Ganz im Gegenteil zu dem leisen Schaudern, das mich öfters mal, beim Lesen der „Times of India“ ergriffen hat, etwa bei den mit gusto beschriebenen Verbrechen, die man ungern mit indischem Geist in Verbindung bringt mit schier endlosen Photos von ins dunkle Nichts geschleuderten Tätern oder zuweilen auch Täterinnen. Ich also ganz im Gegenteil dazu irgendwann bei meiner Rückkehr ins deutsche Land zu den daliegenden Ausgaben der „Zeit“ greife, und mich, völlig überfordert vom Angriff der Qualität, mich wieder einlesen muss, bzw. in die Feulletons, hinten denen sich wiederum das Blatt „Entdecken“ verbirgt. Dort fand ich gestern einen anregenden Artikel bei „Therapie-Spezial“, wo ein Psychiater interviewt wurde, wo, wie und wodurch das Reden in der Therapie eigentlich hilft. Gegen Ende des Gespräches erkundigte sich der Interviewer, was Menschen davon abhalten könnte, durch Therapie und durch Reden zu ihrem Kern zu kommen. Der Psychiater (Jakob Hein) antwortete: „Es gibt keinen Kern“. Alle Gedankengänge in meinem Inneren, die in der Gewohnheit gelebt hatten, einen Kern als selbstverständlich zu sehen und zu verstehen, erstarrten gleichzeitig. Wie, kein Kern. Das Aufregende war, dass ich sofort wusste, dass das einen hohen Wahrheitgehalt hatte, denn ich hatte ihn (den Kern) oft genug gesucht und immer weniger gefunden. Der Zeit-Zeuge fragte spürbar verblüfft: Wie, es gibt keinen? Und Hein sagte: „Es gibt nur Level, die man erreicht.“ Wie erfrischend, wenn tatsächlich ein plötzlich aktiver Scheibenwischer einem übers Auge fährt, und man muss nur den Schock der veränderten Wahrnehmung aushalten. So, als hätte man nur diesen kleinen Anstoß gebraucht, um das ganze, immerhin stets bewegliche Bild in einen neuen Zusammenhang zu bringen. Hein meinte noch, dass die Idee hinter einem Kern sei, dass es einen Schalter gibt, den man nur umdrehen muss und alles ist gut. Aber dass auch Therapie keine Garantie sei, nie mehr leiden zu müssen. (usw.) Es gibt, meinte er, keine psychiatrische Sonnenschutzcreme. Und dass er nach all den unzähligen Gesprächen mit Menschen jeden Menschenhass verloren habe. Das leuchtet doch ein.
Anja März 18, 2023
Dann ist das Sprichwort „Harte Schale weicher Kern.“ wohl unpassend.
„Harte Schale welcher Level?“ lässt etwas mehr Spielraum 😉