Frage:
Die Selbstsorge zielt immer auf das Wohl der anderen: sie zielt darauf ab, den Raum der Macht, die in jeder Beziehung anwesend ist, gut zu verwalten, also im Sinne der Nichtbeherrschung zu verwalten. Worin kann in diesem Zusammenhang die Rolle des Philosophen bestehen, also desjenigen, der sich um die Sorge der anderen kümmert?
Michel Foucault:
Nehmen wir zum Beispiel Sokrates. Das ist genau der, der die Leute auf der Straße oder die Jungen im Gymnasium anspricht und sie fragt: beschäftigst du dich mit dir selbst? Ihm wurde diese Bürde auferlegt, das ist seine Mission, er wird sie niemals aufgeben, nicht einmal im Augenblick der Todesdrohung. Das ist der Mann, der sich um die Sorge der anderen kümmert: das ist die besondere Position des Philosophen. Aber im Fall des vereinfachend gesagt freien Mannes bestand die Forderung dieser ganzen Moral darin, dass, wer sich richtig um sich selbst kümmert, sich deshalb den anderen gegenüber richtig verhalten und ihnen nutzen kann. Eine Polis, in der sich jeder auf die richtige Art um sich selbst kümmern würde, wäre eine Polis, die gut funktionierte; sie fände darin das ethische Prinzip ihrer Beständigkeit. Aber man kann wohl nicht sagen, dass der Grieche, der sich um sich selbst kümmert, sich zuerst um die anderen kümmern muss. Dieses Thema kommt, wie mir scheint, erst viel später auf. Man muss die Sorge um die anderen nicht vor die Selbstsorge stellen; ethisch gesehen, kommt die Selbstsorge in dem Maße zuerst, wie der Selbstbezug ontologisch an erster Stelle steht.