Weltflüchtlingstag also (außer Fronleichnam, bzw. dem Ausschlafswunschtag der Vielbeschäftigten). Die Tatsache, dass gerade auf dem Planeten 70 Millionen aus den jeweiligen Katastrophen der Länder Flüchtende unterwegs sind, kann nur für eine fast mystische Ohnmachtszahl stehen. Vor ein paar Jahren, als das alles hier anfing, für seine menschliche Dringlichkeit Raum zu suchen, wurde ich von dem Gemälde oben von Daniel Richter (aus der Zeit) berührt, das von dem Kern des Ganzen vieles ausdrücken kann, was oft nur ein Bild kann, und eher selten die Worte. Ich hatte selbst nach den ersten Berichten über die vielen ertrunkenen AfrikanerInnen auf simpelste Weise versucht, auf einem weißen Blatt, das mit einem Meeresblau leicht zu bedecken war, mit meiner Pinselspitze lebendigen Kontakt aufzunehmen mit dem sinkenden Haar der Köpfe, nur um ein Gefühl zu generieren über das unvorstellbare Ausmaß des Vorgangs. Das geht noch immer vor. Manchmal wird man gedanklich woanders hingelenkt, was die Informationsebene betrifft, und gerne mal „sturzbetroffen“ sein, ein Wort, das ich ausgeschnitten und irgendwo bei mir herumliegen habe. Erschafft man mal kurz aber großzügig für sich ein gewaltiges Menschen-Epos und schweift über die zügellosen Auswüchse und die bedeutsamen Erungenschaften menschlicher Verhaltensweisen, dann kann klaro der einsame Beobachter am Rande des historisch bewahrten Porzelantellers natürlich die Heerscharen an sich vorüberziehen lassen wie Wolken: die Händler, die Vergewaltiger, die Erfinder/innen, die Bischöfe, die Fliehenden, die Flüchtenden, die Geflüchteten, die SängerInnen, die TänzerInnen, die Sodomisten, die, die aus unendlich vielen Gründen so geartet sind, dass sie entweder zu solchen Mitteln greifen oder zu solchen im Angebot dessen, was da ist. Es kann doch nicht gut gehen, wenn auf einmal allen etwas fehlt, was sie unbedingt haben müssen, aber nicht bekommen können, weil es gar nicht möglich ist. Die Mutter unserer afghanischen Freundin ist vor Kurzem in Herat gestorben und hat zwei erwachsene Kinder hinterlassen, die beide geistig so eingeschränkt sind, dass sie nicht für sich sorgen können. Niemand kümmert sich dort um sie, die Familie hier will sie herüberholen, es geht nicht, wurde mir vermittelt von den Behörden. Das Leben der Flüchtlinge als Flüchtlinge geht weiter, auch wenn sie die ersehnte Aufenthaltsgenehmigung errungen haben durch alle Fluchtnöte hindurch und hinweg über die Traumatisierungen, auf Ämtern die kostbare Zeit vergeudend, wegen dem Mangel an Sprache froh über den Putzjob. Mameh aus Guinea ist auch gut integriert mit ihrer Tochter. Der afrikanische Vater des Kindes hat sie verlassen, weil seine Mutter, am Telefon aus einem Nest in Afrika befehlend, nicht will, dass sie Christin ist. Sie muss Muslimin sein. Und von uns aus gesehen sieht es auch nicht einfacher aus. 5 Euro in einen Umschlag stecken und irgendwo hinschicken ist jetzt nichts Schlechtes, oder eine Petition unterschreiben mit meinem Fingerclick. Aber hallo, wie sieht es aus vom eigenen Innen her mit dem Fremden, mit dem Fluchtweg in alle vorhandenen Korridore der Unterwelt, wo die Dämonen kichern, weil sie wissen, wie das so ist mit den Menschen und sich selbst und den Gaukeleien vom Gutsein und vom gemeinsamen Aufenthalt auf diesem begrenzten Wohnort. Und klar, hat der eine nur einen schlichten Holzteller und der Andere eine teure Tellerverzierung, aber beide müssen sich vom Teller verabschieden, wenn gegessen und getrunken und Weiteres zu bewältigen ist. Mamehs Tochter Racky ist fünf und lebt noch in der mütterlichen Geborgenheit. Wie wird es ihr ergehen, wenn sie zu deutsch wird, um sich dort, wo sie schon beschnitten wäre in ihrer Familie und von ihren Angehörigen, wenn sie eines Tages dort nach ihren Wurzeln sucht und keine mehr findet. Das Heer der Entwurzelten, die Ströme der Traumatisierten, die noch zu Heilenden, und die, die nicht mehr zu heilen sind. Die Flüchtlinge, die eines Tages gerne gesehen werden, sollen ja gebildet und brauchbar sein. Was sollen die sich um zwei erwachsene Minderbemittelte aus Herat kümmern wollen, die jetzt dort eingehen werden wie nutzlose Pflanzen. Oder auch nicht. Wir wissen es nicht. Und wir werden es auch nicht wissen.‘ Wir sind doch Menschen‘, könnte man Benn in sich nachklingen lassen, und wüssten vielleicht gar nicht, was wirklich damit gemeint ist.
Das Bild ist ein Ausschnitt von Daniel Richters Gemälde. Sie sitzen in einem Schlauchboot zusammen, Flüchtlinge. Unter ihnen unergründliches schwarzes Wasser…..