Ketten der Hoffnung. Das ändert nichts, oder ändert es doch etwas an der Tatsache, dass der einzelne Mensch in seiner individuellen Wachheit Zeugenschaft ablegen kann von den Möglichkeiten des Menschseins. Die ihm oder ihr angemessen erscheinen, und welche nicht.

da draußen

m

Da draußen sitzt die Frau (der dunkle Kontinent)
im All. Erinnert an die Grenzenlosigkeit. Sitzt da
im Gleichgewicht der Stellungnahme. Sie bändigt
mit dem kalten Auge das Schwert. Die menschlichen
Beschränkungen und ihre Hüllen fallen. Sie hat
das Selbst erfahren, denn es ist in allen. Der Schleier
trennt von dem, was sie am meisten bannt: das Feuer
und das Licht der Liebe. Erkenntnisse ermöglichen
den Ruf zur Bändigung  von Flammen. Sie widmet
das Geschmolzene dem offenen Geheimnis der Sicht.
Dem Schweigen, das unbestechlich ist.

 

fürchten

 

Irgendwann fällt es einem ja auf, wenn man Bücher, die ihren Stammplatz in den Regalen gefunden haben, höchst wahrscheinlich nicht mehr liest bzw. nicht noch einmal liest oder überhaupt noch wissen kann, was drin steht, kommt es einem doch zuweilen auch vor, dass überall in Essenz mehr oder weniger auf des menschlichen Wesens Kern hingewiesen wird. Was als Wissen gilt, was als Weisheit, was Lächeln hervorgebracht hat, dann wieder tiefe Berührung mit den Gedanken eines oder einer Anderen. Und überall da, wo geliebt und gelebt wird, sammeln sich Dinge an, die ihrer jeweiligen Bedeutsamkeit wegen um einen herumstehen. Manmal gelingt es einem, in irgend einer Ecke oder der Tiefe des Schrankes tabula rasa zu machen, selten aber lässt man ein leeres Feld zurück, auf dem die frische Luft eines Neuanfangs zu spüren ist. Auch als ich mich neulich entschlossen einem Karton näherte, in dem präcomputerale Korrespondenzen von mir bewahrt wurden, als wir noch mit der Hand die Gänsefeder…ach nein, sorry…den Montblanc oder den Rapidographen führten, und auf leichtem Luftpapier reichhaltig Kontempliertes ankam nach tagelanger Reise, zuweilen auch mal ein leerer Umschlag, der wegen seines Umfanges vermutlich für eine Geldsendung gehalten wurde. Bevor die Nostalgie über das Verschwinden der Handschrift nach mir ausgreift, erfasse ich sie vorübergehend als etwas, was ich fürchte. Das ist sicherlich nicht viel anders, als wenn man die reife Menge der E-Mails von dazumal nochmal überfliegt und das berüchtigte Wechselbad der Emotionen erlebt. Wenn man nachschaut, wird das Gedächtnis aufgefrischt, man staunt, wie viel man vergessen kann. Wie weit will ich selbst ausufern in die Details meines einstigen Daseins, auch wenn es nicht mangelt an interessanten Geschichten und Begegnungen und Beziehungen, die man durchwandert hat. Andrerseits sitzt man hier und ist all das. Es geht ja vom Erleben nichts verloren. Vielleicht sollte man sich den Inhalten der Dinge, die der potentiellen Verstaubung anheim gefallen sind, einmal intensiv widmen und wahrnehmen, was sie einem bedeuten. Und auch wenn man merkt, dass sie einem sehr viel bedeuten, kann man darüber nachdenken, was man am liebsten mit ihnen machen möchte. Ich habe in meinem Leben das Glück gehabt, zwei Häuser, die angefüllt waren mit Schätzen, hinter mir zu lassen, und musste einmal in der Wüste, wo meine Leidenschaft für Reduktion schon ihre sichtbaren Formen annahm, erstaunt feststellen, dass ich mich kaum an meine kostbaren Anhäufungen erinnern konnte, da mich mein aktuelles Leben in Atem und Aufmerksamkeit hielt. Eben: die Leidenschaft, die Leiden schafft. Immer wieder häuft es sich an, das Herangezogene, das ebenfalls organisierte Räume braucht, um seine Wirkung zu entfalten. Gut, wenn man herumschauen kann und lächeln, wenn einen die Ordnungen anschauen, die einem zusagen, das ist durchaus angenehm Da, irgendwo in den Zwischenräumen der Gedanken, liegt ein Fürchten herum. Vielleicht vor dem Scheitern des großen Loslösungsplanes, der Antianhänglichkeitskarotte, dem wilden Traum der Entdinglichung, die Blöße letzter  Nacktheit des Sichdurchsichtiggemachthabens. Umringt wie stets von der Materie des Dazugehörigen. Fürchte dich nicht, sagte sie zu sich, denn du bist bei dir.

 

nachrichten

Als ich dieses Bild eines Selbstportraits von Francis Bacon abgebildet sah, das während einer Auktion im verhältnismäßig renommierten Sotheby Auktionshaus aufgenommen wurde, da konnte ich nicht umhin, mit ein paar aufhellenden Pinselstrichen Francis Bacon sein eigenes Portrait mit den Armen des Bildhochhalters verschmelzen zu lassen, und somit wie nebenher die Kunst mit dem Lebendigen zu rahmen (nachrichten). Bei dieser Gelegenheit konnte ich auch beim Überfliegen des dazugehörigen Artikels lernen, dass ein Unternehmer gerade das Auktionshaus Sotheby für müde 3,7 Milliarden Dollar gekauft hat. Jetzt gehört es ihm und er kann damit machen, was er will. Interessant daran (außer der Tatsache, was man mit Geld alles kaufen kann) wäre nur wie bei allen Geschichten, wenn man Zugang hätte zu den tieferen Gründen und Hintergründen einer nach außen hin berichteten Tatsache. Alles andere im Artikel handelte vom Erscheinen an und Verschwinden von der Börse. Auch weiß man nicht, warum ausgerechnet dieses Bild von Bacon gewählt wurde, vielleicht war es ja ein ähnlicher Blick wie meiner. Mir persönlich hat das Selbstbildnis noch einmal die Gelegenheit gegeben, an diesem unerklärlichen Mut zum Erschreckenden, den Francis offensichtlich hatte, teilzunehmen. In welcher Verfassung er da als Künstler auch immer war (nicht, dass es gleichgültig ist), so ist es ihm doch immer wieder gelungen, den Betrachter mit dem Erschreckenden in Verbindung zu bringen. Man muss ja nicht, aber wenn man sich davon berühren lassen kann, so ist es meines heutigen Erachtens genauso wesentlich, wie mit der hellsten Ebene in einem mal in Berührung zu kommen, ohne gleich ein Epos daraus zu machen oder eine neue religiöse Abzweigung zu gründen, die weitere Heerscharen davon abhalten wird, zu sich zu kommen. Dann wurde ich noch von den Nachrichten  von der Auflösung eines Schreckens informiert, das ist auch stets bemerkenswert, wenn sich auf einmal unerwartet Portale öffnen und das Licht hereinlassen, wo es ziemlich dunkel aussah. Ja, natürlich auch jüngst die Geschichte mit der „Sea-Watch“ und der mutigen Kapitänin, das braucht es eben immer noch häufig: ein gutes Beispiel, ein Vorbild. Dann gab es aber auch heute die Nachricht von einer Kirche, in der ein Pfarrer das eventuelle Vergeben von Missbrauchstätern predigte. Der Ausbruch der Empörung in der Kirche war so groß, dass ein Teil der Gemeinde  wutentbrannt (wie Jesus im Tempel, nehme ich mal an) die Kirche verließ. Sie wollen den Pfarrer nicht mehr haben, so wurde er abgesetzt. In jedem Fall ist es ein Hoffnungsstrahl. Noch hoffnungsstrahlender wäre es, wenn alle Empörten einfach aufgestanden sind, ohne dass es jemand anführte, nicht, dass es so einen großen Unterschied macht. Oder macht es doch einen großen Unterschied? Überall soll es ja auch immer mal wieder gute Könige gegeben haben, die zumindest die ihm Anvertrautenn nicht gnadenlos ausgebeutet haben, aber, wie wir von uns selbst wissen, ist ein sogenannter guter Charakter schwer zu erringen, es hängt von der eigenen Orientierung und ihrem Anspruch ab. Da ist eine Idee, die einen immer noch, bei aller Nüchternheit, von der Antike her anwehen kann, nämlich, dass jeder Bürger, ich füge mal die genderdurchtrainierte Bürgerin hinzu, dass also jeder Bürger und jede Bürgerin sich verantwortlich zeigt in Hinsicht auf die „Polis“ und deren demokratische Umsetzung der bürgerlichen Entscheidungen. Es ist in der Tat schwer in unserer momentanen Zeit, die sogenannte „Masse“, zu der wir ja auch alle gehören, einigermaßen einschätzen zu können , zu vieles ist im Umbruch, und alles bricht gleichzeitig um. Die Offensichtlichkeit der Veränderungen hat bereits ihren Höhepunkt durchschritten. Nun gilt es, sich so nah wie möglich bei sich aufzuhalten und auch während des Kehrens nicht vom Beisichsein abzulassen, dann aber auch die Anderen nicht aus den Augen zu verlieren, ja, ganz im Gegenteil, sie von Herzen bei sich aufzunehmen. Ich wünsche allerseits und allerorts einen mutigen Dienstag.

halten

Es ist doch erstaunlich, dass der Mensch sich selbst anschauen kann, nicht nur in einem Spiegel, sondern auch das Innen kann wie von einem Auge belichtet werden, wobei es sich gezeigt hat, dass diese Sicht, um sich zu manifestieren, einen Ausdruck, bzw. eine Sprache braucht eines der Werkzeuge des Erkennens. Da, einer Logik folgend, die man in der Natur wie im Märchen finden kann, die Quelle meistens im Verborgenen liegt oder in einem geschützten Feld, kommt es auf einen selbst an, ob man sich hier umsehen oder wohnhaft machen möchte. Dh. allerdings nicht, dass man sich die Weisheiten des Bazaars nicht zugute kommen lassen kann, oder bewundern, was wir als Menschen so alles produzieren, um Sehnsüchte und Wünsche umzusetzen, die uns als wesentlich erscheinen. Auf beiden Seiten lebt es sich ganz gut. Wenn sich Sokrates freut, dass es in der Welt so vieles gibt, was er nicht braucht, so kann das nur duch inneren Reichtum geschehen und Freude bereiten. Es wurde mal von einem Mann berichtet, der ab und zu mal 59 Tage lang fastete und von wunderbaren Ergebnissen sprach. Bekommt ein Hungernder ein paar Tage nichts zu essen, kann er nach einigen Tagen sterben. Und nicht jeder kann sterben wie Sokrates, der seine nicht niedergechriebene Lehre dadurch vollendete. Auf jeden Fall erleichtert es den Aufenthalt, wenn  man sich im Außen sowie im Innen wohlfühlen kann. Mit dem, was ich von mir weiß, trete ich vor den Anderen, nie ist gewiss, was geschieht. Wieviel ich von mir preisgeben kann und will, aus welcher Welt der oder die Andere kommt und spricht, was überhaupt möglich ist und aktiviert werden kann zwichen zwei Welten. Wie ungeuer tief und aufreibend der gelungene Austausch sein kann, will sagen: berührend. Denn wenn es nicht berühren kann, ist (zwar) Weiteres durchaus möglich. Heerscharen von Unsichtbaren melden sich zu Wort und leben ohne menschliches Gegenüber. Wenn man noch im Analogen geboren ist, ohne ihm nachzutrauern, so fragt man sich schon zuweilen, ob das, was die Menschheit bisher als „Mensch“ zu definieren imstande war, ein Auslaufmodell sein könnte. Die Liebe für die geistige Bemühung, für das Zwiegespräch (und das Streitgespräch), die Leidenschaft für die Arbeit an eigenen Untugenden und die Achtung für die Schwere des Vorgangs. All das Zeugs also, das wir auch kennen von Religionen und Heldensagen, und auf und ab geht es weiterhin mit dem sogenannten Bösen und dem sogenannten Guten. Wir werden sehen, was der Weltgeist hervorbringt und wie sich die ausgleichenden Kräfte verhalten. Ich denke, der Mensch kann niemals auschließlich von künstlicher Intelligenz beherrscht werden, solange sich zwei gegenübersitzen und sich am Dialog erfreuen und sich über die Dinge unterhalten, die ein Computer niemals verstehen kann, auch wenn die Themen der Gespräche in ihn hineingefüttert werden und wurden. Wenn es ihn nicht berührt, worum es geht, wie soll er es verstehen? Und so kommt in den Science Fiction Romanen immer ein Gandolph vor oder eine Diotima, denen das Wissen um sich selbst im Rad der Zeiten nicht abhanden gekommen ist. Die das Recht auf die Kunst und die geistigen Wissenschaften des Menschseins lebendig halten.

Kate Tempest – Brand New Ancients

Ich habe vor ein paar Tagen auf WDR 5 zum ersten Mal ein Gedicht von Kate Tempest gehört, das ich so kraftvoll und eindringlich fand, dass ich danach gesucht und es (bis jetzt) nicht mehr gefunden habe. Dann aber dieses Video. Einfach wunderbar, so eine poetische Stimme zu hören. Nun ja, in englischer Sprache, what to do.

klagen?

Von der Weltbevölkerung als besonders beschwerlich empfundene Zeiten treiben ihre eigenen Blüten im Dschungel des Menschseins. In dem Artikel, der neulich in der „Zeit“ über eine neuerdings unter einigen Menschen grassierende Sehnsucht berichtete, die eigene Geburt rückgängig machen zu wollen, hat mich vor allem ein junger Inder erstaunt, der hier zu Wort kam. Er regt im Netz die anderen Vernetzten an, sich über das ungefragte Erscheinen bei den Eltern zu beklagen. Die Klagen gegen das Leben hat es wohl auch schon immer gegeben. Wenn der tägliche Ablauf einem so viel abverlangt, dass sich das Gefühl einstellt, man kommt überhaupt nicht an die eigenen Vorstellungen über das Leben heran, kann man sich das ohne Weiteres in all seinen Varianten vorstellen. Natürlich wurde ich auch an Goethes Werther erinnert, und wie sich nach der Lektüre eine Sehnsucht nach dem Tod durchsetzte und zu Selbstmorden führte. Es ist schade, dass man eine bestimmte Leidenschaft für das jeweilige Schicksalspaket, mit dem sich Menschen vorfinden, nicht einimpfen kann. Ja, man scheitert meistens bei dem Versuch, jemanden, der vom Leben nicht begeistert ist, in Begeisterung versetzen zu wollen. Es muss ja auch nicht unbedingt die Leidenschaft für die eigene Existenz und ihr Abenteuerpotential sein, die einen umtreibt, aber ohne einen Lebenswillen stelle ich mir das schwierig vor. Automatisch kommt mit dem Willen zum Leben auch die Verantwortung dafür, klar, wer soll sie sonst haben. Es hat sich zwar gezeigt, dass es für ein Leben nichts Förderlicheres geben kann als ein wohlwollendes Zuhause im Schutze und der Fürsorge einer Familie, aber nicht nur mangelt es überall und in allen Kulturen an diesen positiven Grundbedingungen, sondern auch hier gibt es keine Garantie für die jeweilige Handhabung des Lebensprogramms, das sich aus so vielen Facetten zusammensetzt, sodass man erst spät überhaupt ein zusammenhängendes Bild sehen kann, durch das sich der persönliche Weg erschließt. Egal, wo und wie und bei wem ich mich orientiert habe auf meinem Weg, so bin ich doch als Individuum immer auch allein unterwegs mit meinen erst einmal unsichtbaren Einstellungen, die sich langsam aber sicher von innen nach außen hin formieren und mir vor Augen halten, wer ich durch sie geworden bin. Warum mich der junge Inder mit seiner negativen Bilanz erstaunt hat, ja warum? Es war erst vor ein paar Jahren, dass in meinem indischen Heimatdorf die Selbstmorde anfingen, das war neu. Viele Studenten brachten sich um, immer wieder hing einer am Ventilator, eine der hoch genugen und einigermaßen stabilen indischen Anbringungen der Haushalte. Bauern fingen an, sich aus Verzweiflung an ihrer Situation umzubringen. Wenn keinerlei Lösungen mehr in Sicht sind und kein einziger Ausgang aus der Misere verfügbar, wer kann da helfen, wenn auch da keiner in Sicht ist. Dann: Klagen handeln ja meistens von dem, was als fehlend, als Mangel dargestellt wird, als zu sehr abweichend von dem, was wir uns alle so vorstellen vom Ideal der menschlichen Darbietung, sofern ein Ideal vorhanden ist. Aber es gibt auch die Übersättigung an dem Vielen, das zur Verfügung steht, neuerdings geschult am digitalen Bewusstseinsstrom, der unversehens mitreißen kann in die vielen Welten und Unterwelten und Oberwelten, und so viele schon zurücklässt in einsamen, mit der ganzen Welt vernetzten Kammern, und etwas schleicht sich vielleicht fort aus den Wesen. Eine natürliche Zugehörigkeit  zum einzigen, was wir kennen: ein blauer Planet im All und die abenteuerliche Reise auf ihm. Weiterhin gute Fahrt! Und möglichst „nicht im Sommer sterben, wenn alles hell ist und die Erde für Spaten leicht“(*)
(*)(Schlusssatz aus Gottfried Benns Gedicht „Was schlimm ist“).

ackern

Dieses Bild kam heute früh aus Indien bei mir hereingeweht. Es löst  ein Gefühl von Vertrautheit aus, denn ein paar Jahrzehnte Indien haben vieles möglich gemacht. Es ist ja nicht nur, dass man das scheinbar absolut Fremdartige ans Herz nehmen kann, sondern genau durch diese Bewegung sieht man, so lange man kann, vor allem die schönen, ja wunderbaren Dinge. Indien zum Beispiel hat einigen von uns lange einen Raum eröffnet, in dem man zum Beispiel die Antike der eigenen Vorstellung nachempfinden konnte: die Gewänder, die Farben, die Zwiebeltürme, die Priester, wo man sich mal kurz als Priesterin dazu denken konnte, oder als wandernde Eremitin, beruflich  genauso forschend beäugt von den Patriarchen wie damals, als Diotima erfunden werden musste, um dem Wissen das Wesentliche beizufügen. Dann die Erotik des Göttlichen und die einen selbst überraschende Bereitschaft, sich dieser Anziehung zu nähern und mehr zu erfahren, als man sich vorstellen konnte. Daher weiß man dann, wie viel man sich vorstellen kann, und wie viele Ebenen und Seinswege es gibt. Überall Räucherwerk und Stäbe, Kapuzen und Geläute. Vorne draus die, die immer noch mehr wissen sollen müssen als die Anderen, damit der ganze Zirkus am Laufen gehalten werden kann. Dann die, die die unbezahlten Kreuze tragen dürfen, und die, die in den Tempeln in verschließbaren Truhen die Scheine sammeln, die die Gläubigen sich vom Mund abgespart haben. Der Priester, der mir das Bild geschickt hat, ist Familienmann und macht Tempeldienst in der Nähe des Platzes, an dem ich morgens dort ein bis zwei Stunden verbringe, auch schon Jahrzehnte. Er wurde von seiner Brahmanenkaste (es gibt im Dorf viele  verschiedene Brahmanenkasten) beordert, den Dienst zu übernehmen, weil der letzte Prieser die meisten Spenden in die Tasche gesteckt hat, bis es auffiel. Viele stehlen aus Verzweiflung, zuhause warten die Angehörigen. Früher konnte man gut leben von diesen Spenden, jetzt sterben solche Berufe aus an der Unseligkeit. Die westlichen und östlichen Missbrauchsfälle tun das Ihre. Es ist nicht immer klug, die Menge zu unterschätzen, denn wenn etwas wirklich klar geworden ist, kann diese Körperschaft auf einmal  ihre Macht entfalten durch schiere Anzahl. Auf einmal mutiert eine vorher manipulierbare Masse  in einen gut vernetzten  Aktionskörper. Es ist, wie wenn Kumbakarna, der schlafende Riese, erwacht und die Welt zum Beben bringt. Wer regiert nun die Welt, wenn man es wirklich wissen will. Oder: bin ich nun aus der Rippe des Mannes gebastelt, oder erschüttere ich meine eigenen Rippen mal ab und zu mit einem solchen Lachen, dass das Herzliche unversehens hinübergleitet ins Erschrockene. Und immer noch bemühen sich Heerscharen von geistig Angeregten um die Antworten auf die Fragen, die nie wirklich beantwortet wurden und vielleicht auch nicht beantwortet werden können. Denn wer soll entscheiden, was aus dem Menschen wird, entgleitet er doch immer wieder jeglicher Definition. Und ist doch nur Mensch, wenn er Mensch ist, so, als wüssten eigentlich doch alle von diesem verborgenen Geheimnis, das keiner verstecken oder verbergen muss, nein, das im Sein verharrt, bis es aktiviert wird, oder auch nicht. Wie auch immer das Dasein jeweils verstanden und gelebt wird, so kann offensichlich sein, was man für möglich hält, und nicht sein, was dem eigenen Seinsfeld nicht entspricht. Das ist die ganze Herausforderung. Wer ackert das Feld und sät die gewünschten Samen.

wachsam

In Indien habe ich gelernt, bestimmte Wahrnehmungen oder Gefühle  zuzulassen, die in Deutschland wenig geschult werden konnten. Wenn es einem Land wie Deutschland gelingt, nahezu jedem Menschen die als wesentlich betrachteten Grundbedürfnisse zu ermöglichen, würde man gerne annehmen, dass das zu Entspannungen dem Leben gegenüber führt, und das tut es ja auch. Wie  begehrenswert einem diese wenigen Dinge vorkommen können, wenn man sie nicht gesichert hat, weiß man erst dann, wenn sie nicht mehr erreichbar sind oder je waren. Geborgenheit kann eine Haustür sein, ein Garten, beschützende Wände, ein Bett, in dem die übermüdete Form ihre Ruhe und ihre Nähe finden kann. Doch hört man im Westen oft nur von den vielen Wegen des Leidens, auf denen Menschen sich allein und mit Anderen befinden, und was sie tun und nicht tun, und was sie sich antun, und was sie gar nicht mehr tun oder tun können, wenn das Unvorhergesehene eintritt. In Indien kann man nicht mehr wegschauen. Man sieht die Frauen, die irgendwo aus dem Haus geworfen wurden, in langen Reihen nebeneinander sitzen und betteln, Witwen sind nicht beliebt. Oder die, die der Wahnsinn gezeichnet hat, oder die, denen man ansieht, dass sie nicht mehr können, und die, die auf den kargen Abfallhäufen die noch kargeren Reste sammeln, und die Krankheiten, die dadurch entstehen, und die vielen ohne Krankenversicherung, deren Leben keiner mehr wahrnimmt. Doch der Lebenswille ist mächtig, und unzählig die verborgenen Wundertaten, die niemand je sieht in der tiefen Stille, aus der sie geboren und auch geborgen werden. Wenn die Bühne keine Wahl mehr zulässt und die eigene Rolle durch Einsatz nicht zu verändern ist, ja, dann gibt es auch da innere, letzte Freiheiten, die auch zu menschlicher Reife führen können, aber nicht müssen. Es kann auch zu Gewalt führen und zu Mord und zu Gefühllosigkeit. Es liegt also noch an diesem vom Außen unabhängigen Geheimnis, wie der Mensch mit all dem umgeht, und warum er sich so oder so entscheidet. Deswegen ist es angebracht, sich selbst, sei es nun im Westen oder im Osten, weder zu unterschätzen noch zu überschätzen, aber doch so klar wie möglich einzuschätzen und wachsam zu bleiben, vor allem wachsam dem eigenen Schmerz und Leid gegenüber, und dadurch auch wachsam dem Schmerz und dem Leid der Anderen gegenüber. Damit der Gewahrsam der spürbaren inneren und noch tiefer liegenden Grundbedürfnisse einen hörbaren Klang erzeugen kann, der Liebe unter Menschen ermöglicht.

human being

Hier noch einmal im display die zwei Worte, die mich veranlasst haben, dann doch in Indien auch so ein T-shirt zu kaufen, wohl wissend, dass ich es nie anziehen würde, es war nur für die beiden Worte. Es gab im Dorf unter jüngeren Einheimischen und Durchwanderern aller Art kaum jemanden, der nicht mal dieses Shirt trug, es war zu haben in allen Farben. Diese Worte, auf Körpern herumwandernd, übten auf jeden Fall einen hypnotischen Reiz aus. Immer wieder forschte ich nach, welche/r Träger/in angesprochen war von dem tieferen Sinn der unauffälligen Botschaft, eben genau diesem Unterschied zwischen „human being“ und „being human“, also zwischen „Mensch“ und „Menschlich sein“. Es scheint ja so, als müssten wir ziemlich mühsam und geduldig herausknobeln, was unseres Erachtens ein Mensch ist, während wir es die ganze Zeit sind. Eben, aus „Es“ soll „Ich“ werden, vielleicht war das auch damit gemeint. Wie komme ich vom Menschsein ins Menschlichsein. Nicht, was unseres Erachtens, sondern was meines Erachtens ein Mensch ist oder sei, oder wer dieser Mensch eigentlich ist, der man geworden ist, beziehungsweise ich geworden bin. „Mensch“ ist an sich genderfrei und von Anfang an ist man ja Mensch. Man wird als Mensch geboren, und es hilft gar nichts, dagegen zu sein, so, wie ich neulich von sogenannten Antinatalisten gehört habe, die gegen das Geborensein sind, weil keiner sie gefragt hat. Das ist richtig. Schon früh fängt das komplexe Handhaben des Schicksals an, schon früh ist es wesentlich, wie und ob mir die Geschehnisse in der Welt, heißt um mich herum, vermittelt werden, und dann: wie ich es selbst sehen lerne und sehe. Wenn ich an Begegnungen mit Menschen denke, die durch innere Berührungen unvergesslich geworden sind, dann, denke ich, reift da etwas Menschliches im Stillen vor sich hin. Es übt seinen Seiltanz zwischen den verfügbaren Extremen hin zu einer Mitte, und was trägt da hin zum Kern und kann das Vorhandene balancieren, das Eine mit dem Anderen, den Anderen mit der und dem Einen. Wenn wir auf das Fremde unseren eigenen Schicksalsblick werfen, so als könnten wir unseres Traumas Rätsel durch einen Anderen enträtseln, dann navigieren wir noch nicht im Ungewissen. Das Rätsel ist doch eher, dass jede/r Anwesende Mensch ist, aber dadurch nicht unbedingt und automatisch menschlich. Manchmal, wenn einem Menschen das wahrlich Unsagbare geschehen ist, denn dafür gibt es viele Formen und wenig Worte, kann es sein, dass solch ein Mensch ins abolute Nichts geschleudert wird und jeglicher Halt entschwindet. Gibt es nun wirklich gar nichts mehr, an was er oder sie festhalten kann und das Bewusstsein findet sich hellwach in der Aschennacht, dann kann es sein, dass auf einmal das Laub raschelt. Die Welt hält den Atem an. Da ist ein Mensch, der ihr den Rücken kehrt! Dieser Mensch hat  Zeit, ihr den Rücken zu kehren. Er kennt nun den Pfad vom Tod in das Leben und zurück. Wer ist dieser Mensch? Wir wissen es nicht. Etwas in uns baut unermüdlich einen eigenen Weg, der nur durch Teilnahme wahrnehmbar wird.

zuhause

 

WIR SIND ZUHAUSE. WIR SIND DA. ZUHAUSE.
FREUNDE! LEUTE! VÖLKER! STÄMME! EINEN ANDEREN ORT GIBT ES NICHT. HIER IST DER ORT. ALLES IST ORT. AM ORT. WIR SIND AM ORT. DER ORT UND WIR. DAS GROSSE TOR SIND WIR. ICH ORT BIN TOR. GROSSES TOR. SCHWINGENDES GROSSES TOR IST DER ORT. DRINNEN IST ORT WIE DRAUSSEN. DRINNEN UND DRAUSSEN SIND ORT. ORDNUNG IST LICHT AM ORT. ORT UND ORDNUNG SIND LICHT. WENN WIR DORT SIND, SIND WIR LICHT-ORT. ALLES IST TOR-GEBOREN. BEWUSSTSEIN IST ORDNUNG AM TOR. ACHTUNG! ALLES IST PRÄGUNG AM ORT. DER GEIST PRÄGT DEN ORT. WELT ENTSTEHT UND VERGEHT. VOLLKOMMEN KLAR UND SICHTBAR

Gäste

 

Für ein  „airbnb“ Zimmer in unserem Haus kamen zwei Gäste, die, wie sie uns erzählten, in unserer Gegend anlässlich eines Festes einen Auftritt hatten, oder vielmehr jeweils 4 Auftritte an beiden Festtagen. Wir erfuhren auch, dass sie zwei Kinder hatten, die sich während des Wochenendes  bei der Großmutter aufhielten, und dass sie dabei waren, nach Chile auszuwandern, wo sie bereits Land gekauft hatten und ein Haus errichtet. Eine ihrer Töchter war dort  angemeldet für das erste Schuljahr, die andere war noch zu klein.  Ich dachte: was für ein Lebensplan, in Chile zu leben mit den Kindern, die sich im chilenischen Leben werden einrichten müssen. Auf jeden Fall machten wir uns auf, um die Performance zu sehen. Der heißeste Tag im Juni. Auf dem Platz, inmitten einer Vielzahl von lukullischen Angeboten, erschien ein riesiger Zaubervogel. Hoch oben auf ihm saß unser Gast im prächtigen Gewand, aber wer waren die Füße? Eine Frau mit strohblondem Haar und einer Art Dirndl sprach mich an und lachte in mein Gesicht, aber es brauchte Minuten, bis ich sie mit der Gästin im Haus verbinden konnte. Sie verstreute um die Füße von Passanten herum, was sie ‚Phoenix Guarana‘ nannnte,  das neue Superfood. Sie sprach aus einer anderen Welt heraus, das hatte ich auch in dem Blick des Vogelreiters gesehen: es war die Welt der Gaukler, hier der Begriff in seinem besten Sinn. Wie eine verwunschene und verschwundene Welt schwebten sie langsam durch die Menge, in einem weiteren Auftritt beide auf Stelzen. Die Kostüme waren prächtig und der Zauber ihres Erscheinens meisterhaft. Sie stelzten einfach sorgsam durch die Menge und lösten Staunen und kindliche Augen aus. Einiges in den Archiven ins Vergessen Geratene begann sich zu melden. Pierrot lunaire… Die Kinder des Olymp… La strada…die Komplexität des Spielerischen, die mühselige und unermüdliche Arbeit, die zu der gewünschten Leichtigkeit führt, zur Anregung, zur Verzauberung. In der Pause trafen wir sie für einen Kaffe. Obwohl sehr viele Menschen sie auf ihrem Weg durch das ganze Festfeld gesehen haben mussten, war klar, dass sie nun niemand erkennen konnte, Nur aus der Nähe konnte man noch etwas Glitzer auf der Haut erkennen. Man hatte ihnen einen extra Platz abgesteckt auf dem Gelände, wo sie ihre aufwendigen Kostüme  lagern odereinander anziehen konnten, ein schwieriger und langwieriger Prozess, eine wahre Leistung durch die Mittagshitze hindurch. Auch in Chile werden sie auf diese Weise ihr Leben finanzieren, es scheint bisher ganz gut zu funktionieren. Mich faziniert und erfreut das zu sehen, wie sich Menschen, hier mit künstlerischem Geist, eine ganz eigene Welt erschaffen, an deren Entwicklung und Herzschlag sie kontinuierlich innerlich beteiligt sind, auch wenn es manchmal nur Knochenarbeit ist, um auf der Bühne das Spiel aufrecht zu erhalten. Sie erzählten, dass sie für jede verkörperte Figur einen Namen haben, damit das Entern dieser Persönlichkeit besser gelingt. Und wahrlich, man konnte sie unterwegs in ihrem Spiel als persönliche Personen nicht finden, der fremde Zauber war stärker. Im ‚Living Theater‘, in dem ich vor vielen Jahren gearbeitet habe, hatten wir das Stück „Mysteries and smaller Pieces“. Wir bewegten und durch das Publikum, blieben auch manchmal mit ihnen sitzen, um Fragen zu stellen wie: was würdest du gerne tragen, wenn du anziehen könntest, was du wolltest. Ich sprach einmal mit einem Mann, der lange nachdachte, denn es war ihm gar nicht aufgefallen, dass er so eine freie Wahl hatte. Dann sagte er: einen Kimono, am liebsten würde er immer einen Kimono tragen. Ganz unerwartet können einen Dinge berühren, auf die man nicht gefasst war. Und vieles erlebt man ja auch nur einmal. (Wenn nicht alles).