Am Vormittag besuchte uns eine junge Frau mit ihrer 2-jährigen Tochter Lilly. Kaum war Lilly im Raum, spähte sie aus nach Möglichkeiten für ein persönliches Unterhaltungsprogramm. Es dauerte nicht lange, da fiel ihr der kleine Buddha ins Auge, der, von keinerlei Bedeutsamkeit belastet, schon lange bei uns einen Fensterplatz hat. Als Lilly dabei war, den Heiligen vom Sims zu nehmen, versicherte sich ihre Mutter schnell bei uns wegen der möglichen Reaktion, die es nicht gab, kramte aber in einem Rucksack nach den mitgebrachten Spielzeugen. Aus dem Tiefdunkel mütterlicher Geheimnisse tauchten zwei Penguine in der genauen Größe des Buddha auf, was Lilly sofort erkannte und links und rechts vom Erleuchteten einen Penguin plazierte und „Freunde“ sagte. Es kann einen nun auf einer transzendenten Ebene berühren, dass der Buddha just in diesem Nu, und das kurz vor dem Jahresumschwung, von einem Kind zwei Pinguine zur Begleitung bekommen hat, wer könnte dem widerstehen. Aber nicht genug. Sie setzte den Heiligen dann zielsicher auf einen Mürbeteigkeks, was seinem (dem Buddha seinem) Ruf ja nicht schadet, nein, eher etwas in einem zum Schwingen bringt. Mir fiel der berühmte Satz aus buddhistischen Kreisen ein „Wenn du den Buddha triffst, töte ihn“*, was natürlich bewusst provokativ gemeint sein muss, sodass es zum Nachgrübeln geeignet ist oder sein kann. Das gab mir wiederum die Chance, meinen eigenen Satz zu bilden, und war mit „Wenn dir der Buddha auf den Keks geht, lass ihn einfach in Ruhe“ ganz zufrieden. Man bedenke: das alles wird es nur ein einziges Mal geben und ist schon jetzt gesponnener Schicksalsfaden im Labyrinth der Ich-Erzählungen.
Auch wenn es Sprüche gibt wie „Der Welt den Rücken kehren“, und man sich an seiner doppelten Deutung erfreut, also das Dienstangebot an die Welt mit dem Nimbus 2024 zu tätigen, zumindest im Umfeld, so sitzt und steht man doch immer im Mittendrin des Geschehens. Egal, von welcher Seite aus man es betrachtet. Vor allem nachts sind sie zu spüren, die absolut unergründlichen Weiten der intergalaktischen Prozesse, an denen wir staubkornähnlich partizipieren. Und dennoch werden wir ununterbrochen angefragt und mitgenommen in diese Turbulenzen, die uns wiederum zu Entscheidungen nötigen, bewusst oder unbewusst. Daher lieber bewusst, um den Stürmen und den Totenstillen etwas entgegensetzen zu können, wenn mit d e n Instrumenten ein angenehmer Ton gewonnen werden kann, also wenn die Instrumente gestimmt sind und darauf bedacht, Klarton oder Klartext hervorzubringen. Durch alternative Umsetzung der Schwangerschaftsschöpfung und der daraus hervorgehenden Geburt, immer als Mensch, ob es nun das Kind ist oder ein anderes Erzeugnis der Hervorbringung. Für jeden Schöpfungsakt gibt es Kriterien und Bedingungen, aber Bedeutung ist nicht gesichert, man muss oder besser kann den Deutungen eine Richtung geben. Irgendwann hängt der Spiegel an der Innenwand des Controll Rooms. Hier also sitzt, gleichzeitig gefestigt und beweglich, die Bewusstseinspyramide. Wissen setzt sich um in Existenzerfahrung. Hier tritt mit Eleganz das Spielerische aufs Feld. Wie ein leiser Wind treibt es das Eingefahrene vor sich her und vor sich hin, bis es sich einlässt auf sich selbst. Präzise im Nu, in dem der weiße und der schwarze Faden sich nicht mehr unterscheiden, beginnt der Muezzin sein Lied, oder die Gesänge des Silenus werden noch einmal hörbar, oder so mancher wird angezogen von den Gesängen des Maldoror, einem Schleusenmeister. Wir wissen es nicht, aber wir hören den Gong und sind beschäftigt mit Lauschen.
Das Erstaunliche an diesem Welt-Konstrukt, an dem wir alle teilnehmen und an das wir in unserer Lebenszeit gebunden sind, ist doch, dass wir uns auf gemeinsame Sehweisen einigen, ohne auf unsere ganz persönliche Wahrnehmung verzichten zu müssen. Die Dinge, die uns umgeben, sind durchgedeutet und in den Dschungel der Begriffe eingeordnet, sodass es zu beweglichen Verständigungen kommen kann, oder aber zum Scheitern, wenn sich Verbindungen als inkompatibel erweisen. Aber auch Scheitern hängt von der Bereitschaft ab, sich mit der Materie der Problematik zu befassen und ihr genügend Raum zu geben. Raumgeben auch dem Buchlesen oder dem Einräumen des Geschirrs in die Spülmaschine, und dann wieder heraus. Diese Notwendigkeiten erscheinen ja am laufenden Band, oder kommen auch ohne Not, zum Beispiel als Feste oder als Gäste, oder als Bedürfnis, in den inneren, den neu entstandenen Räumlichkeiten, einfach oder endlich mal nach der Architektur der Leere Ausschau zu halten: ob sie nicht schon überall bereits Ausdruck gefunden hat, die Leere also sich selbst besiedelt oder besiedelt wurde, bis diese Sucht die Süchtigen erschreckt und tote Tiere und tote Kinder einen anstarren. So, als hätte die Wand selbst sich verschoben, und man hätte nun Zugang zur Klagemauer. Oder zu den Gesängen der Freude, und ja! Töchter und Söhne der Weltgestaltung, tretet hervor und bespielt die letzte der Veden, nämlich die, in der nicht mehr um Worte gerungen wird, sondern sie, die Welt, als Bewusstsein von und zu sich selbst erwacht.
In Indien hat mir mal ein Brahmane erzählt, dass während der englischen Besatzung Indiens durch die Engländer in vielen Dörfern die Menschen gar nicht wussten, dass Engländer auf dem Spielfeld waren. Es war das Leben vor dem In-die-Ferne-sehen. Das Telefon war teuer und meist unerreichbar. Heute ist so viel erreichbare Nähe von allem möglich, sodass man sich fragen muss, welche Nähe zu etwas Erreichbaren man tatsächlich will. Oder man ist den schlammigen Massen des Meinungsstromes ausgeliefert und hält es versehentlich für Bildung, auch wenn Bildung durchaus Comedy affin ist. Wenn es schlimmstenfalls dazu kommt, dass Humor als vollkommen unangenmessen wahrgenommen wird, dann ist es einerseits Zeit für Rückblenden, andererseits aber vor allem für Vorstöße in die eigene Verhaltenskultur. Die Frage, welch ein Mensch ich sein möchte, um der Verdichtung dunkler Kräfte im dritten Akt des Dramas gewachsen zu sein, ist in die Mitte der Wohnzimmer gedrungen. Und die, die ihre Wohnungen verlassen mussten und weiterhin müssen, die sind auf einer anderen Existenzebene unterwegs als wir, die wir noch in unseren Häusern wohnen und genug zu essen und zu trinken haben, ein angenehmes Bett, wohltuende Bettwäsche. Warmes Wasser, Holzscheite. Und doch findet das Unvermeidbare seinen Weg. Wir wenden den Blick nicht ab von dem Ungeheuren, aber wir sind auch geschult und erkennen die Muster der sinnentfremdeten Wiederholungen. Ich selbst hege keinerlei Hoffnung in Verwandlungen jenseits der Vorstellungskraft. Was ich hege, ist die vertrauensvolle Mitarbeit an dem kosmischen wie dem weltlichen Vorgang, denn den Wunsch nach gelingendem Zusammenspiel kann doch jede/r verstehen. Wobei einem (letztendlich) keiner vermitteln kann, wie es geht. Auch das lebendige Kollektiv ist nur ein gebündelter Hinweis auf weiteres, auf uns Zukommendes. (Spieler- und Spielerinnen nehmen ihre Plätze ein).
Zwischen der künstlichen Intelligenz und der künstlerischen Intelligenz liegt zuweilen eine Rasierklingenbreite. Ob auch die künstlerische Intelligenz seinen oder ihren Meister mit Haut und Haar verschlingen kann, muss immer wieder mal überprüft werden. In Indien habe ich einmal in einem winzig kleinen Papiergeschäft diese Postkarte (oben im Bild) gefunden und gleich alle davon gekauft, die es noch gab. Ich war fasziniert vom Entwurf dieser Idee, hier aus der Welt der Jain Religion, der (künstlichen) Idee eines vollkommenen Wesens, eine erleuchtete, geistige Schönheit, umhüllt vom Glanz des Bewusstseins, dargestellt als Kobragebilde. Der Kobra sagt man nach, dass sie im Dschungel tanzend einen Stein ausbrütet, den sie auf ihrem eigenen Haupt balanciert. So will auch der Mensch sich selbst ausbrüten und entwickeln. Die Frage ist nur: in welche Richtung. Auf der einen Seite das Jesulein in den Trümmerfeldern des Gazastreifens, wo der kosmische Gong in den Weltohren dröhnt und einige am Grauen der entmenschlichten Geister entlang bitter erwachen, vielleicht auch nach Vorbildern gierend, so wie die, die Kranke geheilt und in den Tempeln herumgewütet haben wegen all dem Missbrauch am Anderen. Oder einfach still dasaßen unter Bäumen, bis ihnen irgendein Wesentliches als wahr erschien, und auch da gab es Followers und Religionen. Und wird die Idee nicht immer künstlich erzeugt, und ist abhängig von der künstlerischen Durchführung.? Dabei entstehen Maßstäbe, Glaubenssätze, Meisterwerke, Irrfahrten. Aber auch Gefühle, auf tiefliegenden Korridoren herumwandernd, um die Gnade des Menschenmöglichen ringend. Endlich allein, ich meine: ohne die Bürde des Gottes, der den Weg freimacht aus dem Griff der kindlichen Abhängigkeit.
Einen Frieden,
den ich nicht im Stich lassen werde,
auch nicht, wenn seine Stimme übertönt wird
von Schmerz und Hass,
Verbitterung des Verlustes.
Ich ergreife Partei für den Frieden,
dessen Name kaum ausgesprochen wird
in diesem Krieg ohne Gewinner.
Ich werde den Frieden
in meinen Armen halten
und den Atem meines Körpers mit ihm teilen,
dass nicht der Frieden
der Zahl der Opfer zugerechnet wird.
Ich werde Deeskalation verlangen,
selbst wenn ich nichts so sehr will
wie Vergeltung.
Ich werde das tun
im Dienst am Frieden.
Ich werde roden
im überwuchernden Dickicht
aus Ursache und Wirkung,
damit der Frieden atmen kann,
eine Minute lang,
und sich nach dem Himmel strecken.
Ich werde tun, was ich tun muss,
um dem Frieden das Leben zu retten.
Ich werde durch Tränen hindurchatmen.
Ich werde Überheblichkeit schlucken.
Ich werde mir auf die Zunge beißen.
Ich werde Liebe anbieten,
ohne das Verdient-Haben zu überprüfen.
Deshalb verlangt heute nicht von mir,
mit einer Fahne zu wedeln, wenn es nicht
die Fahne des Friedens ist.
Verlangt nicht von mir, eine Hymne zu singen,
wenn es kein Friedenslied ist.
Verlangt nicht, dass ich Partei ergreife,
wenn nicht für den Frieden.
Na ja, „brüten“ ist vielleicht nicht ganz das treffende Wort für mein Herumschauen in die Gefilde der denkenden Welt-Liga, etwa auf die unheilbar der Entgleisung entgegen gehenden Wettkämpfe um Länder und Macht, was einen als Zeugin nicht unbedingt in eine neu angelegte Spur der Geburt eines Wunderkindes transportiert. Denn wir wissen doch jetzt, dass niemand uns unsere Leiden und Schmerzen abnehmen kann, und auch nicht soll und muss. Doch wer könnte dem Charme der vielen Lichterketten entgehen, wenn man mal wie zufällig über die Hügel fährt und sieht, wie viel Mühe sich die Menschen machen, um dem Lichterfest gerecht zu werden, zur Aufhellung der ab 16 Uhr einsetzenden Trübnis. Die wiederum auf die Zustände und Befindlichkeiten in den Innenräumen einwirken und hinweisen, also innen im Haus, und dann eben ganz im Innen. Und ich muss sagen, ich habe auch noch in einem Einst den wahren Santa Claus sehen dürfen. Es schneite, wie es sich gehört, und er kam mit dem Schlitten um die Ecke des Schlosses gefahren, begleitet von Engeln und Zwergen, und aus einem großen Sack kam allerlei heraus, an was ich mich nicht mehr erinnere. Ich weiß also aus Erfahrung, wie wichtig so ein Vorgang für eine Kinderseele sein kann, vielleicht wegen der Einflößung des Guten, das hier transportiert wird von der Geburt eines Einzelnen, dessen Leben und Leiden einen Unterschied machen sollte und vielleicht auch gemacht hat. Nun gibt es bei uns im Haus (ich lasse mal das „zum Glück“ weg) keine Kinder, und so erleichtert auch d a s den Weg zu einem reifen Verständnis, dass es keine überflüssigen Gaben geben muss. Es kann günstigerweise eine gewisse Gelassenheit und angenehmer Duft im Raum vorherrschen. Kraft kann eingesetzt werden für die geistig-räumliche Dehnung. Die Augen können sich im flackernden Licht des Feuers ausruhen von den vielen Strapazen, denen sie ausgesetzt waren. In Indien hatte ich schon vor Jahren mit Erklärungen über x-mas aufgehört. Die roten Mützen fanden regen Anklang und es gab mehr Süßigkeiten als sonst. Ich war dort jahrelang auch um die Weihnachtszeit herum und habe die Gelegenheit genutzt, um mich im Schweigen niederzulassen. So kann man, wenn man kann, genau d a s machen, was einem am meisten zusagt. Ich selbst gedenke, ein Eye auszubrüten, wer sollte mich daran hindern?
Es ist schön, in einem Haus zu wohnen, wo, bei aller Hochachtung für das Wort, alles gesagt werden kann in der permanenten Bemühung, die eigene Befindlichkeit mit den Befindlichkeiten anderer Wesen in Einklang zu bringen. Auch ist es sehr still hier in der Gegend, Wald und ein paar Häuser hier und da. Man hört auch keinen Verkehr und keine Kirchenglocken. Manche Gäste hat das beunruhigt. Jetzt, wo ich das mal erzähle, spüre ich das Lächeln der Eremitin in mir auftauchen und sich manifestieren. Was ich auch spüre ist ein Wind, der tobt gerade im Draußen, aber auch in mir. Er fegt das Erlebte in die vorhandene Leere (immer war Leere) und wird im Irgendwo empfangen als das Wasauchimmer. So können sich belastete Augen zurückholen in die Arglosigkeit. Das, was von einem selbst wirklich vorhanden ist, schaut sich um und erlaubt es dem Staunen, sich auszubreiten. Denn wenn man verstanden hat, dass es keine Wiederholungen gibt, und diese Radikalität hat einen nicht umgefegt, dann erlaubt man auf einmal dem stürmischen Schicksal den Vorrang. Um hier geeignete/r Spieler/innen zu sein, dafür braucht man die Praxis.
Wenn ein Mensch aus der menschenmöglichen Sichtweite entschwunden ist, kann man froh und dankbar sein, von einem gut gelebten Sterben berichten zu können. Die Urängste werden angerührt, eben dass man all dem, was man erleben konnte und weiterhin erlebt, entgleiten könnte. Denn wir, die jeweils weiterhin Existierenden, sind von Denken und Sein um die wesentlichen Dinge herum nicht befreit, nein. Jeder Tod kann subatomare Explosionen auslösen, denn wo gestorben wird, ergibt sich der Sinn des Erdenlebens, oder er ergibt sich eben nicht. Es gibt jedenfalls Anregung, die vorbeigleitende Zeit aufmerksamer wahrzunehmen, damit zumindest uns selbst klar wird, mit wem (als uns selbst) oder mit was (und wie) wir unterwegs sind. Auch gibt es Spuren im Nicht-Sichtbaren: unbeugsame Geister richten die Skalen aus, es wird hin-und herkontempliert, ausgerichtet, verworfen. Systeme im Ringen um Gerechtigkeit. Gut, wenn im Zuhause Raum ist für Widerspruch, für neu erschaffene Rituale, für Freundschaft, und… (kleine Pause) und für Liebe, ja. Denn ohne Liebe, sehr verehrter Kreis der Freunde, und ohne eure Bereitschaft zum Menschsein, wäre das Ganze eine aberwitzige Tragödie und bar des Wunsches nach Anwesenheit.
Niemand kann behaupten, oder hat je behaupten können, das ablaufende Script, Leben genannt, in seiner Gesamtheit verstehen zu können. Behaupten schon und in minimalen Ausschnitten auch beweisen. Aber nicht wirklich, da sich Wirklichkeit ständig selbst gebiert und man sie auch ein bisschen verfolgen und nachvollziehen kann. Dennoch spürt man, dass die Intensität des Dramas sich wieder einmal steigert, und man ertappt sich beim Kopfschütteln, von einer Dosis Ohnmacht begleitet. Denn wir, hier als europäisches Wir, sind ja genauso wenig unabhängig von den anderen Ländern, wie wir als Menschen nicht unabhängig sind von unseren Lebensgefährt:innen, die uns befähigen, d i e Menschen zu werden, die wir uns als uns selbst vorstellen. So tauchen im Großraum die wesentlichen Fragen auf, die in Essenz schon immer die großen Fragen waren, nur, dass sie nun in den Zeitungen der Welt erörtert werden. Warum, z.B., gibt es diese weitreichende Neigung auf die rechte Seite, oder „was sind das für Menschen, die Eltern vor den Augen ihrer Kinder verbrennen können“ undsoweiter mit den grausamen Beispielen, da kann das Gehirn leicht eine Sperrzone erfahren. So viel Bewusstsein verfügbar, und so wenig menschliche Anwendung! Wie kann das sein, außer, dass es ist. „Welt“ ist ein Wort, das wir erschaffen haben und dessen Inhalt und Substanz immer wieder neu erschaffen wird von denen, die hier vorübergehend tätig sind, wir also. Wenn man in die günstige Lage kommt, sich selbst dahin navigiert zu haben, wo es keine Wahl mehr gibt, dann kann eine gewisse Entspannung bei gleichzeitiger Wachheit eintreten. Wenn es gelingen sollte, den arglosen Blick zu erhalten, dann muss man sich über die Mühe im Klaren sein, die einem abverlangt wird für das. was wie verloren scheint. Wir Menschen, die von ihrer Sehkraft und Handlungsfähigkeit Vertriebenen.
Es gibt diese Durchgänge, bei denen das Gefühl aufkommen kann, als hätte man sich vorläufig aus der Welt zurückgezogen. So, als könnte man sich tatsächlich aus der Welt zurückziehen. Dabei sind wir immer mittendrin, wenn auch im Rahmen unseres Schicksals, dann mal als Blase oder als Subatom, was lediglich schließen lässt auf die Befindlichkeiten, die wir ständig durchwandern. Einerseits im Verhältnis zu der Immensität des Raumes, und dann wieder zutiefst ergriffen vom Menschenwesen, und was es alles an Grandiosem vollbringen kann, vom Gemüsegarten bis hin zur unheimlichen Freiheit des Geistes. Unheimlich, weil die Schatztruhe, einmal entdeckt, angesichts ihrer Großzügigkeit zu fast demütiger Haltung verpflichtet, und nein, nicht in Richtung eines Menschen, sondern in Richtung der unleugbaren Realität des Raumes selbst, dieser Anwesenheit, durch die wir beatmet und zum Prozess des Lebendigen angeregt werden. Der Odem, der Atem, das Om. Und so ist verständlich, dass wir die Neigung haben, Maßstäbe anzulegen, um dem Wahnsinn des Hineingeworfenseins zu entgehen, und uns durch eigene Ordnung und in eigener Dynamik zubewegen auf den Großen Teich: die Atma-Sphäre. Und daher kann ich durchaus bejahen, dass nichts Geistiges verloren gehen kann. Aber dann: die Weite, die Tiefe, die Höhe und ihre Unerschöpflichkeiten!
Auch im Danach, falls es ein Danach überhaupt gibt, bewegen sich die Dinge auf ihre eigene Art und Weise voran. Teilweise kommen sie auf uns zu, dann aber sind wir doch präsent genug, um bei der fortwährenden Sich-selbst-Gestaltung des kosmischen Vorgangs mitgestalten zu wollen und auch zu können. Es bewegt sich überhaupt nur voran, wenn wir beteiligt sind an dem, was direkt spürbar ist: den einzigen Nu, der uns jeweils bewusst zugängig ist. Da kann man oft genug „Be here now“ murmeln, aber was ist das, das Hiersein, der lebendige Atem dessen, was zur freien Verfügung steht und mich darin unterstützt, das mir angemessen Erscheinende auch in die Handlung umsetzen zu können. Im Zusammenspiel mit dem Strom, ja, denn der Strom hat uns gerade das Vorübergehen gelehrt, wo wir sagen „das kann ich nicht fassen“, und klar, können wir*s nicht fassen. Es ist ja nicht zum Fassen da, sondern höchstens zum Erleben, oder einfach so, wie es ist. Und folgt trotzdem den Gesetzen, oder ist das Gesetz an sich, der fließende Strom, der Nu.
Dieses Blatt Papier aus dem Jahre 1997 haben wir neulich gemeinsam wieder entdeckt, ich meine wir und die kürzlich, sehr kürzlich das Zeitliche gesegnet habende. Keine von uns konnte sich daran erinnern, aber man konnte sehen, dass unten ein Raum offen geblieben war, über dem stand „Hier ist Raum für meine Aussage“. Nun war ganz offensichtlich der Moment gekommen für ihre Aussage, die, und das mittendrin im Sterbeprozess, keiner mehr hätte anzweifeln können, denn sie hatte sich auf originelle Weise in die Selbstbestimmung katapultiert. Und wir, gelernte Bezeugerinnen des Außer-Ordentlichen, wussten es zu schätzen, dass sie den Stift nahm und die Aussage manifestierte, was das Blatt zu einem Dokument macht. Es beinhaltet die außerordentliche Nachricht, dass ein Mensch sehr wohl bis kurz vor dem Ende der eigenen Vorstellung noch zur eigenen Substanz zurückkehren kann. Die lag da immer: leer und schön (und noch ruhend in der latenten Bedeutungslosigkeit). Natürlich könnte man fragen: warum nicht früher. Sind (z.B.) Krebs und Tod nicht ein zu hoher Preis? Es ist jedoch auch das nur ein weiterer Weg, und wenn der Preis erkannt und gezahlt wird, öffnen sich durchaus die Schleusen der Zurückhaltung. Das kann gefährlich werden, aber auch aus den Schutzmechanismen befreien, die man brauchte, um am Leben zu bleiben. Der Genuss, bei sich selbst angekommen zu sein, stellt dann die andere Seite des Preises dar: man erlebt sich in relativer Gelassenheit mit den Anderen, da es nichts mehr zu erklären und nichts mehr zu beweisen gibt.
Der Zugang zum Gefühlten hängt nicht
vom Labyrinth der Fäden ab. Doch ist es
gut zu spüren, wo in der Dichte
eine Öffnung ist. Die Verstrickungen
gaukeln das Nichtvorhandene vor.
Das Vorhandene aber will erkannt werden.
Nur e s ist da.
Es werde also Zugang zum Vorhandenen,
zum zeitlosen, immerwährenden Strom.
Die Götter sind wild übereinander gestaffelt,
manche unkenntlich gemacht,
alle aus Bilder und Stein.
Die Zeit reißt Lücken in die Photogenität
der Wesen. Ein Ast durchkreuzt den Tempel.
Überall Wirkung von Wirkung.
Der Tod eines anderen Menschen als man selbst ist (auch) deshalb so radikal, weil er einen schlagartig in den Raum des Bleibens versetzt. Nicht alles, was man verstanden hat, beweist sich als leicht in der Umsetzung. Doch während man sich noch in den Furchen des Flüchtigen und des Vergehenden bewegt, entgleitet einem langsam und sachte das Seil des Bootes, und am Ufer richtet man sich auf und überprüft die Kräfte des Rückens. Denn nun kommen die Chöre der Erzähler:innen, alle bewaffnet mit dem Recht der persönlichen Wahrnehmung. Da versetzt man am besten das eigene Erleben in Standby und macht Raum für das Bilderbuch. Kein Leben, das nicht geeignet wäre für standing ovations. Günstig, wer einen Festplattenlöscher im Freundeskreis hat. Zurück auf Werkeinstellung, damit illegale Zugänge vereitelt werden können. Der illegale Zugriff auf das gelebte Sein, daher die testamentarische Notlage im Dienste klarer Verhältnisse. Wo viel angesammelt wurde, muss auf angemessene Verteilung geachtet werden. Manches ist so wertvoll und kommt aus Ebenen, wo niemals gehandelt wird und keine Preise festgelegt werden. Man darf überrascht sein, wenn man vom (konservativ) Erwarteten in sich nichts findet. Es macht einen wahrlich großen Unterschied, ob man spielen muss oder spielen kann. Die fünfte der Veden also wird der geheime Veda genannt. Nicht, weil da noch was gesagt wird, was keine/r vorher wissen konnte oder durfte, sondern da gibt’s kein Gedrucktes mehr, sondern das Existierende an sich drückt sich aus. Deshalb ist das Phänomen des Todes so bedeutsam: er ist das unbeugsame Geschenk des Realen, oder sagen wir lieber: des Surrealen, an uns, die Weitermacher:innen.
Ausklang und Einklang
im Herzen. Vieles ergibt sich als Gutes.
So wenig nehmen wie möglich, damit
die Freude an den Erscheinungen keine
Trübnis erfährt – und wir nicht
ergriffen werden von ihrer Eigenart.
Die Erde ist Raumschiff.
Sieh!, wie sie leise und sachte durch
innere Weiten steuert. Wind in den
Haaren, Freude im Geist. Wir denken
uns durch das Dickicht des Traumes,
bis wir wach sind und hörfähig.
Ich werde berührt in heilendem
Schauder von dieser mächtigen
Symphonie der Nähe.
Aus jedem Vorher und jedem Danach quillt Geschichte.
Man wünscht sich vielleicht ein (dafür begabtes) Schriftstellerherz,
um dem Ganzen gerecht zu werden. Dem epischen Ausmaß,
der Kernqualität. Dem Nichts und der Leere geweiht,
nur so als Beigabe an die Tage und Nächte, wo Erleben verdaut wird
und zugeordnet, und zum Nachdenken zur Seite gelegt.
Oder doch gleich als Aufgabe an sich genommen, damit die Spuren
des Denkens dem Verhältnis zum Drama entsprechen.
Zum Verständnis der Vorgabe, zur Praxis des zu Erfassenden,
zur Befreiung von diesem und jenem: was man vom eigenen Schicksal
begreift, wodurch auch Handlungsfähigkeit sich einstellt,
beziehungsweise einstellen kann.
Ich, der vom Erleben durchdrungene Mensch, bin dabei, den
neuen Tanzschritt zu üben: die Denkart, das Raumempfinden,
die Choreographie.
Jeder, der geht,
belehrt uns ein wenig
über uns selber.
Kostbarster Unterricht
an den Sterbebetten.
Alle Spiegel so klar
wie ein See nach großem Regen,
ehe der dunstige Tag
die Bilder wieder verwischt.
Nur einmal sterben sie für uns.
Nie wieder.
Was wüssten wir jeh
ohne sie?
Ohne die sicheren Waagen
auf die wir gelegt sind,
wenn wir verlassen werden.
Diese Waagen, ohne die nichts
sein Gewicht hat.
Wir, deren Worte sich verfehlen,
wir vergessen es.
Und sie?
Sie können ihre Lehre
nicht wiederholen.
Dein Tod und meiner
der letzte Unterricht:
so hell, so deutlich,
dass es gleich dunkel wird.
Gestern, am Samstag also, hat es zum ersten Mal geschneit. Am Morgen war sie, Claudia, noch am Leben, aber über Nacht war etwas Neues geschehen. Sie versuchte zu reden, aber ihre Worte waren nicht mehr zu verstehen. Auch der Wunsch nach Verstehen kann sich mal zurückziehen – ah, wie vorzüglich, keine/r, der weiß, wie es geht, und doch geschieht alles wie von selbst. Aus dem eigenen Selbst also fließt es heraus und ist mit dem, was geschieht, in Verbindung. Am Schluss, wenn die Sterbenden nach ihrem Ausweg suchen, dringen keine Gefühle mehr in ihr Außen. Wir sind dann das Außen, das für weitere Gestaltungen zuständig ist. Aber zuerst kommt der Moment, wo ein Mensch seinen oder ihren letzten Atemzug tut. Der kam dann, wie immer doch überraschend, denn das ist er (oder sie), der Tod, (la mort), so konsequent radikal, sodass hier (zum Beispiel) die Spielerin keine Geschichten mehr erzählen oder deuten oder mitbringen kann. Nichts kann sie berichten von dem, was sie innerlich sieht, und auch die Augen selbst bleiben zurück. Und obwohl der Tod auch unser/e Begleiter/in ist, drehen wir um mit den Nachen und fahren in eine andere Richtung als die, die gerade aus unserem Feld entschwunden ist. Und nun gibt es Hörenswertes: im Sterbeprozess, (erzählte sie einem gemeinsamen Freund am Telefon), hat sie ihre glücklichste Zeit erlebt. Alles, was an Wünschen noch übrig blieb und d a s, von dem immer etwas gefehlt hatte, das zog sie nun an sich wie ein Magnet. Und als sie, der Magnet, nur noch im Bett lag und vollkommen abhängig war von den Helfer:innen, da konnte sie vermitteln, dass sie frei war: alles erledigt, alles abgerundet, reisebereit. Ja, in den letzten Tagen gab’s noch ein bisschen Frust, weil sie das von ihr selbst bestimmte Sterbedatum nicht einhalten konnte. Aber gut, nur um zwei Tage hat sie sich dann vertan, bis sich das dazu Notwendige fand und löste. Wir sind Begleiterinnen. Unsere Sprache weist hin auf die Gärten des Augenblicks, wo das Geliebte sich findet. Dort trifft, ohne Widersacher, das Selbst die Vorboten des Leisen. Mit Dank und Hochachtung für die Gnade des Erlebens!
So gerne ich meine Beiträge in einer guten Balance halte zwischen dem persönlichen und dem eher unpersönlichen Gedankentum und Ausdruck, so bin ich nun beim Umkreisen des Vorgangs „Sterben“ doch beim ausschließlich Persönlichen eben dieses Vorgangs gelandet. Es ist (noch) nicht das eigene Sterben, sondern das Sterben eines anderen Menschen, mit dem man durch alle Facetten des miteinender Möglichen gewandert ist, auch öfters mal darüber hinaus, also sich zusammen gedehnt ins Erweiterte, wobei oft genug die Blasen geplatzt sind, in denen wir Menschen uns gerne niederlassen. Wir haben Dämonen zusammen gebändigt und traten gemeinsam auf als unsere Archetypen, und nannten uns „arglos“. Auch waren wir durchweg vier kraftvolle, weibliche Kräfte, auf Hindi „Shakti“ genannt. Wir konnten zu tragenden Säulen werden, wenn der Raum einen Baldachin brauchte. Es gab viele Verbindungslinien, wir nannten und nennen uns „Konstellation“. Den Lebensstil, den wir entworfen haben, gibt es, soweit ich sehe, nur hier. Klar, durch uns, die Spielerinnen, ist er entstanden, unsere Begabungen sind ebenso gebündelt im Einsamen wie im Gemeinsamen. Nun wird sie uns auf dieser weltlichen Ebene verlassen. Wir wissen nicht wann, aber der Augenblick rückt näher, bis auch in ihm etwas erlischt, das wir betrauern werden. Ihr Boot ist bereits unterwegs, und auch wir binden langsam unsere Nachen los. Wir rufen die Stille in uns hervor, die Totenstille (pin-drop silence!). Wir durchqueren die Leere, die in die mühelose Verbindung führt.
Diese Collage hat Claudia gestern abend noch gemacht
Seit April, also seit der lebensbedrohenden Diagnose, sind wir nun zusammen auf dieser Reise: wir vom Haus, und Ihr von dort draußen, die ihr genug gute Erfahrungen gemacht habt mit der nun Sterbenden, um die Energie aufzubringen, zu uns hierher zu kommen und „sie“ noch einmal zu sehen, oder zu hören und zu fühlen, bevor es in dieser Form nicht mehr möglich sein wird. Nun will sie sterben. Gut!, sagt Domniki, eine der hilfreichen Kräfte, mit der wir uns befreundet haben im Verlauf der vielen Lymphdrainagen. Und wir fühlen auch, dass es jetzt „gut“ ist, weil der Moment sich selbst erschafft. Man spürt, wenn genug wirklich genug ist. Das bringt Erleichterung und Klarheit in die Richtung, aber noch muss der Weg gegangen werden. Irgendwann verglüht die letzte Kohle am Lagerfeuer. Dann verschwindet die Wärme des Lichtes und die aufsteigende Kälte weht einen vom Fluss her an. Noch sind wir zusammen, aber bald wird Eine von uns alleine weitergehen. Ich muss es mir selbst sagen, damit ich verstehe, dass es nun soweit ist. Der Arzt empfiehlt Morphiumtropfen. Sie sollen den Körper entspannen und die Bewegung in das nächste Vorwärts erleichtern. Mir fällt auf, wie sehr unser Leben immer Hand in Hand geht mit dem Tod, aber das aktuelle Sterben ist doch ein sehr episches Ereignis, so radikal in seiner Eindeutigkeit, die wie nichts anderes das ganze gelebte Dasein auf dieser Erde in einem Punkt konzentriert: das Ich in seiner letzten erscheinenden Form. Der endgültige Auftritt im eigenen Drama, an dessen Script man im Leben Nu um Nu gearbeitet hat. Ich denke, sie ist ihrem eigenen Anspruch gerecht geworden, das sagt sie auch selbst. Ihr Lächeln ist schön.
Die Frage, die Florian Goldberg bereits im Titel seines Buches „Wem gehört dein Leben?“ gestellt hat, kann man zu den wichtigsten Fragen des Lebens zählen. Wir alle wissen, dass wir in diesem Weltgetümmel gar nicht existieren können, ohne von dem, was uns darin oder daraus anspricht, beeinflusst zu werden. Und zur geistigen Anregung und Schulung ist dieses Weltbewegende ja auch nicht nur gedacht, sondern wird von uns immer wieder neu gedacht und gewogen und aussortiert und günstigerweise durch unsere eigenen Gedankengänge transportiert, sodass wir das Kontemplierte als unser geistiges Eigentum betrachten können, das wiederum vereinfacht oder erweitert oder vertieft werden kann durch uns und durch andere. Fremdbestimmung dagegen ist etwas völlig anderes. Der sogenannte „Glaube“ spielt hier eine Hauptrolle, also z.B. die Bereitschaft, etwas als real zu sehen, was niemals als solches erfahrbar gemacht werden kann. Doch, erfahrbar schon, denn man muss sich nur an irgendeinen Gott lange genug halten, bis man „besondere“ Erfahrungen macht, die natürlich keinen Anspruch auf Beweisbarkeit haben. Doch wer will schon ein nüchterner Vernunftsklotz sein, wenn Menschen sicher sind, dass das, was sie aufnehmen, ihr Eigenes ist. Die körperliche Verdauung ist durchaus mit der geistigen Verdauung verbunden, und wenn eines dieser genialen Einrichtungen aussetzt oder zusammenbricht, dann kann die andere Kraft noch sehr viel ausgleichen. Vor allem aber kann der Geist erhebliche und verblüffende akrobatische Leistungen vollbringen, und bis zum Aschenrand können wir, wenn die Sache gut läuft, uns selbst innerlich begleiten. Und hat man sich die Selbstbestimmung mal gründlich gegönnt, heißt: die wesentlichen Bedingungen dafür erfüllt, dann gibt es kein Bedauern. Kein Bedauern!
Natürlich wäre das wünschenswert, wenn auf der meist längeren Wanderung auf das Tor zu eine gefiederte Höchstform sich plötzlich aus dem Dunkel des Vorstellungsdschungels hervortreten würde, um Begleitung anzubieten und Weisheitsunterstützung. Eben, ob es Wissen darüber gibt bei euch Beflügelten, wie man das macht, dem Züngeln des Fegefeuers zum Beispiel zu trotzen, und es als die eigene Todesangst zu erkennen. Doch was soll drohen? Immerhin hat man am Spiel teilhaben können, wodurch es einem auch jetzt, in der Stunde des Abschieds, nicht erspart bleibt, d e n Ausgang zu wählen, der dem erzeugten Dienstfeld am meisten entspricht. Also da, wo es nicht mehr um Bezahlung der Leistungen geht, sondern um die Bedeutung des Ungedeuteten, egal, wieviele Gedanken es darüber schon gibt in der nun zu verlassenden Welt. Es ist reizvoll und lehrreich zu sehen, dass langsam aber sicher alle Kostüme aus den inneren und äußeren Schränken verschwinden, die Kopfbedeckungen, die Gewänder, die Ideen von dem, wer oder wie ich spielen musste und glaubte, wer oder was sein zu können, und vieles auch war, bis das Ichen ein Ende findet. Vielleicht können wir uns erst dann erlauben, uns Begleiter:innen zu erschaffen, die dem Anspruch gerecht werden können (warum auch nicht?), den letzten Abschnitt des Weges losgelöst und liebevoll zu begleiten, also in Resonanz zu dem, was du bist. Das ist dann, wenn man nicht aufhört, sich selbst zu begleiten.
Gerne nickt man bei diesem Satz von Dostojewski aus „Der Traum eines lächerlichen Menschen“, denn natürlich ist es egal, ob es ein Traum oder die sogenannten Wirklichkeiten sind, die uns auf einmal einen Wahrheitsgehalt schenken, der schon wegen seiner eindeutigen Erfahrung frei ist vom Zweifelhaften der Meinung. Denn sobald etwas diese Eindeutigkeit verliert, gehört es nicht mehr zum spürbar Wahren, aber auch das ist nicht unbedingt wahr. So haben wir unabhängig voneinander innerlich bei der Begleitung der Sterbenden eine Wende gespürt, so als hätten wir als die nahen Beteiligten ein paar Tage im Ewigkeitsstrom gebadet, nicht in einem Hoffnungsschimmer, der hier vollkommen unangebracht wäre, sondern es als ein Geschenk betrachtet, das wir gemeinsam gestalten und noch erleben können, bevor ein Leben, mit dem wir verbunden waren, tatsächlich zu Ende geht. Ihr Leben wird zu Ende gehen, das ist wahr. Heute früh hat sie es selbst ausgesprochen, nämlich dass sich in der Nacht eine neue Einstellung formiert hat. Sie kann und will nicht mehr, schon ist sie geistig auf die andere Seite gewandert, ein naher und spürbarer Zeitpunkt kündigt sich an. Sie wird sterben, weil sie bereit dazu ist. Es gibt ja keinen Weg mehr zurück, es geht nur noch vorwärts. Auch diese Wahrheit kann den Sprung ins ganz und gar Ungewisse erleichtern. Das Wunderbare ist, dass sie durch eine vollkommen unkonventionelle Weise bei sich angekommen ist. So ist bei aller Hilflosigkeit und Abhängigkeit des Körpers gerade d a s so wunderbar, dass der Geist sich befreit von allem, was einem unwesentlich erscheint und dadurch Beflügelung stattfinden kann. Wir treten zurück und lassen den aufkommenden Wind durch die eigenen Federn wehen. Figuren am Ufer des Unwägbaren, umhüllt vom Geheimnis des Wahren.
Wenn ich zur Zeit viel von „ihr“ spreche, so als wäre ich, hier am Fenster sitzend, von einer gewissen (notwendigen) Distanz in das Tiefpersönliche geschliddert, oder eher in das Höchstpersönliche hinein, dann ist da ein Korn Wahrheit drin. Wir erleben gerade etwas, was immerhin möglich ist, zum Beispiel: dass Krebs, so gruselig diese Krankheit auch sein mag, doch auch eine erhellende Wirkung haben kann. Ein Mensch, der sich mehr als eine Zuspielerin erfahren hat und auf dem Tellerrand, wo die vielen möglichen Identitäten herumhuschten, den Sprung in die gähnende Leere des Ungewissen gefürchtet hat, ist nun in die Mitte des Geschehens gerückt. Und nein!, nicht nur der Krankheit wegen, obwohl auch hier die Tragödie lauert als sichtbares Erlöschen des Körpers, sondern weil der Geist, immer dienstbereit wie ein Gott, ihr Geist also, es ihr ermöglicht hat, zu sich zu kommen. Deswegen mag ich den Song von Ziggy Marley, den ich kürzlich zufällig unterwegs gehört habe, weil er den feinen Unterschied klar gemacht hat zwischen „Got to be true to myself“ and „Got to be true to yourself“. Also er sagt es nicht als Botschaft zu anderen, dass sie sich selbst gegenüber wahrhaftig sein sollen, sondern er sagt es zu sich. Und dass es nicht möglich ist, Glück zu geben (oder zu erhalten), wenn man nicht selbst glücklich ist. Nun mag es paradox klingen, dass sie, Claudia, die noch verbleibende Zeit bis zu ihrem Abschied vom planetarischen Treiben als „glücklichste Zeit ihres Lebens“ bezeichnet, aber das kann man spüren. Der Raum, in dem sie liegt, ist angefüllt mit Wohlwollen. Es ist schön, dorthin zu gehen, ein paar Sachen zu machen, oder einfach nur dazusitzen und ein paar Worte auszutauschen. Eine Schönheit ist um sie herum, die einen wortlos macht. Schön ist auch, dass es niemand erklären kann.
Niemand würde das Ver-rücktsein oder das Verrückt-werden als eine verlässliche Medizin empfehlen, sondern es wird eher gefürchtet gleich nach der Todesangst. Einmal ist mir das in Marokko passiert. Einige Dervische hatten uns, die Mitglieder des „Living Theater“, eingeladen zu einer Reise, herbeigeführt durch eine uralte, als heilig gehandhabte Droge, deren Rezept nur von Vater zu Sohn weitergereicht wird. Sie rieten uns zu einer gewissen Dosis, aber das Zeug schmeckte köstlich und wir waren einiges gewohnt. Da merkte ich etwas später, wie meine Hand nicht mehr zur Kaffeetasse hinkam, dann ging ich ins freie Feld des Nus. Ich wusste meinen Namen nicht mehr, fühlte mich aber gut und wollte weg von den vielen Gesichtern, die um mich herumsaßen und mir irgendwas einflößen wollten. Ich entkam ihnen und wanderte tagelang auf der Straße vor mich hin, das Angstmantra aus „Dune“ tauchte in mir auf, ich hatte es kurz vorher auswendig gelernt. Irgendwann kam ich wieder an einen sicheren Ort, es war in Tanger, jemand brachte mich in Sicherheit, meine Freunde waren da. Auch die Sterbende in unserem Haus ist durch einen Moment des Wahnsinns gegangen. Niemand konnte sie bändigen, und mit unbändiger Kraft schrie sie den Satz „Ich bin selbstbestimmt“. Als sie wieder erwachte (aus der Beruhigungsspritze) brauchte es eine Weile, bis sie wieder zu sich kam, oder besser gesagt: sie kam langsam heraus aus sich selbst. Und da ist sie nun geblieben, sehr wach, sehr präsent, mit einer etwas tieferen Stimme als zuvor, mit klaren, freundlichen Worten. Ich bin verblüfft, dass ich es erleben kann: dieses geheimnisvolle Wirken in unseren Innenwelten, dieses bei aller förmlichen Starrheit permanent sich bewegende Neu. Dieser Schöpfungsgeist, an dem man hier auf diesem Planeten teilnehmen kann, ein freier und unbezahlbarer Kurs in Wundern. „Humanes Sterben“ ist ein wichtiges und verlockendes Angebot von einem selbst an sich selbst, wenn zum Beispiel eine Weltmüdigkeit einen anfällt usw., aber es ist auch wichtig zu wissen, dass bei der Begleitung eines oder einer Sterbenden noch viel passieren kann. Wenn das eigene Wesen den Staub auf den Federn entfernt.
Dann kann es passieren, dass die Welt einem vorkommt, als würde sie nur aus Zeichen bestehen, die alle auf die Vergänglichkeit des Daseins hinweisen. Was Poet:innen betrifft, so warten sie selten bis in die späteren Jahre, um dem Tod einmal ins Auge zu schauen. Immerhin ist er auch mal als Frau gesehen worden, wie sie das kostbare und unerschwingliche Schwert durch die Nacht trägt und ihrer eigenen Stimme lauscht, die sie lehrt, das Unangemessene vom Angemessenen zu trennen. So schiebt sich (zum Beispiel) in die Realität, die gerne als das Normale und das Erkennbare bezeichnet wird, ein Hauch von Ewigkeit ein, aber nur, wenn man ihr den Raum überlässt, den sie braucht, um zu sein, wer sie ist. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen Maus und Ewigkeit, aber dann auch wieder nicht. Wir sind eingebettet in das uns Mögliche und rangeln uns entlang am Faden, bis auch er keine Muster mehr weben kann. Auf einmal wird Nacktheit die Stütze dieser letzten Akrobatik, die verbunden ist mit dem unausweichlichen Schritt in die Fülle der Einsamkeit. Von dieser Form des Leuchtens kennen wir nichts, es kann nur erfahren werden. Und nie gab es weniger Garantie als hier, auf Level Eleven, wo die kosmischen Kräften (wieder) die Führung übernehmen, die einzige Führung, der man sich bedingungslos überlassen kann. Denn selbst wenn ich bei meinem „wahren Ich“ angelangt bin, soll auch d a s nicht zum Hindernis werden.