klären

Das Bild habe ich, wie man deutlich sieht, irgendwo aus dem Netz herausgeraubt, wo jemand sicherlich Ähnliches damit ausdrücken wollte, was diese Maske so vortrefflich hergibt, nämlich das fassungslose Erschrecken und Entsetzen, immer wieder aktuell. Eigentlich schwebte mir als heutiges Bild vor, noch einmal den Fisch zu zeigen, dem ich neulich vor einem Heimaquarium begegnet bin und der während unseres Aufenthaltes am Kopf wieder eine Erhellung seiner ursprünglichen Farbe aufwies, bevor eine Krankheit ihn in ein Tiefschwarz getaucht hatte. Es hätte meine Deutung getragen, dass sich etwas Krankes auch in etwas Gesundes verwandeln kann, wenn es eine Möglichkeit der Verbindung gibt. Oder man noch miteinander redet. Oder irgendwann erkennt, dass auch das Reden nur noch eine Farce ist und das Drama sich bereits in den fünften Akt bewegt hat, von dem keine/r weiß, wie er sich auswirkt auf alle Beteiligten, sondern man kann auf einmal mit keinem, sondern muss mit allem rechnen, und dann auch noch mit allen, wenn es zum Härtetest kommt. In den amerikanischen Nachrichten höre ich etwas überrascht, dass Joe Biden Kredit dafür bekommt, dass Olaf Scholz die viel diskutierte Pipeline North Stream 2 zumindest vorerst für beendet erklärt hat. Man könnte auch sagen, dass die Verhältnisse sich geklärt haben. Nun weiß man, dass zumindest Putin nicht nur ein geheimdienstgeschultes Schlitzohr ist, sondern er ist auch der Zar von Russland, der noch nie auch nur das geringste Interesse an der waghalsigen Einführung einer Demokratie hatte, die, von einem Professor klug definiert, die „radikale Einschränkung von Macht“ bedeutet, und das als Idee, die möglichst von allen Interessierten bedacht und möglichst auch umgesetzt werden soll und kann, auch wenn ihr meist ein unvollkommener Beigeschmack anhaftet, weil sie aus einem lebendigen Organismus besteht und von der geistigen Beschaffenheit des Einzelnen seine Nahrung erhält. Wer weiß schon, wie viele Russen Putin gar nicht wollen, aber nun kann ihn keiner mehr von seinem goldenen Schlitten jagen, auf dem er sich mit hungrigen Wölfen in die eigene Phantasie peitscht und keiner es mehr wagt, sich seinen Befehlen zu widersetzen, ohne in irgendwelchen Gulags zu landen. In der letzten Zeit haben Russlandkenner  immer mal wieder darauf hingewiesen, dass man (auch) Putin von seiner Welt her verstehen muss, nun hat er selbst das Vermutete geklärt. Russisch war nach Deutsch meine erste Fremdsprache, und zu gerne hätte ich Dostojewski auf Russisch gelesen, aber auch auf Deutsch war es eine Tiefe, die man in sich ausloten musste. Oder Sergej Eisensteins Filme, die einem unter die Haut legen, wie und wodurch die Dinge oder beziehungsweise die Menschen entgleisen und was die Folgen dieser Entgleisung sind. Da schnappte ich heute früh  noch vor den Nachrichten die letzten Worte eines Priesters auf, der vermutlich aus der Bibel zitierte: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild“. Auch Worte können zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein.

einschätzen


Durchquerung des Raumes
Das griechische Drama enthüllt noch einmal und genau vor unseren pandemiebetäubten Augen seine Urstruktur: das unausweichliche Schicksal. Man sieht eine Menge Bewegung, um das  zu verhindern, was, so würde man gerne meinen, eigentlich keiner will, nämlich Säbelrasseln und dann legales Totschlagen und Totschießen. Aber man sieht auch, dass da vieles nicht gelingt und durch sein Misslingen  unaufhaltsam sich formiert in das, was man dann als das erkennen muss, was eigentlich vermeidbar hätte sein können, dann aber doch nicht. Und gab es wirklich einen Weg aus den abgrundtiefen Ängsten des Gesichtsverlustes, die gar nicht bewusst wahrgenommen werden, sondern der Hass stellt sich ein auf das Nichtverstandenfühlen und die Rachegelüste für fehlende Anerkennung und Akzeptanz. Wenn die Gräben oder der Irrsinn so groß werden, dass weder die diplomatischen noch die menschlichen Stimmen mehr durchdringen durch die errichteten Mauern, dann muss man mit einigem rechnen. Nun will man die kostbare Zeit nicht mit unnützen Gedanken verbringen und muss entscheiden, wie man die Lage jeweils vernünftig einschätzen kann. Gibt es Handlungsbedarf oder Mäßigungsbedarf. Es wird Hamsterkäufe geben, denn schon wird öffentlich geraten, für eventuelle russische Cyberattacken gerüstet zu sein, jetzt nicht mit Waffen, sondern mit Überbrückungsmaterialien im Falle von Strom-oder Gasausfall, oder was auch immer ausfallen kann, wenn politische Krisenherde sich auszubreiten drohen. Aber gut, ich hab’s mir mal gesagt, bleibe dann jedoch weiterhin bei den beweglichen Einstellungen des eigenen Systems und der Ruhe und Gelassenheit, die dort gefördert wird. Ansonsten soll morgen viel Sonne scheinen. Auch ihr muss man wieder ohne Fremdheit begegnen lernen.

überraschend

Die beiden kontrastreichen Bilder dokumentieren zwei Überraschungen, die uns während einer kurzen Reise in einen anderen Landstrich Deutschlands begegneten, bzw. sich unterwegs manifestierten. Das eine war die aktuelle Sturmflut, vor der gewarnt wurde und wo man auch in den kurzen Ruhezuständen mit herumfliegender Materie rechnen sollte. Auf der Autobahn war der Verkehr derart karg, dass wir zeitweise das einzige Auto in Sicht waren. Immer noch etwas Nieseln, dann aber langsame Aufhellung und trockene Bodenfläche. Alles schaukelte sich wohlwollend in den Modus des Staunens ein. Es ist verblüffend, wie viele Sorgen sich mühelos produzieren lassen, die sich im Nachhinein als vollkommen unnötig herausstellen. Da weiß man dadurch schon eher, dass etwas bereits in uns Liegendes sich mit dem potentiellen Sorgenfeld verbunden hat und nun seine Wirkung entfalten möchte. Da schien bereits die Sonne mal zwischendurch, und der Wind ließ locker. Alles zu Erledigende hatte sich bestens umgesetzt und wir fuhren weiter zu Freunden, um dort zu übernachten. Sie haben ein sehr großes Aquarium, in dem ein paar exotische Exemplare ihr eingeschränktes Leben durchschwimmen. Man muss sich immer wieder einreden, dass sie ja nichts anderes kennen. So wie es als Pelzmäntel extra gezüchtete Tiere gibt, so gibt es eben Fische, die zur Unterhaltung und Freude des Menschen in gewissen Gefängnissen herumirren, so, als könnte sich noch irgendwas in der Genetik daran erinnern, dass es auch mal anders gedacht war, das gehört dann zu den Archiven des kollektiven Vergessens. Nun gut, ich bin in meinem Leben noch nicht oft vor einem Aquarium gesessen und hatte auch als Kind keinen Goldfisch im Glas (dafür einen Wellensittich und eine Schildkröte mit Migrationshintergrund). Während fünf der Exemplare in bunten, schillernden Farben leuchteten, hing ein einzelner Fisch regungslos in einer Ecke, abgewandt von den anderen. Wir hörten, dass er schon wochenlang hauptsächlich dort verharrte und offensichtlich sehr krank war. Man sprach von einem durchlöcherten Gewebe und nahm an, dass er bald sterben würde. Wir nahmen Anteil und sprachen mit ihm. Der Hausherr fühlte sich angeregt, den Fischen einen Namen zu geben, aber nur der Kranke erhielt einen und der Besitzer nannte ihn Blacky. Eigentlich war Blacky von Natur aus gar nicht schwarz, sondern von nahezu hellblauer Hautfarbe, wovon nichts mehr zu sehen war. Allerdings passierte mal wieder ein Wunder, was ja ziemlich häufig der Fall ist, ohne dass man gleich aufschreien muss, und Blacky fing an, in die Mitte des Bassins zu wedeln, und dort blieb er auch, solange wir da waren. Am nächsten Morgen sahen wir, dass sein Kopf angefangen hatte, sich wieder blau zu färben. Ich würde durchaus so weit gehen zu behaupten, dass er sich durch die extra Aufmerksamkeit angesprochen fühlte und einen Energieschub erlebte. Oder erfuhr nur ich durch die intensive Teilnahme an seinem Schicksal einen Energieschub? Auf jeden Fall war der Himmel bei der Rückfahrt strahlend blau, und die Wolke oben im Bild fiel mir auf, und die Sonne schien auf die immer noch leergefegten Straßen, weil vor dem nächsten Sturmtief bereits gewarnt wurde.

Sándor Márai

Sandor Marai

Und ich will davon bis zum letzten Augenblick, solange man mich den Buchstaben niederschreiben lässt, zeugen: dass es eine Zeit gab und einige Generationen, die den Sieg des Verstandes über die Triebe verkündeten und an die Widerstandskraft des Geistes glaubten, der die Todessehnsucht zu zügeln vermag.

Aus: „Bekenntnisse eines Bürgers“.

fast

Draußen das Sturmtief. Drinnen: Ruhe.

Da fiel mir doch tatsächlich eins meiner
ersten Gedichte ein, wenn man es denn
so nennen kann. Es war in Englisch und
bestand aus zwei Worten.
„Imagine: almost.“ Stell dir vor: Fast.
Noch heute schaudert es mich.
‚Fast‘ ist immer so nahe. Beinahe.

(nicht) brauchen


Mental Olympics
Hier und da zeigen sich vorsichtig kommentierte Lockerungen, am Himmel, im Ukraine Konflikt, in den Pandemievorsichtsmaßnahmen. Klar ist, dass wir ab und zu etwas Sonne, aber keinen Krieg und keine weitere Viren-Mutation brauchen. Wenn bald alle wieder überall hingehen können, und die Masken nur noch irgendwo rumhängen als Erinnerung an eine Zeit, in der wirklich mal vieles anders war als sonst. Eine Menge neuer Worte sind dazu gekommen, die man dann nicht mehr braucht, die sich aber in vielen Berichten verewigen werden, und die Enkel der Welt könnten Geschichten hören von den Geboosterten und den Ungeboosterten.  Damals, als wir im Frühling 2022 einen Lichtschimmer am Ende des Pandemietunnels sahen und wie Omikron, der kranke, aber nicht tödliche Windhauch uns am Leben ließ. Eben das Leben, das wir immerhin noch haben und für dessen Gestaltung wir zuständig sind. Zwei Jahre bin ich in keinem Flugzeug gesessen, ich konnte es mir gar nicht mehr vorstellen, nach der Pandemie wieder in einem Indien anzukommen, das tausende von Menschen hat jämmerlich krepieren lassen, weil es keinen Sauerstoff mehr gab. Wo unzählige Leichen im heiligen Ganges an die Ufer geschwemmt wurden, weil die Menschen sich das Holz zur Verbrennung der Körper nicht mehr leisten konnten. Werde ich noch einmal dort landen können und mich ohne Maske im Land bewegen. Niemand weiß es und ich weiß es auch nicht. Eigentlich herrscht das Ungewisse immer vor. Es ist der eigentliche Zustand des Weltgeschehens. Wir bannen und festigen ihn ständig, den fließenden Strom. Wir kanalisieren unser jeweiliges Erleben in ein Verstehen hinein, das nur vorübergehend haltbar ist, denn es ist ja alles ständig im Wandel  und kann nur bedingt beeinflusst werden. Wir geben hinein, wer wir sind, das ist unsere Möglichkeit, Leben zu gestalten aus dem Geist heraus, der zur Verfügung steht. Um den eigenen Geist muss man sich kümmern, kein Zweifel, sonst rückt einem der Weltgeist zu leibe mit all seinen Schauermärchen und seinen Glückskeksangeboten. Nun hatten wir Gelegenheit, die sogenannten großen Fragen ein wenig näher zu bringen, nach Hause nämlich, wo meist auch Andere sind und mitspielen, und dann noch näher zu sich selbst heran mit der Frage, wie es nun mit einem selbst weiter geht. Oder vielleicht tauchen ja gar keine Fragen auf, und man wacht auf, schaut in sich hinein und um sich herum und erkennt das, was man tatsächlich schon lebt, und wird erfüllt mit einer tiefen Freude.

, aber…


Der Schein des Gutmenschentums
Offensichtlich war ich noch mit dem Ausdruck päpstlicher Formen beschäftigt, die in strahlenden Gewändern  unsägliches Leid hervorrufen durch Missachtung ihrer eigenen hehren Vorstellungen oder festgezurrten Gesetze wie: du sollst kein Leben zerstören. So kann man Schaudern und Staunen weiterhin in sich erfahren, wenn nicht weit von unserem kriegsbefreiten Leben dieselben Kriegsherren wieder bereit sind, wegen irgendwelchen unmäßigen Streitereien ein neues Schlachtfeld zu eröffnen, damit weitere Menschenmassen aus ihren Heimaten fliehen, um am Leben zu bleiben. Und die vielen anderen, denen das nicht gelingt, weil ein paar Dummköpfe sich nicht einigen können, da sie immer noch glauben, sich die Erde untertan machen zu können, hat doch immerhin ein Gott es so angeordnet. Vielleicht war es aber ein Feldherr, der das wollte und noch nicht wusste, dass es auch andere Maßstäbe gibt, nach denen man sich richten kann. Am besten natürlich den eigenen Maßstab erstellen und schauen, wo er mit anderen kompatibel sein kann, und wo nicht. Die Intelligenz, die für solche Vorgänge angemessen ist, ist durchaus vorhanden, denn da, wo die Masse Mensch gerüttelt und geschüttelt wird, wie zum Beispiel durch die Pandemie, da entsehen auch neue Denkräume, in denen sich die Gewohnheitsblockaden öffnen können oder gar müssen, und geistiges Stoßlüften kann stattfinden. Nun kommt es wie stets und bei allem darauf an, was ich damit mache. Leide ich darunter, dass ich nicht mehr wie einst in Läden herumstöbern kann, oder freue ich mich über die automatische Begrenzung meiner oft überflüssigen Wünsche. Wird zum Beispiel langsam gelockert und man findet heraus, dass Menschen weniger kaufen wie vorher, kann sicherlich auch die Wirtschaft langsam etwas herunterfahren und schauen, ob es neue Wege aus den Abhängigkeiten gibt, die einer Gesellschaft nicht gut tun. Dabei weiß ich selbst, dass jede Idee eines „Besser“ vor allem in der Erwartungshaltung bereits überflüssig ist. Auch im persönlichen Haushalt kann sich nur der Einzelne befragen, was man also an sich selbst noch schleifen oder polieren möchte, oder was für Begriffe man auch immer für diese Reflektionen anwenden möchte. In Indien ist mir einmal ein Gedanke vermittelt worden, der besagte, dass in dieser Zeit, also dem dunklen Zeitalter, ganz viele brauchbare Lösungsvorschläge für das gesunde Verhalten der Menschheit auftauchen würden. Pläne, die vollkommen einleuchten und die man durchaus für umsetzbar hält, die aber nicht mehr durchführbar sind. Das Aber bedeutet hier, dass das menschliche Intelligenzpotential sich alles Mögliche an guten Veränderungen ausmalen kann, und vieles davon geschieht ja auch, aber…Das Aber muss offen bleiben, denn wir wissen es nicht. Oder wissen wir es doch.

aufschlussreich

Es gibt an sich keinerlei dringende Notwendigkeit, sich mit den lebenden Figuren der politischen oder religiösen  Bühnen unnötig viel zu beschäftigen. Oder dass man eben nur d a s bedenkt, was die Geheimtür zur nackten Realität tatsächlich zulässt. Oder den Zugang zum noch wahrnehmbaren Darknet des Missbrauchs und der Korruption, sofern tatsächlich vorhanden und bewiesen und unumkehrbar von vielen in Kenntnis genommen. Aber natürlich kann man von diesen zeitweilig herrschenden Gestalten im dahinfließenden Strom des Weltgeschehens doch einiges lernen, wenn auch von der Schattenseite her gesehen, aber deswegen nicht weniger aufschlussreich für die eigenen Grübeleien. So bedeutet mir, vor allem auch als Nicht-Christin, das Verhalten des Papstes herzlich wenig, außer wenn beispielsweise eine weitere Anekdote missbräuchlicher Handhabungen ein ganzes Glaubenssystem ins Wanken bringt und man, wenn auch nur kurzfristig, die Erwartung hegen kann, einmal Zeitzeugin einer System-Sprengung zu werden, die das Wurzelwerk des faulen Baumes mit sich reißt und Platz macht, erst einmal für nichts als Raum an sich, in dem sich die Beteiligten von der Sprengung erholen können, bis neue Impulse sich auf den Weg machen. Was mir ganz persönlich (z.B.) von der Papst-Anekdote geblieben ist, geht über seine Person hinaus, obwohl er, Herr Ratzinger, seiner Kirche und sich selbst wahrlich einen Bärendienst erwiesen hat. Nun versteht er die Welt nicht mehr.  90-jährige Augen starren verletzt aus der Blase. Wie kann es  sein, mag er wohl sinnen, dass er, der Ex-Papst, die heilige geistige Unversehrtheit per se, nicht nur der Lüge bezichtigt wird, sondern man bezichtigt ihn auch noch des größten Übels, nämlich sein Ich, ergo sein Ego, in den Vordergrund zu spielen, weit mehr beschäftigt mit eigenem Leid als mit dem Leiden der Betroffenen. Der Punkt, den man sich für den Alltag merken kann, ist, dass er sich keinerlei Schuld bewusst ist. Es ist .m.E. nicht so, dass er wissentlich die Unwahrheit spricht, nein, sondern viel schlimmer: er ist total überzeugt von seiner Redlichkeit. Lange schon wohnt er in der schillernden Blase der Redlichkeit. Es ist kaum zu erwarten, dass jemand um ihn herum ist, der ihn darauf hinweisen könnte, dass da draußen noch eine andere Welt ist, die erwartungsvoll auf einen Mann schaut, für den sie gar nicht existieren. Das kann man für sich mal aus der Anekdote herausschälen und reflektieren, wie weit man selbst von der eigenen Redlichkeit überzeugt ist und gar nicht mehr in der Lage, das Resultat eigener Wirkung oder Verursachungen anderen Menschen gegenüber nüchtern einzuschätzen zu können, um notwendige Konsequenzen oder Erkenntnisse daraus zu ziehen.

W – (anonym)

Weltweit wandern wehmütige Wesen
am Wurzelwerk wild wuchernder
Wege entlang, während waghalsige
Wogen und  Wellen des Wahnsinns
wertfrei und wunderlich weben.

 

aus: „Misthäufchen“

nachfragen

Man kann sich auch den eigenen Gedanken zuwenden und nachfragen, was sie so vorhaben oder woher sie kommen. Gehören sie mir nicht?, oder bin ich identisch mit ihnen? Ich finde die Vorstellung, dass am Anfang, wie auch immer man ihn denken möchte, am Anfang also das Wort war. Das ist insofern nachvollziehbar, dass von da an das Wort zur Verfügung stand, also allen zur Verfügung stand, und Menschen Worte als ihre Möglichkeit erkannt haben, in Verbindung zu treten. Nicht, dass Verbindung im Raum des Wortlosen nicht wahrgenommen werden kann, und vielleicht ist gar Verbindung dort verankert, ohne an Anker gebunden zu sein. Doch von dort aus bewegt sich auch der Wunsch nach Manifestation, nach Verstehen des Erlebten, nach Erkennen des oder der Erlebenden. Man kann Worte suchen und finden, die einem entsprechen und die man erträglich findet. Man kann entscheiden, ob man Worte wie „boostern“ oder „Pieks-Putsch“ in den eigenen Sprachhaushalt aufnehmen möchte. Oder man legt mit dem inneren Wortschatz Sammlungen an. Große Worte, kleine Worte, Lieblingsworte, bereichernde und leere Worte, die man als Träger von Ideen einsetzen kann als das jeweils Erforderliche. Einfacher als die Idee, mich aus einer Affenrasse heraus entwickelt zu haben, kommt mir die Vorstellung vor, aus einer Welt zu kommen, in der noch nicht gesprochen wurde. (Ich meine jetzt nicht die Säuglingswelt, obwohl das Wortlose da auch zutrifft.) Nein, sondern so, wie ich einst vom alten Ägypten geträumt habe und wie das Wort noch aus dem Schweigen gerufen wurde, um damit das, was gebraucht wurde, über die Idee und den Ton zu manifestieren. Die Dinge erhielten ihre Deutung, bis sie nur noch bedeuteten, was man ihnen zugesprochen hatte, und nicht mehr mit ihrer Quelle verbunden waren. Es könnte sich als e i n e Bedeutung des ganzen Spiels herausstellen: dass alles gedeutet werden kann, in Wirklichkeit aber noch etwas anderes ist. So holt man viele von ihnen (den Worten) wieder zu sich herein und kommt ins Gespräch mit ihnen. Man kann sich nur wünschen, dass (z.B.) Wladimir Putin die Anregung spürt, mit seinen Gedanken ernsthaft und abwägend in Kontakt zu kommen, obwohl ich nicht anstrebe, die Meisterin des naiven Zugangs zu werden.

bewirken

Man könnte es auch so sagen: Da war ein Netztwerkfehler, und dadurch hat sich das System selbständig heruntergefahren. Erstaunt richtet sich die dort unten Gestrandete auf und schaut um sich. Wow!, denkt sie, das ist ja interessant hier unten, sozusagen in der Tiefgarage. Schön leer und leise. Warum sagt sie „unten“?  Weil es nicht oben ist. Es ist am Grunde. Sie spürt feinen Sand zwischen den Zehen, ein vertrautes Gefühl. Und dort steht auch der Banianbaum. Sie kennt ihn aus ihrer Welt der Bilder. Sie geht auf ihn zu, auf seine Säulen, seine Ruhe, seine Zeitlosigkeit. Hier scheint alles sie selbst zu sein. Scheint es nur so oder ist es. Kein Zwiespalt taucht auf. Keine Rastlosigkeit. Kein Smartphone wartet auf eine Hand. Das alles kann Krankheit bewirken und ans Licht des Tages bringen.

zuhause

Andrerseits ist natürlich der Name ganz wichtig, z.B. bei einer Diagnose. Erst vermutet man selber, was wohl mit einem los ist, dann weiß man es. Es hat einen Namen und kann behandelt werden. Ein heftiger Infekt hatte mich also irgendwann und irgendwo attackiert, und nun gab es die Medizin dafür, zum Glück nur für ein paar Tage. Während der akuten Phase vorherrschender Schmerzen und einer ansteigenden Zermürbtheit konnte ich weder lesen noch schreiben, eigentlich gar nichts, wenn auch mit bester freundschaftlicher Unterstützung, als mit mir zusammen zu sein und auszuhalten, was da gerade vor sich ging. Irgendwann dachte ich: was denke ich eigentlich?, und so paradox es auch klingen mag, erhöhte sich auf einmal mein Interesse, im Denkraum mal nachzuschauen, was da läuft. Da ist ja immer was los, und wenn man die Zügel loslässt oder sie einem auf einmal leise entgleiten, dann kann man ins Staunen kommen, wo das alles herkommt und hingeht und einen mitschleppt und wieder woanders hinfliegt. Wo es auf einmal hängen bleibt und eine Szene immer und immer wieder durchspielt, mal mit d e m Text, mal mit jenem. Wälzt sich träge dahin in bedeutungslosem Allerlei, oder erzeugt high level Drama, wo gar keine Bühne ist. Das läuft ab wie in Träumen, nur im Wachen kann man, wenn man möchte, mal zuschauen. Oder ein bisschen mitreisen von Blase zu Blase, und lässt dann weiterziehen, wobei es da schon wieder ums Bändigen geht. Und was ist das denn, was da wie von selbst vor sich hinagiert, so, als hätte ich es einmal ins Leben gerufen und es kommt jetzt einfach mal vorbei, In meditativen östlichen Praktiken wird dieses Treiben zuweilen mit dem Verhalten von Affen verglichen. Andere Praktiken raten, sich dem Denken ernsthaft zu widmen, sodass man es gut genug kennen lernt, um es auch mal zur Seite legen zu können, damit man sich d e n Dingen widmen kann, bei denen Denken eher stört, wie zum Beispiel bei der Bildbetrachtung oder bei der Atemübung usw. Dann kann man sich dem Kultivieren der Kunst zuwenden, in beiden Räumlichkeiten (des Denkens und des Nicht-Denkens) gleichermaßen zuhause zu sein.

Winterblues

Winter-Blues – das ist doch ein passendes Wort für die Zustände, die man in einem Winter erleben kann, der noch nicht einmal ein richtiger Winter ist, wo man mal auf glitzernde Schneeflächen schauen könnte, ohne dass sie gleich wieder zu Matsch verfallen. Doch nichts lockt einen (nämlich mich) in die glitschigen Furchen, und die Augen halten Ausschau nach was Belebendem. Wobei sich natürlich der Atem da draußen ganz wohlfühlt, das allein könnte schon reichen als Ansporn. Und man will sich ja schließlich auch die Unabhängigkeit vom Wetter bewahren, und wenn es einem gut geht, lässt sich das ganz zufriedenstellend bewältigen. Der Tag muss eh jeden Morgen neu erschaffen werden, und nicht immer wacht man auf wie eine Löwin und legt die lebensfrohe Tatze auf den Überlebensplan. Und dann dieses dritte Jahr der Pandemie, in der das kollektiv Nichtgewusste in den Vordergrund tritt, das Navigieren im Ungewissen aber nicht kollektiv geübt wurde, oder wurde es doch geübt, eben bewusst oder unbewusst. Zuweilen denkt man ja, alles auf diesem Planeten sei so ziemlich durchdefiniert und leidet eigentlich eher an seiner Namensgefangenschaft, vom All bis zur Medizinkapsel. „Das ist Standard“, sagte die Ärztin zu mir, wohl mit der Bedeutung verknüpft, dass man das zur Zeit unter diesen Bedingungen gibt, ohne dass gewährleistet ist, dass dieser Standard auch jedem System Heilung ermöglicht, oder nennen wir’s lieber Unterstützung. Es hat auf jeden Fall einen Namen, und Heerscharen von Tieren sind dafür krepiert. Jemand schlug gestern vor, ich könnte unter dem Weißkittel-Syndrom leiden, das Wort kannte ich (auch) (noch) nicht und checkte kurz nach und nein, ganz so weit ist es noch nicht. Auf jeden Fall bin ich noch offen für Überraschungen, also auch die, die ich selbst erzeugen kann. Dann hat mich das Wort Winter-Blues dazu inspiriert, einen Text zu schreiben, der das alles einfangen kann, aber mein Bild (oben) ist schon trostlos genug, und Leonard Cohen hat einiges meisterhaft Unerträgliche von sich gegeben, das diese Lücke nach Bedarf bereichern kann. Genau, es geht um das Ertragen des einem unerträglich Vorkommenden. Nicht unter zwanghaften Bedingungen, nein!, das kann nicht gesund sein. Freiwillig und leidenschaftlich ertragen, das wär’s doch. Das, was man nicht ändern kann. Bis es von selbst vorüber geht, oder man gelernt hat, einen angemessenen Umgang damit zu finden, der einem bestimmten,  inneren Unruhe-Strang ein Ende setzt. Außerdem ist ja das Licht an sich noch da. In der indischen Wüste habe ich meine Augen immer an der Weite und dem Nichts weiden lassen, es hat ihnen gut getan. Hier vergesse ich manchmal, das die  Weite und das Nichts überall sind. Namenlos atmet das Ungewisse.

x

Meine Ordnung ist durcheinander geraten. Ich meine die, die einem selbst entspricht und die einen angenehm durch den Tag transportiert, mit Freiräumen darin und Spielplätzen, die die Handlungsfähigkeit in Gang halten. Dann plötzlich schlägt etwas zu, ein Insekt oder ein Virus oder ein Infekt, lang oder kurz, bedrohlich oder weniger bedrohlich, es ist ein Gong. Dann höre ich mich, fast erstaunt, zu mir sagen: Hey, du bist krank. Man kann das ja nicht erwarten, tut man nicht eh schon, was man kann. Außer der täglichen Bewegungsstrecke, das könnte noch mehr werden, und wer will sich schon auf das Frühjahr fixieren, das ja kommen muss, damit man sich wieder daran erinnern kann, wie es ist, einen Sonnenstrahl auf der Haut zu spüren. Man kann sie gut verstehen, die Winterflüchtlinge, und viele dachten, ich gehe im Winter nach Indien wegen der Sonne, aber dort habe ich sie erst kennen gelernt. Sie hat mich mit Unterstützung von kulturellen Riten von einem Nacht-Mensch in einen Tag-Mensch befördert, mit frühen Morgenden und nicht zu späten Nachtzeiten. Dort wurde ich auch jedes Jahr mit großer Regelmäßigkeit krank und lernte die Furcht kennen, in ein indisches Krankenhaus zu kommen, ausgeliefert an das gründlich Unfassbare. An menschlich Undurchdringliches gebunden, wissend, wie wenig ein Menschenleben irgendwo bedeuten kann, wo einen keiner kennt. Wo man dem Arzt Vertrauen schenken muss, ob man will oder nicht. Oder klar, den Richtigen finden, der noch Zeit hat, einen in der aktuellen Not zu begleiten. Ansonsten muss man vor allem aufpassen, nicht in die Maschinerie zu geraten, das kann sehr schnell gehen. Wenn man krank ist, wird man herausgeschleudert aus dem Weltgetriebe. Man ist ja verknüpft und vernetzt, und auf einmal ist man nur noch krank. Schmerzen, die einem auf engstem Raum zusammenhalten. Da merkt man dann erst, wie das Chaos im Kopf schon läuft. Ein paar Tage konnte ich keine Zeile lesen und schreiben. Dann habe ich den Samstag mit dem Sonntag verwechselt, also Leonard Cohen am Samstag statt am Sonntag. Nicht, dass es jemandem auffallen würde, aber hallo, es ist doch aufgefallen. Hey, sagte der Freund, keine Beiträge?! Genau, konnte ich dann sagen aus meiner Unwohlseinsblase heraus: ich bin krank und seit ein paar Tagen schon zu schwach, um am Schreibtisch zu sitzen, und meine Aufmerksamkeit  war sowieso nur auf den Zustand gerichtet:. Das Krallen, das Stechen, das Wehtun. Oder die Möglichkeiten des Gegensteuerns bedenkend. Man will ja das Vertrauen in sich steigern, dass man zu angemessenen Entscheidungen gelangt, eben auch nicht ausschließt, dass es zu ärztlicher Behandlung kommen muss. Das habe ich auch jetzt entschieden. Auch wenn man eine Fachkraft zu rate zieht, muss man nicht unbedingt Glauben schenken, aber es hilft doch in der Ausrichtung. Krankheit bringt einen nahe an den Körper heran. Das kann sie auf jeden Fall. Der Geist wiederum muss sich einstellen und die neuen Bedingungen unterstützen. Das ist nicht so leicht, wenn auf einmal die Pferde davon galoppieren. Bis man sie finden und wieder beruhigen kann.

So viel

 

So viel vom Ich
an Wirkung und an Rändern,
und mittendurch der Weg
der Dornenkrone.
Um eine Frau legt sanft und
leise sich ein Tier.
Ein Heer. Ein Blick.
Ein Dankgebet am Morgen.
Ein inneres Sein,
an dunklem Flussbett ruhend.
Als wäre ich die Andre von der
Einen, und ließe den süßen Apfel
in die Stille fallen.
Das Niegedachte greift von hinten
förmlich an. und ebnet sich im
tiefen Grund der Spiegel.
Und das bin ich.
Das Reich der Tausendjährigen
verstrich und legte mir ein
Bildnis um den Hals.
Das Gleich trägt meine Stimme
gelassen aus dem Namensteich.
Da draußen wehen Winde.

hinführen

Bevor etwas einfach werden kann, wird es meist ungeheuer komplex. Mir fällt eine Szene ein, die fest verankert ist in meinem Gedächtnis. Ich lief durch den Wald und sah auf einmal zwischen zwei weit auseinander stehenden Bäumen eine winzige Raupe fleißig an ihrem Seil basteln. Das Seil war schon meterlang und schwang mit dem Tier hin und her. Würde mich das tiefe Staunen dieser Beobachtung nun nicht mehr loslassen und ich wollte herausfinden, wie das möglich ist, würde es sofort komplex werden. Ich würde mit allen fädenspinnenden  Raupen der Welt früher oder später in Kontakt kommen und hätte Bücher über sie und alles, was Menschen schon vorher über sie gewusst haben. Und dass die wunderbaren Rätsel der Welt anderen ebenfalls aufgefallen sind. So gibt es auch über den sogenannten inneren Weg tausende Bücher mit Anweisungen und Geschichten und Anekdoten und Ratschlägen und Formeln darüber, wie einer erreicht hat, von was er schreibt und nun möchte, dass andere angeregt werden zu diesem Weg, obwohl es nur einen gibt, eben jeweils den, den man geht. Nichtsdestotrotz braucht es die Anregung, den Kontakt mit der Materie, für die man sich erwärmt, die einen anspricht.  Auch dass man vom Weltgeschehen immer  einiges ausklammern muss, um klarere Umrisse zu finden von dem, was man selbst ist. Die Zerbrechlichkeit der eigenen Wahrnehmung zu stabilisieren, denn es kann doch leicht zerbrechen, was keine Fassung hat und nicht bedacht und begleitet wird mit Aufmerksamkeit. Mit Liebe, möchte man sagen und bremst sich der Komplexität des Begriffes wegen. Wir wissen von Händen, die tagsüber Vergasungsbefehle gaben und nachmittags über Kinderköpfe streichelten, so als könnte beides miteinander vereinbar sein. Das Kennenlernen von sich selbst unterliegt keinem Zwang, und Gefängnisse sind nicht berühmt für Erleuchtungen, eher für Stumpfsinn und Schwächung des Augenlichtes. Ich habe irgendwann einmal angefangen, meine Innenwelt (u.a.) als ein Rotationssystem zu sehen. Das heißt ich erlaube mir zu surfen, wohin ich mein Denken führen möchte, lasse aber genug Raum, um Beweglichkeit zu gewährleisten. Damit sich nichts verbohrt und keine Welle zu attraktiv wird, um in ihr verloren zu gehen. Vieles gilt es erst einmal zu unterscheiden, dann die Entscheidungen zu benennen, dann nach Wegen forschen sie umzusetzen, wenn sie einem wesentlich erscheinen. Dann, nach Jahren in den scheinbar paradiesischen Anlagen des Labyrinthes entdecken wir wie durch Zufall ein Tor oder einen Satz oder einen Vogelschwarm, und die Strukturen lösen sich auf, weil sie getan haben, was nur sie konnten. Nun also weiter. Mal sehen, wo es hinführt.

durch

Wenn man sich mit einer gehörigen Portion möglichst tieferem Interesse in die Verhaltensweisen der Menschen und die daraus folgende Ergründung vertieft, muss man Geduld mit sich haben. Eine, die nicht aufhört, und über die man dann froh ist, und die letztendlich auch den Anderen gegenüber eingesetzt werden kann. Ich meine natürlich jetzt nicht die ganz speziellen Berufe und ihre Meisterschaften, die sich mit diesen Vorgängen befassen, sondern ich meine uns alle, die wir ein einziges Leben zur Verfügung haben, mit dem wir uns bis an sein Ende wohl oder übel beschäftigen müssen und auch möchten, also eher „wohl“ statt „übel“. Doch zuweilen auch übel, wenn ich selbst in meinem Verhalten etwas finde, das ich für ungeeignet halte, es weiterhin als Bürde mitzuschleppen. Oder weiterhin das, was ich ja erlebt und verursacht habe, im Dunklen halte, in Ecken, in Kellern, in Korridoren. Das ist ja keine kleine Welt da unten, nein, beileibe nicht. Es ist riesig, und wenn man Dante nicht lesen will, dann kann man selbst herumwandern und schauen,was da alles so rumhängt. Da wohnen Zwerge und Engel hängen schwermütig an Abgründen herum. Da schreit einer fragend, warum keiner Antwort gibt. Auch sieht man bei irgendwelchen Anlässen immer noch Orpheus nach Eurydike suchen. Obwohl, das sag ich ganz ehrlich, habe ich selbst mal zu ihm gesagt „Hör endlich auf, sie zu suchen“. Aber wer will dem Einen oder Anderen noch sagen, was er tun soll, zumindest nicht im freien Fach der Selbsterkenntnis. Und dem letzten Windhauch des unseligen Wunsches, im Anderen sich Veränderung vorzustellen, wo es einen gar nichts angeht. Deswegen einen aber trotzdem berühren kann und muss einem nicht gleichgültig sein, alles im Rahmen des angemessenen Kontextes. Wenn es sich nun tatsächlich herausstellen sollte, dass wir bei diesem Erddurchgang nichts weiter zu tun haben, als über das Intensiv-Training unserer Wanderungen und Erfahrungen wieder zu uns selbst zurück zu finden, dann würden die errungenen Teile des Spiels vermutlich langsam aber sicher ein Bild ergeben. Bis man dann eines Tages entweder hinein -oder hinausschaut, oder beides gleichzeitig, und spürt, dass man es tatsächlich ist, was immer das sein mag, denn es hat keinen Namen im Pass, obwohl es den braucht, wenn ich reisen will. Und das will ich. Wieder ein Winter, wo Indien nicht sein wird. Ungewiss, ob es dieses Jahr noch einmal gelingt. Der ganze Weltzustand sehr am Schwanken.. Die einzige Stabilität ist der geistige Zustand. Er navigiert uns durchs Ungewisse.

Antonio Machado y Ruiz

Wanderer, deine Fußstapfen
sind der Weg und nichts sonst.
Wanderer, einen Weg gibt es nicht,
den Weg machst du beim Gehen.
Beim Gehen machst du den Weg,
und blickst du zurück,
so siehst du den Pfad,
den du nie mehr wieder
betreten musst.
Wanderer, einen Weg gibt es nicht,
nur Wirbel im Wasser des Meeres.

Erwärmung

Ein Bild aus Indien, man möchte förmlich den Duft des Landes einatmen. Doch der Text dazu ist nicht zum Einatmen geeignet. Es geht um Erderwärmung und eine Landschaft, in der es sehr lange schon so heiß ist, dass sich die Kohle unter der Erde als Feuer entfacht und den Menschen das Leben zur Hölle macht. Der Ausstieg aus der Kohle ist, so sagt es, an Indien gescheitert. Immer wieder erinnere ich mich selbst daran, dass wir den Kipppunkt unserer menschlichen Existenz bereits erreicht haben. Das ist nicht neu, das läuft schon lange, und wie immer kommt es darauf an, wie man es sieht oder sehen möchte oder sehen muss, wenn es nicht mehr geheimgehalten werden kann. Aber auch das geheime Halten geht weiter, das Aufrechthalten der Tier-und Menschenquälerei geht unaufhaltsam weiter, und natürlich gehen auch die großen Bündnisse der Wohlmeinenden und Gutestuenden und menschliches Leid Begleitenden weiter. Hält sich das noch die Waage? Irgendwo stand der Satz, bzw. die Frage „Reicht es nicht, ein Mensch zu sein?“ Man lässt einen Nu das eigene Denken los und schweift um die Frage herum. Klar reicht das, möchte man meinen, doch man kommt nicht weit. Es sind doch alles Menschen, weiß man, und die Skala ist an Immensität nicht zu überbieten. Jeder und Jede ein Mensch, und niemandem kann man den Titel aberkennen. Es wäre dann sinnlos, auf die Frage zu antworten. Sie ist also komplexer und führt zur Definition des Wortes „Mensch“. Und was meint man genau mit „menschlich“? Nun  habe ich das T-Shirt, das ich mir wie viele Andere in Indien erstanden hatte, fast vergessen, aber da steht es auf vor meinen Augen. Auf der einen Seite steht „Human being“, auf der anderen Seite „Being human“, den Kern der Sache so trefflich auszudrücken nur in Englisch möglich. Da spürt man die Veränderung,  die mit einem geschieht. Einerseits ist jede/r ein Mensch, andrerseits ist nicht jeder Mensch automatisch menschlich. Menschlich werden scheint zumindest eine der lichteren Aufträge, die man sich selbst als Mensch geben kann. Man kommt nicht herum, es für sich selbst zu definieren. Das Menschlichsein fordert einen heraus  und befördert einen in eine Bereitwilligkeit, sich mit dem Aufenthalt auf Erden auseinanderzusetzen. Wie will ich sein und wer kann ich sein in Anbetracht meines mitgebrachten Gepäcks, meinem Schicksal, meiner sich ständig neu formierenden Einstellung zu ihm. Menschlich zu werden oder zu sein verlangt von einem eine Bereitschaft zum Reifeprozess, zu angemessenen Entscheidungen, zum Umgang mit der geistigen Freiheit, die sich nicht automatisch entwickelt, sondern mit ziemlich viel Mühe verbunden ist und mit sehr viel Navigieren im Ungewissen. Denn hier kommt zum gründlichen Denken ja noch der Raum dazu, durch den sich das Menschliche bewegt und als solches immer in Gefahr ist, zerbrechlich und scheu, wie es nun mal ist. Das Menschliche fühlt sich dem Sein verpflichtet, oder vielleicht ist das Menschliche identisch mit Sein. Nun sind das alles erst einmal nur Begriffe. Wie sie sich zu Seinsgehalten entwickeln, das müssen wir selbst schauen, allein auf weiter Flur. Aber auch das nicht. Überall gehen wir weiter und kontemplieren und setzen um, was uns möglich ist. Das viel zu Beschäftigte eindämmen und zur Ruhe bringen. Tun im Nicht-Tun.

wundern

Nach dem Wust an dunkelumwölkten Nachrichten, denen man sich selbst über karge 3 Minuten Zufuhr aussetzt, und nach einer Reihe von geistigen und körperlichen Unbefindlichkeiten meinerseits, die durch Anhäufung unnützer Gedanken entstanden waren, konnte sich der ansonsten eher plump klingende Satz „Es ist anders, als man denkt“  zu einem Realitäts-Check entwickeln und durch günstige Verläufe endlich ein Ende finden. In diesem Sinne hatte ich eigentlich vor, heute früh ein ungeschminktes Photo vom Himmel in seiner steten Gräue zu machen, nicht ohne einiger Poeten zu gedenken, die wohl u.a. auch an diesen Himmeln gescheitert waren. Aber siehe da: ungewohnte Erhellungen zeigten sich am Firmament, was zu tiefem Durchatmen anregte. Vorgestern war ich zum ersten Mal gezwungen worden, mich testen zu lassen und stellte mir eine endlos im tröpfelnden Regen wartende Menschenschlange bis an den Rand der Straße vor. Dann aber war es so leer, dass wir Wenigen nur auf den Ausdruck des Resultats warten mussten, von sehr freundlichen Menschen gereicht. Wohlwollend fielen die Augen auf das erwartete Wort: negativ, hier mal mit positiver Konnotation. Das bringt mich erst einmal zu dem, was frei von Wundern ist. Der Papst zum Beispiel, von jemandem als weißer Elefant benannt, den sich keiner traut zu beflecken. Und nun hat die öffentliche Befleckung dennoch stattgefunden, und ich denke an viele Geschichten aus den religiösen Kreisen Indiens, in denen es nicht besser aussah, und auch dort den Heerscharen der Opfer keinerlei Gehör geschenkt wurde, sondern alles wurde verdreht und versteckt und im finsteren Bündnis mit Anderen gutgeheißen. „Jetzt austreten?“ fragt es auf der Titelseite der Zeitung, und ja!, rufe ich da herzhaft und vermutlich wirkungslos ins All hinein, ja! Austreten! Aufhören, was nie mehr geflickt werden kann. Mit was für einer Substanz soll da eine neue Institution aufgebaut werden können, wenn es noch nicht einmal ein Vorgestern gibt, wo etwas aufhört, sondern das läuft doch einfach weiter, weil die Missstände noch weiter und dann noch weiter zurückliegen. Und auf all das dann die grotesken Gewänder, die hohen Hüte und der Hirtenstab. Weg mit dem Zirkus, denn der Abgrund der Bedeutungslosigkeit all dieser Einrichtungen ist doch bereits erreicht. Die Followers sind gefragt sich zu überprüfen, u.a. auch, um dem immerhin gut informierten und daher wacheren Bewusstsein etwas gerecht zu werden und das nicht aus kindlichen Bedürfnissen heraus zu missachten, nur, um keine Eigenverantwortung übernehmen zu müssen. Natürlich kann man auch einfach ab und zu mal erschrecken in der Vorstellung, wie viele durchaus krankhafte Gehirne sich durch das Daseinsgewebe bewegen. Das alles also bedenkend, sitzen wir dann beim Frühstück, bereits erstaunt über die blauen Flecken am Himmel. Doch dann werden wir verzaubert. Sieben Rehe, die wir noch nie gesehen hatten, betraten unseren Garten. Und eines war weiß. Ein weißes Reh. Das macht doch was mit einem. Auf schnellstem und mühelosestem Weg erreicht man das eigene, ursprüngliche Kinderauge. Hemmungslos strömt das Entzücken über die Macht der Natur, so als hätte man vergessen, wie sie einen durchtragen kann durch so manches Beschwerliche.  Und diese Wesen, die irgendwo wohnen und einfach nur sind, was sie sind!

weitreichend

Seht hier: eine Flotte.
Majestätische Schiffe, so weit
das Auge reicht. Es reicht weit.
Und zeigt keine Erschöpfung.
Boote, Yachten, Schiffe, alle
unterwegs zur Küste hin,
zur Küste. Alle unterwegs
nach dem Ei in der Wüste.
Die Kraft des Gemäßigten und
des Gebändigten öffnet das Tor.
Wir werden erwartet. Wir
werden begrüßt und eingeladen
zum Miteinandersein.
Vielleicht kann das nicht mehr
beschrieben werden, das ist gut.
Und ganz ohne förmliches Zutun.
Auf dem Deck ist es leise.
Ich bewege mich lautlos voran
und bin froh, dass mein
herumstreifendes Auge auf
fließende Bewegungen fällt.
Dann das Ufer.
Die Sphinx starrt mich an.
Starrt mich an.
Wir kommen dem Rätsel näher.
Wir sind ganz nahe.
Sind dran.
Docken an.
Steigen aus.
Sand und Licht,
das bereitwillig scheint.
Geist, der bereitwillig eint.
Gemeinsames Land in Sichtweite.

 

lautlos voran

Tonart

Es rasseln die Säbel, es klirret mal wieder der Stahl. Der russische Zar fühlt sich in die Enge gedrängt, also missachtet, also gefährlich wird es dann für uns alle. Die Herren auf den Hochsitzen wiegen sich noch erstaunlich häufig in der Illusion, ein herrliches Geschöpf zu sein, das ist allerdings bekanntlich auch ein paar Frauen passiert. Und das dürfte damals keine Bagatelle gewesen sein, wenn es um die freiwillige Amputaion der linken Brust ging, damit die Waffe besser Platz hat. Es gab auch Zeiten, wo die Heldenrolle herzhaft von allen angestrebt wurde, und immer ging es um viel. Aber selbst in dem Epos der indischen Mahabharata kommt einem so einiges lächerlich vor, oder wer liest sich begeistert durch das Schlachtgetümmel der Ilias. Wir wissen jetzt, dass im Menschen der Kampfgeist steckt. Fragt sich nur, wo er oder sie ihn hinlenkt. Auch der Kampf gegen die Viren ist ein Schlachtfeld, und es ist ja nicht so, als würden die Götter in Weiß nicht an ihren Ausübungen heldenhaft verdienen. Vieles davon ist vorhersehbar, bis wir, bewusst oder unbewusst, in eine Zeit, unsere Zeit, hineingleiten, wo das Nichtvorhersehbare sich ins Bewusstsein drängt. Wie, man hat nur den Moment? Klar, was hat man denn sonst. Denn genau in diesem Moment lässt sich doch alles entscheiden, verändern, bestimmen, beleuchten, erspüren, verhindern, oder was auch immer vom lebendigen Moment gefordert ist. Das ist doch die vergessene Heldenreise, wenn es darum geht, die Prüfungen zu erfassen und sie angemessen zu bewältigen, damit für einen selbst und andere so wenig Schaden wie möglich entsteht. Darum habe ich das nie ganz verstanden, dass Krishna, der indische Gott der Liebe, dann auf einmal den Streitwagen lenkt und Arjuna unterstützt im Krieg gegen die eigene Familie. Schicksalsbestimmt sei das alles, und unausweichlich das Schicksal der Einzelnen. Darüber kann man streiten. Allerdings soll er (Krishna) in der Mitte dieses  Kampfes die Säulen des Yoga gelehrt haben, was immerhin auf einen tieferen Sinn hindeutet, mit dem man sich befassen kann. Und natürlich können wir Putin gar nicht verstehen, der sich außerdem noch mit russisch orthodoxen Patriarchen berät und nie werden sich die Schleusen zu solchen Kammern öffnen. Oder doch? Ist die katholische Kirche nicht gerade in die Knie gegangen mit dem unredlichen und schicksalshaften Ende der Unfehlbarkeit des Papstes. Zu viele sind in Versuchung geführt worden. Der Herrgott hat es ganz offensichtlich nicht verhindern können. Was sollte er auch machen, wenn es ihn gäbe. Natürlich soll er auch gegeißelt haben und sehr wütend geworden sein. Halt wie Menschen, die nicht wollen, das alles an ihnen klebt. Das schwierige Leben. Die begrenzte Zeit. Die Suche nach den Richtlinien. Die fehlenden Vorbilder auf den Friedhöfen der Heldentode. Vorbei. Darin liegt eine Chance. Kommt jetzt darauf an, wer mit wem redet, und wie, und warum. Denn wie gesagt kann man jederzeit den lebendigen Moment ergreifen und das Unkalkulierte hervorbringen. Es kommt auf den Ton an. Wir werden sehen.

förderlich

Der Film „Die Wannseekonferenz“ lief also gestern Abend im ZDF zur Hauptzeit und es wäre interessant zu wissen, wie viele Bürger und Bürgerinnen ihn gesehen haben und ob und wie und was darüber geredet wurde. Ich persönlich schätze Filme, die mich noch aus einer gewissen Distanz betrachten lassen, aber nur, um meine eigenen Gedanken dazu entwickeln zu können, also Filme, die weniger zum Miterleben als zum Nachdenken anregen. Es blieb nicht aus, dass man sich diesen Konferenztisch mühelos wieder mit neuen Figuren denken konnte, die bereits auf politischen Bühnen agieren. So hätte unter den exzellenten Schauspielern Björn Höcke einem vermutlich noch mehr Schauder über den Rücken gejagt, wenn der lauernde Sadismus in dieser Form politischer Überzeugung einem allerdings auch s o nahe genug kam. Was kommt nahe? Nicht nur, dass es wieder passieren könnte, sondern dass einige Weichen immer gelegt bleiben für den Ausbruch solcher, meist männlicher Gelüste. Denn Gelüste sind es doch in so ziemlich allen kränklichen Ausgeburten, diese Selbstüberschätzung, diese Anmaßung, Besseres und Höheres zu sein. Was Ausgewähltsein und Posten ins Spiel bringt, die unbedingt den Wert des Lebens ausmachen sollen, bis die Verblendung ein Erwachen aus dem Alptraum kaum mehr ermöglicht, obwohl es auch in dieser unseligen Geschichte Formen von Erwachen gegeben hat. Und Scheitern in dem Bestreben, dem ganzen Grauen ein Ende zu setzen. Bis dem entgrenzten Spiel dann doch ein Ende gesetzt wurde, von außen wohlgemerkt, nicht von innen. Und dann die Amerikaner, die den Deutschen das Recht auf Rückkehr zur Menschlichkeit nicht ganz verbauen wollten, und ich erinnere mich selbst noch an riesige braune Papiertüten aus dem PX, aus denen übergroße Schokoladentafeln ragten. Den Gedanken, dass einem „bösartige“ Menschen auch leid tun kennen, kenne ich aus Indien. So wird Ravan, einer der bösesten unten den Widersachern, immer noch Respekt gezollt für das, was er auch noch ist, eben ein Herrscher im eigenen Königreich, etwas albern aus heutiger Sicht gesehen. Das ganz neue Problem auf dem Planeten ist ja die ungeheure Zufuhr an intelligenten Informationen, die ein Bewusstsein erzeugen, das nicht mehr kanalisiert werden kann. Ein 18-Jähriger kann sich den Zugang zum Darknet verschaffen und dort für seine misslichen Zustände eine Knarre kaufen, um noch ein paar mitzunehmen in den gähnenden Abgrund. Immer wieder muss und wird es eine Grenze geben, wenn die sich aus dem ganzen Vorgang des Daseienden gestaltete Realität eine Form annimmt, der es entweder gelingt, die Tendenzen der Selbstzerstörung zu steuern, oder aber die Hebel der Zerstörung in Gang setzen. Unruhig beobachten wir wieder einmal die militärischen Bewegungen an den Grenzen der Ukraine. Man merkt, dass man es sich in friedlichen Zeiten nicht vorstellen kann, dass dieser delikate Friede nicht für alle Länder genug bedeutet, um ihn zu erhalten. Wobei es ja auch irgendwo immer Kriegszustände gibt, oder überhaupt Zustände, die man sich nicht vorzustellen wagt, weil sie einen verzweifeln lassen können an der Fähigkeit des Menschen, menschliches  Leben würdevoll leben zu können, bzw. Andere es leben zu lassen wie sich selbst. So bleibt es keiner Generation erspart, die dunklen und die hellen Kräfte in sich in eine förderliche Balance zu bringen, und vor allem „förderlich“ für sich selbst zu definieren.

grenzerweiternd

Auf meinem Schreibtisch steht dieses kleine Kupfergefäß aus Indien, an dessen einer Seite ich neulich diesen Totenkopf erscheinen sah. Obwohl ich vorziehe zu sehen, was wirklich da ist (soweit das überhaupt möglich ist), so faszinierend fand ich auch immer die Möglichkeit, das sich auf geheimnisvolle Weise verdichtende Etwas zu entdecken, das aus einer vorbeitobenden Wolke ein episches Drama herausbilden kann. Denn sobald man den Streitwagen erkennt, erkennt man auch die Profile, da diese kühnen, künstlersischen Entwürfe sich an keine Größenordnungen halten müssen, weiß man doch um die direkte Wirkung der Sicht auf das subatomare Feld. Und wie viel freier sind Wolken und vom Monsoon vorgefertigte Mauern als Bildschirme, von denen man derart Lebendiges nicht erwarten kann. Allerdings sieht man auch hier nur, was man kennt, sonst kann man es nicht wahrnehmen. Es gab doch dieses schöne Beispiel einiger im dörflichen Leben verankerter Afrikaner, denen man ein Video aus New York vorspielte. Man fragte sie nach dem Grund ihres schallenden Gelächters, und sie sagten aus, vor allem Hühner gesehen zu haben. Und obwohl die Weltsicht von vielen Seiten her durch Gesetze, Kulturen und Übereinkünfte usw. stabilisiert wird, sieht jeder Mensch es noch einmal anders, denn er steht nur an einem Ort, an dem kein Anderer oder keine Andere stehen kann. Außerdem steht hinter den Augen das ganze Material zur Verfügung, mit dem ich mein Sehen geschult habe. Interessant fand ich in Indien, dass z.B. Brahma, der Schöpfer bei aller Unterschiedlichkeit sonstiger  Götter, dem christlichen Schöpfer total ähnlich sah, und es erleicherte so manchem Foreigner auch den Transit von einem zum anderen. Man war überzeugt, dass es ihn schon deshalb, wegen dieser  Ähnlichkeit eben, wirklich geben müsste, wobei eher anzunehmen ist, dass sich jede/r einen gütigen Papa wünscht, der für die Menschheit nur das Beste im Sinn hat.Einmal wurde ich von einer Familie aus der Provinz Sindh in ihren Tempel geladen und sah dort, wie sie den Kopf des hinduistischen Gottes einfach mit dem Kopf ihres Gottes ausgetauscht hatten, nicht, dass es jemanden gestört hätte. Man weiß einerseits, dass „not five fingers the same are“, andrerseits weiß man, dass es in letzter Konsequenz auf dasselbe hinauskommt, wenn eines schönen Tages die Fixierung auf duales Denken transzendiert ist und das Einssein des Ganzen wahrgenommen werden kann. Es hatte auf jeden Fall etwas Grenzerweiterndes, wenn man das alles eine Weile in seinem makellosen Irrsinn zulassen konnte. Aber nun sitzt man, vielmehr ich sitze im Westen und habe mir am Wochenende den Film „Die Wannseekonferenz“ angesehen. Das Konferenzgebäude ist immer noch dasselbe wie damals, wobei es in einem anderen Damals einem jüdischen Unternehmer gehörte. Da passt nun wieder das Bild auf meinem Kupferkesselchen ganz gut dazu. Das Knirschen der Räder auf Kies kann auch in mir noch ein Schaudern erzeugen. Männer, die sich einer hohen Aufgabe verpflichtet fühlen, der Vernichtung und vollkommenen Auslöschung allen jüdischen Lebens. Zum Glück merkt man manchmal, wenn man keine Worte mehr finden möchte. Dann kann selbst ein Bild, das es nicht wirklich gibt, Aussage machen über ein Geschehen, dass es unleugbar gab, und das vor ein paar Jahren.

Raimundo Panikkar

Raimon Panikkar.

Die indische Grundhaltung zielt auf das Sein hin und beruht auf der Annahme, dass dieses Heil mit der vollkommenen Realisierung des Erkennenden zusammenhängt.
Der Hauptsinn des indischen Lebens besteht nicht primär darin zu erfahren, was die Dinge sind oder was Erkenntnis heißt, sondern Erkennender zu werden. Der Erkennende aber kann nicht erkannt werden. Würde er erkannt, würde er aufhören, Erkennender zu sein und würde ipso facto in das Erkannte verwandelt. Es handelt sich nicht darum zu fragen, was der Erkennende ist, sondern was es heißt: Ich bin der Erkennende.. Das lässt sich aber nur wissen, wenn ich auch der bin, der heißt: „Ich bin“. Das schließt jede Objektivierung, aber auch jede Subjektivierung aus.

 

to follow or not to follow


Humor aus Indien
Könnte man follower vom Humor werden, würde ich mich vielleicht freiwillig melden, aber zum Glück funktioniert es ja nicht so, denn der Humor lebt auf freiem Fuß und macht was er will, und kann sich darauf verlassen, dass man sich freut, wenn er sich meldet oder einem zugepostet wird. So sieht man auf dem Bild auf schlichteste Weise den Abgrund dargestellt zwischen Idee und Wirklichkeit, der sehr dunkel sein kann, dieser Abgrund. So bekomme ich einen Anruf von einer jungen Frau, die (u.a.) Deutsch studiert, mit der ich viele Texte durchgegangen bin, und dann der Tee, dann manchmal andere Themen. Sie ruft mich an und erzählt mir, dass die ganze Familie sie drangsaliert und zum Heiraten zwingen will. Sie kennt schon jemanden, den sie heiraten möchte, und günstigerweise kommt er sogar aus derselben Kaste. Aber nein, meinen die Eltern, selber wählen geht nicht, die Eltern wählen, die kennen, so meinen sie, ihr Kind besser als das Kind sich selbst. Sie will aber nicht und lebt nun praktisch als Nervenbündel unter denen, die zu wissen meinen, was besser für sie ist. Wir planen einen Ausweg, und man muss schauen, ob er sich umsetzen lässt. Die großen Moralapostel wie Moses und Manu (z.B.) dürfen von mir aus gerne auch mal überprüft werden, denn vielleicht braucht die Frau ja irgendwann einmal keinen Gott oder Ehemann oder Bruder oder Sohn mehr, der die Sachen für sie regelt, und es kann sich als durchaus günstig herausstellen, wenn man den Anfängen erfolgreich gewehrt hat. Und ebenso, wie ich mich freue, dass ich mich an der Impfdebatte nicht mehr beteiligen muss, weil ich mich entschieden habe, freue ich mich darüber, dass ich aus der Kirche nicht austreten muss, denn ich war nie in ihr drin. Unheimlich und finster ist ihre dumpfe Verlogenheit, wobei ich mich jetzt selbst an die Kandare nehme, damit es nicht zum Kotzen kommt. Dabei eruptiert hier vor unseren Augen ein wahrer Vulkan mit Eigenlicht, durch das man bis ins Zentrum des Vatikans blicken kann, wo sich die Unfehlbarkeitslüge des Papstes beschämt aus dem Saal schleicht. Ich bedaure keine Sekunde, dass ich auch einmal den Antrieb hatte, so hoch wie möglich mit Gedanken und sehr intensiven Gefühlen die elitären Räume geistiger Hochleistungen als meine tägliche Praxis zu betrachten, in der der Neigung zu simplen Ermüdungen nicht mehr Rechenschaft getragen wurde. Es brachte einen erst dadurch in die Möglichkeit, einen bisher ungekannten Weg zu gehen, der seine eigenen Bedingungen vorgibt. Nun aber bröckelt das Weltbild, und froh ist man, wenn die Füße den Boden der Erde wieder spüren können, da warte ich doch gerne noch ein Stück auf den Sommer, denn der kommt bestimmt, was auch immer das für uns alle bedeuten mag, und wenn wir noch da sind.

messen

In allen Bereichen des Daseins bietet einem das Lebendige ständig Überraschungen an, und man ist mal hier, mal dort mit mehr oder weniger innerer Intensität beteiligt. Zum Beispiel fand ich Amerika für mich, als ich mit sechzehn Jahren dorthin  meine erste Reise machte, sehr spannend, und frei kam es mir vor, obwohl mich Autofahrer einmal beschimpften, als ich mit einem farbigen Studenten der Stanford University von dort aus irgendwo hintrampte, denn wo unsere Freunde lebten, gab es diese Diskriminierungen eher selten. Zur Zeit verlagert sich das erlahmende Interesse am amerikanischen Tun eher auf die Frage, wie lange es wohl noch dauern wird, bis es gelingt, Donald Trump zur Rechenschaft zu ziehen für Machenschaften, für die andere schon längst im Knast sitzen würden. Allerdings ist es auch schon ziemlich spät auf der unsichtbaren Uhr, die den kosmischen Gongschlag einleitet, wenn er gebraucht wird. Trotzdem ist alles, was mit der Angst angemessen umgehen kann, immer ein gutes Zeichen. Die Angst fühlt sich im Meditationsraum genauso zuhause wie neben Putin. Man würde seinen Worten gerne glauben können, kann man aber nicht. Fiebriges Denken ist die Folge. Wird er oder wird er nicht? Und was dann. Immerhin sind wir nur ungefähr 900 km von der Grenze entfernt. Also ein bisschen Katz und Maus, mal hin, mal her, denn auch Putin muss natürlich herumgrübeln, ob er das will oder nicht, oder ob das mit dem Militärübungswitz nicht auch schon zu spät ist. Die Inder, oder besser die paar (wenigen) Hindus, die sich noch in den ziemlich hochqualifizierten Schriften auskennen, könnten sich jetzt zurücklehnen und müde lächeln, denn sie wissen es ja schon sehr lange, dass im dunklen Zeitalter des Todes die verfügbaren Throne von falschen Leuten besetzt sind. Nur was hilft’s, wenn nur ein paar Inder das wissen. Immerhin gibt es in ihrer Finsternis einen Lichtblick. Der ist im Gegensatz zur Schwärze des menschlichen Verhaltens sehr klein, aber dennoch birgt dieser Blick ein Leuchten in sich, denn irgendwann ist auch die Scheußlichkeit ausgereizt und kann mit nichts mehr gesteigert werden. Wir sehen die Institution der Kirche im Dreck versinken. Selbst am Heiligen Stuhl frisst sich der Schimmel durch. Das habe ich auch in Indien erlebt. So lange auf alle Arten und Weisen hingeschaut, bis tatsächlich alles sich als leer und bedeutungslos entpuppte, eben genau dann, wenn man das Leuchten wieder wahrnehmen kann. Nicht in Ländern oder Religionen oder den politischen Deals, nein, sondern in sich, denn nun  ist man stocknüchtern und stellt mit einer Pfauenfeder keinen Bezug zu einem Liebesgott-Stirnschmuck mehr her. Man lässt das Wundern und die Wunder und die Verwundungen ihre Arbeit tun und wendet sich der eigenen zu, so gut man es eben kann, und siehe, das ist manchmal schon ganz gut, gemessen an der kleinen und an der größeren Latte.

hier

 

Hier sind Begleiter.
Ihre Sprache weist hin
auf die Gärten
des Augenblicks,
wo das Geliebte sich findet.

Dort trifft, ohne Widersacher,
das Selbst die Vorboten des Leisen.

Staub des Vergessens

Sicherlich ist es für alle jeweils Lebenden immer gleichermaßen schwer zu erkennen, in welchem Akt des Weltendramas sie sich gerade befinden, da wir ja mittendrin stecken und uns die Übersicht fehlt, die dann durch große nachfolgende Werke durchdacht und durchschaut und reflektiert und kommentiert wird, sodass die Nachfolgenden ahnen und lernen können, wie das wohl war, als zum Beispiel der große Worthervorbringer im Alten Ägypten noch die Kunst der Materie-Manifestation über die präzise Aussprache der Begrifflichkeiten ausübte. Aber man weiß nicht, ob es ihn wirklich gab (ich habe das früher in meiner jugendlichen Ägypten-Phase bei Schwaller de Lubicz gelesen und fühlte mich dort sehr zu Hause). Ein tiefes schweigendes Geheimnis liegt bis heute über dem, was man wirklich gerne wüsste. Ich war mir sicher, dass ich mit meinen eigenen nackten  Füßen irgendwann über die Steinfliesen des „Temple of Man“ gehen würde, um eigene Erfahrungen zu machen. Aber die Chance, dort mal allein herumzuwandern, wurde immer geringer, und die Gefahr für die geistige und körperliche Unversehrtheit zuweilen bedrohlich. Aber mal sehen, kann ja noch alles kommen. Die Corona-Zeit bot und bietet natürlich besondere Chancen an, aber genau in den wenigen Kulturen, die ich noch gerne besuchen würde, möchte ich nicht maskiert sein. Zuweilen stockt einem der Atem, wenn man bedenkt, wie viel Großartiges einfach verschwunden ist. Auch etwas, was noch da ist, kann auf einmal verschwunden sein. Es verschwindet, wenn der Geist, der es belebt hat, nicht mehr existiert. Natürlich arbeitet die ganze automatische Weltorganisation daran zu erhalten, was erhaltbar ist, jeder in seinem eigenen Maß. Alles, was sich draußen und drinnen bewegt, sieht erstmal lebendig aus, wer will es leugnen. Doch was ist ‚lebendig‘? Hängt es (immer noch) vom Geist ab, der die Materie durchströmt, und welcher Geist setzt sich durch in einer Zeit. Überdrüssig verfolgen wir den Omikron-Zirkus, und gerne verzichte ich auf die Stimme von Herrn Lauterbach, der seine Bestimmung gefunden hat in der Wellenreiterei. Ein gefährlicher Bursche, der schon die fünfte Welle ausruft, und wer wird ihn aufhalten mit seinem Verkündigungssprachrohr. Man muss sich auch hüten können vor den Zeichen der Zeit, damit man nicht plötzlich denken könnte, der will sicherstellen, dass alle bestellten Impfdosen auf jeden Fall in den Mann und die Frau und das Kind kommen. Und dass wir Geboosterten auch bald wieder dran sind sowie die Genesenen. Eine ungesunde Welt! Lieber noch an ein Gerücht aus der uralten Zeit denken, diesmal aus Indien, wo mir mal berichtet wurde von einem brahmanisch gebildetetn Brahmanen, dass es außer den vier berühmten Veden noch eine fünfte gibt, die aber nicht in Schrift exisiert. Nein, sie ist Veda selbst und höchstpersönlich, das Wissen an sich also, das immer da ist und niemals verschwindet, nur zuweilen versinkt im Staub des Vergessens, bis es selbst sich wieder meldet und das Spiel wie durch einen Windhauch in seine inhärenten Ordnungen navigiert, was zur Folge hat, dass Spieler und Spielerinnen erwachen und keine Wahl mehr haben als ihren selbst erzeugten Platz einzunehmen. Das nackte Leben also sichtbar wird in seiner unerbittlichen Präzision. Nichts Neues, könnte man auch sagen. Oder doch?

suchen

Ist es der Nachtschratt oder die Sehnsucht nach der Verführung der Beflügelung, oder schwingt sich hier ein erschöpftes Augenpaar durch das Virengewirr der Entzündungen, wir wissen es nicht. Was heißt hier: wir? Ich kann ja nicht erwarten, dass sich jemand außer mir darüber Gedanken macht, was und warum und zu welchem Zeitpunkt etwas in mir sich ausdrückt. Einerseits ist es konzeptlos, andrerseits bietet genau die Unweigerlichkeit des Ausdrucks die Möglichkeit, noch nicht Gewusstes (von sich) zu reflektieren. Wenn man im Luxus dieser Zeiträume lebt. Immer wieder habe ich mich selbst erkennen lassen müssen, dass kein einziger Blick auf die Welt das Daseiende erfassen kann, wie es wirklich ist, weswegen es nicht von ungefähr das Illusionäre genannt wird. Eine tiefere Schicht der Wirklichkeit kann durch das Ergründen der eigenen Wahrnehmung geschehen. Will ich das ernsthaft angehen, muss ich, oder vielmehr: ist es ratsam, den Arbeitspfad des Bäckers einzuschlagen und  Schritt für Schritt erst einmal zu studieren, auf wieviele verschiedene Arten Brötchen gebacken werden können, bevor ich mich der Schöpfung des eigenen Brötchens zuwende. Als ich (damals) lernte, die ersten Yoga-Brötchen zu backen, traute noch keine meiner Lehrerinnen (ich hatte vor allem Lehrerinnen, deswegen war ich dort) uns Geschöpfen aus dem Westen zu, die inneren Zustände sachgemäß analysieren und einordnen zu können. Sie erlebten diesen Mangel an Zutrauen erst durch uns, denn viele von uns waren widerspenstig und denkgeschult und sahen sich nicht als lediglich Mitmachende, während es mit den indischen Praktizierenden selten Probleme gab, denn sie waren das Folgen gewöhnt und vertrauten weiterhin darauf, dass der dunkle Korridor des Folgens letzendlich zu einem Lichtpunkt führen würde. Da erkannte ich eines schönen Tages zu aufgeweckter Morgenstunde, dass ich für die Weiterleitung dieses Brötchenbackens nicht mehr geeignet war. Die Achtung blieb erhalten, vor allem für die tausenden von stillen Stunden, die man in wunderbaren, architektonisch extra dafür hergerichteten Räumen verbringen konnte in einer tiefen und freien Verbindung mit den Anderen, die ansonsten schwer zu erleben ist. Denn es braucht das authentische Interesse an mir selbst. Nicht für das, was ich schon weiß, denn das führt allzu leicht in die Ich-Verhaftung, eine andere Form der Begrenzung, sondern das Wachhalten des Bewusstseins für das, was ich noch nicht aus mir zutage gefördert habe, das ist doch das lebendige Abenteuer, ist es nicht so? Ich weiß nicht, wann ich anfing, mich dem gewachsen zu fühlen. Es war auch zweifellos die einzige Kunst des Erwachsenseins, die mich ansprach. Hier konnte man reifen, indem man zu sich kam. Irgendwann muss das in Indien, im Land der Milliarden Augenpaare, die alles, was sie zu sehen glauben, aufmerksam sehen, jemandem aufgefallen sein, wie friedvoll das Beisichsein ist, und oft beim Sitzen schließt man ja dann genussvoll die Augen und kann sehr wohl verblüfft sein darüber, wie schnell die Welt verschwindet und nun die innere Welt in den Vordergrund rückt. Nun sitzt gerade dort oft die Angst, ja was hat sie denn dort zu suchen?

leiden

Das Leiden gehört ja dazu, wie man gerne sagt, so wie vieles, was man lieber nicht erleben würde, hat aber keine Wahl, denn es ist da. Obwohl es, das Leiden, unendlich viele Gesichter hat, so wurden und werden auf Bühnen oft Masken verwendet, um diese Gefühle auszudrücken. Sie sind also erkennbar, und oft machen sie untröstlich, denn selten kann man den Anderen ihre Last abnehmen, höchstens ein wenig lindern, oder dabei sein, wenn etwas Leidvolles geschieht, damit die Einsamkeit der Gefühle nicht überwältigt. Als ich gestern die Bilder aus den Flüchtlingslagern in Syrien gesehen habe, merkte ich, dass ich mich mit einem Stöhnen abwenden musste, denn das ohnmächtige Zuschauen ist auch eine Form des Leidens. Man fragt sich immer und immer wieder, wie das sein kann, dass Menschen, die die Macht haben, so ein Leiden zu ändern, es nicht tun. Das lastet doch immer noch auf uns, dass unsere Eltern oder Großeltern von einem Leid wussten, das sie nicht für möglich hielten, dann aber wohl doch. Und dann: was soll man tun, wenn man weiß, dass Leiden überall um uns herum ist, und wir müssen schauen, wie wir damit umgehen: mit der Blässe, mit der Traurigkeit, mit den Schmerzen, mit dem gelben, dem ausgrenzenden Stern auf Mänteln und Jacken, mit den Veränderungen des Alltags, die das Leiden mit sich bringt. Ich fand es schon als Kind ziemlich unglaubwürdig, dass Jesus, wie man schon im Kindergarten lernte, unsere Schmerzen auf sich nehmen könnte. Außerdem hatte er genug mit seinen eigenen zu tun. Vielleicht gab es in der gaffenden Menge am Wegesrand auch ein paar, die hätten ihm gerne geholfen, das schwere Ding zu tragen, aber die hatten vermutlich berechtigte Angst, in das scheußliche Drama mit hineingezogen zu werden. Es braucht Mut und Fähigkeiten, sich für Leidende einzusetzen. Nur wer entschlossen ist, sich über das eigene Leid und das der Anderen keine Illusionen zu machen, kann sich selbst bleiben, wenn es da ist. Man muss sich auf eine Kernsubstanz verlassen können, um nicht umgehauen zu werden von Formen des Leidens, von den emotionalen Formen und denen des körperlichen Leidens. Das braucht ja wenig, und schon eine starke Erkältung kann die Lebensqualität empfindlich einschränken. Bei meinem (persönlichen) Leiden wie das langsame Entschwinden von Indien, bevölkert der herbe Verlust schon meine Traumebene , und ich, hungrig nach jedem Faden der Erinnerung, muss mich auch daran erinnern, unter was ich bereits gelitten habe, als ich noch dort war und niemand ahnte, dass wir bald alle als Maskierte durch die Gegend gehen. Das Leiden weckt und ruft nach mildernden Mitteln, aber auch nach Handlungen, die eine Veränderung möglich machen. Daher kann es den Schlaf der Leidtragenden so gründlich stören, bis man den Umgang damit findet, oder auch nicht. Ich war mir des Leidens auf dieser Erde lange nicht so bewusst, oder war mir so sicher, dass es bewältigt werden kann. Manchmal kann es aber nicht bewältigt werden, dann muss man wissen, so präzise wie möglich, um was es einem geht. Dann braucht man BegleiterInnen, dann braucht man die Worte. Und alles andere, was noch über die Worte hinausreicht.

Sa.


Der sagenhafte Sieg (und Sog) des Unsagbaren
Man könnte sich, es ist ja Samstag, also Einkaufs-und Wochendüberlebungstag, da könnte man sich vorstellen, dass ein neues Virus oder eine neue Virus-Mutantin in die Sphäre eintritt und nichts anderes bewirkt, als ihre Wirte und Wirtinnen zum Schweigen zu bringen. Aus allen Ländern hört man die Kunde, dass die Lust nach Worten versiegt ist. Manche erfahren die Wirkung der eintretenden Stille als ein Stehen in voller Freiheit, da alle Einengungen wie plötzlich verschwunden erscheinen, denn das erste, was sich verschiebt, sind die Grenzen. Wie wird man sich verständigen, wenn einem der Impuls der Sprache geraubt wird. Alles wäre auf einmal sehr laut, denn man würde ja weiterhin hören, was sonst noch alles geschieht, wenn Menschen nicht sprechen. Das Mailen und Kritzeln und Posten würde neue Rekorde verzeichnen, ebenso wie die Zeichensprache. Menschen würden sich ihrer Umgebung bewusst werden, am meisten aber sich selbst. Wer kann das aushalten? Nicht umsonst leitete Freud die ungeheure Neuheit ein, dass ein Raum geöffnet wird, in dem Menschen ihre Worte suchen und finden können, dadurch mit ihren Geschichten und Störungen in Verbindung kommen können und möglicherweise zu einer geheilten Verbindung mit sich selbst und Anderen gelangen. Durch die ausgebrochene Wortlosigkeit würden sich die Dramen innen entfalten…Eigentlich hatte ich mir die Idee sehr schön vorgestellt, aber jetzt merke ich, dass sie mir immer unheimlicher wird, und der Film wahrscheinlich in Mord und Totschlag enden würde. Wären da nicht die Liebenden, die ihre eigene Sprache sprechen, und denen würde es einigermaßen gut gehen, während draußen der Wahnsinn tobt. Sorry, das war jetzt als Vision leider nicht so motivierend, dass es einen heiter zur FFP2 Maske treibt, mit der man draußen immerhin noch als Mensch erkannt wird. Und durch sie hindurchreden darf man auch, wenn man unbedingt was sagen muss.

beschweren


Der unstete Tanz um das Leiden der Anderen
Es kann einen schmerzen, wenn man der Komplexität eines Themas nicht gerecht werden kann, aber jedes Thema kann unendlich viele helle und dunkle Stellen bieten, und man muss entscheiden, worum es einem selbst an einem bestimmten Punkt geht. Was das Schweineherz im Körper eines Mannes angeht, so möchte man sich die fiebernde Beobachtung ungern vorstellen, mit der darauf gewartet wird, wie lange das Ding in ihm den Erforderlichkeiten standhält, und ich kann gerne berichten, dass ich auch den Artikel in der Zeit nicht lesen möchte, denn zur Abwechslung drängt es mich mal nicht zu einer erweiterten Sicht der Lage.  Weder der/die brillianteste Wissenschaftler/in noch der an zahlreichen Pavianen sich geübt habende Meisterchirurg könnten mich auch nur ein Iota von meiner Sicht abbringen, die ich zu diesem unseligen Ereignis hin habe. Gerne sieht man sich ja zuweilen nicht nur zu Hause flammende Reden halten, sondern man könnte größere Hallen visionieren, wo man einem dunklen Menschensaal gegenüber aussagt, was einem selbst kristallklar ist, und man spürt förmlich innen die Befreiung von der Menschenfurcht aktiv werden, die einem suggeriert, man würde das nicht richtig sehen. Ich aber nehme mich wie eine Schachfigur und bewege sie irgendwo hinein in die Mitte des Alls mit einer Frage, rings um mich schauend. Und ihr, frage ich hinein, seht ihr denn das richtig? Dass das ganz großartig ist, die Tötung von Millionen von Tieren für rechtmäßig zu halten, die man vorher foltert und aus ihrer Lebensweise reißt, wenn man ihnen denn vorher erlaubt hatte, eine zu haben. Oder man steht einfach da und bittet um Schweigen. Wo, fragt man dann etwa, sind wir eigentlich angekommen als Menschen, wenn eine derartige Unsäglichkeit einem vorkommt wie etwas ganz Nachvollziehbares, das man in die dunstige Traumwelt des Normalen einschleusen kann, um dort ad acta gelegt zu werden in den Archiven des Schauderns. Schaudert wer? Ich schaudere! Ein guter Freund von mir und weitere Freunde schaudern, da sind wir schon sechs oder sieben. Auch braucht man nur zu warten , bis das unvermeidbare „ach, das war doch schon immer so“ irgendwo auftaucht, so, als würde das die Abscheulichkeiten mildern, zu denen Menschen sich berechtigt fühlen. Und was sich in den kalten Räumen der Todesfabriken alles noch abspielt, will man nicht heraufbeschwören, denn man muss geschult sein in dieser Art von Gefühllosigkeit. Ich würde es für sinnvoller halten, wenn das menschliche Sterben etwas mehr in das Zentrum des Lebendigen rückt, sodass man verstehen und akzeptieren lernt, wodurch und warum meine Zeit des Abschieds gekommen ist. Auch das ist nur eine Meinung, beschwert mit Menschen-und Tierherzen.

heute

Heute ist der Tag,
wo Liebe möglich ist.
Wo die Poetin möchte,
dass das Wort verschleiert
geht wie eine Muselmanin,
und geht doch nackt,
begleitet von einem Tier,
das Kräfte hat zum Töten.
Und Kräfte auch, sich
anzuschmiegen an das Kalt des
Raums. So tief ist Liebe, dass Worte,
die sie fangen wollen, flacher werden
im Versuch. So zart und hilflos ist sie,
dass man Vögel braucht, um aufzuatmen
in Gemeinsamkeit. So einsam ist Liebe
in ihrem dunklen Wissen. und auch so hell
in ihrer ganzen Einfachheit.
Wenn ich dies schreibe, denke ich
an euch, die Dichterinnen, denn eure Worte
leben hier in mir. Wenn ich durch eure Kunst
dem Herzen Ausdruck gebe, ist es, als wär‘ ich
nie gebunden. Dies ist der Tag, an dem die Sterne
günstig stehn, denn ihr habt mir gesagt mit
eurem Leben:
Dass Tod ist wie die Liebe,
so sicher, ewig, tief und frei.
Ich bin berührt von eurem Wesen.

grenzenlos


Überall schauen uns Augen an
Ich suche nach Worten, ich finde sie nicht. Muss mich aufmachen in meine Empörung hinein. Weiß nicht, ob sie dort herumliegen, die Worte, bereit, mir zu helfen beim Unlösbaren, also dem, was die eigene Vorstellung derart sprengt, dass man ohne sie zurechtkommen muss, aber mit dem Gefühl zurückbleibt, das einen wortlos gemacht hat. Ich hatte schon einmal davon gehört, dass es einem Chirurgen gelungen war, ein Schweineherz in einen Menschen hinein zu pflanzen, der ohne dieses einmalige Experiment gestorben wäre. So hat man’s gemacht, und noch lebt er. Klar will er leben, er ist erst 57. Nun pocht in ihm ein Schweineherz, das genetisch manipuliert werden musste, damit man den Menschenkörper austrickst und er das fremde Organ annimmt. Gestern habe ich unterwegs einen längeren Bericht darüber gehört. Wenn das klappt, sagte jemand, dann gibt es fortan unbegrenztes Material. Die Schweine, oft gelobt wegen ihrer Ähnlichkeit zum Menschen (?), sind dann das unbegrenzte Material, so, wie Raubtiere das unbegrenzte Material für Pelzmäntel waren. Aber Frau Vogt, sagte die Frau aus der Pelzabteilung damals zu mir, dafür werden sie doch gezüchtet. Ach so, sie werden als Pelzmantel geboren. Zurück zum Herzen. Der Arzt, hochgelobt für seine stundenlange Exzellenz, hatte, so hörte ich, hunderte Male schon vorher jeden Handgriff geübt. An Pavianen. An hunderten von Pavianen, die vermutlich gesund waren, bevor man ihnen das eigene Herz herausgenommen hat und ein Schweineherz eingesetzt. Eine lobende Stimme erklärte, dass eines von den Tieren sogar 5 Monate lebte danach. Das bringt keinen Tropfen Bewunderung in mir hervor, sondern es ist das Grauen, das keine Worte findet. Es gibt eine Menge Menschen, die auf ein Herz warten und keines bekommen. Soll man sie sterben lassen, weil man die Tiere schonen will? Es gibt ja nicht nur einen Ort, an dem diese Untaten realisiert werden, sondern es wird wissenschaftlich danach gegiert, auch an die Reihe, heißt an die Erlaubnis heran zu kommen, dieses Experiment auch durchführen zu dürfen. Es gibt sozusagen bereits ein Chirurgenfieber, das übt sich an Pavianen, die man irgendwo im Gehege hat, nimmt ihnen das Herz heraus und hinein mit dem Schweineherz, damit später beim Menschen jeder Griff sitzt. Ich bin keine fanatische Tierliebhaberin, bin aber dankbar dafür, dass ich vor allem in Indien in so nahen Kontakt mit Tieren kam, die alle draußen frei herumliefen und eine helle Freude waren im Tumult des Lebendigen. Nun kann ich nicht darauf antworten, würde ich gefragt werden und wäre um die 57, wie ich mich entscheiden würde, hinge mein Leben davon ab. Und ich weiß ja schon lange, dass ich keine Maus und keinen Affen vor diesen Hochgeehrten retten kann. Meine Empörung gilt diesen beeindruckten Stimmen, die es kaum fassen können, was der Mensch so alles schon kann. Kein Wort über die Tiere, kein Wort über diese unheimliche und grenzenlose Arroganz, die den Menschen ergreift, wenn er sich als das erhabene Wesen betrachtet, das sich die Erde untertan machen kann und tun, was er will, mit wem und mit was auch immer. Und kann man wirklich tun, was man will ohne Liebe? Und kann man mit Liebe Tiere grenzenlos quälen?