untrennbar

 

Die (sehr bunten) Kompositionen, die in den letzten Tagen meine Beiträge bildlich begleiten, bestehen aus lose zusammengefügten Einzelteilen aus meiner Sammlung „Sehr kleine Bilder“. Da unten im Regal lag sie ziemlich lange, die Sammlung, bis etwas sie hervorlockte. Es waren die Fragen, die gerade herumkreisen und sich um das Flüchtige und das Bedeutsame drehen. Und genau wann ist was bedeutsam, und wann nicht, und für wessen Leben. So kam mir (wieder einmal) die Idee, mit dem, was so herumliegt, etwas zu machen, und so habe ich die sehr kleinen Bilder neu zusammengefügt, damit sie diese Starre des Ungenutzten loswerden und in anderen Zusammenhängen kurz aufleuchten können, bevor sie wieder vergehen. Aber sie vergehen ja gar nicht, hier sind sie, wer weiß wie lange, denn schließlich arbeitet der schwarze Schlund der Technik auch für die Illusion der Ewigkeit, deren Endlichkeit wir erst in eigener Auflösung erleben. Bis dahin herrscht Schöpfungsdrang und Schöpfungsspannung. Unermüdlich wurde uns in der Ausbildung vermittelt, wieviel Druck es braucht, um aus der schwarzen Materie einen Diamanten zum Tageslicht zu befördern. Die langen Schmerzenswehen, die brennende Ungewissheit, was bei den Geburten herauskommt, ob die Kinder (Bilder und Wortgeflechte) lebensfähig sind, bis die Frage an uns selbst gerichtet wird. Das kann dann schon ein Lächeln sein, das sich den Weg bahnt zu uns und unseren Abenteuern und Held:innentaten, die sich uns erst enthüllen im Nachhinein. Und wir, die wir unterwegs Teilchen um Teilchen zusammengefügt haben, nämlich das, was unserem Wesen entspricht, und daraus ein Gesamtwerk haben entstehen lassen, dessen Existenz unleugbar geworden ist. Es ist das Resultat meiner sichtbaren und vor allem unsichtbaren Handhabungen meines ganz persönlichen Schicksals, mit dem ich losgezogen bin, um kennen zu lernen, was mir möglich ist. Damit ich den Geist, der in mir atmet, in die Gestaltung bringen kann. Das folgt überall und immer den ungeschriebenen Gesetzen, die unaufhaltsam mitarbeiten an dem, was sich durchsetzt und was deswegen nicht zu ändern ist. Will ich es aber ändern, so muss ich zum Einsatz bereit sein. Beim ganzen Einsatz steht immer der Tod am Tor. Sie (denn es ist eine Sie) lächelt das Lächeln der Sphinx: niemand wird helfen können, die Antwort zu finden auf das, was ich wirklich bin. Im abgrundtiefen Schweigen der Sprachlosigkeit gebiert sich das Ich, das keinen Namen mehr hat. Geburt und Tod entpuppen sich als das Untrennbare.

wertschätzen

Noch ein weiteres Zelebrationsdatum tut sich auf (in meiner Welt), denn wir  hier im Haus haben uns vor 40 Jahren zum ersten Mal getroffen im Rahmen einer meditativen Schulung. So waren unsere ersten Jahre zusammen beflügelt von den inneren Erfahrungen und daraus resultierenden Erkenntnissen unserer eigenen Innenwelt, der Ort, an dem geistige Substanz sich als ein Kern verdichtet, bekannt als der der Existenz an sich (und als Geheimnis des Weges gelehrt an vielen Orten mit vielen verschiedenen Sprachen und Worten und Systemen und Symbolen). Die Zeiten, die wir in Schweigen zusammensaßen, könnte man als Jahre zeitraffen. Wir liebten das Schweigen, vor allem das Schweigen zusammen, in dem man zu sich kommt, ohne die Verbindung zu den Anderen zu verlieren. Die Schulung kam aus Indien wie alles Yoga, nicht, dass das eine Garantie für tief erfahrenes Yoga in Indien ist. Den indischen Geist ist schon die duplikate Maya am Verschlingen, oder soll ich es eher ein Anknabbern nennen, um zu sehen, ob es schon reif ist zum Untergang. Da wir so leidenschaftlich an dieser Wissenschaft interessiert waren, dem Yoga, der inneren Verbindung mit der höchstmöglichen Ebene,  entwickelten sich dort unsere Fähigkeiten auf kreative Weise, im Rahmen gewisser Ordnungen. Dann fanden wir heraus, dass gute künstlerlische Begabungen unter uns sind, und nutzten sie. Wir waren viele Jahre eine Performance Gruppe, die „Yoganauten“ genannt, eine Wortschöpfung, die ich später für meinen Blog wieder bekam. Wir entwickelten einen Stil zwischen Science Fiction Form und zeitlosen Texten, alles mit großer Ernsthaftigkeit durchgearbeitet, ohne verstanden werden zu müssen. Ein Jeder und eine Jede nehme, was auch immer innen ankommt, und verstehe genau das. Unsere letzte Performance war für Amnesty International unter dem Titel „antastbar“.  Wir kennen uns schon so lange und haben zusammen eine Gesprächskultur erschaffen, an deren Quelle wir gerne sitzen oder Wasser mitnehmen in unsere anderen Welten, die wir nicht teilen, Dennoch empfinden wir uns häufig als „fremd“, vielleicht genau da, wo man den oder die Andere gar nicht kennen kann, denn es gibt uns nur einmal. Das ist es, was wir von unserem Beisammensein wollten: unterstützend darin zu sein, dass wir zu uns selbst kommen. Denn nur dann, Logik des Einleuchtenden, können wir auch zusammen kommen, ohne kleineren oder größeren Schaden anzurichten.

7 Jahre B/Logbuch

Der Bleistift lag bei uns herum, ich war erstaunt über die entdeckten Worte darauf. Aber natürlich kann ein Bleistift sehr wohl dienen als ein Instrument der Durchsetzung, wenn man mit ihm die gedanklichen Notizen niederschreibt, die als Vorarbeit für die Beflügelung dienen, oder die Begeisterung, oder die Stocknüchternheit, oder das Amt. Ich erinnere mich, wie schwer es mir fiel, die Prüfung zwischen Handgeschriebenem und dem Computer zu bestehen, bis das ganz lächerlich schien, wollte man doch in der eigenen Zeit seinen Vogel fliegen, ausgerüstet also mit Zeitgemäßem. Auch konnte ich lange keine Sehnsucht nach dem Smartphone empfinden, bis mir eins geschenkt wurde, und nun liegt das Kleine breit lächelnd neben mir, na ja, so schlimm ist es noch nicht (oder schon schlimmer, als man denkt). Ich lebe sozusagen als Eremitin in einer Luxusoase, und genau heute, vor 7 Jahren, habe ich von hier aus meinen Blog angefangen. Ich erinnere mich so gut an das Datum, weil ich es zusammen mit Hamid’s Geburtstag getimed habe, einem 11-jährigen Jungen aus Afghanistan, mit dessen Eltern und ganzer Familie wir befreundet sind. Da ich in den paar Monaten jedes Jahr, die ich in Indien verbrachte, keine Pause mit den Beiträgen gemacht habe, ist es automatisch eine Dokumentation geworden über die östliche und westliche Seite der Betrachtung dieser zwei so unterschiedlichen Kulturen, jetzt vor allem der deutschen und indischen Kultur – und dann doch nicht so unterschiedlich, so verbunden in Höhen und Tiefen, durchreflektiert von Philosophen, von denen es auf beiden Seiten immer welche gab, die sich verständigen konnten, die also sich verständlich machen konnten allen gegenüber, die daran Interesse hatten. In diesem Feld also habe ich mich gedanklich bewegt und bin beiden Seiten gegenüber auch heute noch zutiefst dankbar, dass ich teilhaben konnte und kann an ihren geistigen Anregungen. Nun hat Virginia Woolf uns (Frauen)  ein eigenes Zimmer gewünscht, das haben jetzt schon viele von uns. Schön finde ich außerdem eine großzügig angelegte, kreative Ebene, einen Schreibtisch, Bücher, die man schätzt, ein Fenster vor der Nase über dem Computer, eine Möglichkeit, auf Grünes zu schauen. Das Boot vom Anker lösen. Langsam hinausfahren aus dem sicheren Hafen, und los geht’s. Da draußen ist schließlich das subatomare Aktionsfeld, auf dem man Verantwortung trägt für jeden Gedanken. Also sieben Jahre Yoganautik, das heißt: sich im Ungewissen sicher navigierend zu bewegen und bewegen  zu lassen.

bestechend

„Der alte Weg“, wenn man (ich) ihn so nennen möchte, ist der Weg, der sich mit erstaunlichen Kräften nahezu unangetastet durchgesetzt hat, denn er besteht immer wieder aufs Neue aus Menschen, die sich aus irgendwelchen oft unerfindlichen Gründen für die Erforschung des Weltensystems interessiert haben, oder wie Menschen so sind und warum, oder warum überhaupt, und wohin, und auf welche Art es zu fassen ist, zu studieren, zu enthüllen, und jemand darin zu sein, der oder die eigenes Wesen entdecken kann, aber nicht muss. Weil keinerlei Müssen darin liegt, ist es besonders schwer, für sich selbst die wesentlichen Entscheidungen zu treffen. Auch wenn in geschlossenen Systemen die Freiheit extrem eingeschränkt wird, kann man dennoch mit Freude sehen, dass immer wieder Menschen den Weg wählen, den Sokrates auch gegangen ist, nicht, dass man ihn da als Beispiel nehmen könnte, er war ja einzigartig. Und dennoch hat er, zumindest über Plato, eine Sprache gesprochen, die verständlich ist. Es ist die Sprache des alten Weges, der stets neu ist, aber auf den urspünglichen Gesetzen beruht, die ein Mensch von innen her nachvollziehen kann: Worte der Weisheit, die auf  Erfahrung beruhen, auf Beobachtungen, auf Fühlen, auf Reden, auf angemessenem Handeln. Nicht wegen der Rücksicht auf Andere, sondern auf Vorsicht und Sicht überhaupt, durch die zu erkennen ist, was sich als Lern- und  Lebensfähiges unter Menschen bewährt hat, sodass interessierte Nachkommen davon Notiz nehmen können, nämlich was gelungen ist, und was gescheitert. Und dass von närrischem Handeln abgeraten wird, und dass es Ebenen gibt, auf denen man sich aufhalten kann, zwischen Level 1 und Level 10 zum Beispiel, wo man seine eigenen Vorstellungen platzieren kann im Hinblick darauf, was ich selbst als das Wesentliche oder Erstrebenswerte nennen könnte, mit dem meine verfügbare Zeit zu gestalten ist. Und so, wie jeden Tag ganz viele Neulinge hier ankommen, die bereits unvorstellbare Hindernisse überwunden haben, so verlassen auch täglich viele den Planeten, in allen Altern und Formen und Kulturen und Ideen darüber, wie es nach ihrem Erlöschen weitergeht, und ob die erworbene Dichte des Geistes sich wird durchsetzen  können, oder die endlich errungene Leere (durch die Lehre) Befreiung bietet von allen Vorstellungen. Auf dem alten Weg wandern viele, aber immer ist Raum für die Einzelnen. Sie, beziehungsweise wir denken nach darüber, was geschehen ist und was wir selbst beitragen können von dem, was uns  und den Anderen keinen Schaden (mehr) anrichtet, sodass zumindest in unserem Wirkungskreis Heilung, von was auch immer, möglich ist. Bestechend durch seine Einfachheit, das ist der alte Weg, wo der Weg selbst unsere Schritte lenkt. (Level 7 bis 10). (Oder ein eigenes System erfinden).

Plato – Die Apologie des Sokrates

Die Rede nach der Verurteilung

Urteil des Sokrates über den Prozeß

Nur um einer gar kurzen Zeit willen, ihr Athener, werdet ihr nun den Namen behalten und den Vorwurf von denen, welche die Stadt gern lästern mögen, daß ihr den Sokrates hingerichtet habt, diesen weisen Mann. Denn behaupten werden die nun freilich, daß ich weise bin, wenn ich es auch nicht bin, die euch lästern wollen. Hättet ihr nun eine kleine Weile gewartet, so wäre euch ja dies von selbst erfolgt. Denn ihr seht ja mein Alter, daß es schon weit fortgerückt ist im Leben und nahe am Tode. Ich sage dies aber nicht zu euch allen, sondern nur zu denen, die für meinen Tod gestimmt haben. Und zu eben diesen sage ich auch noch dies: Vielleicht glaubt ihr Athener, ich unterläge jetzt aus Unvermögen in solchen Reden, durch welche ich euch wohl möchte überredet haben, wenn ich geglaubt hätte, alles reden und tun zu dürfen, um nur dieser Klage zu entkommen. Weit gefehlt! Sondern aus Unvermögen unterliege ich freilich, aber nicht an Worten; sondern an Frechheit und Schamlosigkeit und an dem Willen, dergleichen zu euch zu reden, als ihr freilich am liebsten gehört hättet, wenn ich gejammert hätte und gewehklagt, und viel anderes getan und geredet meiner Unwürdiges, wie ich behaupte, dergleichen ihr freilich gewohnt seid, von den andern zu hören. Allein weder vorher glaubte ich der Gefahr wegen etwas Unedles tun zu dürfen, noch auch gereuet es mich jetzt, mich so verteidigt zu haben; sondern weit lieber will ich auf diese Art mich verteidigt haben und sterben, als auf jene und leben. Denn weder vor Gericht noch im Kriege ziemt es weder mir noch irgend jemandem, darauf zu sinnen, wie man nur auf jede Art dem Tode entgehen möge. Auch ist ja das bei Gefechten oft sehr offenbar, daß dem Tode einer wohl entfliehen könnte, würfe er nur die Waffen weg und wendete sich flehend an die Verfolgenden: und viele andere Rettungsmittel gibt es in jeglicher Gefahr, um dem Tode zu entgehen, wenn einer nicht scheut, alles zu tun und zu reden. Allein, nicht dies möchte schwer sein, ihr Athener, dem Tode zu entgehen, aber weit schwerer, der Schlechtigkeit: denn sie läuft schneller als der Tod. Auch jetzt daher bin ich als ein langsamer Greis von dem Langsameren gefangen worden; meine Ankläger aber, gewaltig und heftig wie sie sind, von dem Schnelleren der Bosheit. Jetzt also gehe ich hin und bin von euch der Strafe des Todes schuldig erklärt: diese aber sind von der Wahrheit schuldig erklärt der Unwürdigkeit und Ungerechtigkeit. Und sowohl ich beruhige mich bei dem Erkenntnis, als auch diese. Dieses nun mußte vielleicht so kommen, und ich glaube, daß es ganz gut so ist.

Weissagung an die Verurteilenden

Was aber nun hierauf folgen wird, gelüstet mich euch zu weissagen, ihr meine Verurteiler! Denn ich stehe ja auch schon da, wo vorzüglich die Menschen weissagen, wenn sie nämlich im Begriff sind zu sterben. Ich behaupte also, ihr Männer, die ihr mich hinrichtet, es wird sogleich nach meinem Tode eine weit schwerere Strafe über euch kommen als die, mit welcher ihr mich getötet habt. Denn jetzt habt ihr dies getan in der Meinung, nun entledigt zu sein von der Rechenschaft über euer Leben. Es wird aber ganz entgegengesetzt für euch ablaufen, wie ich behaupte. Mehrere werden sein, die euch zur Untersuchung ziehen, welche ich nur bisher zurückgehalten, ihr aber gar nicht bemerkt habt. Und um desto beschwerlicher werden sie euch werden, je jünger sie sind, und ihr um desto unwilliger. Denn wenn ihr meint, durch Hinrichtungen dem Einhalt zu tun, daß euch niemand schelten soll, wenn ihr nicht recht lebt, so bedenkt ihr das sehr schlecht. Denn diese Entledigung ist weder recht ausführbar, noch ist sie edel. Sondern jene ist die edelste und leichteste: nicht anderen wehren, sondern sich selbst so einrichten, daß man möglichst gut sei. Dieses will ich euch, die ihr gegen mich gestimmt habt, geweissagt haben und nun von euch scheiden.

Das Ausbleiben des Daimonion und seine Bedeutung

Mit denen aber, welche für mich gestimmt, möchte ich gern noch reden über dies Ereignis, welches sich zugetragen, solange die Gewalthaber Roch Abhaltung haben und ich noch nicht dahin gehen muß, wo ich sterben soll. Also, ihr Männer, so lange haltet mir noch aus! Nichts hindert ja, uns vertraulich zu unterhalten miteinander, solange es noch vergönnt ist. Denn euch als meinen Freunden will ich gern das erklären, was mir soeben begegnet ist, was es eigentlich bedeutet. Mir ist nämlich, ihr Richter – denn euch benenne ich recht, wenn ich euch Richter nenne –, etwas Wunderbares vorgekommen: Meine gewohnte Vorbedeutung nämlich war in der vorigen Zeit wohl gar sehr häufig, und oft in großen Kleinigkeiten widerstand sie mir, wenn ich im Begriff war, etwas nicht auf die rechte Art zu tun. Jetzt aber ist mir doch, wie ihr ja selbst seht, dieses begegnet, was wohl mancher für das größte Übel halten könnte, und was auch dafür angesehen wird; dennoch aber hat mir weder, als ich des Morgens von Hause ging, das Zeichen des Gottes widerstanden, noch auch als ich hier die Gerichtsstätte betrat, noch auch irgendwo in der Rede, wenn ich etwas sagen wollte, – wiewohl bei andern Reden es mich oft mitten im Reden aufhielt. Jetzt aber hat es mir nirgends bei dieser Verhandlung, wenn ich etwas tat oder sprach, im mindesten widerstanden. Was für eine Ursache nun soll ich mir hiervon denken? Das will ich euch sagen: Es mag wohl, was mir begegnet ist, etwas Gutes sein, und unmöglich können wir Recht haben, die wir annehmen, der Tod sei ein Übel. Davon ist mir dies ein großer Beweis. Denn unmöglich würde mir das gewohnte Zeichen nicht widerstanden haben, wenn ich nicht im Begriff gewesen wäre, etwas Gutes auszurichten.

Hoffnungen für den Tod

Laßt uns aber auch so erwägen, wieviel Ursache wir haben zu hoffen, es sei etwas Gutes. Denn eins von beiden ist das Totsein: entweder so viel als nichts sein noch irgend eine Empfindung von irgend etwas haben, wenn man tot ist; oder, wie auch gesagt wird, es ist eine Versetzung und Umzug der Seele von hinnen an einen andern Ort. Und es ist nun gar keine Empfindung, sondern wie ein Schlaf, in welchem der Schlafende auch nicht einmal einen Traum hat, so wäre der Tod ein wunderbarer Gewinn. Denn ich glaube, wenn jemand einer solchen Nacht, in welcher er so fest geschlafen, daß er nicht einmal einen Traum gehabt, alle übrigen Tage und Nächte seines Lebens gegenüberstellen und nach reiflicher Überlegung sagen sollte, wieviel er wohl angenehmere und bessere Tage und Nächte als jene Nacht in seinem Leben gelebt hat, so glaube ich, würde nicht nur ein gewöhnlicher Mensch, sondern der Großkönig selbst finden, daß diese sehr leicht zu zählen sind gegen die übrigen Tage und Nächte. Wenn also der Tod etwas solches ist, so nenne ich ihn einen Gewinn, denn die ganze Zeit scheint ja auch nicht länger auf diese Art als eine Nacht. Ist aber der Tod wiederum wie eine Auswanderung von hinnen an einen andern Ort, und ist das wahr, was gesagt wird, daß dort alle Verstorbenen sind, – was für ein größeres Gut könnte es wohl geben als dieses, ihr Richter? Denn wenn einer, in der Unterwelt angelangt, nun dieser sich so nennenden Richter entledigt dort die wahren Richter antrifft, von denen auch gesagt wird, daß sie dort Recht sprechen, den Minos und Rhadamanthys und Aiakos und Triptolemos, und welche Halbgötter sonst gerecht gewesen sind in ihrem Leben, – wäre das wohl eine schlechte Umwanderung? Oder auch mit dem Orpheus umzugehen und mit Musaios und Hesiodos und Homeros, – wie teuer möchtet ihr das wohl erkaufen? Ich wenigstens will gern oftmals sterben, wenn dies wahr ist. Ja, mir zumal wäre es ein herrliches Leben, wenn ich dort den Palamedes und Aias, des Telamon Sohn, anträfe, und wer sonst noch unter den Alten eines ungerechten Gerichtes wegen gestorben ist: mit dessen Geschick das meinige zu vergleichen, das müßte, glaube ich, gar nicht unerfreulich sein. Ja, was das Größte ist, die dort eben so ausfragend und ausforschend zu leben, wer unter ihnen weise ist, und wer es zwar glaubt, es aber nicht ist. Für wieviel, ihr Richter, möchte das einer wohl annehmen, den, welcher das große Heer nach Troia führte, auszufragen, oder den Odysseus oder Sisyphos, und viele andere könnte einer nennen, Männer und Frauen, mit welchen dort zu sprechen und umzugehen und sie auszuforschen auf alle Weise eine unbeschreibliche Glückseligkeit wäre! Gewiß werden sie einen dort um deswillen doch wohl nicht hinrichten: Denn nicht nur sonst ist man dort glückseliger als hier, sondern auch die übrige Zeit unsterblich, wenn das wahr ist, was gesagt wird.

Schlußworte an die Richter

Also müßt auch ihr, Richter, gute Hoffnung haben in Absicht des Todes und dies eine Richtige im Gemüt halten, daß es für den guten Mann kein Übel gibt weder im Leben noch im Tode, noch daß je von den Göttern seine Angelegenheiten vernachlässigt werden. Auch die meinigen haben jetzt nicht von ohngefähr diesen Ausgang genommen: sondern mir ist deutlich – daß sterben und aller Mühen entledigt werden schon das Beste für mich war. Daher auch hat weder mich irgendwo das Zeichen gewarnt, noch auch bin ich gegen meine Verurteiler und gegen meine Ankläger irgend aufgebracht, – obgleich nicht in dieser Absicht sie mich verurteilt und angeklagt haben, sondern in der Meinung, mir Übles zuzufügen. Das verdient an ihnen getadelt zu werden. So viel jedoch bitte ich von ihnen: An meinen Söhnen, wenn sie erwachsen sind, nehmt eure Rache, ihr Männer, und quält sie ebenso, wie ich euch gequält habe, wenn euch dünkt, daß sie sich um Reichtum oder um sonst irgend etwas eher bemühen als um die Tugend: und wenn sie sich dünken, etwas zu sein, aber nichts sind, so verweiset es ihnen wie ich euch, daß sie nicht sorgen, wofür sie sollten, und sich einbilden, etwas zu sein, da sie doch nichts wert sind. Und wenn ihr das tut, werde ich Gerechtes von euch erfahren haben, ich selbst und meine Söhne. Jedoch – es ist Zeit, daß wir gehen: ich, um zu sterben, und ihr, um zu leben. Wer aber von uns beiden zu dem besseren Geschäft hingehe, das ist allen verborgen außer nur Gott.


verantworten

Vermutlich ist den meisten von uns (Menschlingen) klar geworden, dass wir die Geister, die wir riefen, nicht mehr bändigen können, bzw. nicht mehr loswerden. Herr, die Not ist groß. Der Meister antwortet nicht. Auf einmal ist jede/r für sich selbst verantwortlich, das erschafft zumindest etwas Reife im Umgang mit den eigenen Befindlichkeiten. Ich kann mich fragen, welche Geister ich selbst rief, oder wie heißt es doch: wessen Geistes Kind ich bin, oder was „Geist“ für mich ganz persönlich  bedeutet.  Ich denke an Sokrates und seine letzte Rede, in der er die Dinge klarstellte, die unbewusst alle ahnten, aber eben nicht wussten, und Sokrates sagte also alles, was es noch zu sagen gab, und griff dann selbst zum Giftbecher und trank seinem entschwindenden Leben zu. Denn nicht immer, also in seltenen Fällen, ist es unangebracht, dem Leben hinterherzujagen, so als wäre der Tod nicht auch ein Tor in die Freiheit. Und man hat ja ganz früh in den heiligen Werken des Ausgedachten gelernt, dass es schon im Paradies Handlungsverbote gab, und hätten Adam und Eva nicht von der Schlange verführt werden können, ja, was hätten sie denn dann nicht können. Bestimmte Erfahrungen machen zum Beispiel, die sie aus der verordneten Kindheit immerhin herausgeführt haben, auch wenn ziemlich schnell ein Mord in der Familie passiert ist. Und  „den Geist“ und  „die Geister“ kann man wohl rufen, wenn man sich daran gewöhnt hat, etwas von ihnen zu brauchen und macht sie sozusagen zu den persönlichen Dienstboten, die man auch ansprechen kann, wenn man eine Parklücke braucht für den Wagen. Verhältnismäßig schnell lässt sich auch klären, dass alles, was für uns Erleben möglich macht, aus der Substanz besteht, die den geistigen Inhalt bestimmt, die geistige Schöpfungsmaterie also, scheinbar unbegrenzt verfügbar für so ziemlich alles, was Menschen so austüfteln, und was uns zum Haben geeignet scheint.  Bis eines Tages der Golem in den Gassen herumirrt, der zwar vom Geist erzeugt, selbst aber nichts davon besitzt, und gerade deswegen zu allen Entgleisungen fähig ist, weil er oder sie oder es die Tragweite des eigenen Handelns gar nicht einschätzen kann. Es macht ja einen gewissen Sinn, dass dann Erinnerungsfetzen auftauchen an die alte Pforte. Regungslos steht man im verwilderten Garten. Niemand mehr da. Die Szene wie ausgestorben. Kein Kettengeklirre der Hoffnungsgesänge. Kein Saugen am tiefschwarzen Strohhalm der Welt. Der Vater entlassen, die Mutter versöhnt. Der Kindheit nahtlos entwachsen. Das geistige Feld still, und doch so lebendig.

angehen

Der großartige Satz von Epikur, nämlich dass „der Tod (das schauerlichste Übel), uns nichts angeht, denn solange wir da sind, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, sind wir nicht mehr da“, ist immer noch wahr, sagt aber nichts aus über den Weg dorthin. Immer wieder mal hört man, dass jemand (wie neulich Tina Turner) „nach langer Krankheit“ gestorben ist, das klingt schwerwiegend, vor allem, wenn man versucht, glamouröses Scheinwerferlicht mit lebensbedrohender Krankheit in Verbindung zu bringen. Aber jede Wanderung bis hin zum letzten Tor ist, von der weltlichen Dramaturgie her gesehen, eine Herausforderung. Welcher Spielraum ist hier gegeben, um an der eigenen Life Performance noch teilnehmen zu können. Welche Belastungen werden von den automatisch Mitbetroffenen freiwillig und gerne auf sich genommen, günstigerweise dankbar die radikale Veränderung annehmend, mit der das Schicksal eines Menschen auf unser eigenes zu wirken beginnt, um bald wenig anderes zulassen zu können als eben dieses Abschiednehmen von allem, was wir uns auf der Erde vertraut machen konnten. In diesem Sinne ist es durchaus angebracht, den Vorgang episch zu nennen, da im Epos oder im Opus vorausgesetzt werden darf, dass die Spieler:innen sich ihres Be-Rufes bewusst waren, und nun, welch düster geführte Lenkung, wenn das bleierne Pendel auf eine/n der noch Lebenden trifft und sie oder ihn auswählt, die nötigen Vorbereitungen zu treffen, indem das Feld der Handlung wie durch Geisterhand bewegt wird in ein vollkommen neues und noch völlig unbekanntes Terrain, auf dem die Anderen langsam zurückweichen müssen, denn man kann wohl zusammen erschossen werden, aber nicht zusammen bewusst durch das Tor gehen. Auch das haben einige gemacht, oft geht es um Liebe, die sich in der weltlichen Begrenzung nicht gemeinsam sehen kann, wegen den üblichen Hindernissen, oder aus der Vielfalt menschlicher Mythen heraus, wo manches Erlebnisvermögen so groß ist, dass es sich der befangenen Umsetzung versagt. Auch von einer Lust am Untergang ist mir (zum Beispiel von meiner Mutter) vermittelt worden gegen Ende des Krieges, wenn Hoffnung nicht mehr angebracht war und die Leere sich in ein saugfähiges Schwarzes Loch verwandeln konnte, das die Gesetze von Haben und Sein gar nicht kennt, sondern nur mitnimmt, was sich zum Aufsaugen anbietet.  So ist es verständlich, dass hohe Kulturen wie die ägyptische oder die buddhistische sich aus ihrer Logik heraus bemüht haben, im Leben und durch das Leben die Kunst des Sterbens zu lernen, damit man nicht ganz unvorbereitet auf der Landebahn steht, wenn es Zeit ist, dem Unvermeidlichen ins Auge zu blicken, solange es auf uns zurückblicken kann.

heilen

Der verwundete Engel wird von der Bildfläche getragen. Zu gerne wüsste man, wodurch die Verwundung entstand: war der Engel selbst zu hilfsbereit, zu freundlich, zu nett, zu weiß, zu vorwitzig, zu nachdenklich, zu unerreichbar in seiner bzw. ihrer scheinbaren Güte. Oder war die Güte und die Arglosigkeit echt, und es befremdete die Herumstehenden, sodass sie es weghaben wollten, weil sie selbst es nicht sein oder haben konnten. Die eigene Kostümierung kann nur von innen her bestimmt werden, man muss mit dem Resultat des Vorgezeigten umgehen.  Hört jegliches Vorzeigen auf, jeder Hunger nach (Wieder)-Erkennung, kann es wohl sein, dass das jedem Ding und Wesen innewohnende Licht spürbar oder gar sichtbar wird, aber häufig fehlt uns da das Vorbild oder die Erfahrung. Auch muss unbedingt klar sein, dass das Erkennen des Wesens keineswegs abhängt von der Entblößung oder Freilegung oder Entschleierung. Nein, ganz im Gegenteil. Ohne verborgenen Reichtum keine Gelassenheit und keine Zuversicht, eben kein Brauchen von  viel mehr, oder gieriges Einnehmen von geistigen Nahrungsergänzungsmittel. Wo stets ein Anderer oder eine Andere herhalten muss zur Fütterung, damit der Faden nicht abbricht im Muster des Zauberteppichs, während unten in den Abgründen der erfundenen Märchen das Menschsein verjagt wird, wieder von anderen. Und als innere Architektin spürt man natürlich, wenn ein Plan sich durchsetzen will, aber welcher? Durchaus denkbar, ein Labyrinth zu bauen, in dem jeder und jede Besucherin nahezu mühelos den Ausgang findet, ohne Gott weiß wem einen Ausweis vorlegen zu müssen. Nur, was soll die Vereinfachung bewirken, wenn dann vor einem ein breiter, unüberwindbarer Schatten zwischen der Idee und der Wirklichkeit liegt. Will ich aber mich selbst sicher durchnavigieren unter allen gegebenen Umständen, dann halte ich am besten bei mir den roten Faden (zum Einsatz in Notfällen), und mache mich auf zur Heilung, solange Heilung noch möglich ist.

Spiel

*

In Indien wird der lebendige Seinsvorgang auch ein Spiel genannt, ein immerhin großes und göttliches Spiel (Maha Lila), auf einem grundsätzlich illusionären Teppich herrlich ausgebreitet, und immer ein göttliches Wort zur Verfügung, um einem, wenn man so möchte, die Spielregeln zu erklären, an die man sich halten kann oder auch nicht. Da im Buddhismus und im Hinduismus auch der Tod nur ein Tor zu weiterem Erleben ist, wird er ähnlich zelebriert wie andere Festlichkeiten. Man hat Rituale erfunden, um Ausschau zu halten nach Zeichen, was die verschwundene Form als nächste Manifestation zu bieten hat. Die menschliche Gestalt zu erlangen gilt bereits als Höchstleistung, wer weiß schon, was man womöglich vorher war, Wurm oder Eidechse oder Adler usw., und dann: nur Menschenform geworden, noch nicht menschenmögliche, geistig geschulte Ausführung, noch nicht Menschsein. Alles kann immer mal wieder aufhören oder wieder anfangen, oder einfach weitergehen, wenn man den Weg des Flusses oder die Eigenart der Delphine oder die Himmelsshpären so weit durchgrübelt hat, dass man, ganz unversehens, auf das  verbindende Gesetz stößt, nicht menschengemacht, aber menschenbegrenzt. Im Westen bin ich öfters mal bei dem Wort „Spiel“ auf Widerstand gestoßen, verständlicherweise. Es hat ja (nicht mehr) diese federleichte, helle Begleitung, wie nur Götter sie gewähren können, sondern zeigt sich als bleischweres Bündel der menschlichen Bürde, die einem auferlegt wird als Schicksalsklumpen, bei dessen Formierung man keinerlei kreativen Anteil hatte. Der dann zu therapeutischen Expert:innen gebracht wird, um etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Aber diese Tragweite ein Spiel zu nennen? Ein Abenteuer also, in dem man der persönlichen Entwicklung wegen zu allerlei Prüfungen bereit ist, die zu bestehen sind, obwohl keiner, auch kein Gott und kein Vater und keine Mutter und kein Coach und kein Lehrer hier mehr was zu sagen oder zu behaupten oder zu kontrollieren hat, denn irgendwann ist es soweit: nicht als Kind kehrt man zurück zum Urgrund, sondern automatisch spült einen die Bewältigung der Szenen hinein in den eigenen Ton, und der kreative Geist macht sich an die Gesänge, wie auch immer, mit was auch immer, wo auch immer, aber nicht mit wem auch immer. Denn in der Tat braucht man Mitspieler:innen, jede/r für jede/n die Mitspieler:innen, damit das Spiel geschliffen, arglos und mächtig, nicht machthungrig ist. Am mächtigsten aber ist die Nähe des Todes. Alle derzeit Unbeteiligten weichen zurück, nur du bist mittendrin: du verlässt die derzeitige Heimat. Alles, was du warst und bist, nimmst du mit. Mit dieser radikalen Solo-Performance  verlassen wir (irgendwann) einander. Wir wissen nicht, was er denkt, der Blaue Planet,  und was wir mit uns auf ihm gemacht haben.

 

* von einem unserer früheren Performance Programmhefte

fassen ( ) ?


nahtlos
Vor einem Jahr, genau um diese Zeit, erlag ein Mensch, der mir sehr nahe war, einer tödlichen Krankheit. Zuerst schien die körperliche Befindlichkeit auf etwas hinzudeuten, etwas Vorübergehendes  im Raum des Heilbaren, bis klar wurde, am zweiten Juni, dass das nicht so war, alles ging sehr schnell. Noch zwei schwer zu ertragende Wochen ging es weiter ohne den geringsten Strohhalm, dann hatte ich das Glück, beim letzten Atemzug anwesend zu sein. Das Unfassbare ließ sich nicht fassen. Hat es bis heute, ein Jahr später, eine Fassung erhalten? Ich sehe sie nicht. Vielleicht kommt der Tag, wenn man das Gefühl hat, abschließen zu müssen, aber was abschließen? Die Geschichte, oder die Erinnerung, oder die Trauer, oder den Verlust? Oder gar nichts abschließen, gibt es doch Orte, die nur für uns selbst bestimmt sind, unsere Quelle eben, an der das Geheimnis die undurchdringliche Sphäre bildet, in der nur der eigene Geist seine Geburt und Belebung erfährt, oder das natürliche Streben nach Vollkommenheit, von dem Hippokrates sagt, dass es zu Ergebnissen führt, die das Leben schmücken. Das Inspiriertsein davon also, vom unerschöpflichen Reichtum des Anwesenden, dem immer nur ein gewisser Zeitraum zur Verfügung steht, bevor es erlischt, und wer weiß schon, wie es dann weitergeht. Und selbst, wenn es weitergeht oder ginge, so ist doch erst einmal das gerade durchquerte Drama abgerundet, wenn der letzte Atem den Körper verlasst. Es wird ja behauptet, dass der Körper dann leichter wird, und niemand weiß, was mit dem fehlenden Gewicht geschieht. Da, wo Reinkarnation unangefochtenes Gesetz ist, kommt kein Zweifel auf, darf auch nicht aufkommen, sonst stünde vieles, wenn nicht alles, in Frage, eine Frage eben, die keine/r beantworten kann. Auch der Dalai Lama soll als kleines Kind zum richtigen religiösen Objekt gegriffen haben, um dann der Auserwählte zu werden. In Welten, die zu lange das Heilige oder das Geheiligte verkündet haben, taucht irgendwann der ausgleichende Abgrund auf, als Schrecken, als Tod, als das gänzlich Unerwartete, das als normal Deklarierte, das dann, wenn seine Zeit vorbei ist, entweder erlischt, oder zwanghaft aufrecht erhalten werden muss. Der Form oder der Followers oder der Familie wegen. Weswegen der Zeitraum vom lebendigen Jetzt bis an das immerhin denkbare Ende immer anspruchsvoller wird, wenn man denn Anspruch an und Zumutung für sich selbst liebt. Denn wie wäre die Zeit, die sich ergebende, besser zu erleben, als zu sein, wer man ist. Wer man ist.

Tilda Swinton

Was hat Liebe mit Einsamkeit zu tun?

Alles. Die Akzeptanz der eigenen Einsamkeit ist die Voraussetzung, um einen anderen wirklich zu lieben. Wenn wir diese Einsamkeit jemandem zeigen, der sie wiederum sieht und akzeptiert, ohne uns davon abbringen zu wollen, und wenn der andere uns seine Einsamkeit zeigt – das birgt die Chance einer wirklich liebenden Beziehung. Einsamkeit ist ein Fakt. Wir sterben alle allein. Das wäre sonst wieder dieses romantische Ideal des Eins-Seins, das uns verkauft wird, als müssten wir nur den Richtigen finden, um nie wieder allein zu sein. Ich halte das für Fiktion. Und für eine Verschwendung einer existentialistischen Wahrheit. Es ist sehr gesund zu wissen, wie einsam wir sind. Die liebevollsten Beziehungen in meinem Leben – davon gibt es viele – habe ich zu Menschen, die sich ihrer Einsamkeit bewusst sind und keine Angst davor haben. So können wir uns wunderbar Gesellschaft leisten. Es ist ein guter Weg, um gute Freunde zu finden.

 

hinweisen


Leuchtkraft
Überall in der Welt sind trotz der maßlosen Vielfalt auch erstaunlicherweise sehr ähnliche Muster des menschlichen Verhaltens aufgetaucht, es wird geheiratet, irgendwie Geld aktiviert, zusammengefunden, auseinandergesetzt, gelernt, gelobt, gepriesen, ritualisiert, praktiziert undsoweiter. Dennoch wird das Fremdartige meist hervorgehoben, der Mensch braucht sichere Verhältnisse, die oft nur in engen Banden ermöglicht werden. Auch kann man vermutlich jegliche Art von Menschengruppe zusammenfügen und ohne gemeinsames Thema eine Weile miteinander leben lassen, da wird es  bald mehr Klarheit darüber geben, wer wo was wann und wie macht. Es kann Kämpfe geben, wenn Machtinteressen aufeinanderprallen, jemand wird sich durchsetzen, im guten oder im schlechten Sinn, das hängt von denen ab, die sich auf irgendeine Weise gewählt haben. Die Qualität der Gesellschaft hängt notwendigerweise von den Einzelnen ab. Deshalb kann es so immens wichtig sein und werden, wenn menschliche Wesen erwachen und Verantwortung übernehmen für ihre eigenen Köpfe (und Körper). Das ist zwar in jeder Zeitepoche durchaus empfehlenswert, aber gewinnt an Dringlichkeit, wenn sich eine als „besonders“ empfundene Zeit aus den Angeln der Ewigkeit hebt und kollektiven Anspruch erhebt auf Erwachen. Das seit Jahrtausenden als geistige Höhe angestrebte Gut bietet sich (wegen der Dringlichkeit der Verhältnisse) an als eine Möglichkeit, eben: erkenne dich selbst, und dann gleich dahinter folgt: alles in Maßen. Selbst den Algorhythmus, wie ich ihn nenne, den großen, mächtigen Menschengeistfänger, kann man in Dienst stellen, wenn man weiß, was noch (in mir) zu suchen oder zu finden ist, oder wessen geistige Nahrungsquelle für mich tatsächlich eine Relevanz besitzt. Natürlich kann man, wenn man die grundsätzlich von einem gewünschte Weite und Tiefe der Informationsquellen geklärt hat, dort auch einiges an Reichtum hervorzaubern. Die gleichermaßen erstaunliche Vielfalt der düsteren Krankheiten, die den Planeten durchziehen, weist allerdings darauf hin, dass sehr viel Materialschaden entstanden ist, und natürlich ist man sehr dankbar dafür, dass, sollte man sie benötigen, natürliche mit künstlichen Teilen ersetzt werden können, die das Leben zerschlissen hat. Vielleicht ist daher die Sehnsucht so groß, durch technische Ersetzung unversehrter zu werden. Verblüffend ist immerhin, dass, wenn höchste erreichbare Tiefe mit höchster erreichbaren Höhe zusammentrifft, viel Energie entsteht, die es zu navigieren gilt. Alles hängt davon ab, wo diese Energie hinweist.

verrücken

*
Simples Puzzle
In Byung-Chul Han’s Büchlein „Transparenzgesellschaft“ hat mir eine kleine Geschichte so gut gefallen, dass ich sie hier wiedergeben möchte, damit sie nicht verloren geht: Ein Rabbi, ein wirklich kabbalistischer, sagte einmal: um das Reich des Friedens herzustellen, werden nicht alle Dinge zu zerstören sein und eine ganz neue Welt fängt an, sondern diese Tasse oder jener Strauch oder jener Stein und so alle Dinge sind nur ein wenig zu verrücken. Weil aber dieses Wenige so schwer zu tun und sein Maß so schwierig zu finden ist, können das, was die Welt angeht, nicht die Menschen, sondern dazu kommt der Messias.“ Allerdings ist es nicht das Versprechen des kommenden Messias, was mir gefällt, sondern es hat mich gereizt und angesprochen, dieser Schwierigkeit spielerisch entgegenzutreten, indem ich um mich geschaut habe in meinem Raum und von der Idee ergriffen wurde, alles darin Vorhandene ein klein wenig zu verrücken, sodass dadurch automatisch eine ganz neue Ordnung entsteht und ich damit rechnen kann, dass diese Veränderungen sich in irgendeiner spürbaren Weise auf mich auswirken werden. Es wäre nötig, es bewusst zu erfassen, denn wir wissen alle, dass wir uns ständig verändern, aber meist nehmen wir es nicht bewusst wahr, weil der Prozess des Lebens  schleichend ist. Es wäre also interessant zu beobachten, ob die Wirkung solcher Veränderungen tatsächlich spürbar ist, ohne in esoterische Gaukeleien zu verfallen. Es ist doch verblüffend, wie lange sich dingliche Zusammensetzungen halten können, und selbst nach Entstaubungen sieht man dieselben Kompositionen sich formieren, so, als gäbe es keine andere Variante als die bereits von einem entschiedene. Es ist ja nicht so, als würde man nicht mal umräumen, aber dann scheint es doch nach vielen Experimenten eine nahezu optimale Formation zu geben, um die sich die kleinen Objekte dann alle herumscharen ins nahezu Unauflösbare. Nun, da hier im Haus neuerdings viel um verbleibende Zeiträume herumkontempliert wird, enthält die Anregung eine neue Dimension. Also, wie es eine kluge Frau neulich mal formulierte, weg vom Flip-Flop, und: ran an die Realität. Es ist (leider) leicht für gerade nicht Sterbende, sich Gedanken zu machen über die Möglichkeiten, die bestimmte verfügbare Zeiträume anbieten. Auch dazu gibt es scheinbar krasse Sätze aus den yogisch geprägten Welten, wie zum Beispiel „Stirb, bevor du stirbst“. Aber auch wenn einem das Einleuchten des Satzes gelingt, besteht weiterhin die Frage: wie geht’s.  Und ist es s o gemeint, dass man mit diesem (Ich)-Tod dann eine direktere Wahrnehmung des Lebendigen hat, und dass das auf jeden Fall ein Schritt in die „richtige“ Richtung wäre, egal, wie lange man das erleben könnte. Oder sich dem Ganzen einfach von Herzen und in vollem Vertrauen überlassen, da ich erkannt habe, dass das Ganze eh nach einem innewohnenden Programm abläuft, dem ich mich durchaus anvertrauen kann. (!?)

 

 

 

* Wann wird das, was man an Vorhandenem zusammenfügt, zu Eigenem?

abrunden


Trugbild des Tempels
Auch das Meer kann so vieles sein, natürlich sich selbst, aber vor allem Symbolik für das, was man grad benötigt: Sehnsucht, antike Tempel, Weite, Glitzern der Oberfläche, Beweis des Unergründlichen, Ruhestätte der Körper, um nur ein paar zu nennen. La mer, phonetisch auch Mutter, oder Mutterschlund, dem die Söhne zu trotzen bestrebt sind als Antrieb für ihre Heldentaten. Das Rauschen der Wellen kann einen in Schlaf wiegen wie ein Kind, aber auch aufwühlen mit dem ewigen Singsang. In seinem Gedicht „Was schlimm ist“ hat Benn folgende Zeile:…“Nachts auf Reisen Wellen schlagen hören und sich sagen, dass sie das immer tun“. (Gottfried Benn, Meister des Furchterregenden). Das NochmalschnellzumMeerfahren vor der Abreise dient natürlich dem Wunsch, das Meer noch einmal zu sehen als Abrundung des Wochenendes. Vor nichts lässt sich leichter verneigen als vor dem Meer, ein Dank bewegt sich im Innern an die Großzügigkeit des Schicksals, denn immerhin: keine Kriegsschiffe unterwegs, nur Schemen vom Nichtwissbaren. Auch lockt zuweilen das Genug, man muss nicht immer alles bis zur Neige ausschlürfen wollen (und so manches wird gar nicht weniger, obwohl man davon trinkt oder trunken werden kann). Und ja, immer gut, mal vom Gewohnten entfernt zu sein, es kann das Eigene liebenswert erscheinen lassen, der Garten was verwilderter als dort die strahlenden Binsen, also beides ruhend in ihrer Schönheit, nur anders. Und wie zu erwarten war, fuhren wir im holländischen, dem Menschlichen gewogenen Tempolimit mit sehr vielen Anderen zurück, und nun ist schon wieder Mittwoch, wie konnte das geschehen. (Das war ein Scherzlein mit Windschatten).

 

 

reserviert

Im Mittelteil der Erzählung muss klar werden, um was es geht, obwohl die Frage jederzeit als Orientierung angebracht ist. Wenn (wir) Menschen Ferien machen oder uns aufmachen zu einem Wochenende mit reservierten Zimmern, geht trotz der in Anspruch genommenen Freizeit nichts von selbst, nein, sondern man muss eine ganze Menge sortieren. Leicht kann man zur Wühlmaus in der eigenen Reisetasche werden, obwohl alles erst so proper zueinander gelegt schien. Was wir auch wussten, war, dass wir als Gast einen tiefdunklen Schatten dabei hatten, (noch) nicht aufdringlich, aber dennoch spürbar: es war die Wirkung des dumpfen Gongschlags einer Diagnose, die Eine von uns getroffen hatte. Unser Leben navigierte bereits durch die Wellen dieses Ozeans, als unsere Blicke auf die stürmische Flut des Wassers trafen. Irgendwann weiß man, dass es keine überschaubare Reihenfolge des Sterbens gibt, denn einfach alles Denkbare  und Undenkbare kann jederzeit geschehen. Ist man nicht selbst der oder die Betroffene, können einem sehr viele, auch hilfreiche Dinge einfallen, aber zum Glück werden die Ratschläge karger. Und es stimmt, dass für die, die bleiben, der Tod ein unlösbares Problem ist. Es trifft immer nur Eine/n allein, das kann man als die Schönheit des Wahren bezeichnen. Wer behauptet denn, dass es leicht sei. Vor allem, wenn der betroffene Mensch noch alles selbst entscheiden kann: die Kraft des Meeres spüren, das Zittern der Blätter auf dem sandigen Waldpfad, der Empfang des Zustroms  warmer Gefühle, die sich nun im Rahmen des Geschehens größerer Zulassung erfreuen. Denn noch ist der Mensch, die einem am Herzen liegt, da. Noch da noch. Noch da. So war diese Auszeit von sonnigem Wetter gekrönt, aber ein kalter Wind wehte um die, die sich ins Freie hinaus bewegten. Nur die Surfer, aber vor allem ein einziger Surfer, ließ sich von den Hindernissen nicht einschränken. Ja, das Hindernis war gerade der Ansporn! Er ließ sich von seinem Windfang hochtragen in die Lüfte, kam wieder herunter auf die Wasseroberfläche, und weiter ging die Fahrt. In diesen Stunden wird vieles zum unerwarteten Genuss. Der Geschmack einer Avocado, eine heiße Dusche, ein Menschengesicht, dass einen liebevoll anschaut. Wenn Tiefe und Flüchtigkeit keine Angst mehr hervorrufen.

 

einleiten

Kurz bevor wir uns vergangenen Freitag ans Meer aufmachten, las ich einen Satz von Ibn Battuta über das Reisen, der sich mir eingeprägt hat: „Reisen – macht dich sprachlos und verwandelt dich dann in einen Geschichtenarzähler“ (oder eine Geschichtenerzählerin), was der nackten Wahrheit entspricht, denn vor allem, wenn man sich in unvertrauten Gefilden aufgehalten hat, kommt man mit allem möglichen zurück, und oft genug versteht man durch die eigene Mitteilung erst, was man tatsächlich erlebt hat. In Wirklichkeit waren es für uns gar keine unvertrauten Gefilde, denn viele Male waren wir schon, zusammen oder einzeln, dort gewesen, in Holland, und vor allem bei einem verlängerten Wochenende mussten wir damit rechnen, dass ein nicht geringer Teil der deutschen Bevölkerung sich dort am Tummeln war. Es stört nicht, alle sind mehr oder weniger mit denselben Dingen beschäftigt wie an allen Orten, an denen die Schönheit der Natur Unmengen von Menschen angezogen hat, deren ähnliche Bedürfnisse von Einheimischen immer professioneller bedient werden, sodass auf beiden Seiten ein gewisses Maß an Zufriedenheit anwächst über die Vorgänge. Und je mehr Geld hereinfließt, desto schöner werden die Wege,  je klarer die Ordnungen und je teurer die Übernachtungsmöglichkeiten. Darin ähneln sich das indische Dorf und das holländische Dorf, indem ihre Besonderheit Anlass gibt für Reichtum auf beiden Seiten. Die Saison-Zeiten sind anders. In Indien beginnt die Saison im November und geht bis März, hier geht sie von März bis November. Man sieht so viel Gleiches, dass es dem Geist mühelos Distanzierung ermöglicht. Nein, nicht mühelos, oder ganz im Gegenteil muss man sich mächtig ins Zeug legen, um sich dem trägen Sog des Urlaubmachens zu entziehen, dem diese Atmosphäre untertan ist. Ist es zum Beispiel heiß und der kleine Ort hat einen Kleiderladen im Bazaar, so sieht man kurz darauf viele von diesen Kleidungsstücken herumlaufen, und obwohl es in der einzelnen Entscheidung etwas Individuelles oder gar Gewagtes darstellt, gibt es dem Gesamtbild seine ungeheure Ödnis. Nun hatten wir das Glück, uns in einem völlig umdesignten Hotel mit kraftvoller Preislage niederzulassen, und unsere Zimmer hatten nicht nur die Unversehrtheit des Nagelneuen, sondern waren, wie wir erfuhren, von der Frau des Hotelbesitzers persönlich gestylt worden, und man konnte sehen, dass hier eine Leidenschaft mit einem Talent zusammentraf. Man konnte sogar nachvollziehen, warum etwas weggelassen wurde (zum Beispiel eine Küchenzeile), das war undenkbar zusammen mit dem Design, alles in hellen Tönen. Im Frühstückssaal herrschte eine heilige oder besser heillose (?) Stille, so konzentriert war die Aufmerksamkeit auf den großen Teller, auf dem vom übermäßigen Angebot des Frühstücksbuffets d a s lag, was jede/r von uns glaubte, verkraften zu können. Es war viel, sehr viel, und nicht immer leicht oder nötig, sich an sein eigenes Maß zu erinnern. (Oder doch?). Im epikureischen Sinn ist an dem gelegentlichen Übermaß nichts zu bemängeln. Hauptsache, es bekommt einem und ist mit dem Geschenk des seltenen Genusses verbunden. Wie von Ibn Battuta gesagt, man kommt ins Erzählen, und nun bin ich nur bis zur Einleitung gekommen und werde morgen selbst noch sehen, wie es weitergeht.

in Maßen

Erst neulich habe ich erfahren, dass man auf dem Weg zum Orakel von Delphi, einer Weissagungsstätte, erst durch e i n Tor ging, auf dem der berühmte Satz „Erkenne dich selbst“ steht. Und dann war da ein zweites Tor, auf dem stand: „Alles in Maßen“. In der materiellen Welt gibt es Maßbänder, die man anlegen kann, da geht es um Altbewährtes, in das man Vertrauen legen kann, die Benutzung ist von kompetenten Weltlingen überprüft worden. In der inneren Welt ist es anders, obwohl es auch hier zwischen beiden Verbindungen gibt. Anders ist, dass jedes Ich in seiner oder ihrer Welt für die Erzeugung und Gestaltung eines Maßstabes verantwortlich ist, denn egal, wie groß der Einfluss von draußen auch sein mag, so bin ich doch in letzter Konsequenz immer in eigener Gesellschaft und muss bewusst oder unbewusst damit umgehen, was da drinnen in mir passiert, das ganze Zeug also, das mich (angeblich) ausmacht.  Es kann überwältigend sein, wenn man realisiert, dass  alles, was in meiner Welt passiert, Wirkung nach außen hat. Es wird aufgenommen vom Raum und geht seine eigenen Wege. Nun kann man, im Rahmen des Wunsches, eigene Ordnungen (z.B.) für persönliche Gärten und Labyrinthe und Oasen  zu erschaffen, die auch im Geistigen zu erleben sind, ein Maß brauchen  für beide Welten, das für einen selbst glaubwürdig und umsetzbar ist, auch wenn die Erfahrung des Scheiterns immer eine der Möglichkeiten darstellt. Was gehört alles zum eigenen Leben, wo hat es das vorgestellte Maß nicht erreicht, und wo ist es maßlos geworden, sodass einem zuweilen etwas einfallen muss, um noch rechtzeitig die Kurve zu kriegen. Wie das umgedrehte Kalenderblatt muss auch der der selbst konstruierte Maßstab immer mal wieder erfrischt werden. Oder man holt sich einen Teil von Delphi in den Garten, baut zwei schöne, grazile Tore hintereinander, die die beiden Sätze so sichtbar machen, dass man sie kaum wieder vergessen kann. Natürlich nur, wenn man sie sehen will, obwohl man die Tore innerlich vielleicht noch klarer gestalten könnte. Man müsste ihnen eine eigene Ebene bauen, wo erst einmal gar nichts ist, ich meine: gar nichts. Man schaut sich schon aus Gewohnheit um, was für ein Material zur Verfügung steht, aber da ist nichts, und es kommt auch nichts. Aber es ist ja bereits etwas da, das wird jetzt erst deutlich. Die Sätze sind da, für die sollten ja die Säulen sein. Aber warum Säulen bauen, wenn die Sätze sich bereits durchgesetzt haben. Und der ganze Aufwand ist eh nur für einen einzigen Nu, nämlich den, wo ich mich erneut fragen kann, ob ich mich auf dem Weg des Selbsterkennens bewege, oder ob ich am Steuer des Schiffes erschreckt aus dem Schlaf hochfahre und in vorletztem Nu einem Eisberg ausweichen muss, oder smoothly vorangleite mit Zeit für gute Performance. Eben dann, in beiden Situationen, der Aufruf des zweiten Satzes: alles in Maßen.

verwandeln

 
Beschriftetes Dunkel
Vor allem in ihrer einfachsten Zusammenfügung können bestimmte Sätze, in denen sich ein Tropfen Wahrheit gebildet hat, die eigenen Gedanken und Vermutungen in Unruhe versetzen, weil man immer mal wieder glaubt, ihre Bedeutung erfasst zu haben, und immer wieder muss man sich neu an die Arbeit machen. Was heißt das, zum Beispiel, dass alles ist, wie es ist. Es kommt einem logisch vor. Aber wie i s t es denn? Ich schaue also und schaue, und lasse den Blick über das Vorhandene gleiten. Sobald ich in meinem Schauen irgend etwas mit meiner persönlichen Meinung bedenke, ist es nicht mehr, was es ist. Vielleicht ist es vor allem die Gewohnheit, mit der wir unsere selbst eingerichteten Welten bewohnen, die uns etwas Luft lässt und vor allem die Dinge sein lässt, was sie sind. Viel schwerer ist es mit Menschen. Man kann deuten, so viel man will, aber erfahren, wer sie sind, oder erfahren, wer man selbst ist, kann man nur, wenn man aus dem inneren Dunkel heraustritt ans Licht, also das ganz einfache Licht des Tages, in dem wir uns miteinander bewegen. Aber was heißt dann: es ist, wie es ist. Denn einerseits ist unser Auftritt einmalig, denn das, was jetzt ist, wird nie wieder erscheinen. Doch andrerseits kann gerade diese Persönlichkeit, die wir in uns kultivieren, auf einmal im Weg stehen, so, als wäre es geradezu die Aufgabe der Selbsterkenntnis, einen Weg zu finden, der einem ermöglicht, sich selbst nicht im Weg zu stehen. Eine Formel, die Staubkorn und Atem verbindet. Vielleicht nicht einmal ein Staubkorn an der Wimper des schöpferischen Auges, nein, gar nichts, rein gar nichts. Und vermutlich tanzt dann erst der Fuß in der Schönheit der Leere. Alles ist ja noch da, nur man selbst: verwandelt.

Pablo Neruda

 

Ode an einen Stern

Neulich in der Nacht
beugte ich mich auf der Terrasse
eines riesig großen, stolzen Wolkenkratzers
weit hinaus und berührte
das nachtschwarze Himmelsgewölbe.
In einem Anfall hemmungsloser Liebe
griff ich nach einem himmlischen Stern.

Schwarz war die Nacht
und ich schlich durch die Straße,
in meiner Hosentasche der Stern,
den ich geklaut.

Er war zerbrechlich und zitterte wie Kristall.
Dann kam es mir vor,
als trüge ich einen Packen Eis
oder das Schwert eines Erzengels am Gürtel.

Behutsam versteckte ich ihn unter meinem Bett,
damit niemand ihn entdeckte.
Aber sein Licht
drang zuerst
durch die Wolle der Matratze,
dann
durch die Dachziegel meines Hauses.

Ach, wie schwer
wurden mir
meine ganz privaten Angelegenheiten.

Ständig umgab mich
sein astrales Leuchten,
das so unruhig flackerte,
als möchte es zurückkehren
in die Nacht.
Nicht länger konnte ich mich
um meine Pflichten kümmern.
Ich vergaß, meine Rechnungen zu bezahlen,
und hatte kein Brot und gar nichts mehr.

Währenddessen liefen auf der Straße
die Leute zusammen –
Spaziergänger, fliegende Händler,
sie alle schlug der nie gesehene Glanz,
den sie aus meinem Fenster kommen sah’n,
in seinen Bann.

Da nahm ich noch einmal meinen Stern,
wickelte ihn vorsichtig in mein Taschentuch,
verhüllte mein Gesicht,
schritt durch die Menge
und wurde nicht erkannt.

Ich wandte mich gen Westen,
lief zum Grünen Fluss,
der unter Weiden ruhig fließt.

Ich nahm den Stern der kalten Nacht,
warf ihn ganz vorsichtig
ins Wasser.

Wie staunte ich, als er sich davonmachte.
Ganz wie ein richtiger Fisch
bewegte er seinen Leib.
Ein Diamant war er
in der Nacht des Flusses,
der ihn davontrug.

 

senken

Es ist doch erstaunlich dass, senkt man den Blick ins Lebendige, alles zum Leben erwacht und selbst die ödesten Dinge ihre Schönheit entfalten können (oder ist das schon Liebe?) Lässt man aber den Blick in die Welt des Todes und des Sterbens gleiten, so kann man gleichermaßen erschaudern ob ihres steten Stromes und ihrer selbstverständlichen Gegenwart. Und vollkommen unabhängig agiert dieser eher kühle Windhauch von der gängigen Idee, Sterben sei vor allem mit Alter verbunden, wobei es zu beglückwünschen ist, wer es erreicht. Nein, überall stirbt und lebt es in immer neuen Kombinationen. Ich denke an einen indischen Begriff der Erde, mit dem sie als Planet der Toten bezeichnet wird, da sich beide, die Toten und die Lebendigen, dort vermischen und schwer zu erkennen sind. Und man kann sich auch mal tot fühlen oder totärgern, ohne dabei gleich die Welt zu verlassen. Totkrank ist dann noch einmal eine ganz andere Ebene. Man muss entscheiden, ob ein Kampf angesagt ist oder überhaupt sinnvoll erscheint (oder die Idee der Sinnlosigkeit aushebeln), oder aber sich dem Strom des Geschehens hingeben, wohl wissend, dass ein Gong geschlagen hat, der wiederum alles Mögliche bedeuten kann, nicht muss. Automatisch entfaltet sich Gewesenes vor dem Auge, kann gestreift werden oder analysiert: nur ein einziger Mensch hat jeweils diese e i n e Geschichte. Alles, was darin geschieht, geschieht auf diese Weise nur einer einzigen Person. Daher, wenn es zur freiwilligen oder durch Umstände als angebracht empfundenen Zusammenfassung einer Lebenszeit kommt…was dann? Die Überlebenden kann man hier ausschließen, denn sie sind, bzw. wir sind meistens froh, wenn wir (noch) leben. Als ich meine Mutter beim Sterben begleitet habe, voller Erstaunen, dass es überhaupt dazu kam, bin ich manchmal wegen einer Besorgung kurz hinaus in die Stadt, aber das geschäftige Leben sprach mich nicht an, ich wollte zurück, dort passierten noch wichtige Dinge. Manchmal sank sie (meine Mutter) in einen Dämmerzustand, aus dem heraus sie einmal berichtete, mein Vater würde sie rufen, mit ihm auf dem Grasboden zu tanzen, aber ihre Füße steckten fest. Oder ich entdeckte hinter ihrem Bett bei den Büchern das „Bardo Thödröl“, das Tibetanische Totenbuch, und woher hast du das, fragte ich. Sie hat mir erzählt, dass ich es einmal mitgebracht hatte aus Nepal, wo ich es, mich erinnernd, kaufte, als ein junger Freund von uns damals überraschend seinem Leben ein Ende setzte. Vielleicht hat auch das vielen geholfen, wenn auf keinem der Wege mehr Licht lag. Oder man kann es sich selbst wünschen, dass alles noch Verfügbare und Machbare dazu führt, dass sich die Flügeltüren öffnen, obwohl auch das schon zu viel Spekulation ist.

messen

*
Kräfte messen
Also (doch nochmal) zurück zu gestern und dem unseligen CNN Abend in einer Towns Hall (New Hampshire), für den sich Anderson Cooper heute früh entschuldigt hat, dann aber auch die Gelegenheit ergriff, um die eigentliche Ausrichtung zu erklären, die allerdings als gescheitert betrachtet wird. Die Wahl einer Person, die die Kraft aufbringen können würde, Donald Trump paroli zu bieten, fiel auf Kaitlan Collins (CNN), der man es wohl zutraute, oder sie traute es sich selbst zu, was sich als fatal erwies, und intelligente Gehirnstrukturen in Aufregung versetzte. Wie konnte es passieren, dass wiederum einem einzigen Mann, der bereits für seine Verbrechen vor Gericht stand und weiterhin stehen wird, hier Spielraum gewährt wurde, eine (alte) Lüge nach der anderen zu reproduzieren und dann auch noch von dem eingeladenen Publikum beklatscht und gefeiert wird. Dem Triumph der Dummheit eine Bühne geben, was sich übersetzt als freie Zugabe an die Hälfte des gespaltenen Landes, die sich und dem Vorspieler begeistert zuprosten, wären doch viele gerne auch so selbstbewusst und so gemein und so unwiderstehlich gleich wie dieser Dummkopf. Dann hatte er noch die Frau ganz nebenher beleidigt, die kam nicht mehr ran an ihre Durchsetzungskraft. Das Ganze war sehr peinlich, oder wie sagt man: der Schuss ging nach hinten los. Gerne würde man nun einen Super Hero herbeipfeifen, einen, der Dinge kann, die kein anderer kann, und uns zeigen, wie man die dreiste und niederste Form der Dummheit besiegt. Aber auch der Silver Surfer hängt grübelnd im All herum auf seinem Surfboard und versucht sein Bestes, um zu verstehen, warum menschliche Wesen sind, wie sie sind, also bereit, ihren eigenen Lebensraum zu zerstören und ihrem Nichtwissen gnadenlos Raum verschaffen. Nun gibt es weit und breit keinerlei solche Helden, warum auch…oder doch!? Da gibt’s zum Beispiel noch Jack Smith, den kalt einherblickenden Sonderermittler, den man extra geholt hat, um den kriminellen Ex-Präsidenten letztendlich doch noch zu Fall zu bringen, sodass man sich auch in Hinblick auf die anderen Kriminellen vorstellen kann, wie so was gehen könnte, aber wird er es können? Ich allerdings, an meinem Schreibtisch sitzend, muss mich auch fragen, was ich kann, und vor allem, was ich nicht kann, damit ich mir kein Maß nehme von all diesem Weltauseinandersetzungsgedrösle, wo vielleicht die Potentaten immer finsterer werden, bis sie ganz und gar von künstlicher Intelligenz gesteuert werden, und wirklich gar niemand ihre Herrschaft über uns mehr aufhalten kann. Bis dahin teile ich gerne mit Mitmenschen die Freude, dass noch etwas Luft zum Atmen da ist, und nicht nur nach oben hin, sondern nach allen Seiten hin große, leere Palmblätter.

 

*Henrike Robert

dumm gelaufen

*
Abgesehen von der kleinen Zwergenfreude darüber, dass die weltliche Gesetzgebung doch ab und zu gut zu funktionieren scheint, was z.B. den Urtypus des mythosumwobenen Narzissten Trump angeht, so sehe ich andrerseits in der Aburteilung von Habeck wegen Klüngelei des Staatssekretärs, also dahinter, weit dahinter, noch andere vorgeschobene Gründe, die strammstehen, um ihn abzusäbeln. Man muss zugeben, dass man Trump gerne fallen sehen würde. Vielleicht ist auch d a s eingebaut im Menschenwesen: die Lust des Zuschauens, vor allem, wenn andere fallen, die man wegen ihres Verhaltens gerne mit Verachtung straft, bis sie zur rechtmäßigen Strecke gebracht werden, im Leben, im Film, an den Tatorten der Welt also, wo die einem oft unfassbaren Geschichten der Menschen sich regelmäßig abspielen. Dann wiederum gibt es nur einen einzigen Trump. Für diesen Mann ist es normal, einer Frau zwischen die Beine zu fassen, hat er doch offensichtlich viel Erfolg mit der Überzeugung gehabt, dass  jeder Frau so ein widerlicher Übergriff Spaß macht, wobei es zu dieser irrigen Einstellung nur kommen kann, weil Frauen oft in die Sprachlosigkeit fallen, in die Scham, in die Ohnmacht, wenn ihnen das Unvorstellbare zustößt. Und wieder einmal glaubt die halbe Bevölkerung eines Landes an die Unschuld ihres Sektenführers, ihres Halbgottes, ihres Erretters aus armseligen Leben.  Und ja, obwohl er Milliardär ist, geben sie ihm gerne finanzielle Unterstützung, weil dieser Unhold genau ihren Vorstellungen eines Erlösers entspricht, einfach, dumm und gerissen. Das kann schon beunruhigen, weil überall dieselben Phänomene zu beobachten sind. Und wie gerne und stramm haben doch die Hitler-Followers den rechten Arm hochgestreckt, vereint in der Illusion des Zusammenseins, mit neuen Begriffen beschenkt, sich sofort erkennend am Gruß oder am Seitenscheitel, oder an der Mütze. Man muss wissen, dass es so ist, und sich nicht beirren lassen mit den eigenen Beurteilungen, oder auch bereit sein, diese ganz und gar zu lassen. In diesem Sinne höre ich jetzt einfach auf, denn weder kann ich Habeck freisprechen von seinem dumm gelaufenen Fehler, noch mich selbst von dumm gelaufenen Fehlern. Also kein Tag fürs Grübeln, auch kein rasender Aufschrei hörbar, aber dennoch: stetiger Anstieg des Beitrittsstromes, hinein in die AfD. Was heißt das.
* Bild: Henrike Robert

anblicken


anblicken
Man vergisst so leicht, dass nicht nur wir ständig auf alles blicken, was sich vor uns abspielt, sondern die Welt, in der wir uns bewegen, schaut auch zurück. Aber meistens lassen wir es nicht sein, was es ist, sondern es wird kommentiert und bewertet und eingeordnet ins eigene Wahrnehmungsfeld. Auch dienen solche schlicht klingenden Erkenntnisse nicht dazu, sie irgendwann einmal für verstanden zu erklären, sondern es ist förderlicher, sich im Staunen zu bewegen und notfalls d  a s, was man sich als „das Normale“ angeeignet hat, ab und zu aufzuscheuchen und auf seine angebliche Norm zu überprüfen. Ich erinnere mich an eine Geschichte, in der ein Mann sich selbst erzählt, was er so alles in der Wohnung hat, und woher er es hat, und wie schön es doch alles sei, so vertraut, so angenehm, so ganz er selbst, bis man als Leser:in langsam und unaufhaltsam begreift, dass der Gashahn schon die ganze Zeit den tödlichen Stoff ausströmt, obwohl der das alles Kontemplierende nun die Dinge in einem anderen Licht sieht, das jedoch nur durch diese gewählte (Er)Lösung auftauchen konnte. Die Objekompositionen in meinen Räumen sprechen auch deutlich eine eigene Sprache, denn die meisten Teile habe ich nicht selbst erschaffen. Ich sorge für die Zusammensetzung, und oft genug gibt es dann Landschaften, deren Ordnungen bereits im Reich der Spinnenwebe angekommen sind. Wie lange sitzt denn da schon der kleine Buddha, um den Hals meinen Schildkrötenring, vor dem kunstvoll geformten Frauenkörper aus Lehm (wie hieß sie doch gleich, und wie froh war ich, das von ihr (der Künstlerin), erstehen zu können, sprich: zu kaufen. Und an diesem Torsorand oben hängen schon sehr lange zwei Opiumknospen, ausgetrocknet wie die schwarzdunkelrote Rose, die da ebenfalls hingehört. Aber warum scheint es so unauflösbar wie eine indische Couch aus Bollywood, von der man weiß, dass sie nach ihrer Ankunft durch erschöpfte Sklaven nie wieder bewegt werden wird. Dabei gibt es in unserem Haus gar keine unverrückbare Couch, geschweige denn Kaminsimse, auf denen all die Lieben in Bilderrahmen versammelt sind, an die man sich erinnern möchte, warum auch nicht. Wenn man diese zähe Kraft der Materie öfters mal umsortieren würde, also neue Zusammenhänge erschaffen (was man ja auch zuweilen tut), wäre man immerhin noch mit einem gewissen Grad an geistiger Freiheit bei der Sache, während z.B. die meisten Flüchtenden gerade diese Freiheit unfreiwillig zurücklassen mussten: die eigenen Ecken, die Landschaften, die vertrauten Einrichtungen. Übernimmt aber die Katastrophe die Trennung von dem Blick und Anblck  vertrauter Ordnungen, dann wird dem Geist viel zugemutet, und vieles, was war, scheint nun auf einmal so kostbar (gewesen zu sein).

po(i)etisch


Autopo(i)etisch
Das ist natürlich die Frage, ob man ein Zufallsprodukt auf der Rückseite eines Tabletts mit „auto“, also „selbst“, bezeichnen kann. Ich war ja (neulich) auf der Suche nach schwarzen Hintergründen, da habe ich den poetischen Fleck entdeckt. Es ist also eher so, dass es mein Auge brauchte, um zu entdecken, was ich unter „poetisch“ verstehe, zum Beispiel diesen aus dem absoluten Nichts erscheinenden Wuschelkopf, dessen Augen aus zwei Vierern bestehen, der Mund aus dem Wort „Made“. Es sagt uns also nicht, wo dieser Wortfetzen mal hindeutete, in ein Land, wo irgendwas gemacht wurde, sondern es sagt nur: gemacht. Vollendet, abgerundet. Dann als Augen zwei Vierer, die manifestationsbereit in die Zukunft schauen, wo, wer weiß, sich noch alles erschaffen kann oder selbst sich bildet, damit man nicht irgendwann aus Mangel an Überraschungen ermüdet. Man muss doch einfach mal zugeben, dass der ganze lebendige Erlebnisprozess nicht nur aus auf einen zurauschenden Überraschungen besteht, sondern man kann die Überraschungen auch gerne selbst erzeugen, wohl wissend und genießend, dass es höchstpersönliche  Eingebungen sind, die hier zu den unterschiedlichsten Befindlichkeiten führen können. Ich darf ein weiteres Beispiel aus nächster zeitlicher Nähe geben: Es regnet ziemlich viel, und die von allen Gärtner:innen abgelehnten Schneckenhorden  kriechen aus für uns unvorstellbaren Schleichwegen herbei, und im Scherz fing ich an, ihnen Namen zu geben: ah, da ist Leopold, und dort ist Elfriede usw., und tatsächlich merke ich, dass es einen Unterschied in meiner Wahrnehmung von ihnen macht. Die Fremdheit zwischen mir und ihnen ist verschwunden, auch wenn ich herzlich wenig von ihrer Lebensführung weiß und auch keinerlei Drang spüre, sie zu googeln, nur um erfahren zu müssen, dass es schon haufenweise Bücher gibt über (deutsche) Schnecken, ganz abgesehen von den indischen oder den schweizerischen Schnecken. Darum geht es mir ja auch nicht. Mir geht’s mehr um die stete Schulung des Auges, also der ständigen Wahrnehmung, wo wir diese ermüdenden und zähen Einstellungen kreiert haben im Hinblick auf die Welt und ihre Erscheinungsformen. Und gerade Tiere werden oft zum Verschwinden gezwungen, wenn sie jemandem im Weg stehen. Das heißt nicht, dass sie (die Schnecken) sich an dem Thymianstrauch  vollfressen sollten, nein. Denn andere Menschen, die viel näher an der Problematik dran waren (und sind) als ich, haben kluge Dinge entworfen, die es den auf Sättigung ausgerichteten Geschöpfen erschwert, an unsere Salatköpfe zu kommen. Das sollte mich aber nicht davon abhalten, sie ab und zu mal namentlich zu begrüßen, denn wenn es meinen Liebesbereitschaftspegel erhöht, kann es nicht schaden.

 

Im Innern der Schiffe


Hekuba: Nie war ich im Innern der Schiffe:
Ich weiß von ihnen durch Gemälde, die ich
sah, und Worte, die ich hörte. *
Das ist auch so ein Thema, das in vielen Variationen durch die Weltgeschichte geistert: dass man sehr wohl Wissen anhäufen kann über das Innere der Schiffe (z.B.), indem man Gemälde studiert oder sich von Wissenskundigen belehren lässt, damit das Bild sich anreichert  durch Interesse und Aufmerksamkeit. Aber egal, wieviel ich darüber nachgedacht habe, es fehlt dann doch die direkte, Erfahrung. Um zu wissen, wie es dort aussieht, muss ich in einem Schiffsbauch gewesen sein, und dann: in welchem. Jeder Schiffsbauch ein anderer, und doch geht es vielleicht hier nur um die Erfahrung, die durch Geruch und Gefühl und Geräusch ganz andere Dinge wahrnimmt als eine Buchseite das befördern kann, obwohl auch sie einiges Wunderbare vermag. Da ein ernster Umgang mit dem, was ich wissen will, empfehlenswert ist, drängt sich die Frage auf: um was geht’s. Geht es, um beim Beispiel zu bleiben, um die Navigationsgesetze, also Einstellungen, Richtlinien, Kompass, Steuerrad usw., und: wo geht die Fahrt überhaupt hin?  In „Raumschiff  Voyager“ durfte sogar mal eine Frau ans Steuerrad, ein Novum, obwohl man Gene Roddenberry nicht nachsagen kann, er hätte sich nicht um existentielle Durchbrüche in seiner anregenden Weltwahrnehmung bemüht. Auch kann man nicht so tun, als hätte sich nichts getan, obwohl ich die freie Handhabung eines Steuerrades bei Frauen zuweilen vermisse. Oft genug mussten sich Frauen in großen Gruppen zusammentun, um überhaupt einen Moment lang gehört zu werden, am besten zu genießen in dramatischen Chören, die der jeweiligen Tragödie eine Stimme geben. Die mächtige Klage „Ach und Weh!, was stricket ihr da, ihr unerbittlichen Gött:innen! ist auf die Erde zurückgeprallt, hinein in die Einzelheiten, also die menschlichen Lebewesen, die sich offensichtlich als gereift genug empfinden, um sich selbst (um beim Bild zu bleiben) als Nachen zu erfahren, der durch den Ozean steuert und auf einmal gewahr wird, dass es nie jemand anderen gab, der oder die am Steuerrad des Nachens saß (als man selbst). Oder aber sich langsam und sicher mit einem Stab vorwärts bewegend und sich im Innern des Körperschiffes neugierig umsehend: die Ausstattung, die Teppiche, die großherzige Räumlichkeit. Denn warum sollte es einem da wirklich schlecht gehen, wohnhaft im eigenen Schiff, mit jeder Pore atmend, damit das Lebendige den angemessenen Tribut erhält.
* Euripides: Die Troerinnen

Italo Calvino *

Die Hölle der Lebenden ist nicht etwas, das
erst noch kommen wird. Wenn es eine gibt,
ist es die, die schon da ist. die Hölle, in der
wir jeden Tag leben, die wir durch unser
Zusammensein bilden. Es gib zwei Arten,
nicht unter ihr zu leiden. Die erste fällt vielen
leicht: die Hölle zu akzeptieren und so sehr
Teil von ihr zu werden, dass man sie nicht
mehr sieht. Die zweite ist riskant und verlangt
ständige Aufmerksamkeit und Lernbereitschaft:
zu suchen und erkennen zu lernen, was in der
Hölle nicht Hölle ist, und ihm Dauer und Raum
zu geben.

*Aus: „Die unsichtbaren Städte

Turtle


Black/Gold III
Das Gold im Bild ist ein Ring, ein Schildkrötenring aus Indien. Als ich damals dann auch einen hatte, fiel mir auf, dass fast alle, die ich traf, einen am Finger hatten. Man sagte mir, der Kopf solle auf einen selbst gerichtet sein (warum, fragte ich), damit das Geld zu einem fließt. Das hat mich überrascht, denn es schien mir weit weg von der ursprünglichen Be/Deutung des Symbols. Die Schildkröte liegt praktisch vor den Füßen des Schöpfers (im einzigen Brahma-Tempel der Welt) und ist sein „Viman“, sein Flugobjekt. Er soll jedenfalls auf einer Schildkröte gelandet sein, sozusagen am Rande der Wüste Thar. Nie wird man wissen, und auch kein Roboter wird jemals wissen, wie viele halb-und missverstandene Sätze es gebraucht hat, bis aus einer frei im göttlichen Dienst stehenden Schildkröte eine Mammonspenderin werden konnte. Eine weitere Anekdote, die der Geist sofort aus den Archiven holen lässt, ist die Geschichte eines damals noch lebenden Wissenschaftlers, den eine indische Dame während des Vortrags über seine Weltdeutung unterbrach und ihn belehrte, die Schöpfung ruhe doch auf einer Riesenschildkröte. Der Gelehrte fragte sie, was denn d i e s e nun wiederum trüge, worauf sie ärgerlich antwortete, es seien Schildkröten bis unten. Nun habe ich mich so weit in das Schildkrötenthema hineingelehnt, dass ein schmaler Holzweg entstanden ist, und siehe da, eine Kreuzung. Zwei Schilder weisen in entgegengesetzte Richtungen. Das Schild links ist ein altes Brett, auf dem in schwer leserlicher Schrift steht: „Zu den Schildkröten“. Das rechte Schild scheint ganz neu montiert, nein, es ist sogar noch moderner: ein kleiner Robotty spricht direkt heraus aus der Schildbildfläche. Er sagt: „Zu den Schildkröten“. Verdammt nochmal, das ist nicht hilfreich. Zu welchen Schildkröten will man, und wer sagt, dass man überhaupt zu Schildkröten muss. Was ist da denn los, wo Schildkröten sind? Man weiß es nicht, es ist eine Bredouille. Man könnte rückwärts gehen, aber das scheint hier die am wenigsten attraktive Variante zu sein, also muss etwas entschieden werden. Die Schildkröte ist, wie ich erinnere, das älteste Symbol der Menschheitsgeschichte. Stark ist sie, und weise. Hartnäckig. Sie ist eine Lebenshüterin. Schon allein durch diese Eigenschaften kann man verstehen, dass, sollten wir als Spezies einmal nicht mehr da sein, die Schildkröte vermutlich immer noch da sein wird. Wie es denen allen dann gehen würde ohne uns, das würden wir auch nie wissen.

vorführen


Beflügelt macht sich das Dunkle aus dem Staub
Es ist ja nicht so, als wäre man den Gefühlsanstürmen hilflos ausgeliefert, nein. Für was hat man das ganze Zeug gelernt und wollte wissen, wie es geht und wie andere es machen, um dann letztendlich zurückzukehren, von wo man ausging auf der  verwegenen  Wanderschaft. Schön, dass man Risiken nicht scheute und weit über die legalen Abgründe sich zuweilen dehnte, um dann zu wissen, wo Grenzen liegen, und wo es wirklich keine gibt. Allein die Tatsache ist erstaunlich, dass wir alles als so unverrückbar fest wahrnehmen können, während wir unentwegt unterwegs sind und fließend durch den Raum gleiten. Klar, da vergehen dann die Jahre und der Rückblick bietet sich an. Ob man zum Beispiel zum Verständnis des selbst entworfenen Spiels die Kenntnis der Quellen braucht, damit der Anker nicht zu lange festsitzt. Eben da, wo gar keine Heimat zu finden ist, oder wo Muster sich bilden wie kostbare Gewebe, und dann der Teppich zum Flug doch nicht tauglich. Auch kann einen die Macht des Nichtzuwissenden zu erdrücken drohen, bevor man das Lächeln wiederfindet, das einem gut steht: man akzeptiert die eigenen Grenzen, ohne den Weisheitsdurst zu verlieren. Wir sind ausgestattet mit allen möglichen Gaben und Fähigkeiten, da denkt man vielleicht, die Kraft wird bis zum Aschenrand reichen, und ich denke, sie tut’s. Sie kann bis zum Aschenrand reichen, auch dafür gibt es Bedingungen. Dem Geist kann man vieles zumuten, vor allem aber sich selbst. Bis zum allerletzten Atemzug leben wir unseren Film, dem kosmischen Vorführraum geschenkt und erhalten in Menschheitsgeschichte-Archiven.

Schwärze

*
Yogini, durchs Ungewisse navigierend
Auf die Nachfrage, wie es einem  geht, antwortet man meistens mit na gut, gut geht’s. Man will den Anderen ja nicht mit den eigenen Befindlichkeiten belasten, das erwarten die Gegegenüber auch nicht, sie wollen „gut“ hören, das ist entlastend und geht einen eh nichts an, denn alles davon Abweichende ist kompliziert. Kompliziert, weil jedes halbwegs authentische Interesse an der jeweiligen Befindlichkeit einem meist klar macht, dass man die Antwort darauf, würde jemand sich ernsthaft erkundigen, gar nicht weiß. Man weiß vielleicht gar nicht, wie es einem selbst geht. So war ich überrascht, dass ich heute früh an einem Tisch stand und mich auf einmal fragte, wie es mir eigentlich geht, oder wie ich mich fühle. Wäre ja schon interessant, herauszubekommen, wer wen hier fragt, wenn es eine Fragerin und eine Antworterin gibt. Sicherlich kann man jeh nach Einfallskraft die eine oder die andere Figur aus sich herauslotsen, die man dann jeweils befragen kann, aber sowas muss einem liegen. Als Antwort auf die schwierige Frage kam mir auf einmal die schwarze Yogifigur in den Sinn, die in einem unserer Räume steht. Ich fügte noch etwas Schwarz hinzu, schwärzer wollte ich es haben, tiefschwarz. Dann aber auch das Gold, das zu diesem Schwarz gehört: Es birgt eine Stille und dadurch eine eigene Schönheit. Natürlich lässt einen diese Art geistiger Leere auch an den Tod denken, wobei man sich selbst nur wünschen könnte, derart gelassen in andere Gefilde hinüberzuwandern, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat, obwohl es auch da genügend anderweitige Behauptungen dafür gibt. Auch haben sich viele Menschen, allen voran die Künstler:innen aller Zeiten, ungeachtet aller Umstände bemüht, ihre gegebene Zeit mit dem, was sie waren, zu füllen. Und vielleicht war so mancher darbender 27-Jähriger näher an seinem Selbstsein als ein siebzigjähriger Bewohner des Schlaraffenlandes. Bei der Frage an mich, wie es mir geht, fand ich interessant, dass sie offensichtlich auf das Fühlen zielte, das zeigt sich als wirklich schwer. Oder nicht? Wenn ich zum Beispiel beim Schreiben, also der Wortkomposition, den Schwerpunkt im Denken vermute, so ist das Fühlen hier das unterstützende Element, ohne das der Fluss nicht in Gang kommt. Man kann konstruieren, ohne zu fühlen, aber man kann das dann auch sehen oder hören. Ich verstehe meine eigene Sehnsucht nach der Tiefenschwärze als einen Versuch, mich dem Tod gedanklich zu nähern, diesem ungeheuren Geschehen, das alles, was von der Welt erfahrbar war, verschlingt und nicht wieder hergibt, nein. Auch das persönliche Spiel lebt von dem Stoff, der durch mich möglich und sichtbar wurde, und wie ich mich selbst in meiner Rolle zurechtfand. Mit den Entscheidungen, an den Kreuzwegen, auf den Marktplätzen der Matrix. Als wer ich dann letztendlich gehe, hinein in die goldene Schwärze der Nacht.

 

* Yogi: Ursula Güdelhöfer
Photo: Kalima Vogt

nachdenken


lebendig
Und da draußen tobt das Menschsein unaufhaltsam vor sich hin, obwohl man gerne vermuten möchte, dass  zwischendrin  Oasen des (verhältnismäßigen) Friedens sich auftun und gestaltet und mit klugen Mitteln konstruiert werden. Denn egal, wie lange wir alle leben werden, so ist das verfügbar Beste (wie auch immer man es definiert) immer gut genug. Auch ein Putin weiß, dass der gewaltsame und schäbige Tod von 20 000 getöteten, russischen Soldaten allein in Bachmut nicht als Glanzleistung beurteilt werden kann. Ich frage mich, warum man so gar nichts von den Klageliedern der 20 000 russischen Müttern zu hören bekommt, die inzwischen doch wissen müssten, dass da was gar nicht gut läuft. Wir wiederum wissen nichts von der Gehirnwäsche, die dort gewählt wird, oder von der Todesangst, die Menschen in das große Schweigen zwingt. Auch bei uns sind Generationen in diesem Schweigen versunken, und sicherlich ist es der digitalen Revolution zu verdanken, dass nun das große Plappern möglich geworden ist. Und wenn man’s bedenkt, müsste dieser Redefluss bzw. diese Redefreiheit zu gesundem, menschlichem Verhalten führen, aber vielleicht muss es sich erst einmal austoben, bis es wieder zu sich findet, nur wo ist „sich“ bei all dem geblieben. Die sich von selbst gestaltende Beweisführung gegen die Fähigkeit des Menschen, sich fürsorglich um seinen Planeten als einzigen Wohnort zu kümmern, ist deshalb so gefährlich, weil alles Geschehende gerne von uns als das „Normale“ bezeichnet wird, wo es doch aller kühlen Beobachtung entsprechend eher der Irrsinn ist, der hier mächtig waltet, und d a s oft genug an der Spitze der Kulturen. Und man kann (z.B.) an den amerikanischen Verhältnissen entlang sehr gut sehen, dass es (wiederum) einem einzigen Menschen-(Mann) gelungen ist zu beweisen, das angeblich mächtigste Land der Erde so stark zu vergiften, dass man das Ganze nur noch als Groteske bezeichnen kann. Kommt aber endlich aus den ebenfalls existierenden, intelligenten Welten heraus ein Gegendruck, so sieht man ein zähes Ringen, nur von extrem starkem Willen überhaupt durchführbar, und der Ausgang ist immer noch offen, auch für uns als Völker, die wir voneinander abhängig sind. Niemand weiß, ob man überhaupt noch vom „Siegen“ reden kann, und die Frage „Worum geht’s eigentlich“ ist an jedem Tisch brauchbar. Als meine Katze noch lebte und ich viele Nächte mit Mäusen umgehen lernte, die sie mir als Geschenk (wie ich von Katzenkennern hörte) darreichte, konnte ich so manche Maus auch lebendig fangen und ließ sie bis zum Morgen in einem luftigen Behälter mit ein bisschen Nahrung.  Manche von ihnen zogen sich sofort zurück und wirkten sterbebereit. Andere kämpften sich durch die Stunden hindurch in eine mögliche Freiheit, und waren ja dann auch frei, wenn ich sie ins Gras setzte. Was sagt mir das? Ich denk mal darüber nach.

steuern

Und dann die Zeit, die noch bleibt, um noch einiges von dem, was rätselhaft geblieben ist, zu enträtseln. Oder gar nicht mehr rätseln und  bereitwillig die Palmblätter bündeln. Hier und da noch ein prüfender Blick ins scheinbar Vorgesehene, man weiß es ja nicht und wird es nicht gänzlich wissen: ob alles, was sich ständig bewegt, sich einer unvorstellbaren Ordnung beugt, in der man durchaus den Faden erkennen kann, der einen ans nächste Portal navigiert, oder einen hochhievt aufs nächste Level, wo neue Herausforderungen sich abzeichnen. Oder aber sich so lustvoll wie möglich dem kreativen Irrsinn ergeben, wer von uns kennt ihn nicht, sind wir doch alle Sterbende, zuweilen beflügelt am Rande des Abgrundes herumgrübelnd über die Wege des Schicksals, ach, mein Schicksal, durch das der Lebensraum sich verkleinern, aber auch erweitern kann, sich an das Drehbuch haltend, in dem Seite um Seite uns vorblättert, was geplant war, und wie es sich umsetzt. Und so wird uns auch als Beistehende und Dabeisitzende und Mitfühlende die große Lehre geschenkt über die zuweilen schwer begreifbare Flüchtigkeit weltlicher Existenz, bei der wir so oft vergessen durften und können, dass wir Reisende sind, Travellers auf einem Ball, der unaufhaltsam seine Bahn durchs All zieht und uns gibt, was in seinen Kräften liegt und in seiner Grundausstattung. Nicht müßig ist auch zu bedenken, was wir Menschen zu all dem beigesteuert haben, und dass wir noch immer steuern. Und auch wenn der Zähler lauter tickt als sonst, gibt es immer noch die Kunst, im Ungewissen sicher zu navigieren, denn keine Weisheit der Welt ist umsonst zu uns gekommen. Irgendwann sucht sie uns auf zur Anwendung. Meistens auf Seiten, die nicht mehr beschrieben sind und Drehbücher zu Drehtüren werden.

ai (Liebe)

*
Der Flügelschlag Ich
am Atem entlang
von Schluchten
von Vogel-Ei
Wenn eine lebensbedrohliche Diagnose also in das Leben einschlägt, kann man, wenn auch in dumpfer Ferne, einen Gong hören, der kündigt Grenzen an, die man noch nicht kannte. Auch hier ist nichts gewiss, doch von jetzt an begleitet die jeweils Betroffenen dieser Klang, aber nicht nur die direkt Betroffenen. Der Klang schreckt auch die immer leicht schlummernden Herzen auf, und es strömt auf einmal ein warmer Wind durch die Hallen, doch auch aufgewirbelt vom Geräusch rasender Pferdehufe. Das Erschrockensein an sich sitzt an den Rändern der Meere und sucht nach den Antworten, die keiner kennt. Wie lange noch erleben, was man, oft so nebenbei, für erlebenswert hielt, und das sich nun als das einzig Seiende herausstellt, nämlich das, was es wirklich ist. Und wie weit ist man mit der eigenen Wirklichkeit gekommen, und wo und was ist überhaupt wirkliche Wirklichkeit. Ist man an diesem Tor jemand, der Prüfungen nicht scheut, der oder die kann hier das Maß und die Richtung der Meisterprüfung selbst entscheiden. Denn Meisterprüfung ist es doch in jedem Fall. Wer weiß schon, was Abschied von hier, dem von uns bewohnten Planeten, ist. Ich fand immer offensichtlich, dass die, die zurückgekehrt sind, nicht wirklich gegangen sind. Soll man also wählen, was immer einem angesagt scheint, oder aber sich ganz dem Fluss überlassen. „Flow“, das ist doch auch so ein Zauberwort, viel benutzt und wenig überprüfbar, eben ob man ohne oder nur mit Schulung da hinkommen kann, wo man als eigene Strömung in den Ozean einfließt undsoweiter. Das alles ist leichter zu formulieren (obwohl auch das nicht leicht ist) als es umzusetzen in kreative Erfahrung. Betroffen sind auch wir, die wir mit Menschen leben, die wir lieben, und wenn d i e sich verabschieden,  haben die jeweils Überlebenden ihre eigenen Strömungen, die zu kanalisieren sind. Da fällt mir gerade der letzte Satz von einem Gottfried Benn Gedicht ein…“nur die Zypresse, der Trauerbaum, steht leer und unbewegt“. Der Trauerbaum steht leer und unbewegt, vielleicht ist es d a s, was man wirklich spürt: die Ohnmacht, die Leere und das Unbewegte, das vielleicht auf seine eigene Art alle Gefühle beinhaltet. Schlichte Nachen gleiten dem Strom entlang. Frauen bewegen mit langen Stäben das scheinbar Unbewegbare. Kein Gott mehr weit und breit, und dennoch: Liebe.

 

*Ei von Henrike Robert

da sein

*

Ständig schlägt irgendwo das Schicksal zu mit einer Vielfalt von Gaben, wobei die „Schläge“ eindeutiger sind. Die närrische Annahme, es könnte nicht in nächster Nähe einschlagen, verflüchtigt sich früher oder später. Kündigt sich ein Schlag aber an, dann tauchen plötzlich weitere auf, man hört allerlei Narrativstränge, zum Beispiel wo jemand gekämpft und gewonnen hat, und dann wiederum, wo der Kampf aufgegeben wurde, manchmal vermutlich auch zur persönlichen Befreiung all dieser Hoffnungsstrahlen, mühsam durch die einsamen Nächte geschleppt. Und so versteht man dann, dass das Sterbende von Anfang an mitläuft, man kann es vom Lebendigen gar nicht trennen, schon deshalb, weil jeder gelebte Moment unwiderruflich vorbei ist. Außer man verfolgt einen anderen Gedankenstrang, bei dem zum Beispiel jeder Nu alle Ewigkeiten hindurch genau so sein wird wie der im Moment gelebte. Immer ist sich selbst lebender Nu. Und das ist vielleicht die lichtere Seite des Schicksalschlages: dass er neue Möglichkeiten des Umgangs mit der erfahrenen Realität herausfordert -und lockt. Solange noch Zeit ist, mit den Veränderungen angemessen umzugehen, und was heißt hier angemessen. Angemessen an was. Hilfreich ist es, das eigene Maß zu kennen, aber es ist ja nicht zu spät. Und wenn ein Mensch auch noch entschieden hat, sich bis zum letzten Level durchzuarbeiten, dann gute Fahrt!, bei denen geht’s dann (gedanklich) schon durch eine Tür, und weiter geht die Reise. Jetzt ist Eine unter uns so schlagartig vom Schicksalsblitz getroffen worden. Auf dem Tisch liegt der Bericht des Arztes aus dem Krankenhaus. Man braucht keinen Translator, um das Unverständliche zu verstehen. Man kennt die Worte, von denen man weiß, dass es keine gutverheißenden sind. Man zögert, bevor man sie in den Mund nimmt. Aber es gibt ja viele unterschiedliche Wahrnehmungen des sogenannten „Realen“. So kann man, wenn man dafür geeignet ist, eine der vielen Dreh-Türen und Tore und Portale des inneren Raumes öffnen, also gleichzeitig eine Menge Luft reinlassen in das Ganze. Und vielleicht verschwinden dann sogar noch die Türen, alles nur Raum, man selbst in zweifelsfreier Existenz selbst sich erfahrend, und dann vielleicht ein herzhaftes Gelächter, denn siehe!, das ist noch gar nicht der Tod, sondern das tief zu ergründende: Stirb, bevor du stirbst, damit du da sein kannst, wenn Dasein möglich ist.

 

  • Gedicht: Kalima Vogt

Glyphe

*
Glyphe
Unter einigermaßen regulären Umständen bleibt es einem überlassen, wann, oder ob man überhaupt darüber nachdenken möchte, was man selbst von den eigenen durchwanderten Lebensjahren denkt, und dass ein Abschied vom Planeten unweigerlich vorprogrammiert ist. Jede/r hat ja so ein Tröpfchen Unsterblichkeitsillusion im Blut. Und die Vorstellung, dass man in Wirklichkeit jederzeit gezwungen sein könnte, sich außerdem noch mit schwerwiegenden Überraschungen zurecht zu finden, das begreift man erst, wenn sie da sind, die Überraschungen. Und in den meisten Situationen dieser Art begreift man das Meiste nicht wirklich sofort, sondern unverrückbare Tatsachen sickern langsam in unsere Systeme, mögen sie uns selbst betreffen oder es betrifft Schicksale aus dem Freundeskreis. Nun ist man zwar zwei Mal sehr allein unterwegs, einmal bei der Geburt, dann beim Tod, denn niemand sonst außer einem selbst ist derzeit damit beschäftigt. Aber das heißt ja nicht, dass die Erfahrung des Vorgangs im wesentlichen davon abhängt, was im Umfeld geschieht. Da bis jetzt keine Nachrichten durchgedrungen sind aus der Forschung, dass man sich die Eltern aussuchen kann, so sieht es oft beim Abschied anders aus. Da geht es vielleicht um Anwendung der Reife, die man erworben hat in den…fangen wir mal mit vierzig Jahren an, oder mit fünfzig und sechzig und siebzig undsoweiter Jahren, wo man sich schon wieder wehren muss gegen die Menschheitstriebe, auf jeden Fall so lange wie möglich hier zu bleiben, und um jeden Preis. Aber der Preis kann auch zu hoch sein, und ich schiebe hier den japanischen Mystery Spruch ein: „Es gibt Wichtigeres als das Leben“, bei dem gerade die absurde Note einen aufhorchen lässt. Was könnte das sein? Auf jeden Fall kann es nur etwas sein, was dem aktuellen Geschehen auf so vielen Ebenen wie möglich gerecht wird: der Eleganz, dem Kostüm, der am angemessenen Zeitpunkt eingesetzten Schmerzlosigkeit, dem Einlassen auf so viel Wahrheit, wie es dem reflektierenden Geist zumutbar ist. Der Abschied vom Drama per se geschieht im dritten Akt. Aber, wie ich wiederum in Indien gelernt habe, gibt es noch einen vierten Akt. Über den steht aber nichts geschrieben. Warum? Weil er sich dem Bewusstsein, also dem verfügbaren Wissen innerhalb des Seins, entzieht, eben durch seine Unmittelbarkeit, also wo der Schatten zwischen Idee und Wirklichkeit sich verzieht und das ganze in seinem vollen Zenith steht. Warum nicht. Wir sind doch Künstler:innen!

 

*Bild: Henrike Robert