Da in meinem ersten Beitrag heute bereits ein Heiligenschein auftaucht, geht es hier nochmal um eine staunenswerte und überraschende Erfahrung. Ich hatte gestern die Gelegenheit, in einem architektonisch christlichen Rahmen mich zu einem Menschen sagen zu hören, dass ich an gar nichts glaube, und gleichzeitig zweifellos eine zeitlose, heilige Stunde miterleben durfte, kein Zweifel. Noch am Nachmittag kam mir mein Geist irgendwie gelähmt/verdüstert/unkreativ vor und ich war froh zu hören, dass es außer einem Ablenkungs-Angebot an Vollmond auch noch eine angekündigte Mondfinsternis gab und fand den Gedanken tröstlich, dass das herannahende Mondverdunkelungs-Ereignis schon seine Schatten auf mich vorausgeworfen hatte. Da näherte sich der Abend, und Freunde von uns, die vor kurzem nach Mecklenburg-Vorpommern gezogen waren, waren zu einem Programm angereist, das eine Rezitation der Texte von Angelus Silesius beinhaltete sowie eine musikalische Darbietung des Ensembles „Ültramarine“, wahre Meister ihrer jeweiligen Kunst. Das Ganze fand in einer kleinen Kirche unweit unseres Hauses statt, von der ich noch nie was gehört hatte. Ungefähr 50 Besucher/Innen, einfach und geschmackvoll gestaltete Einrichtung und ein Meer von brennenden Kerzenlichtern. Ich denke in letzter Zeit öfters mal daran, was die Religionen ausmacht und wie schwer es ist, einiges von dem, was sie anbieten, zu ersetzen… zum Beispiel diese Stille des Raumes, die den Geist in die Vertikale zieht. Die Bilder oben zeigen das schneckenartige Herumwandern meiner Augen, die über zwei dicke Bände mit dem Titel „Gotteslob“streifen…wow, dachte ich, wird Er doch mächtig gelobt, der Hohe Herr….und an einem gut geschmiedeten Nagel hing ein Objekt, das wohl nur hier zu finden ist, edel gearbeitet: ein Knieschutz zum Beten auf den Knieen. Beeindruckend. Der Diakon, der eine ganz passable Rede hielt, sprach von 300 Mitgliedern seiner Gemeinde, das schien mir viel. Ich kenne wenige im westlichen Raum, die beten und knien, aber das sagt ja auch nichts darüber aus. Anschließend an die Rede also das Programm….Gerne würde ich die Minute, die ich mit meinem Phone aufgenommen habe, als Klang hier einfügen, aber es würde wirklich der Erfahrung nicht gerecht werden. Es war wie eine himmlische Brücke, die sich aus den Zusammenklängen der Künstler und ihren sich zulauschenden Ohren bildete, und die Sängerin der Gruppe ermöglichte einem, bzw mir, eine Auferstehung der Madonna zu visionieren, so rein und gleichzeitig mächtig war ihr Gesang, und ihre Bewegungen kamen aus der Tiefe ihrer eigenen Quelle…alle Fünf waren Meister ihrer Kunst, in spürbarer Bereitschaft und Ausrichtung zum Zusammenspiel, dem alles verbindenden, heiligen Ton, der das Antike, Archaische mühelos verbinden konnte mit dem Klang der Zeit. Das Programm hieß übrigens „Mensch, werde wesentlich!“, eine Zeile von Silesius. Die Mondfinsternis breitete sich in der Tat über unseren Köpfen aus und….na ja, ich muss ja nicht übertreiben, aber tatsächlich hatte ich den Gedanken, in Licht gebadet worden zu sein….durch Poesie! Durch Kunst! Durch Bereitstellung von Räumlichkeiten, die diesen Ereignissen Möglichkeit zur vollen Entfaltung bieten! Hier ein paar Angaben über das Konzert für Interessierte, es gibt auch eine CD…
Das Ukrainisch / Litauisch / Deutsche Quartett ULTRAMARINE
Ute Kaiser: Verse und Texte des Dichters Angelus Silesius (1624-1677).
Uliana Horbachevska – Stimme/Gesang (Lemberg)
Petras Vysniauskas – Sopransaxophon (Vilnius)
Mark Tokar – Kontrabass (Kiew)
Klaus Kugel – Perkussion (Mecklenburg-Vorpommern)