31. Juli 2022

Seit sie tot ist, kann ich nicht aufhören,
immer neue Lilien in die hohe Vase zu tun,
erst die ganz weißen, dann kamen später
die farbigen Kelche dazu, ein Wink an das
Leben, das sich meldet in den dunklen
Korridoren, wo die Gespenster wohnen,
die dem Nu abträglich sind. Dieser Schmerz
der Erinnerungen: nicht wohlgesonnen
ist er dem Nu, der unaufhaltsam geboren
wird aus demselben, dem  unerschöpflichen
Urgrund. So sah ich unterwegs, wie meine
Hand wieder zu dem betörenden Schwanen-
Weiß der Lilien griff.
Ach, ich bin noch nicht willig, den Pfad zu
verlassen, der hinführt, wo ich nicht bin.
Diese nahtlose Nähe bedeutet mir viel,
und ein Genug ist vorerst nicht abzusehen..

28. Juli 2022

Dann, wie der Zufall so spielt, ein Lied von Amy Winehouse. Ich wäre nicht darauf gekommen, da eine Resonanz auf meine Befindlichkeit zu spüren, weniger im Text als im Unsagbaren, das große Tragödien umweht. Zum Beispiel wenn etwas, was kostbar war, auf einmal nicht mehr ist, auf einmal nicht mehr lebendig. Wenn die, denen man gerne zuhörte und zu denen man gerne etwas sagte, nicht mehr da sind. Die Verlassenheit und Verletzlichkeit, die es hervorbringen kann. Diese Wüste voller Blütenpracht, dieser gähnende Abgrund ohne gesichertes Seil, diese Hängematte im bevölkerten Totenreich. Die Lupe am Auge, die das Unfindbare sucht: den entschwundenen Körper, der sich dem Blickfeld entzogen hat. Ich selbst noch ohne merkliches Interesse an den Künsten und Kämpfen des Weitermachens.

26. Juli 2022

 

Eine halbe Stunde vor ihrem Tod
habe ich ein Bild von ihr gemacht,
froh, dass ich allein war im Raum.
Der Atem war sichtbar und hörbar,
bis er dann aufhörte zu sein.
In dieser tiefen Ruhe schien sich
nichts zu verändern. Doch schnell
wurde der Körper kühl.
Leblos wurde der Körper.
Oft schaue ich auf dieses Bild, das
ich gemacht habe an ihrem
Sterbelager. Wäre  ich meinem
Impuls nicht gefolgt, ich
könnte es bis heute nicht fassen.

24. Juli 2022

Die Tiefe des Schmerzes
ist schwer zu ermessen.
Es gibt wohl kein Maß.
Keine Beweggründe drängen
hinaus in das Weltgegaukle.
Unter den Blättern sitzend
sinkt die Gabe des Leidens
ein in mein Zellgefüge, um
dort als Reichtum empfangen
zu werden. Ein Mensch war
sie, die ein Gegenüber wurde
für sich und die Anderen.
Sorgsam bedacht auf
Schadensbegrenzung. Als
ungeteilte Einheit erkennbar.
Ein Individuum. Nun war ihr
Spiel auf einmal beendet. Der
Mensch ist frei und muss kein
Bodhisattva werden. Nur sich
selbst erreichen und aus dieser
Quelle schöpfen können, das ist
schon viel. Alles Weitere stand
nicht in den Bambusblättern,
auf keiner Waage war es
gewogen worden,
niemand stand da als
Schicksals-Lotse.
Allein bist du
gegangen,
außerordentlich
in dich gekehrt.

21. Juli 2022

Da ist jemand ganz nahe an ein Herz herangekommen.
Nicht irgendein Herz, sondern meines.
Da, wo der Banianbaum steht, wo man sich ausruhen
kann im Schatten der Blätter, wo die Wurzeln
zu Säulen werden, an die man sich anlehnen kann.
Wo Freunde, die nahen, ein-und ausgehen mit
klangvollen Schlüsseln zu den Toren.
Wo Überraschungen willkommen sind und das Staunen
seine sanften Tonarten webt. Wo die Liebe sein kann,
was sie ist und nicht infrage gestellt werden muss,
weil man sich kennt innerhalb des Menschenmöglichen.
So ein Mensch also ist von mir gegangen, wie man so sagt.
Aber da am Baum, da lebt sie noch immer, da ist ihr
gesicherter Ort.

17.Juli 2022

Wer trägt jetzt diese seltsamen Wundermäntel
von ihr und die Schuhe, und wer fährt das Auto,
das ich mitliebte, da es uns, immer sie am Steuer,
an so viele geheimnisträchtige Orte gebracht hat.
Das Geheimnis der Augen eben, wenn sie das Glück
miterleben, dass Licht aus ihnen strömt und sich,
wie selbstverständlich, niederlässt auf die Dinge,
die vielen den Wegesrand säumenden Dinge.

 

Ich sehe jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild

11. Juli 2022

Das Wort holt mich heraus
aus den Verdunkelungen,
aus dieser sanften Schwere
von mir, dem Trauerkloß.
Die Löcher, die meine Blicke
im All erzeugen, sind pure
Leere in angehaltenem Tun,
sind Wirkung von antiken
Treppenstufen, sind Pfeiler
ihrer schwindenden Idee.
Die, die nicht mehr wartet auf
den Sterbegong des Lebens,
entlässt der Liebe Heilung im
selben Nu, in dem sie, als die
Liebe, wiederkehrt. Sie kann ja
nicht entschwinden. Wohin
auch, denn sie steht uns nicht
im Weg. Wir sind es doch,
die Schatten, die vorüberziehen,
die, die sich neigen vor den
Träumen, in denen wir entstehen,
geblendet von dem Licht der Toten.

7.Juli 2022

Stand es geschrieben im dunkelblättrigen Buch
des großen Weltkalenders, dass sie sterben wird
im Sommer, am längsten Tag des Jahres,
der Mittsommersonnenwende, 21.Juni 11:03,
wenn alles hell ist und die Asche federleicht. (?)
Nicht mit der Hand geschrieben natürlich, sondern
mit Schicksalsblut. Weiß rinnt es in Adern,
nicht von Gedanken wird es gedacht.
Zum Überwältigtwerden ist es gemacht, damit
man sieht, was es kann, und aus welcher Tiefe
es noch immer zu strahlen vermag.