erwarten

Ziemlich früh im Leben erfahren wir an uns die Erwartungshaltung und die daraus resultierenden Enttäuschungen. Man schreibt Menschen etwas zu, was sie gar nicht vorhaben zu sein und ist erstaunt bis verblüfft bis empört, wenn man als etwas gesehen wird, was der eigenen Wahrnehmung von sich selbst keineswegs entspricht. So langsam klärt sich dann das Ganze, wenn der eigene Maßstab etwas präziser wird, was noch nicht heißt, dass man schon die Gewohnheit losgeworden ist, Andere damit zu messen. Die Anekdoten sind zahlreich und oft auch lehrreich. Gerne erinnere ich mich an einen Morgen in meiner noch sehr strikten Yogapraxiszeit, als ich vor anderen Mitpraktizierenden mein völliges Unverständnis darüber ausdrückte, dass nicht alle hellbegeistert darüber waren, morgens um vier Uhr zu meditieren, und jemand mir riet, doch zur Abwechslung auch mal auszuschlafen. Man muss ja auch einen gut gemeinten Rat nicht unbedingt annehmen, vor allem aber Anderen  mit den eigenen konstruierten Selbstverständlichkeiten nicht  auf den Wecker gehen. Berechtigt finde ich wiederum eine gewisse Erwartungshaltung, wenn jemand sich klar äußert über das Erreichen bestimmter Ziele, die eine gewisse Disziplin erfordern und eine Unterstützung auf dem Weg sinnvoll machen. Man hat ja wirklich keine Ahnung, was so alles auf einen zukommen kann. Als ich hier im indischen Ort einst ankam, hatte ich z.B. noch in Kathmandu ein aus neun Jahren Sammelleidenschaft geschöpftes und mit Kostbarkeiten vollgepacktes Zuhause, und kurze Zeit später saß ich hier freiwillig am Leichenverbrennungsplatz (einer der schönsten und stillsten Plätze im Ort), und als einigen Brahmanen klar wurde, dass ich tatsächlich d a war, erwarteten sie sofort von mir die dazugehörigen Aufgaben, die daraus bestanden zu beobachten, wenn eine neue Leiche ankam, was für Tiere sich zeigten, um Aufschluss zu erhalten über die nächste Geburt Des-oder Derjenigen. Erwartungshaltung kann auch fördern, was man an sich noch nicht kannte oder kennt, wobei es natürlich nur funktioniert, wenn man offen ist für den Vorgang und ein gewisses Interesse dafür empfindet. Aufpassen muss man, wenn Menschen einen für ihre Erwartungshaltungen benutzen oder sich mit d e m schmücken möchten, was man in ihren Augen zu sein scheint, ohne dass die eigene Zustimmung erfragt wird. Meist wird ja die Zustimmung eh nicht erfragt, da jede/r denken und sehen will und kann, was er oder sie möchte. Das kann man sich als ein gnadenloses und undurchdringliches Knäuel von Meinungsströmen vorstellen. Mir fiel mal auf an mir, wie schnell es geht und wie unterhaltsam es sein kann, wenn man die (inneren) flotten Sichtweisen im Vorübergehen auf Andere ablagert. Dann habe ich es mir abgwöhnt. Auch die Erwartungshaltung, die von einem sogenannten ‚guten Ruf‘ ausgeht, kann beides, anregend und ziemlich nervig sein. Genau wie beim schlechten Ruf fallen flüchtigen Denkern eine Menge Sachen ein, mit denen man so eine Person ausschmücken oder kleintreten kann. Beides ist gleichermaßen unangenehm, und wenn es sich als notwendig erweist, lohnt  es immer, sich um eine Einschätzung zu kümmern, die ihren Inhalt aus gemeinsamen Gesprächen nährt und sich vorsichtig dem nie ganz Erreichbaren antastet. Da man langsam aber sicher erkennt, dass man nur an und in sich selbst etwas erreichen oder nicht erreichen kann, muss man sich in letzter Konsequenz doch auf den eigenen Maßstab verlassen, auch wenn man dazulernt, Andere nicht damit zu belästigen oder zu stören oder diese Ausrichtung für die wesentliche zu halten.

 


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