natürlich


Lob des natürlichen Auges
Gerade noch habe ich es dem Salat entrissen und mir dadurch ermöglicht, es ein natürliches Auge zu nennen. Ich benutze das Wort „natürlich“ sehr selten, und auch die Rote Beete Scheibe hat nichts davon, wenn ich sie lobe, denn nur mich verblüfft sie  (wieder einmal) durch ihre Strahlkraft und diesen hervorgereiften Kern, als Kreis oder eben als Auge zu sehen. Dass Früchte und Gemüse Eigenschaften besitzen, die ihre VerzehrerInnen in Andacht stürzen können, habe ich vor allem in Indien gelernt. Dort ist mir eigentlich so ziemlich alles, was man vor dem Ausbruch der Fast Food Revolution an Nahrhaftem zu sich nehmen konnte, als „holy“ deklariert worden. Schon das intensive und gekonnte Kneten des Teiges weist auf das sich Gebärende hin und wird hier, direkt über dem Feuer und vor dem eigenen Auge, zum Planeten, immer gleich und doch immer anders, sodass man die dazu auserwählte Frau des Haushaltes geradezu verehrt hat, indem man sich auf sie bezog (ich nicht!) als die Hervorbringerin dieser zyklischen Vollkommenheiten. Ich hab’s ein paar Mal versucht, meine Formen erinnerten eher an illegale Ausuferungen, aber ein waschechter Hindu isst eh ungern von Fremdlingen, egal, wie eingeheimscht man empfunden wird. Das hat prächtig mit mir übereingestimmt, fern angesiedelt wie ich war von dem Wunsch, durch zwanghafte Natürlichkeit glänzen zu müssen oder gar zu wollen. Früh grübelte ich über den Satz Nietzsches nach, die Natur müsse überwunden werden, und meinte vermutlich die eigene, die genauso sprießen und überwältigen und vernichten kann wie der Mensch, der allerdings ein Instrumentarium zur Verfügung hat, mit dem seine Anlagen zu handhaben und zu begleiten sind, sodass man eines Tages unter günstigen Umständen sagen kann, man sei d e r  Mensch geworden, der oder die man sein wollte. Hat sich herausgelockt und hineinbegeben ins Getümmel des Dramas, bis ein paar Dinge, die einem ganz persönlich klar wurden, zu Hinweisen und Richtungen führten. Auch in der Yoga-Ausbildung war es üblich, ganz speziell die Nahrung zu ehren. Es gab ein System mit vier unterschiedlichen Aufteilungen gemäß der Berufe und Berufungen und der damit verbundenen geistigen Einstellungen. Oder ein Granatapfel wurde geehrt, weil man seinen Inhalt mit mehreren teilen konnte. Das alles war dann mehr oder minder schlagartig zu Ende, und niemand hat Zeit, bei aller Freude am Neuen, das Verlorene zu betrauern. Ich selbst habe mich nie als natürlich empfunden, weil ich nie wirklich verstanden habe, was damit gemeint ist. Ich kenne Menschen, die ich als natürlich empfinde, aber da verstecken sich schon die Finger einer einzigen Hand. Was haben sie nur, diese Wenigen, was man so oft vermisst bei anderen Begegnungen. Darüber werde ich selbst noch nachdenken. Denn wenn Liebe der Raum ist, in dem Natürlichkeit sich entfalten kann, dann öffne ich mich auch gerne diesem Ungewissen, das man nur erfahren kann, wenn man ganz und gar anwesend ist. (Was weitere Fragen aufwirft).

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