Skip to content
Am zweiten Tag meiner Ankunft im Dorf (bzw. im international besuchten Teertha, einem historisch hochbelasteten Feld) wollte ich wieder die Zeitung abonnieren, aber der Sikh, der sie austrägt, ist schwer zu finden, weswegen ich den Neffen meiner Freundin Suman angerufen habe, um, wenn er ihn entdeckt, ihm die Message weiter zu reichen. Die Zeitung war am nächsten Tag da. Man gewöhnt sich hier schnell an kleinere Wunder, immer gut dosiert mit immensen Herausforderungen, in denen Staubkörnchen des Wahnsinns leise herumwirbeln. Nachdem ein paar Tage des Lesens vergangen waren, bemerkte ich an einem Montag, dass ich die Sonntagszeitung bekam, überhaupt immer einen Tag späte als das Heute kam sie, nicht, dass es einen gigantischen Unterschied machen würde, außer dass man, nun, da man es weiß, doch nicht was Gestriges lesen will. Ich versuchte also, den Mann zu erwischen, aber er meldete sich selbst. Der Bus würde nicht kommen, meinte er, what to do. Einen kurzen Moment fühlte ich die Chance, mich von den Inhalten der Zeitung mit einem Schlag zu befreien, konnte es aber nicht. Um die „Times of India“ durchzublättern, braucht man Kraft. Seitenweise, und locker hineingestreut in die politischen Machenschaften, erfährt man auf unerbittliche Weise etwas von den Grausamkeiten, zu denen der Mensch in der Lage ist. Körper werden zerhackt oder zahlreich selbst an Ventilatoren aufgehangen, es wird schreckliche Rache geübt wegen vermeintlicher Verstoße, die keiner verübt hat, und gerne werden Bilder gezeigt von den „Accused“, den Angeklagten, wie sie da stehen in ihrer ganzen kläglichen Misere. Gestern meinte ein Mörder vor Gericht, er könne nicht verstehen, dass Gott es ihm erlaubt hat, so etwas Schreckliches zu tun. Zum Glück weiß man, dass hinten eine Seite kommt, die einen wieder ausbalancieren kann. Sacred Space, sozusagen. Es ist das Papier, sage ich zu Alok, der auf das Smartphone deutet. Es ist das Zeitungspapier, das sich anders anfühlt, eine andere Handhabung. Ich bringe die rasch anwachsenden Papierberge dann zu dem Restaurant von Sumans Familie, wo sie die Qualität der englischen Ausgabe schätzen, um damit bestellte Chapatis einzuwickeln.
So, jetzt habe ich lange genug darüber nachgegrübelt, wie ich diesen hinter mir liegenden Zeitraum der tiefen Trauer um die beiden aus meinem Leben Entschwundenen (den Menschen und das Tier) wieder in einen Einklang bringen kann, oder besser: überhaupt in einen Klang, mit dem Worte mir möglich scheinen an einem offenen Fenster wie diesem hier zum Beispiel, meinem Blog, dem ich einst den Titel „Yoganautik“ gab als der Kunst, sicher im Ungewissen zu navigieren. „Anfangen“scheint eines der Zaubertricks zu sein, einfach irgendwann mal wieder anfangen, auch wenn man, beziehungsweise ich, gerade nicht mehr in Deutschland bin, sondern in Indien, ein weiterer Sprung ins Ungewisse, diesmal auf indisch. In der erlebten Wirklichkeit ist es aber gar nicht so ungewiss (klar, alles ist immer ungewiss), sondern so vertraut wie sanfte Sonnenwärme auf der nackten Schulter. Ich bin wieder hier nach den Corona-Jahren, und auch hier wartet ein Abschied, der Abschied von Indien, für den ich mich selbst entschieden habe und die Entscheidung einer inneren Logik folgt, meiner inneren Logik. So will ich langsam vorangehen und schauen, wer ich selbst in dem ganzen Rahmen bin, in dem ich so viele Jahre verbracht habe, sodass ich im Dorf als einheimisch galt, was auch immer das für jede/n bedeutet:sich zugehörig fühlen, nicht so sehr aus einem Bedürfnis, sondern eher aus einer leidenschaftlichen Überzeugung und Erfahrung heraus, dass man mit dem, was man liebt in der Welt, eine Verbindung eingeht, sodass man sich wohlfühlt in der Haut mit der eigenen Fremdheit und der Fremdheit der Anderen. So trete ich gewissermaßen neu in das energetische Feld und bin gespannt, was auf mich zukommt. Wie ist doch alles versunken in sich und im Schatten des Lichtes. Träumerich tauche ich auf beim Verbliebenen. Über dem Staunen wandert mühelos dieses Warten darauf, was es gebiert. Das Anderssein kennt sich selbst als ein solches – oder kennt es sich nicht? Wir alle halten nun Welt in der Hand. Schnell wählen die Finger Orte, die auftauchen aus Tastaturen. Da sitze ich am Fenster, die Augen im Bann der Rituale. Indisches Blut drängt zurück in die Poren. Eine Sprache erhebt sich aus verborgenen Korridoren und erhebt Anspruch auf das, was es vermag. Ich lasse mich ein.
J
AUS AUGEN, DIE DAS UNFASSBARE
UND SCHWER ERTRÄGLICHE ZU
TRAGEN SUCHTEN, BLICKE ICH NUN
ZURÜCK AUF ZEITENMEERE, DEN
KOMPASS IN DER HAND. FALLE
HINDURCH ALS SCHICKSALSTROPFEN,
DANKBAR DIE AUGENLIDER SENKEND
AUF DAS, WAS DEM BEGREIFEN KAUM
ENTSPRICHT. ES KANN BESTEHEN ALS
EIN EIGENSINN. WARUM AUCH NICHT.
ICH HABE KEINE WAHL: ICH GEHE
WEITER. DAS LICHT STRÖMT REICHLICH
UND GENÜGSAM AUS POREN EINES
JEDEN NUS. MEIN LÄCHELN ERINNERT
SICH AM WELTENFENSTER DES ORIENTS,
DER EINMAL LEHRER WAR VON ICH
UND SEIN UND DU. DORT FLÜSTERN
ANDERE ABSCHIEDSWEHEN DIE LEISEN
WORTE IN DAS GEREIFTE OHR HINEIN.