Jaques Prévert

Wie man einen Vogel malt

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 Male zuerst einen Käfig
mit einer offenen Tür
dann male
irgend etwas Hübsches
irgend etwas Einfaches
irgend etwas Schönes
irgend etwas Nützliches
was nur den Vogel angeht
Dann lehne die Leinwand an einen Baum
in einem Garten
in einem Wäldchen
verbirg dich hinter dem Baum
ohne zu sprechen
ohne dich zu rühren…

Bisweilen kommt der Vogel bald
aber er kann ebensogut viele Jahre brauchen
bis er sich dazu entschließt
Verlier nicht den Mut

warte

Warte wenn es sein muß jahrelang
denn der rasche oder langsame Anflug des Vogels
hat nichts zu tun mit dem Gelingen des Bildes

Wenn der Vogel kommt
falls er kommt
so sei ganz still
Warte bis der Vogel in den Käfig schlüpft
und wenn er hineingeschlüpft ist
schließe mit dem Pinsel leise die Tür

dann

tilge nacheinander alle Gitterstäbe aus
wobei du keine einzige Feder
des Vogels berühren darfst

Sodann male den Baum
und wähle den schönsten seiner Äste
für den Vogel

Male auch das grüne Laub und den frischen Wind
den Sonnenstaub
und das Gesumm der Grastiere in der Sommerglut
Und dann warte ob der Vogel sich entschließt zu singen
Wenn der Vogel nicht singt
so ist es ein schlechtes Zeichen
ein Zeichen daß das Bild schlecht ist
Aber wenn er singt ist es ein gutes Zeichen
ein Zeichen daß du das Bild mit deinem Namen zeichnen darfst
dann zupfst du ganz sacht
eine Feder aus dem Vogelgefieder
und schreibst in einer Ecke des Bildes deinen Namen nieder

azurn

Ich hatte den Vogel schon gepinselt, als ich ‚zufällig‘ ein Gedicht von Jaques Prévert in die Hände bzw. unter die Augen bekam, das beschreibt, wie „man“ einen Vogel malt. Das Gedicht wird morgen hier erscheinen, sein Anspruch hat sicherlich auch Prévert etwas nervös gemacht. Auf meinen Bildern erscheinen öfters Vögel, die ich keineswegs naturgetreu erfassen möchte oder könnte, aber meistens denke ich dann an einen Adler. Irgendwie war ich sehr früh mit dem Adler von Zarathustra in Berührung gekommen, und in meinem täglich beschrifteten Tagebuch fanden sich neben kindlichsten Formulieren die Sätze aus diesem Werk von Nietzsche, das mich damals vor allem in Bildern und Begriffen ansprach, in denen ich mich zuhause fühlen konnte, dazu gehörten sein Adler und der Begriff „azurne Einsamkeit“, eine gegenseitige Beflügelung, die als Gefühl in mir ans Ekstatische grenzen konnte. Später hatte ich dann die Gelegenheit, in Kathmandu, wo ich neun Jahre verbracht habe, auf dem Bazaar spontan einen Adler zu kaufen, hauptsächlich, um ihn aus den Krallen des Verkäufers zu befreien. Ich nannte ihn Zarathustra, und sogar die buddhistischen Mönche lernten seinen Namen aussprechen, denn als er sich eines Tages zu meinem großen Leidwesen in die Lüfte hob, berichteten uns die Mönche, dass er manchmal auf der goldenen Kuppe ihres Tempels saß, das gefiel ihnen auch. Es ist mir bis heute ein Rätsel gebliebenl, dass man mit Tieren, auch ohne, dass man sich selbst als speziellen Tierfreund betrachtet, so eine tiefe Zärtlichkeit empfinden kann, um nicht zu sagen eine massive Anhänglichkeit, ja an was? Vielleicht einerseits diese unschuldige Souveränität der Tiere, ihre Freiheit, nur sich selbst sein zu können, wobei sie gar keine Wahl haben. Und vielleicht diese Zartheit bei all dieser Kraft, die sie haben, und bei einem selbst die Momente des Schmerzes, der sein kann wie ein Messer, dass man bei aller Liebe sie doch nur begrenzt verstehen kann, wobei die Akzeptanz dieser Tatsache befreiend wirkt, ja, auch hier: keine Wahl. Wir Menschen bewegen uns stets im Bereich geistiger Mutation. Morgens kann ich Adler sein, wenn ich das Glück habe, meine Augen an der zur Zeit existierenden azurnen Bläue weiden lassen zu können, bevor ich beim Frühstück auf die Anderen treffe, die auch gerade aus ihren Gehäusen treten und wie ich leise und aufmerksam vor sich hin morphen. Eigentlich lehne ich den Vergleich mit Tieren ab, weil ich ihn respektlos den Tieren gegenüber finde, aber ja, mir rutscht das auch noch ab und zu heraus, die Kuh oder die Schlange oder der Ochs, what to do. Die Jaguarfahrer schaue ich mir auch immer genau an, halb in der Erwartung, mal einen am Steuer zu sehen, der des Tieres würdig ist, andrerseits mit meiner eigenen dumpfen Bewunderungsecke für Wagen und Tier. In der von uns abonnierten „Zeit“ gibt es eine Seite, die mich regelmäßig in Empörung versetzt, wobei sie noch nicht dazu  gereicht hat, endlich mal diese Notiz an die Redaktion zu verfassen mit der Bitte, gelegentlich tief darüber nachzudenken, wie weit man als Mensch gehen sollte, die Gesichter der Tiere mit unserern eigenen Zuständen in Verbindung zu bringen. „Du siehst aus, wie ich mich fühle“, heißt dieser unselige Beitrag. Wenn etwas unbedingt lustig sein will, klappt es meist nicht, das hat jeder mal erproben dürfen. Aber zurück zum Adler, beziehungsweise einem Vogel mit weiten Schwingen, bei dem einem das Herz aufgeht vor Schreck und Freude gleichzeitig, wenn er vom Ast ablässt und sich in den Raum erhebt, zu dem wir keinen Zugang haben, zumindest nicht auf diese Weise. Nun gibt es auch die Geier, die aus beeindruckender Höhe ihre Beute erkennen können und auf sie herabstoßen und sich hauptsächlich von Aas ernähren. Neulich habe ich unterwegs im Radio von einem indischen Mann gehört, der sich um ihr bedrohtes Aussterben kümmert. Auch die Pelikane, die in Indien auf einmal auf dem See landeten und mich wochenlng in Atem hielten, haben diese Flügelspannweite. Aber ihr Körper ist so schwer, dass sie einen langen Anlauf auf der Oberfläche des Wassers brauchen, bis sie sich,  die Schwerkraft überwindenund, in die Lüfte erheben können. Der Adler ist der Vogel, der es einem leichter  macht, sich Beflügelung vorzustellen und Aufbruch und Weite und Höhe. Aber auch hier (in Deutschland) ist mit dem Tier ein Makel verbunden durch die Symbolik des Menschen, die macht auch an Nietzsche und seinem Zarathustra nicht halt und entspricht in letzter Konsequenz dem Zusammenbruch seines Meisters auf dem Pfad der Umnachtung. Aber gut, auch das, was sich festsetzt, kann gelockert, der Adler von der Belastung menschlicher Ritualistik entlassen werden, und mal schauen, so wie damals in Kathmandu, ob die gestutzten Flügel für immer geschädigt, oder aber noch wachstumsfähig sind und zu neuem Flug bereit, die wohltuende Wärme des weiten Raumes erspürend.

wunder/sam/bar

 

Wir saßen an einem dieser schönen, deutschen Plätze, die irgendwas mit „Mühle“ heißen oder so, mitten in einem grünen Landstrich, und schon bei der Anfahrt, an einem winddurchwehten Sommertag in angenehmer Begleitung, denkt man, es kann wenig Schöneres geben. In der Gaststätte die großen, globigen Tische verteilt über die verfügbare Fläche, Schweinefleisch Angebot und vegane Suppe nah beieinander, überall bewegt sich was, weil es muss. In das Gespräch vertieft, hingen meine Augen ein paar mal an der Holzritze vor meinen Augen, bis die willkürliche Blattformation  oben links im Bild Gestalt annahm und als Bild aufgenommen werden wollte von mir. In Indien empfinde ich solcherart Sichtweisen manchmal als Not, weil sich zu viele Monsoonwände und zeitlose Steinkompositionen anbieten mit der Frage, warum um Himmels Willen ein Mensch noch den Drang nach „Kunst“ haben kann, ist man doch überall und ständig mit dem bereits Vollendeten konfrontiert, und wenn man auch diese Karotte als eine Karotte sehen durfte, steht weiterem belichtetem Aufenthalt wenig im Wege. Denn weiterhin tut man, was man kann, was soll man sonst machen, und man muss davon ausgehen, dass jede/r sein oder ihr Bestes tut.  Einstein soll gesagt haben, es gebe zwei Arten, sein Leben zu leben: entweder so, als wäre nichts ein Wunder, oder so, als wäre alles eins. Ich glaube an Letzeres“ Sehe ich auch so. Es sind nicht nur die Gefühle, die uns in unsere Zustände und Wahrnehmungen führen, sondern es sind die Gedanken, die begleitend mitspielen, aber auch oft unbeachtet mitlaufen, so als hätten sie jede Hoffnung auf wirksame Mitwirkung verloren. Dann wird es schwierig, sich in den Wundern aufzuhalten. Es gibt auch Gespräche, in denen sich das Wunderbare Raum verschafft. Es hat etwas vom komplexen Tanzschritt mit dem Gegenüber. Eine andere Kunstform ist erforderlich als die Kunst, in der geruhsamen Einsamkeit der Wunder gewahr zu werden.  Und man selbst bleibt sich doch auch ein Wunder, egal, wie reflektiert man sich zuweilen vorkommen mag. Ab und zu stoße ich mal auf so Dinge wie das rechte Bild oben, wo ich einmal eine Sammlung angelegt habe für die kleinsten findbaren Bilder. Eine schöne Versammlung von Welteindrücken! Was hat mich bewegt dazu? Wer war ich dort und dann, und wann nehmen diese Dinge ihren Platz ein und müssen auch ab und zu mal entstaubt werden, damit man die vielen Aspekte und Eindrücke des eigenen Auftritts nicht ganz vergisst. Innen ist ja genug Platz für alles: Labyrinthe, Korridore, Lagerhallen, Archive, Landebahnen für die Flüge, Tanztempel, Dunkelkammern. Und wenn es für Freude und Wachsamkeit zu heiß wird, einfach mal alles herunterschalten auf schlichteste Seinsebene. Da empfangen uns weitere Wunder.

klimatisch

Heiß. In den Mails nach Indien unterlasse ich Klimakommentare, dort klettern die Grade gerade an den Vierzigern hoch. Bei 49 Grad war ich schon öfters in Delhi, aber einmal ging es auch über die fünfzig Grad hinaus, das kannte ich vorher nicht, viele starben. Wir legten den ganzen Tag nasse, kühlende Handtücher auf unsere Körper, ansonsten gab es nichts als massive Entschleunigung. Eine große Not ist auch in meinem Dorf dort der Wassermangel. Kommt ein guter Regen, ein guter Monsoon, lässt sich alles irgendwie ertragen. Aber der gute Monsoon kommt schon lange nicht mehr. Das Wasser muss von den Haushalten gekauft werden. Wie hätte man erwarten können, dass jeder Rosengartenanleger sich darüber bewusst wird, wieviel Wasser er von der Quelle nimmt, und dass es auf Dauer nicht für alle reichen würde. Man empfand die Quelle als unbegrenzt. Inzwischen, seit ein paar Jährchen sozusagen, verliert Indien immer mehr seinen mystischen Ruf eines Erleuchtungslehrzentrums und wird zusammen mit China als schlimmste Weltverschmutzer genannt. Und nun könnte man es tatsächlich einen Fatalismus nennen, sich auf solche Formen von Vernachlässigungen einzulassen, aber wie gesagt: wie soll man d a s stoppen können, bei dem alle mitmachen, obwohl auch die Mulmigkeit mitläuft, weil man schon zu viel weiß von den Wirkungen, hat sie nur noch nicht an sich herangelassen, solange es noch aus dem eigenen Hahn tropft, wenn auch von käuflichem Wasser. Mir fällt auf, dass das Wort „Weltrettung“ eine Hemmschwelle überschritten hat. Die Wahrheit ist nackt. Durfte sie deswegen nicht ausgehen? Zu kalt zu heiß zu hoch zu tief zu wolkig zu unwolkig zu nass zu trocken, das ist die Klimawelt, die uns unter anderem am Leben hält. Nur sieht es zur Zeit so aus, als hätte Indra, der Klima-Gott, im Koma gelegen und wacht nun auf und ist in aller Munde. Ich höre, dass man sich u.a. eine App runterladen kann, die für einen ausrechnet, wieviele klimaschädigende Sünden man verbrochen hat, und man kann dann ein paar Scheine hinlegen als Buße. Jedes Schauermärchen bringt neue Berufe und lockt neue Fähigkeiten hervor. Außer Zweifel steht, dass 38 Grad für unsereins ganz schön heiß ist. Dankbar, wer noch ausweichen kann in coole Räumlichkeiten oder Waldseen. Und es ist Strömung aus der Sahara. Man kann an sich selbst beobachten, wie der Gedankentransport sich verlangsamt und eine gewisse entspannte Wohligkeit sich in einem ausdehnt. Wenn auch der Kopf nicht so gern mitmacht, so scheint es dem Körper doch gut zu tun, sich mal in die automatische Dehnung begeben zu können. Vielleicht fallen einem ein paar Lieder ein, die lange verborgen in einem herumlagen, denn was das Essen betrifft, so reicht ja auch eine Melone oder irgendein deftiges Shake. Aber gut, das greift zu sehr in die Privatsphäre des Klimaschutzes ein, kann sich doch jeder nur alleine schützen, und ja, muss auch alleine schwitzen.

gestatten

Eigentlich wollte ich dieses Bild mit dem gestrigen austauschen, weil es so gut gepasst hätte, aber ich habe es erst später am Tage entdeckt. Es stammt von einer Bestattungsinstitutsanzeige, in der einem putzmunter erzählt wird, man plane doch die Urlaubsreisen auch online, warum also nicht auch die letzte Reise. Bei dem Wort „bestatten“ fällt mir einer meiner eher heiteren Texte ein aus dem Jahre 1993, ich schau mal, ob ich ihn finde. Es ging um die Bestattung eines Traumes, an den ich mich, sofern er überhaupt  existierte, gar nicht erinnern kann. Aber ich kann mir beim Lesen des Textes, den ich jetzt neben mir liegen habe, überlegen, welchen Traum, sofern vorhanden, ich jetzt durch diesen Text bestatten lassen könnte. Auch Träume leben ja gerne und wollen nicht unbedingt bestattet werden, aber manchen Träumen tut das gut, dass man sich auf diese Weise um sie kümmert. Zum Beispiel der Traum von einem reichlich geschädigten und ausgeraubten Planeten, den junge Hände, bewaffnet mit Zauberstäben und hin-und herreisend auf dem Nimbus 2019, den diese Zauberlehrlinge also zum Säuberungsbefehl freigeben unter ihrer Aufsicht, und siehe, alle, die vorher verstummt, dumpf und mörderisch unterwegs waren, greifen in ihrer Garage zum inzwischen elektrischen Nimbus, ausgestattet mit K.I. Software, und kehren alle zusammen singend der Welt den Rücken. Bevor ich unversehens und ungewollt in noch tiefere Zweitdeutungen schliddere, bitte ich Sie, mir zu …

Gestatten, dass ich heute diesen Traum bestatten kann im Schatten. Er wollte in mir leben, doch ich war gezwungen, ihn aufzugeben. Nun muss ich ihn begraben, oder soll ich ihn auf Eis legen. So ein schöner Traum, ganz in Weiß, auf Eis. Oder soll er sich selbst in das Helle begeben, da kann er dann geistreich weiterleben. Oder soll ich ihn einfach wegkarren, den Betörenden, der mich entlarvt als Narren. Von ihm ließ ich mich kontrollieren, solange der Preis noch nicht klar war, aber als der dann da war, da blieb mir nichts anderes übrig als mich zu besinnen auf das Entrinnen von meinem Traum, diesem Schaum, denn mehr blieb davon gar nicht übrig. Ich warf ihn, den Schaum, hinein in das Feuer, es war nicht teuer. Nur schmerzhaft, ja, sehr, war der Saft seines süßen Giftes.

Gut, es soll der sehr heiße Tag eines Junis werden und das Gehirn startet seine Anpassungsmanöver. Innerhalb dieses Raumes sehe ich eine Möglichkeit, die eigenen, ganz persönlichen Träume ins Auge zu fassen. Träume müssen ja nicht unbedingt bestattet werden. Sie sind, sagte der Traumforscher, auch der Königsweg.

gehen

Wer hat nicht schon mal über ein technisches Wunderauge von einem Außen auf den Planeten schauen dürfen, der zumindest bis jetzt der Wohnort aller bekannten Wesen ist, so schwer es einem zuweilen fallen kann, das für möglich zu halten. So glitzernd das Ganze im All aussieht, und winzig ist im Verhältnis zum noch weitgehend unerforschten Rest, so schwindelig kann einem werden, wenn der Blick hineinzoomt in die Strukturen, deren distanzierte Ordnungen man auch vom Flugzeug aus bewundern kann. Je näher man kommt, desto komplexer wird es. Die Schwerkraft tut das Ihre. Das Gehen spielt eine große Rolle, einmal, um die eigenen Ziele zu erreichen, falls man welche gesteckt hat, und überhaupt ist es für das persönliche Lebensgefühl wichtig, mobil zu sein. Dann gibt es Grenzen. Auch das Sterben ist ein Gehen. Ständig kommen Wesen an und ständig gehen welche, das bekommt man nicht immer so direkt mit. Auch gehen die Kulturen sehr unterschiedlich mit den „natürlichen „Vorgängen um. In Indien wird noch am selben Tag des Todes der Körper auf einer Bahre durch die Straßen getragen zum Verbrennungsplatz, das sind oft nur Stunden. Wahrscheinlich, weil in der Sommerhitze ein Körper gar nicht herumliegen könnte. Die Verbrennungen finden auch im öffentlichen Raum statt, auch hier wird noch nach Kasten getrennt. Wenn auf der Straße ein breites Band von gestreuten Rosen liegt, weiß man, dass jemand gegangen ist und kann fragen, wer, falls man die Person kennt. Es wird ja immer mal wieder geraten oder besprochen, sich so früh wie möglich darum zu kümmern, den Tod als eine ständige Begleiterscheinung anzusehen und dementsprechende Vorsorge zu treffen. „Vorsorge ist vorgezogene Sorge“ wurde mal jemand zitiert, das sehe ich auch so. Und doch: was will man und was will man nicht. Ein Krankenhaus kann ein hilfreicher Ort sein, aber auch ein Gefängnis, zu dem man durch einen Gewaltakt gebracht wird. Unterzeichnet man keine ganz bestimmten Papiere, können auf einmal Fremde über das eigene Leben bestimmen. Es gibt da sehr unterscheidliche Meinungen dazu, wem es zusteht, in gewissen Situationen über einen zu bestimmen. Man muss wachsam sein und sich ein Bild davon machen, wie man sich das vorstellt. Wie klar man die Dinge mit den LebensbegleiterInnen besprechen kann. Im Falle eines solchen Falles: unter die Erde oder das Erdlingskostüm aufgelöst in Asche. Und wohin mit ihr, wenn man selbst oder die Anderen von einem sie (die Asche) haben möchten, vielleicht irgendwo hinstreuen oder hinbringen, wo es Rituale dafür gibt. Einmal habe ich in einem ungewöhnlichen Bestattungszentrum die Performance einer jungen Frau gesehen, die die letzten Worte sterbender Persönlichkeiten gesammelt hatte, soweit sie überliefert waren. Sie hatte für jede Anekdote, meistens von Zen Meistern, ein Objekt mitgebracht, sozusagen als Bilderweiterung. Hochspannend, dass es tatsächlich für jeden Menschen letzte Gedanken und Worte gibt, man kann nur nicht wissen, was man selber sagen wird oder ob man überhaupt was sagen wird. Wann wurde den tausenden gekenterten Afrikanern klar, dass das Abenteur zu Ende war. Und die Kinder, die die ganzen Katastrophen überleben, und die Kinder, die sie nicht überleben. Schön wäre auch, man könnte, statt das Vorsorge Set zu studieren, an einem bestimmten Punkt einfach merken, dass man geht, und Zeit hat, in den Himmel zu schauen oder in die Stille zu lauschen in einem wohlwollenden Setting, mit Freunden, mit denen man das alles mal soweit wie möglich, durchsprechen konnte. Dem Ungewissen genügend Raum zum Atmen lassen, bis auch das vorübergeht.

Gottfried Benn

Was schlimm ist

Wenn man kein Englisch kann,
von einem guten englischen Kriminalroman zu hören,
der nicht ins Deutsche übersetzt ist.

Bei Hitze ein Bier sehn,
das man nicht bezahlen kann.

Einen neuen Gedanken haben,
den man nicht in einen Hölderlinvers einwickeln kann,
wie es die Professoren tun.

Nachts auf Reisen Wellen schlagen hören
und sich sagen, dass sie das immer tun.

Sehr schlimm: eingeladen sein,
wenn zu Hause die Räume stiller,
der Café besser
und keine Unterhaltung nötig ist.

Am schlimmsten:
nicht im Sommer sterben,
wenn alles hell ist
und die Erde für Spaten leicht.

retten

 

Eine Bildbeschreibung, wenn angesagt, würde mich nun in einige Bedrängnis bringen. Um zuerst zum praktischen Vorgang vorzustoßen, war es so, dass ein kleines Stück Papier mit einer Zeichnung von H.Robert schon eine Weile an meiner Glasschranktür hing. Durch ein anderes Photo, das ich dort machte, fiel mein Blick auf die Zeichnung, die im Hintergrund zu sehen war. Sie war mir immer so freundlich vorgekommen und lächelt auch, das Mädchen, aber nun erst konnte ich durch die Vergrößerung auch die Traurigkeit sehen. Die passt ja manchmal auch zu einem, und gleichzeitig will man darin selten  untergehen in all den traurigen Dingen, die einem einfallen könnten, würde man ihrem Herdentrieb nicht Einhalt gebieten, ohne  das Heu und ihr Gehege zu gefährden. Greta Thunberg, mit goldenen Flügelchen umkränzt sei ihr Name, hat einen auch ganz schön traurig gemacht, und klar freut das einen, dass so viele Tausende zusammenkommen, um ihre Traurigkeit über das sterbende Paradies auszudrücken. Eigentlich dachten wir auch kurz daran, dort hinzugehen, um ktitische Masse zu erzeugen, aber dann sind wir doch nicht gegangen, es gibt für beide Entscheidungsvarianten mehrere Gründe. Ich weiß auch nicht, was ich erfahren hätte, dahinwandelnd mit in dieser Hinsicht Gleichgesinnten, gemeinsam mit Spruchbändern und Planetenrettungsambitionen. Das gehört einfach dazu, dass jede/r tut, was er oder sie kann. Man erfährt auch zu Genüge an sich selbst, wie zwischen Idee und Wirklichkeit oft der Schatten fällt, oder es kann auch ein unüberwindbarer Abgrund sein, über dessen unmöglichen Überbrückungsplänen jahrelang herumreflektiert wurde und wird. Auch wenn sonnenklar ist, dass hier auf dem Planeten schon so viel aus dem Ruder gelaufen ist, dass selbst die friedensgesteuertsten KlimaaktivistInnen  ihre eigenen, persönlichen Erkenntnisse unterwandern müssen, dann…dann muss man trotzdem tun, was man kann, und rechtzeitig erkennnen, was man nicht kann, denn das erfordert einen ähnlichen Einsatz wie die Erkenntnis. Oder man kann in einer halbwegs vernünftig erwachten Anwesenheit an guten Orten herumstehen oder herumsitzen und innerlich 7und äußerlich teilnehmen am Weltgeschehen, man lebt ja nicht außerhalb von seinem Eingangsportal. Und es kann einen durchaus erleichtern, dass dieser amerikanische Irre, der gerade die Welt betäubt, seine berühmten Finger vom Befehlsknopf zurückgehalten hat, damit kann man nicht immer rechnen. Auch könnte man fast hoffen, dass seine Tochter, die mit durchaus wahrnehmbarer Intelligenz gesegnet ist, dem Vater manchmal zuzischt und ihn fragt, ob er noch alle Tassen im Schrank hat. Aber es will ja eh keiner wissen, wieviele Tassen er je im Schrank hatte, denn der Thriller läuft bereits. Das Unberechenbare musste gar nicht durch die Hintertür, es kam in seiner ganzen Unleugbarkeit, gewählt von Erdlingen, die sich an dem Auftritt von Gauklern erfreuen. In der Zwischenzeit ist uns aufgefallen, dass auch wir nicht ohne Fehl sind, oder muss ich jetzt ich sagen. Ich kann die Welt nicht retten, aber die Schlichtheit meines Beitrags einschätzen. Wie alles wirklich zusammenhängt, ist auch noch nicht ganz wissenschaftlich erfasst worden. Denn wie wirklich ist die Wirklichkeit, und wie vertraut ist mir manchmal die fremdartige Eigenwilligkeit meines Wesens!?

Hier das Original des mittleren Bildes, bzw. ein Ausschnitt davon als Photo. Es ist dasselbe Bild wie oben.

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Nu

Hier noch einmal ein Flüchtling aus Daniel Richters Boot, der in eine Zukunft schaut. Es ist immer schwer, eine Zukunft zu sehen, aber in bestimmten Zeiten ist es besonders schwer; diese Zeiten kehren immer wieder. Auch wenn es manchmal für Menschen überhaupt keine Zukunft mehr gibt, die vorstellbar ist, wie nach einem Krieg zum Beispiel, so wird doch immer wieder Zukunft geschmiedet. Pläne, Ideen, Wünsche tauchen auf, die umgesetzt werden möchten, damit Zukunft entstehen kann. Gleichzeitig zieht sie ständig an uns vorüber, schon bei „vorüber“ ging sie an mir vorbei und wurde Vergangenheit, das geht schneller, als man denken kann. Und tatsächlich kommt es oft anders, als man denkt. Nie wird man wissen, wer man geworden wäre, hätte man an manchen Kreuzungen eine andere Richtung gewählt. Einmal dachte ich, ganz klar im Kontext meines damaligen Lebens, ich würde meinen restlichen Seinsaufenthalt an einem Feuer verbringen, in Indien „dhuni“ genannt, eine Aufgabe unter bestimmten Bedingungen, die dort heute noch als Form akzeptiert wird, auch wenn der Raum für so eine Lebensweise sich immer mehr verengt. Es gibt kaum mehr jemanden, der so ein Leben noch kann. Einfach sitzen, verbunden mit höchstmöglicher Einstellung zum kosmischen Raum hin, die Aufgaben dementsprechend eindeutig: Holz holen, das Feuer am Glühen halten (nie darf es ausgehen), ein karges, aber gutes Mahl einnehmen, die Begegnungen und Gespräche mit den BesucherInnen auf guter Ebene führen, sich als Frau (mir) in einer fremden Welt einen souveränen Platz erobern, der eine Stimmigkeit erreicht, die keiner der Beteiligten mehr anfechten kann. Meine Karriere war auch diesmal solide ausgedeutet, da kam etwas des Weges, das die Überraschung einer neuen Sicht und dementsprechende Änderungen des Weges mit sich brachte. Ist das nun Freiheit oder kann man nicht anders, als den eigenen Weg gehen, auch wenn die Originalität seiner Wegweiser manchmal verblüfft. Neue Zeit . neue Zukunft, auch wenn das immer wieder nur bedeutet, dass das Vorbeiziehende weder die Zukunft noch die Vergangenheit sein kann, denn beide begegnen sich nur im Nu. Nur in der Flüchtigkeit des Momentes lässt sich Lebendiges gestalten, oder wird mitgestaltet von den Seinsfäden der Anderen. Das war schon spannend damals, auf ein bewusst einfach gestaltetes Leben eine konzentrierte Aufmerksamkeit zu lenken ohne große Ablenkungsmanöver. Meist gibt es Vorboten und Zeichen, wenn eine Veränderung ansteht, die auf einen Kurswechsel deutet. Man kann immer nur sehen, was einem möglich ist. Bezogen auf meine Situation am Feuer, so informierte ich meine Seniors/Sadhus (die jemanden finden mussten, um das Feuer zu halten), dass ich auf eine Reise gehen würde (Amarnath in Kaschmir war das Ziel, 4000 Meter hoher Aufstieg zu einer Höhle), und nach diesem Gang durch Eis und Gefahren ging ich nach Ladakh, um mich zu erholen. Irgendwo auf der Straße wurde mir plötzlich klar, dass ich in den Westen zurückgehen würde, daran war nichts mehr zu ändern. Insofern ist die Frage nach Freiheit und Zukunft immer angebracht, dieses Paradox der Gleichzeitigkeit, gleichzeitig Freiheit und Gebundenheit an das Geschehen, gleichzeitig Zukunft und Vergangenheit im lebendigen Nu, egal, wieviele Analysen jeweils am Laufen sind. Das sagt ja nichts über die Schöpfungskraft aus, mit der man unterwegs sein kann, die paar Spielregeln befolgend, die einem ermöglichen, sich selbst so wenig wie möglich im Wege zu stehen, oder zu glauben, man könnte irgendwo im eigenen Schatten ausruhen.

flüchten

Weltflüchtlingstag also (außer Fronleichnam, bzw. dem Ausschlafswunschtag der Vielbeschäftigten). Die Tatsache, dass gerade auf dem Planeten 70 Millionen aus den jeweiligen Katastrophen der Länder Flüchtende unterwegs sind, kann nur für eine fast mystische Ohnmachtszahl stehen. Vor ein paar Jahren, als das alles hier anfing, für seine menschliche Dringlichkeit Raum zu suchen, wurde ich von dem Gemälde oben von Daniel Richter (aus der Zeit) berührt, das von dem Kern des Ganzen vieles ausdrücken kann, was oft nur ein Bild kann, und eher selten die Worte. Ich hatte selbst nach den ersten Berichten über die vielen ertrunkenen AfrikanerInnen auf simpelste Weise versucht, auf einem weißen Blatt, das mit einem Meeresblau leicht zu bedecken war, mit meiner Pinselspitze lebendigen Kontakt aufzunehmen mit dem sinkenden Haar der Köpfe, nur um ein Gefühl zu generieren über das unvorstellbare Ausmaß des Vorgangs. Das geht noch immer vor.  Manchmal wird man gedanklich woanders hingelenkt, was die Informationsebene betrifft, und gerne mal „sturzbetroffen“ sein, ein Wort, das ich ausgeschnitten und irgendwo bei mir herumliegen habe. Erschafft man mal kurz aber großzügig für sich ein gewaltiges Menschen-Epos und schweift über die zügellosen Auswüchse und die bedeutsamen Erungenschaften menschlicher Verhaltensweisen, dann kann klaro der einsame Beobachter am Rande des historisch bewahrten Porzelantellers natürlich die Heerscharen an sich vorüberziehen lassen wie Wolken: die Händler, die Vergewaltiger, die Erfinder/innen, die Bischöfe, die Fliehenden, die Flüchtenden, die Geflüchteten, die SängerInnen, die TänzerInnen, die Sodomisten, die, die aus unendlich vielen Gründen so geartet sind, dass sie entweder zu solchen Mitteln greifen oder zu solchen im Angebot dessen, was da ist. Es kann doch nicht gut gehen, wenn auf einmal allen etwas fehlt, was sie unbedingt haben müssen, aber nicht bekommen können, weil es gar nicht möglich ist. Die Mutter unserer afghanischen Freundin ist vor Kurzem in Herat gestorben und hat zwei erwachsene Kinder hinterlassen, die beide geistig so eingeschränkt sind, dass sie nicht für sich sorgen können. Niemand kümmert sich dort um sie, die Familie hier will sie herüberholen, es geht nicht, wurde mir vermittelt von den Behörden. Das Leben der Flüchtlinge als Flüchtlinge geht weiter, auch wenn sie die ersehnte Aufenthaltsgenehmigung errungen haben durch alle Fluchtnöte hindurch und hinweg über die Traumatisierungen, auf Ämtern die kostbare Zeit vergeudend, wegen dem Mangel an Sprache froh über den Putzjob. Mameh aus Guinea ist auch gut integriert mit ihrer Tochter. Der afrikanische Vater des Kindes hat sie verlassen, weil seine Mutter, am Telefon aus einem Nest in Afrika befehlend, nicht will, dass sie Christin ist. Sie muss Muslimin sein. Und von uns aus gesehen sieht es auch nicht einfacher aus. 5 Euro in einen Umschlag stecken und irgendwo hinschicken ist jetzt nichts Schlechtes, oder eine Petition unterschreiben mit meinem Fingerclick. Aber hallo, wie sieht es aus vom eigenen Innen her mit dem Fremden, mit dem Fluchtweg in alle vorhandenen Korridore der Unterwelt, wo die Dämonen kichern, weil sie wissen, wie das so ist mit den Menschen und sich selbst und den Gaukeleien vom Gutsein und vom gemeinsamen Aufenthalt auf diesem begrenzten Wohnort. Und klar, hat der eine nur einen schlichten Holzteller und der Andere eine teure Tellerverzierung, aber beide müssen sich vom Teller verabschieden, wenn gegessen und getrunken und Weiteres zu bewältigen ist. Mamehs Tochter Racky ist fünf und lebt noch in der mütterlichen Geborgenheit. Wie wird es ihr ergehen, wenn sie zu deutsch wird, um sich dort, wo sie schon beschnitten wäre in ihrer Familie und von ihren Angehörigen, wenn sie eines Tages dort nach ihren Wurzeln sucht und keine mehr findet. Das Heer der Entwurzelten, die Ströme der Traumatisierten, die noch zu Heilenden, und die, die nicht mehr zu heilen sind. Die Flüchtlinge, die eines Tages gerne gesehen werden, sollen ja gebildet und brauchbar sein. Was sollen die sich um zwei erwachsene Minderbemittelte aus Herat kümmern wollen, die jetzt dort eingehen werden wie nutzlose Pflanzen. Oder auch nicht. Wir wissen es nicht. Und wir werden es auch nicht wissen.‘ Wir sind doch Menschen‘, könnte man Benn in sich nachklingen lassen, und wüssten vielleicht gar nicht, was wirklich damit gemeint ist.

Das Bild ist ein Ausschnitt von Daniel Richters Gemälde. Sie sitzen in einem Schlauchboot zusammen, Flüchtlinge. Unter ihnen  unergründliches schwarzes Wasser…..

sommerlich

Zu dem Hochgefühl eines Märchenbuchsommertages passen die Bilder natürlich nicht, müssen sie ja auch nicht. Oder vielleicht passen sie doch. Es ist das Bild eines Ohres, das ich aus einer Zeitung entfernt hatte, und damit es nicht gleich verloren geht, legte ich es in die kleine Schale, wo ich einige meiner Farben anrühre. Da konnte ich sehen, dass sich Ohren auch als Augen eignen, wenn auch nur an einem sommerlichen Morgen. Mir fiel mein erstes und einziges Gedicht über den Sommer ein, das mit den Zeilen beginnt: „Sommer – langer Gedankenstrich. Verlorenes Recht auf Grün…..“Nun muss man nicht darüber streiten, ob ich oder der Mensch an sich oder alle Menschen das Recht auf Grün überhaupt verlieren können, denn es gibt ja gar kein Recht auf Grün. Niemand hat jemand anderem das Recht auf Grün geben können, es ist ja auch nicht überall grün. Als im indischen Dorf die Rosengärten begannen sich in die Wüste zu dehnen, war ich auch überrascht, dass es „nur“ mit dem Wasser zu tun hatte, da ergrünte sie, die Wüste. Allerdings passierte auch da das wohl Unvermeidliche: zu viele wollten diese riesigen Mengen Wasser  in ihre neuen Felder leiten, das ging ein paar Jahre gut, bis das System zusammenbrach. Ausgetrocknete Brunnen. Verödete Höfe. Kein Sommer, in dem das berauschende Grün seinen Saft in die menschlichen Adern treibt. Wie heute. Auf einmal ist alles nur Fülle. Man kennt nun die Armut der Wahrnehmung. Wann ist das alles geschehen, dieser wilde, kaum zu bändigende Reichtum. Ich wohne in einem paradiesischen Garten, der direkt an den Wald grenzt. Nie hätte ich vermutet, dass ich mich auf dem Land so beschenkt fühlen würde. Nicht einmal das Rauschen einer Autobahn ist zu hören. Davon kann man in Indien nur (noch) träumen. Der einzige Glanz des Himalaya Gebirges als Feld des Rückzugs und der Stille hat sich verflüchtigt und hat neue Räume ermöglicht, die die Arbeit dem Zeitgemäßen anpasst. Hören, sehen, erkunden, betrachten, staunen, lieben, reflektieren, still sein. Je genügsamer die Einstellung, desto weiter der Raum. Klar, es braucht Zeit, bis man alles dafür einsetzen kann, das eigene Wesen im Raum wahrnehmen. Es ist ein Privileg, in einem Garten zu leben, in dem auf einer Seite ein paar Holzbalken die Idee eines Zaunes verkörpern, und alle anderen Seiten sich verlieren im Grün angrenzender Wiesen. Alle sind ausgestattet mit guten Geräten, das lotet die Landluft aus mit anderen Frequenzen. Wir wollen ja nicht zurück, sondern vorwärts, was auch immer das jeweils bedeutet, ein Vorwärts. Orte, die auf einmal im Kontrast zu der selbstzerstörerischen Neigung des Menschen wie Oasen erscheinen, in denen zumindest das Gespräch über die Fragen unserer Zeit auf diesem Planeten entstehen kann, und wo das, was wir wünschen und als Wert verstehen, sich im Spielraum und im immeren Labor erproben kann als Weg in die Umsetzung. Als endlich wieder Sommer war und Licht und Dunkel sich in den Selbstgesprächen suchten und nicht fanden. Sommer, wenn Krieg ist. Und Sommer, wenn Frieden ist.

landen

Ich habe heute eine wunderbare Geschichte aus dem Krieg gehört, die wohl irgendwo, Quelle unbekannt, mal erzählt wurde. In der Kriegszeit also ging ein junges Mädchen auf die Toilette. Das Haus wurde bombardiert. Als die nach Überlebenden suchenden an das Haus kamen, hörten sie ein Lachen. Das junge Mädchen wurde lebend und lachend aus den Trümmern geborgen und berichtete, dass sie nie gedacht hätte, dass durch ihre Handbewegung an der Wasserkette das ganze Haus einstürzen würde. Es war die Freude und Überraschung über die Wirkung ihrer Handlung, die sie erstmal begeisterten, bevor sicherlich auch andere Gefühle kamen. Das, was man manchmal in Blitzessekunden versteht, kann oft nicht wirklich Worte finden, denn man hat etwas auf einer Ebene verstanden, wo kurzzeitig alles Sichtbehindernde weggefegt wird. Oft bietet der Humor, wenn anwesend (Liebling der Götter), eine Tiefe, die mehr erschüttern kann als mancher Schmerz. Neulich hatte ich mal so eine erstaunliche Erfahrung. Ich kam gemeinsam mit einem anderen Menschen blitzschnell in eine absurde Wahrnehmung. Es ist ja müßig und oft unmöglich, hinterher zu wissen, was der Auslöser war. (Jemand hatte etwas von der „Befreieung des Sinns“ geschrieben). Jedenfalls fingen wir zu lachen an, und es steigerte sich in den unkontrollierbaren Anfall. Es ist mir bekannt aus meiner Familie und hegt die besten Erinnerungen an sie, dass wir ab und zu so lachen mussten, dass wir hinterher alle erschöpft waren vom Angriff des Anfalls. Aber diesmal kam noch etwas hinzu. Ich wurde so überwältigt vom Lachen, dass für einen Moment jede Begrenztheit in mir erloschen schien. Mir wurde weiß vor Augen, so als würde ich auf die weiße Leinwand starren, die immer da ist, aber der Film läuft nicht ab. Wenn ich jetzt daran denke, da kommt mir das Wort Totenstille. Das war nicht meine Absicht, dort zu landen, aber was ist schon Absicht. Absicht und Aufsicht, was sind sie. Aber zurück zur machtvollen Wirkung des Humors. Denn kehrt man zurück aus der Leere der Leinwand, kehrt man auch zurück zu den Vorgängen auf ihr. Aber so nebensächlich der Auslöser erst einmal schien, so denke ich jetzt, dass es präziserweise genau diese Worte waren, die die Kraft einer Bombe hatten und für einen Moment, vielleicht einen Nu, alles wegfegten, was im Wege stand. Alles stand im Wege. Stand dem im Wege, was hier Raum haben wollte. Die heftigen Bewegungen der durch Lachen ausgelösten Erschütterungen durchfurchten den Acker der Ansammlungen, und da tat er sich auf, der Landeplatz, um den es ging. „Als Sinn befreit“, das waren die Worte. Sie brachten mich genau da hin, wo alles einmal von jeglichem Sinn befreit war. Jede und jeder buddelt sich den eigenen Pfad zu den Uranekdoten, bis man sieht, dass auch sie noch Erscheinung sind, Filmmaterial und Arbeitsfläche. Und auch wenn man manchmal notlanden muss, so ist es doch erforderlich, sich auf die Notlandung einzulassen, um nachzusehen, ob alles in Ordnung ist. Und welche Ordnung ich hier meine, und von welcher ich gewohnheitsgemäß ausgehe, und in welcher Hinsicht ich mich selbst daran beteilige, das an sich Sinnfreie angemessen zu gestalten. Haben wir eine Wahl?

einzeln

In der letzten Zeit taucht bei mir immer wieder der Gedanke auf, dass es, wo und bei wem auch immer, eine erfrischte Wahrnehmung des Begriffes „Individuum“ braucht. Ich beziehe mich hier hauptsächlich auf die Bedeutung des Ungeteilten als etwas, was in letzter Konsequenz nicht nur ich selbst sein kann, und sich selbst verstehen, soweit möglich. Dazu gehört für mich die Anerkennung eines anderen Individuums als dieses Ungeteilte, das ich nie ganz werde ergründen können, von dem ich überhaupt nur verlässlich wissen kann, was er oder sie mir zu verstehen gibt, heißt, was der oder diejenige einerseits selbst von sich versteht, aber auch bereit ist, verständlich zu machen. Es ist ja durchaus das Schöne (und das Erschreckende) an menschlichen Begegnungen, dass wir selbst bei ähnlichen Voraussetzungen so einzigartig gestaltet sind. Entweder haben wir uns durch unser vermeintliches Schicksal weit über alle scheinbaren Notwendigkeiten hinaus gestalten lassen vom uns als unvermeidbar Definierten, oder wir haben die Gestaltungshoheit selbst übernommen, erkennend, dass niemand sonst dafür verantwortlich sein kann, auch nicht muss, und auch nicht soll. Zu gerne wird das Bündel abgegeben, und allmählich formt sich der mitgetragene Schatten zu einem Ungeheuer, für dessen Bewältigung man Hilfe braucht, und man kann dankbar sein, in einem Land zu leben, wo es ExpertInnen gibt für diese Kunst kompetenter Begleitung. Denn auch hier geht es nicht um „helfen“, und ja, es gibt sie, die vorübergehende Hilfeleistung, und ich danke allen Institutionen und Ehrenamtlichen für ihr Engagement, immer und immer mal wieder bedanke ich mich in Richtung Amnesty International, Greenpeace, Medica mondiale, usw., wo solche Leistungen auch ergreifende Frucht tragen können, danke.  Das sind alles freie Entscheidungen auf der Basis von Fähigkeiten, die das Individuum durch sich selbst erkennt: was es mit sich beitragen kann zum Ganzen. Denn egal, wie man es selbst sieht, man trägt automatisch bei zur Weltlage, denn sie besteht aus uns, auch wenn die Ohnmacht über unsere Bedeutungslosigkeit uns gleichzeitig ergreifen kann. Je gründlicher und ernsthafter man bemüht ist, etwas zu erfassen, desto besser kann man auch für sich selbst entscheiden. Hat man eine längere Weile sorgfältig gesiebt, was einem gut tut und was nicht, was man förderlich findet für sich und andere, kann mal ja und mal nein sagen undsoweiter, kurz: hat das Meer der Dualitäten erfolgreich durchquert, auch manchmal ziemlich erschöpft, oder wütend, oder gelassen, kommt man bei unbeirrter Wanderung tatsächlich eines Tages an ein Tor. Kein Wächter in Sicht, keine Prüfungen, keine Aufgaben. Ist das nun der schrecklichste aller Schrecken, vor dem das Ich so zurückschreckt, oder kann ich „schreckte“ sagen!? Dabei hat es nichts gemein mit einer Finsternis, sondern alles ist nur da in seiner einfachsten Seinsweise. Man hielt das oft für sehr wenig, oder auch für zu viel. Mehr hat man nicht zur Verfügung. Man muss nur dranbleiben am Wohnhaften mit sich selbst. Denn von einem anderen Blick aus gesehen, kann eine alles überwiegende Tätigkeit die beste Ablenkung von sich selbst sein.  Ja, jede/r soll tun, was er oder sie kann. Dann hören die Klagen auf, und jedermanns und jederfraus Ich kann an die Arbeit gehen, am besten immer vom Kern aus durch das Tor in die Welt.

Das Individuum: der Mensch als Einzelwesen in
seiner oder ihrer jeweiligen Besonderheit.

Bild: eine meiner Collagen aus früherer Zeit

Jean Genet

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Jeder hat vielleicht einmal diesen Kummer, wenn nicht sogar Schrecken verspürt, die Welt und ihre Geschichte in einer unausweichlichen Bewegung  befangen zu sehen, die immer weitere Kreise zieht und nur die sichtbaren Erscheinungen der Welt zu immer gröberen Zwecken zu verändern scheint. Diese sichtbare Welt ist, wie sie ist, und unsere Einwirkung kann keine andere aus ihr machen. Man denkt deshalb mit Sehnsucht an ein Universum, in dem der Mensch, anstatt so verbissen auf die sichtbare Erscheinung einzuwirken, bemüht wäre, sich davon zu befreien, nicht nur jeder Einwirkung auf sie zu entsagen, sondern sich genügend zu entblößen, um den geheimnisvollen Ort in sich selbst zu entdecken, von dem aus ein ganz anderes menschliches Abenteuer möglich wäre. Aber vielleicht haben wir gerade dieser unmenschlichen Bedingung, dieser unvermeidlichen Einrichtung die Sehnsucht nach einer Zivilisation zu verdanken, die sich anderswohin als ins Messbare vorwagte.

Aus: Jean Genet: Alberto Giacometti

Saturday for future

 

Es ist immer die kleine Drehung mit dem ganz bestimmten Schlüssel, die dann letztendlich die Sache in Gang bringt. Ist der Gang mal drin, kann man die Wirkungen der Einsätze beobachten. Alle taumeln gemeinsam in das neu eröffnete Feld. Der Spieler oder die Spielerin, um gutes Spiel bemüht, hält ein und beobachtet die Lage. Manchmal ist das Voraus ein guter Plan, doch auch das Hinterher hat seinen Platz, fragt sich von wo aus gesehen. Wenn die Systeme sich langsam selbst auseinandernehmen und sich jede/r Einblick erwerben kann in die Vorgehensweisen. Wenn die Wahrnehmung eigener (Ent)Täuschungen zu mehr Klarheit geführt hat statt zu feindlichen Ausuferungen. Und auch das: Wenn Lord Google gefragt werden muss, ob etwas rechtens ist, als könnten die Algorithmen unterscheiden zwischen Redefreiheit und Verleumdung. Dann ist es spät. Oder ist es noch früh. Noch zu früh, um auszusagen über die neuen Entwicklungen, die sich in unübersichtlicher Schnelligkeit auf allen Ebenen bewegen, so, als wäre ein ganz großer Sturm gekommen und hätte nun doch, ja man glaubt es kaum, nun doch den für unsterblich empfundenen Stammbaum der Menschheit an den Wurzeln gerüttelt und geschüttelt, und kein einziger Apfel wäre mehr heruntergekommen, ja wie konnte das geschehen. Wir wissen ja, dass Greta Thunberg („Make the world Greta again“) das kleine goldene Schlüsselchen von den Cosmo-Wächtern in die Hand gespielt wurde, die wussten schon warum, und wir wissen es auch. Auch als verhältnismäßig freier Geist weiß man, dass man keine Wahl hat. Es ist die Handhabung des eigenen Schicksals, die einen begleitet, und wenn man am Seinsrand herumstehen muss, um ihn zu begreifen, dann tut man das. Gut, wenn die Frage „für wen“ nicht mehr auftaucht. Wir erspüren hier ja das, was als Sinn keine Deutungen mehr braucht, auch wenn sie sich unentwegt weitergebären. Auch für den Aufenthalt im Nu braucht man einen guten Kompass. Pilot oder Pilotin im Cockpit haben ein ähnliches Verhältnis zur menschlichen Machinerie wie der Pharaone, dessen Zustand allein das gefährliche Raubtier neben ihm (oder in ihm) in Zaum hält. Wird man durch die vorhandenen Umstände dazu ermuntert, am eigenen Steuer glaubwürdig zu sein  und wagt das Risiko, vertraute Gewässer zu verlassen, verliert man allmählich die Angst vor dem Ungewissen. Klar, Saturday also and already for future, denn sind wir nicht mittendrin in der Future, während die Gegenwart sich immer gleichzeitig verabschiedet. Noch ist Zeit und Raum, aus dem Samstag viel gute Zukunft zu machen.

grundsätzlich

Von allen Seiten her weht das Grundgesetz herein und man ist froh, dass es so gute Gesetze gibt, an die man sich halten kann, wenn man möchte, und vor allem wenn man kann. Da wirklich jeder Mensch bei allen Verbesserungsmöglichkeiten-und vorschlägen dennoch tut, was er oder sie kann und möchte, wenn Möchten noch im Rahmen seines oder ihres Lebensplanes enthalten ist,  so ist es gut, Gesetze zu haben, auf die man hinweisen kann wenn erforderlich. Es gibt Zeiten wie diese, in der wir leben, wo einem diese schlichten Artikelsätze vorkommen wie Vorlesungen bei einem gewieften Coach, der Menschen beibringt, wie man so ein traumhaftes Ergebnis erreichen kann über den mühsamn Weg etwa von der Ameisenfrau (immer noch schlechter bezahlt für gleiche (oder bessere)) Leistung zum (bestens honorierten) Adlermann. Auf der anderen Seite, das darf man auch nicht vergessen, ist immer alles, was man gerade vermisst, schon da. Es war nie weg. Immer war Gleichberechtigung. Wer sollte einem sagen, sie wäre nicht da, denn immer schon haben Menschen sie in Anspruch genommen. Man kann sich ja nicht nur verbünden mit denen, die das Vorhandene nicht in Anspruch nehmen, oder denen es weiterhin verwehrt wird. Vor dem Gesetz sind alle gleich, aber vor welchem, wenn Mohammed oder Moses oder Manu die Gesetzgeber sind, weit gelagert über dem Weltlichen. Dann hatte ich durch „puren“ Zufall das Glück, einen Teil der Rede einer jungen Frau (im Bundestag?) mit Downsyndrom zu hören, die eine leidenschaftliche Liebe für die Grundgesetze kundtat, ihr Leben mit Downsyndrom als cool bezeichnete und die Mütter ansprach, solche Kinder nicht abzutreiben, da sie auch ein Recht auf ihr Leben haben. Wer musste nicht schon mal über dieses bedeutsame Thema nachdenken, vor allem, wenn alle Möglichkeiten geboten sind, wie man mit sehr persönlichen Themen umgehen möchte. Auch der Artikel (2), der mir von einem Heft des Goethe Instituts entgegensieht, ist durchaus einleuchtend. Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Das sehen, denke ich, zur Zeit immer mehr Menschen ein, auch wenn man nicht nur im eigenen Land, sondern in dem Versuch, andere Kulturen zu integrieren, immer wieder auf eklatante Widersprüche stößt. Bei allen revolutionären Erscheinungen in der Geschichte weiblicher Entwicklung ist es Frauen doch auch sehr schwer gefallen, sich nicht als der fehlende oder ergänzende Teil eines Anderen wahrzunehmen, sondern als ein Individuum, ungeteilt, mit eben diesem Grundgesetz als Basis. Gleiche Rechte auf Erden, das sickert noch ganz schön mühsam ein in die Gehirne. Und hat man sich die Mühe gemacht, diese Gesetze einmal für sich selbst zu erschließen, was macht man dann damit. „Niemand (!) darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens (oder Nicht-Glaubens), seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Hohe Anspruchsqualität ist das, auch wenn man die einfache Logik der Dinge versteht. Offensichtlich werden auch Gesetze erst für notwendig befunden, wenn einiges in der Gesellschaft bereits sichtbar und spürbar entgleist ist, und die von einigen Wenigen konstruierten Gesetze werden als Notwendigkeit vom Volk wahrgenommen. Nach gigantischen Entgleisungen wie Kriegen zum Beispiel, nach Millionen oder schon Milliarden von zerschredderten Küken, wo es ja nicht nur um die Küken geht, sondern um die Entlarvung menschlicher Gelüste auf die Lebenszeit anderer Lebewesen. Wie gesagt, Sokrates konnte sich nicht vorstellen, einen Mord zu begehen, weil er nicht mit einem Mörder leben wollte. Wer wollte mit oder neben einem Bruderhähnchenschredderer wohnen? Man sieht ja nicht nur daran, wie schwer das wirklich ist, wenn man es mal ernsthaft betrachtet. Immerhin im Rahmen eines Umgangs mit verhältnismäßiger Freiheit.

 

Kind

 

Atemberaubend fürwahr
ist der Schrei, der das
Gehirn durchdringt
und dort, im Verborgenen
der Windungen Dichte
um Dichte durchzittert
und vorstößt ins
Kinderzimmer, wo das Kind
liegt und hinausschaut
aufs antwortlose Nichts,
bevölkert vom Toben des
Menschseins und seiner
zerstörerischen Wirkung.
Wenig später läuft es herum
und sucht nach den Worten,
die keiner gesagt hat, und
findet sie nicht, denn sie sind
verschwunden im Unerhörten.
Dann wächst es heran und spricht
und gehört nun zu sich und
schaut durch Fenster auf Leben –
und nimmt vom Außen, was
innen erlischt – und kann das
Eigene nach draußen nicht geben.
Dann wird es gefragt, was es
werden will, und muss sich
entscheiden. Sucht im Meer seines
Ohres nach Antwort, die dem
Innen entspricht – und wählt das
offene oder das geschlossene Tor.
Will ich es immer noch Gnade nennen,
wenn das Kind noch Zugriff hat auf
das Feld einer inneren Stimme, denn
sicher, es ruft sich selbst und wird
aufgerufen, die verborgene Welt aus
der eigenen Quelle zu formen, und
setzt den Schrei der Verstummten um
in fassbare Wirklichkeit. Gibt Antwort
auf die Fragen des Schicksals,
Antwort auf des Raunens stilles Geheimnis,
Antwort auf Raum in sich selbst
und die Anderen.

aktuell

Wieder ein Tag, an dem man über ein öffentliches Medium daran erinnert wird, wie die Geschehnisse im kollektiven Gedächtnis erhalten werden können. Anne Frank, die heute noch Groß-oder Urgroßmutter hätte sein können würden, wäre sie nicht krank und ausgehungert mit 15 Jahren im KZ gestorben. Man denkt, man kennt diese Geschichte, aber solch eine Geschichte kann man nie kennen, auch wenn sie Hautnähe erreicht. Man wüsste auch weniger über bestimmte Dinge, wäre nicht eine Begabung unterwegs gewesen, deren weitere Werke, ihre nämlich, man gerne gelesen hätte, sie nun aber die Vermittlerin des Entmenschlichten wurde. Noch hält man sich innerlich in der schwebenden Hoffnung auf, dass das genug war, nun aber wirklich einmal genug!, um nie wieder… im großen Aufschrei „Nie wieder!“ zu verhallen. Das hat aber nie aufgehört, und manchmal denkt man: das wird immer schlimmer. Vermutlich wird es nur bewusster, ein Bewusstsein, das sich für viele auftut wie ein Ungeheuer, weil einiges, für was man nicht vorbereitet wurde, einen unvorbereitet trifft. Immer kommt es auch auf die Qualität der Zeugenschaft an. Ja, es ist ungeheuerlich, wenn in Indien heute noch Millionen von Kindern nicht in die Schule können, weil sie für ihre Familie Geld verdienen müssen, Plastik sammeln, Teppiche weben, an auf Rot geschalteten Ampeln mit flehenden Augen Zeug verkaufen wollen an Insassen der Wagen. Ich kenne das vom Inneren des Wagens. Manchmal habe ich was gekauft, manchmal nicht. Wenn man an jeder Ampel von aufdringlichen Geschöpfen bedrängt wird, will man auch nicht immer an das denken, was letztendlich nicht hilft. Aber ein kleines Geldgeschenk kann schon (immer)  mal für etwas Erleichterung am Tag sorgen, auf beiden Seiten. Ansonsten finde ich es nach vielen Jahren Erfahrung in Indien eher unangenehm, wenn wegen des „Tages der Kinderarbeit“ aus den Studios mit gut gesättigten Journalisten das Team losgeschickt wird, um auf den Straßen Neu Delhis eine obdachlose Mutter zu interviewen, deren Töchter an den dreckigen Straßenkreuzungen der Stadt Blumen zu verkaufen suchen, damit sie abends was zu essen haben. Aber wer weiß? Vielleicht wird es das Highlight ihres Lebens, einem ausländischen Filmteam mal etwas von sich erzählen zu können. Immerhin wurde sie gewählt unter Millionen. Und manchmal ist es auch wichtig, dass die eigenen Augen und Ohren bei aller Ohnmacht etwas sehen und hören können, was einen wachhält an manchen dumpfen, aber erweckbaren Stellen. Das Bild oben links ist aus der „Zeit“. Aktuell aus dem syrischen Krieg. Todesgefahr auf den Straßen in Idlib, meine Augen versenken sich in das Erschreckende. Wie viele Jahre ist das alles her, und noch hat niemand Assad zur Rechenschaft gezogen für seine Verbrechen. Und werden sich wohl andere Völker einmischen, wenn Narendra Modi in Indien sein wahres Gesicht zeigt und seine Pläne offenbart, von denen einer ist, dass Muslime aus dem Land gejagt werden, damit der reine Hindugeist nicht weiterhin verunreinigt wird. Wer sollte das hier im Westen richtig verstehen wollen und können, die Dinge sind ja in sehr komplexen Mustern miteinander verwoben. Und doch ist es sichtbar, dass hier etwas geschieht, was dem Hitler Regime keineswegs unähnlich ist. Ja, das ist auf dem Wege, dass nicht nur Muslime sich fragen werden müssen, wie lange sie das Ertragene dulden können, oder rechtzeitig ausreisen, oder entrechtet werden, oder sterben. Letztendlich sind es immer die Kinder, die Schaden nehmen. Heute früh wurde mir lachend ein gefundener Sticker gezeigt, auf dem stand: „Macht es wie wir Kinder: werdet erwachsen.“ Tun wir tatsächlich alle unser Bestes?

unbegreifbar

Das Bild der Sphinx, die ich vor ein paar Tagen hier schon einmal sich selbst gegenübergestellt hatte, habe ich mir vor vielen Jahren einmal irgendwo herauskopiert, und gerade die schwarz/weiße Struktur hat mir gefallen, ein paar Kleinigkeiten habe ich dazugefügt. (Das schwebende Gebilde über dem Kopf und die schwarze Hand aus der Sticker-Book Arbeit von H.Robert). Dann lange nicht mehr gesehen, wie das so ist mit dem Zurseitelegen. Die Dinge entschwinden, und manchmal tauchen sie auch wieder auf, meist „zufällig“, denn wenn man sie sucht, findet man sie oft nicht. Das Bild liegt gerade noch auf meinem Schreibtisch, und manchmal schaue ich hin und erfreue mich daran. Die Sphinx: ein Rätsel, dass wir alle lieben, zumindest sehr viele Menschen, davon kann man ausgehen. Ich finde auch die Genderzuweisung  „der Sphinx“ unangebracht, wie auch immer es definiert werden würde, so als müsste auch hier das Geheimnis weiblicher Schöpfungskraft schon wieder Einhalt geboten werden: Schöpfungskraft ganz im Sinne des Menschgebärens, ohne Trennung zwischen Körper und Geist, Schöpfung des Menschen selbst und ganz und gar strukturierte Beflügelung, schweigend und wortgewaltig zugleich. Auf einmal dachte es in mir mit einer gewissen befreienden Beglückung, dass wirklich jedes Menschsein das Mysterium vollkommen verkörpert, denn alles Bemühen um ein fassbares Verstehen muss auf ganz natürliche Weise scheitern, so wie alles scheitern muss, was sich als fassbares Ganzes  deklariert. Vermutlich kam aus dieser Wahrnehmung des großartig Begrenzten die Übung, den Geist zu weiten, wie es seiner oder ihrer Möglichkeit entspricht. Hinaus über noch nennbare Planeten und Sterne, vorbei an schwarzen Löchern, oder durch sie hindurch, warum nicht?, auf der anderen Seite wieder hinaus in weitere Sternenheere und Meere und Galaxien, wo ebenfalls wache Geister (wie z.B. Gene Roddenberry oder Isaac Assimov etc) ihren Schöpfungswillen zur Umsetzung dieser Sehnsüchte einsetzten, und wer kennt nicht in sich die kühle Schönheit des Raumfluges, das Glitzern des metallenen Flugkörpers, den hochangespannten Blick in die von tiefem, brauchbarem Wissen blinkende Welt der Pilotendisplays. Solchen kindlichen Wünschen, das Selbstbegrenzte, wenn auch nur für kurze Dauer zu sprengen, spielen  vermutlich die Süchte zu, ein Abhängen von der nicht mehr greifbaren Welt. Dabei kann man sie gar nicht greifen, sondern nur im strömenden Vorgang des Zeitlichen, in dem man selbst zuhause ist, sich das begreiflich machen, was man selbst ist, bis man sich wieder einlässt in die Strömung der Einzigartigkeiten, aus denen jedes Leben geformt ist, und auch nur d a einzigartig, wo es sich selbst bewusst ist, denn sonst erfährt man während dieser relativ kurzlebigen Darbietung meist nur das Leid ihrer Prüfungen. Doch zurück zur Sphinx. Verblüfft war ich dann doch, als ich heute früh auf einmal und zum ersten Mal gesehen habe, dass sich auf dem Bild eine nackte Frau an den Körper des großen, felinen Flügeltiers schmiegt, und man darf wieder mal etwas verstehen, was sich, zumindest bis auf weiteres, analysierenden Worten entzieht, eben: wegen ihrer Begrenzung.

 

holy rainbow

So, noch ein bisschen heiliges Pfingstwunder nachstreuen, denn selbst wenn man an keinen Glauben gebunden ist, heißt das ja nicht, dass man prinzipiell für Wunder unempfänglich sein muss. Vielleicht sieht man sie auch manchmal ohne Glauben besser, sie sind ja überall, im transparenten Grünkäfer wie in der atemberaubenden Schönheit des (doppelten) Regenbogens. Es brauste und sauste unterwegs auch ein bisschen, als wir vom Besuch bei der neuen Wohnung der afghanischen  Familie kamen, mit der wir seit Jahren befreundet sind. Die Mutter und der Vater, stellte sich heraus, wollen auch unbedingt noch in diesem Leben nach Mekka, das kenne ich schon von Schafi, einem alten, muslimischen Freund von mir im indischen Dorf, der mir vermitteln konnte, wie lebensvollendend so eine Reise sein kann, wenn tiefste Erfüllung damit verbunden ist. Manchmal sieht die Umsetzung so eines Wunsches sehr, sehr unwahrscheinlich aus, obwohl es in Wirklichkeit vor allem um ein paar tausend Euro geht, 3000 Euro haben wir gerechnet, für zwei Personen mit allem Drum und Dran. Der Sohn der Familie allerdings findet das eine Verschwendung von Geld, das man, meint er, besser den Armen geben sollte. Diese Anregung hat er vom Vater seiner deutschen Freundin, der kraft seines Postens und Verdienstes so etwas bewerkstelligen kann und tatsächlich tut. Mustafa ist es auch, der sich einerseits von einigem ihm irrig scheinenden Gedankentum des Islam loseisen möchte, andrerseits uns tief überzeugt von einem Menschen erzählt, der schon tausend Jahre irgendwo auf der Erde lebt, bis seine Zeit gekommen ist, hervorzutreten, und, wir staunen, mit Jesus, der auch zurückgekehrt ist, gemeinsam etwas unternehmen wird, vermutlich als doppeltes Heils -und Friedensbringerteam hier endlich mal den Spuk um Ehren-Mord und Vaterlandstotschlag zu beenden. Man weiß es nicht. Und das ist auch gut so, wie Herr Wowereit mal in einem anderen Kontext als Schlusswort kundtat. Schön war, dass es allen am Tisch bei leckeren Blätterteigteilchen mit Furuzans eigenhändig kreirtem Syrup bedeckt, also allen gelang, das Glaubens-oder Nichtglaubenszeig in angemessener Schwebe zu halten und weiteren Themen Raum zu geben. Furuzans Mutter war vor Kurzem in Afghanistan an Krebs gestorben und hatte aus einer zweiten Ehe zwei stark behinderte Kinder zurückgelassen, einen Jungen und ein Mädchen, die allerdings schon Erwachsene sind, aber sich niemals im Leben selbstständig bewegen werden können. Daher tauchte die Frage auf, wie man sie hierher bekommt, und ob das überhaupt möglich sein wird. Derweil freuen wir uns, dass die Familie durch Furuzans Einsatz in eine schöne, große Wohnung gezogen ist und sich alle wohlfühlen, soweit es ihnen unter den Umständen möglich ist, wenn eine Rückkehr in die ursprüngliche Heimat nicht mehr als Wahl vorhanden ist. Manches wird in Farsi übersetzt, Vater und Mutter haben sich schwer getan mit Deutsch. Deutsch ist eine Sprache, die viele als schwer empfinden, vielleicht sollte man mit Poeten beginnen statt mit Grammatik. Schließlich ist ja der heilige Geist unterwegs, und wer rechtzeitig darauf vorbereitet ist, eine flammende Zunge zu empfangen, kann von mir aus herumaposteln oder einfach posten, wenn es was zu sagen gibt. Oder zurücktreten, wenn man sieht, was durch Posten alles angerichtet werden kann, aber natürlich nicht muss. Auf der Rückfahrt fuhren wir dann durch diesen Regenbogen wie durch ein großes, geräumiges Tor.

 

 

H.M. Schönherr-Mann

Bildergebnis für hans martin schönherr mann

 

Die Lebenskünstlerin muss im Unterschied zu vielen religiösen Konzeptionen keinen bestimmten Lebensweg gehen. Stattdessen gibt es viele individuelle Lebenswege und Vorstellungen vom guten Leben, auch solche, die sich an einer Gemeinschaft orientieren. Jedenfalls existiert nicht e i n richtiger Weg, nicht ein einziges gemeinsames Gutes, das alle anderen Vorstellungen ausschließt. Die Lebenskünstlerin muss sich ihren Weg selbst suchen, und zwar so experimentell wie differenziert, nicht in Anlehnung an vorgegebene Modelle, die beispielweise das Vaterland, das Volk oder die Gemeinde aufdrängen. Gegenüber deren Wegen – das hat die Geschichte besonders in Deutschland bestätigt – hält man besser eine gewisse Distanz, bieten solche Gemeinschaften dem Individuum selten vertrauenserweckende Lebensformen an, wollen sie dieses ja schließlich von seinen eigenen Interessen abbringen und zu Opfern für die jeweilige Gemeinschaft bewegen – was durchaus auf Resonanz stößt, weil viele Menschen nicht in der Lage oder willens sind, aus ihrem Leben etwas Eigenständiges, ein Kunstwerk zu machen.

kurz

Etwas vom Wissen ins Bewusstsein zu transportieren bedeutet u.a.  das, was wir wissen, auch in eine Anwendung transportieren zu können, d.h. es gibt dann die Möglichkeit zur Reflektion, zu tieferem Verständnis, allem voran Zugang zu eigenem Denken, dann zu dialogischem Austausch. Um die eigene Vorstellungswelt verlassen zu können, um sich z.B. einer anderen Welt anzunähern, muss man zuerst Kenntnis genug von der eigenen haben, um nicht beirrt zu werden, oder ungünstig beeinflusst, oder überwältigt von Eindrücken, die ebenfalls überzeugend sein können, aber eben fremd sind und nur über eine der vielen verfügbaren Ebenen erreichbar, auf denen wir Andere treffen und uns mit ihnen austauschen können. Im Gegensatz zu dem vielen Reden und Zuhören, dem man fast nebenher ausgesetzt ist, erstaunt es immer wieder, wie komplex eine scheinbar natürliche Angelegenheit wird, nähert man sich dem Vorgang mit einem tieferen Interesse. Auch für das tiefere Interesse kann und muss man sich entscheiden. Wo ist tieferes Interesse angebracht, und wo muss man, wenn man sich dafür entscheidet, mit eventuellen Enttäuschungen umgehen, wenn Resonanz nicht so ausfällt, wie man es erwartet. Zuweilen stößt man ja überraschend auf Erwartungshaltungen, den Wunsch nach adäquater Resonanz, nach einem hörfähigen Ohr, nach einer kritikfähigen Einschätzung, die einem im eigenen Wachheitsprozess behilflich sein kann. Die Begrifflichkeiten müssen geklärt werden, der jeweilige Augenblick als einer erfasst, in dem dieses Wesentliche stattfinden kann, das eigene Wesen und das Wesen des Anderen. Auf jeden Fall soll das, was einen ausmacht, erhalten bleiben. Nun erinnere ich mich an diesem Punkt an Humberto Maturana, der an einer Stelle des Gespräches zwischen ihm und Bernhard Pörksen bemüht ist zu klären, dass es ihm keineswegs um permanente Selbtbeobachtung geht, da seiner Meinung nach die eigentliche Weisheit des Menschen eben nicht aus permanenter Selbtbeobachtung besteht, sondern in der Befähigung zur Reflexion und der Bereitschaft, sich von d e n Überzeugungen zu trennen, die eine genaue Wahrnehmung der Umstände verhindern. Dabei darf ich nicht vergessen, dass Samstag ist, ein Großeinkauf bereits geleistet, so groß war er nun auch nicht, aber im Laden war es sehr, sehr voll, was mich gelehrt hat, zukünftig den Samstagseinkauf zu vermeiden, um schön entspannt reflektieren zu können, oder auf das Grün starren, oder all die Dinge, die man tun und bedenken kann, wenn sich durch Feiertage ein kollektiver Freiraum anbahnt, den sich Menschen eigenständig füllen oder leeren können.

X & X

 Auch in den Genen und Venen der Sphinx hat sich Kraft und Saft der Zeiten angesammelt. Die Einsamkeit hatte ihre Räume, die Völker ihre Träume, jetzt muss ich aufpassen, dass sich nicht noch mehr reimt. Sie sitzt sich also gegenüber und sieht in einen Spiegel, den es nie gab, die Frage immer noch lebendig. Sie erkennt, dass sich Zukunft und Vergangenheit anschauen und streckt ihre Hand aus nach dem Spalt, der die beiden, also sich mit sich, verbindet. Das Wesen des Nus meldet seine Anwesenheit. Auch der Nu braucht einen Aufenthaltsort, doch ist er so klein, er hat nur das Sein (aufpassen!)(oder ist es schon zu spät?!) Wer soll es bedenken, wer soll es lenken (es ist außer Kontrolle geraten). Und weil nun ungehemmt aus allen Nebenhöhlen die Reimungen strömen, kann einem höchstens noch die knifflige Frage einfallen, ob man die eigenen Gedanken beherrscht, oder ob sie einen im Griff haben. Wenn man die Wüsten und den Äther (u.a) geliebt hat und immer noch liebt, dann weiß man, dass es immer Weite geben wird (und gibt), auch wenn das Ausmaß menschlicher Verschmutzung eine große Reichweite hat (in der Tat). Noch ist nicht alles verloren. Wahrscheinlich ist nie ein Nu, in dem alles verloren ist. Was ist schon alles. Um aus der Reimgrube herauszukommen, muss ich jetzt einen Strohhalm benutzen. Alles gut, heißt der Strohhalm, und interessanterweise sagt er über nichts etwas Präzises aus, ganz im Gegenteil, er hält sich mit zwei Worten die Dinge vom Leib und behauptet, sie seien gut, wo gut noch gar nicht geklärt ist. Auf der graphisch gut designten Eintrittskarte der Bundeskunsthalle stand: alles Gute, da nickt man schon mal bejahend vor sich hin, denn alles Gute, das man erleben kann, soll kleineswegs auf Nebengeleise abgestellt werden, nur weil die dumpfe Kriegsführung der Großmächte gegen die Menschen so überwältigend erscheint, dass man sich zurückbesinnen muss auf die Grundrechte des Menschseins, die eine Zwanghaftigkeit des Mitspielens nicht beinhalten, nein, sondern die Würde des Individuums als unantastbar deklariert haben, auch wenn es noch eine Strecke zu bewältigen gilt, um dem von Leonard Cohen besungenen Spalt das dahinter und darunterliegende Licht zu entlocken. Auch den Hinweis, die von einem als großartig eingestuften (Hin)Gaben etwas zurückzunehmen, fand ich einleuchtend, sonst verhindern sie am Ende noch den Lichteinfall. Ich wünsche also kurz und bündig allen verborgenen Quellen einen natürlichen Pfad in den Fluss, beziehungsweise was quellen will, das muss, oder es muss auch nicht, denn es ist nicht seine oder ihre  Pflicht, die es zu erfüllen gilt, sondern es ist die Aufgabe der Freude, das Kind im Körbchen  über den Fluss an ein sicheres Ufer zu geleiten, wo liebende Eltern auf es warten.  Ich wünsche eindringliche und berührende Begegnungen.

wer/wann/wohin (?) {}

  

Nanu, dachte ich, das kennst du doch, dieses Tier im Badezimmer. Es war ein Marienkäfer, lange nicht mehr gesehen, war schon tot. Jede/r kann, wenn er möchte, dem hinterhertrauern, was er oder sie als Verlust empfindet. Hauptsächlich sind es unterschiedliche Gefühle, die so eine Erinnerung hervorrufen kann. Das Zählen der Punkte auf dem roten Rücken, überhaupt das zeitweilige Dazugehören von etwas, das auch kommt und geht, aber doch immer wieder da ist, und dann eines Tages als fehlend vermerkt wird. Das kurze, kindliche Glück, das symbolhaft mit der Begegnung verbunden war. Schornsteinfeger, Einpfennigstücke, Marienkäfer. Dann die sich verwandelnde Symbolik: der Tod als der Hinweis auf ein großes Aussterben mit dem Resultat einer schwankenden Ausgleichung im ökologischen Großraum. Kann so viel Totgemachtwerden eine Ausgleichung finden? Und wie weit kann sich die Anpassung entwickeln? Vielleicht wünscht man sich Grenzen, wo bis auf Weiteres keine zu sichten sind. Wer weiß, wie lange das alles geht. Noch kann ausgebeutet werden. Noch können Bäume gepflanzt werden. Noch erholen sich Landstriche vom Raubbau, wenn jemand sich kümmert oder wenn jemand einschreitet oder Einhalt gebietet. Als ich in Bonn in guter Begleitung dann doch nicht in die Maskenausstellung ging, sondern wir durch einen humorvollen Zufall auf eine Reihe Menschen aufmerksam wurden, die sich alle auf den Weg in einen Saal machten, fanden wir heraus, dass dort Sahra (Schreibweise des Vornamens korrigiert)  Wagenknecht erscheinen würde im Kontext dort laufender Programme um Goethe herum (hier: Goethe trifft Karl Marx, das Gespräch war mit Manfred Osten). Abgesehen von der exzellenten Einfachheit ihrer klugen Antworten ging es mir anschließend ein bisschen wie mit dem Marienkäfer. Was war da gewesen? Warum hatte sie aufgehört? Erinnerungen an Gregor Gysi tauchen auf. Hatte man da nicht auch zuweilen dieses politische Mobbing gespürt, oft ganz unangebracht, weil generell das Akzeptieren Andersdenkender so schwierig ist (?). Aber auch natürliche Mächte wie Schönheit, gepaart mit Intelligenz, können im Wege stehen, ist es doch selten, dass man eine Art eindeutiger Stimnmigkeit wahrnehmen kann, wie zum Beispiel bei Sahra Wagenknecht, die bei ihrem Abgang, umringt von 3 Bodyguards, die sich vorne in der ersten Reihe in großen Abständen voneinander niedergelassen hatten, eine fast andächtige Stille hinterließ, die vermutlich durch die Anwesenheit von etwas Glaubwürdigem entstehen kann. Auch Oskar Lafontaine kam in den Sinn. Ein Erinnerungshauch von Krankheit und Nichtmehrkönnen lag über dem Damals. Immer wissen die Wenigsten, wie und was wirklich passiert ist, und wer es wirklich wissen will. Dann wiederum ist es gut, dass auch etwa oder jemands sich erholen und gesund werden kann. Ein Mensch, ein Tier, eine Pflanze. Und was sind die Auswirkungen, wenn jemand oder etwas von der Bildfläche verschwindet. Mit wem teilt man das Scheitern, das Nichtmehrkönnen, das Aufgebenmüssen von nicht mehr Tragbarem. Die langen Strecken des Dunkel. Die Freude an dem plötzlichen Erscheinen einer neuen Saat, einer frischen Daseinsform, die sich manchmal besser anfühlt als das unter Schmerzen Durchgehaltene. Souverän – ein schönes und angemessenes Wort, ein Resultat des gut Durchstandenen und intelligent Durchdachten. Ein Wort für die Rückkehr zur eigenen Quelle, die in Fluß gebracht werden kann, aber nicht muss.
Und ja, der 6.6.! Ich feiere, ganz inkognito natürlich, den dritten Jahrestag meiner Blogeinträge. Ich habe das Datum gegen die Wahrscheinlichkeit des Vergessens mit dem Geburtstag von Hamid gekoppelt, der heute 6 Jahre alt wird und für den ich schon das unsterbliche Lied „Ich freue mich, dass du geboren bist“ gesungen habe über WhatsApp, und der schon genug Deutsch gelernt hat, um die Worte zu verstehen. Er feiert mit seinen Freunden, und ich feiere auch. Immerhin: über tausend Einträge und immer noch Freude am Zusammenspiel. Wem soll ich danken?

Das mittlere Photo ist ein Ausschnitt der im Außen schwebenden Stoffmaske als Teil der Masken-Ausstellung in der Bundeskunsthalle.

Spalt

Was bleibt einem anderes übrig, als mit den Gegebenheiten, mit denen man als Mensch in der jeweiligen Zeit, in der man den eigenen Auftritt absolviert, konfrontiert ist, als zu tun, was man kann. Gleich wird es komplex. Tut man überhaupt, was man kann, und was kann man überhaupt. Es gibt in der Tat viele Wege, durch die man sein eigenes Können bilden und erweitern kann, aber dann gibt es noch diese innere Unruhe aus den Tiefen heraus, wo etwas, wenn man Glück hat, nach Aufklärung verlangt und nach authentischer Performance. Manchmal genießt man auch in guter Gesellschaft das Glück, Zeuge oder Zeugin einer exzellenten, öffentlichen Performance zu sein. (zum Beispiel Sarah Wagenknecht im Gespräch mit Manfred Osten, Bonner Bundeskunsthalle). Das Streben nach einem menschlichen Gutsein bleibt leer, wenn der Umgang mit den Katastrophen, persönliche und globale, keine Spuren hinterlassen hat, wertvolle Erkenntnisse, tiefeingenisteter Schrecken über die eigenen Abgründe und die der Anderen. Das Durcharbeiten von all diesen schmerzhaften Feldern kann zu einer souveränen Distanz führen, von der aus Seinsmöglichkeiten eine weitere und reifere Palette zur Verfügung haben, ohne in Vorgaukelei verfallen zu müssen. Die Würde des Menschen ist unantastbar, das ist verständlich, aber noch wesentlicher scheint mir, wahrzunehmen, wie oft diese Würde angetastet ist, ohne dass man die Tiefe dieses Satzes kommunizieren könnte. Als wir zu viert noch unterwegs waren als die Performancegruppe „Die Yoganauten“, wurden wir von Amnesty International angefragt, bei ihrer Jubiläumsfeier eine  Performance zu machen, die wir „antastbar“ nannten. Das Eine ist das Ideal, in Begriffe gebracht. Das Andere ist die Realität, die gerne verklärt wird, auch wenn man  Amnsty Inernational Verklärung der Tatsachen nun wahrlich nicht vorwerfen  kann. Das ist wichtig, das Schreckliche als das Schreckliche nennen zu können, sonst bleibt man im Schatten der Abgründe stecken, oder im Gestrüpp der Verdrängungsmechanismen. Und ja, da sind die Kairos-Momente, schicksalshaft in ihrer günstigen Zeitspalte, deren Erscheinen nicht ignoriert werden sollte, da es für einen selbst nachteilig sein kann. Das Beisichsein und das Sichkennen, in welchem Maß auch immer, ist nicht mehr das Privileg Einzelner, sondern not-wendig geworden, will man dem Unvermeidlichen etwas gegenüber setzen. Es gibt ja auch diese Landebahnen, wo geräuschlose Flugkörper sich niederlassen und Gärten ihre lockeren Zäune ins Offene bewegen. Warum sollte das Menschliche den mephistophelischen Verführungen und Verdrehungen nicht standhalten können. Es muss ja vor allem erkannt werden, was was ist, und was es nicht ist. wer und wer man nicht ist, was und was man auf keinen Fall ist. Und dass auf allen Ebenen Gefahren lauern, aber auch Herausforderungen, deren Bewältigung ein Wissen braucht, das sich in Bewusstsein verwandeln kann.

unversehens

Wo bin ich?
fragte die Eine.
Sie kürzte
die Flut der Gedanken,
nahm sich am Riemen,
schnürte ihr sorgfältiges
Bündel, holte Weizen und
Reisig in den Hohlraum des
virtuellen Entsagens, drückte
auf die lautlose Maus den
Finger, fand eine Spur im
Betreten des Nichtverbotenen.
Da kam sie unversehens in
einer Freiheit an, die war so
ungebrochen da in einem Innen,
dazu gab es nichts mehr zu sagen.

verhalten

Behutsam – sanftmütig – aufmerksam – langsam – allmählich – sorgfältig… Manchmal kann man sich auf den Klang der Worte verlassen. Vielleicht ist es auch die Liebe, die auftaucht und Raum macht fü sich. Die Liebe für Gefühle und Zustände, die sie selber ist. Aber es kommt ja nicht so oft vor, dass wir in den Genuss ihrer räumlichen Weite kommen, sind wir doch selbst die SchöpferInnen der Räume, in denen Zartheit erwünscht ist und ohne Bedrohung sein kann. Selbst in der politischen Schule sitzen die großen Kinder jetzt nach. Es geht um Umgang miteinander, um Sprache und ihre Entgleisungen. Wer ist nicht von sich selbst schon erschüttert worden. „Das sind doch Menschen“, denkt Gottfried Benn in einem seiner Gedichte und beschreibt sie, wie er denkt, sie seien, so auf einfachster Ebene, aber oft genug irrt man sich. Eigentlich kann man von Glück sagen, wenn man mit guten Freunden unterwegs war und ist und Räume kennt, in denen die Liebe erfahrbar ist. Ich denke, die Liebe ist überall gerne gesehen und hat in der poltischen Arena genauso gute Wirkungsmöglichkeiten wie in den persönlicen Haushalten. Liebevoller Humor, nicht unbedingt Witz, ist auch eine sehr schöne Ausdrucksform der Liebe. Eine von Frau Merkels großen Stärken, und dann die Kompetenzen, die auch dazu gehören, um förderliche Wirkung zu haben, kein Zweifel. Es ist gut, dass öffentlich über Verhalten nachgedacht wird. Respektvolle YouTuber, verunsicherte PolitikerInnen. Etwas ist im Gange. Etwas kommt auf uns Menschen zu, etwas Selbstgemachtes, das ist jetzt unaufhaltsam in Fahrt. Das ist ja an sich nichts Neues, es läuft die ganze Zeit mit, das Gesetz von Ursache und Wirkung. Das ist meditativ erforscht und wissenschaftlich bewiesen. Dabei kommt es sehr wohl auf den Einzelnen an, auch wenn das nicht immer einleuchtet. Und oft genug leuchtet das Offensichtliche am wenigstens ein. Und die Zusammensetzungen und die Zusammenspiele sind schwer zu enträtseln. Wie viele verletzende und unangebrachte Kommentare hat es gebraucht zum Beispiel, bis der Moment gekommen war, dass ein einziger Kommentar zuviel dazu geführt hat, dass Andrea Nahles ihr Amt niederlegt. Es ist immer  ein/e Einzelne/r, der oder die den Stein bewegt, oder das Pendel ausrichtet, oder mobbt, oder tötet. Der Mensch ist sicherlich auch ein Herdenwesen, aber gleichzeitig fordert ihn oder sie am meisten die Eisamkeit, die Quelle, von der aus wir zu den Anderen gehen, und wieviel dazu beigetragen wird und werden kann, ein gelungenes Beisammensein überhaupt zu ermöglichen. Auch die innere Aussttattung wird geprägt von den Formen, den Behausungen, den Räumen, in denen sich Atmosphäre verdichtet, also das, was durch die Wirkung der Innenräume sich im Außen  als ein Potential erzeugt. Wichtig ist (u.a.) (m.E.) eine wahrheitsinteressierte Einstellung den eigenen Verhaltensweisen gegenüber. An was sind sie angelehnt, und wieweit herrscht in mir selbst Klarheit über das Wünschenswerte im Umgang mit Menschen, und seine Umsetzung in behutsames und angemessenes  Verhalten.

Karl Jaspers

Durch die gesamten kritischen Analysen wird vorbereitet, dass der Wissende am Ende in den Dokumenten durch diese hindurch sehen soll. Man lässt an den Quellen in sich das Bild erwachsen. Dem Unbefangenen muss es immer wieder erscheinen. Er kann sich unmittelbar von dieser Wirklichkeit ansprechen lassen, auch wenn sie verschleiert ist von Unzugehörigem. Wir dürfen wie alle Zeiten unmittelbar hinblicken, unabhängig von dem bestimmten, fixierten Glauben. Dieses Sehen gewinnt zwar durch die Kritik Maß und Grenzen und Voraussetzungen. Aber auf dem so gewonnenen Boden bleibt das Sehen selbst so ursprünglich wie von jeher. Es ist selber unbeweisbar und findet seine Inhalte nicht durch Schlüsse. Rückläufig wird das so Gesehene zur Führung in der Kritik, aber so, dass es selber nicht beweist, sondern Fragen an die Beweisbarkeit stellt. Aus dem kritischen Zweifel in Verbindung mit der Ergriffenheit von der Überlieferung entspringt jederzeit das Wagnis, sich trotz allem ein Bild der geschichtlichen Wirklichkeit zu machen.

nicht

Zigarette

Die Maske habe ich in einem zerknüllten Taschentuch entdeckt, und die Zigarette ist da, weil heute Internationaler Nichtrauchertag ist. Frauen-Tag, Männer-Tag, KinderTag, Blaubeeren-Tag, Feier-Tag, All-Tag undsoweiter. Bald sind unsere Kalendertage gefüllt wie der Hindu-Kalender, wo noch die vielen verschiedenen Religionsfesttage dazukommen, und, seit die jüngeren Generationen wissen, wann sie geboren sind, nun auch die Geburts-Tage. Unter dem morgendlichen Gedröhne der Rasenmäher kann man sich mental mit etwas beschäftigen, was nicht so viel Ernsthaftigkeit erfordert. Zigaretten, zum Beispiel. Ja, das war eine schöne Zeit, als ich noch bedenkenlos rauchen konnte. Nie kam mir in den Sinn, diesen Genuss durch Einschränkung zu vermindern. Meine ganze Vision von einem gut gelebten Leben hing einst eng zusammen mit den Paraphernalien einer passionierten Raucherin. Meine Tante, die inzwischen, nach zwei Rauchvergiftungen, zu Zigarre und Pfeife übergegangen war, empfahl mir diese kleinen Denicotea-Filter, für die es dann angemessen war, in der (wunderschönen) (echt silbernen) Dose echt silberne  Zigarettenhalter zu erwerben. In meiner Zeit in Nepal kannten wir mal einen jungen Mann, der sich vom Könisgjuwelier ein tantrisches Koksmesser anfertigen ließ, auch nicht übel, aber überall gibt es auch Grenzen oder Entscheidungen, wie auch immer es erlebt wird. Es war klar, dass ich mich eines Tages von meiner Vision, eine schreibende Raucherin in internationalen Cafés zu werden, loseisen musste. Andere Dinge kamen dazu, die mit dieser schlichten Einstellung nicht kompatibel waren. Doch spüre ich heute noch einen Hauch Dankbarkeit, dass meine Raucherfreude von keinerlei gruseligen Bildern getrübt wurde, nein, ganz im Gegenteil. Die Frauen in meiner Familie konnten es kaum erwarten, bis wir auch zur Zigarette griffen. Ich war zwölf, als ich lange genug den dunkelroten Lippenstift meiner Mutter auf den goldenen Filtern ihrer Marke aufgesogen hatte, bevor ich mich entschied, eigene Erfahrungen zu machen, wohl auch zuerst aus ihrem italienischen Holzkästchen, immer griffbereit auf dem Tisch. Diese Leidenschaft hielt lange genug an, um überhaupt als solche gelten zu können. Denken und Rauchen kamen mir untrennbar vor. Dann war es eines Tages so weit. Ich wanderte gerade in Kaschmir auf  den Berg Amarnath zu, da fragte ich einen Mann auf der Straße nach einer Zigarette. Durch seinen Blick wurde mir klar, dass da etwas nicht mehr zusammenpasste, also meine Lebensweise und der Anspruch auf den Zigarettenrauch. Am Tag, als ich mich in die tabakwarenverpönte Gesellschaft der Yogis einließ, mit denen ich was lernen wollte, habe ich mir noch schnell zum Abschied zwei Zigaretten am Kiosk gekauft, die kann man heute noch einzeln erwerben in Indien. Irgendwann brachen die zurückgedrängten Rauchgelüste noch einmal auf. Es war absurd, wieviel schwere Geisteserde schon auf den Verboten lagerte, ein Sündenfall, und dadurch eine Weile abenteuerlich. Dann war’s vorbei, der wahre Genuss tauchte nie mehr so ungebändigt auf, der gute Virginia Tobacco zu teuer, einfach nur Schall und Rauch. Ja, ich bin froh, dass noch keine Geschwüre auf den Packungen zu sehen waren in meiner Raucherinnenzeit,und die Sucht  noch nicht ihren hässlichen Hinterhalt zeigte. Man kann davon sterben, jaja, aber manche sterben auch an den Einträufelungen der Schreckgespenster, an den heimlichen Vergiftungen der Waren, am Missbrauch der Pflanzen. Alles Gute also zum internationalen Nichtrauchertag.