Heute findet das 70-jährige Jubiläum des Zentralrats der Juden statt, höre ich in den Nachrichten. Gegründet 5 Jahre nach dem Ende des Krieges. Man geht gerne davon aus, dass man sich alles vorstellen kann. Aber das Meiste kann man sich nicht umfassend vorstellen, weil man es nicht selbst erlebt hat. Als ich einmal mit einer Nigerianerin über Hitler sprach, bemühte sie sich zu sagen, dass ich oder meine Generation das alles ja nicht getan hätten. Es war gar nicht die Schuld, die ich fühlte, sondern den Druck des Verstehenwollens, der nicht nachließ. Ich bin in Berlin geboren, mein Vater hatte jüdische Angestellte, und man erzählte sich, er habe sie mit Aufträgen rechtzeitig außer Landes geschickt. Von ihm (meinem Vater) kommt auch die Nachricht, wie gut der jüdische Geist mit dem deutschen Geist harmonisieren konnte. In der Dynamik lag eine Inspiration, eine interessante Andersartigkeit, die einem Respekt abrang gegen alle Widerstände, weil es die geistigen Fähigkeiten waren, die man am Anderen erkennen und akzeptieren konnte. Zumindest fand das auch statt. Und es gibt auch ein Feindbild, das nicht aus der Ablehnung erschaffen wird, sondern aus dem Neid, etwas höchst Beneidenswertes nicht haben zu können, ja, überhaupt nicht zu verstehen, wie zum Beispiel den feinsinnigen, tiefen Humor, der über sich selbst und die eigenen Schwächen mühelos lächeln kann, denn das Andere ist ja ebenfalls da. Die humorvolle Selbsterkenntnis haucht dem Lebendigen etwas Menschliches ein. Wann und wodurch entschwindet dieses Menschliche, und durch was und wann und warum wird es zuweilen sichtbar, sodass man es erkennt fast als etwas Verlorenes? Es ist ja nichts Böses, ein erfolgreiches Business zu führen, sondern es kommt darauf an, wer man im Laufe der Geschäfte wird. Das gilt ja für alle und hat gar nicht so viel mit Schulbildung zu tun, wie man gerne denkt. Natürlich hilft die Bildung hinein in die Aufklärungsbahnen, aber ich habe das zutiefst Menschliche auch in einer Wüste unter AnalphabetInnen gefunden, das war nicht wenig. Aber was einen halbwegs gebildeten Menschen dazu bringen kann, dass er sie glaubt, die Vernichtung eines ganzen Volkes sei etwas unumgänglich Wichtiges für den Rest des Volkes, die das Glück einer arischen Herkunft vorzeigen konnten, das ist ein dunkles Geheimnis geblieben, wenn auch viel besprochen. Aber auch unter den Deutschen gab es die Anderen. Wem sollte man vorwerfen, nicht rechtzeitig aus dem Alptraum erwacht zu sein. So ein Ausmaß rechtzeitig ahnen? Ein Großteil meiner Freunde in der Welt waren und sind immer noch Juden, vielleicht wählte ich unbewusst die mir durch die Geschichte verborgene Erfahrung. Oder ich fühle diesselbe Liebe für ihre Persönlichkeiten , mit reichlich Humor ausgestattet, wie mein Vater, der die Zusammenarbeit so bereichernd fand. Ich fand es immer erstaunlich, dass jüdische Menschen sich wieder in Deutschland zuhause fühlen konnten und können. Vielleicht war unter den deutschen Überlebenden der Schrecken über die Grausamkeiten dann so groß, und das Entsetzen traf tief genug in das eigene Mark, zumindest bei einer kritischen Masse, sodass aus der Asche zwar kein Phoenix mehr auffliegen konnte, aber immerhin ein Wille zu anderem Menschsein. Das reichte auf jeden Fall zu einer stabilen Wirtschaftslage und einer halbwegs funktionierenden Demokratie. Und dann darf man auch heute, am 70-jährigen Jubiläum des Zentralrats der Juden, nicht vergessen, dass schon wieder Hakenkreuzfahnen auf diesen Straßen geschwenkt werden. Auch die Schattenseite des Ungewissen wird uns weiterhin begleiten.