Erstmal muss ich tief durchatmen. Die Frage an mich könnte heute früh zB. lauten, warum ich mir das antue, morgens, wenn auch nur 3 Minuten, die Nachrichten anzuhören, wenn ich dann ungern hinterher etwas verdauen muss. Was heißt verdauen, oder gut, verdauen. Hilft es wirklich (mir) zur Kultivierung eines Mitgefühls, das schon gar nicht mehr weiß, wohin mit sich? Auf jeden Fall unterbricht es erstmal die verhältnismäßige Harmlosigkeit meiner eigenen Gedanken und schweift hin zum Zertrümmerten, oder zum Erdgebebten und zu unvorstellbar Überschwemmtem. Klar, Mitgefühl und Dankbarkeit für das bisschen Regendüsternis vor dem Fenster. Wenn ich ein paar Minuten vor den Nachrichten einschalte, bekomme ich manchmal unfreiwillig noch ein paar christliche Worte mit und das turnt auch ab mit diesem Prediger/innengesäusel. Heute erzählte ein Pfarrer, wie er an einer Haltestelle mit einem 80-jährigen Marokkaner ins Gespräch kam, der vor 40 Jahren hier seine Knochen ruinierte bei der Schwerarbeit des Abfallsystems, denn die Tonnen mussten damals noch eigenhändig hochgestemmt werden. Es war in der Zeit, da wieder Reichtum im Land zunahm, und das neue Kastensystem fand die üblichen Wege. Natürlich war es auch in der Vergangenheit die Sprache, die zu solchen Vorgängen führte. Wer nicht Sprache kann, muss Abfall heben oder putzen. Als ich mit der befreundeten Frau aus Afghanistan auf Arbeitssuche war, ging es nur um das Putzen. Als dann die Arbeit im Putzkreis erklärt wurde, das war bei der Deutschen Bank, da waren außer mir nur ausländische Frauen, aus Bulgarien, Rumänien, Russland, Afghanistan usw., alle in Not und voller Hoffnung auf Einstellung. Wir trafen uns im Keller, ich war Übersetzerin, obwohl Furuzan sich auf Deutsch verständigen kann. Wenn man dann die Gelegenheit hat, immer Stücke aus dem verlorenen Leben zB eines Landes wie Afghanistan von einer Familie zu hören, dann kann man sich besser vorstellen, was hier alles passiert ist, um dann im fremden Land dankbar zu sein, dass man putzen darf. Nicht jeder ist sprachbegabt. Die menschlichen Fähigkeiten der Einzelnen sind nur über die Kultur zu verstehen. Aber wer kann sich schon vorstellen, wie das ist, wenn man vor diesen Horden fliehen muss, für die ein Englischbuch einen Grund bietet zum Morden. Dann tauchen oft kleinere Formen desselben Irrsinns in der geretteten Familie auf. Furuzans Familie, das sind Schiiten, ihre Tochter hat einen Sunniten geheiratet, das musste auch noch aus den üblichen Spannungen herausgeholt werden. Man bekommt in der Fremde manchmal einen leichteren Zugang zum Absurden, das lange als normal deklariert wurde. Überall herrscht das Absurde unauffällig und saugt die Furchtsamen in die Glaubenskonstrukte, wo die dunkle Seite des Gleichgesinnten gezüchtet wird. Ob es auf dem Planeten wirklich einen sich gleichenden Sinn zwischen Menschen gibt, kann ich mir nicht wirklich vorstellen, denn wie kann sich mein und dein Sinn jemals gleichen. Ja, man nähert sich an durch das gemeinsame Interesse an bestimmten Gedanken oder Vorgängen oder inneren Inhalten, aber das Gelingen davon hängt sehr von der räumlichen Offenheit ab, die zwischen Wesen möglich ist. Je mehr Raum, desto mehr Freiheit der Entfaltung. Das hängt auch von der Einstellung ab, mit wem man im Strom der vielfältigen Menschheit in Kontakt kommen möchte, und auch, ob man es will oder kann. Mir ist jetzt öfters aufgefallen, wie oft ich das Wort „man“ benutze. Das hat mich vor Jahren schon mal beschäftigt, als ich den Satz schrieb „Man wehrt sich dagegen, dass Menschheit am Boden ist“ und ja, wer wehrt sich? In der Zwischenzeit habe ich mich für das Wort entschieden. Albern fand ich immer, wenn man es partout als „Mann“ lesen wollte, um dann „frau“ einsetzen zu können. Da kann man von mir aus in den Haarspaltersalon gehen, den ich erfunden habe. Es stimmt, dass es im Englischen auch beides heißt, Mann und Mensch, das ist auch in Hindi so. „Man“ ist für mich eine Möglichkeit, eben nicht „ich“ zu sagen, wenn mir das unangebracht erscheint, also immer, wenn ich „man“ benutze. Es deutet auf etwas Allgemeines hin, das ist richtig. Ich beherberge in mir schon sehr lange ein „Wir“, das diesem „Man“ ähnelt. Es ermöglicht mir, eine unbestimmte Anzahl von Menschen anzusprechen, von denen ich ausgehe, dass ich mich gut mit ihnen verständlich machen könnte oder kann, wenn Begegnungen zustande kommen werden oder würden. Ansonsten müssen sie gar nicht stattfinden, aber ich fühle mich auf eine gewisse Weise mit ihnen verbunden. Es sind allerdings die direkten Begegnungen oder Beziehungen im persönlichen Umfeld, mit denen man beschäftigt ist, wo sich das Gedachte oder Reflektierte oder Bewusstgemachte auch umsetzen kann und letztendlich muss, will man nicht als hohler Spiegel durch die Welt wandern. Deswegen geht es in dieser medial gesteuerten Zeit nicht nur darum, zu sich selbst zurück zu kommen, sondern auch aufmerksam zu bleiben den menschlichen Kontakten gegenüber, und ob die selbstverständliche Annahme, dass man ein lebendiger Mensch ist, sich auch bewahrheitet hat.