Shanivar

Pünktlich zum Samstag (Shanivar): das Bild mit der Opferschale, mein Saturn-Podium, auf dem Frauen erlaubt sind und sehen können, was sie möchten. Ich denke, dass mein System auch verarbeitet, was mein Kopf erstmal ungern zulässt, und seine eigenen Bilder findet. In der langen Zeit, die ich in diesem Land verbracht habe, gab es Jahre, wo ich auch nicht blind war den Missbräuchlichkeiten gegenüber, die sich in meiner Umgebung abspielten. Ich bin auch einer Vergewaltigung entkommen und weiß, dass selbst darin, im Beinahe, ein Trauma lag, Dass aber jetzt viel mehr zu verarbeiten ist auf der finsteren Seite, will man nicht   Mitgefühl und Leidensfähigkeit abstumpfen lassen, liegt einerseits an der Zeit und ihren Menschenmassen, die sich den Planeten auf eine abgründige Art und Weise einzuverleiben versuchen, und andrerseits ganz persönlich liegt es für mich an der Zeit des Abschiednehmens von dieser großen Kultur, die beginnt, mir mehr Schrecken einzujagen als diese Zustände, die wir Indienreisenden- und liebenden so geschätzt haben. Dieses mächtige, lebendige Geheimnis, das sich nun selbst entschleiert. Und genau wie man sich vorstellen kann, dass viele Menschen in Deutschland vor Hitler nicht grausam und mörderisch waren, so muss auch Z.B. dieses abartige Phänomen der Gruppenvergewaltigungen nicht in den Gehirnen der Männer herumgegeistert haben, sondern es ist hervorgelockt worden und ausgebrochen wie eine Krankheit, für die niemand eine Medizin hat. Gestern sind 18 Männer verhaftet worden, die alle über eine sehr junge Frau herfielen, nicht weit von hier, wo ich wohne. Wie kann das sein.  Und weil es sein kann, denke ich jetzt ganz im hinduistisch prophetischen Sinne, dass es noch viel schlimmer werden wird, so schlimm, dass es auch noch den letzten Träumer erweckt. Oder ist es schon so schlimm, und kein Träumer erwacht? Ich weiß auch, dass es nicht nur hier so ist, denn wir wissen doch alle von den vielen Folterkammern, die eingerichtet wurden und werden an vielen Orten, um dem menschlich Entgleisten eine Bühne zu geben. Doch Indien hat mich oft, im Hellen wie im Dunklen, in die Nähe der Dinge gebracht. Hier kann ich sie spüren, die Trauer um das Verlorene, auch wenn es nichts ’nützt‘, dem Verlorenen nachzutrauern. Es ist auch irgendwie undenkbar, dass man gelassen am Rand der Hölle herumhängt im Wisen, dass das auch eines Tages vorübergeht, und halt jede/r sein oder ihr Schicksal abarbeiten muss. Und man sich nicht nur an Dantes Göttliche Komödie erinnern kann, sondern an einen Satz aus der Meditationspraxis, den Außenstehende oft schwer verständlich fanden, nämlich ‚Stirb, bevor du stirbst‘, vermutlich, weil man dann, nach dem Durchschreiten des Illusionstodes, etwas lockerer am Höllenrand herumwandert? Wenn man weiß, dass man nicht wirklich helfen kann, nur anwesend sein und den Gefühlen Raum geben, wenn sie ihn brauchen. Und dass der Glaube an das sogenannte Wissen, das man meint zu haben, keine Behinderung darstellen sollte, wenn man noch überrascht werden möchte von der kosmischen Schönheit und ihrer unverkennbaren Eleganz.

 

wesentlich

Nun ist es ja so, dass es den meisten Menschen nicht verwehrt ist, sich innerlich ihren Erfahrungen gemäß weiterzubilden, auch wenn es genug ErdbewohnerInnen sehr erschwert wird, sich daran zu erinnern oder diese Möglichkeit in Anspruch zu nehmen. Oder wenn sie in Anspruch genommen wird, ist oft der Raum nicht da, das Gewünschte oder Erfasste umzusetzen. Es ist aber auch so, dass, wenn wir gedanklichen Freiraum gewohnt sind, grenzenlos verstehen, argumentieren, analysieren, lecturern, coachen können, ohne auch nur das Geringste zu verändern. Ja natürlich, könnte man sagen, stehen die Götter dem menschlichen Erwachen im Weg (obwohl das meiste Erwachen, das wir vor allem aus Indien kennen, auf jeden Fall über ihren Pfad führt), aber abgesehen davon, dass sie nicht entschwinden werden, weil vielseitig gebraucht, ist das wirklcih garantiert, dass erwachende Menschen besser miteinander umgehen würden und werden? Liegt es nicht allein an mir (oder wem immer) zu akzeptieren, was nicht zu verändern ist, vielmehr nicht in meiner Macht steht, von mir verändert zu werden außer in ganz kleinem Maß im Rahmen meiner eigenen Wahrnehmungen und Handlungen und dem Austausch mit BeobachterInnen, die zu ähnlichen SchlussfolgerInnen gekommen sind und unter Umständen dementsprechende Konsequenzen ziehen müssen. Die Götter sind fürwahr ein gutes Beispiel. Etwas, das noch nie hinterfragt und dessen Existenz als absolut real erfahren wird, wie kann das verschwinden, und warum sollte es als etwas so Lebensnotwendiges aus den Leben dieser Menschen gelöscht werden. Einerseits könnte ich mir bei drei gewährten Feenwünschen die ganze Göttershow wegpusten lassen, aber andrerseits sehe ich, dass das keine so brilliante Idee ist. Gestern saß ich bei dem Silberschmied im Laden, dem es wirklcih sehr schlecht geht. So schlecht, dass ich dort wegen einem Gerücht war, dass sich jemand umgebracht hat wegen hoher Schulden und ich mich vergewissern wollte, dass es nicht e r ist, da er auch wegen seiner ungeheuren Sorgen keine Lebensenergie mehr hat. Sein Bruder ist einfach verschwunden und hat ihn sitzenlassen mit seinen 57. 000 Euro Schulden und seiner, des Bruders Frau und zwei Kinder, die nicht wissen, wo der Papa auf einmal ist. Ja, er hat sich beklagt und mit Recht, und hat mir neulich gesagt, er rennt nicht mehr um den See, was soll’s. Ich dachte, er hätte die Götter satt, aber nein, er hat nur seinen Auftrag an sie verändert. Er sagt jetzt zu seinem Lieblingsgott (isht devta), er soll sich nicht mehr um ihn kümmern, sondern nur noch den Bruder anrufen lassen, damit er seine Frau und die Kinder abholt, die er gerade mitverpflegt. Das ist keine Freundschaftskultur, das ist eine Götterkultur. An der Schwelle des Ladens sitzen Ganesh, der Elefantengott und Laxmi, die Glücksgöttin in Miniaturausgaben aus Messing, vor ihnen verglüht ein Räucherstäbchen. Man hält sich auch gerne an die Götter, weil die meisten Menschen keine Erfahrung damit machen, anderen Mitmenschen Vertrauen schenken zu können. Das schenkt man ja auch nicht so leicht, daher die Götter. Wenn ich mir jetzt vorstelle, wie viele Deutsche diesem Irrlicht Hitler hinterhergelaufen sind und unbedingt einen Halbgott aus ihm machen wollten und machten, freiwillig blind geworden, freiwillig Schafsherde, und freiwillig auch Mörder? Wo setzt das alles an, wo schadet es, wo bringt es Ruhe und Gelassenheit. An welchem Punkt versteht man das Wesentliche. Und was ist das, das Wesentliche.

Praxis

Natürlich möchte man das gerne bis tief in die Reifezeiten hinein, dass beflügelte Wesen liebevoll herumschweben um die menschlichen Dunkelkammern und wohltuende Worte flüstern, na komm, steh auf, wird schon wieder, siehste, geht doch. Oder einfach nur kummervoll das Engelsleid erfahren, das ‚Was macht ihr denn da, los, besinnt Euch!, und vielleicht ein paar Vorschläge liefern darüber wie das geht, Besinnung, wenn weit und breit kein Sinn mehr sichtbar ist, den man bemühen könnte, um das Finsterfeld menschlichen Handelns nachvollziehbar zu machen. Nun ist es ja so, dass ich mich auch in der meditativen Praxis mit Flügelschlägen durchs Wasauchimmer bewegt habe und gelandet bin in dem, was wir Lotussitz nannten. Der aufrechte Rücken, der dem Atem zum Strömen verhalf und verhilft, die Hände ruhend im Nicht-Tun des Tuns. Da haben wir auch verstanden, dass wir uns, zumindest für eine Zeit, unabdingbar trennen sollten und mussten vom ‚Anderen‘, wo Anderes geübt und gehandhabt wurde und wird, was mit den strengen Vereinbarungen der Praxis nicht kompatibel war. Manche LehrerInnen vermittelten uns damals das Weltfeld als einen dumpfen Ort, an dem man möglichst wenig Staub aufwirbeln sollte. Bis das Menschsein nur noch aus einem winzigen Punkt bestand, der allerdings lebendig rotierte in der Mitte der Stirn, und ich genau wusste, dass ich das bin. Gut, und wenn schon, so kam doch die Zeit, wo sich ein Umschalten einstellte, ein Fokussieren auf den Brennpunkt des Daseins, der sich zeigte als ein Tatort, wo zu vieles angetan wurde, als dass man den Kopf hätte zur Ruhe kommen lassen können über dem Lotussitz, (gegen den weiterhin niemand dringlich was einwendet.) Man hatte uns schon öfters befragt, warum ausgerechnet wir keine Kinder in die Welt setzen, keine Mütter werden wollen, keinen Haushalt führen für Mann, Frau und Kinder. Wir waren damit beschäftigt herauszufinden, was zu tun war, denn bis heute ist es nicht einfach geblieben. Das ist, mit was ich gerade zu tun habe: im Angesicht des Schreckens mit der Ohnmacht umgehen lernen, und manchmal nur einen goldenen Luftballon schenken können, damit ein verwahrlostes Kind wenigstens lächelt. Und ja, meine eigene, tief persönliche Freude ist wichtig, sie darf sich nicht zurückziehen vor all diesen Schatten. Lieber hinausgehen und tun, was man kann, auch wenn man das mögliche Wenig schon schmerzhaft verstanden hat.

trotzdem

Diese Zeichnung hat mir Ramesh heute früh bei meiner Runde geschenkt, ein junger Verkäufer von religiöser Paraphernalia, der in letzter Zeit einen hochbetrübten Eindruck macht. Die Zeichnung bringt es auf den Punkt, denn er ist im heiratsfähigen bzw. notwendigen Heiratsalter, wohnt mit seiner Mutter zur Miete in einem Raum mit Küche und hat natürlich keinen Platz „for my girl“, wie er sagte. Das ‚girl‘ muss ja noch gesucht und gefunden werden, aber das bedrückt ihn verständlicherweise zutiefst. Ob mein Humor mir denn helfen würde in all dem größeren und kleineren Leid, das sich bei mir zur Zeit stapelt, und ja, musste ich zugeben, es hilft schon, wenn es auch nur die vielen kurzen Momente sind, die auch wahrgenommen werden möchten, wie der winzige Affe, der gerade an meinem Fenster hochgeklettert ist und den ich in ein paar Minuten von den Pflanzen verscheuchen muss, die in meiner Obhut gedeihen. Man muss ja nicht krampfhaft nach erfreulichen Dingen Ausschau halten, denn es gibt sie immer und überall und zuhauf, man darf es nur nicht vegessen in der Mitte all dieses Elends, das sich auch zu häufen scheint. Wenn die Regeln und Ordnungen, die eine Gesellschaft gemeinsam erschaffen hat, einfach nicht mehr zeitgemäß sind, aber stur daran festgehalten wird, sodass Variablen und Alternativen gar nicht vorstellbar sind, nur verzweifeltes Festhalten an den Konstrukten, die alle nur einengen und verkümmern lassen, dann ist es Zeit….gut, Zeit, es zumindest mal zu merken und nicht (weiterhin) so zu tun, als wäre es immer noch die göttergeschöpfte ‚Parampara‘, Tradition. Eher das, für was sie allerdings auch schon einen sehr schönen Begriff geprägt haben, nämlich ‚duplicate Maya‘, bedeutend, dass das natürlich Illusionäre ersetzt wird durch das künstlich Illusionäre. Also zum Beispiel wenn jeder Einheimische weiß, dass das Wasser im ‚heiligen See‘ nicht mehr aus natürlicher Quelle kommt, sondern aus Pipelines zugeführt wird, das ist dann duplikate Illusion, ich hoffe ich mache mich verständlich, auch wenn ich selber lachen muss. Ich dachte von diesem indischen Gedankengut immer als etwas Geniales, das jede Phase des Lebens und der Zeiten bedacht hat, und man kann schon staunen, mit welch akrobatischer Leichtigkeit sie z.B. in die digitale Welt katapultiert sind, führend auch im Silicon Valley mit ihren vom Unvorstellbaren gedehnten Gehirnen, unendliche Lebensformen meisternd, an denen jeder Nicht-Hindu schnell zerbrechen würde. Auch habe ich eine Menge Heiraten zwischen Indern und westlichen Frauen mitbekommen und kenne nur eine, die nicht an den Unvereinbarkeiten gescheitert ist. Das erste, was von zwei zukünftigen Partnern bis heute gewünscht wird, ist ein Horoskop, das alle Familienmitglieder miteinbezieht. Der brahmanische Priester kalkuliert stundenlang durch, wie das ganze Ding laufen könnte unter den gegebenen Bedingungen. Dass da trotzdem einiges schwer schiefläuft, kann man dann beim Chaitrinken hören oder in der Tageszeitung nachlesen, wer wen in ein lebensverdunkelndes Schicksal befördert hat. Und da ich keinen Ausweg sehe in meiner Art, es wahrzunehmen, denke ich zuweilen an ihre Konzepte, die auch nachvollziehbar sind: dass das schwarze Zeitalter hereingebrochen ist, noch in seinen Anfängen, und die Seher und Weisen berichtet haben, dass sie sich nicht vorstellen können, dass Menschen in so einer Zeit überleben können. Aber was bleibt uns anderes übrig, als durch unsere gegebene Zeit zu wandern und zu schauen, was uns dazu einfällt.

 

vorübergehen(d)

„This, too, shall pass“, also „auch dies wird vorübergehen“, ist der exzellente Satz für etwas, das unleugbar, also wahr ist. Es trifft auf alles zu und niemand kann dem entkommen. Auch wenn die immer mal wieder auf-und (wieder)untertauchenden Unsterblichkeitsgrübler die medizinische Dosis hervorbringen könnten, mit der man ein paar Jährchen würde dranhängen können an das schon Gelebte, so müssten wir doch den Nachen besteigen und hinüberdriften ins Ungewisse, also verschwinden. Oft wird das Verschwindende besser bemerkt, wenn Dinge, wie zur Zeit, schnell an Wert verlieren: Kalima, noch das alte Samsung, wie!? Ich mag ja die Ewigkeitsillusion des alten Samsung, weil es tut, was es kann, mehr muss es  nicht. Was mich mehr erstaunt ist, dass ich selbst einige Erscheinungen jetzt für unsterblich halte. Zum Beispiel die Anbetung der Götter. Es ist ja nicht so, dass sie mal zu Gast waren und sich dann verabschiedet haben, zum Beispiel, weil die Menschen nicht belehrbar waren, beziehungsweise sind. Nein, sie waren nie weg, immer waren Gott und Götter und natürlich auch Göttinnen da, die sind auch unzertrennlich. Sie bewegen sich einerseits im Außerirdischen, andrerseits kann man sie auf jeder Seifenpackung finden, oder in den Teig hineinkneten -und murmeln. Das ist das wahrhaft Vertrackte an der indischen Welt, dass man sich dieses ungeheure Chaos ohne Mitwirkung der heiligen Aliens gar nicht vorstellen kann, Gott bewahre, das wäre zum Fürchten. Noch mehr Selbstmorde und Vergewaltigungen könnte selbst der gottesfürchtendste Mensch nicht ertragen, er müsste sich ja fragen: Was (zum Teufel) ist hier los!!! Gestern kamen laut weinende Frauen zum See, ich habe nachgefragt und gehört, dass ein junger Vater sich vergiftet hat, weil er das geliehene Geld nicht zurückzahlen konnte. Täglich, sprachen sie über ihn, ging er um den See herum, war freundlich und gut, und nun das. Wie oft müssen sich irgendwo in der Welt immer mal wieder Einzelne gefragt haben, ob die da oben vielleicht das Problem sind, herzlos und nur mit eigenen Gelüsten beschäftigt. Auch Jesus würde heute verhaftet werden, wenn er derart im Tempel rumtoben würde wie damals, obwohl man heimlich hofft, dass das keine fake news sind wie so vieles andere. Wer würde nicht gerne mal irgendwas Abscheulichem so richtig die Meinung sagen!!??, aber hier am heiligen See, gesegnet sei sein Name, kann keiner irgendwem irgendwas sagen, was den Brahmanen und Göttern nicht gefällig ist. Das System ist nicht nur durch und durch korrupt, sondern auch abgesegnet von uralten Weisheiten, unsterblich ist dieses System, keiner kann dran rütteln, denn es bewegt sich von selbst; unaufhörlich dreht es sich weiter und keiner kann entkommen, denn auch die verschwindende Materie, also die Körper, werden wieder verwendet und umgestaltet. Denn selbst die Asche, gesegnet sei ihr Name in jeder Sprache der Welt, selbst die Asche, nein!, vor allem die Asche enthält noch genug Nahrung, um jederzeit als Medizin auf hoher Ebene eingebaut zu werden in den Speicher. Wenn man Jorge Luis Borges liest, bekommt man eine flüchtige Ahnung von den Dimensionen, die hier das Spiel beleben. Daher bleibe ich dran an der Frage, ob dieses offensichtlich so Flüchtige nicht doch einen stabilen Urgrund hat, den man bewohnen könnte während der verbleibenden Anwesenheit.

umgehen

Ich weiß nicht, wie lange das her ist, dass ich meine Nachmittage hier zum Großteil als eine angenehme Möglichkeit sah, Begegnungen und Freundschaften zu vertiefen, teils in Familien, teils im Bazaar zusammen einen Chai zu trinken und sich über das Jeweilige auszutauschen. Nun höre ich von so vielen schrecklichen Vorkommnissen, die m.E. den Rahmen sprengen von all dem, was man gerne als „normal“ deklarieren möchte: Menschen machen halt böse Sachen, das war doch schon immer so. Aber das hat doch bereits jeden Maßstab verloren, an dem man gerne etwas messen wollen könnte, würde nicht an jeder Ecke ein neuer Schrecken auftauchen. Erst die direkten Vermittlungen der Gepeinigten, dann ein Blick in die indische Zeitung, wo ich vor lauter Grauen schon gar nicht mehr hinschauen möchte, dann mal hineinschauen in westliche Neuigkeiten, das schlägt dann dem berühmten Fass den Boden aus. Allein diese Hunderttausenden von Frauen, die in Paris und Rom auf die Straßen gegangen sind gegen häusliche Gewalt. Häusliche Gewalt, ein grausamer Begriff, der auf jeden verschleierten Horror zutrifft, Männer in Foren, die sich Bilder von missbrauchten Kindern zusenden undsoweiter, man schaudert an den genannten Zahlen entlang und weiß wie wir alle, dass das nur ein Bruchteil dessen ist, was wirklich läuft im dunkelsten aller Netze, in dem Kinder und Frauen weiterhin hemmungslos gesucht, gefunden und gefangen werden. Ich habe letztes Jahr auch mit SchülerInnen von Sogyal Rinpoche und MooJi  gesprochen, die damit umgehen müssen, dass ihre Meister wegen schwerem sexuellem Missbrauch angeklagt wurden und werden. Eine meiner ältesten Freundschaften, oft genug geprüft wegen Unvereinbarkeiten, scheint sich nun aufzulösen, denn ich kann es nicht mehr ertragen, dass mir gesagt wird, es seien die dummen Frauen, die sich an  Lehrer heranschmeißen, so, als hätte der Lehrer weder Wahl noch Verantwortung für seinen Umgang mit den oft genug psychisch Geschädigten, die sich ihm anvertrauen. Überhaupt: der Umgang. Wie geht man damit um, das muss man erstmal für sich klären. Als ich mich selbst noch aufgehoben fühlte in einer bestimmten spirituellen Schutzzone, ja, das war gut, auch dafür gab es ein Zeitgemäßes. Ernsthaftes Beieinandersitzen in Stille und Würde, jeder bei sich und doch das gemeinsam zu Lernende teilend. (meditative Praxis). Es gibt da nicht viel, was ich bedaure in der vergangenen Zeit. Wenn ich aber jetzt so einen typischen Satz lese wie zum Beispiel von Sri Sri Ravi Shankar, nicht der Sitarspieler, sondern einer der führenden (lebenden) Gurugestalten Indiens, der sagt (in einer Ecke der Times), dass, wenn man unberührt bleibt von allen Geschehnisse, man seinen natürlichen Zustand, die Freude, vorfindet, da könnte ich platzen. Wo seid ihr, und was macht ihr da auf euren Thronen für einen lächerlichen Eindruck mit all den Sri Sris, gleich doppelt erhaben, und über was, meine Herren, über was und wen erhaben. Da stimmt doch was nicht mehr mit diesen hoch angelegten Sätzen, die man gerne in die Hinterzimmer bringen würde und schauen, ob sie dort angebracht sind und ihre Wirksamkeit entfalten können im praktischen Dasein. Ja, ich lebe auch anders wie viele Menschen. Es hat mich niemand daran gehindert, meine freien Entscheidungen zu fällen, es waren nicht die schlechtesten, das muss ich schon sagen. Und Indien hat mich in vieler Hinsicht weit ins mir Unvorstellbare hineinreifen lassen mit seiner unglaublich facettenreichen Kultur und seinem oder soll ich ihrem Glanz sagen, MataJi Bharat, das alte Wort für Indien, dieser großen, mächtigen Mutter, ja wie geht’s der denn heute. Metoo, wo war doch gleich der Hashtag, ist vergessen und für die erwachenden Frauen keinerlei Freiraum in Sicht. Nehmt euch in acht, haben Frauen auf den Straßen von Rom und Paris gesagt und auch gemeint, wir sind auf der Straße. Natürlich freut man sich, dass Frauen hinausgehen und sich die Welt zurücknehmen, die ihnen zu viele Männer einfach nicht zugestehen wollen. Eigene Welt, eigener Zugang, nicht ein ganzes Leben durch Andere leben und für sie, so, als könnten sie es nicht selbst. Ohnmacht auf allen Ebenen. Man muss das mal fühlen können, ohne auszuweichen auf Weiteres, was es auch gibt, kein Zweifel.

schalten

,

Ich kann mich nicht erinnern, jemals gedacht zu haben: oh, schon wieder Dienstag oder Mittwoch, aber das passiert samstags. Der Samstag hat es in sich, weil der Sonntag ihm auf den Fersen folgt, an allen Ecken etwas versprechend und vorgaukelnd, was selten eintrifft, vermutlich der Besuch bei sich selbst, dem zeitknappen Fremdling. Das Bild oben habe ich schnell im Vorübergehen gemacht  von einer Steinritze, und eine Tänzerin darin gesehen. Den Hindi Spruch habe ich endlich mal photographiert vom Saturn-Tempel, der besagt, daß Frauen im Tempel nicht erlaubt sind. Das von meiner Hand einmal weggekratzte ’nicht‘ ist auch von keinem empörten Mönch nachgemalt worden, aber was sollen die Frauen eh da oben. Lieber tanzen. Oder denken. Oder umschalten. Ja, es sind alles (u.a.?) nur fliehende Geschehnisse, und die a u c h auf dem Alten Weg rotierende Weisheit dass, wenn man unberührt bleiben kann von ihnen,   man dadurch Freude erfährt als den natürlichen Zustand. Das birgt seine eigene Logik. Die Quelle der Freude nicht zuschütten mit Ohnmacht. Neulich sagte der neue Manager des Cafés drüben, er würde,  bevor er über sich nachdenkt, erstmal seinen Geist alles akzeptierend umfassen lassen, denn er könnte eh am bestehenden Sosein nichts ändern. Dann erst würde er zu sich zurückkehren. Das fand ich anregend. Nicht so anregend finde ich, dass der Strom schon Stunden ausgefallen ist und ich diesen Text mit dem rechten Zeigefinger tippe, immerhin ein kleiner Ausweg aus dem Frustpotential. Samstags kann man mit allem rechnen. Und einkaufen! Die Läden im Bazaar sind offen bis mindestens 22 Uhr, nicht, dass ich häufig dabei bin, wenn überhaupt. Die letzten im Jetzt zeigefingertippenden Stunden musste (auch ich) alles ausschalten, weil man selbst hier so einen langen Stromausfall nicht mehr erwartet, meine Güte, alles Wesentliche fährt runter auf Emergency Status. Stille im Dorf. Warten.

 

 

 

Komma, aber…

  , 

Jemand hat mir mal hier erklärt dass, wenn man eine schlechte Nachricht mitteilen muss, man zuerst mit etwas Positivem beginnen soll, und dann, nach dem unvermeidlichen Komma, mit dem anderen Bericht beginnen, immer mit ‚lekin‘, aber…das jeweils Andere ist eben auch noch da. So konnte ich gestern wieder einmal eine poetisch inspirierende Morgendrunde am See erleben, die angenehmen, liebevollen Begegnungen, bei denen oft Namen keinerlei Rolle spielen, man kennt sich einfach sehr lange und hat ähnliche Morgenzeiten. Als ich zurück war im Haus, brachte mir der Zeitungsmann, ein Sikh, zum ersten Mal wieder die ‚Times of India‘, denn ich hatte Ashok gebeten, ihn zu informieren, dass ich wieder da bin, obwohl ich ihn meistens irgendwann selber treffe. Da war sie also wieder, die Tageszeitung, die man zu lesen oder zu lassen lernen muss. Auf der ersten Seite links oben ein kleiner Absatz über eine Mutter, die hier, wahrscheinlich wegen dem Platzmangel, ‚Mom‘ genannt wird, die vorgestern ihre Tochter mit Benzin übergoss und anzündete, weil diese einen Mann aus einer niedrigeren Kaste heiraten wollte. Man fragt sich, wie niedrig was werden muss, um zu begreifen, wo niedrig angesiedelt ist. Dann kam auf der nächsten Seite ein etwas längerer Artikel über eine Stiefmutter, die, als der Vater bei der Arbeit war und die Tochter bei Nachbarn spielte, diesem Kind, als es zurückkam, den Mund zustopfte und ihre, wie sie es nennen, ‚private parts‘, also ihre Privatteile und ihre Beine verbrannte. Ein Sozialarbeiter, der davon hörte, meldete es der Polizei. Es war vor allem für mich so eine Dosis von etwas, das mich immer wieder erschüttert oder abgestoßen oder entsetzt hat. Es ist ja viel schlimmer als diese paar Artikel, wo mal jemand was gehört hat und genug Aufmerksamkeit bekam, reiner Zufall, schätze ich, Redaktionsauswahl. Nun will man sich das alles ja nicht vorstellen, und man muss es auch nicht. Oder doch manchmal, wenn man bedenkt, dass diese Kinder weiterleben. Da hat ihnen einmal in ihrer Kindheit jemand die private parts verbrannt, aber auch kein Jemand, sondern diesmal eine Frau, die zweite Frau ihres Vaters, nachdem ihre Mutter gestorben war. Man brachte sie nach der Tat zu ihrer Großmutter, und hätte der Sozialarbeiter nicht zufällig was davon erfahren, hätte nie ein Mensch gewusst, was mit der Frau los war, später. Oder hätten es alle ständig gewusst, weil, wer kann es vergessen. Die Tochter der anderen Frau war tot. Danach zündete sie sich selbst an, vermutlich, weil sie das Ausmaß der Tat erkannte, aber sie wurde gerettet und lebt nun weiter, erst im Krankenhaus, dann zuhause. Weil ihre Tochter einen Mann, den sie liebte, in ein paar Tagen heiraten wollte. Dem geht’s bestimmt auch nicht gut. Wenn eine Gesellschaft durch ihre Regulierungen und durch ihr fixiertes Gedankengut solche emotionellen Ausbrüche hervorbringt, dann…ja, was dann…dann bleiben wir vielleicht nur, oder bleibe gerade vielleicht nur ich auf meinem Stuhl sitzen und schaue hinein in das Unfassbare, so tief es möglich ist, und sehe die Grenzen der Tiefe. Meine Grenze. Mein Schiff, das dem verborgenen Eisberg ausweicht, auch vorbeilenkt an der Gespensterfregatte. Ich habe Vertrauen in meinen Kompass, und an Land achte ich auf meine Schritte und lebe so unblind wie möglich. Denn was hilft es, dass man sich gerne aufmachen würde und hingehen. Irgendwann blättert man weiter. Times of India.

Im kleinen Bild rechts oben stehen die Artikel.

 

Eben (en)

Auch die Gottheiten haben’s offensichtlich nicht so leicht, der Yogi König ist hinter dem Plakatsegel verschwunden und lässt nur seinen toten Löwen in die Linse schauen. Ich wundere mich bei all der Anbetung, dass sich keiner bemüht, das Geheimnis zu lüften, bzw das Hindernis zu heben oder das Wesentliche wieder sichtbar zu machen. Deswegen fand ich auch den sehr erstaunten Blick der Göttin passend, obwohl man nicht weiß, worüber s i e jetzt verblüfft war. Ich finde, wenn die Verblüffung im Humor integriert ist, geht es einem besser damit, nur, wo steckt d e r denn manchmal. Und warum ist er männlich? Dann wiederum die Heiterkeit weiblich…und die Freude…und die Liebe undsoweiter, man kann nicht klagen, und will auch nicht klagen. Das Klagen kommt von alleine, das muss nicht gerufen werden. Es stimmt allerdings, dass Comedians, die man gerne mal auscheckt, wenn man  irgendwo auf der Leitung sitzt, dass es meistens Männer sind, die dort performen, aber das stimmt auch nicht wirklich. Auch sind nicht alle so tiefgründigkeitsfähig wie Hagen Riether (z.B.), aber selbst da kann es langweilig werden. Als könnte einen jemand wirklich in die eigene Heiterkeit verfrachten, nein, man nimmt an ihrer teil, eine Fremdheiterkeit, und oft genug sind es, vor allem bei Komödiantinnen, bei aller Nachvollziehbarkeit des Witzes nicht oft die Themen, die einen persönlich erheitern. Wenn dem eigenen System etwas Menschliches oder Tierisches oder Sächliches vor den Geist kommt, das die Kraft hat, eine ganze Maschinerie in Bewegung zu setzen, sodass ich manchmal unterwegs aufpassen muss, nicht wie ein irrlichternder Fremdling zu wirken. Ich merke auch neuerdings, dass ich Ekstasen, die sich bilden möchten, nicht mehr für angebracht halte im Angesicht der tiefschürfenden Bedrohlichkeiten, die uns Menschen begleiten, und zu viel Leid, als dass man abheben möchte, wohin auch immer, eben dort, wo Abheben einst anregend war und abenteuerlich. Denn es gibt sie, kein Zweifel, die anderen Ebenen, nur gibt es gerade keinen Zugang zu ihnen. Nicht, dass ein Rübezahl uns den Weg versperrt, nein, sondern im dritten Akt verschließen sich automatisch sehr viele Türen, die kurz vorher noch offen schienen. Dafür aktivieren sich andere Räume, andere Ebenen. Das Spiel selbst zeigt sich als ein natürliches Meisterwerk. Wer seinen oder ihren Einsatz geben möchte, ist grundsätzlich willkommen. Hier müssen die Systeme ihre Gewänder und Kostüme ablegen, damit die Spieler und Spielerinnen den Freiraum zur Verfügung haben für die Handlungen, die ihnen angemessen vorkommen. Keiner weiß, wie es weitergeht und von was oder wem ein Weitergehen abhängt. Vielleicht hängt auch gar nichts von irgendwas oder wem ab, sondern es gestaltet sich genau das, was anders nicht möglich ist: die eigentliche Systemlosigkeit in Verbindung mit menschlichem Bewusstsein. Wenn nur noch das Spiel weiß, was auf dem Spiel steht.

ganz sein

Inmitten der angenehmen Befindlichkeit, die sicher auch mit dem sich auflösenden Dunst zu tun hat, der tagelang über allem lag wie ein dichtes Gewebe, kam nachmittags eine junge Inderin zu mir, die sich im Vorbereitungsstress ihrer sich nähernden Hochzeit befindet. Sie wirkte bedrückt, und langsam kam auch der Grund heraus. Sie war längere Zeit mit einem Mann befreundet gewesen, der nicht aus ihrer Kaste kam, und die Beziehung wurde deswegen von beiden Familien nicht gebilligt, der Sohn wurde schnell anderweitig verheiratet und hat nun zwei Kinder. Neulich aber haben sich beide noch einmal getroffen, und es ist zum Geschlechtsverkehr gekommen, wie soll ich sonst sagen: zum Sex, zum Übergriff, zum Liebesakt, zur Vergewaltigung? Sie kann sich nicht mehr erinnern, kam sich bewusstlos vor. Als ihr klar wurde, was passiert war, machte sie ihm Vorwürfe, meinte aber ein paar Mal zu mir, dass er sie liebe und eben wollte, dass sie ganz sein sei. Ganz sein. Ich konnte sehen, dass sie das Ganze nicht einordnen konnte, so, als war sie sich nicht sicher, ob es nicht doch richtig von ihm war, weil er sie so liebte. Ich konnte mich gerade noch zurückhalten mit der Bemerkung, dass das wohl nicht wirklich Liebe sein konnte, wenn er sie dem tatsächlichen Problem auslieferte, an dem er nicht beteiligt sein würde. Denn ihr zukünftiger Ehemann  durfte auf keinen Fall erfahren, dass sie keine Jungfrau mehr war. (Das Schreiben mancher Worte kann anstrengend sein). Im Kontext der immer noch lebendigen Traditionsbedingungen-und szenarien schaltete ich um auf Lebensweisheit, die ich von einer Ärztin aus Kalkutta einmal vermittelt bekommen hatte. Mach dir keine Sorgen, sagte ich in Erinnerung an ihre Worte, Männer sind leicht zu tricksen in dieser Angelegenheit. An die genaueren Details kann ich mich nicht erinnern, aber das ist ja auch sicher zum Umsetzen nicht so schwer (oder doch?). Schwer zu ertragen ist die Einsamkeit, in der Frauen diese Art von Not erleiden. Und obwohl ich in einer Gesellschaft aufgewachsen bin, wo wir so ziemlich alles machen konnten, was uns einfiel, weiß ich doch aus eigener Erfahrung, wie lange das dauern kann, bis man die Wirkung eigener Einfälle einschätzen und verstehen kann. Aber das ist nochmal etwas anderes, als wenn ein ganzes Leben an einem Blutstropfen hängt, und der Mann, mit dem ich mein Leben verbringe, nie wissen darf, dass schon einmal jemand anderes mich berührt hat. Es ist gut, wenn man erkennt, wo und wann Meinungen überflüssig sind, denn wir wissen ja, wie oft für reines Blut und Besitzanspruch gemordet wurde. Vielleicht geht es darum, unterstützend zu sein in grässlichen Lebensbedingungen, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen können, dieser kalte Wind der Ohnmacht, und diese zurückfließende Wärme, ohne die wir nicht lebensfähig sind.

ausgleichen

 

Die letzten Großgruppierungen, Brahmanen aus dem Süden, die hier großzügig  begottesdienstet und gefüttert wurden, sind abgereist. Auch die Männer im Dorf sind schwer beschäftigt, diesmal mit den lokalen Wahlen, an denen ich jegliches Interesse verloren habe. Auffallend still ist es da draußen, und ich merke beim Herumgehen, dass ich nicht mit so viel zu Sehendem umgehen muss, sondern wieder das Meine sehe. Die verlassenen Feuer mit ihren Aschestrukturen, ein rostiger Nagel, (siehe oben rechts), ein Lehmgefäß mit Lotusblüten, in dem chai getrunken wurde, die lagernden Kühe, das Getrippel der Tauben, Körner pickend auf den Blechdächern der Badezugänge. Das alles ist nicht so weit weg von dem zeitlosen Reich, das gerade hinter einer unvorhergesehenen Ecke verschwand. Und genauso, wie es im hellen Vorgang beschrieben wird, nämlich, dass vorher und nachher Teller gewaschen und Holz geholt wird, so sieht auch hier in der verschleierten Variante alles fast noch so aus wie vorher. Ab und zu ist auch ein Elektrizitätsausfall willkommen, dann merkt man, dass das Ohrgehäuse sich öffnet und Hörvermögen sich bildet und ausdehnt. Natürlich kennt man das ja von den Einfühlungen in Ägypten, dass man gerne hätte, dass es auf Erden manchmal ganz still war, und dass die Geheimnisse bei der Sphinx gut aufgehoben waren. Aber wahrscheinlicher ist, dass dort viel geschrien und gepeitscht wurde, und dass die Gelüste Einzelner in der Durchführung vorherrschend waren. Auch Qualen und unzumutbare Zustände bringen mächtige Formen hervor, zu denen Reisende pilgern. Hier am See entlang sind an manchen Stellen die Treppen aus Steinen, die von nackten Füßen rund und glänzend und weich geworden sind. Die Tulsisträucher sind umhüllt mit schützenden Tüchern. Das alles ist einfach und schön und aufgenommen in meinem Inneren. Dafür ist der Morgen da, und die Ruhe, die Andacht, die Achtung dem schöpferischen Geist gegenüber: damit man es nicht vergisst, aus welchem Stoff es gemacht ist, auch wenn wir ergriffen sind vom unsäglichen, menschlichen Leid, das wir bezeugen. Von dem, was angetan wird, und von der Verwirrung und den Verirrungen, die daraus hervorgehen. So kann man es (u.a,) auch die Ausgleichung nennen, denn wer will sagen, das Eine sei  wirklicher als das Andere!

ablegen


Mönch, nur in Asche gekleidet, mit rotem Smartphone

Vielleicht hat sich ein Ableger des großen Schattens bei mir niedergelassen, will Ruhe, mit sich allein sein und weiß, dass das möglich ist in meiner Nähe. Wer weiß schon, wer mit uns trauert in den Hinterhöfen und den Vororten und den aus Konkretem gefertigten Schweigekammern. Immer ist irgendwo ein Mittendrin im Gedränge, wenn es den Vielen so scheint, als kämen wir alle zum Klagen im nebligen Licht ungesunder Instinkte, würden die Rechte abgeben wollen an ein buntes Schicksalsplakat, würden auch denken, wir seien ein Nichts oder ein Alles. würden auch lange Zeit meinen, dass uns alles gehört, und dass das Habenwollen in sich kein Ende findet. Deswegen legt sich ein Schatten nieder und wird gelassen in seinem Daseinsrecht. Wenn die Liebe sich auf die Socken macht, weil das Entschwindende sie ruft, ja, sie kommt gerne und steht da, am Rand des Untröstlichen, und ist schön in ihrer Trauer. Das ist dann, wenn man sich aufmacht zum Gemüsehändler und froh ist, dass alle noch lächeln.

Ernst Jandl

Bildergebnis für Ernst Jandl

 

 

an gott

dass an gott geglaubt einstens er
habe
fürwahr er das könne nicht sagen
es sei einfach gewesen gott da
und dann nicht mehr gewesen gott
da
und dazwischen sei gar nichts
gewesen
jetzt aber er müsste sich plagen
wenn jetzt an gott glauben er
wollte
garantieren für ihn könnte
niemand
indes vielleicht eines tages
werde einfach gott wieder da sein
und gar nichts gewesen dazwischen

 

 

 

fürchten

Schon wieder Samstag! Hier gibt’s ja (noch) keine Rasenmäher und (noch) kein Lidl und Aldi und Rewe, aber es gibt halt Shani, der Furcht-erregen-Sollende, wo hingepilgert und verehrt wird, was das Zeug hält. Gestern habe ich auch eine dunkle Gestalt (s.o.) herausgepinselt, die ein Kind verschlingt. Es könnte Kumbhakarna sein, ein Riesen-Dämon, der, soweit ich mich erinnere, von Indra in Schlaf versetzt wurde und sechs Monate schlief. Als er erwachte, aß er auch Menschen. Aber meine Figur frisst ein Kind. Ich dachte an das winzige, zehn Monate alte Kind von Mamta, die ich gestern besucht habe, und wie ich meine Augen von dem Kind nicht abwenden konnte. Es sah so zerbrechlich aus, als würde es schnell wieder von der Welt verschwinden. Mamtas erstes Kind war ein Sohn, er starb nach der Geburt. Danach kamen hintereinander drei Mädchen, und dem letzten Winzling haben sie diesen furchtbaren Namen gegeben, der  ungefähr soviel bedeutet wie ‚jetzt aber Schluss‘, also Schluss  mit den Mädchen. Es trinkt nur Muttermilch, gedeiht aber nicht. Die Mutter ist prall und voller Lebenskraft, aber ich sehe, dass das Kind sie nervt, weil es die Erwartungen der Familie nicht erfüllt hat. Das Kind siecht dahin an Lieblosigkeit und schreit und schreit und schreit. Vor so etwas kann ich mich fürchten, vielleicht vor dem Ausmaß der eigenen Ohnmacht im Angesicht des Schreckens. Wenn sich keiner freut, dass man geboren ist, was kann einem Schlimmeres passieren, zumindest als Auftakt ins Lebendigsein. Klar kann immer noch viel geschehen, aber dann muss man schon sehr viel Talent oder Glück haben, um einen Weg zu bahnen aus der Seelengrube. Was ich zum Fürchten finde, sind diese Arten und Weisen, mit denen in Kulturen etwas als ’normal‘ definiert wird, der gebundene Fuß, die beschnittene Vagina, die wertlose Tochtergeburt, die ausweglose Programmierung des Daseins, beziehungsweise des Lebens der Frauen. Denn ich sehe doch immer wieder, dass es bei vielen Männern, u.a. durch die besorgniserregende Fürsorge der Frau ganz gut flutscht, und da, wo sie (die Männer) schlafen, ist ja oft nicht da, wo sie hindenken mit all den vielen Interessen, den anderweitigen. Heute habe ich auf meinem Rundgang einen Naga Baba gesehen, also einen vollkommen nackten Mann, bzw Mönch, der nur in Asche gekleidet war, wie es ihre gerne zur Schau gestellte Art ist, und er sprach in ein knallrotes Smartphone hinein, wer weiß mit wem, und es gibt wahrscheinlich auch nicht wirklich jemanden, der es wissen möchte. Dies also zum Samstagmorgen, der sich andrerseits milde zeigt, was dem Dunst zu verdanken ist. Manche Läden sind geschlossen, weil lokaler Wahltag ist. Es fällt schwer, ein Fünkchen Interesse aufzubringen, da es nicht um Politik geht, sondern um Persönlichkeitskult, nichts Neues, in der Tat.

bewölkt

Das ist eins von drei Bildern, die ich während des (Kamel)Festes gemacht habe, als einmal keine Menschenmassen vorbeikamen. Es ist auch in Indien selten geworden, dass man eine Szene aufnehmen kann, die aus der Urzeit zu kommen scheint, da nichts die Neuzeit verrät, na fast, denn auch hier kreuzt ein Draht das Bild. Es ist nicht so, dass ich der Vorzeit nachtrauere, um Himmels Willen. Ich kenne diesen Ort noch, als Hindus die Nase rümpften über die Vorstellung von einer Toilette im Haus. Genau das war allerdings eins der  Anliegen von Mahatma Gandhi, der seine Frau mehr oder weniger zwang, mit einer Porzellan-Toilette auf dem Kopf balanciert durch die Dörfer zu ziehen, damit das Menschenmögliche sichtbar wird. Nein, kein Nachtrauern, eher ein Bemühen, das momentan Seiende einigermaßen ‚real‘ einzuschätzen. Worte können einem wenig hilfreich vorkommen, und doch sind gerade sie die Helfer des potentiellen Verstehens, zu dem man selbst bereit ist. Ich habe die morgendliche See-Umrundung wieder aufgenommen, und es ist angenehm, denn die Wege sind gefegt, und alles ruht in einer Art Nacherschöpfung, die mit dem seit Tagen bewölkten Himmel konform geht. Das kenne ich bzw ‚wir‘ kennen das nicht vom November, und Mohans Bruder blickt düster ins Wolkenmeer und meint, dass sich alles verändert, der Himmel, die Menschen, die Herzen. Es ist ja letztendlich egal, ob der Hohepriester aus dem Alten Ägypten schon über das Nachlassen der Herzensgüte geklagt hat, und schließlich gab es genug Plagen und Seuchen und verwirrenden Irrsinn im Epos der Menschheit, aber es ist nochmal anders, wenn man selbst drin ist und was merkt. Was merkt man denn? Klar ist, es häufen sich Zeichen, aber so eindeutig ist das ja alles nicht, denn jede Generation bringt ihre eigenen Zeichen hervor, zerrissene Jeans, blaue Haare, immer klüger werdende Köpfe, lockeren Umgang mit der Technik undsoweiter. Das ist ja nicht das, worüber man zu trauern bereit ist. Es ist eher so etwas wie die gnadenlose Gleichgültigkeit den Tieren gegenüber, die ich hier weiterhin Plastik fressen sehe, und diese Verlogenheit von den heiligen Kühen, weiß doch inzwischen jeder, was von Indien tonnenweise raustransportiert wird, und eben nicht von Muslimen. Und es wurde mir sonnenklar, dass ich mich vor der Entfesselung dieser von Religionen kultivierten Herdentriebe fürchten würde, wären sie nicht eingebunden und eingebettet in Strukturen, die sich seit Jahrtausenden im Blut verankert haben. Nicht, dass diese Formen Aussage machen können über das, wie es ist oder sein kann mit Menschen, sondern nur darüber, was den meisten Menschen leichter und zugängiger  erscheint als eigenes Denken und eigene Wahrnehmung. Und ich nehme durchaus wahr, dass etwas Unheimliches und Beunruhigendes im Gange ist, und es hat ganz sicher mit dem Ausmaß der Habgier zu tun. Wenn nur noch zählt, was ich selber haben will (auch das heilige Heil), und wie ich rankomme an das Ding oder die Sache, die ich glaube, dringend zu brauchen. Man will ja auch keine Spielverderberin sein oder ständig auf die auffallende geistige Bewölkung hinweisen, ohne selbst in die Schusslinie zu geraten. Die gemeinsame Frage ist vielleicht: was ist angebracht, angemessen, hilfreich, um das labyrinthische Rätsel zu lösen zwischen dem Ich, dem Wir und dem Garten, den wir gemeinsam bewohnen.

abrunden

So, es ist wieder etwas Ruhe eingekehrt am gerne heilig genannten See, wo im fernen Einst einmal ein von Lepra befallener König von der Reinheit des Wassers geheilt wurde. Viele Anekdoten ranken sich um solche Orte, und oft kann man die Verbindungen zu den Geschichten untereinander nur noch mühsam herstellen, also wie kam das Kamel zum Unsterblichkeitsritual, das Karussell zur Fastenkur, das Ei zum Osterhasen usw. Wer das unnötige Herumgrübeln lassen kann, dem wird einiges erspart, aber nicht alles. Es ist ja überall. Fährt man zum Beispiel mal nach München, um Freunde zu besuchen, starrt man verblüfft auf eine Bevölkerung in Lederhosen, Wadenstrümpfen, Dirndl. Aha! Das Oktoberfest!?, und ein Kaiser, der das Volk mitfeiern lassen wollte. In einen ernsteren Konflikt könnte ich allerdings nur kommen, wenn ich entscheiden müsste zwischen Bierkrug, Büttenrede (sollen ja oft sehr klug sein), und See-Anbetung. Ich habe heute mal wieder eine Runde gedreht und vor allem die Sweeper geehrt, die Unmengen von Zurückgebliebenem in ein Irgendwo schieben. Ich besuche den Priester im Krishnatempel, um zu schauen, wie er das Ganze verkraftet hat, obwohl es für die meisten einheimisch Beteiligten vor allem um die Chance geht, mehr Geld zu verdienen. Der Priester priestert, der Händler handelt. Nicht weit von meiner Tür entfernt streckt ein Brahmane lediglich den Ankommenden die fordende Hand hin mit der Bemerkung, er sei Brahmane. Er ist der Ansicht, dass das reicht, um beschenkt zu werden. Eigentlich sollten sie ursprünglich die Gebenden sein, aber das ist überall schwierig geworden gemäß der Zeit, zwischen Geben und Nehmen klar zu unterscheiden. Was ist für mich, und was ist nicht für mich. Wo nehme ich gerne an, wo gebe ich zurück, was mir möglich ist. Soll ich Prithvi, den jungen Bettler, dem bei einem Unfall ein Bein verloren ging, wieterhin anfeuern, irgendeinen Job zu finden, um aus der Bettlersphäre auszusteigen, oder soll ich ihm einfach (weiterhin) einen Schein reichen. So merke ich auf dem Rundgang, dass zwar wesentlich weniger Menschen unterwegs sind, aber alles dennoch weitergeht. Das Baden, das Beten, das Betteln, das…nein, kein ‚B‘ mehr (das Brahmanentum, das Böse, das Billige, die Bettwäsche, das Bienenwachs, die Busfahrten) nein, man muss sich auch weiterhin selbst zur eigenen Ordnung rufen und eben kein ‚B‘ mehr produzieren, wenn man keins mehr will. Außerdem hat der Monat auch noch anderes zu bieten. Er heißt Kartik und ist der bedeutsamste Monat im Jahr und wird auch gerne als das Fest gesehen, wo man seine Liebe vertieft. Da gerade das elektrische Licht verschwunden ist, sehe ich das als einen tief genugen Punkt an, um hier rechtzeitig abzuschließen.

immer (auch)

Eben: die Wundertüte. Sie öffnete sich so verlässlich wie stets. Der von mir neuerdings unöffentlich genannte ‚Diktator‘  (Narendra Modi) ließ die Kommunikationsschleusen für uns, das Dummerchenvolk, wieder öffnen, leider nicht in Kaschmir, wohin er allerdings eine Gruppe rechter Minister aus Europa einlud (Empfehlung zum Nachlesen), um zu zeigen, wie schön es da ist, wenn die Muslime in ihen Häusern eingesperrt werden und schon seit Wochen kein Netz haben, da hat er es vermutlich gelernt. Man sieht, ich bin noch am Verarbeiten, es kommt ja immer wieder Neues hinzu, natürlich auch erfreuliches Neues. Es kam dann also der ganz wichtige Abend, Vollmond und noch einmal das Eintauchen Aller in den Schöpfersegen, denn danach, verkündete er (Brahma) einst, wird das ganze Feld, das heißt der ganze Umkreis, in die Luftebene gehoben, und Schluss ist mit dem Unsterblichwerden. Aber zurück zum letzten Festakt, der direkt vor meinem Fenster stattfand, sodass ich mich entspannt im Schatten des Erkers mit meinem Espresso niederlassen konnte. Überhaupt hatte die Rückkehr der Netztverbindung eine Art Erlösungseffekt auf mich, denn obwohl Indien groß ist und ich Herrin im eigenen Haus, kam ich mir zwischendrin vor wie verbannt an einen Dorfteich, in dem auch die Fische um Atem ringen. Natürlich ist da auch eine Spur Addiction drin, aber vor allem bitte Zugang zu anderen Welt -und Begegnungsformen, der Austausch mit Freunden auch in anderen Ländern etc. Gut, unten war Ravi also wieder voll in Fahrt mit der super special Gottesandacht. Sein Vater, der Sohn und er selbst waren in makellose, tiefrote Tücher hineingewandet und sangen sehr lange Sanskrittexte, während der Mond sich ab und zu durch die Wolken hindurch zeigte und wieder verschwand. Überall am See blinkten Tausende von Öllämpchen, ich hatte keine Lust, Photos zu machen, es war nicht einzufangen. Solche Feste zu ekstatischem Höhepunkt hingestalten und alle mitnehmen, die dabei sind, das können sie, Hindus, wirklich auf geniale Weise. Es ist wie ein eingeübtes Stammesritual. Ravi gibt ein paar Anweisungen und schon trägt kein Fuß mehr Schuhe, Touristen und Touristinnen drehen sich willig im Kreis oder heben die Hände zur Preisung des Ortes, alles wie in Trance. Das ist genau das, was dann politisch gefährlich wird. Aber noch beim Fest bleiben, denn der beste Teil kam noch, obwohl die gähnend langen Texte einen Großteil der TeilnehmerInnen bereits in weitere Belebungen getrieben hatten. Es kamen Tänzerinnen des berühmten Odissi Stils, von dem es schon im 1. Jahrhunder v. Chr. Abbildungen gibt, ein wunderbarer  Tanz, aufgeführt von jungen Frauen, die hinreißend anzusehen waren mit diesen fast mathematisch exakten Bewegungen, sehr komplex, sehr kunstvoll, dazu die uralten Gesänge, die sofort ihre Wege in die Herzgegend finden und einen (mich) einen langen Moment lang wissen lassen, dass es die Sanftmut und die Menschlichkeit und die Gewaltlosigkeit gibt. Da ist man dankbar, wenn man, wenn auch fast zufällig, dabei sein kann. Ich konnte auch sehen, dass Ravi (da ich ihn nun schon mal beim Namen genannt und alles, was ich hier sage, ihm selbst schon gesagt habe), dass er weiß, was er tut, auch wenn es manchmal schwer zu ertragen ist, aber es bringt in der Tat viele Menschen, wenn auch nur kurz, so dennoch in einen Einklang, der anderweitig schwer zu erreichen wäre. Es sind die Rituale, die verbinden, und solange es Gläubige und Glaubenswillige gibt, wird es funktionieren, also vermutlich ‚immer‘, solange das Immer eben andauert.

Bild: einer der Odissi Tänzerinnen gestern Abend.

aufregen

Das ist mein Text von gestern, den ich aus lauter Frust in die Word Datei schrieb in der Hoffnung, das sich die Netzverbindung erholt. Bis zum Abend war kein Zugang. Gerade dachte ich, ach schau doch mal nach, da war sie tatsächlich. Es ist 6 Uhr früh und ich sende hinaus, bevor es vielleicht wieder schließt, diesmal aus Netzüberladung der Hunderttausenden von PilgerInnen.
Es gibt Aufregungen, denen man ausgesetzt ist, oder man kann sich selbst mehr oder minder freizügig aufregen, wobei es sicherlich ratsam ist, wenn man einige Tatsachen, die Aufregungspotential (für einen) haben, wenn man sie also bündelt und sich einmal so richtig gründlich aufregt. Ich habe einige Gründe gesammelt und lege nun los. Seit letzten Samstag Abend, den ich eh schon ‚schwarz‘ betitelt hatte, fiel das Internet aus. Nein, dachte ich, das darf jetzt echt nicht wahr sein, war es aber. Kein Internet. Ich ging in den Bazaar, wo der Simcard-Verkäufer und Netztauflader sitzt und frage ihn nach Rat. Der weiß aber schon, dass das  persönliche‘ Internet im ganzen Land abgestellt ist wegen Unruhebefürchtungen in Ayodhya, einem religiösen Ortsvulkan, der seit Gedenkzeiten brodelt, weil beide, Hindus und Muslims, dort ihren Tempel oder ihre Moschee bauen wollen, und nun hat König Ram (aus dem Epos „Ramayana“) gewonnen. Das Hinduvolk jauchzt in ekstatischem Aufschrei (als könnte es sein, dass Muslime gewinnen!). Da sperren sie uns das Internet für zwei Tage!!!!, als könnten die Terroristen nicht auch wie ich ins Cafe zum Bandbreitbesitzer gehen und sich zum Rioting verabreden, wobei ich zumindest ein paar Messages weiterleiten konnte. Drei Stockwerke unter dem Cafe wohnt die Brahmanenfamilie, die ich ab und zu besuche. Dort feiern sie gerade die Hochzeit von Tulsi (also dem kleineren Basilikum, das wir gerne auf den Mozarella legen), der allerheiligsten indischen Pflanze, mit dem Saligram (einem kleinen, schwarzen Stein). Die Dame des Hauses zeigt mir entzückt allerlei Ware, die der Pflanze geschenkt  werden wird wie einer Braut eben, auch kleinen Schmuck bringt sie herbei und labt sich an meinem Staunen. Wie, sage ich zu dem Hausherrn, habe ich das richtig verstanden? Ich lese bei Wikipedia nach und weiß danach genauso wenig, weil es kaum zu fassen ist. Die Pflanze war eben mal eine Frau undsoweiter und ist halt jetzt eine Pflanze. Zum Glück bewege ich mich bereits in der Aufregung und muss mich deswegen nicht besonders anstrengen. Ich setze mich eine Weile an den See und lass auf mich wirken, was da ist. Unentwegter Strom von Menschen zieht vorüber. Nanu!, denke ich, da sind ja überall aufwendige Pujas (Gottesdienste) am Laufen, um die sich erfreute PilgerInnen sammeln, um etwas Tiefes zu erleben. In Wirklichkeit aber konkurrieren Priester um die heilige Herrschaft. Ravi hat das angefangen, und ein paar andere zogen hinterher.
Halbnackte, geölte Oberkörper werden in goldbebortete Tücher gehüllt, das Haar geöffnet, alle Arten von Ketten um den Hals gelegt und los geht’s. Eigentlich habe ich schon vorher aufgehört, mich darüber aufzuregen, vor allem über Ravi, der abends in die Gottheitenhülle morpht und nachts irgendwann YouTuber wird, wo er sich vorstellt als einen verehrungswürdigen Gelehrten. So ist das. Da tatsächlich jede/r tut, was sie und er eben können, ist es natürlich
irgendwie albern, sich aufzuregen. Da fehlt dann doch der nötige Pfeffer. Ab und zu schaue ich mal auf die Displays, ob vielleicht doch die Verbindung da ist, aber man hat mich unterwegs schon informiert, dass sie (die da oben) das Netz tropfenweise wieder öffnen würden, die wissen ja sicher, warum. Oder wissen sie’s am Ende doch nicht. Das könnte besorgniserregend sein, wüsste man nicht von der Wundertüte.

schwarz

Wie jedes Bild in der Welt, so hat auch dieses vollkommen schwarze Bild eine Geschichte. Günstigerweise ist auch noch Samstag, man erinnert sich, schwarzer Stein, schwarzer Gott, Frauen ist der Zutritt zu seinem Reich verboten undsoweiter, insofern könnte ich auch sagen, ich hätte meinen eigenen Basilitstein erzeugt, wo ich hingehen kann, aber so ist es nicht. Um fünf Uhr früh nämlich, als ich schon zu eifrigem Getrappel und Gesinge der PilgerInnnen erwachte, fiel mir ein, dass ich gar kein Bild habe von dem laufenden Fest, eine gewisse Ermüdung, die sich eingestellt hatte. Da stand ich auf, ging ans Fenster und knipste zweimal in das bereits von  badenden Körpern übervolle Wasserbecken hinein. Zwei Minuten später rüttelte es an meiner schweren Holztür. Ich, vermutend , dass jemand die Tür für einen Tempeleingang hielt, rief hinaus, dass es privat sei und bitte aufhören mit dem Rütteln. Aber es wurde immer mehr gerüttelt und die Tür fast eingestoßen, und zum Glück machte ich dann doch noch auf, denn es waren ein Polizist und eine Polizistin. Diese aufgebrachte Frau raste sofort in den Raum hinein und schrie „Video! Video!, und es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass sie mein Handy suchte. Ob ich nicht wüsste, dass Photographieren während des Kamelfestes (Mela genannt) nicht erlaubt sei. Vor lauter Verblüffung fand ich mein Handy nicht gleich, dann aber doch, und war erleichtert, dass ich nicht zwanzig gute, sondern nur zwei schlecht belichtete Shots vor den strengen Augen der Frau löschen musste. Weil die unmäßig vielen  PolizistInnen aus der nächsten Stadt eingeschleust werden, vermutlich wegen potentieller Terrorgefahr, konnte ich mich ein bisschen als nix verstehende Touristin darstellen, die wenig Böses im Sinn hatte wie zum Beispiel heimlich halbnackte Hindus aus einem Versteck heraus vor die Linse ziehen und heimlich mit Anderen darüber kichern. Ein bisschen unangenehm war, dass kurz vor dem Einbruch der Polizeigewalt in meine klösterliche Stille ich das Moskitofenster geöffnet hatte, um die kriminelle Tat zu tun, da kam ein Brahmane, den ich gut kenne, unten vorbei und schaute ernst zu mir hoch. Mit dem muss ich später mal reden, wie das zusammenhing. Auf jeden Fall wird er der einzige Bewohner der Stadt sein und bleiben, der mich ungeschminkt und ohne Turban vor die Augen bekommt. Zum Glück war es dunkel, aber das ist wieder eine andere Geschichte. Nun muss ich annehmen, dass es erlaubt ist, sich innerhalb des Familienclans unentwegt zu belichten, aber klar, ist ja verständlich, will man nicht, dass Halbnacktphotos der Ehepartner durch die Welt reisen. Insofern habe ich innere Konsequenzen gezogen und mich heute mit einem Dunkelkammerbild begnügt. Es gibt Momente, da freue ich mich wirklich darüber, dass mein Humor mich nicht verlässt. Er hat bei mir ein freies Leben, und ich könnte ihn ja auch nicht bitten, bei mir zu sein, wenn ich ihn brauche. Aber wenn er dann verlässlich erscheint, merke ich, wie lebenswichtig er für mich ist, nicht zuletzt, um die Dinge in ihrem eigenen Kontext einzuordnen und keine (zu) düsteren Schlüsse zu ziehen.

Gäste

 

Es hat mehrmals kübelweise gegossen, und Nebelschwaden zogen hin und her, da habe ich öfters mal das Fenster geschlossen. Dann ab und zu wieder aufgemacht und schon auch gestaunt, dass drunten im Wasserbecken die Rituale ungetrübt weitergingen, zum Beispiel das in voller Kleidung (Frauen!) vollzogene, ganzkörperliche Eintauchen ins Nass, klar macht da ein Regenguss keinen so großen Unterschied. Ein Priester, unter Dach (und Fach), hatte einige Pilgerinnen bis zur Taille in Reih und Glied vor sich im Wasser stehen, so lange, bis ich das Gefühl hatte, Zeugin eines perversen Vorgangs zu sein. Wer soll und will das alles beurteilen können? Faszinierend ist doch hauptsächlich die Tatsache, dass Gott und Götter so eine unglaubliche Macht haben, dass, würden sie endgültig entfallen, vermutlich ein zuvor ungeahntes Chaos ausbrechen würde, die Menschen noch gefährlicher werden würden wie Raubtiere, ja?, echt?, man weiß es ja nicht. Was man weiß ist, dass Menschen andere Menschen ohne Gottbezug sehr viel schwerer dazu bewegen könnten, in riesigen Gruppen in trüben Gewässern glücklich lachend herumzupanschen und unentwegt Lieder zu singen, die sie aus den Dörfern mitbringen, wo das Leben der Frau noch ganz und gar auf das Wohlergehen der Männer und Tiere ausgerichtet ist, und wo man Gefahr läuft, von Familienhand mit der Axt getötet zu werden, wenn man den Falschen  liebt. Nur die Götter können die Frau auf Reisen bringen und hinein in das Wasserbecken, wo sie (außer an den Menstruationstagen) ausnahmsweise nicht kochen muss, das allein ist ja schon das Heilige wert. Absolut bewundernswert ist aber auch, wie sie in den riesigen Massen miteinander umgehen. Es läuft ja gerade das Kamelfest an, und es sind immer Hunderttausende, die auf das Gebiet einströmen. Überall ist freies Lagern, seit Neuestem auch Polizisten an jeder Ecke, schlapp und müde auf ihre Smartphones starrend, damit sie beim Sitzen nicht einnicken. So kann man beobachten, wie der Strom der Menschheit sich vorwärtswälzt, bewegt von geheimem Antrieb, der den Namen Krishna erhält, oder Lakhsmi, oder Shiva. Wir Fremdlinge haben damals auch die Frage „Warum“ mitgebracht. Auch in der streng yogischen Praxis hat man uns geraten, das Wort abzulegen, was sich zwischen Ost und West als entscheidende Schwelle zeigte. Die Weiterfragenden trennten sich langsam aber sicher von den Mitschwimmenden. Auch da ging es viel um Position und Glsuben, der als Wissen vermittelt wurde. Nun weiß ich selbst nicht wirklich, ob es ohne vertikalen Antrieb wirklich gut geht, und vielleicht war d a s damit gemeint unter PoetInnen und PhilosophInnen, dass man um die Gottesfrage nicht herumkommt, das ist wohl wahr. Dann, wenn man sieht, dass die Frage bei unermüdlichem Weiterwandern sich selbst beantwortet und klärt, kann man tatsächlcih vielleicht den Garten eines Tages weit öffnen und alle einlassen, sind ja eh schon alle da, das Christkind, Jesus, Buddha, Allah und dieses wilde Gewusel von Hindu-Wesen. Und dann die Engel, wer wollte auf sie verzichten, weiß man bei ihnen doch wenigstens, wo sie herkommen und wo sie hingehen, und wann sie bei einem zu Gast sind.

geboren werden

Dieses Bild oder besser dieses Blatt mit den Füßen habe ich vorgestern auf der Steinplatte entdeckt, und da ich Zahlen mag, habe ich sie mir genauer angesehen. Es ist ein indisches Geburtshoroskop, und ein Staunen hat mich erfasst, als ich bemerkte, dass alle Zahlen meines eigenen Geburtsmomentes darin vorhanden waren. Na, wenn d a s ein Zufall sein sollte, dann käme es immer noch auf mich an, die Verbindung herzustellen. Aber nicht genug! Heute i s t mein Geburtstag, und ich erlebe hier eine feine Schnittstelle zwischen dem Unpersönlichen und dem Persönlichen, indem ich mich mal zur Abwechslung weit aus dem Fenster des Persönlichen hinauslehne. Ich bin in Berlin geboren, als das große Morden noch voll im Gange war, und als Eltern noch dachten, ihre Kinder kriegen nichts mit von all dem Grauen, sind ja Kinder. Während meine Schwester noch in einer Privatklinik zur Welt kam, war es bei mir schon ein Bunker, da andere Ärzte gar nicht mehr zu finden waren. Das heißt, sie, meine Eltern, fanden einen, aber der hatte nichts mehr zur Hand, um Leben in die Welt zu bringen. Da fiel meine Mutter die Treppe hinunter und war sehr mit einer Kniewunde beschäftigt, als sie den Arzt sagen hörte, dass das Kind hoffentlich durch den Sturz nicht behindert werden würde. Was dann in den dunklen und hellen Korridoren des Seins sich entfaltete für mich, kommt mir auch heute noch außerordentlich günstig vor. Fakt ist, ich habe diese Schrecken und dieses Grauen überlebt und habe Deutschland früh genug verlassen, um in der Aufarbeitung der Geschichte nicht unterzugehen. Da, wo ich hinging, halfen mir Zeit und Kunst, das Innere nach außen zu bringen, mich politisch zu engagieren, ja klar: für den Frieden und ein Leben, das man selbst in die Hand nahm und dadurch nachvollziehen konnte. Und LSD, frisch und kristallklar aus den Laboren hervorgekommen, half auf jeden Fall dabei, das Wunder(n) über die Schöpfung wieder in einen lichten Zusammenhang zu bringen. Als ich dann endlich Indien erreichte, erschien mir die Sonne auf meiner Schulter wie etwas, was ich lange nicht gespürt hatte, so vertraut war mir die Nacht geworden. Ich fühlte, wie ein neues Leben auf mich zukam, und jahrelang zählte ich mich zu den ‚Zweitgeborenen‘, ein Begriff, der in Indien in anderem Kontext benutzt wird, aber auch nicht so weit entfernt von meiner Deutung. Während ich in Berlin direkt aus der Asche kam, fand ich mich hier in einer Gesellschaft, die genau zu mir passte, so, wie ich irgendwie zu ihnen passte. Das wirklich Geheimnisvolle an all diesen Vorgängen ist die indische Tiefe der Wahrnehmung, die ich mir zu eigen gemacht habe: zu wissen, dass da eine Intelligenz wirkt, nein, kein Gott, sondern eine freie Intelligenz des Systems selbst, das sich so erschafft, erhält und vergeht, wie es seine Art ist, diese Kunst, in deren permanenter Darbietung wir uns bewegen, einerseits frei, und dann doch sehr gebunden. Wenn man allerdings ein Glückskeks ist, dann verwandelt sich diese Gebundenheit langsam, natürlich nicht ohne Mühe, um Himmels Willen, was wäre das Abenteuer ohne die epischen Prüfungen, verwandelt sich das Verhaftete also langsam, sehr langsam in das Verbundene, was einem selbsr guttut, und dann auch den Anderen. Und dann ist heute Donnerstag, mein Lieblingstag, und die Frau, in deren Haus ich sitze, hat heute auch Geburtstag, und Reena auch, ein paar Häuser weiter von hier. Ich bin mitten in prasselndem Regen  aufgewacht, und obwohl mein Mitgefühl die PilgerInnen begleitet, war ich froh, hier in klösterlichem Luxus den Morgen verbringen und vor mich hinkontemplieren zu können. Schließlich ist Geborengewordensein etwas zutiefst Persönliches, nur einmal in dieser Form und mit diesem Wesen ausgestattet, um dem ganzen Vorgang zum Gelingen zu verhelfen.

träumen


„Vishnu“, wollte ich mein Gepinseltes nennen, denn dieser Hindu- Gott träumt das Universum empor, auch den Schöpfer, also alles. Natürlich hat er auch noch anderes zu tun, was hier nicht Thema ist. Aus dem deutschen Freundeskreis kam dann dieser Artikel über die extreme Luftverschmutzung in den indischen Großstädten und das Bild der Smog-WandlerInnen, das auch einem Traum entstammen könnte. Inzwischen muss Vischnus Träumen ein Albträumen geworden sein, aber der Glaube ist ungebrochen. Es ist mir hier bei Begegnungen bis jetzt gelungen, nicht allzuviel Politisches ins Spiel zu bringen, denn es ist reine Kraftvergeudung. So, wie es vor ein  paar Jahren, als der Plastikverbrauch explodierte (freie Tüten), niemand die Verbindung zwischen sterbender Kuh und weggeworfenem Plastik herstellen wollte, so will nun das indische Volk nach zeitloser Seelenüberzüchtung endlich voran an die Spitze der Welt, will Atomkraft besitzen und als vierte Nation oben auf dem Mond gelandet sein wollten, was dann misslang, nicht, dass der Erfolg nicht noch mehr geschadet hätte. Öfters schon mal habe ich in Indien beobachten können, wie etwas, was bei uns im Westen  schon war, hier an seiner Quelle zu beobachten ist. Gerade gehörte die Welt noch den Göttern, da ist auf einmal die Welt zum Kaufen da. Sehr viele können alles haben, was das Herz begehrt. Was begehrt denn das Herz? Wir, die wir uns aufmachten nach Indien, kamen ja schon aus dem relativ erfüllten Herzbegehren, was den Zugang zu Materie betrifft. Jetzt sehe ich die InderInnen auf eine Weise Geld ausgeben, die mich in Erstaunen versetzt. Ward ihr nicht diejenigen, die mir erzählten, dass ein Meister jeglicher Art nur so viel besitzt, dass es an zwei Nägeln Platz hat. Nun ja, ganz so weit kam ich dann selber nicht, und es ist nichts, was jemand so machen muss. Auch die Einschränkung des Habenwollens ist nur eine Einstellung. Jede/r muss für sich selbst die Konturen stecken. Aber was soll das! Auf den Mond wollen, während die BewohnerInnen der Hauptstadt ersticken. Narendra Modi ist einer dieser Trickster, die man nicht zu fassen kriegt, weil er schon zu viele im Griff hat. Hinter ihm stehen nicht nur Armeeoffiziere, sondern Heerscharen von safranfarbenen „Heiligen“, die dem Sohn eines Teemachers (Modi) große Pläne zutrauen: wieder die blutsreinen Aryer herstellen, deren Stunde nun gekommen ist. Derweilen werden die Gerüste leerer Rituale stabilisiert. Eine Stimme schallt über den See und erinnert die PilgerInnen daran, dass nicht photographiert werden darf. Das muss der schlafende Vishnu gewesen sein, denn kein Mensch hält sich mehr an das Gebot. Nicht nur im Trocknen, sondern auch im Nass wird photographiert und geselfied. Das habe ich auch schon gemerkt: dass das Leben, auch meins, ohne Smartphone nicht mehr denkbar ist. Verführerisch, diese technische Materie, und so unterhaltend.

einheimisch

Es kann genau so schwer sein, sich wieder von etwas zu entfernen, was einmal ganz nahe war, wie sich von etwas zu entfernen, was nie nahe war, aber aus unterschiedlichen Gründen nicht verlassen werden konnte. So bin ich auf viele verschiedene Weisen dieser indischen Kultur zutiefst verbunden und kann sagen, dass ich dem Gefühl dieser Erde, und was auf ihr gediehen ist, so nahe kam, wie es eine Fremde vermag. Wie gesagt, es lag nicht nur an mir, dass ich mir einen Weg durch diesen kultivierten Dschungel bahnen konnte, sondern sie haben mich zugelassen. Nicht, weil sie Fremden gegenüber grundsätzlich so freundlich und offen waren (das auch), aber in meinem Fall und bei meiner Ankunft hier an der Pilgerstätte, da passten einfach ein paar Dinge gut zusammen. Mein damaliger Lebenspartner und ich hatten uns freundlich und wohlgesonnen getrennt, und ich fühlte mich beflügelt am Beginn der neuen Strecke, die mich endlich von jahrelangem Aufenthalt in Nepal nach Indien bringen würde. Es war nicht beabsichtigt, unser gemeinsames Haus in Kathmandu aufzugeben, aber so kam’s, heißt: ich kam nie mehr zurück und hatte das Glück, dass dort eine Freundin wohnte, die das Haus gerne übernahm. Denn dieser Ort hier am Rande der Wüste, der war für mich, das war allen bald klar. Meine Beflügelung zeigte sich als etwas , was an diesen Platz gebunden sein konnte, ohne den Flügelschlag einschränken zu müssen. Ich fand auch die hinduistischen Ordnungen, auf ein episches Chaos gesenkt, nachvollziehbar. In der Mitte davon zu leben, jahrelang ohne Pass und Visa, und nur zu fühlen, wie mein Abenteuer an Kräften zunahm, an Unvorstellbarkeit, an Direktheit, an innerem Leuchten, das alles verdanke ich ihnen, wer auch immer sie gewesen sind und immer noch sind, oder wahrscheinlich gar nicht mehr sind, weil sie nie so waren wie da, als ich ankam. Ich brachte ihnen etwas mit, an was sie ihre Furcht messen konnten, und von ihnen habe ich auch meinen Namen, der für mich mit Liebe verbunden ist. Eine Tarnkappe der Liebe, ein offizielles Kostüm, eine tiefe Verborgenheit, ein Wissen um die Dunkelheiten des Menschseins. Und zu erfahren, dass das Belichtete so viel anspruchsvoller ist, genau, es spricht einen ständig an und lässt einen nicht los, so gerne ich es manchmal täte, zum Beispiel das Loslassen von dem, was mir einst so heilig war. Mir war es heilig, kein Zweifel, sonst hätte ich den weiten Weg durch die Wüste nicht geschafft. Fällt das Heilige dann eines Tages weg, ich weiß gar nicht, wann genau das war, als meine vertrauten Götter entschwanden, oder ich selbst ihnen entschwand. Jetzt bin ich eine Vertraute, die auch eine Fremde ist. Seit ich selbst meine Fremdheit wieder an mich genommen habe, kommt es mir vor, als bin ich für die Anderen auf ganz natürliche Weise die Einheimische geworden. Gestern sagte jemand im Vorübergehen zu mir: „Ah, wieder zuhause, Kalima?“ Ja, warum nicht, wieder zuhause, auch wenn es sich vor allem im Inneren  abspielt.

prä

 

Erst wollte ich das dunkle Profil nach links rücken, und das helle in die Zukunft blicken lassen. Aber so erscheint es mir angemessener, und ohne, dass es beabsichtigt war, stimmt dieses Auge in Auge auch besser mit meiner eigenen Befindlichkeit überein. Es ist ein seltsames Phänomen, wenn man einerseits froh ist, sehen, ertragen und mittragen zu können, wie es (um einen herum) so ist, aber andrerseits sich dennoch auch eine Trauer beginnt auszudehnen, des großen Verlustes wegen, der manche Veränderungen begleitet. Ich denke und habe es auch viele Jahre so erlebt, dass es der indische Mensch, auch durchschnittlich gesehen,  über seine Tradition zu einer ziemlich ausgereiften Menschlichkeit gebracht hat, oder muss ich schon ‚hatte‘ sagen. Ich fand immer erstaunlich, dass alle Hindus ihre für uns unvorstellbaren Pflichtprogramme so geliebt haben. Das Schwierige, aber Hoffnungsvolle daran hat sie durchgebracht durch die ebenso unvorstellbaren Tragödien, die ich allein in meiner Zeit miterleben konnte. Der ‚karmische Fluch‘, wie er auch schon genannt wurde, hält zwar den Weg nach vorne frei, wo man immer in anderen Leben noch herumwandern und verbessern kann. Aber in dieser Zeit nimmt das Prinzip des Karmas geradezu ‚mystische‘ Züge an. 35 Jahre lang hat es hier vor Ort nicht mehr monsoonartig geregnet, immer woanders war guter Monsoon, nie hier. Der entstehende Wassermangel drückte schwer auf das heilige Kollektivkarma, schließlich hat hier der Schöpfer höchstpersönlich sein Opferfeuer (Yagya) zelebriert, bei dem seine Ehefrau, Savitri, sich wutentbrannt entfernt hat, weil er, der Schöpfer, eine junge Kuhhirtin an seine Seite geholt hatte, um den präzisen Ablauf  des Rituals nicht zu stören. (Savitri war von einem Narren aufgehalten worden). Sie verfluchte auch damals alle Brahmanen, was sie in der Geschichte verständlicherweise immer weglassen, weil die Pilger ja auch gar nichts hören wollten von so einem Götterfluch. Nun könnte man wegen des reichhaltigen Regens ja kollektiv aufatmen und dankbar murmeln, dass das Feld ja nun entflucht sei, aber wehe! (rief Kassandra), ihr habt überall so viel Dreck und Plastik weggeworfen, sodass der See, erzählte mir Lali, vollgeschwemmt wurde mit Abfall und aussah wie eine Müllhalde. Man musste AbfallfischerInnen einstellen. Wenn die Not zu offensichtlich wird, reicht es bis zur Scheinherstellung, zum Fast-wie-vorher, zum Beinahe-wie. Ich wusste schon vor vielen Jahren, dass ich das Glück hatte, noch auf einem letzten Faden in ein bestimmtes geistiges Gut eingefädelt worden zu sein, beziehungsweise haben sie mich mitfädeln lassen, nachdem klar wurde, dass meine Neugier auf ihre Kultur fast unersättlich war. Die Götter und die Göttinnen fand ich schön und voller Erotik und Lebensfreude, und wenn man sich ein bisschen auskannte und sich ein gewisses Knowhow angeeignet hatte, konnte man seiner eigenen Spur nachgehen und Herrin am eigenen Feuer werden, ja, klingt doch wesentlich fremder als ‚Herr im Haus‘, isn’t? Diese Zeiten sind also jetzt vorbei, das war ja prä Television, gerade war elektrisches Licht eingeführt worden, Jaiho!, Schalter, Gott ist Licht, und es war natürlich vor der digitalen Revolution, und Prä Trump. Manchmal verschwindet unendlich viel, ohne, dass es weiter auffällt. Dann gibt es auch die andere Seite, zum Beispiel wenn es einem verhältnismäßig gut geht, nicht zuletzt, weil man viel von diesen Menschen und ihrer Kultur gelernt hat, und man hat keinerlei Absicht, unnötig im Ich zu versinken. Daher ist man gespannt, was einem noch alles an Förderlichem einfällt inmitten des sich formierenden Tages.

Christina Thürmer-Rohr

Bildergebnis für Thürmer-Rohr

Die Anwesenheit Anderer in den eigenen Gedanken, die Sorge um Andere in gewöhnlichen Dingen, das Wissenwollen, was sie sagen und tun, das Bevölkern von Eigenraum und Eigenzeit durch anderes Dasein, unsentimentale Überraschung, Mut zur Nüchternheit, Bereitschaft zum Antworten, das wäre mehr als Liebe im kleinen und privates Gefühl im einzelnen. Denn die Liebe zu einzelnen Menschen drückt nur in deutlicher und konkreterer Form aus, was jemand überhaupt von Menschen hält. Sie ist untrennbar verknüpft mit dem allgemeinen Zustand der sogenannten Nächstenliebe, wie sie in einer Kultur präsent ist. Wäre Menschenliebe so etwas wie Erinnerung an unsere Existenz als Geschöpfe einer Schöpfung zusammen mit Mitgeschöpften, Erinnerung an die ‚im Plural geschaffenen Menschen“ (Hannah Arendt), dann wären die Verhältnisse untereinander nicht vom mitmenschlichen Appetit abhängig, nicht von einer Erotik des Habenwollens, sondern einer Erotik der Dankbarkeit. Sie wäre Anlass zum Handeln, Antwort auf das, was wir schon bekommen haben.

Dunkles

Samstags ist hier Saturn-Tag, man darf sich fürchten, und obwohl ich heute früh keine Runde drehe, weiß ich, dass dort drüben am Shani-Tempel, dem Gott Saturn geweiht, heute große Öllichter brennen, und Männer rennen um den schwarzen Stein herum, nein, keine Frauen, denn sie dürfen das heilige Dunkel nicht betreten, ein Priester meinte, sie (die Frauen) hätten die Kraft nicht für diese Energie. Es wurde sogar mal durchargumentiert, dann vergessen. Es soll auch samstags mehr (als sonst) gestritten werden in den Familien. Das alles ist ja zu irgendeiner Unterhaltung da und kann von jedem/r unterschiedlich gehandhabt werden. Mein heutiger Dunkelbeitrag zum Samstag ist das Bild oben. Ich habe es von meinem Fenster aus gemacht, daher der Einblick in die Grube. Es ist eigentlich ein Becken, in dem letztes Jahr schon Tausende von PilgerInnen gebadet haben, selig das unsägliche Wasser geschluckt und den Göttern gedankt, dass das obligatorische Bad gewährt wurde. Von diesen vielen Füßen und überhaupt Körpern und Blumen und Gottesgeschenken entsteht ein an Schwärze kaum zu übertreffender Tümpel, der nun seit drei Tagen gereinigt wird von der untersten Kaste. Auf dem Bild sieht man zwei Männer, die von morgens bis abends diesen Dreck auf Plastiktücher schaufeln, die dann von jungen Mädchen weggetragen werden. Es wird im Auftrag von Brahmanen gemacht, die das Ganze überwachen, denn bald werden sie dort an klarerem Wasser Dienst machen an den Gläubigen. Diese Arbeiter, höre ich, bekommen umgerechnet zwei Euro fünzig am Tag, der hineinreicht bis in die Dunkelheit. Wie halten Menschen so etwas aus. Diese Ausbeutung geschieht ja nicht nur in Indien, sondern sie ist immer da, in Kohlebergwerken, in Schlachthöfen, im Großen Undsoweiter. Diese Art von Dunkelheit kriecht über die Welt wie ein Schatten, und lässt sich nieder, wo sie zugelassen wird. Es ist ja schwer, noch einen Menschen zu finden, der kein Smartphone in der Hand hat, aber diese Menschen im Bild sind die Einzigen, die ich gesehen haben, deren Job solch einen Besitz unmöglich macht. Dann weiß man, wo unten ist in einer Gesellschaft. Es kann allerdings sein, dass es nach oben hin noch komplizierter ist, wenn man die Gegebenheiten auf diese Weise überhaupt trennen kann.

murmeln

Bei meinem zweiten Gang am Morgen um den See herum kam ich wegen Wassermassen nur mühsam voran. Eigentlich wollte ich mit Lakshmi Kant einen chai trinken, aber niemand konnte zu ihm gelangen, da sich vor seinem Shop das Wasser staute. Der Priester, auf dem Weg zum Tempel, zog heftig über das Bürgermeisteramt her, die seiner Meinung nach versagt hatten, das Problem zu lösen.Wegen dem überraschend großzügigen Monsoonniederschlag hatte sich überall das Wasser gestaut, da alle Ausgänge mit Plastik verstopft waren. Wer entstopft nun die Quellen? Abgesehen davon wird es in der nächsten Zeit rein visuell viel um PilgerInnen und Sadhus gehen. ‚Sadhu‘ und ‚Baba‘ ist so ziemlich derselbe Ausdruck für einen Menschen, oder besser einen Mann, der sich aus irgendwelchen Gründen entschieden hat, entweder gar nicht zu ehelichen, oder aber den Haushalt zu verlassen und auf spirituelle Wanderschaft zu gehen. Das geübte Auge hat keinerlei Schwierigkeiten, den getarnten Scharlatan zu entdecken, und es ist eher so, dass man sich über jedes Tröpfchen Glaubwürdigkeit freut. Da die Welt der Gottheiten unausweichlich ist, vor allem an einem Ort, an dem der Schöpfer ganz persönlich seine Nabelschnur an das Spiel geknüpft hat, oder war es in dieser Wirklichkeit nicht eher so, dass er aus Vishnus Nabel in einer Lotusblüte emporstieg, um die brahmanische Wissensvielfalt in die Welt zu tragen. (?) Kein Zweifel ist sie nun auch da, ich meine potentiell verfügbar, denn auch im Netz findet man die Veden und die Upanishaden undsoweiter, man findet also alles, deshalb geht vieles unter, was auch untergehen muss, damit für Weiteres Platz ist. In der Zwischenzeit wird weitergemurmelt und gebetet, und ich habe mir bereits eine sanftere innere Gangart gewählt, denn mir ist klar, dass auch ich nicht entkommen kann, denn von dem Blickfeld der ‚Anderen‘ aus bin ich auch auf eine bestimmte Weise im Spiel. So, wie ich keine Ahnung habe, was wirklich in ihnen vorgeht, so haben auch sie keine Ahnung, wie ich das Ganze sehe. Können sie auch nicht, denn ich selbst sehe es, uralt wie es sein mag, doch jedes Mal neu, und am dritten Tag der obligatorischen Runde habe ich über vieles schon sehr staunen können. Wer Staunen mag, sollte unbedingt nach Indien kommen, da kann es durchaus passieren, dass man aus dem Staunen nicht mehr herauskommt. Auf der anderen Seite gibt es die plötzlichen Schocks, das Grauen, der Schrecken, die große, erfrischende Nüchternheit. Das einst von uns allen als so heilig empfundene Land tanzt gar nicht mehr auf dem eigenen, hauchdünnen Seil, sondern es strampelt eher im Abgrund herum auf der Suche…nach was, ja nach was?