Cyborg

Manchmal möchte man tiefer eindringen oder zumindest mehr verstehen von einem Geheimnis, das sich wie alle Geheimnisse nur über bestimmte Bedingungen begreifen lässt. So, wie alles Gedachte nicht die letzten Antworten enthält. Sofern es sie, die Antworten, überhaupt gibt oder jemals geben wird. Eine der besten Zugänge zu allem (Mensch, Tier, Natur) ist nach wie vor die Erfahrung, und auch sie dient nur weitgehend, wenn sie so klar wie möglich reflektiert wird. So sagte ich zu dem jordanischen Arzt und den ihn begleitenden Krankenschwestern in einem naheliegenden Krankenhaus, in dem ich soeben eine Woche verbracht habe, um mir ein neues Hüftgelenk einbauen zu lassen: „Jetzt bin ich ein Cyborg“. Ich fand das gefühlsmäßig ziemlich wahrheitsgetreu und fühlte mich unter dem Baldachin des Begriffes pudelwohl. Eine leise Befremdung war aber dadurch auf jeden Fall in den Raum geweht, und vermutlich war diese Verbindung den dort Beschäftigten nicht in erster Linie vertraut. Auch, bzw. nur ich, fing an, darüber nachzudenken, was ich denn selbst unter einem Cyborg verstehe, dh. ich sah mal nach. Dort erfuhr ich, dass „als Cyborg Menschen bezeichnet werden,  die mit technischen Hilfsmitteln ihre biologischen Qualitäten verbessern oder erweitern“. Na bitte, sag ich doch. „Diese Menschen werden je nach Ausprägungsgrad zu einer Art Mischung aus Mensch und Maschine“. Nun ja, die mutigen Handhaber der technischen Maschinen haben bei mir lediglich ein Stück Knochen herausgesägt, um es mit einem künstlichen Objekt zu ersetzen: ein dolchartiger Schaft verankerte sich ohne Zement im Innenraum meines Beines. Nun nennt man, wenn Chirurgen so etwas ein paar hundert Mal hinter sich gebracht haben, sowas gerne einen Standard Klacks. Doch ist man selbst betroffen, kommt es einem in der Tat so vor, als gäbe es nur noch mehr oder weniger gut bewältigte Dolchstöße in den Oberschenkeln der Menschheit. Aber nein, in den Gängen der Hospitale laufen künstliche Kniee herum, ganz zu schweigen von der Anzahl von technisch Eingebautem im eigenen Erholungszimmer. Frau Fischer zum Beispiel hatte schon so ziemlich alles in sich eingebaut, was der Fachmann heute leisten kann. Allerdings würde man bei ihr nicht auf den Begriff „Cyborg“ kommen, sondern eher hoffen, dass ihr weitere technische Einpflanzungen erspart werden würden. Ich persönlich wäre lieber, oder auch gerne, direkt am Operationstisch gestanden und hätte zugeschaut, wie das gemacht wird: aufmachen, sägen, draufsetzen, schließen.  Dazu kommt noch was, was ich erst jetzt realisiert habe. Und zwar musste ich bei der Einweisung ein Papier unterzeichnen, was die Erlaubnis bestätigte, dass mein herausgesägtes Teil weiter verarbeitet bzw. aufgearbeitet werden kann. Das erfreut einen natürlich, dass man noch nebenher zum Spender beziehungsweise einer Spenderin werden durfte. Ich habe auch dort zum ersten Mal meine Blutgruppe erfahren. Hocherfreut hörte ich, dass es Null ist. Nicht nur kann ich jedem Blut spenden, sonder jeder kann auch mir spenden. Die Null an sich ist auch hier der wohlklingende Kern. Die Hybridin bedankt sich für Ihre Aufmerksamkeit.

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert