gehbar

OMG (G for Goodness oder „O Meine Güte!) Ich wusste nicht, dass das kleine Video hier so riesig erscheinen würde. Es kam gestern aus Indien mit Reenas Kommentar. Walter Kaufmann war ein amerikanischer, jüdischer Musiker, der kurz vor der Machtergreifung der Nazis nach Indien ging, um dort Musik zu studieren. Wegen der politischen Situation konnte er nicht mehr zurückkehren und arbeitete in Bombay  u.a. für „All India Radio“. Reena erzählte mir, dass in ihrer Kindheit ganz Indien morgens diese Melodie hörte, also ein paar Minuten Walter Kaufmann auf der Geige. Man kann sich ruhig mal dem Staunen überlassen über die außerordentlichen Schicksalswege der Menschen. Von einem System kann er gejagt werden für etwas, was er nicht ändern kann, und von einem anderen dankbar empfangen werden und kann bereichern durch einen Violinenklang. Dieses Durchhaltevermögen und allen Widrigkeiten zum Trotz etwas Bereicherndes erschaffen zu können, das entlässt Kräfte, die man vielleicht sonst gar nicht entfalten könnte. Oft nimmt man ja die komfortable Ebene als die endlich erreichte Wunschvorstellung von einem guten Leben. Aber folgt der Geist erst einmal brav den vielen heraussprudelnden Wünschen, gibt es oft keinen Einhalt mehr, so, als bestünde das Leben aus einer kontinuierlichen Wunscherfüllung. Nun, da wir wissen, dass das kein Ende hat, ist das System selbst nicht mehr zu stoppen. Kauft!, heißt es, und das ohne Worte, sonst gibt’s davon bald nichts mehr, Licht aus im Schlaraffenland. Deshalb ist es hilfreich, sich wieder auf  die geistigen Fähigkeiten zu besinnen und dementsprechende Entscheidungen zu fällen. Hier geht es um die Entscheidung zwischen freiwilligem Sklaventum und einer Meisterschaft ohne jede Garantie, nur für den eigenen Antrieb und ohne Erwartungshaltungen. Natürlich ist das schwer beeindruckend, wenn Master Shi Heng Tzu seine sichtbare Vollkommenheit vorführt, kein Zweifel. Manches entdeckt man zu spät und kann nicht mehr daran teilnehmen, weil einem diese Meisterschaft versagt bleiben würde. Aber selbst die Martial Arts Belt-Träger:innen sind noch Teil einer Institution. Was macht so einer am scheinbaren Ende seines Zieles, also wenn das zu Erreichende erreicht ist. Meist wird gelehrt, so wird das Brauchtum erschaffen und kann später nicht mehr abgeschafft werden. Denn selbst der vollkommenste Weg wird nur für ein paar weitere Praktizierende der vollkommene Weg sein. Wichtig erscheint mir, dass man den eigenen zuweilen erforscht auf seine Wachsein erfordernde Gehbarkeit, bei der das Komfortable nicht das Vorherrschende ist.

Es ist ja so mit den Erinnerungen: macht man ein Türchen auf in einem der Korridore, kann man vom Andrang des im Verborgenen geruht habenden überrascht werden. Nun muss man entscheiden: will ich oder will ich nicht hinein ins Abenteuer des Gewesenen. Nun gut, man kann die Laterne mitnehmen und sich ein wenig umschauen. Ob man vielleicht was übersehen hat, neun Jahre sind schließlich kein Windhauch, oder sind sie doch nur ein Windhauch. Einmal kaufte ich im Bazaar von Kathmandu einen Adler. Er sah gerupft aus, und ich wollte ihn nur dem Verkäufer aus den Klauen reißen. Aber der hatte ihm schon die Flügel gestutzt. So lebte er bei uns und ich nannte ihn Zarathustra. Eigentlich war ich ja Zarathustra, denn nun hatte ich einen Adler. Jemand brachte eine gigantische Himalaya Eule vorbei, kurz danach nochmal eine verwundete Eule, sie lebten draußen im Baum, der Adler innen im Haus. Irgendwann erhob er sich vom Boden und flog davon. Die Mönche erzählten uns, sie würden ihn öfters auf der goldenen Spitze des Swayambunath Tempels sehen, dann nicht mehr. Bei den Tibetern gefiel mir der freie Umgang mit Totenköpfen. Es ist ja nicht einfach zu verstehen, was die hier gemeinte Symbolik von der Tradition her verstanden meint. Wir waren keine Eingeweihten, so sehr wir auch manchmal hineingelockt wurden in die offensichtlichen Mysterien sehr anders Denkender. Aber vielleicht war es doch eher so, dass wir aus eigenen, westlichen Irrgärten kamen, durch die wir uns durchgeackert hatten mit vielen, oft gefährlichen Experimenten. Aber immerhin: wir begegneten uns. Einmal hatten wir von tibetischen Händlern eine mit Silber ausgelegte Totenkopfschale erstanden, und benutzten sie als Zuckerdose, die Mönche kugelten sich vor Lachen. Dealer, Poeten, Mönche, unser Haus war offen. Da ich nicht kochen konnte, wurde uns ein exzellenter Koch empfohlen, ein wahrer Engel, dem ich gerne hiermit noch einmal danke. Es ist einfach lange her, und es ist unserer Gästin zu verdanken, dass sie es mir nach 45 Jahren noch einmal ermöglicht hat, meinen Blick dort herumschweifen zu lassen. Denn eigentlich hatte ich ja nach Indien gehen wollen, und als der Moment kam, saß ich im Kleinbus mit Tracy. Sie war dabei, als ich als Dank für die freundliche Aufnahme der Einheimischen im indischen Städtle einen Kali-Tanz für sie performte. Die Sterne standen gut für mich, ich konnte Kairos auf einem prächtigen Vogel auf mich zufliegen sehen. Das Schicksal schenkte mir einen neuen Namen, um den wenig gerangelt wurde. Aber für mich war er ein Licht.

cont….

Viele Reisende kamen in den Siebzigern nach Indien und nach Nepal. Es war eine neue Welle, die äußerst wirkungsvoll in die Kulturen hineinschwappte und unerwartet tiefe Veränderungen hervorbrachte. Wir waren bereit für neue Lebensweisen und es war denkbar, sich irgendwo niederzulassen, wo es einem ganz einfach gefiel und wo erfrischende Möglichkeiten sich auftaten. Als ich mit Cohen in Neapel ankam, regierte noch der alte König, von dem man hörte, dass er Musik und Poesie liebte. Unter uns bildeten sich Freundeskreise, manche lernten Musik, manche rauchten Opium, andere sammelten Pfauenfedern. Eine Zeitlang war es sehr kreativ und friedlich. Man bekam mühelos Kontakt mit tibetischen Mönchen oder indischen Sadhus, die ihrerseits erfreut waren für etwas Alltags-Abwechslung. Man saß zusammen und lernte sich kennen. Jetzt, als Tracy und ich uns an unsere Zeit in Nepal erinnerten, fiel uns auch beiden ein, dass sich einmal ein amerikanisches Paar in unseren Freundeskreis eingeschlichen hatte, das mir unbekannt war und irgendwie suspekt genug vorkam, sodass ich direkt auf beide zuging und fragte, wer sie seien. Es war deren letzter Clear-Agenten-Tag, also beide frei sich bewegende Agenten bei der Arbeit. Ich fragte ihn, ob sie nach Drogen suchten, aber nein, sagte er, sie sollen herausfinden, was so viele junge Amerikaner*innen in der Welt herumreisen lässt, die nicht mehr nach Hause zurückkehren. Man wäre beunruhigt, das war in diesem Ausmaße noch nie passiert. Stimmt, es war neu, dass wir einfach blieben, und bald gab es genug interne Kommunikation, um sich in den erforderlichen bürokratischen Notwendigkeiten zurecht zu finden. Wir mieteten Häuser und begannen, uns mit der Gesellschaft vertraut zu machen. Vertraut? Ja, schon, es war einfacher „damals“, einfach dabei zu sein und Neues zu lernen. Eine fruchtbare Zeit, die Nepalesen einfache, freundliche Menschen mit sehr harten Lebensverhältnissen. Sie strahlten eine Bescheidenheit aus, die wir so nicht kannten. Nicht wenige nahmen Zuflucht im Buddhismus und wurden Mönche oder Nonnen. Oder schlossen sich indischen Sadhus an, die dort auch ihre Feuerstellen hatten. Wir wanderten auch überall herum, hatten aber unsere eigene Galerie und veröffentlichten schöne poetische Ausgaben  auf Reispapier, die heute noch in amerikanischen Archiven gehütet werden  und unbezahlbar sind, wie ich feststellen musste. Vielleicht fällt es mir deshalb so schwer, mich zu erinnern, weil ich das alles eines Tages zurückgelassen habe, die ganzen Schätze, und mich endlich nach Indien aufmachte, mir allerdings meiner Rückkehr nach Kathmandu sicher war. Aber ich bin nie wieder dort gewesen, sondern eben dieser Kleinbus, in dem auch Tracy saß, die uns geradea an Ostern besucht hat, hat mich an den Ort geführt, an dem ich dann wirklich sehr lange blieb, sozusagen bis neulich. Dass unser österliches Wieder-Sehen so angenehm und bereichernd war, lag wohl daran, dass wir auf unsere eigene Art und Weise gereift sind und uns von der Herzgegend her mit wohlwollenden Blicken betrachten.

erinnern


Oh
Das war ein durch allerlei einem leicht fallenden Mühen erfreulich dahinfließendes Osterfest, bei dem alle Beteiligten das Gefühl hatten, sich am richtigen Ort zu befinden. Erfreulich für mich war zum Beispiel, dass ich nur kurz zwischendrin mal an die Kreuzigungsgeschichte denken musste, die so erbärmlich für den Helden ausging. Man könnte sich ja auch fragen, warum er sich so ein schlimmes Schicksal gebastelt hatte, aber immerhin hat das Drama ihn zu einem königlichen Spieler gemacht. Man kann mit ihm feiern, und man kann mit ihm oder um ihn trauern. Ich war aber mehr mit einer Gästin beschäftigt, die uns, von Kalifornien kommend und nach Paris gehend, besucht hatte über die Feiertage hinweg. Neulich in Indien, als ich noch (in warmem Sonnenlicht)  auf der Terrasse des Hauses saß, hatte ich einen Anruf von ihr bekommen, bei dem klar wurde, dass ich vor 45 Jahren mit ihr in Kathmandu in einen Kleinbus gestiegen war, der uns und noch ein paar Traveller nach Goa bringen sollte. Ich selbst war dann unterwegs ausgestiegen und hatte mich an dem Ort  niedergelassen, wo ich jetzt noch wohnte. Irgendwie war sie auf die Idee gekommen, mich zu finden, und das war ihr gelungen. Da sie sowieso mit ihrem Mann in Europa unterwegs war, hatten wir entschieden, dass wir uns treffen würden, hier im Haus, zu Ostern. Das Lied, das ich gestern in meinem Blog hatte, fiel mir wieder ein, eine singende Nonne aus Nepal. Ich habe im Nepal der Siebziger 9 Jahre gelebt, das war eine Überraschung für mich, dort wohnhaft zu werden. So langsam tröpfelte ein Zweig der Überlebenden aus den Sixties in die uralte Tradition hinein. In Kathmandu wurde jährlich eine Jungfrau im Kindesalter zur Göttin erhoben, bis sie ihre Tage hatte und dann meistens in der Prostitution endete, weil kein Mann eine vom Göttinnenstatus herabgefallene Frau heiraten wollte. Tracy hatte 3 Jahre in Nepal gelebt, und wir erwarteten, uns an viele Menschen gemeinsam erinnern zu können, die einem ständig auf der damals schlichten Hauptstrasse begegneten und entweder auf ein Visa nach Indien warteten oder in Nepal direkt was zu tun hatten. Ich hatte noch meine Violine dabei und einen Violinlehrer, Gopal Nath. Schön, dass ich mal seinen Namen hinschreiben kann, ein wunderbarer Lehrer, der damals einer der wenigen Violinspieler Indiens war und Schüler von V.J.Jogh wurde. Er hörte diesen Meister auf der Violine in einem Krankenhaus in Lakhnau mit bandagiertem Kopf, denn ein Tiger hatte ihn angegriffen in seinem Heimatdorf. Er kam eh aus einer Musikerfamilie, aber dann fing er an, Geige zu spielen, mit dem Steg nach unten an die Ferse gelehnt. Meistens spielten wir, bzw. ich lernte Raga. Zwischen unserer Gästin und mir wurde bald klar, dass wir uns wenig an damals gemeinsam Erlebtes erinnern konnten, ja, sie war sichtlich überrascht, wie wenig vor allem ich mich an Menschen dort erinnern konnte. Ja, als sie mir ein paar Gesichter zeigte, aber keine Namen. Oder doch, ein paar schon: Hetty, die nur noch tibetische Kleidung trug und ihren Sohn zum Tulku erklärt hatte, oder Charles Henry Ford, der dort lebte, um zu schreiben, und dabei junge Nepalesen verführte. Oder Angus, der seine Schamanenphantasien auslebte und meistens trommelnd vorzufinden war. Oder Jimmy Thappa, der einsame nepalesische Wolf im Cowboy Outfit undsoweiter…ich merke, dass die Erinnerung dennoch ganz schön fließt, dann mache ich vielleicht morgen weiter mit den nepalesischen Anekdoten, alles dank unserer Gästin. Ein sehr angenehmer Mensch und so eine Freude, sie nach all diesen Jahren kennen zu lernen.

befremdlich

Das wichtigste Fest des Christentums bahnt sich an, Hase und Eier so etwas wie ein natürliches, klimabedingtes Beiwerk darstellend zum großen Drama, in dem der Held im Kreis seiner Followers erst verraten, dann mit bluttriefenden Kopfwunden durch die Straßen getrieben wird, vorbei an den zugelassenen Gaffern. So, wie es heutzutage auch viel zu gaffen gibt an den Bildschirmen und es keinem verübelt werden kann, wenn der Mut fehlt, in die Szene einzubrechen und Gerechtigkeit zu fordern, und dann: welche. Nach langen Jahren in Indien und das Christentum als befremdlich wahrnehmend, habe ich mir dann irgendwann die mir relevant vorkommenden Fragen gestellt, von denen eine wäre: was bedeutet mir diese Geschichte. Er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen? Fürwahr? Aber auch ich muss ja nicht an meinem Konfirmationsspruch herumnagen und ein Feld infrage stellen, wo ich mich gar nicht auskenne. Wenn ich einen Film aus ein paar Fetzen des Stoffes machen wollen würde, könnte ich mir vorstellen, dass auf einmal während seines Folterganges die Erde erzittern und ein rasendes Amazonenheer heranpreschen und ihn, den Gepeinigten, hoch aufs Ross hieven würde, und ab mit ihm nach Kashmir, wo er als Krishna, der Gott der Liebe, weiterarbeiten kann. So sehe ich mich dieses Jahr genötigt, mich von diesem geschichtlichen Jesus zu lösen, bei allem Respekt für die möglichen Varianten dessen, wie es einst wirklich war, als nirgendwo Kameras hingen und keiner ein Selfie mit dem Nageleinschlager machen konnte. Es war ja nicht nur er, der da hing, sondern andere hingen auch angenagelt herum, das war damals Usus. Und wem sollte man es zutrauen können, sich gegen offensichtliches Unheil aufzubäumen, da die Angst durchaus berechtigt ist, dabei selbst genagelt zu werden. Nicht jede/r ist begabt für einen Heldentod. Mit Christus wird obendrein noch ein Göttersohn geopfert, und diese Neu-Orientierung war den meisten dann wohl doch zu unheimlich. Und es ist ja nicht so, als hätte es jemals aufgehört mit der Opferung Gutgesinnter, sie sind den Machthungrigen ein Dorn im Auge. Ständig tut es weh, dass sie nicht sein können wie diese Anderen, die in einer ihnen fremden Welt leben, in zu der ihnen Einblick und Zugang fehlen. So kommt es mir gesund vor, aus Phantasie und Historie herauszutreten und den Blick offen zu halten für das, was einen wirklich betrifft. Damit der gepeinigte Geist sich erholen und auferstehen kann.

langweilig

Ich musste feststellen, dass es gar nicht so einfach war, ein langweiliges Bild zu konstruieren, und vielleicht hat etwas nur, wenn es nicht konstruiert wird, eine Chance auf Langeweile. Wenn, wie das Wort schon sagt, lange nichts passiert, oder genau das vom Geist als unangenehm empfunden wird, kann man so etwas natürlich auch genießen. Eine meiner inneren Einstellungen, ziemlich verstaubt und eher in einer Abstellkammer zu finden, versteht Langeweile als einen kleinen Aufwecker für das System, in dem sie sich breitmacht. Nun weiß ich aber durch eine Erfahrung, dass ich Langeweile genießen kann. Das war gestern. Im kollektiven Zugzwang politisch relevanter Themen fühlte auch ich dieses Interesse, so lange auszuharren, bis die Anklagepunkte gegen Donald Trump verlesen werden würden. Das zog sich ziemlich hin, ich schaute bei CNN und anderen amerikanischen Moderator*innen und Expert*innen rein. So oft wie möglich zeigten alle Sender die in rarster Weise durchgeschleusten Bilder des Angeklagten, und auch mit der Lupe konnte man sich hier nicht wirklich sicher sein, was hinter diesem Narzisstenschädel wohl vor sich gehen mochte, oder ahnte man doch ein bisschen herum. Einer fand ihn am Boden zerschmettert, dann fand jemand in seinen Zügen einen unverhohlenen Aufwind. Marjorie Taylor Greene wurde sofort nach ihrer Ankunft bei ein paar Protestlern wieder von Bodyguards in ein Auto verfrachtet. Ich schaue mal schnell nach, ob man im Englischen  „narcissist“ sagt (ja) und nicht „Narzisst“ wie im Deutschen. Also inmitten dieses in der Warteschlange gefangenen Bannes, dem man ein bisschen nachgeben musste, um wenigstens noch die 34 Anklagepunkte mitzubekommen, die auf allen Kanälen angekündigt waren, überfiel mich eine große, genussreiche Langeweile, und ich schaltete den ganzen Zirkus einfach ab, wohl wissend, dass alle Medien dafür sorgen würden, dass ich morgen die Essenz vom Abgespielten in ein paar Minuten überbracht haben werden würde. Mit einer gewissen Schlagartigkeit wurde mir klar, dass ich nicht weiß, warum mich die verwegene und bis zur Schmerzgrenze reichende Dummheit Donald Trumps überhaupt „noch“ interessierte.“Noch“, weil es ja einmal interessanter war, direkt auf der politischen Weltbühne einen Narzissten mit einem anderen vergleichen zu können, denn es sitzen zur Zeit auffällig viele von ihnen in ihren erbärmlichen Reichen, und nichts und niemand kann sie vom Hocker reißen, denn sie kleben an ihnen noch besessener als die Aktivist*innen am Straßenrand. Das einem ganz und gar unerklärlich Vorkommende übt einen Reiz aus, dem man rechtzeitig entkommen möchte. Der Mann ist kein Präsident mehr, sondern ein bürgerlicher Verbrecher, der für seine obszönen Rachefeldzüge gefürchtet ist, aber schon wieder zu viele Worte. Ach wie drängt es doch auf der niedrigst verfügbaren Ebene, mal so richtig in den Wind hinein loszukotzen, nach China hin und in die Türkei, nach Syrien und nach Russland und Nord Korea, wo sie alle sitzen undsoweiter. Gerade noch schaffe ich die Kurve, ach süße Langeweile, wie großräumig und großzügig erscheint mir dein Angebot.

reifen


Worry-Doll aus Guatemala
Ich muss schon sagen: es ist auch eine Zeit der Reife, in der wir leben. Niemand kommt an der Palette der Bildungsmöglichkeiten vorbei, auch wenn sich ungeheure Problematiken in den Schulzentren ballen, wo die herrschenden Zustände eine Gefahr aufgewirbelt haben, die kaum mehr zu bändigen ist. Wer würde nicht gerne von Berufen flüchten, in denen alles verlangt und keiner geschont oder gebührlich bezahlt wird. Wo es doch gerade darum geht, dass der oder die Einzelne besser gehört, besser gesehen wird, besser eingeordnet werden kann in das Gesamtbild aller lebenden Persönlichkeiten. Vielleicht haben wir, die gerade Lebenden, nicht gründlich genug verstanden, woran so viele Menschen (schon immer?) zugrunde gingen und gehen. So, als wäre es selbstverständlich, das Leben überhaupt nicht mehr als ein Fest zu sehen, oder als ein Abenteuer, in dem man bestimmte Prüfungen bestehen kann, aber nicht muss, denn wenn sie nicht gestorben sind, leben sie ja noch heute. Die Prüfungen sind allerdings auch geblieben, vielleicht etwas geballter, sodass der Held oder die Heldin selbst den Mut verlieren, sich tapfer durchs Dickicht zu schlagen. Denn die Frage bleibt ja: für was um Himmels Willen schlag‘ ich mich denn durchs Dickicht. Das heißt, dass die Fragen der Heiligen an sich selbst mitten im Weltgewirbel auftauchen und Unruhe stiften in den Haushalten. Allerdings hört man auch mit angemessener  Aufmerksamkeit von Helfer*innen, die sich wie Motten in ihre flammenden Überzeugungen werfen. Um sie braucht man sich nicht sorgen: sie wissen, was sie tun. So ist aus der großen, unüberschaubaren Masse der Menschen ein Planet der Einzelnen geworden, die unversehens genötigt werden, sich  auf eine vielleicht noch unbekannte Antwort zu konzentrieren, da ein Druck des Unlösbaren unaufhaltsam nach oben drängt. Wo ist oben? Oben ist, wo eine Lichtbirne aufleuchten kann, deswegen nennt der sogenannte Volksmund vermutlich den Kopf eine Birne. Etwas kann da drin zum Leuchten kommen, wenn die Drähte gut verbunden sind, ein Licht kann einem aufgehen, das meist mit Verstehen von etwas in Verbindung gebracht wird und das eigene System darauf anspringt. Natürlich können Systeme auf alles Mögliche anspringen, daher die gedankliche Öffnung hin zu einer Reife, die beinhaltet, dass das jeweilige Ich, einzeln, Verantwortung trägt für den Zustand, den eigenen Zustand also. Wenn der gemeinsam fabrizierte Irrgarten des Menschseins aber selbst und  wie automatisch auf einen Kipp-Punkt hintreibt, die selbst ernannte Mission sich als not possible erweist, dann ist das auch nur ein Gedanke, den man haben kann. Er könnte einen inspirieren, die eigene Vision des Menschseins  hervorzuholen, um sie zum Beispiel auf ihren naiv erscheinenden Idealismus zu übersprüfen. Aber auch hierzu gibt es schon eine Prophezeiung, die einleuchtet. Es ist die überprüfbare Wirklichkeit, mit der Menschen allerorts den realen Vorgang des Dramas reflektieren können. Denn es ist nicht der Zugang zum Wissen, der fehlt, es ist der Wille zur Umsetzung von Gedanken, die weniger dem Menschen selbst schaden, noch seinen oder ihren Mitmenschen.

beides

Auf einmal habe ich einen „internal service error“ und kann mich nicht entscheiden, welches der beiden Bilder ich für heute als stimmiger empfinde, deswegen habe ich erst einmal beide drin gelassen, ein ziemlicher Kontrast. Oder doch nicht? Auf dem rechten Papierfetzen (aus der „Zeit“) fragt ein Insekt das andere, wie es denn läuft mit der Psychoanalyse? Und das andere Insekt antwortet: „Ich und Über-Ich haben es satt“, was man sofort versteht. Dagegen das andere: das schwer wiegende Wort „Geist“ im Schummerlicht, abphotographiert von einem auseinanderfallenden Büchlein mit 31 Seiten, Copyright Piper Verlag aus dem Jahre 1947, von Karl Jaspers „Vom europäischen Geist“. Es kam aus meiner indischen Reisetasche, denn dort in Indien wollte ich es gerne nochmal lesen, aber es kam nicht dazu. Vielleicht sollte es nur als Anregung dienen, selbst über den europäischen Geist nachzudenken, und durch was man ihn kennzeichnen  oder erkennen und erleben könnte. Dieser Geist, der in der englischen Übersetzung schnell zu einem „ghost“, also zu einem Gespenst wird, dann aber auch „spirit“ ist, kreatives Miterleben des ganzen Prozesses, politisch, philosophisch, psychologisch, persönlich. Das andere Buch, das ich dabei hatte, ist von Erich Fromm, „Die Furcht vor der Freiheit“. Die ganzen vier Monate in Indien lag es an einer bestimmten Stelle auf dem großen Holztisch und sprach mich immer mal wieder mit seinem Titel an, damit mein Geist es versteht, dass vermutlich eine der größten Ängste der Menschen die vor der Freiheit ist. Und dass die äußere Freiheit jederzeit eingeschränkt werden kann, die innere aber für jeden Menschen eine Möglichkeit bietet, die von der eigenen Haltung und Einstellung abhängt. Und es kommt wohl auch zuweilen vor, dass es „Wichtigeres gibt als das Leben“, ein japanisches Sprichwort, über dessen scheinbare Absurdität man nachdenken kann, denn was könnte das meinen? Was bedeutet es?  Auch Intelligenz kann hohe Preise fordern und ist weit verbreitet, das ist nicht zu leugnen. Es kommt darauf an, was wir Menschen in unserer jeweiligen Lebenszeit damit anfangen. Und so musste ich mir eingestehen, dass ich zur Zeit gar nicht so wild darauf bin, selbst hochkarätige Lektüre hereinzunehmen in mich, die ja auch wieder verdaut werden muss. Sondern ich blättere in diesen schönen Objekten herum, die einem immer wieder ermöglichen, Vertrautes zu entdecken , damit man nicht denkt man sei allein auf falscher oder richtiger Spur, was beides nur ablenkt vom Wesentlichen, das in Zeiten großer Verwirrung nicht einfach auszutüfteln ist.

April


Surferin,
den marmornen Urgrund durchquerend
Während der Monsoon so vor sich hinplätschert, könnte man sich an dem Angebot des Drinnseins erfreuen, draußen und innen drin, das könnte eine Möglichkeit bieten, sich kennen zu lernen. Kann ich mir überhaupt vorstellen (zum Beispiel), eine neue Denkart bei mir selbst einzuführen, die unter Umständen alles /vieles/etwas, was ich bisher auf eine bestimmte Weise gesehen habe, von Grund auf verändern würde. Vielleicht wird man auch nur vom Spiel selbst, an dem man ja immer auch beteiligt ist, gewissermaßen gezwungen, sich neu zu orientieren. In den letzten Monaten, die ich in Indien verbracht habe, fühlte ich mich einerseits vollkommen zuhause, denn ich lebte in einem der schönsten Privathäuser am See, alles einfach und edel zugleich, die Architektur strahlt eine antike Unterstörbarkeit aus. Mit der vergehenden Zeit bemerkte ich, dass mein ganzes Wesen erfüllt und gestaltet worden war durch diese Kultur, die meinem schöpferischen Geist eine neue und das Innere tief bewegende Seinsmöglichkeit anbot, und ich bin mir so dankbar, dass ich mich darauf einlassen konnte. Das Einlassen auf Götter und Heilige, auf epische Geschichten, die man sich in jedem Zug erzählen konnte. Alle, die man traf, liebten Krishna, sie liebten auch Shiva, und natürlich Vishnu, wie könnte man die heiligen Drei jemals trennen, genauso männlich besetzt wie Vater, Sohn und heiliger Geist, also ein kosmisches Symbol, ein Dreieck. Auch die Göttinnen kamen nicht wirklich zu kurz, nur die Frauen im Haus, da tobte das Unausgegorene, das Verborgene, das dem hohen Anspruch niemals gerecht werden Könnende, der Wahnsinn der Großfamilie. Die, die nicht hineinpassten in dieses ausgeklügelte System der Bewährungsproben, konnten entweder fliehen oder wurden ausgegrenzt und suchten neue Wege, davon war einer der heilige Weg. Zu meiner großen Überraschung sprach mich dieser Weg an. Diese schöne Geste der Verneigung, Namaste, ich grüße den Gott in dir, ja hallo, kann man Besseres zu den Anderen sagen. Aber besser ist es nur, wenn man auf tiefste Weise damit in Berührung kommt, also mit der Schlichtheit einer hohen Ebene, die sich auch im Essen niederschlagen kann: gemäßigt, aber das Beste, was zur Verfügung steht, ohne zu große, wunscherzeugte Abwandlungen: Chapati und gut gewürztes Gemüse, vielleicht noch eine Süßigkeit hinterher: natürliches Genug, weil es so köstlich ist, das Essen. Aber auch dem Geist wird viel angeboten dort in Indien. Man tut alles so gut man es kann,denn nach dem Tod geht’s weiter. Auf der Flatscreen läuft  auf bestimmten Kanälen das Heiligenprogramm. Alle Gurus, die was von sich halten, sind dort vertreten. Oder jemand kommt rein und switched das Ding um, dann tanzen meist viele Menschen irgend etwas unvorstellbar Obszönes, sowas kann man sich nicht einmal hier auf bestimmten Levels vorstellen, aber was wollte ich sagen. Ich merkte also ganz deutlich, dass ich zwar alles, was mich in dieser Kultur angesprochen hatte, auf meine Weise im mir weiterlebte. Ich passte noch äußerlich, aber nicht mehr innerlich in das Spiel. Ich denke, es waren die Götter, die sich aus meinem Leben entfernt hatten. Gerne genieße ich nochmal die kindliche Vision und sehe eine Versammlung ehrwürdiger Gestalten, in die ich noch schnell eine weibliche Gestalt hineinschmuggle, die auch Diotima heißen könnte, und sie alle lächeln mit vollendeter Güte in meine Richtung und sagen was, ja was sagen sie denn. Sie sagen zum Beispiel: weil du das alles einigermaßen ordentlich gemacht hast, haben wir beschlossen, dass du aufs nächste Level transportiert werden kannst, also lebst du von jetzt an ohne uns. Sie waren weg! Keine Götter mehr! Ich habe versucht, es meinen Freunden dort zu sagen, aber sie hatten dafür kein Gehör. Mir macht das nichts aus. Meine Freunde können glauben, was sie wollen. Solange wir uns noch verständigen können. Solange die Herzenswärme nicht marmoriert.

stürmisch

Beim Zeus!, es kann einem durchaus spontan ein kleiner Überraschungsschrei entfahren bei der Nachricht, dass Donald Trump am 30.März 2023 angeklagt wurde. Hochtrainierte Armeen von menschlichen Spürhunden müssen unterwegs gewesen sein und sind immer noch unterwegs, ausgebildet im Durchhalten von Hochspannung, denn jetzt kommt das ganze Drama ja erst ins Rollen. Und gut, dass der amtierende Präsident sich da raushalten muss, was ihm nicht schwer fallen sollte. Das Wort „historisch“ jagt durch alle Kanäle, und da müssen sich einige Ankläger*innen ganz schön sicher sein, um dieses Fass tatsächlich aufzumachen. Das Fass, in dem das Ringen um Gerechtigkeit brodelt, unabhängig vom viel zitierten Thema des Schweigegeldes. Da platzt es nun unter aller Augen vor sich hin und wird uns alle in letzter Konsequenz betreffen, die wir immer noch in verhältnismäßiger Ruhe nach Herzenslust observieren und reflektieren dürfen, ohne durch eigene Gedanken im Gulag eines derzeitigen Weltherrschers zu landen. Mit angekurbeltem Interesse schaue ich mir mal den Mann an, Alvin Bragg, Staatsanwalt von Manhattan, von dessen Bezirk die Anklage ausgeht. Dieser Mann muss Nerven haben, aber vielleicht auch genügend Power, um sich weitgehend im Auge des Sturms aufzuhalten, während wir vermutlich den Wirbelsturm erst einmal digital erleben werden. Stürmische Zeiten, dass wissen wir ja schon. Aber wer hätte sich die Geschwindigkeit ausmalen können, mit der die Entwicklungen vorangehen! Selbst die KI-Experten würden gerne  das bereits weitgehend Entgleiste entschleunigter hantieren, aber das wird genauso wenig möglich sein wie vieles andere, was man gerne noch auffangen würde, bevor es zum Ausbruch kommt. Und während die Trump-Anhänger*innen in ihren Räumlichkeiten herumgrübeln, wie sie ihren Halbgott verteidigen oder retten könnten, da kommt aus Moskau die Botschaft, dass der Kreml großangelegte Cyberangriffe plant. Gleich zwei Höllenhunde, die losgelassen werden, hinein in die Menschheitsgeschichte, zusammen mit denen, die noch planen und nicht wissen, ob sie es wirklich tun werden, töten zum Beispiel, oder missbrauchen, oder falsch Zeugnis reden wider ihren Nächsten, oder eine Gruppe von reichlich dümmlichen Menschen mit offensichtlichen Lügen gehirnwaschen. Und was machen wir? Und von welchem „Wir“ rede ich überhaupt. Die vom europäischen Geist noch Berührten?, oder von all denen, von denen ich ausgehe, dass ihre Yogastunden zumindest soweit Wirkung haben, sodass man sagen kann: der oder die wird vermutlich keine Waffen kaufen wollen, um das eigene Zwergentum zu schützen.Trump ist ja des öfteren als vorzeigbarer Narzisst studiert worden, somit wird man in diesem Prozess auch einiges lernen können. Noch kennt niemand außerhalb der inneren Circles die Anklagepunkte. Und nur das Spiel weiß, was auf dem Spiel steht.

Fassung

Das kann einen tatsächlich fassungslos machen, was „da draußen“ alles geschieht. Man will grad mal kurz die Nachrichten hören und weiß dann (z.B.), dass die Kinderkriminalität enorm angestiegen ist und weiß dann dadurch, dass es Gegenbewegungen geben wird gegen all diese neuen Erkenntnisse, aber dann müssten eine Menge Eltern auf der Erde ihr Leben bzw. ihr Bewusstsein komplett umkrempeln, was vermutlich nicht geschehen wird. Schon eher, dass immer mehr Kinder zu den verfügbaren Waffen greifen oder selber welche basteln. Aber geht es nicht vielmehr um die Frage: was mache ich mit meiner eigenen Fassungslosigkeit? Aha, denke ich, die Fassung ist erschüttert. Was denn für eine Fassung? Der Schutzanzug bröselt so vor sich hin, schutzlos und dem Ungewissen ausgeliefert stehe ich mittendrin, also mitten im All die Atmosphäre durchkreuzend, die noch nie ein Mensch zuvor durchkreuzt hat. Denn was weiß ich denn, was sich da überall gerade zusammenbraut. Stark ermüdet schaut das Auge etwa nach Moskau und auf ein maskulines Selbstprodukt, dem es gelungen ist, die ganze Welt im Griff zu haben. Ja, hat alle und alles ergriffen. Die Waffenschmiede sind am Jauchzen, schon lange nicht mehr liefen die Geschäfte so gut, denn das Waffenlose kann sich keiner mehr leisten. Au weh, unser Planet geht kaputt, wer hätte das gedacht. Schon der altägyptische Priester schrieb seine Wehklagen nieder: „Abriß der Worte, Blütenlese der Sprüche, Sehnsucht nach Reden bei der Suche nach dem Herzen…Hätte ich doch unbekannte Reden, fremdartige Sprüche, neue Worte, noch nie gebraucht, und frei von Wiederholungen, nicht die Sprüche der Vergangenheit, welche die Vorfahren schon brauchten!“ Automatisch kommt man ins Nicken und weiß, vieles war in seinen erkennbaren Zügen schon da. Nur wusste man nicht so viel voneinander, die Welt war mit Begrifflichkeiten noch nicht überlastet. Der Priester konnte nicht ahnen, wieviel Luft da noch war, nicht nur nach oben, sondern nach allen Seiten hin, bis auch die letzte Madenform erforscht und auf Nützlichkeit zur Heilung des Menschen überprüft wurde. Zur Heilung von sich selbst, oder zumindest zusammen mit Anderen, die auch heilen wollen und unermüdlich ergründen, wie es denn dazu kommen konnte, dass wir so sind, wie wir sind. Wenn entweder der Druck uns zwingt uns zu fragen, wer wir denn seien, eine sehr alte Frage, die sich bis heute nicht abgenützt hat, oder aber wir haben auf einer der anspruchsvollen Ebenen verstanden, geschult durch intelligente Comedians, dass wir tatsächlich alle Tänzer*innen im Drama sind, eben verantwortlich nur für den kleinen Spalt, durch den das Licht unseres Schicksals Fassung und Form erhält, mit denen ich mein Schiff durch das Gewässer navigieren kann. Kein Captain mehr weit und breit!

 

bestimmen


Von den zehntausend Dingen auf Marmor
Irgendwann wissen wir bestimmte Dinge, die wir vorher nur ahnten, aber immerhin ahnten. Das kann man sehr gut in alten Notizbüchern nachlesen, wenn man verwundert und oft auch erschrocken auf das damals Gedachte starrt und denkt: Wow!, hab‘ ich das damals schon gedacht! Aber nicht nur gedacht, nein!,: sich sicher war, dass man wüsste. Und zum Glück weiß man nicht, wie lange es dauert, bis Erfahrung sich deckt mit Gewusstem, und Gewusstes mit neu Erlebtem. Daher die Bewusstseins-Strecke, wo es auf die Präzision des Tonarms ankommt und wo er die Software trifft, sodass sich ein Gespür entwickeln kann für den Ton, mit dem man das Ganze erleben möchte. Und natürlich ist auch die Freiwilligkeit nicht frei von bestimmten Qualen, die man erleiden muss, bevor überhaupt von einem Durchblick die Rede sein kann. Und welcher Durchblick? Wohin wird geblickt? Die großen Entscheidungen werden im Stillen gefällt, und d a s  kontinuierlich, sodass man nicht einmal von Traumatherapeut*innen erwarten kann, bis an jede verschlossene Tür der Korridore in dunkler Unterwelt Begleitung zu garantieren. Nirgendwo Garantie! Denn wer da herumwandert, wenn überhaupt, ist der oder die Einzige, die sich dort auskennen kann. Und wiederum geht es um Spielregeln.: Gehe ich als Eremit*in mit Lampe und bin belebt von kindlicher Neugier, oder irre ich als Gehetzter/ und Namenlose/r durch die Angst selbst, die dort zuhause ist und jederzeit bereit, die Drachenklauen auszufahren zum Angriff. Dann brauchen wir Waffen: Wenn das Dunkel unterwegs ist als lebendige Kraft, arglos und deutungsfrei wie das Licht. In einem der uralten Schriften Indiens wird  das Bewusstsein mit einer Rasierklinge verglichen, also eine Klinge, mit der man, wenn es nötig ist, das Eine vom Anderen trennen kann und nicht verwirrt wird von den scheinbaren Offensichtlichkeiten. Im Oben und im Unten des Inneren ständig Bewegung und Schöpfungsprozess. Das heißt, dass der Rhythmus, in dem wir selbst uns bewegen, genau der Rhythmus ist, in dem das Spiel sich bewegt: Etwas wird erschaffen, wird eine Weile erhalten und vergeht dann wieder, daran ist nicht zu rütteln. Nie wird jemand wissen können, warum wir alle hier mit unseren Begabungen und Aufträgen und Ämtern herumturnen, in der Übung gigantischer Bewährungsvorgänge, natürlich nur von uns bestimmt. Denn wer sollte sonst unser Sein bestimmen!?

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Sicherlich hat es auch in anderen Zeiten geistige Ermüdungserscheinungen in Menschen gegeben, wenn das Gefühl auftaucht, dass alles schon gesagt und gedacht scheint. Aber was ist schon „alles“? Niemand war ja vorbereitet auf diese Totalbeströmung, die durch persönliche Tasten -und Knopfberührung in Gang gebracht werden kann, also die ganze Welt des Menschgemachten zu Hause gut angekommen ist bei uns allen.  Diese Totalbeleuchtung trifft auf dafür unvorebereitete Leben, die sich dann Anker suchen im Wirrwarr der Angebote. Dieser Anprall der Technik erscheint auf einem Boden, wo das Geheimnis des Menschseins noch in keiner Weise gelüftet ist. Ich meine: was sagen wir jetzt, wenn wir gefragt werden würden: wer bist du, und immer noch weiß ich es nicht?, oder die Frage hat mich noch gar nicht erreicht und ich deshalb gar nicht weiß, ob eine Antwort darauf überhaupt gefragt ist. Oder wenn neue Gänge sich öffnen und die Selbstwahrnehmung sich erweitert, und das wankelmütige Ich bestimmen kann, was es ist und was es nicht ist. Und auch das ist immer gleichzeitig: das es ein Alles sein kann, und auch ein Nichts, eine beunruhigende Wahrheit. Denn auf keinem der beiden Felder kann man sich zu lange ausruhen, wobei ein Balanceakt mit der Zeit ermüdend ist, wenn man mal hierhin wankt und dann wieder dorthin und die Bewegung selbst zu einer Barriere wird. Und wann genau muss ich meine Einstellungen mal gründlich überprüfen, damit das Schaltsystem sich erneuern oder zumindest entstauben kann. Wenn aber alle gleichzeitig in einem aufgewühlten Redestrom versinken, dann kann man es als einen Hinweis sehen auf eine notwendige Rückkehr zu sich selbst. Ende der Workshops. Ende der religiösen Vorgaukeleien. Mal schauen, was eigentlich i s t mit mir und den Anderen. Und dass nichts Gesagtes und Geschautes darauf hinweist, wie i c h es wahrnehme, so als läge die geheimnisvolle Fracht gänzlich auf meinen eigenen Schultern.

Luxus

Wenn ich „Luxus“ sage und es mein eigenes Leben betrifft, so meine ich den zeitlichen und örtlichen Freiraum, in dem ich mich bewegen gelernt habe. In Indien hatte ich über viele Jahre hinweg stets die Unterstützung meines Namens (Kalima), der gewisse Gefühle und Gedanken in Hindus auslöst (vielleicht weil sie ihn mir selbst gegeben haben), weil er im olympischen Spiel der Götter eher dem Schattenspiel zugeordnet wird als eine Kraft, für die man geeignet sein muss. Viele verschiedene Kräfte sind in uns Menschen angelegt, und das, was wir jeweils daraus gemacht haben, ist das, was man dann als Zeugen und Zeuginnen vom eigenen Spielfeld aus betrachten und erleben kann. Jedenfalls konnte ich mir allein durch den Namen eine gewisse Freiheit gestatten, und selbst als klar wurde, dass ich bei ihnen, den Einheimischen, bleiben würde, wurde kein konventioneller Auftritt von mir verlangt. Und genau d a s, nämlich die Abwesenheit von Erwartungshaltung, ermöglichte mir, die vorsichtig und aufmerksam gezügelte Leidenschaft für eine bestimmte, in der indischen Kultur angelegte Ordnung zu erforschen und zu erfahren, die mich gleichzeitig mit der westlichen Antike verbindet: wenn Bestes und Einfachstes nicht nur zusammenkommt, sondern dieser Vorgang die eigene Persönlichkeit so in Anspruch nimmt, dass zumindest für eine ganze Weile nichts anderes daneben Platz hat. Der Raum, den das Beste und das Einfachste zusammen brauchen, besteht natürlich auch aus einer Daseinsform, die eine Kultur geboren hat, mit der die meisten Einheimischen sich zutiefst verbunden fühlen. Sie haben selbst erfahren, dass bei ihnen tatsächlich alles möglich ist, nicht nur innen, sondern auch außen. Daher wird jeder Versuch und jede Mühe, sich den Ordnungen zu verpflichten, die diesem Getriebenwerden durch weltliche Vorgänge entgegenwirken können. Auf jeden Fall habe ich Indien noch in seiner manifestierten Entschleunigung erlebt, allerdings in einer Oase am Rande der Wüste, die seit undenkbaren Zeiten geprägt wird vom ins Unsterbliche hineinfixierten Narrativ. Doch auch hier hat das Unsterbliche mit seinem eigenen Widerspruch zugeschlagen, denn überall, wo es einmal sehr voll war  (Pleroma), wird es zu seiner eigenen Zeit wieder leer, und wenn man vom Kairos berührt und getroffen wird, muss eigentlich von sich selbst aus nicht mehr so viel geschehen. Außer dass man wissen muss, dass der ganze Rest (Mühen, Wahnsinn, Ärger, Entzücken, Ablenkungen etc (etc) nur eine Unterstützung war für das, was jetzt geschehen kann. Wenn man sich selbst zutraut, die Zügel wieder locker zu lassen, weil man im Luxus eigener Verantwortung lebt, bis auch diese Fügung  (vermutlich) keine Worte mehr braucht.

interessieren

Algorithmen
Da ich einen Teil meiner Aufmerksamkeit (zur Zeit) auf den ganz persönlichen Rhythmus meiner einströmenden Algorithmen gelegt habe, kann ich diese Beobachtungen durchaus dazu nutzen, etwas über mich selbst zu erfahren. So erfahre ich, dass mich bestimmte Verbrechen zutiefst interessieren. Es ist dabei nicht die vorherrschende Frage, wer nun der Mörder sei, sondern mich interessiert, was Menschen antreibt, bis sie z.B. einen Mord begehen. Auch in Indien habe ich manche Fälle verfolgt, manchmal bis zu ihrem, ja, ziemlich bitteren Ende wie im sogenannten „Nirbaya-Fall, wo drei der Täter (außer dem grausamsten, dem 17-Jährigen) dann gehängt wurden. Die Vier also, die gemeinsam in einem fahrenden Bus derart entgleist waren, dass eine junge Frau vor den Augen ihres Freundes daran starb. Klar, im Gefängnis muss man sie jahrelang kleiden und ernähren, denn sie wären ja nie wieder herausgekommen. Wie leicht gleitet man mal hier, mal da ins Fassungslose. Oder ein angesehener Geschäftsmann aus Jaipur, der  in einem seiner Häuser Frau und Kinder hatte, im anderen Haus und Leben Geschäfte tätigte und einen Servant hatte. Von dem ließ er sich regelmäßig Kinder zuführen, deren Leichen später (23 von ihnen) in einem Abflußkanal gefunden wurden. Der Servant war aber auch ein Menschenfresser, ein Kannibale, der dadurch, was er bediente, auch einen Profit hatte, also beide ihren finsteren Trieben gnadenlos folgten.  Da standen sie nun mit ihren getrennt ausgeübten Taten eines Tages gemeinsam vor dem Richter. Auch auf der dunklen Seite der Menschenkenntnis kann man sich erweitern. Und nun ist mir eben aufgefallen, dass ich wieder mit zwei Fällen in Kontakt blieb, also immer mal wieder reinschauen, wie die Sache steht. In Amerika kann man während des Prozesses in den Gerichtsaal hineinschauen, bis das Urteil gesprochen wird nach der Aussage der Geschworenen. In Idaho, wo einer der Fälle stattfindet, gibt es noch die Todesstrafe. Der noch junge Mann hat vier Jugendliche ermordet, man sieht ihn in Handschellen, wie er mit roboterhaftem Gesicht durch die Gänge geführt wird. Man hört (ich höre), er sei sehr überrascht  gewesen bei der Verhaftung und es wird vermutet, dass er sich ziemlich sicher war, das perfekte Verbrechen begangen zu haben. Er hat Kriminologie studiert und kennt sich aus im Gewerbe. Ein Politiker aus Idaho meint, dieser Mann könne der Erste werden der, statt mit einer Spritze, durch ein  Erschießungskommando hingerichtet werden, da man mit Spritzen oft schlechte Erfahrungen gemacht habe. Fast unmerklich verteilt sich im ( in meinem) Inneren ein Teil der Verbrechen auf die Selbstgerechten. Und wie unangebracht ist es (von mir) zu denken, der Mann könnte immerhin noch viel Jahre leben und eines Tages vielleicht sein schreckliches Geheimnis preisgeben?, und man wüsste etwas mehr von allerschwärzesten Vorgängen in uns – oder auch nicht. Aber als Mensch einem anderen Menschen sein Leben nehmen, also bewusst daran beteiligt sein und es auch noch „Gerechtigkeit“ nennen, das geht nicht, zumindest nicht für mich. Und wenn Liebe tatsächlich der Verzicht auf Mord ist, wie es mal jemand behauptete, dann wäre es doch auch für die Täter (innen) besser zu wissen, wo und wann und wodurch ihnen ihre Liebe abhanden kam.

aufhören

Natürlich ist es in dieser Zeit von Interesse, sich selbst zu fragen, warum man etwas, von dem man weiß, dass es einem nicht gut tut, trotzdem tut. Wenn ich an meine Raucherzeit denke, so kam ich gar nicht auf den Gedanken, das Rauchen könnte mir nicht bekommen, nein. Ich war leidenschaftliche Raucherin und besaß die nötigen extravaganten Requisiten, um das Rauchen noch angenehmer zu gestalten, das Aufhören damit allerdings dadurch noch schwieriger, wäre der Wunsch dazu überhaupt aufgetaucht. Wenn ein Aufhören von etwas tatsächlich von einem selbst von sich selbst gefordert wird, muss man Wege finden, um es umzusetzen. Zum Beispiel könnte es einem auffallen, dass man oft sinnlos zum Smartphone greift, aber zuerst müsste man „sinnlos“ für sich definieren, denn sonst reiht man die Handlung ins Selbstverständliche ein, ohne dass das Selbst versteht, was es  da tut. Es muss einem also auffallen. In Kaschmir baggerte ich einmal einen Einheimischen um eine Zigarette an. Sein abschätzender Blick genügte, um mir klar zu machen, dass meine Zeit gekommen war, mit dem Rauchen aufzuhören, denn ich hatte kein Geld dafür. So war es nicht ganz freiwillig und ich musste später nochmal den freiwilligen Teil nachholen. Denn auch sich selbst kann man nicht zwingen, etwas aufzuhören, was einem nicht tief genug einleuchtet, um es umzusetzen. Oder man lässt die Sachen im Vagen hängen und widerstrebt bewusst dem Bedürfnis nach Klarheit, damit keine Entscheidung gefällt werden muss. Auch kann man nicht behaupten, wir wären nicht gewarnt worden. Überall dröhnt Warnung durch die Kanäle: wir werden vermutlich an uns selbst zugrunde gehen, das Wort „Klimawandel“ taumelt sinnentfremdet durchs Weltall, schon denken philosophische Geister darüber nach, ob es den Menschen überhaupt hier weiterhin geben muss, oder hat sich diese schwer begreifbare Spezies selbst in ein Aufhören hineinkatapultiert? Dabei behaupten doch die meisten Menschen, wenn man ihnen ein Mikrofon zur Verfügung stellt, dass sie gerne leben, auch gerne gesund und munter, und wollen meistens lieben und vor allem geliebt werden, denn sonst ist der ganze Wahnsinn gar nicht zu bewältigen. Zarathustra kam, als er reif dafür war, von seinem Berg herunter, um die Menschen zu lieben, andere flohen kichernd hinweg über die Berge, der Prophet (Kahil Gibran) ließ sich von den Einheimischen ein paar kluge Sätze entlocken und entschwand dann auf das Schiff, das ihn abholte. Wohin er wohl ging, und wer war noch auf dem Schiff? Und so wird auch das Narrativ der Menschheit aufhören, wenn es aufhören soll, und ziemlich sicher wird dann in dem freigewordenen Raum etwas Neues geschehen. Oder wir sind schon mittendrin.

Algorithmus

Endlich bringe ich die Kraft auf, mal nachzuschauen, wie „Algorithmus“ eigentlich definiert wird. Sofort erschrecke ich darüber, dass ich schon das Wort des öfteren (oder immer schon?) falsch geschrieben habe, weil ich offensichtlich davon ausging, dass es was mit Rhythmus zu tun hat, eben ein mir selbst aufgedrängter Rhythmus, der dadurch entsteht, dass ich so tue, als wäre es selbstverständlich, dass, wenn ich z.B. „Alan Watts“ eingebe, schnell auch Swami Vivekananda auftaucht, oder ein buddhistischer Lehrer, oder ein Advaita Explorer, oder Baba Ram Das, also eine ganze Palette illustrer Köpfe, die alle durch einen simplen (westlichen) Namen ausgelöst wurden und mir sagen, dass sie mich interessieren könnten, weil ich doch neulich mal nachschauen tat, wer Muho aus Osaka ist. Was ich nun an der neu entdeckten Info interessant finde ist, dass das Wort „Algorithmus“ abgeleitet wurde (Allah only knows how) vom Namen des persischen Astronomen und Rechenmeisters  Abu Dsche far Muhammad ibn Musa al Chwarizmi, der aus Choresmien und aus einer Zeit kam, wo es noch keine Smartphones gab, weil er vor 1200 Jahren lebte und deshalb es nur gemalte Bilder von ihm gibt. Wie dem auch sei, so baute dieser Mann seine Arbeit wiederum auf die Arbeit des indischen Mathematikers Brahmagupta auf, der im 7. Jahrhunder lebte. (Ich habe flüchtig das Gefühl, Indien auf keiner Spur entrinnen zu können, warum auch). Chwarizmis Lehrbuch „Über die indischen Ziffern“ (verfasst um 825 im Haus der Weisheit in Bagdad) wurde viel später ins Lateinische übersetzt und dadurch zur wichtigsten Quelle für die Kenntnis und Verbreitung des indisch-arabischen Zahlensystems und des schriftlichen Rechnens. So, und was hat das mit mir zu tun. Wenn in sehr gewagter Abwandlung „Algorithmus“ in Wirklichkeit „Chwarizmi“ heißt, werde ich doch wohl nicht „mein“ Chwarizmi“ sagen können. Und das will ich ja eben sowieso nicht, „mein Algorithmus“ sagen (müssen) obwohl er mir gar nicht gehört. Nein, ganz im Gegenteil will ich mir klar machen, dass ich doch weiß, dass „Algorithmen“, eben ganz ohne Rhythmus, (eher eiskalt) bei werbefinanzierten Angeboten bestimmem, welche Inhalte dem User gezeigt werden. Klammheimlich lässt man sich also usen, beziehungsweise used man sich selbst, indem man das einem Gefütterte für die selbstgewählte Nahrung hält.

 

einleuchten

Ganz im Gegenteil zu dem leisen Schaudern, das mich öfters mal,  beim Lesen der „Times of India“ ergriffen hat, etwa bei den mit gusto beschriebenen Verbrechen, die man ungern mit indischem Geist in Verbindung bringt mit schier endlosen Photos von ins dunkle Nichts geschleuderten Tätern oder zuweilen auch Täterinnen.  Ich also ganz im Gegenteil dazu irgendwann bei meiner Rückkehr ins deutsche  Land zu den daliegenden Ausgaben der „Zeit“ greife, und mich, völlig überfordert vom Angriff der Qualität, mich wieder einlesen muss, bzw. in die Feulletons, hinten denen sich wiederum das Blatt „Entdecken“ verbirgt. Dort fand ich gestern einen anregenden Artikel bei „Therapie-Spezial“, wo ein Psychiater interviewt wurde, wo, wie und wodurch das Reden in der Therapie eigentlich hilft. Gegen Ende des Gespräches erkundigte sich der Interviewer, was Menschen davon abhalten könnte, durch Therapie und durch Reden zu ihrem Kern zu kommen. Der Psychiater (Jakob Hein) antwortete: „Es gibt keinen Kern“. Alle Gedankengänge in meinem Inneren, die in der Gewohnheit gelebt hatten, einen Kern als selbstverständlich zu sehen und zu verstehen, erstarrten gleichzeitig. Wie, kein Kern. Das Aufregende war, dass ich sofort wusste, dass das einen hohen Wahrheitgehalt hatte, denn ich hatte ihn (den Kern) oft genug gesucht und immer weniger gefunden. Der Zeit-Zeuge fragte spürbar verblüfft: Wie, es gibt keinen? Und Hein sagte: „Es gibt nur Level, die man erreicht.“ Wie erfrischend, wenn tatsächlich ein plötzlich aktiver Scheibenwischer einem übers Auge fährt, und man muss nur den Schock der veränderten Wahrnehmung aushalten. So, als hätte man nur diesen kleinen  Anstoß gebraucht, um das ganze, immerhin stets bewegliche Bild  in einen neuen Zusammenhang zu bringen. Hein meinte noch, dass die Idee hinter einem Kern sei, dass es einen Schalter gibt, den man nur umdrehen muss und alles ist gut. Aber dass auch Therapie keine Garantie sei, nie mehr leiden zu müssen. (usw.) Es gibt, meinte er, keine psychiatrische Sonnenschutzcreme. Und dass er nach all den unzähligen Gesprächen mit Menschen jeden Menschenhass verloren habe. Das leuchtet doch ein.

trotzdem


Travelling shoes
Das Erinnern an Indien hat interessanterweise (für mich) stets so etwas Lichthaftes, und in der Tat haftet  dort viel Licht an allem, und auch wenn die Sonne mal zu heiß wird, ist es doch immerhin die Sonnenwärme, in der man sich aalen kann. Und ich kann mir keinen Inder vorstellen, der sich eine D3 Tablette einwerfen möchte, um gewisse lichtlose Mangelerscheinungen zu kompensieren. Wohnt man lange genug in einer verlässlich sonnengetränkten Welt, kennt man fast automatisch einige der guten Seiten des Welterlebens, zum Beispiel dass man sich nahezu überall in Licht oder Schatten setzen kann und allein dadurch in Kontakt kommt mit Anderen. Selten war ich bei der Rückkehr in den Westen gewappnet für die klimatisch bedingte Kälte, geschweige denn für Eis und Schnee, also eine Wetterlage, die man sich in der indischen winterlichen Tageswärme gar nicht vorstellen kann. Auf jeden Fall muss der Transit jedes Mal geleistet werden, und wer will schon abhängig sein von klimatischen Bedingungen. Und abgesehen davon kam mir dieses Mal das indische Leben nicht mehr so unterschiedlich vor zum westlichen Leben, sogar ziemlich ähnlich kam es mir vor, zumindest in seiner momentanen Manifestation. Der indische Mensch möchte Geld, und neulich an einem hochmodernen Kaffeetisch in Delhi sitzend schaute ich erstaunt auf das üppig wirkende Smartphone meiner Begleiterin, das, was sie mir auf Nachfrage berichtete, ein Lakh Rupien gekostet hatte. Das sind 100 000 Rupien, na ja, so ungefähr 1.140 Euro, das kommt mir auch nur in Indien so unmäßig viel vor…und, sagte sie (über die Klagen ihrer Schwiegereltern) : was geht es sie an, was wir mit unserem Geld machen, zustimmendes Nicken meinerseits. Das erinnert mich an Prakash, einen Freund aus dem Städtle, der in den Westen kam und sich, neben seinen Yogalehrstunden, unbändig befreit fühlte, indem er tun und lassen konnte, was er wollte, ohne unter Beobachtung zu stehen. Zum Beispiel mal viel schlafen oder Wein trinken oder Zigaretten rauchen undsoweiter. Ist irgendwann einmal alles gesagt (?), wenn immer klarer wird, wie unbändig frei der Mensch hier oft gelassen wird (auf dem Planeten), und wie er Freiheiten und Gefängnisse selber bastelt, sodass einem zuweilen jedes Wort dazu im Hals stecken bleibt, wo es ganz gut aufgehoben ist. (Außer man findet es nach wie vor und trotz allem spannend, das sich weiterhin als Geheimnis präsentierende Weltgeschehen unermüdlich zu ergründen: dass wir hier sind, busy mit Welt-und Selbstschöpfung.)

Dinge


Ding
Das hat mir immer gefallen, wenn und wo sie erwähnt wurden: „die zehntausend Dinge“. Mir haben diese Worte u.a. vermittelt, dass es die zehntausend Dinge überall gibt, als Schuhe, als Hosen, als Autos, als Ablenkungen, als Verlockungen, als Hinweise auf etwas, was wir gar nicht brauchen und dennoch haben müssen, obwohl wir schon umgeben sind von zehntausend Dingen, die irgendwie bewältigt werden müssen oder als Darlegungen und Meinungen und Projektionen ins Außen dringen und dort weitere zehntausend Dinge verursachen. Die klare Zahl sagt einem, dass man spätestens bei ihr den Überblick verliert, denn auch bei Verbrechen, die es in der Welt tausendfach gibt, ist es sinnlos, sich so häufig wie möglich aufzuregen, eben zu was Menschen alles in der Lage sind anzurichten (als wüsste man’s nicht). Auch wenn, eindeutig als Tragödie gesehen, zwei Kinder ein anderes Kind ermorden, heißt das nicht, dass nun Kinder andere Kinder ermorden werden, sonder dieser tragische Fall ist (auch) nur eins der zehntausend Dinge, die auf der Welt geschehen, und es kann mir nicht egal sein, was ich persönlich damit zu tun habe, und was genau habe ich damit zu tun. Dann schrumpft das Überwältigende auf eine überschaubare Menge, und die Fragen des Menschseins können mich betreffen, oder auch nicht. Von wem soll ich lernen, wen befragen, was für ein Menschsein mir eigentlich vorschwebt, ich meine mein eigenes. Und dabei sind die Vielzahl der Dinge oft im Weg. Auch braucht man zum Durchwandern der Jahre weder den Olymp der Götter noch das Darknet, doch wer entscheidet, wohin ich mich wende? Wann passieren die Übergänge, wann die Gaukeleien der persönlichen Spielart, wann die großen Erleichterungen, wenn auf einmal die Kraft da ist, genauer hinzuschauen, und da ist vielleicht nur ein einziger Punkt im Raum, aber immerhin kann dieser Punkt nicht geleugnet werden. Von wem auch.

inspire


eripsni
Wir (wer auch immer ihr seid), die wir in diese schwer ermüdbare Liebe für Indien gefallen sind, haben uns vermutlich alle mal zwischendurch gefragt, was es denn nun mit dieser…wie soll ich es nennen…“Seinskraft“ dieses Landes nun tatsächlich auf sich hat. Oder wo sie sind, die sprudelnden Quellen der vielgerühmten Weisheit und ihre bis zum Riksha fahrenden Bruder hin kostbar menschlich manifestierten Bausteine. Und dass wir, jenseits von all dem, was wir schon liebten, aber vor allem lieben lernten, in diesen Quellen baden durften, ohne zu ahnen, dass auch wir Zeugen und Zeuginnen werden würden von versiegenden Quellen, so, wie es Unzählige vor uns waren. Wenn ich es einfach haben wollte zuweilen, dachte ich an das Klima, dem indische Menschen ausgesetzt sind, wenn wir, die Wandernden oder fremdartig Einheimischen schon wieder unterwegs waren in unsere Geburtsländer mit den legalen Pässen. Und wie oft stand ich erschaudernd vor Kälte am westlichen Zugbahnhof, gerade die 40 Grad Celsius verlassen habend, eisiger Wind um die Ohren und auch mal Schneegestöber. Meist war es ja März, das Erwarten des Frühlings zum Mantra gestylt. Und dort die brütende Hitze, in der sich immer weniger Menschen schnell bewegen würden und werden, also eine monatelange Entschleunigung und sehr mühselige Bewältigung des Alltags. Aber muss er nicht überall bewältigt werden, doch, muss er, halt unter anderen Bedingungen und Spielregeln. Je länger man sich in einer anderen Kultur aufhält, desto klarer wird einem, dass sich Menschen bei aller vorhandenen Vielfalt doch sehr gleichen, vor allem in ihren Bedürfnissen und Wünschen. Und ja!, Bildung und Geld sind tolle Werkzeuge, mit denen man gestalten kann, aber in scheinbar armen Hütten habe ich auch viel Reichtum gesehen, kommt darauf an, wie man Reichtum definiert. Und da, wo es einerseits zu heiß wird für ein Wohlgefühl, da wird es andrerseits zu kalt dafür , und wenn es hier überhaupt eine Frage gibt, so hat sie mit unseren Befindlichkeiten unter den jeweiligen Umständen zu tun. Und wer weiß schon genau, wo und wie und wodurch man seine/n Meister/in macht, und ob man gut gespielt hat, damit das Ankommen bei sich selbst nicht infrage steht.

14. März 2023


Obwohl alles (auch) Bild ist, steht (noch) keines
zur Verfügung (oder ist es trotzdem eines)?
Seit ich dieses B/Logbuch in Bewegung gesetzt habe, kam es dabei 2021 zum ersten Mal zu längeren Pausen, die mit Verabschiedungen zu tun hatten. Mich ergriff das Gefühl, eben diesem (dem Gefühl), mit maschinellen Vorgängen nicht mehr gerecht werden zu können. Ein Mensch, dem man einen Platz unterm Banaianbaum eingeräumt hatte, verlässt die Erde, sodass man erschüttert wird von der Entgeisterung. Ein Tier, das bei mir ein- und ausging, wird von irgend jemandem überfahren, man wird nie wissen von wem. Und nun also Abschied von Indien. Was lasse ich zurück vom Unersetzbaren, dem Unvergleichlichen, dem langsam Versinkenden im Staub der eigenen Geschichte. Dem uralten Indien, Bharat genannt, dem ich den Rücken kehre: so, als ließe sich der Staub noch auffangen, oder als könnte man der bereits duplikaten Illusion doch noch eine weitere Maske aufsetzen, die bestätigt, dass dies einmal das gottergebene Paradies war, in dem Menschen die Gelegenheit hatten, sich unendlich viele Male zu reinkarnieren und fleißig und in eigenem Rhythmus voranzugehen. Auf sich selbst zu natürlich, und dann vielleicht sogar noch darüber hinaus: die Freiheit also von den eigenen Einstellungen und Meinungen. (Die Freiheit von den eigenen Meinungen.) Und hier ist also das Abendland, in das ich mich wieder einmal hineinfüge wie in ein Puzzlespiel. Kein Zweifel, ich bin hier geboren, in Berlin (Schöneberg), wo ich aber nicht mehr wohne, sondern woanders, auf dem Land, wo es stiller ist als in Indien am Varaha Ghat. Mal sehen, was sich auftut Ein neues Buch, oder das Buchlose.

Abschied

*

 

 

*Photo: Beatrice Ohlaver

zu euch

Überall Konstrukt –
Überall Leere und Ewigkeit –
Keiner weiß, dass ich hier sitze
in meiner Essenz – und tanze!
Ich und das Sitzen
in ihrem gemeinsamen Tun –
der Aufschrei im Klitzekleinen
die Wüste, die Wüste im Ruhn‘.
Am Nachmittag – irgendeinem –
gibt es dir alles, was ist. Alles,
was ist das? Schweigsame Zeiten –
belauscht vom Wortgefecht.
Ich spüre den Atem, meinen Atem,
im strömenen Flug des Jetzt –
da sehe ich meine Liebe
ihr Unausweichliches zu euch tragen.

Das Puskara-Mahatmya

A man of good fortune will
visit in the world of men
the famous ford of the God
of Gods, renowned in the
three worlds, which is called
Puskara…Just as Madhusudana
is the beginnung of all the
Gods, so is Puskara said to be
the beginning of all the fords.

hinausstarren

Da sitze ich gerade und starre hinaus,
aber ich weiß gar nicht genau, was ich
sehe oder sehen will. Ich bin gesättigt.
Gestern fragte mich Reena, was ich
denn fühlen würde bei diesem
wahrscheinlich endgültigen Abschied
von meinem direkt erlebten indischen
Leben. Sicher ist, dass eine tiefe Trauer
sich mühelos verbindet mit einer tiefen
Freude. Ich mache jetzt hier in meinem
Blog eine Pause, damit ich mich dem
Wortlosen widmen kann und darin
vielleicht ein paar neue Impulse finde.

home


zuhause
Und wie geht das, Abschied zu nehmen vor allem von e i  n e m Ort in einer Kultur, in der man sich – ich mich – ein halbes Leben lang zuhause gefühlt habe – meistens ein halbes Jahr hier und die andere Hälfte im Westen, bis das W/O sich wie von selbst ergab und eins vom anderen sich erfrischen und mit neuen Impulse entfalten konnte. Auch barg der indogermanische Weg immer noch unendlichen und schwer messbaren Reichtum – und in jeder Hinsicht seine abgründigen Gefahren. Deswegen tauchten 2020 im Netz eine ganze Reihe von Bildern auf mit Hitler/Modi Vergleichbarkeiten, die durchaus angebracht sein können. Da, wo es einem Menschen gewährt wird, eine Art Gott darzustellen, lauern Gespenst und Dämonen nicht weit. Man bittet darum, vom Humor nicht verlassen zu werden, denn hey!, ist es nicht durchweg eine Tragik -Komödie. Manchmal mehr Tragik  – dann wieder mehr Komödie. Ich freue mich von Herzen über die guten und liebevollen Begegnungen, die mir weiterhin überall entgegenströmen, denn ohne sie, die vielen Angestellten des brahmanischen Schöpfers, wäre auch meine Liebe für den uralten Stein und die zeitlose Asche bedeutungslos gewesen. Und ja, Inder, bzw.Hindus, verstehen etwas vom Spiel. Sie haben keine Wahl, was nicht immer nur ein Nachteil sein muss. Und für sie ist nach vorne alles offen, man kann sich im nächsten Durchgang verbessern. Aber wesentlich für mich ist vielleicht zu merken und zu spüren, wie so vieles aus meinem Leben hier eine Wärme in mir auslöst, eine Liebe, die inmitten der mächtigen Widersprüche in sich selbst wohnhaft geworden ist. Und über dieses erstaunliche Glück der Liebe, das wissen wir doch, lässt sich nichts wirklich Handfestes sagen. Aber immer wieder unterliegen wir dem Drang, Worte zu finden für das Unerklärbare. Dadurch erleichert sich die beseligende Bürde des Herzens.

Holy cow


Chandni aus Mohans Kuh-Herberge

Siesta


Siesta
Für mich als Kind stellte das Wort „Mittagspause“ immer eine unnötige Lebensbremse dar, vor allem, wenn sie von jemandem zelebriert wurde, den oder die man gerne wach und aufmerksam neben sich hätte. Aber dann lernt man sie irgendwann selbst schätzen, die wohltuende Unterbrechung, wenn so eine Variante im Alltagsablauf einem überhaupt möglich ist: also eine Ruhepause zwischen Vormittag und Nachmittag einzulegen, wo der Körper sich mal in der Horizontale erfrischen kann und sich bereitmache  für Akt II des Tages. In Indien wird dafür meist ein Tuch benutzt, das auch für viele weitere Tätigkeiten und Handhabungen einsetzbar ist. Zieht man das Ding ganz und gar über den Kopf, dann weiß jede/r, dass man nicht verfügbar ist. Ach, wer kennt nicht dieses wohlige Wegtreten vom Weltgetümmel, wenn man allein ist für eine Weile unter dem Schutzschirm, befreit von Kaste und Kisten. Und in jedem Betrieb könnte so ein Siesta-Raum sein, damit Menschen ihren eigenen Gedanken nachhängen können oder auch nicht. Auch die Affen schlafen oft mittags oben auf der Terrasse, während die Kleinen auf ihnen herumturnen. Das war jetzt ein Mini-Plädoyer für die Siesta. Gleich kommt Mohan, der Wächter des Ghats (Zugang zum See), mit dem Motorrad vorbei und fährt mich zu seinen Kühen, die die ganze Familie ernähren (mit Milch und Yoghurt und Ghee und Malai), und ein Leuchten in seine Augen zaubern können, wenn er von ihnen erzählt.

hüten


Engel des Vergangenen
Natürlich hatte ich all meine kostbaren Lieblingsporzellanfarbtöpfchen hierher in die Oase  mitgenommen, aber bis vor wenigen Tagen noch nicht einmal herausgeholt. Seit meiner Trauer um Mensch und Tier im vergangenen Jahr habe ich keinen Pinsel mehr angefasst, und noch immer regt sich kein Impuls zum Farbfeld hin. Ich habe aber dann so ein bisschen herumgerührt im Grüngold und gleich den Engel  gesehen, der ins Vergangene hineinschaut. Nicht so ein prächtiger Erzengel, am Abgrund des Daseins die unlösbaren Rätsel des Menschenwesens durchgrübelnd, nein. Es ist ein eher stiller und wortloser Hüter all des Vergangenen, dem man mit Sprache (leider) niemals gerecht werden kann. Es tut mir auch gut zu wissen, dass mein eigenes Vergangenes in behüteter Schwebe gehalten wird, wenn auch nur von  mir bzw. dem Pinsel und natürlich dem Grüngold. Denn ich weiß, dass der noch tiefere Dank dem lebendigen Nu gilt, und das ist, wofür ich dann frei bin: für den Aufenthalt im Nu.

OmG


Das ist die Ecke. wo ich die Flügel der Tauben,
die Sukho der Kater, den ich füttere, erwischt
hat, hinkehre. Natürlich möchte ich, dass die
Taube ihre volle Lebenszeit genießt, aber ich
freue mich auch für Sukho.
„O my God!“ lässt sich leicht rufen, kann auf Entzücken angewendet werden und auf Erschrecken, und der berühmte Satz von dem sich verlassen fühlenden Jesus taucht auf. Was war da geschehen, und warum fühlte er sich genau in dem Moment, wo er die göttliche Hilfe dringend gebraucht hätte, allein gelassen? Und Mutter Theresa, die in Kalkutta gewirkt hat, erzählte mal, sie hätte nur eine einzige direkte Verbindung mit Jesus gehabt, dann nie wieder. Aber sie machte einfach weiter, vielleicht, weil ihr nichts anderes einfiel. Auch in der Philosophie ist gesagt und erfahren worden, dass das Thema „Gott“ nicht übersprungen werden kann – oder kann es ? Natürlich ist vielen von uns aufgefallen, dass die Trennung zwischen Göttlichem und Menschlichem ziemlich unerträglich ist, aber es ist auch nicht so, dass beides automatisch beisammen ist. Der göttliche Mensch als Idee musste einfach aufkommen, aber wie hinkommen? Man unterscheidet hier in Indien zwischen „zertifizierten“ und „selbsternannten“ Gurus, was nicht unbedingt etwas heißen muss. Aber es geht ganz eindeutig um das Maß des vom göttlichen Nektar getrunken Habenden, wer soll das beurteilen. Was mich zum Grübeln bringt ist die Tatsache, dass ich mich auch jahrelang in belebendem Gespräch mit Gott befand. Shiva war keineswegs ein Fremder, er war ein Vertrauter.Und abgesehen davon, dass seine überall zu findenden Abbilder von verführerischer Anziehungskraft waren, muss ich ihn mir genau so geistig gebastelt haben, wie mir ein höchst inspirierendes Wesen als Gegenüber wünschenswert erschien. Es entlockte den Strom der Gedanken und der Gefühle und brachte sie in eine Richtung, in der sich der freiwillige Wunsch nach Ordnungen entwickelte. Neue Herausforderungen kamen ins Spiel: das gute und schmerzlose Sitzen im entgrenzten Raum, das nach innen gerichtete Auge und das nach innen gerichtete Ohr,um aufnahmefähig zu werden für das, was sich auf dieser Ebene erfahren ließ. Es war nicht wenig und hätte sich mühelos ins Mystische oder Phantastische ausdehnen können, hätten die LehrerInnen  nicht vor Phänomenen gewarnt. Oder man selbst war letztendlich mehr angezogen vom Nüchternen, zum Beispiel dem Zustand des Menschlichen auf diesem gottverlassenen Planeten. Aber wer weiß schon, ob er ihn verlassen hat oder noch da ist und immer da war als ein Gefühl, oder ein Bedürfnis, oder eine Notwendigkeit. Ich sehe mich, wenn diese Gedanken auftauchen (z.B. „…wer war ich denn damals und hielt das Geglaubte für Wissen)(?)), einfach herauswandern aus diesem speziellen Bereich der Wahrnehmungen. Ich traue uns Menschen vieles Kraftvolle zu, als Mensch unter Menschen. Wo der Gott, mit dem ich mich einst verbunden fühlte, geblieben ist, ich weiß es nicht. Es war jedenfalls kein Abschied, nur eine Veränderung. Die Instanz hat ihre Wirksamkeit verloren, ohne den Glanz des Lebendigen zu verringern.

Abschied nehmen…


Ein Teil des Unten von der Terrasse aus
Kein Zweifel, ich bewege mich im Prozess des Abschiednehmens und finde, dass Abschied auch ein Geben ermöglicht. Vielleicht eher ein Zurück-geben aus tiefer Dankbarkeit heraus  für die Möglichkeit, an eine Quelle hingeweht worden zu sein, von der ich zu wenig wusste, um mehr als reine Neugier einzusetzen. Oder war es doch mehr, etwa ein kleiner geistiger Bluttransfer einer Sehnsucht meines Vaters, der immerhin Paul Brunton las und dadurch wusste, was man in Indien suchen ging (außer Gold und Edelsteine) und was angeblich dort zu finden war. Und immer mal wieder gab es Momente, wo Menschen sich aufmachten, um persönliche und kulturelle Grenzen zu erweitern  oder gar zu sprengen und neuen Strömungen Einlass zu gewähren.  Und hier, in Indien, ist mentales Dehnungspotential in jeder Hinsicht vorhanden. Und obwohl die sagenumwobene, uralte Weishei, verkündet durch einen von Praxis gestähltem Mund (langem Bart und schlohweißem Haar) (also der Herrgott persönlich) nicht mehr zu finden ist, so kann man Wissen doch jederzeit erwerben. Und nur hier in Indien fand ich auch, dass es gerechtfertigt war (nach vielen Jahren Aufenthalt), auf die Frage, wo man in einem Ashram was lernen könnte, auf einen Chaishop hinzuweisen mit dem Rat, dort mit offenem Geist das Geschehen wahrzunehmen. Denn überall findet episches Drama (und Denken) statt, überall exzellente Spieler-und Spielerinnen, zutiefst verbunden mit ihrer (hier im Hinduismus ja nimmer endenden) Rolle. Und ja, hier fand ich die Zeit und den Ort und den Raum, um mich  nach Herzenslust der Wahrnehmung des doch oft überwältigenden Daseinsgeschehens zu widmen. Ich meine natürlich die Fahrt, immer im Raumschiff durchs All, und dass sich diese Art von Natürlichkeit nicht im Widerspruch befand mit der immensen Fähigkeit der Inder, einfach schlicht und einfach alles für möglich zu halten, weil man draußen und drinnen sehen gelernt hat. Und wenn jemand gesichtet wurde, den oder die es offensichtlich mehr nach innen als nach außen zog, dann gab es klare Angebote für die gesuchte Entscheidung. Ich weiß nicht, wie es ist, sich in andere Kulturen einzulassen, aber ich kann mein Einlassen in die indische Kultur am besten als einen Segen bezeichnen. Und wenn mich jemand fragen würde (oder ich mich selbst), wie sich dieser Segen ausdrückt, so könnte oder kann ich um mich schauen: ich lebe am (sich nähernden) Ende meiner Reise als Gast in einem der schönsten Häuser am See. Es ist ein altes Haus mit dicken Mauern, die mitten im oft lauten äußeren Getöse eine wunderbare Art von Stille haben, und so bin ich mittendrin und doch wohnhaft in dieser Stille. Es fällt mir nicht schwer, auf dieses Gefühl, das aus allen Ecken und Winkeln und der Wüste selbst und ihren BewohnerInnen auf mich zuströmt, zu antworten mit der Liebe, die aus mir herausfließt und sich nicht interessiert für die Grenzen. Und vielleicht ist es ja genau das, oder nur sie, die Liebe, die man hemmungslos in den offenen Raum strömen lassen kann, denn sie wird (vermutlich) keinen Schaden anrichten.