Es klingt sicher sehr simplifiziert in den Ohren, wenn sie hören, dass es im Grunde nur zwei Lebenswege gibt, die man beobachten kann, wobei sich beide in nahezu unerschöpfliche Vielfalt in ihre jeweiligen Manifestationen formieren. Ich berufe mich hier gedanklich auf etwas, was mir einmal in Indien als eine indische Sehensweise vermittelt wurde, und zwar, dass es einerseits den Familienpfad gibt, sozusagen das Rad des Lebens in all seinen räumlichen und häuslichen Möglichkeiten und potentiellen Freuden, und andrerseits diejenigen, die sich aus irgend einem Grunde aus diesem Rad herausbewegt haben, oder sich dort nicht zuhause gefühlt haben, oder deren Pläne mit dem Familiensystem nicht harmonisiert haben. Wer weiß schon, warum er/sie was macht, und warum auf diese Weise und warum nicht anders. Es ist auch nicht so, dass diese scheinbare Trennung der Lebensarten dann notgedrungen zu streng getrennten Leben führen musste, sondern die Ordnungen und die Einstellungen waren klar definiert. Vom Religiösen her war und ist es dort nicht viel anders als hier. Von Nonnen und Mönchen wurde einfach nicht erwartet, dass sie Nachkommen zeugen. Als ich drei Jahre lang in einem indischen Tempel saß auf eigener Studienreise, wurde ich gerne öfters gefragt, ob ich auch zölibatär unterwegs sei, bis ich eines Tages auf Hindi klären konnte, dass, wollte ich zur Zeit Männer verführen, ich wohl am falschen Ort dafür sei, und dass das wenigstens für mich klar wäre. Ich war da, um ein Feuer zu hüten, und es waren gerade die bestehenden Ordnungen, die es für mich als Frau möglich machten, mich auf diesem Weg zu bewegen. Nicht nur in hochbezahlten Jobs, sondern auch da musste und vor allem konnte man als Frau schon dadurch mehr leisten, dass man den Job ernst nahm. Keine Kraftvergeudung, ganz im Gegenteil: unermesslicher Reichtum für ein paar Entbehrungen. Die Grenzen dieser beiden Richtungen verschwimmen jetzt überall, vor allem überall vor aller Augen, denn an jeder Ecke der Welt sind die meisten Menschen informiert darüber, was woanders läuft, und wie ein riesiges Maul mahlt sich der Ozean der Meinungen durch die Denkmaterie, und lehnt sich hinaus, und schreckt zurück, und fragt sich, oder fragt sich nicht, wer er oder sie oder es ist, wie es ist und wer es bestimmt, und wer man selbst darin ist. Man kann auch beobachten, dass diese beiden Systeme, also das der Einzelstruktur und das der Familienstruktur, bis heute nur da funktioniert, wo Bewusstsein am Werke ist, denn es ist noch nie auf Vergleiche angekommen, sondern es geht unter anderem auch darum, dass jede/r mit seiner Existenz den angemessenen Ort findet oder erschafft, wo das, was man von sich möchte, auf Umsetzung wartet. Das Unerwartete fühlt sich immer erst einmal gefährlich an. Es ist immer unerwartet, wenn Grenzen bewusst geöffnet oder zumindest geweitet werden müssen. Eine Sozialarbeiterin, mit der ich bei der ersten Ankunft von Flüchtlingen in Kontakt war, fragte mal nüchtern, ob wir denn schon so weit wären, zum Beispiel die ganzen Afrikaner auf selbem Augenmaß zu betrachten wie uns selbst. Was, wenn sie alle nicht mehr gehen, oder wenn man denken möchte, dass sie sich eh bei uns nicht wohlfühlen werden, weil sie ja die Wüste brauchen, oder was jeder so an Bildern in sich trägt, bis man vielleicht die liebevolle Mutter mit ihrer klugen Tochter trifft, oder einfach Menschen, mit denen man gerne Kaffee trinken und herzlich lachen kann. Es ist ja nicht so, als wenn nicht alles schon da wäre: das Vielfarbige, das Erfrischende, das Verantwortungstragende den Einstellungen gegenüber und dem eigenen Verhalten.