Es ist doch erstaunlich dass, senkt man den Blick ins Lebendige, alles zum Leben erwacht und selbst die ödesten Dinge ihre Schönheit entfalten können (oder ist das schon Liebe?) Lässt man aber den Blick in die Welt des Todes und des Sterbens gleiten, so kann man gleichermaßen erschaudern ob ihres steten Stromes und ihrer selbstverständlichen Gegenwart. Und vollkommen unabhängig agiert dieser eher kühle Windhauch von der gängigen Idee, Sterben sei vor allem mit Alter verbunden, wobei es zu beglückwünschen ist, wer es erreicht. Nein, überall stirbt und lebt es in immer neuen Kombinationen. Ich denke an einen indischen Begriff der Erde, mit dem sie als Planet der Toten bezeichnet wird, da sich beide, die Toten und die Lebendigen, dort vermischen und schwer zu erkennen sind. Und man kann sich auch mal tot fühlen oder totärgern, ohne dabei gleich die Welt zu verlassen. Totkrank ist dann noch einmal eine ganz andere Ebene. Man muss entscheiden, ob ein Kampf angesagt ist oder überhaupt sinnvoll erscheint (oder die Idee der Sinnlosigkeit aushebeln), oder aber sich dem Strom des Geschehens hingeben, wohl wissend, dass ein Gong geschlagen hat, der wiederum alles Mögliche bedeuten kann, nicht muss. Automatisch entfaltet sich Gewesenes vor dem Auge, kann gestreift werden oder analysiert: nur ein einziger Mensch hat jeweils diese e i n e Geschichte. Alles, was darin geschieht, geschieht auf diese Weise nur einer einzigen Person. Daher, wenn es zur freiwilligen oder durch Umstände als angebracht empfundenen Zusammenfassung einer Lebenszeit kommt…was dann? Die Überlebenden kann man hier ausschließen, denn sie sind, bzw. wir sind meistens froh, wenn wir (noch) leben. Als ich meine Mutter beim Sterben begleitet habe, voller Erstaunen, dass es überhaupt dazu kam, bin ich manchmal wegen einer Besorgung kurz hinaus in die Stadt, aber das geschäftige Leben sprach mich nicht an, ich wollte zurück, dort passierten noch wichtige Dinge. Manchmal sank sie (meine Mutter) in einen Dämmerzustand, aus dem heraus sie einmal berichtete, mein Vater würde sie rufen, mit ihm auf dem Grasboden zu tanzen, aber ihre Füße steckten fest. Oder ich entdeckte hinter ihrem Bett bei den Büchern das „Bardo Thödröl“, das Tibetanische Totenbuch, und woher hast du das, fragte ich. Sie hat mir erzählt, dass ich es einmal mitgebracht hatte aus Nepal, wo ich es, mich erinnernd, kaufte, als ein junger Freund von uns damals überraschend seinem Leben ein Ende setzte. Vielleicht hat auch das vielen geholfen, wenn auf keinem der Wege mehr Licht lag. Oder man kann es sich selbst wünschen, dass alles noch Verfügbare und Machbare dazu führt, dass sich die Flügeltüren öffnen, obwohl auch das schon zu viel Spekulation ist.