Dieses Mal habe ich mich nach sorgfältigen Überlegungen für einen Nacht-Sleeper-Bus nach Delhi entschieden, da Delhi nach (m)einem Beraubtwerden im Zug von allen derzeit wertvollen Dingen eine Art Gespenst geworden ist. Nein, es ist nicht nur das Beraubtwerden, sondern auch die Tatsache, dass jahrelange Freundschaften sich in Delhi gebildet haben, wirklich sehr viele Jahre, in denen meine Freunde und ich uns immer wieder hier getroffen haben und ausgetauscht über die potientiell ähnlichen, aber doch sehr verschiedenen Wege, alle tief verwoben mit und berührt von dem indischen Leben, wo auch immer wir es gefunden haben und mitgelebt. Jetzt haben sich die meisten aus Delhi zurückgezogen, und es ist das erste Mal, dass ich nicht in einer Freundeswohnung die letzten Stunden oder Tage vor dem Rückflug verbringe. Es ist der Smog, der nicht mehr wegzudenken ist und d i e aus der Stadt treibt, die Alternativen haben oder erschaffen können. Wir fahren heute früh im Morgenlicht auf die Stadt zu, und es ist wie dichter, schwarzbrauner Nebel, in dem überall gehaust wird. Ich habe immer gestaunt, wo und wie andere Menschen leben können, aber beim Reinfahren nach Delhi macht das Staunen immer Halt. Ich spüre förmlich, wie meine Augen auf einmal in ein wortloses, tiefes Gefühl tauchen, das meine Grenzen anerkennt, denn ich kann es mir auch durch Hinschauen nicht vorstellen, wie Menschen ihre Tage verbringen, und ihre Nächte. In Delhi kam ich auch mal zufällig durch einen freigewordenen Platz in den Genuss, den Dalai Lama live zu erleben. Das war wirklich sehr schön, denn er versuchte, einem kleinen Publikum in englischer Sprache zu begegnen, man bzw ich konnte nicht so viel verstehen, aber er hatte einfach diese Schlichtheit um sich, von der man ausgehen darf, dass sie auch den Zirkus durchkreuzt und durchschaut hat, und da ist Einer, der seine Rolle und sein Kostüm wahrhaftig und gut trägt. Es gibt auch ein sehr gutes Buch von William Dalrymple über Delhi, wen es interessiert, es heißt „City of Djinns“ (Wesen) und informiert spannend über viele Seiten Delhis, auch seine leuchtenden Glanzzeiten. Es ist auch die Stadt, wo eine unmenschlich brutale Vergewaltigung einer jungen Frau, die daran gestorben ist, einen solchen Aufruhr hervorgebracht hat, dass man sagen kann, dass sich seither tatsächlich, vor allem durch die Frauen, mehr bewegt als zuvor. Aber trotz Todesstrafe (auf Vergewaltigung eines Kindes) in einigen Gebieten scheint sich eher ein wahres Höllentor aufgemacht zu haben, sodass man es tatsächlich nicht verstehen kann und auch nicht will, was da wirklich am Werke ist. Diese Energie ist zum Fürchten. Man möchte eine Karosse mieten und (wie von Ramakrishna berichtet wird) staunend aus dem Fenster schauen und heiter bemerken, die „Maya“ (die manifeste, als Täuschung gesehene Scheinwelt) sei doch eigentlich ganz schön, isn’t it. Ich habe mir ein Zimmer gemietet in Pahar Ganj, eine Gegend, die ich wegen meines Freundeskreises nie besuchen musste, und es ist ziemlich genau, wie ich es mir vorgestellt habe. Runtergekommen, dreckig, vom Umgang mit seltsamen Foreigners respektlos und zu locker geworden, allerdings auch lebendig und durchaus noch menschliche Signale sendend und empfangend, heißt, man fühlt sich permanent bequasselt, kann dem Ganzen aber auch Einhalt gebieten. Und wenn man heroische Überlebenskünstler finden möchte, hier sind sie. Immer und überall wach, und auf der Hut. So kann dennoch, wie im verabschiedeten Städtle, auch hier ein kleiner Einkauf zur menschlichen Begegnung führen. Eine Frau, alles, was ich möchte aus einem sehr schmalen Ladenschlauch hervorholend, will wissen, wo ich herkomme und ob ich rauche. Ich frage sie, ob sie denn raucht, wir lachen beide. Sie fragt mich, ob ich lieber eine halbe Butter möchte, und schneidet sie durch, als ich bejahe. Meine Klamotten sehen auch seltsam aus wie immer, wenn ich meine Füße rausbewege aus der Wüste und denke: nee echt, das hatte ich an, und stimmig war es auch noch!