Ich erinnere mich an die ersten Nachrichten, die bei uns ankamen von im Meer ertrinkenden Menschen aus afrikanischen Ländern. Wie sie vor meinem inneren Auge hinuntertrudelten in die verschlingende Tiefe, bis die auf solch unmenschliche Weise dem Tod Überlassenenen so viele wurden, dass ich Halt suchte an meinem Pinsel. Die schwarzen Punkte auf der blauen Meeresfarbe sollten mir näher bringen, was mein Verstand verweigerte, und tatsächlich begann ich das Haar zu spüren bei jedem Punkt, den ich setzte. Vielleicht war es einfacher, weil der Pinsel auch Haare hat, doch wenn man ihm Auftrag gibt, versucht er zumindest, sein Bestes zu geben. Ich weiß, es bedeutet nicht viel, dass ich an meinem deutschen Fenster den Tod der indischen Kultur betrauere, ich bin ja auch nicht alleine, denn ich finde schon, dass ein Hauch dieser Trauer über den Planeten weht, hielt Indien in seinem Weltruf doch lange allem Möglichen stand. Auf der anderen Seite, also hier im Westen, war das Kennen von Indien auch über die Medien bemerkenswert eingeschränkt, da gefüttert von Dingen, die wir IndienliebhaberInnen nie selbst erlebt haben. Auf der anderen Seite gab es im Land auch überall so ziemlich alles im uneingeschränkten Irrsinn des Daseins, von der proklamierten Frucht der Erleuchtung bis hinunter zu grausamstem Missbrauch gegen Mensch und Tier und Ding. Nur hat dann die Intensität des Dunklen und Dichten zugenommen. Aber alles stand eben auch schon in den Schriften, man brauchte nur nachlesen, was alles kommen würde, und auf einmal war man mittendrin in der Weltensaga und verstand, wenn man das wollte, dass man sich selbst vertrat, wenn man das konnte. Und klar: die digitale Revolution gab dem Ganzen den Rest, denn viel Rest war es eh schon geworden, der Rest von dem Wissen und der Rest von der daraus resultierenden Weisheit, alles bekannt als strenge Wege freiwillig auferlegter Ordnungen, die zuweilen zu großer Lebensfreude führten, selten genug, aber immerhin. Und nun der Tod mit seinem krassesten Auftritt, auch hier ein Meister, irgendwo geschult in geheimen Gehirnwindungen, das Resultat einer mächtigen Instanz, die sich hat ausleben dürfen, bis die Not so groß wurde und kein Gesicht mehr im Spiegelbild den Schrecken dahinter übersehen konnte. Als Weltendrama dient es wohl weiterhin als ein Erkennen, dass tatsächlich alles einmal einen Anfang hat und dann ein Ende findet, außer man bewegt sich bewusst in einem Kreislauf, in dem automatisch das Ende den Anfang schon bergen muss, der Uroboros also, die Ewigkeit in Bewegung. Doch nichts tröstet die Zurückgebliebenen der großen Vernichtungen, weder im Krieg noch im Lockdown der Pandemie. Das unnötige Sterben, das durch weise Entscheidungen wenigstens hätte eingedämmt werden können, das macht es schwer, in diesem Sterben eine Ruhe zu finden. Und trotzdem gilt auch hier, dass es ist, was und wie es ist. Ist also schon da, , das gequälte Tier in der Halle, der gefolterte Mensch in den Gulags, wo man denkt, jede Hoffnung auf erträgliches Menschsein würde endgültig begraben werden müssen. Aber muss nicht, denn ich werde ja nicht entlassen aus meiner eigenen Beteiligung, wissend, dass ich bei jeder Wahl, an der ich selbst beteiligt bin, rein technisch das Zünglein sein kann an der Waage.