Noch wer & Wer noch
Die beiden Bilder sind kleine Ausschnitte aus einer Wort-Arbeit, die wir im Haus zusammen während des Lockdowns gemacht haben. Ich mag das Wort ‚NOCH‘, und habe es selbst einmal in einem Gedicht zur Kernaussage gemacht im Sinne von: Noch sind wir da. Noch da noch. Noch da. Jetzt, im Angesicht anstehender Lockerungen, sind wir vermutlich erst einmal froh, dass wir noch da sind. Gestern erhielt ich die Nachricht vom Tod eines Mannes im indischen Dorf, den ich sehr gut kannte und schätzte. Er war erst um die fünfzig herum und es fiel mir schwer, ihn mir nicht lebend vorzustellen. Etwas in mir weigerte sich, ich rief noch jemanden an, um es bestätigen zu lassen. Eben nicht mehr da jetzt, nicht mehr da. Der Tod manifestiert eine sehr eindeutige Realität, mit der man umgehen muss. Deswegen zeigt es sich auch hier als günstig, dem Ungewissen eine gewisse Stabilität verliehen zu haben. Dass das Sterben gewiss ist, alles andere findet im Noch statt. Noch da noch. Noch da. Man sieht vor dem geistigen Auge eine Unmenge Tore sich öffnen im Außenbereich. Die Phase des Wieder-Dürfens wird allerorts eingeleitet. Und wir wissen natürlich nicht (wie immer) wer da herauskommt aus diesem kollektiv auferlegten Rückzug, der eine spürbare Verdichtung in die Weltatmosphäre gebracht hat. Das war kein Ramadan, wo man zwar auch macht, was einem schwer fällt, aber wenn man es schafft, fühlt man sich pudelwohl (denke ich mal). Es wird gefeiert, und so manche Frau, könnte ich mir vorstellen, bedauert, dass es vorbei ist, denn nun gibt es wieder viel Raum für das, was man gerne das Normale nennt, was durchaus und immer mal wieder aufs Neue zu begrübeln wäre. Denn dahin öffnen sich ja wieder die Tore für die, die es vermisst haben, das Normale eben, das es nie gab und das es auch jetzt nicht gibt. Noch wissen wir gar nicht, wie uns diese Erfahrung geprägt hat, dieser Bann, dieser Stau, diese Flut neuer Regeln und Begriffe. Welche drei G’s bitte sollen‘ erst einmal sein? Ach so, das Dürfen geht ja noch weiter. Gut, wenn man sich freieisen konnte. Poch poch an das milchige Eis der Erstarrung. Alles, was nicht aus dem freien Willen herausgeboren wird, unterliegt einer Gefahr der Erstarrung. Niemand mag es, wenn man muss, was man nicht will. Manchmal muss man trotzdem, doch kann man sich auch dafür entscheiden, klar, es ist ja kein Kinderspiel. Entdecke ich also einen Hauch von Furcht in mir (?), dass es jetzt sichtbar werden wird, was in den Häusern geschehen ist, als sie viel weniger als sonst besucht werden durften, und nun die Resultate des jeweiligen Ausbrütens in Erscheinung treten. Gut, wir werden sehen. Wie stabil sich das Ungewisse wirklich zeigt, und wie wir damit umgehen werden. Mit uns selbst und mit den Anderen.
Christiane Mai 14, 2021
Ja, ein Hauch von Furcht, wahrscheinlich auch mehr, ist zu entdecken.
Für die, die das nicht spüren, bleibt nur zu glauben, daß am Ende Impfen tatsächlich glücklich machen könne.