Gestern saß ich wieder einmal länger in der Abenddämmerung an meinem Fenster und ließ mich von diesem Anblick hinaus in die Wüste tragen, zu der man genau zwischen diesen beiden Hügeln gelangt. Man kommt dort auch zu einer der schönsten, alten Tempelanlagen, wo ich einmal ein paar Wochen wohnte und mich ein gewisser Nimbus umwehte, Frau allein in dunkler Höhle übernachtend, ich fand es gemütlich. Dort entdeckte ich eines Tages direkt über mir die Gerippe zweier Tiere, eine Schlange und irgendein Nagetier, die offensichtlich im Todeskampf verendet waren. Später bin ich zu diesem Tempelgelände zu einem jährlichen Fest mit vielen Einheimischen zu Fuß gelaufen, auf den Kamelen wankten die Teeläden und alles, was dort so über Nacht gebraucht wurde zum Essen, Trinken und Feiern. Es ist ein Ort, den ein muslimischer König einst gebaut hatte, damit Hindus und Muslime aus zwei verschiedenen Richtungen zusammenkommen und ein gemeinsames Fest feiern können. Wie tief das heute klingt, wie versöhnlich, wie menschlich. In einer Mail wurde ich gefragt, ob es nicht schön gewesen wäre, ich hätte mit all dem, was m i c h so begeistert und bereichert hat, Abschied nehmen können, sozusagen ohne die neuerdings auftauchenden Dunkelheiten wahrnehmen zu müssen. Aber es gab schon immer in allem Erleben hier diese Dunkelflecken, es war noch verborgener, oft auch noch gefährlicher. Ich denke, ich hatte auch eine andere Einstellung zum Abenteuer Leben, bin aber selbst zwei sehr bedrohlichen Vergewaltigungsangriffen entkommen und dankte damals noch den Göttern und dem Wunder, das sich einstellte. Dieser Schuss Finsternis war immer präsent. Ich kam dann nach und nach in den Familien mit den dramatischsten Formen von Gewalt gegen Frauen in Kontakt, dieses Thema hat mich bis heute begleitet, vor allem aber, weil es aussieht, als würde alles noch schlimmer werden, auch wenn es Bewegungen gibt. Ich würde hier gerne noch meine Aussage korrigieren, die ich bei dem Video aus Chile gemacht habe (17.12), nämlich, dass man von so was hier nur träumen kann. Dann höre ich gestern, dass dieser Tanz auch in Neu Delhi von indischen Frauen auf der Straße aufgeführt wurde, das fand ich erfreulich. Ja, ich denke, dass das Dunkle immer mitläuft, und offensichtlich bricht es sich in bestimmten Zeiten gewaltsam Bahn, das scheint zur Zeit ein globales Phänomen zu sein. Was bei mir zum ersten Mal in Indien auftaucht ist eine gewisse Aufmerksamkeit auf den gravierenden Unterschied zwischen meinem persönlichen Wohlbefinden und den krassen, unakzeptablen Vorgängen, die eine wirkliche Freude nahezu unmöglich machen. Auch das gilt sicherlich weltweit, und ich kann mir nur vorstellen, wie beklemmend das werden kann, wenn in Deutschland eine unaufhaltsame Rechtsbewegung stattfindet, die uns sprachlos macht. Wegschauen ist keine Lösung, nein, zu viel ohnmächtiges Hinschauen aber auch nicht. So werden wir mit diesem schwer erträglichen Zustand umgehen lernen müssen und für uns selbst nach und nach angemessenen Umgang dafür finden. Ich denke, dass das ernstgemeinte Beisichsein es ermöglicht, den mitfühlenden Blick auf das menschliche Geschehen großzügig und warmherzig zu halten, und sich ruhig mal tiefgründig empören, erschrecken und entsetzen zu können.