In den Jahren, in denen ich ausschließlich in Indien lebte, verfielen auch mein Pass und mein Visa, was nicht weiter auffiel, da diese Art von Ausweisungen in der Bruderschaft, der ich locker zugeordnet war, keinerlei Bedeutung hatten. Einmal kam ein Polizist, um mich abzuholen, und ich wollte schon meine drei Sachen holen, da kam einer der „Brüder“ vorbei, sprach kurz mit dem Bullen und frei war ich wieder. So stellte ich mir mein zukünftiges Leben vor: einerseits am eigenen Feuer, andrerseits im Schutz ihrer Gastfreundlichkeiten. Und ich weiß, sie schätzten meine wilde Entschlossenheit und meine Ernsthaftigkeit, u.a. mich als eigenständige, (weibliche) Autorität zu vertreten. Ja, und ich war Shivaitin und fühlte mich so zuhause in dieser Welt, vollkommen angekommen am Wunscherfüllten. Irgendwie bin ich hier nochmal geboren und habe mich ganz und gar eingelassen. Was für ein Glück!, dass es so früh war, es war vor dem Fernsehen, und vor dem Computer und dem Smartphone. Diese noch voller Wunder sich webende Welt des Davor, in der man sich auf zeitloser Ebene einfügen konnte in das göttliche Puzzle, nicht ohne Zeugen, nicht ohne die wachen Augen des indischen Geistes, nicht ohne tiefe Verbindung zu einer göttlichen Kraft, deren Wirksamkeit sich auf irgendeine nachvollziehbare Weise in einem spiegeln musste. Die Inder hatten durchaus Wertschätzung für die Form meines sich formenden Schicksals, sie fühlten sich verstanden von meinem Interesse. Das war eine wunderbare Zeit, kein Zweifel. Die Veränderung kam auf der Straße nach Leh, in Ladakh. Ich hatte eine extrem mühsame, um nicht zu sagen irre Wanderung hinter mich gebracht, immer noch als Shivaitin (auf dem Weg nach Amarnath), und war irgendwie ins Sprachlose verfallen, kam von dem Berg wieder herunter und lief auf die Straße nach Leh. Etwas war mit mir passiert. Irgendwann hielt ich an und wusste auf einmal ganz genau, dass mein Leben im Tempel und am Feuer vorbei war, und dass ich zurück musste in den Westen. Es war das Hell-Sehen. Wie ein Blatt im Wind verschwand meine vorherige Vorstellung, und es gab wegen der enormen Klarheit keine Fragen. Es ließ sich auch unschwer umsetzen in eine neue Ordnung, in der ich u.a. auch wieder zu legalen Papieren fand. In solch einem Moment der Sich-neu-gestaltung befinde ich mich auch wieder, es gibt kein Zurück mehr, die Sache läuft bereits. Ich werde dies, mein geistiges (und teilweise körperliches) Heimatland verlassen und auf meine Weise im Herzen behalten. Habe ich doch selbst im Epos mitgespielt und denke, dass es einige Einheimische hier gibt, die zustimmen würden oder werden, dass ich eine ganz gute Besetzung war in meinem mir überlassenen und von mir bestätigtem Amt. Und noch ist nicht aller Frühstücke Abend.