Manchmal betrachte ich die Wesen, die aus meinem oder durch meinen Pinsel hervortreten und denke, dass ich sie nie gekannt hätte ohne dieses Hervortreten durch ein Ringen, das in mir lebendig wird, bis sie da sind. Ich habe die letzten Tage viel mit einer sehr liebevollen Mutter verbracht und fand, sie schaute auch so auf ihr Kind: einerseits erstaunt, dass es aus ihr hervorkam, ein tief vertrauter Fremdling, das Kind, dessen eigenes Wesen sich nicht wirklich erklären lässt, mit dem aber diese unauflösbare Verbundenheit besteht. Natürlich ist es einfacher, ein Bild loszulassen als ein Kind, wo die Frage gar nicht auftaucht, das Mysterium der Verbundenheit aber dennoch atmet. Welche Blicke gehen in die Zukunft, welche in die Vergangenheit, und welche bewegen sich in verhältnismäßiger Unabhängigkeit von diesen zwei Räumen. Gestern hatte ich Besuch von Anil (einem Softwareprogrammierer für Schiffscomputer), der sich verabschiedete und mit seiner Familie auf dem Weg nach Delhi war. Mitten im Gespräch fing er an, mich als „Yogi“ zu bezeichnen, für die s.E. der Tod keine große Überraschung darstellt, während es für ihn als Familienmann wesentlich schwerer wäre. Er erzählte mir eine simple Anekdote, in der Yama, der Gott des Todes, zum Yogi kommt, der unbeschwerten Herzens mitgeht, während der Haushälter um Zeit bittet, damit er für die Angehörigen alles regeln kann. Noch habe ich weder in mir oder in Anderen eine Leichtfüßigkeit dem Tod gegenüber feststellen können, das ist ja nicht so einfach. Allerdings bemerke ich, dass meine klare Entscheidung, mich von Indien zu trennen, mich in ein anderes Bewusstsein und einen neuen Raum versetzt hat. Mir fielen diese Sätze ein, die tatsächlich in meinem „Yogi(ni)leben herumgegeistert sind wie „in it, but not of it“, was in Englisch einfacher auzudrücken ist im Sinne, dass man zwar in der Welt ist, aber nicht verwickelt in die Bezüge zu ihr. Das erlebe ich gerade und finde es spannend, dass es nicht nur meiner Liebe zu diesem Land und seinen BewohnerInnen keinerlei Abbruch tut, sondern eher noch eine Freiheit in dieser Liebe auftaucht, die eher an das Unauslöschbare erinnert. Einerseits suche ich zur Zeit weniger nach den Begegnungen, erfahre mich aber als sehr präsent, wenn sie stattfinden, sei es beim Gemüsemann oder im Gespräch mit dem Brahmanenpriester. Das gefällt mir, denn es gibt Hoffnung und Mut, weiterzugehen in das Ungewisse mit einer Freude an der Schöpfung, als was auch immer sie sich zeigt. Anil sprach auch über das Leiden, ohne das es dem Menschen fast unmöglich sei, zu sich zu kommen, da kann ich nur zustimmen. Am schwersten ist der Weg, dem Schrecken in sich und über sich selbst nicht auszuweichen, und es ist unentbehrlich, so tief zu tauchen, dass man weiß, was der existentielle Grund ist, von dem wiederum ein Aufsteigen nicht nur möglich, sondern automatisch möglich ist. „Automatisch“ ist ein Lieblingswort der einheimischen Inder, die damit ein positiv besetztes Schwingungsfeld meinen, das durch bereitwillige Hingabe an das Sein entsteht. Wenn man es in der Musik erfährt, kann man erleben, wie auf einmal die Instrumente sich selbst zu spielen scheinen, eine Ebene der schöpferischen Virtuosität, die auch Aspekte des Wahnsinns in sich tragen kann, die hier sublimiert werden. Und stand es nicht einmal in einem meiner frühen Gedichte: ‚Geh, bevor du gehst, damit wenigstens du da bist, wenn Da da ist.‘