Mensch sein


Ankunft des Unwägbaren
Es kann einen doch immer wieder in Erstaunen versetzen, dass wir Menschen von unseren Anfängen an vor allem zwei Optionen zur Verfügung haben, dieses Leben zu leben, beinahe hätte ich „absolvieren“ gesagt, was genau diese Optionen ausdrückt. Das heißt, ich begreife zum einen das Leben als etwas, das irgendwie geleistet werden muss, meist ausgerichtet auf gesellschaftliche Vorstellungen und gemäß der jeweils vorhandenen Ordnungsgefüge, also Schulung, Heirat, Kinder, und vor allem das Geldverdienen, damit die gewaltige Schöpfung und ihre Bedürfnisquellen voranbewegt werden können. Oder zum anderen komme ich irgendwann in Kontakt mit der ebenfalls herausfordernden Idee, dass ich Gestalter:in und Beweger:in meines Erdendaseins bin und folglich irgendwann die enorme Bürde des Menschseins auf mich nehmen will und dann auch muss, wenn die Sache mal in eine klar eingeschlagene Richtung läuft. Vor allem in den letzten Jahren kommt es mir (erneut) so vor, als würde sich das „Menschsein“ an sich in der Tat, also in der Umsetzung, als die wirkliche Kunst erweisen, die sich zu erwerben wirklich lohnt. Jetzt nicht im Sinne eines zu erhaltenden Lohnes, sondern wenn einem der Erdaufenthalt nur lebenswert erscheint, wenn man so viel wie möglich von sich selbst versteht, also das Auge von außerhalb auf sich richten und sich selbst einschätzen kann. In Indien habe ich einmal ein Bild von Shiva in seiner Funktion als Yogi gesehen, auf dem man sehen konnte, wie sich aus der Stirn das dritte Auge löst wie an einer dehnbaren Schnur, sodass es sich von außen selbst betrachten kann. Nun merkt man unterwegs, dass man die eine oder andere Straße eingeschlagen hat, wobei Bewertungen der Lebensstile hier keinerlei Rolle spielen, denn überall gelten letztendlich dieselben Gesetze. Aber was auch immer ich selbst wähle, da muss ich meine Aufmerksamkeit erhöhen und lernfähig sein in Kontakt mit dem Ungestalteten, für das ich Verantwortung trage. Durch die unzähligen inneren Entscheidungen entwickelt sich mein Menschsein, und vor allem i c h muss mit der Person umgehen können, die ich aus mir gemacht habe. Ein großes Glück, wenn man sich einigermaßen redlich durchgeackert hat und gespannt ist auf das, was noch des Weges kommt und keinerlei Sicherheit bietet, und ob ich mich darauf verlassen kann, das alles für mich und die Anderen in bestem Sinne zu handhaben.

Markus Gabriel

Autor Gabriel

Die philosophische Anthropologie befasst sich mit der Frage, wer oder was der Mensch ist. Jede konkrete Antwort auf diese Hauptfrage der Anthropologie liefert ein Menschenbild. Ein Menschenbild ist im Allgemeinen eine Selbstbestimmung des Menschen, d.h. eine konkrete Auffassung davon, worin das Menschsein eigentlich besteht.

aus:“Der Mensch als Tier“

echt jetzt

Mit den leicht ermüdeten Ohren, die wir nun alle haben wegen des regen, anregenden und aufregenden Weltaustausches, habe ich gehört, ganz professionell vorgetragen von der Nachrichtensprecherin, dass nun irgendwie der Wunsch, oder ist es die Not, geboren wurde, dass nämlich in den Schulen die Kinder und Jugendlichen geschult werden sollen darin, wie man, das heißt wir alle, mit einem potentiell eintretenden Kriegsgeschehen umgehen sollen. Sie sollen also kriegstüchtig werden, da wäre dann das beliebte deutsche Wort „tüchtig“ mit drin. Die Kriegstüchtigkeit hat ja in den letzten Jahren an Fahrt aufgenommen, und man darf schon staunen, dass all das, was wir davon mitbekommen haben und weiterhin mitbekommen, einfach nicht ausreicht, um zu verstehen, dass wir den Kipp-Punkt schon hinter uns haben. Es kippt, wenn die klare Einsicht keine Chance mehr hat, und weder vergewaltigte Frauen noch verhungernde Kinder noch tote Väter haben geholfen, dem ganzen Grauen Einhalt zu gebieten. Es geht ja auch um ganz andere Dinge, sei es Öl oder Land, auf jeden Fall Gewinn, und das alles für die paar Jährchen, die man hier verbringt. Und natürlich gibt es noch ein paar Orte, wo man fragen könnte: w i e, verehrte:r Menschseinsanwärter:in, willst du die Jährchen verbringen? Als Tier, als Mensch oder als Mörder? Ich weiß, meine Worte führen hier in die Leere. Sie sind ein Produkt des großen Trotzquam, in dem Noor Nahtlos um ihre Werte ringt. Und klar: fegt aus die verstaubten Bunker und bedenkt rechtzeitig, wie viele von uns immerhin Zuflucht finden könnten in unterirdischen Höhlengängen. Denn alles geht mal vorüber, (this, too, shall pass), dann gibt es wieder viel zu erzählen von dem, was nie sein dürfte und offensichtlich doch immer wieder darf. Und die Inder in Putins Armee sind bestimmt froh, dass sie einen Teil der 3000 Piepen im Monat nach Hause schicken können, wenn sie nicht vorher weggepustet werden, u.a. von der Munition, die gerade zusammengesammelt wird, damit das Unvorstellbare sich nicht umsetzt. Noch sitzt der zweite Weltkrieg in den Gehirnkammern, und dazu gehört der Satz, dass ein Krieg niemals endet. Der andere ist, dass jeder Krieg einmal aufhört. Beide sind nicht wirklich mit guten Nachrichten verbunden. Bedenke, sage ich zu mir, das Wort und seine Wirkung!

schade

Innozenz X *

Ja, das ist schade, dass der christliche Papa die Gunst der Stunde insofern nicht günstig genutzt hat, weil es zu völlig überflüssigen Missverständnissen darüber kam, was er gemeint haben könnte mit seinem väterlichen Rat zur weißen Flaggenhissung der Ukrainer:innen. Dabei schien es doch wesentlich angebrachter, dem russischen Neu-Zaren in die möglicherweise vorhandenen Gewissenströpfchen hineinzureden, sind sie doch unter sich im patriarchalen Rausch der vermeintlichen Alleskönner. Und der Papst ist ja noch mächtiger als Putin, wenn man’s bedenkt, und kann die fürstlichsten Gewänder an sich herumschleppen, das trägt auch zur gewünschten Verunsicherung bei, wenn die als solche gemeint ist. Aber nun hat er’s vermasselt, und eine zweite Chance ist nicht in Sicht. Vielleicht ist es Zeit, die sehr hohen Hüte freiwillig abzulegen, natürlich nicht, um die Herrschaften in den Staub der Erdlinge zu ziehen, nein. In die Tiefe soll’s gehen, vorbei an den ungeöffneten Kammern, in denen die Papierrollen zerfallen, und noch tiefer, vorbei an den Yakuza Organisationen im höllischen Triebwerk des Unterirdischen, und da! Auf einmal ein Lichtschein, flimmernd über dem klaren Wasser der Quelle: der Papst als sich selbst, dem es die Sprache verschlägt. Denn wenn einer am Ufer des Erwachens sitzt, meistens ausgelöst durch Katharsis, wird ihm oder ihr die Fremdheit der Welt und der Wesen und Sinn und Zweck ihrer Verkleidungskünste bewusst.

 

* Francis Bacon: „Der Papst schreit“

 

Weltformel

DIE GROßE WELTFORMEL
WURDE IN DIE HALLE GEBRACHT:
WIR STANDEN UND BETRACHTETEN
DAS DING, DAS WUNDER
VOLLBRINGEN SOLLTE.
WIR STARRTEN DARAUF.
WIR ERSTARRTEN.
IRGEND ETWAS GING VORÜBER.
DANN WAR AUCH DAS NICHT MEHR DA.
DER LETZTE HUNGER ERLOSCHEN.
ICH SELBST GING AUS DEM TOR
UND SCHÜTTELTE DIE MÄHNE
UND LAUSCHTE DEM:
WILLKOMMEN,
DU
LICHT,
WILLKOMMEN!

unaufhaltsam


unaufhaltsam
Es ist ein Paradoxon, dass man nach reichlich Lebensjahren und Erfahrung mit einiger Anstrengung bemerkt, wie schwer einschätzbar doch das Phänomen „Mensch“ ist und bleibt. Man hat ja lange mit sich selber genug zu tun (gehabt), bevor man sich einigermaßen sicher sein kann, kein zu großes Unheil mehr anzurichten, ohne letzte Garantie. Aber was diese auffallende Spezies, eingebettet in ein unheimliches, unvermeidbares, unaufhaltsames Wir. Dass einem schon in der Schule alles mögliche Unbrauchbare reingeschaufelt wird, dient ja noch der Gehirnpraxis, um dem optimalen Potential Vorschub zu leisten. Damit man das machtträchtige Geschenk eines brauchbaren Gehirnes schätzen lernen kann, und ja: wie und wo es einsetzen!? Denn zu dem gut funktionierenden Hirn-Labyrinth gehört d i e Dosis Herzblut, die einen befähigt, von dem „So bin ich halt“ zum „Wer bin ich denn?“ zu gehen, also den Pfad  von „human being“ zu „being human“. Kann man, bei aller Schlichtheit, das noch klarer formulieren? Klar, kann man, zb. gibt es „sapere aude“, ein heller Aufruf zum Mut, weise und vernünftig zu sein. Und Kant erwähnt die selbstverschuldete Unmündigkeit, die man allerseits beobachten kann und sich immer mal wieder überprüfen muss, wie weit es einem vorkommt, als hätte man schon so manches gut Gelungene hinter sich gelassen. Hinter sich lassen ist allerdings noch nicht ankommen, denn jetzt geht es um die Transparenz der Richtung, die man einschlägt. Hat man das Steuer in der Hand, bedeutet auch das nicht automatisch, dass der Wind günstig ist und die Richtung sich erweist als klug gewählt, sodass man es unter allen gegebenen Umständen vermeiden kann, zum Mörder oder zur Mörderin zu werden. Oder man entdeckt ganz für sich, dass man der scheinbar unausweichlichen KI-Euphorie doch etwas entgegen setzen kann, indem man genauer darauf achtet, was man dem eigenen Futtertrog des Geistes beigibt, und welche große Verantwortung ich dafür trage, und eben kein Anderer.

Ludwig Wittgenstein

Der Kopf dreht sich einmal so, einmal so,
aber es ist wünschenswert, dass das Herz,
wie die Kompassnadel auf dem Schiff,
sich nicht mit dreht.

 

wach



woistwasundwasistwoundwasistom
Es ist also wünschenswert, Klarheit zu erlangen im Dickicht der persönlichen und politischen Umstände. Da aber davon auszugehen ist, dass es zur Zeit tatsächlich keine Erdbürger:innen gibt unter uns, die wissen, wie das alles jetzt weitergeht, würde ich nicht unbedingt die Loslösung vom bestehenden Grauen in der menschengesteuerten Welt empfehlen, sondern die zur Navigation benötigte Wachheit gleichermaßen dazu verwenden, sich selbst, also wir uns, als Individuen tiefer zu verstehen. Das Eine ist zu pflegen und zu nähren,was wir uns erarbeitet haben, das Andere ist die Frage, was denn sonst noch alles möglich ist. Auch in Indien hat sich bezüglich des Daseinsrechtes eines einzelnen Menschen, der z.B. seinen Beitrag als Medierende/r in einer Höhle sieht, vollkommen verändert. Und Nietzsche ließ seinen Zarathustra den Berg hinabwandern, vorbei an dem Einsiedler, der sich fragte, ob Zarathustra denn nicht gehört hätte, dass Gott tot sei. Nein, hat er nicht, er will Liebe und Weisheit, eine gern empfangene Kombination, zu den Menschen bringen, wer soll ihn aufhalten. Auch die, die dem Wahnsinn und seinem Ideenreich geweiht sind, können selten aufgehalten werden, und niemand hält das Script in der Hand, auf das man sich einigen könnte. Heute früh in den Nachrichten wurde ich auf einmal hellhörig bei der Nachricht, man wolle nun (verständlicherweise) die Schutzräume, sprich Bunker, wieder herrichten für Eventualitäten, auf die sich der Weltgeist langsam einstellt. Das kann schon beängstigen, allerdings auch wach machen, also so viel wie nur möglich wachsam sein und bleiben in der dafür notwendigen Aufmerksamkeit. Ich persönlich begrüße es, dass eine Zeit gekommen ist, in der die Praxis geistiger Erkenntnisse und Gesetzmäßigkeiten nicht mehr getrennt ist von der Notwendigkeit, die Resultate auch in einfachsten Formen des Alltags anwenden zu können. Dafür war es doch auch gedacht, oder?

Frauentag + Shivaratri

Heute treffen der Internationale Frauentag, den Frauen der Erde gewidmet, und Shivaratri zusammen, dem indischen Gott Shiva geweiht, der sich in dieser Nacht im Tanz verausgabt, während seine Followers wach bleiben müssen, um die Wirkung der Performance auf das Weltgeschehen in Schach zu halten. An solche Nächte, die ich meist an Feuern mit „Sadhus“  (sowas wie Mönche) verbrachte, die mir vorher die Wichtigkeit des Wachseins vermittelten, bevor sie dann ziemlich zügig einschliefen, erinnere ich mich selten, aber gern. Natürlich kann man nicht über tausende von Jahren hinweg immer wieder die gleiche Story für lebendig erklären, wenn sie mit größter Wahrscheinlichkeit eh nie stattgefunden hat. Noch weniger glaubwürdig erlebte ich den Internationalen Frauentag in Indien, wenn Frauen (na bitte!) freies Busfahren angeboten wurde, die diese Freiheit in zermürbenden Kämpfen um Sitzplätze erlebten und viele Männer dachten, das sei doch schon viel. Und kein Wunder, dass die Frauen sich immer so gläubig geben, denn alle events, an denen sie teilnehmen können, sind entweder Hochzeiten oder Verbrennungen oder die holy events, bei denen vorne auf dem Erzählstuhl selten eine Frau zu sehen ist, obwohl auch das vorkommt. Auf den vielen Veranstaltungen, die es heute geben wird, um etwas mehr zu erfahren und zu erzählen, wie es Frauen in dieser Welt so geht, werden viele engagierte Frauen und wahrscheinlich auch ab und zu ein Mann sich Mühe geben, um mit dem düstersten aller Themen ein Angström (altes Maß) oder Nanometerchen voran zu kommen, obwohl in wirklicher Wirklichkeit das Meiste gesagt ist, und auch unter der tiefen Verschleierung Saudi Arabiens wissen sie genau, was los ist, die Frauen. Die Männer wissen es auch, und jeder Slumbewohner. Wie sich fernhalten von den reizbaren Raubtieren, gewohnt an des Dschungels Gesetzlosigkeit. Aber es geht, auch wenn es durchaus kein Klacks ist, angeborene Triebe zu morphen. Sich selbst als Menschen zu gebären, der sich zutraut, das Schädliche  vermeiden zu können. Frauen sind mächtige Geschöpfe. Haben sie sich einmal zur Erkenntnis der unvermeidlichen Gesetze des Universums durchgerungen, kann nur der Tod sie noch aufhalten.

froh

Weiten waren vor mir,
hinter mir: Zeichen.
Abgerundet im Lichtsein
der Sphäre.
Nicht verboten war mir
das Wort, nein.
Angefragt wurde vielmehr
mein ureigenster Ton.
Woher kommst du,
forschte in mir
das Windähnliche,
Furchtsame und doch
Wissende um die Bewegung
des Zeitlosen im Spiel.
Das immer da war und immer
nur  sein kann, was es ist.
Als eine Sprache in mir andeutete,
sie komme aus mir und sei
gleichzeitig Spielerin, gerüstet
mit feinem Werkzeug und
ohne Weiteres in der Lage,
Berührung hineinzubringen
in Welt.
Da war ich sehr froh, meine Freunde,
das könnt ihr mir glauben – sehr froh!

kapieren


Wenn es uns (die Europäer, oder uns Deutsche) gar nichts anginge, dass ein Großteil des amerikanischen Volkes diesen Mann wählt, der zweifellos zu der Gruppe gehört, von dem die uralten indischen Schriften prophezeien, dass in der Zeit der finstersten Ignoranz allen möglichen menschlichen Werten gegenüber die falschen Könige auf den falschen Thronen sitzen. Würde- und wertlose Narren also, denen man ziemlich hilflos bei ihren mangelhaften Gaukeleien zuschauen muss. Da lobe ich mir doch so einen Politiker wie Scholz oder Habeck, denen man wenigstens zutrauen kann, dass sie ihr Bestes geben. Die Frage ist doch eher: kann man nicht auf einen oder von mir aus zwei Blicken sehen, wer Trump ist, und was für ein dumpfes Unheil da auf uns alle hereindonnert, wenn dieser Clown unsere Schicksale infiltriert und seine Abschusslisten überprüft. Aber gut, das Spiel ist noch nicht aus, und vielleicht sollte ich doch mal meinen Cousin in Texas anrufen und fragen, why the f… sie nicht demonstrieren, man hatte doch gehofft, dass unsere Massenauftritte gegen Rechts ein Ansteckungspotential entfalten könnten. Natürlich sagt Trump’s rätselumwobener Triumphzug auch etwas aus über die Zeit, in der wir gerade leben. Irgendwie  und irgendwann begann (es ist noch nicht so lange her) der als sicher geglaubte Boden unter den Füßen zu schwanken. Sucht man nach den ebenfalls vorhandenen Spuren der Weisheit, so wird man mühelos belehrt, dass es bestimmte Irrlehren und Wahnsinnstaten „immer“ schon gab. Und doch geschieht es heutzutage in einer bislang unbekannten Dichte. Totale Überlastung und Vernebelungspraktiken in den Medienwelten, in die künstliche Intelligenz technisch perfekte Wege zu mehr Verwirrung baut. Man weiß, dass keinem Bild und keinem Text mehr zu trauen ist, und die Gerichte mit den Klagen der Beraubten und Geschädigten noch gar nicht eloquent umgehen können, weil das einfach niemand mehr handhaben kann, ich meine den Ausbruch des öffentlich zu beobachtenden Wahnsinns auf so vielen Ebenen der Gesellschaft. Und wenn ich zwischendrin unbedingt mal wahrnehmen muss, wie gut es mir und vielen in unserem Freundeskreis geht, bin ich dankbar, ganz klar, aber zur stillen Freude würde noch gehören, dass man irgendwie kapieren kann, warum so viele Menschen Anderen so viel Grausames antun (können!). Man (ich) kann es aber nicht.

 

spielerisch (?)


Ai* did this
Natürlich könnte die künstliche Intelligenz enfach ein weiteres Spielzeug sein im menschlichen Kindergarten, immer reichlich unterschätzt, dann aber auch reichlich überschätzt und sehr viel seltener real eingeschätzt. Und man merkt hier, dass man anständigerweise an jedem Wort Halt machen müsste, um es noch einmal zu überprüfen auf seine Beschaffenheit, seinen Ursprung und  d a s, was ich selbst damit meine und in welchem Kontext ich es benutzen möchte. Und wenn ich mich nicht irre, steht immer noch geschrieben, dass am Anfang dieser ganz speziellen Schöpfungsidee das Wort stand, ja warum wohl ausgerechnet das Wort? Weil eben das Wort das Schöpfungsmedium ist. Es ist das Instrument, um Manifestation auf der Weltbühne zu ermöglichen. Nun muss man leider feststellen, dass wir (Menschen) gerade dabei sind, dieses Instrument an kalte Maschinen weiter zu reichen, die dann was damit machen, das keine bestehenden Rechte mehr beinhaltet. Nun ist in der Zwischenzeit die Abhängigkeit so groß geworden, dass jede Form des radikalen Entzuges schmerzhaft wäre, oder schon ist, und ganz sicherlich sein wird. Allerdings ist uns das Spielerische im Leben als etwas sehr Angenehmes bekannt, es ist ja gegen sprudelnde Quellen nichts einzuwenden. Aber wie leicht möchte man auch vergessen, dass wir mit einer erstaunlichen Bereitschaft zu jeder Art des Missbrauchs rechnen müssen, der schon in den Startlöchern steckt, bzw. schon voll in Fahrt ist,  während das Studium des Menschseins noch nicht ganz vollendet ist. (Nicht, dass es unbedingt muss!) Zu selten sieht man Beispiele, die einen anregen könnten zu neuer, erfrischender Individuation, wobei auffällt, dass man nur selbst  das Individuum sein kann, das sich direkt angesprochen fühlt von den unzähligen Facetten des Weltgeschehens. Und vielleicht fällt uns ja eine Medizin ein gegen die bedrohlichen und gefährlichen Krankheitserreger, die ausgelöst werden (können) durch betreutes Denken
*AI – artificial intelligence.

beängstigen

Streckt man einmal die fühlenden Finger weit hinaus in die Atmosphäre, so kann man förmlich spüren, wie die Angst geschürt wird. Vor Kurzem war doch Deutschland das paradiesische Schlaraffenland, das sich aus dem Staub der Entmenschlichung herausgebuddelt hat, aus der Schockstarre des Nichtmehrvorstellbaren, also Ground Zero, aus dessen Schutt dann die neue Welt entstand. Und nun wieder Angst, das alles könnte kippen und den regierenden Psychopathen, allen voran Putin und Trump, in die Hände fallen. Aber das reicht auch nicht, um das Level der Panik zu erreichen, das kurz vor dem Totentanz und der potentiellen Selbstauslöschung seinen Höhepunkt hat, nein!. Man findet auch unter den eigenen Parteimitgliedern die billigsten Vorstöße unter die Gürtellinie, vielleicht nur, weil man selbst Kanzler werden will. Oder man weiß zwar insgeheim, dass die Grünen ganz gut durch diese Krisen navigiert haben, und auch der rechtmäßige Kanzler soll ein geschätzter Verhandler sein, aber auf alles muss so hereingedroschen werden, dass man gar nicht mehr hinschauen will oder zu Satire de Luxe schaltet, wo man mal über den Haschflugkörper abkichern kann. Und auf einmal sind andere Länder ganz unzufrieden mit Deutschland. Keine verlässliche Verteidigung, keine Vernichtungswaffen hinüber zu den Kämpfenden, ein Fachkräftemangel, der händeringend nach integrierfähigen Ausländern sucht usw., ja, was ist denn da los. Zwischendurch müssen immer wieder tausende von Menschen ihre Häuser kurzzeitig verlassen,weil es noch vom letzten Krieg so viele Bomben zu entschärfen gibt, die immer noch die ganze Gegend verwüsten können. Klar ist das alles wie geschaffen für Beängstigungen, und so ist es ja auch gemeint: der verängstigte Mensch kann besser kontrolliert und manipuliert werden,und wenn der oder die Einzelne vom Gefühl überwältigt wird, nicht mehr durch die Architektur menschlicher Hirngespinste durchblicken zu können, dann darf man die persönlichen Warnsignale nicht außer Acht lassen. Mir erscheint es wesentlich, mit mir selbst in Verbindung zu bleiben, denn ich bin es, die sich in diesem Irrgarten einen für mich gehbaren Pfad basteln muss.

Themen

Einmal hatten wir einen Gast, der mich drei Minuten nach seiner Ankunft interessiert fragte, was denn gerade so meine Themen seien. Es wurde ein gängiger Scherz in unserer Community, wo es auch den Scherz gibt, dass hinter jedem Witz der Tod lauert. Gut, in Themen muss nicht immer der Tod lauern, aber häufig lässt sich auch das nicht vermeiden. Ist der sich anbahnende oder bereits stattfindende Hungertod im Gazastreifen mein Thema? Ich würde die innere Notwendigkeit, mit der ich mediale Berichte aufnehme, eher einen Volltreffer im moralischen Morast nennen. Das direkte Grauen ist so groß, dass, zumindest für einen Moment der menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit, die Hintergründe verblassen. Solange der Mensch dem sichtlich Unmenschlichen ausgeliefert bleibt, wird irgendwann das Menschsein in den Vordergrund treten, in der Form der Ohnmacht, der Trauer, des Schreckens, der Hilflosigkeit. Manchmal erscheinen die Themen sehr getrennt voneinander, fließen dann aber wieder zusammen und erliegen günstigerweise dem nüchternen Auge und der vernünftigen Urteilskraft. Vernünftig ist auch, bei seinem oder ihrem Leisten zu bleiben, wenn sich eins der Themen darum dreht, welchen Beitrag ich tatsächlich leisten kann, anstatt nur neben dem Schachbrett zu sitzen und Meinungen abzusondern über das Spiel. Dann doch lieber d a s, was ich kann, auch tun. Am besten, so scheint mir, ist es, auf dem Weg der Selbsterkenntnis nicht locker zu lassen, also nicht so schnell zu ermüden. Denn ich denke, wenn mir die Komplexität meines eigenen Systems, beziehungsweise meines Seins, klarer bis kristallklar wird, dann ergibt sich, ganz lebendig und sehr flexibel ein Gesamtbild, welches d a s, was ich bewältigen kann, für mich zusammenfasst. Es enthält die Dosis an Themen, mit denen ich mich im Innersten verbunden fühle und die etwas zu tun haben mit dem persönlichen Maß meiner Menschlichkeit.

wiegen

 

Ich kann mir ganz gut vorstellen, dass Aliens, wenn sie entweder durch präzise Planung oder ganz zufällig bei uns hereinschauen würden (und wenn wir es nicht selbst sind), möglicherweise schockiert wären zu beobachten, was wir Planetarier:innen so alles anstellen hier, und wie wir dieses uns auferlegte Wächter:innentum als ganzes, einzigartiges Kunstwerk nicht wirklich in eine Blüte geführt haben, sondern eher in einen unheldenhaften Sturz in die tiefsten Tiefen der Ignoranz. Das löst wiederum eine Bewegung unter d e n menschlichen Geschöpfen aus, die sich gerne aus verschiedenen Gründen am Rande des Geschehens bewegen, das bekannt ist als das Normale, und dadurch auch Preise bekommen oder bezahlen für ihre von innerster Quelle hergeleiteten Entscheidungen. Auf einmal erheben sie sich wie vom Windstoß entfacht und trudeln hinein in die Mitte, wo immer die Mitte sich für sie abspielt. Dadurch, dass sie sich freiwillig einlassen in das jeweils Daseiende, sehen sie das Ausmaß des menschlichen Umgangs miteinander, also mit der eigenen Art, und von da aus den Umgang sehen mit den anderen Arten, eben denen, die (noch) unbemerkt auf den Seziertischen herumliegen, wo die menschliche Befindlichkeit und ihr Anspruch auf langes Dabeisein das Gefühlsleben zum Ersterben geführt hat. Denn wie kann einer, der unter Beifall der Öffentlichkeit zu solchen Folterungen bereit ist, stolz sein auf sich und sein Tun. Gleichzeitig trudeln die  mit allerlei Künsten und Philosophien sich Herumtreibenden langsam, auf den Beitrag zu müheloser Entschleunigung bedacht, auf den Treffpunkt zu, wobei nicht klar ist, ob es dort nur e i n e große Waage gibt, wo man gewogen werden kann, oder ob jede und jeder sich selbst wiegt und zu einer nüchternen Einschätzung gelangt. Man hat den Tellerrand schon einige Zeit verlassen, hat gelernt, im radikal Ungewissen sicher zu navigieren, und da ist in der Praxis kein Ende abzusehen. Das jedoch ist der Moment, wo Figuren, die bewusst nur am Rande des konventionellen Lebens gelebt und gewirkt haben, einen Shift verursachen im Großraum, indem sie sich selbst auf der Basis ihrer Erkenntnis (des globalen Zustandes) verändern und ihre Fähigkeiten zur Verfügung stellen, befreit vom selbst auferlegten Zwang der Zurückhaltung. „Vom Sein (also) zum Tun“. *
* Vom Sein zum Tun“, Buchtitel von Humberto Maturana

beherrschen

Die Frage, warum künstliche Intelligenz nicht auf alle, aber auf viele (von uns) so eine Anziehung ausübt, ist interessant. Ich muss sagen, dass  d a s, was ich bisher durch leben, also mein Leben, gelernt habe, hält meine Leidenschaft für Science Fiction im Zaum, obwohl ich auch zurecht dort Seher:innen vermute. Denn die Sehfähigkeit hängt ja (nur) von der Neugier oder dem Wissensdurst ab, hinter den Fassaden etwas Lebendiges zu entdecken. Auch „Raumschiff Enterprise“ hat einen damals gut in Fahrt gebracht, und selbst eine Ärztin, die ich für ihre Einsätze bewunderte, hätte gerne die Kunst des Beamens beherrscht, um dem Anspruch an sie gerecht zu werden. Uns Menschen fehlt oft was: Zeit, Geld, Haus, Auto, Glück oder all das andere Zeug, das hergestellt wurde und wird und sich zum Haben anbietet. Das Habenwollen allerdings wird von Trieben gelenkt, nichts Schlimmes an sich, nur schwierig im Erkennen des „Genug“. Bei den Bildflächen fing’s ja an, und schon ein paar Jahre später konnte sich kaum mehr ein/e Planetenbewohner.in vorstellen, ohne freien Zugang zum Irrgarten der Welt auszukommen. Wenn man jetzt die Legende bedenkt, der Mensch stamme vom Affen ab, dann hat sich das Tier in ihm aber ordentlich entwickelt. Vielleicht eine Fehlentwicklung? Oder gar die erhabene Götterrasse, herrschend, und das vorzugsweise mit heller Haut, über Getier, Pflanzen und Wälder und Menschen, klar, die kann man ja zu allem Möglichen gebrauchen. Zur Zeit zum Beispiel zum Füttern der Maschinen, denn wir wissen ja: was wir reinfüttern, das kommt als was anderes raus. Nur als was? Vieles hängt von der Nahrung ab, aber eine Garantie dafür, was sich da auf der subatomaren Ebene alles zusammentut, gibt es nicht. Vielleicht drängt es uns, das Tierische gänzlich abzulegen und aufzugehen in einer makellosen Art, also auf elegante Weise uns selbst in die Vernichtung transportieren. Ich meine nur die Selbstauslöschung der Humanoiden, denn alles andere wird ja weitergehen. Es wird zwei Arten von Menschen geben, sagte ein Professor irgendwo, und zwar die Einen, die von menschlichem Makel befreit sind, und die Anderen, die beherrscht werden von ihnen, so wie wir heutzutage die Tiere beherrschen.

was wissen

Bis zu einem bestimmten Punkt dient das Bewusstsein als Licht, das kann man nicht leugnen. Steht dieses Instrument zur Verfügung, beleuchtet es allerdings alles Mögliche, denn es besteht keinerlei Beweis oder Garantie, dass es zum Guten wie geschaffen ist. Das Bewusstsein dient mit Wissen, das auf kognitive Weise hervorgeholt wurde und wird. Und es schafft gravierende Unterschiede im Sinn, wessen Geistes Kind dieses Wissen ist. Hier ein kleiner Zwischenruf in Richtung KI, die mächtige, heranrauschende Herrscherin des neuen Zeitalters: aber sie kann ja gar nicht gebären! (Uralter, maskuliner Unzufriedenheitshotspot, erloschen geglaubt). Beziehungsweise hängt das, was da herauskommen kann, von menschlichem Geistessamen ab, das ist jetzt (gerade) überraschend sehr verwirrend geworden. Die Alchemische Hochzeit in ihrer Neufassung. Tieffinster vermählt sich mit Hochintelligent, Humanoides mit radikaler Gefühllosigkeit. Durch die rasante technische Entwicklung hindurch haben so ziemlich alle Erdlinge Zugang zu Wissen. Diese vielen Münder öffnen sich und stoßen prophetische Sätze aus. Die eh schlecht bezahlbare Einrichtung des alten und ehrwürdigen Prophetentums wird aufgesogen vom Maschinenöl, das man auch in veganer Margarine finden kann, ohne dass ich jetzt gleich zur Tierqual wandern muss, oder zu den 60 000 toten, ukrainischen Menschen dieses unseligen Krieges. Das alles hat mit Wissen, mit Organisationstalent und Knowhow zu tun, obwohl wir nicht einmal sicher wissen, ob Sokrates „ich weiß, dass ich nicht weiß“ gesagt hat oder „Ich weiß, dass ich nichts weiß“, eine hübsche kleine Denkfalle. Fakt ist, dass, wenn Wissen zu Licht wird, das einen durch allerlei Finsternisse führen kann, ohne zu großen Schaden zu nehmen, dann hat es seine Aufgabe gut erfüllt. Es ist nur das Sein an sich, das ohne es (das viele Wissen) auskommt, das ultimat schwer Erreichbare also, in dem wir uns ständig bewegen.

Rabindranath Tagore

In dem Reiche der bloßen Mechanik findest du nichts als den Speicher unzähliger Einzeltatsachen, und wie nötig diese auch sein mögen, sie haben als solche nicht den Schatz der Erfüllung in sich. Dieser liegt erst in der Halle der „Vereinigung „, und die ist da, wo der Liebende wohnt, im Herzen des Daseins. Gelangst du dort hin, so wird dir sogleich klar, dass du zum wahren Selbst gekommen bist, und du wirst froh sein mit einer Freude, die ein letztes Ende ist, und selber doch kein Ende hat.

X

Was Philosophen und Philosophinnen durch das ganze Epos hindurch in ihren verfügbaren Räumen gedacht und getan haben, davon wissen wir schon einiges, nicht zuletzt auch durch uns selbst.  Denn wenn wir uns für die dazugehörigen Themen, also den unausweichlich zu durchzugrübelnden Themen  zugehörig fühlen, dann kommen wir auch an dem krassesten Punkt nicht vorbei: dem Menschen. Also einerseits der oder die, die da gerade sitzt und aus ihrem System etwas herausformt, und andrerseits all die da draußen, von denen man auch ziemlich viel weiß, denn die Erde ist schwer bevölkert und bewaffnet zum Schutz gegen-und für einander. Und es ist trotz der vielen Grübelei nichts radikal Erklärendes über diese unsere Spezies herausgekommen, außer, dass jede Wahrheit nur eine vorletzte ist, verankert in der Freiheit, und völlig bestimmt vom Jetzt. Denn wir füttern ja nicht nur die Maschinen, Halbgötter des Zeitgemäßen, täglich mit unserem Interesse, sondern wir sind gleichzeitig uns selbst gegenüber immer enthaltsamer bei der Fütterung hochkarätiger Nahrung und ihrer bewährten Quellen. Wir sind der Mensch, der sich verdammt leicht umpolen lässt und lieber mitmacht, als auf der Leitung stehen zu bleiben, das ist auch gut so. Aber ab wann kann ein Mensch noch „menschlich“ genannt werden, das traut sich ja kaum jemand zu, höchstens mal ein Richter, wenn die vorliegende Tat zu grausam war für Worte. Allerdings war sie schon immer gigantisch groß, die Skala der menschlichen Seins-und Handlungsweisen. Und jetzt hat das Drama eine Schleuserin erschaffen, ach, die kann so vieles, was wir nicht können, und nur, wenn ich mich ganz auf sie verlasse, kann ich teilhaben am Glanz, an ihrem Glanz, dem Hochglanz der Maschine, ach ja: ihrer Erotik erliegen, ihrem Pantherfell. So geht’s einfach weiter, und wenn man das Glück (gewagtes Wort) hat, schon vom Tellerrand gesprungen zu sein, kann man sich zumindest auf den eigenen Kompass verlassen.

anfangen und aufhören

Wir sind schon so nah dran an der auf allen Ebenen stattfindenden, rasanten Entwicklung der Nutzung künstlicher Intelligenz, dass man das Gefühl hat, kaum ausweichen zu können. Klar kann man, aber wir leben auch in unserer eigenen Zeit und können nicht so tun, als würden wir in einer anderen leben. Außerdem ist es gefährlich genug für alle Einzelnen, denn  auch in den Hochburgen des dunklen Netzes arbeiten sie fleißig an ihren Plänen. Ich bekomme einen Anruf mit der Vorwahl  +44 und will schon (natürlich digital) abheben, aber dann schaue ich erst einmal nach, und siehe da, es gab schon eine Warnung wegen diesen Anrufen, und wer hätte schon gern einen Wurm im Apfel. Kleines Zeug im Angesicht des Weltgeschehens, aber wehret den Anfängen. Gegen die Anfänge kann man sich nur von innen heraus wehren, oder wenn von bestimmten Vorgängen noch abgeraten werden kann. Ganz abgesehen davon, dass „anfangen“ in anderen Kontexten genauso wesentlich ist, eben wenn es den schöpferischen Prozessen dient. Oder damit anfangen, etwas aufzuhören: Kriege zu führen, zu rauchen, zu morden und zu foltern, Tiere zu quälen…schon allein d a s! Wenn man tatsächlich das moralische und geistige Niveau einer Gesellschaft daran ablesen kann, wie Menschen mit den Tieren umgehen, dann sieht das alles ziemlich finster aus, mit so ein paar reingestreuten Lichtstrahlen. Man will das nicht denken, dass der Mensch so mühelos als Ungeheuer gesehen werden kann, wenn man sich nicht die Mühe macht, auf der anderen Seite etwas nachzulegen. Nachlegen ist zum Beispiel: Blumen niederlegen in Russland für Nawalny, obwohl man weiß, man kann verhaftet werden. Man muss ja nicht nach Heldentaten lechzen, denn jeder Alltag ist automatisch eine Heldensaga, man aber den Inhalt optimal nutzen kann für das, was nicht vergeblich ist. Und schon sitzt Calvino im Kopf und sagt: in der Hölle d a s finden, was nicht Hölle ist, und ihm Raum und Dauer geben.

Muttersprachentag

Wenn ich es richtig verstanden habe, ist heute der Tag der Muttersprache. Weil ich ganz nebenher gern mal wüsste, wer das eigentlich bestimmt, schaue ich nach. Zum 24, Mal wird er wohl begangen, begangen ist ein auffallend seltsames Wort. Und ich erfahre, dass es weltweit 6.700 Sprachen gibt. Das erstaunt mich nicht, denn ich bin die Anzahl der Sprachen auch von Indien her gewohnt, wo es für reisende Inder in ihrem Land einfacher war und ist, sich auf Englisch zu verständigen, als der sprachlichen Komplexitäten  Herr zu werden. Dieser heutige, von der UNESCO ausgerufene „Gedenktag“ betrauert also die vielen aussterbenden Sprachen und Dialekte, wobei es einen gravierenden Unterschied gibt zwischen forciertem Vergessen und dem schleichenden Verschwinden einer Sprach-oder Denkart. Aber so ein Ausrufen gibt ja auch Gelegenheit, im eigenen Schicksalspaket nachzuschauen. Auch wenn ich Deutschland in frühem Alter verlassen habe, habe ich niemals meine Sprache zurückgelassen. Stets war sie dabei, sich ansammelnd in einem ununterbrochenen Fluss von Notizbüchern, und gerne hätte ich in den darauf folgenden Jahren als Heimat mein Notizbuch genannt. Ja, klar, höre ich auch zuweilen die Sprache meiner Mutter, es wurde viel geredet, wenn sie mal zuhause war und nicht in Milano oder Paris. Aber dann, wenn ich wieder allein war, konnte ich mir Bücher meines Vaters in mein Zimmer holen und mich vertraut und trunken machen mit der schönen Sprache. Was für ein unermessliches Glück!, in diesem Land geboren zu sein und sie automatisch zu lernen, und dadurch später nicht nach Übersetzungen gieren zu müssen für die Geister, die man sonst nie direkt hören könnte. Auf diesem Weg spreche ich wohl eher die Vatersprache, denn da, in den Büchern, entzündeten sich meine persönlichen Anlagen, und noch heute bin ich zutiefst dankbar für die Anregung und den rechtzeitig angebrachten Filter. Aber dann: die Mutter! Wer weiß, was sie einem alles zugeflüstert hat, als keiner dabei war, nur sie und man selbst, wie eine Katze die Ohren spitzend in die Gerausche hinein, hinein in das Große Murmeln der Weltmuttersprache. Und erleben wir nicht gerade, wie unsere Sprache an Präzision und Klarheit verliert, und wie ungeheuer albern es sein kann, Worte lernen zu müssen, die man gar nicht benutzen will, sich ansonsten aber nicht verständigen kann. Mensch, es ist Zeit! Die Sprachen sterben, und sieh dich um: es ist in allem.  Und doch: mich hat sie gerettet (auch Sprache kann retten). Aus  abgründigem Urdunkel heraus hat sie mir, nennen wir’s eine Leiter, gebaut und mich befreit von den historischen Zwängen. Die Worte haben mich aufgefangen und in die Sicherheit des Ungewissen geführt.

zeitraum

Im „Philosophischen Radio“ ging es um „Zeit“, und das, was sie ist und sein könnte und eventuell ist oder nicht ist. Das ist vor allem eine Frage, um die kein philosophisch geartetes Gehirn herumkommt, und eigentlich kommt niemand darum herum, denn es gibt faktisch niemanden, der oder die sich nicht in ihrem Bannkreis bewegt. So kam natürlich zur Sprache, wie die Zeit spürbar immer schneller geworden ist, und Herr Marquardt, der Gast im Studio, deutete hin auf das, was wir alle schon zumindest ahnen: dass man gar nicht wagt, nach vorwärts zu grübeln, denn da überschlägt sich ja bereits etwas, dafür braucht man keinen Prophetinnenausweis. Und der Gedanke tauchte auf, dass es eine Gegenbewegung braucht, und dass wir wieder zurückkehren könn(t)en zum entschleunigten Lebensprogramm. Und da hätte ich mich zur Abwechslung mal gerne gemeldet, habe ich aber nicht, sage es aber jetzt, dass das ja auch schon alles da ist. Egal, wie man die Ausbreitung der Yogakurse an sehr vielen Ecken der Welt  betrachtet, so kann man auf jeden Fall e i n e n gemeinsamen Punkt als positiv bewerten, und zwar, dass sie alle was mit Sitzen und Stillsein zu tun haben.Wie gut man sitzen gelernt hat, sodass einem der Körper nicht mehr im Weg steht, und wie tief oder hoch oder weit man mit innerer Sicht gelangt, und wieviel Stoff man da noch alles zu bearbeiten hat, sei in die Raumzeit oder den Zeitraum gestellt. Doch summa summarum ist die kontemplative Praxis genau d a s, was zur Entschleunigung des Phänomens Zeit führen kann, aber nicht muss. Doch es gibt ihn, diesen Zustand der Gelassenheit, und er ist nicht gebunden an Alter und seine Wirkungen. Er ist eher gebunden an Erkenntniswillen, an wissenschaftliche Neugier, an Erfahrbarkeit, an Abenteuerlust. Und wie kam es, dass ich (persönlich) aus meinem Schweigen zuweilen in eine Sprache gelange, die sich kaum selbst die Zügel halten kann, vor allem, wenn gewisse Begeisterungen überhand nehmen. Und kann ich das, die Sprache entschleunigen, die Gewohnheit in eine andere verwandeln. Dieser Wunsch, Gewohnheit in andere Gewohnheit zu verwandeln, also z.B. von schnell zu langsam, braucht zur Umsetzung ein energetisches Feld, wo diese Verwandlung stattfinden kann. Es kann auffallen, es kann verunsichern, es kann stören. Daher muss es gewollt sein, sonst schafft man es nicht. Was wird hier (bei mir) gewollt? Wünschenswert finde ich die Möglichkeit, auf ganz einfache Weise zur Entschleunigung beitragen zu können, dabei neue Erfahrungen zu machen und zu experimentieren. Dabei zu sein, wenn Zeit und Ewigkeit sich in den Armen liegen. Selbst der Same zu sein.

flüstern

Was ich auf jeden Fall verstanden habe ist, dass Kunst und KI in möglicher Kombination uns noch lange beschäftigen werden, wenn auch nicht in politischen Kontexten, aber auch das ist nicht bombensicher. Denn hier wird auf ganz und gar unheimliche Weise die Schöpfungskraft in den Ring gestellt, und es dauert gar nicht lange, bis sich eine Frage formuliert, und zwar „Ist die menschliche Fütterung der Maschine eine Bereicherung für den Menschen, oder dreht es sich hier um einen genial verbrämten Sklavenmarkt, dem kein menschliches Wesen mehr entrinnen kann. Ja, bei uns zuhause sind wir noch ein bisschen sicher, zum Beispiel bei einem durch Hacker verursachten Stromausfall nicht gleich in Wahnsinn zu verfallen. Also diese Angst nicht habend, dass man aus dem Netz fallen könnte, auch wenn man von sich nicht sagen kann, man wäre vom Netz ganz frei. Auch hier geht es ums Maß, also eine Schrifttafel nach „Erkenne dich selbst.“ Oder die Frage, wie weit man überhaupt im Netz gefangen ist, oder wo man durchaus noch ein wenig Willenskraft einsetzen könnte. Sich an Zigaretten und weitere Substanzen erinnernd, die man hinter sich lassen musste, weil es Zeit war und andere Bildung in Sicht. Was die Schicksale der Künstler und Künstlerinnen betrifft, die an diesem „Sangam“, dem Übergang von einer Zeit in ihre Wende wie an einem neu eröffneten Tor dastehen und neu bedenken müssen und können, wie weit man sich an diesem Spiel beteiligen sollte. Oder aber erkennen, dass das Spiel bereits läuft und die Frage, wie jede/r mit den Gegebenheiten umgeht, in den Vordergrund rückt. Auch hier geht es um viel Geld: Geld zahlt Miete und Strom und Essen, und wenn noch mehr davon da ist, dann hat es zuweilen auch ein gutes Atelier bezahlt, in dem die Werke entstehen. Und der Schutz, der den Werken gebührt!, Da war ein Mensch, der oder die hat seine und ihre Schöpfungskraft aus sich herausgeboren , und natürlich muss dieses Kind vor dem schwarzen Schlund des Molochs geschützt werden. Doch wer ist Schöpfer:in, und wer ist Moloch:euse? An diesem schönen Schlussakkord verneigen wir uns alle respektvoll voreinander mit den geflüsterten, aber gut hörbaren Worten: wir müssen noch weiter darüber nachdenken…

Erich Kästner

Undatiertes Archivbild eines nachdenklichen Erich Kästners. Er war ein deutscher Schriftsteller, Drehbuchautor und Journalist, der vor allem für seine Kinderbücher (z. B. "Emil und die Detektive", "Das doppelte Lottchen")bekannt wurde.

Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf
Landesverrat genannt wird. Man darf  nicht
warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine
geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball
zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf,
Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat.

Drohende Diktaturen lassen sich nur bekämpfen,
ehe sie die Macht übernommen haben.

Weltschmerz

Und simsalabim!, da war er schon, der Weltschmerz, so, als hätte ich ihn gerufen. Habe ich aber nicht, obwohl ich ein Ahnen nicht ausschließe, aber dann ist er auf einmal entzündet worden durch die Nachricht aus einem russischen Gulag, wo einer sein vorzeitiges Ableben sicherlich nicht gesegnet hat, aber dennoch wusste, wie wir in der Welt, dass die Gefahr groß bis wahrscheinlich war, diese Form von Leben nicht zu überleben. Tot ist er, der epische Heldensohn, dem nun auf allen möglichen Leiern und Kanälen die Heldentaten vorgesungen werden. Einer, an dem auch Männer herumrätseln, ja, wie kann man nur, er hätte doch so easy bei uns bleiben können. Konnte er aber nicht. Nun, einerseits wollte er „Iwan dem Schrecklichen“ keinen Gefallen damit tun, im Exil bedeutungsloser zu sein als in persona, bei dem russischen Volk also, wo es eine unbekannte Anzahl von Regimegegner:innen gibt, die nun immerhin öffentlich zu Blumenläden pilgern. Das Gespenst der Angst macht seine Runden. Es schmerzt also „die Welt“, was immer man darunter versteht, und schmerzt es mich auch? Ja, das hat mich berührt. Es gibt ja innerhalb einer Lebenszeit nicht viele auch noch oder gerade Lebende, von denen man sagen kann, den Satz „Es gibt Wichtigeres als das Leben“ nicht nur verstanden, sondern auch verkörpert haben zu haben. Man kann sich locker vorstellen, wie viele Gespräche es gegeben haben muss zwischen ihm und seiner Familie wegen der gefährlichen Rückehr in das Land, das er befreien wollte von dem Tyrannen. Der ließ ihn auslöschen und tat so, als hätte er nichts damit am Hut. Dabei zeigt die (so genannte) Welt und ihre Repräsentant:innen mit vielen Fingern auf diesen unsichtbaren und doch grell sichtbaren Hut und sagt: du bist der Mörder eines großen Helden, und macht ihn, den Tyrannen, genau dadurch zum Wicht. Der, der das Zeug hat zum Helden, kann unter gewissen Umständen als Märtyrer weiterdienen. Die Entscheidung, das eigene Leben für die Sache zu geben, muss akzeptiert werden, was soll man machen? Ein 47-jähriges Leben, das kommt einem jung vor. Als mein Vater vier Tage vor Kriegsende abgeholt wurde und nie wiederkam, war er noch jünger. Zum Glück hängt nicht alles, was und wer man ist, von den Jahren ab. Wenn man ein gut verlaufendes Schicksal hat, kann man dafür dankbar sein, dass man tut, was man kann, und was man zuweilen auch muss. Man selbst also am Steuerrad des Schiffes.

bewegen

Die Annahme, dass es in der Welt eine gemeinsame „Wirklichkeit“ dadurch gibt, dass jedes lebende Individuum die eigene Wirklichkeit also solche wahrnimmt, kommt mir plausibel vor. Und tatsächlich ist es die Freiheit des Blickes, mit der wir etwas anschauen oder wie wir mit dem Gesehenen umgehen. Dadurch entstehen Konsequenzen und Ergebnisse, die meist im Stillen ablaufen, aber doch Wirkung haben auf das Umfeld. Ich kam noch einmal auf diesen Gedanken durch das Bild oben, das eines der Bilder ist, die gerade bei mir durch meine Liebe zu Asche entstehen. Denn ich muss es ja selbst verstehen oder durch die Betrachtung belichten.  Hätte ich die Aschenseite nach unten gelegt, wäre es sofort geeignet für die Vorstellung eines Gequälten, der zurücksinkt ins Erdreich. Ich habe darin jedoch von Anfang an ein Wesen gesehen, das sich herausbewegt aus der Asche, und obwohl ich keine Anhänglichkeit an Engel mehr hege, sehe ich sie, die Wesen, doch als beflügelt, auch wenn gerade aus dieser Art der Beflügelung der Weltschmerz entsteht, bzw. entstehen kann. Der Weltschmerz hat auch seine Wirklichkeit und rinnt durch die Adern wie dunkles Blut. Der Schmerz kann fassen, was sonst nicht zu fassen wäre. Wirklichkeit ist seine Sprache, genauso wie sie die Sprache  des Hellhörigen ist. Überhaupt: wenn man sich schult im Verständnis von dem, was man wahrnimmt, sodass man wenigstens dem ganz persönlichen Schauen Vertrauen schenken kann, das ist hilfreich. In diesem Prozess wird man automatisch verantwortlich für das, was uns verbindet. Denn je klarer mir meine eigene Wahrnehmung  (bei gleichzeitiger Offenheit) ist, desto freier kann ich mich im Umgang mit anderen Wahrnehmungen (und Meinungen) bewegen.

gesund

So, jetzt wird gefastet. Wird wirklich gefastet? Und wie wird hier gefastet? Und was meine ich mit „hier? Und lasse ich mich von den Gepflogenheiten des Landstrichs genauso wenig anregen wie in Indien, als ich durch sie (die Rituale) einigermaßen durchblickte, und dann immer weniger teilnahm an ihnen, weil Gott und Götter mir immer seltsamer erschienen? Wohl können sie schön sein und attraktiv (die Götter), kein Zweifel, und da, wo häufig das Gold der Sonne sich in ihren Gewändern fängt, da kann man sehr wohl diese Neigung verspüren, sich Orte und Ebenen auszudenken, wo sie sich aufhalten. So, als hätte jemals jemand gewusst, wo sie sich aufhalten, ganz zu schweigen von epischen Gräueltaten, an denen sich erfundene Helden abarbeiten. Es sind ja auch schon neue Götter unterwegs wie die künstliche Intelligenz, die bereits alle Erwartungen übertrifft,und die bald herrliche Lieder singen wird, geboren aus den Eingeweiden der Lebenden, die Lieder also der dea artificiale. Noch sitzen wir am Hebel und an den Schaltstellen. Es muss nur ruhig und gehaltvoll um uns herum sein, denn das, an was wir arbeiten, braucht Zeit: an uns selbst. Das kann nicht gedrängt werden in die Unerkenntlichkeit, das hat sein eigenes Maß und seinen eigenen, unverkennbaren Ton. Insofern kann Fasten sehr nützlich sein. Also das System auf Vorderfrau bringen, und raus! aus der Asche und dem Valentinstag und dem Vaginatag, der gestern tatsächlich stattgefunden haben soll, alles an einem einzigen Tag, an dem Frauen vielleicht mit dem Kreuz auf der Stirn in die Asche hineingetanzt sind. Aber fasten heißt auch, sich nicht so viel mit den Anderen beschäftigen, vor allem da, wo es einen absolut nichts angeht. Soll jede/r seine und ihre persönliche Asche basteln, dazu braucht man keine Religion. Man öffnet die Tür zum erkalteten Holzofen und nimmt heraus, was man braucht. Wer die Asche liebt, kann sich zutiefst an ihr erfreuen, und kann damit machen, was ich möchte, isn’t it? Und nicht vergessen: nicht fast fasten, sondern feste fassen, ein Fest aus der Fasterei machen undsoweiter, es soll ja sooo gesund sein.

Aschermittwoch

We wear the mask

We wear the mask that grins and lies,
It hides our cheeks and shades our eyes,—
This debt we pay to human guile;
With torn and bleeding hearts we smile
And mouth with myriad subtleties,

Why should the world be over-wise,
In counting all our tears and sighs?
Nay, let them only see us, while
     We wear the mask.

We smile, but oh great Christ, our cries
To thee from tortured souls arise.
We sing, but oh the clay is vile
Beneath our feet, and long the mile,
But let the world dream otherwise,
     We wear the mask!

Poem by Paul Laurence Dunbar

aufgründig

Wenn es da, wo man sich gerade aufhält oder wo man wohnt, traditionelle Feste gibt, kann man sich dem Treiben schon etwas öffnen. Beziehungsweise sich selbst eine innerliche Platform bauen, auf der man mal schaut, was läuft, wohl wissend, dass man aus einer Berlinerin keine waschechte Kölnerin machen kann. Ich weiß ja nicht einmal, ob ich noch als waschechte Berlinerin zu betiteln wäre, obwohl ich meinen Pass immer gerne mochte und mag. Nun ist ein weiterer Tag Karneval und da staune ich schon ein bisschen, dass die gegen Rechts Protestierenden nun in ähnlich hohen Zahlen kostümiert in kilometerlangen Prozessionen durch die Gegend ziehen, mit viel authentischem, aber auch viel Lächellustzwanghaftem. Das Allesamte auch ein Hauch unheimlich. Woher soll dieses Freudenlachen in der tagelangen Sause auch kommen bei all dem übersprungenen Schrecken, der schon in der Asche lauert. Nun, ich bin ja nicht im Kostüm der Spielverderberin unterwegs,eigentlich bin ich überhaupt nicht unterwegs. Gestern abend haben wir einmal eine Stunksitzung gesehen, meine erste Stunksitzung, das war nicht uninteressant und auch zuweilen lustig und intelligent, wenn man das Kölsch entziffern konnte. Auf meiner inneren Bühne erscheinen derweil andere Masken, scheinbar durch sich selbst gerufen. Denn hinter der Maske ist ja meist noch eine Maske, für die empfinde ich tiefes Interesse, und ich ehre die Lockvögel, die sie sichtbar machen können. Nichts gegen ein ausgelassenes Volk, wenn die Teilnahme frei ist, aber bei mir geistern gerade Dichter:innen durch dunkle Korridore, wo sie, ebenfalls maskiert, ihren Abgründen und ihren Aufgründen entgegen gehen. Aber auch dort gilt die Kölner Parole, auch wenn ich erst einmal auf dem Handy nachschauen muss, wie man sie schreibt: „Arsch huh! Zäng ussenander.“ In den Sakristeien sammeln sie derweil schon die Asche.

Rosenmontag

*

Im Living Theater (aus New York und politisches Kult-Theater der Sixties) hieß eines unserer gemeinsam erarbeiteten Stücke „Mysteries and smaller pieces“. Wir verließen die Bühne und bewegten uns durchs Publikum mit direkten Fragen an einzelne Zuschauer:innen. Irgendwo in Amerika auf der Tournee traf ich dabei auf einen Mann, der mir sehr zugeschnürt vorkam, mit strengem Anzug und Krawatte, und ich fragte ihn, was er am liebsten tragen würde, wenn er ganz frei wäre von gesellschaftlichen Vorstellungen. Nach kurzem Tiefgang antwortete er: einen Kimono. Er wirkte überrascht über seine eigene Antwort, und diese Überraschung konnten wir teilen. So ging es mir gestern mit dem Kostüm von Yves Saint Laurent, als ich mich sofort darin verkörpert sah. Abgesehen davon sehe ich häufig so aus, obwohl ich mir die schwarze Gesichtsverhüllung nicht ganz trauen würde, spiele aber mit dem Gedanken, es einmal auszuprobieren, möglichst nicht am Rosenmontag, sondern dann, wenn alle Verkleideten schon das Aschekreuz hinter sich haben. Was könnte passieren, außer dass man mich für eine Muslima halten würde, was YSL etwas von der Schöpfungsehre entreißen würde, obwohl ich mir sein Kostüm ja gar nicht leisten kann, also meine eigenen Klamotten verwenden würde, was eh besser wäre bzw. ist. Nun ist ja jeder Mensch auf dem Planeten täglich kostümiert, und es wird bei der Wahl der Kostüme einiges enthüllt über Kultur, Gesellschaft und Individuen. Und wer hätte gedacht, dass z.B. Tätowierungen alle Schichten der Gesellschaft erreichen. Auf der nackten Haut soll noch gezeigt werden, wer man ist und welche Hauptsprüche man auf Lager hat. Kann man sich an wirklich allen Kostümierungen der Weltbewohner:innen arglos erfreuen, lebt alles in seiner eigenen, ganz persönlichen Ordnung. Aber so ist es nicht, sondern ein zu kurzes Kleid kann zum Ehrenmord führen. Deswegen denke ich am Rande des Rosenmontags, der in einiger Entfernung von mir seinen Verkleidungsglanz entfaltet, denke ich also, dass das eine super Einrichtung und Tradition ist, dass der offensichtlich zutiefst im Menschen verborgene Wunsch, einmal im Jahr jemand anderes zu sein als das, was man von sich kennt. Und dass man gemeinsam mit den Anderen anders sein kann, obwohl es auch hier von der Schöpfungskraft abhängt, also als wer man sich (noch) wahrnehmen kann.

 

*Ausschnitte und Ansicht eines Kunstwerkes
aus Papier von Angela Glajcar

Paul Celan

Singbarer Rest – der Umriss
dessen, der durch
die Sichelschrift lautlos hindurchbrach,
abseits, am Schneeort.

Quirlend
unter Kometen-
brauen
die Blickmasse, auf die der verfinsterte winzige
Herztrabant zutreibt
mit dem draußen erjagten Funken.

-Entmündigte Lippe, melde,
dass etwas geschieht, noch immer,
unweit von dir.

anziehen


Yves Saint Laurent                             Schwarzes Quadrat von Malewitsch
Wie erfreulich ist es doch, wenn Herz und Geist (vielleicht sind sie ja eins) leise vor sich hinjubeln, weil etwas ihnen Entsprechendes aufgetaucht ist aus dem Ozean der Erscheinungen. Die beiden Kunstwerke ziehen mich nicht nur an, sondern ich finde Wesentliches von mir in ihnen verkörpert. In einem Büchlein von Markus Gabriel über „Die Macht der Kunst“ wird Malewitsch und sein schwarzes Quadrat schon im Vorwort erwähnt, und zwar, dass er es in Moskau absichtlich hoch in den sogenannten „Herrgottswinkel“ gehängt hatte, also „dem Ort, der in einem traditionellen russischen Raum den Ikonen zugedacht ist.“Es gilt als Bekenntnis und als Provokation, was es von jedem anderen beliebigen schwarzen Quadrat auszeichnet. Als Kunst eben, weil Kunst „behauptet“ in ihrer „radikalen Autonomie.“ Das Gewand von Yves Saint Laurent entspricht diesen Kriterien aus meiner Sicht ebenfalls, auch wenn die Möglichkeit des Erwerbes dieser Werke in galaktischen Weiten liegt. Muss auch nicht erwerbbar sein, denn man ist ja auch persönlich mit Anziehen und Farbe beschäftigt und versteht durch sich selbst die Schönheit radikaler Reduktion. Der Kult, der z.B. in Filmen mit Kleidung betrieben wird, kann wohl unterhaltsam sein, hat aber nichts zu tun mit dem kontemplativen Blick, mit dem man zu ersinnen sucht, als wer man heute aufsteht, bevor man zur Gewandung greift. Auch muss es nicht täglich etwas Anderes sein, nein, es muss lediglich den Klang der Befindlichkeit unterstützen. Das Bild von Yves Saint Laurent kam aus Paris, wo die Künstlerin Henrike Robert (Vermittlung und Öffentlichkeitsarbeit im (exzellenten) Museum Abteiberg, Mönchengladbach) ihre Nichte, die Ausstellung von Mark Rothko und den Poeten Jochen Winter besucht hat. Das alles fügt sich vortrefflich zusammen und erlaubt es einem, auf bemerkenswerte Schöpfungsprozesse hinzuzweisen.

Fleisch

Schweinehälften in einem Schlachtbetrieb
Ein schlagendes Herz? Nein!
Ein Tötungsdelikt.
Das ist jetzt keine moralische Keule gegen Fleischesser:innen, sondern mein Impuls, überhaupt Fleisch hier zu erwähnen, stammt von einem Blatt in meiner Sammlung indischer Artikel, das ich gestern herausgenommen hatte, um es zu lesen. Da fand im Jahre 1987 im Aravalligebirge des Bundesstaates Rajasthan eine internationale, holistische Gesundheitskonferenz statt. In der Zusammenfassung der Beiträge wurden  berühmte Männer zitiert mit Sätzen, in denen sie etwas über das Essen von Fleisch und über das Quälen von Tieren sagten. Da die überschauliche Zahl meiner Beitragsleser:innen vegetarisch oder vegan ist, fand ich doch die Bemerkungen der illustren Herren gut, und manchmal kann man ja, wenn einem etwas wesentlich erscheint, auch die guten Gedanken der Anderen einblenden, wenn sie irgendwie behilflich sind. Als Kind wurde ich mehr oder weniger zum Fleischessen genötigt, weil man sich sicher war, dass vor allem Kinder unbedingt Fleisch brauchten. Später, in New York, hatte ich dann eine Phase, wo ich fast täglich nach Steak Tartar gierte, rohes Fleisch, mit Gürkchen und Zwiebeln garniert, ein Ei in die Mitte des glitschigen Etwas geklatscht, dazu ein Glas Bloody Mary,  only lovers left alive. Zum Glück war es bald vorbei, außerdem war man mehr und mehr umzingelt von Vegetarier:innen. Ich erinnere mich auch daran, dass es in Deutschland, wenn man unterwegs war, in den Restaurants kaum etwas Vegetarisches zu essen gab, vielleicht ein paar müde Salatblätter und Kartoffeln. Das hat sich tatsächlich verändert, aber da ist noch dermaßen viel Luft nach oben, dass einem davon schwindelig werden kann.
So wurden auf der Gesundheitskonferenz im fernen Indien diese Menschen zitiert:
 Mahatma Gandhi, der Führer der indischen Unabhängigkeitsbewegung:
„Die Größe und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie die Tiere behandelt. Ich betrachte Fleisch nicht als notwendige Nahrung für uns. Vielmehr glaube ich, dass es für den Menschen zum Verzehr nicht geeignet ist. Wir begehen einen Fehler, wenn wir die niedrigen Tiere imitieren. Der einzige Weg zu leben besteht darin, leben zu lassen.“
John Harvey Kellog, ein amerikanischer Chirurg:
„Fleisch ist nicht die beste Nahrung für den Menschen, und es war auch nicht die Nahrung unserer primitiven Vorfahren. Es ist zweitrangig, bzw. aus zweiter Hand, denn alle Nahrung hat ihren Ursprung letzlich in der Pflanzenwelt. Im Fleisch und in fleischlichen Produkten findet man nichts, was für die Ernährung des Menschn notwendig oder förderlich wäre, was nicht auch aus Pflanzenprodukten gewonnen werden kann. Eine tote Kuh oder ein totes Schaf werden als Aas angesehen. Wenn aber derselbe Kadaver gehäutet ist und im Kühlraum des Metzgers an einem Haken hängt, bezeichnet man ihn als Nahrung. Eine sorgfältige Untersuchung unter dem Mikroskop zeigt, dass zwischen dem Jadaver auf der Weide und dem im Metzgerladen kaum ein Unterschied besteht. In beiden wimmelt es von Fäulnisbakterien, und beiden haftet der Geruch der Verwesung an.“
Franz Kafka meinte, während er Fische in einem Aquarium bestaunte:
„Nun kann ich euch in Frieden betrachten, denn ich esse euch nicht mehr.“
Leonardo da Vinci:
„Ich habe bereits in jungen Jahren dem Fleischgenuss abgeschworen. Die Zeit wird kommen, da Menschen, die genauso denken wie ich, das Morden von Tieren mit denselben Augen betrachten werden wie die Ermordung eines Menschen..“
Und Arthur Schopenhauer:
„Mitgefühl für Tiere und ein guter Charakter sind derart eng miteinander verknüpft, dass man mit Gewissheit feststellen kann, dass niemand, der grausam zu Tieren ist, ein guter Mensch sein kann.“
 

Alaaf

Datei:Heinrich Vogtherr d. J. Schalksnarr.JPG

Welcher Wüstenwind auch immer mich, die waschechte Berlinerin, in die Nähe von Köln gepustet hat, who knows. Beziehungsweise weiß ich es ja selbst, denn es war meine ureigene Entscheidung, die allerdings herzlich wenig damit zu tun hatte, dass ich irgendwo in mir eine Karnevalistin hätte entdecken können. Dafür gab es auch keine Gelegenheit, denn außer den Coronajahren war ich immer um dieser Zeit in Indien, von wo ich erst im März zurückkam. Natürlich gab es auch in der Kinder-und Jugendzeit in Berlin eine Fastnacht, und plötzlich möchte ich jetzt und hier einen original Berliner Krapfen essen, noch heiß und mit vom Negativen  unbesetztem Zucker überät, und dann der Vorstoß zu dieser köstlichen, dunkelroten Marmelade, na bitte, das sind doch Freuden, die man zum Beispiel heute, an Weiberfastnacht, angemessen ausdrücken kann. Da ich nun schon in dieser potentiell narrenfreien Sphäre gelandet bin, will ich auch erzählen, dass meine Mutter, als hochprofessionelle Modedesignerin selten zuhause, dann doch ihre Künste einsetzte, um uns sorgfältig und fachmännisch die gewünschten Kostüme zuzuschneidern. Das ist ja nicht uninteressant, wer man da unbedingt sein wollte, obwohl ich noch ein wenig weitergrübeln müsste, um zu verstehen, warum ich ausgerechnet Cowboy und in einem weiteren Jahr Page sein wollte, beides stand mir ausgezeichnet. Also eine agressive, dann auch eine milde Männlichkeit, denn der Page kam eindeutig von einem Lieblingsgedicht meiner Mutter, das ich zu meiner eigenen Überraschung auch heute noch auswendig hersagen kann, nämlich „Ich bin der Page von Hochburgund und trage der Königin Schleppe“. Offensichtlich war ich beeindruckt von der Tatsache, dass er, der Page, zwar auf einem Ausritt von der Königin geküsst wurde, darüber aber schweigen musste, weil er als Page zu diesem königlichen Mund keinen offiziellen Zugang haben durfte. Cowboystiefel und Cowboyhut waren auch cool, so bin ich nachträglich zufrieden mit meiner damaligen Wahl. Und lerne erst heute aus den Nachrichten, dass Weiberfastnacht 200 -jähriges Jubiläum feiert, also da, wo sie, die Frauen, sich zusammengetan haben und sind zum (wo sind sie nochmal hin?) Bürgermeisteramt und haben den Schlüssel zur Regierung an sich gerissen, sorry, ich bin noch nicht ganz fit in der Story. Auf jeden Fall schneiden sie nur heute die Krawatten der Herren ab, sonst käme man ja in den Kittchenkasten. Gerne würde man im Sinne kluger Narreteien weissagen, dass sich zum Glück seither viel verändert hat, das Saufen und das Schnaufen und das Raufen, aber diese Gedanken würden natürlich die ausgelassene Stimmung der Feiernden unnötig beschweren, und ich selbst muss damit leben, dass ich keine schöne, weise Närrin gefunden habe für mein obiges Bild, sondern der klassischen Vergangenheut noch einmal Vorschub geleistet habe. Helau und Alaaf, sagte die Fremde vorsichtig in den offenen Raum hinein.

to meet


treffen
Florian (Goldberg – von tauchgold /Berlin) war einige Tage bei uns zu Gast. Uns verbindet eine jahrzehntelange Freundschaft, die genügend Beglückungen, geistige Seiltänze und Abgründe beinhaltet hat, um eine gewisse Dichte zu erschaffen, die man als verlässlich bezeichnen kann. Beweglich genug in seiner Stabilität, kann das gemeinsam kreirte Feld potentielle Freiheit aktivieren, die so einiges an Gesprächen in Bewegung bringt. Diese unsere, dann doch eher selten stattfindenden gegenseitigen Besuche im Real-Raum haben die Fähigkeit, zum Beispiel „einen Garten (Kepos)“ zu erschaffen, unabhängig von Witterung und körperlicher Verfassung. Der Raum also, wo auch genüsslich gespeist und getrunken wird, in dem ziemlich mühelos ziemlich viel vom Verborgenen ans Tageslicht treten kann, sozusagen ins Zuhörlicht rücken: eine gewisse Beflügelung des philosophischen Austauschs, ein Verständnis von Witz und Humor, Gespräche, in denen Worte neu geboren werden und ihren Ursinn und ihren Unsinn gleichzeitig beenden.Wir sind und werden nicht müde, die Welt und, wenn‘ s sein muss, auch die Instanz des Gottes weiterhin zu bedenken und das alles immer mal wieder kurz ans Herz zu nehmen. Dort sind Ruhe und Gelassenheit und Freude, um nur ein paar Zutaten der Freundschaft zu nennen. Weil diese Freundschaft so geschätzt ist, kam die Idee bei uns auf, auf dieser Blog-Seite ein paar gemeinsame Gedanken zu teilen. Die beiden Bilder oben hatten wir schon ausgewählt, aber die Umsetzung des gemeinsam Gedachten auf die Bildfläche kam erst einmal nicht zustande. Dann, gestern, am Abschiedstag, tauchte die goldene (tauchgold) Idee auf, aus den paar Sätzen, die wir aus unseren Gesprächen heraus notiert hatten, vor allem Fragen zu bilden.
Hier sind sie:
Wir sind verantwortlich für die Atmosphäre unseres eigenen Lebens.
Wie nehme ich diese Verantwortung wahr?
Was bin ich zuhause für ein Mensch?,
Darum geht es, und nicht um die Frage, was ich auf irgendeiner Bühne von mir gebe.
Im Stillen wirken oder in der Öffentlichkeit?
Was ist meine Aufgabe?
Wir als Menschen haben jeweils uns selbst als Aufgabe.
Wie finde ich heraus, was diese Aufgabe ist?
Wie erschaffe ich den Raum, um mich dieser Frage widmen zu können?
Wo ist die Freiheit?
Wo ist sie?
Wie finde ich die Anbindung an die eigene Quelle?
Gibt es überhaupt so etwas wie eine eigene Quelle?
Wie finde ich das heraus?
Und wenn ich sie finde, wie lege ich sie frei?
Wie habe ich die vergangenen Jahrzehnte des Friedens,
der Freiheit und des Wohlstandes für meine persönliche, menschliche Entwicklung genutzt?
Woran erkenne ich, ob ich mich der Aufgabe, die ich mir selbst bin, stelle oder nicht?
Was erwarte ich von mir in Bezug auf Kopf-und Herzensbildung?
Auf welche Kriterien muss ich achten, wenn ich mich selbst erkennen möchte?
Suche ich nach der Ich-Erkenntnis oder der Selbst-Erkenntnis, und wie unterscheide ich die beiden?
Ich bin Atmosphärenträgerin. Wenn ich eine gute Atmosphäre möchte, muss ich mich dafür einsetzen.
Für welche Atmosphäre will ich verantwortlich sein und mich einsetzen?
Damit sich das Eigene frei entwickeln kann, sollte ich immer die Gesellschaft der Besten suchen.
Aber wer sind die Besten?

 

Marie Luise Kaschnitz

 kaschnitz1

 

Verdächtiges Ich

Überspringen wir doch uns selbst
Meiden wir diese
Ortschaften ausgediente
Vorderes hinteres Elend
Und den erschütterten Menschen-

Wieviele Schneefälle sind
Die kein Auge sieht
Und Meteore wieviele
Stürzen während wir schlafen.

Besinne verdächtiges Ich
Den Rehschädel an der Wand
Die beinweiße schweigende Maske
Und draußen das flirrende Laub
Das deinen Atem nicht braucht.