ausloten

In den vielen Jahren hierzulande habe ich auch etwas über den Unterschied zwischen ‚liking‘ und ‚loving‘ gelernt. Es ist ja eine der peinlichen Grenzen, wenn man zuweilen denkt oder glaubt oder für möglich hält, alles Daseiende mit einer Liebe, möglichst bedingungslos, zu durchströmen, und dann einen Stromschlag erhält an der nächsten Ecke durch etwas, was man nicht lieben kann, Vergewaltigung, Mord und weiteres Unsägliches, dem man im Laufe der Zeit begegnet. Man kann grundsätzlich das Schöpfungsphänomen lieben, in dem sich all dieses Drama bewegt, und in dem das, was wir vom Menschlichen und Unmenschlichen lernen können, seinen Auftritt hat. Und es gibt eine schöne Nüchternheit, unter deren Obhut die Bereitschaft zu Betroffenheiten sich auflösen kann, auch weil man weiß, dass alles so stabil erscheint, in Wirklichkeit aber nur vorüberziehender Nu ist. ‚Mögen‘ ist auch die Grußebene, besonders vortrefflich praktiziert hier in Indien, denn auf ihr muss man nicht wissen, wer wer ist, sondern man kann das Wunderbare erleben, wenn das Antlitz eines Entgegenkommenden sich aufhellt wie das  eigene, und man hat einander als Menschen getroffen. Anders ist lieben. Ach, dieses Lieben. Man lebt mit den Anderen durch die Schattentäler, bis etwas ins Herz trifft, was einen trennt von den Gruppierungen und Gemeinplätzen, und man ist allein mit der Ausbreitung des galaktischen Raumes, in dem das zeitlose Spinnrad seine eigenen Formen webt. Dann erkennt man, wenn man ein Glückskeks ist, die Symbolik und das Feld der eigenen Liebe, wenn sie die Karottenprüfung bestanden und hinter sich gelassen hat. Heute habe ich mich von Rahul, dem Priester verabschiedet und ihn gefragt, ob er denn seine vielfältigen Selfies lieber mag als seine Frau, was er verneinte und meinte, er sei im Bhakti, also der liebevollen Anbetung verankert und außer Gefahr. Außer Gefahr!? Niemand ist außer Gefahr, auch wenn sich die meisten auf dem Vorgeschriebenen niederlassen. Oder dem Nachzulesenden, oder dem Anzuschauenden, oft auch serial, wo sich Geschöpfe in ihren austauschbaren Masken und Kostümen um das von allen Ersehnte bemühen, das Lieben, das man nur geben kann. Bevor man das kann, kann einen ein Schmerz erfassen, den man am besten willkommen heißt in der leuchtenden Hütte. Entspanne dich!, lächelt der Buddha, du wirst sterben. Da bekommt die verfügbare Liebe noch eine reifere Note, denn es ist nicht nur die Liebe allein, die ins Herz trifft, sondern die Liebe zur Wahrheit, die ihr den goldenen Schimmer verleiht. Wegen dem Menschen, oder dem Meer, oder den Steinen. Es gab eine Zeit, da drängte sich das Wasser zu meinen Augenlidern hinauf, als sie auf Asche blickten, diese exquisite Materie, die das Lieben zu sich nimmt wie ein Hauch. Dann das Liebenswerte am Menschen, bis man die Werteskala auch nicht mehr braucht, denn an was soll man messen, wenn man liebt? Und bei aller Hilfestellung verblasst doch das viele Liken vor dem Tropfen an nicht nehr messbarer Tiefe, deren Ausloten einen zu sich selbst bringen kann.

 


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