( Martha Argerich)
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Das Eine sind die Worte. Wenn jemand (wie ich) die Worte liebt (was seine eigenen Gefahren birgt), wird er oder sie sich mühelos über das Erstaunliche einigen können, nämlich dass Worte, geformt aus Buchstaben, über die Lippen jedes Mannes und jeder Frau kommen können, auch wenn sehr viele Kulturen den freien Umgang mit diesem Zugang zum Sein in der Welt noch beschränken. Innen ist immer noch Freiheit, mit der man erste und letzte Entscheidungen fällen und den Weg des Schicksals bestimmen kann. Dass das geformte Wort bei einem Gegenüber auf einen gewissen Grad des Verstehens stoßen kann, ist ein Teil des Wunders. Auch Höhe und Tiefe des Einlassens auf diese Kunst des Zusammenseins werden von uns erzeugt und hängen von unserem Interesse ab, hinter die sichtbaren Dinge zu schauen und zu ergründen, was sich dahinter verbirgt. Auch möchte nicht jeder eine Eigensprache, obwohl an jeder Wortwahl Eigenes zu erkennen ist.
Jetzt muss ich mich allerdings von der Sprache lösen…na ja, „muss“ ist übertrieben, denn ich löse mich von dem Sprachraum, bzw ich pole den verfügbaren Raum um in ein auf Hören ausgerichtetes System, also meins. Denn gestern habe ich was gehört, was mich zutiefst bewegt hat. Es war das Spiel von Martha Argerich, das ich eingegeben hatte, um eine reiche Atmosphäre zu erschaffen. Ich höre nicht so oft Musik, womit ich meine: eine Musik zu wählen, die man hören will, nicht nebenher, sondern darauf konzentriert. Für mich sind Konzertsäle, gefüllt mit Ohren, die gemeinsam den Meisterdarbietungen lauschen, die auf so vielen Bühne der Welt angeboten werden, immer noch ein unfassbares Phänomen. Auch diese spezielle Genialität mancher Dirigenten, deren Körpersprache die Musik förmlich sichtbar macht. Dann dieses Zusammenspiel, jetzt gestern mit einer Meisterin wie Martha Argerich, wo durch ihre Meisterschaft das kollektive Lauschen noch auf höchstmögliche Ebenen gesteigert wird. Wenn ich dann merke, dass hier etwas mich hineinzieht in eine kosmische Ordnung, wo ich einen Moment die Orientierung verliere, bis ich nicht anders kann als mich einlassen. Sie spielt Tschaikovsky, ich spüre die Vertrautheit der Töne, ich gebe mich dem Lauschen hin. Obwohl es auch hier tobt und wütet und einen durch die Wogen peitscht, um wieder ganz in die Sanftheit und Würde des Seins zurückzukehren, weiß man, dass keine Gefahr droht von den wilden Bewegtheiten her. Man kann sie zulassen und aufatmen, um dann wieder Kraft zu schöpfen für die nächsten Wellen. Ich kann das nicht oft. Ich bin geschädigt. Mein erster Geigenlehrer ist während einer Ferientour in einem Gletscher verschwunden, sein Sohn war in meiner Klasse. Meinen zweiten Lehrer, auch so ein wunderbarer Musikerkopf, hatte ich in Nepal gefunden und wurde jahrelang von ihm bestens unterrichtet, obwohl ich morgens oft reichlich übermüdet bei ihm ankam, weil mein Leben sich damals sehr viel nachts abspielte. Dann bin ich nach Indien und habe ihn nicht wieder gesehen. Jahrelang konnte ich keine westliche klassische Musik mehr hören. Wortsprache hat auch Musik, aber Musik ohne Worte zwingt einen hinein in sich, damit der innere Raum die nötige Weite erschaffen kann, die es zum Lauschen braucht. Vielleicht ist aber der Unterschied zwischen Wort und Musik gar nicht so groß, wie man gerne denkt, denn beides ist letztendlich „nur“ Möglichkeit des Ausdrucks unserer Befindlichkeiten.