ha(ha)

Als ich mich dann doch noch überreden konnte,  eine Runde im Wald und der wiedergekehrten Wärme des Sommers zu machen, fiel mir auf, wie gut es mir geht. Nun ja, zur Zeit geht es wahrscheinlich hier sehr vielen Menschen gut. Die Hälfte des Volkes (?) hat Ferien und  wälzt sich auf Autobahnen zu fernen Stränden hin. Sie alle überkommen enorme Hindernisse, und  das alles freiwillig oder für die Kinder, das macht einen Unterschied. Natürlich gibt es die verborgene Hoffnung, es möge kein irrer Wüterich aus einem Sonnenschirm heraus zur Waffe greifen und das eigene Leben kürzen. Aber, vernetzt wie wir sind, wissen sie dort auch, dass es hier nicht sicherer ist. Wenn einer bei Rewe durchdreht, wird dort Neues montiert, nächste Woche dreht ein anderer bei Aldi durch. So kann man sich ein wucherndes Überwachungssystem vorstellen. Aber das sind auch so typische Montagsgedanken, und die andere Hälfte des Volkes muss schließlich hier ausharren und alles in Fluss halten, und deswegen ist die Stimmung am Montagmorgen anders als z.B.am Donnerstag, weil Donnerstag einfach ein schöner, vielversprechender  Tag in der Mitte der Woche ist, während der Anfang der Woche für viele im Geist erscheint wie ein Teppich der Qualen, der sich in unermesslicher Länge in die Zeit ausstreckt. Eigentlich hatte ich die Idee, statt einer Hineinhorchung in eigene Labyrinthe und Korridore des Seins, an eben diesem Wochenbeginn meine äußerst karge Witzesammlung zum besten zu geben. Ich kann Witze  nicht ausstehen und hoffe, ich habe noch nie in einer Runde meinen Finger gehoben und gesagt, ich wüsste auch einen.  Ich weiß aber drei, vielleicht sogar vier. Mir geht es natürlich auch so, dass, wenn ich mal über einen Witz lachen muss, es keine Garantie gibt, ob andere darüber auch lachen müssen. Immer ist Risiko. Aber noch spüre ich eine Hemmschwelle, etwas so Doofes zu machen, obwohl meine Witze gar nicht so doof sind. Einer davon ist gar kein Witz, kann aber als solcher eingeschmuggelt werden. das ist der mit dem Nichts. Jetzt kann ich nicht mehr zurück. Den mit den Wolken und den Männern habe ich neulich zwei sehr jungen Damen erzählt und war trotz meinem heimlichen Wunsch nach Treffsicherheit erstaunt, wie sehr sie darüber lachen mussten und sich sichtbar eine innerliche Notiz gemacht haben für die demnächstige Anwendung. Das Gute am Witzigen ist ja, dass man es nicht erklären kann. Es beruht auf genug Erfahrung mit den Dingen, um von der Essenz der Komik schlagartig getroffen zu werden. Da ich nur vier Witze kenne, habe ich einen gewissen Überblick und stelle fest, dass die Protagonisten meiner drei Witze, die ich hier zum besten geben wollte und jetzt natürlich auch werde, alle männlich sind. Das ist natürlich inmitten der leidenschaftlichen Genderdebatten auch im Witz nicht angebracht, und muss nun grübeln, wer in dem vierten Witz, den ich auf Lager habe, vorkommt. Und ja!!!! hier sprechen zwei Frauen miteinander, das freut mich. Und das wären dann alle, die ich in petto habe. Was so ein Montagmorgen alles so aus einem herausholen kann! Dabei ist es gar nicht der Montag, sondern es ist das Verlassen des Sonntags. Keine Rasenmäher u.s.w., oder man will sich mal einschleusen in die Volksgemeinschaft und muss zuschauen, wie die deutschen Frauen das Spiel verlieren! Auch der Tatort, den ich jahrelang tabuisiert habe, übte nicht die entspannende Wirkung aus, die man sich von einem bescheuerten Krimi erhofft. Genug, dass die Heerscharen der Gefährder nicht mehr überschaubar sind, da fangen schon die Computer an, mehr und besser zu denken als wir Menschen. Das heißt, das s i e es bereits sind, die uns im Griff haben. Gähn!!???, sagen Sie? Das wussten Sie schon? Ach ja? Dann muss ich nun meine Witzversprechung einlösen. Hier sind sie also, meine 4 Witzlinge zum Weiterschenken.

  Was haben Wolken und Männer gemeinsam?
Wenn sie sich bis mittags verzogen haben, kann es noch ein schöner Tag werden.

***********************************************************************************************************************

Ein Sohn fragt seinen Vater: Papa, was ist ein Vacuum?
Der Vater sagt:
Ich hab’s im Kopf, aber ich komm grad nicht drauf.

*************************************************************************************************************************

Ein Mönch ist allein im Tempel. Er wirft sich zu Boden, schlägt sich auf die Brust und murmelt:
„Ich bin ein Nichts, ich bin ein Nichts, ich bin ein Nichts…“ Da betritt ein Novize den Tempel, sieht den
Mönch, kniet neben ihm nieder und stimmt ein: „Ich bin ein Nichts, ich bin ein Nichts, ich bin ein Nichts….“
Da kommt der Hausmeister herein, um den Boden zu fegen. Im Takt des Besens murmelt er mit den anderen:
„Ich bin ein Nichts, ich bin ein Nichts, ich bin ein Nichts…“ Der Mönch stößt den Novizen an und sagt: „Schau,
wer sich einbildet, ein Nichts zu sein….!“

***************************************************************************************************************************

Und nun der Witz, in dem die Frauen vorkommen:

Frau Maier und Frau Schmidt treffen sich nach längerer Zeit im Supermarkt.
Sagt Frau Maier: „Wie geht’s denn ihrem Sohn so?“
„Ohh!“, sagt Frau Schmidt, dem geht’s sooooo gut! Der meditiert jetzt!“
Ach nee!, murmelt Frau Maier gedehnt.
„Na ja, besser als rumsitzen und nichts tun.“

*****************************************************************************************************************************

Keine Ursache. Gerne. Die beiden Pinseleien kommen aus meiner Serie „Akrobatisches.“

Felix Philipp Ingold

Bildergebnis für felix philipp ingold

Fremd

ist was sich berührt und 
aber Entferntes 
so ähnlich. Wo nämlich 
Liebe nährt statt

nähert. Kostet Gabe als 
Schwester der 
Schwere das Begehren. 
Eine Apfelblüte

lang wehrt sich die 
Glut. Länger 
währt immer Verrat. Bis 
der Freude die Luft

wegbleibt und keine Lust 
ihr Lachen nicht 
entlässt. Kein Ja ist 
achtsam genug.

Ist genug auch ohne Sieg 
und Schmerz. Nun 
versteht sich vielleicht ein 
bisschen besser 
wer abkommt vom Menschen.

Bleibt kein Du und 
kein Hauch sonst wenn eine 
Nacht wie Wir 
hereinbricht von unten.

 

fremd

 
Mal wieder durch ‚reinen Zufall‘ habe ich ein Gedicht entdeckt, das morgen hier erscheinen wird und das „fremd“ heißt. Da fiel mir auf, dass mir das Wort so vertraut ist. Nicht im Sinne von isolierend, oder mit Trauer behangen, oder mit Sorge befangen, sondern ich sehe mich tatsächlich gerne als eine Fremde. Etwas in mir war immer bereit, Fremde zu sein auf dieser Reise. Für mich sind auch die Anderen Fremde, vielleicht finde ich es deshalb so schön, mit Fremden in Kontakt zu kommen, das Wunder der Nähe zu genießen, gemeinsam das Erstaunliche des Weltendaseins zu bedenken und sich einzusetzen für das, was man als wesentlich erachtet. Auch in der Liebe ist doch das Fremde das Beglückende, auch das Nachlassen von Fremdheit in einem Raum des Vertrauens. Erfahrung wird dann ermöglicht, wenn jemand klar aussagt über sich und die jeweiligen Befindlichkeiten und Gedanken, und wir erhalten Einblick in die inneren Welten eines/r Anderen, wo so vieles sich erahnen lässt, da man es vielleicht ähnlich sieht oder denkt, dann aber doch zulassen muss und auch kann, dass der/die Andere das einzigartige Wesen bleibt, das nur sich selbst erkennen kann wie ich mich selbst. Und was bedeutet schon „erkennen“? Ist es nicht eher die Fremdheit, die wir erkennen an uns, aus Mangel an überzeugendem Verständnis darüber, was Menschen hier tun und lassen, nur dem eigenen Gefühl und Geist auf der Spur, die uns belehren, dass es die unvorstellbaren Grenzen tatsächlich gibt, und dass uns die hellsten Momente sehr wohl aufklären, dass alles Gedachte und Behauptete unbedingtes Konstrukt bleiben muss, sei es auch noch so fleißig und fließend dargebracht. Es bleibt Fakt, dass ich Reisende bin, Fremdling, unterwegs auf einem Planeten, der für alle Anwesenden etwas anderes bedeutet, für manche ein Garten mit Freunden, für andere ein Schlachtfeld mit Toten. Und ein kollektives Bewusstsein existiert über all dieses Geschehen, das hervorblüht aus den Gehirnen, den toten und den lebenden, unserem, für das wir Verantwortung übernehmen, weil es sonst keiner tut und auch keiner tun kann, da es unsere eigene Zeit ist auf der Erde, mit der wir so wissensvoll umgehen müssen, wie es uns möglich und auch ermöglicht ist. Manchmal berührt uns die Not der Frauen, manchmal die Not der Männer, manchmal die Not der Transvestiten, dann die der Tiere, dann das Sterben der Wälder, dann die unermessliche Not der Kinder. Beim Reisen auf dem Planeten haben wir Zeit, berührt zu werden. Wir haben ja Zeit für das, was wir sind. Wir können sagen, was wir als störend empfinden, und wir können zuhören, wenn sich jemand über unser Benehmen beklagt. Immer ist Freiheit, auch wenn ich nicht weiß, ob ich heldenhaft sterben könnte, wenn mein Leben bedroht wird. Vielleicht gibt es ‚freie‘ Frauen unter den Burkas. Ich habe sie leider noch nicht getroffen. Asib, der afghanische Ehemann meiner Freundin Atiyeh, hat mir bei unserem Besuch erzählt, wie es war für ihn, als er mit vier schon frühmorgens zur Moschee gehen musste in Kabul, und beten, und lernen, dass es ein Verdienst ist, wenn Ungläubige durch seine Hände sterben. Was soll ich dazu sagen? So ein Glück, fremde Freunde, dass ihr die Hölle verlassen konntet, die kein guter Ort ist für Menschen. Nur wir Fremden sind hier auf dem großflächigen Raumschiff, während die Uhr läuft und es nur für liebevolles Beisammensein keine Grenzen gibt. Wie gut kann es tun, wenn man mal eigene Tugendlatten lockert und ja sagt zu etwas, was dem Eigenen nicht gleich entspricht oder auch nein danke! zu dem, was einem nicht bekommt. Das schließt doch die Freude nicht aus. Ich bin in der Fremde zu Hause. Setzt mich ab im Irgendwo, und ich werde einen Weg zu euch finden. Und zu dir, die du mir Nähe schenkst und Teilhabe durch dich am Einzigartigen.

vorgestellt

Genau: was man sich nicht vorstellen konnte über sich und von sich selbst, das kann doch auch eine angenehme Überraschung sein. So sehr  eine errungene Erkenntnis einen ergreifen kann wie z.B. die Erkenntnis, dass es am Grunde des Seins keine Worte gibt, so entsteht genau dadurch ein freierer Raum, in dem unser existentielles Know-how die Sprache und den Ausdruck finden kann, der am besten dem eigenen Wesen entspricht. Man kann das auch lassen. Man kann alles Mögliche lassen, aber warum sich nicht am Ausdruck der eigenen Existenz erfreuen!? Was heißt erfreuen? Wer die Muße nicht mehr zur Verfügung hat oder die Wichtigkeit ihres Aufenthaltes, unterschätzt auch, was unter „Genuss“ verstanden werden kann. Für den einen ist es Genuss, dass es so viel gibt, was er nicht braucht, für den anderen ist es die Entgrenzung des gängigen Geschmacks, die Betrachtung der Wolkengebilde, das Zulassen von Schmerz. Nie hätte ich mir vorstellen können, dass ich an einem Blog Freude habe. Freude ist hier, dass damit eine Möglichkeit auf mich zugekommen ist, in deren Räumlichkeit ich um etwas in mir ringen kann. Klingt nicht so federleicht, und ist es auch nicht. Es ist das Risiko, jeden Morgen diesem leeren, wenn auch wohlwolled wirkenden Raum gegenüber zu stehen, bzw. zu sitzen. Die Weltgestaltung läuft, und ich bin „nur“ zeitweilig Anwesende. Geht es mir um etwas? Ist es wichtig, ob und warum ein kleines Bild aus Damaskus mich berührt. Weil es so schön ist, oder weil ich das Ausmaß des Schreckens nicht wirklich fassen kann? Ob ich das, was mir am Herzen liegt, auf einer Trompete spiele, oder ob sich meine Gedanken oder Zeilen in den Ruinen zerstörter Städte niederlassen…auf jeden Fall muss ich schauen, dass ich für das, was mich kümmert, den Weg frei halte. Ich meine: frei auch von mir und meinen Widerständen. Jeder Morgen ist anders. Obwohl ich Grund habe zu vertrauen, dass aus dem Freigeräumten etwas auf mich zukommt, was mein Geist gerne aufnimmt und zu weiteren Gedanken anregt, so gibt es doch keine Garantie. Möglichkeit ist nur, wo ich letztendlich bereitwillig da sitze, wo etwas entstehen kann, um  dann mit dem Material aus den inneren Archiven, das mir zufließt, etwas zu gestalten, was dem Moment und meinem Zugang dazu entspricht. In der Meditationspraxis scheitern Menschen oft an dem Irrtum, gutes Sitzen mit Yoga zu verwechseln. Gutes Sitzen ist aber nur die Voraussetzung für andere Erfahrungen oder Zustände, um die es geht. meistens basierend auf Weisheitslehren oder Zielen, die als universell gelten. Man lernt günstigerweise, sich so lange aus dem Üben nicht zu entlassen, bis das Üben einen entlässt und man ein weiteres Feld betritt. Auch der leichtfüßige Schritt täuscht gerne darüber hinweg, dass es einen leichten Schritt an sich gar nicht gibt. Es ist die Regelmäßigkeit des mutigen Sprungs, der einen wissen lässt, dass er gelingen kann, aber dass es keine Garantie dafür gibt. Eine vollkommen durchtrainierte Stabhochspringerin analysierte jahrelang die Sekunde, in der sie d e n Fehler machte, der sie in den Rollstuhl brachte. Was, wenn ich keine Antwort finde? Was, wenn es keine gibt?

verhalten

Unterwegs hörte ich gestern die Nachricht, dass in Deutschland wieder mehr Kinder geboren werden. Das zählt ja sicherlich zu den guten Nachrichten, deren Mangel immer wieder beklagt wird. Was heißt das, mehr Kinder!? Ich war auf dem Weg zu einer befreundeten Familie aus Afghanistan, deren Fluchtgeschichte uns vertraut ist, aber da die afghanischen Familienclans ziemlich groß sind, dauert es eine Zeit, bis man weitere Zusammenhänge mitbekommt. So habe ich zum ersten Mal von Asib, dem Ehemann, gehört, dass er eines von 11 Kindern ist. Er hatte einen Bruder, der mit 16 Jahren von Talibankämpfern auf der Straße angehalten wurde und befragt, warum er englische Bücher bei sich habe, die seien doch von den Ungläubigen. Daraufhin haben sie ihn erschossen und dann tot vor die Haustüre gelegt. Asib hatte nur noch e i n Bild von ihm auf seinem Smartphone, ein hochgeschossenes Kind. Ich sage jetzt nicht, warum mehr Kinder haben, die können doch erschossen werden, aber man staunt  immer mal wieder darüber, dass all diese Menschen, über die wir uns gern beklagen und die in der Überzahl scheinen, vor kurzem noch Kinder waren. Das Staunen kann man auch auf Friedenszeiten ausdehnen, die wir gerade genießen dürfen und uns umschauen können, was so alles in dieser paradiesischen Fülle aus uns geworden ist, und was wir den kommenden Erwachsenen anbieten. Ich habe mal kurzzeitig notiert, was einem etwa in Statistiken verklickert wird, da sie meistens aus größeren Menschenmengen geprüfter Tatsachen hervorgehen wie z.B. dass allein in NRW 10.000 Menschen an Aids erkrankt sind, oder dass sich alle 40 Sekunden in der Welt jemand umbringt u.s.w, sodass man froh ist, dass Lebende übrigbleiben, und nicht wenige, auch wenn von kerngesundem Menschentum kaum die Rede ist. Was ist schon kerngesund? Kleine Kinder sind oft kerngesund, da schaut dann jeder gern hin und freut sich auch darüber, wenn diese Kinder genügend Raum haben und liebevolle Aufmerksamkeit, um zu werden, wer sie sind. Als ich die kleine Asna (1 1/2 Jahre) gestern mit dem Smartphone ihrer Mutter ziemlich kompetent umgehen sah, fiel mir der Ausdruck  eines Philosophen ein, den ich neulich gehört hatte und der vor „digitaler Demenz“ gewarnt hatte, da das ewige Fingern auf der Tastatur einiges im menschlichen System aussterben lässt. Das klingt schon wieder, als würde ich vor dem Kinderkriegen warnen, aber das würde mir nicht in den Sinn kommen. Was mir aber in den Sinn kommt ist die Frage, ob wir selbst schon bewusst genug mit unserem Verhalten umgehen, sodass wir das Menschsein nicht nur leben, wie es zu kommen scheint, sondern die notwendige Mühe im Umgang mit Anderen einsetzen und erkennen, wie wahrlich schwer es ist, ohne Verlagerung auf Gott und die Welt und ohne Erwartungshaltung an alle Menschen außer uns selbst zu suchen und zu finden, wie das geht, ein sogenannter „guter“ Mensch zu sein, dem man gerne Kinder anvertraut. D.h, m.E. wenigstens zu sehen, was ich anrichte und wie vernichtend die Wirkung meines eigenen Verhaltens sein kann, wenn ich mich nicht in das Blickfeld nehme als jemanden, der durchaus darüber nachdenken muss. Neulich hat mir eine Mutter erzählt, wie erschüttert sie war, als ihre kleine Tochter sie wutverzerrt angestarrt und geschrien hat „ich hasse dich“. Ja, Kinder sagen so was, aber ernst nehmen darf man es trotzdem. Vielleicht ist Liebe wirklich der Verzicht auf unangemessenes und vernichtendes Verhalten. Es sind die Kinder, die uns mit ihren wachen Beobachtungen begegnen, überall auf der Welt. Von wem sollen sie lernen, wenn auch wir noch von Anderen ein menschliches Verhalten erwarten, zu dem wir selbst oft  nicht fähig sind?

Monsoon

Es ist ja nicht nur so, dass nur was vom Okzident in den Orient schwappt  durch die unzählbare Menge, die dort durchgewandert ist und weiterhin wandern wird, sondern es ist auch ganz schön viel herübergeschwappt und hat hier Fuß gefasst. Auch Yoga und Meditation erscheinen nicht zum ersten Mal im Westen. Ich habe ein Eranos-Jahrbuch aus dem Jahre 1933 von einer Tagung in Ascona, wo als damals gedankliche Koryphäen geltende Menschen ihren Beitrag gaben zum Thema „Yoga und Meditation im Osten und im Westen“. Man ist ja öfters mal konfrontiert mit dem Wunsch, Neues wahrzunehmen, dann sieht man: es ist nur ein anderes Kostüm“, von dem man sich hat beirren lassen, und vielleicht ist die Sucht nach dem Neuen selbst eine Art Kostüm, um eine der wesentlichen und unverrückbaren Essenzen der Welterkenntnis immer mal wieder galant zu vermeiden, indem wir vermeiden, was wir alle niemals wissen können, nämlich, warum wir da sind, und was wir hier tun. Nun ist also auch der Monsoon hierher gekommen einerseits, aber andrerseits etwas weiter so viele Waldbrände, und leider kann man die Wassermengen nicht hinüberleiten nach Portugal oder Frankreich, sondern muss sich mit dem eigenen Zustand während des Prasselns beschäftigen. Für einen richtigen Monsoon müsste es ja viel heißer sein. Statt dessen denkt man daran, die Heizung einzuschalten. Der gefürchtete Gründlichkeitsanspruch der Deutschen kommt gewiss nicht von Muße und Sonnenschein, sondern vielleicht eher einem sonnenlosen Misstrauen, das wir dem eigenen Wesen gegenüber pflegen. Der Inder sitzt in seinem Monsoon herumgrübelnd mit Anderen unter Dächern, die Deutsche (in dem Fall ich), sitzt allein vor den Tasten und tastet sich an die Befindlichkeit heran. Nein, nicht allein, was rede ich! Schon einen super guten Kaffee und ein Croissant liegen hinter mir und der Austausch mit den Menschen, mit denen ich lebe. Im Kontext einer gemeinsamen Arbeit, die uns zur Zeit beschäftigt, tauchte nochmal eine von uns gedanklich erzeugte Situation auf, zum Beispiel ein Publikum und eine Moderatorin und ein Gast, in der man innerhalb von drei Minuten eine als Zettel gezogene Frage innerhalb von 3 Minuten spontan beantwortet. Diese Woche hatten wir bei dem Treffen entschieden, dass wir mit Fragen kommen, auf die man persönlich antworten muss, also nicht die Möglichkeit, aus einer Rolle heraus zu antworten, sondern aus sich selbst heraus als sich selbst. Es gab eine Situation, wo die Befragte auf die Frage „wie oder was (oder wer) bin ich ganz persönlich“ nahezu die ganzen drei Minuten zwar mit den Händen etwas im Ozean herumfischte, letztendlich aber keine Antwort fand. Das kam mir bedeutsam vor. Sind wir nicht letztendlich das ganz und gar Undeutbare, ein von der Sprache losgelöstes Potential, das durch die Sprache zwar erst Kenntnis von sich selbst erhält, aber stets geht es nur von dieser Quelle des Sprachlosen aus, diesem Ausgesetztsein in eine Ungewissheit, die nie ein Wissen berühren oder verändern kann. Diese „azurne Einsamkeit“ kann nur durch  Liebe, gepaart mit Freiheit, beflügelt werden. Nicht, weil ich den oder die Andere/n bei mir habe, sondern weil ich in der Liebe Menschen begegne, die meinem Sein als solch ein Ungewisses Raum geben können wie ich meinerseits dem Gegenüber. Dann erst die Worte. Ohne die Worte keine eigene erschaffene Wirklichkeit, und ohne diese individuelle Wirklichkeit keine Präsenz, und dadurch kein Wohlgefühl in der Mitte von Welt und Gesellschaft. Das Mysterium des Menschseins balanciert geradezu auf diesem niemals zu leugnendem Ungewissen. Dass genau dieses tiefe Erkennen des Menschen von seinem Hineingeworfensein in das Spiel entweder zu der Sucht führt, sich bestimmen zu lassen von einer autoritären Struktur, die es anscheinend besser wissen soll als ich selbst, oder man ist bereits als Kind einer autoritären Struktur ausgeliefert, gegen die man erstmal keine Chance hat. Daher der zeitlose Hinweis auf das selbstständige Denken, das einem u.a. ermöglicht, die eigene Wertelatte rechtzeitig aus dem Weg zu räumen, damit der Blick auf die Welt nicht an Heiterkeit einbüßt.

reflektieren

In einem Satz, der Sokrates, (der selbst nichts Geschriebenes hinterlassen hat), zugeschrieben wird, sagt er aus, dass seiner Meinung nach ein Leben, über das man nicht nachdenkt, nicht lebenswert ist. Nun gibt es verschiedene Formen der Reflektion. Die philosophische Reflektion z.B.lässt zwar das eigene Erleben nicht aus, bemüht sich aber um ein Erkennen, das Menschen, denen das fremd ist, oft „abstrakt“ erscheint, so als wäre dieses Denken nicht übertragbar auf das persönliche Leben. Natürlich wäre es nicht uninteressant, Sokrates heute ein paar persönliche Fragen stellen zu können, die damals noch nicht so aktuell waren. Es ist ja nicht nur unnütz, auch mal zu bedenken, warum er wohl geheiratet hat, und wo war diese mit schlechtem Ruf behaftete Alibi-Frau, als er den Giftbecher trank? Und wenn man sich mit den Kindern von Sokrates auch noch hätte beschäftigen müssen, den zum Glück nicht existierenden Ahnen des –  männlichen Lenden zugetanen – Giftbechertrinkers? Auch damals schon hat die Liebe die Menschen bewegt, vor allem, wenn sie in der glücklichen Lage waren, Muße und gesellschaftliches Ansehen zu genießen, da Arbeit im antiken Griechenland noch sehr anders definiert wurde. Wir wissen ja auch nicht, wie die, die damals in der brütenden Sonne nicht im Schatten der Bäume ungestört reflektieren konnten, sich gefühlt haben, und wie „faul“ den Schuftenden wahrscheinlich diese herumlagernden Gesellen vorkamen, deren gedankliche Ergebnisse bis heute in den Schulen gebüffelt werden müssen. Es kamen ja auch immer wieder welche nach, die das bis dahin geltende Weltbild zerlegten und neu formierten gemäß der Wahrnehmungen der Zeit, in der sie sich bewegten. Denn es ist  vor allem das Bewusstsein des Menschen, das sich wandelt, indem die Wirkung jeweiliger Erkenntnisse den Sog bildet, der dann, von Einzelnen ausgehend, nach und nach Kulturen und Gesellschaften gestaltet. Die beliebte Frage „Was ist Freiheit“ hat ja vor allem als Antwort damit zu tun, ob ich in einem Raum lebe oder ihn selbst erschaffen helfe, in dem eigenes und selbstständiges Denken überhaupt stattfinden kann, sodass es darauf hinauskommt, dass, je mehr Menschen solche Zeiträume als förderlich für die Entwicklung ihres eigenen Bewusstseins nutzen, desto wacher und bewusster ist die Gesellschaft. Als Freud, der Unterbewusstseins-Avatar, seine unermüdliche und faszinierende Arbeit aufnahm (möge man denken über ihn, was man will), muss sich das kollektive Bewusstsein der Menschheit schon derart verdunkelt haben, dass es auffiel, nämlich ihm, dass hier Hilfe vonnöten war. Noch ging er am Anfang selbst aus von dem Wunsch, es mögen eher „gesunde“ Systeme das Interesse an einer Selbst-Analyse kultivieren, bis der Zweifel bzw. die Erkenntnis kam, dass es davon recht wenige gibt. Und nun leben wir in unserer Gegenwart ja bereits in dem Paradox, dass es nicht nur genug Nahrung gibt, um alle Hungrigen zu ernähren, sondern auch genug frei verfügbares Wissensmaterial, um das, was man einst törichterweise „Erleuchtung“ nannte (meine Stimme ist hier kurz in die Zukunft gerutscht), in Wirklichkeit die durch tiefe Reflektion wiedergefundene Schlichtheit des Seins ist, bei der das Wort „normal“ vielleicht mal wieder eine Berechtigung hätte. Denn das, was durch mutiges und unermüdliches Eintauchen in fassungslose Abgründe und Schluchten des Verborgenen ans Tageslicht geborgen werden kann, kann man m.E. nicht mehr wirklich das „Natürliche“ nennen, wo mir hier aus den inneren Archiven der Satz von Nietzsche zufliegt, dass die Natur überwunden werden muss. Denn abgesehen von allem Schönen, was sie als Urgrund und Bühne unseres Seins bedeutet, so hat sie doch die Tendenz zu wuchern und alles zuzulassen, was herauswill aus ihr, und jeder Gärtner kennt diese Probleme. Ich selbst beobachte die anarchischen Aspekte meines Wesens mit ziemlich großzügigem Blick, aber ich kann mich auf mein ordnendes und reflektierendes System inzwischen ganz gut verlassen. Wieso in aller Welt sollte der Mensch nicht frei sein können und wollen und dürfen, jede/r in ihrem/seinem Maß. Auch in meditativen Wissenswelten spricht man oft von tiefer Verzweiflung und Schmerz als einem Auslöser von eigenem Denken.  Ich selbst empfinde als außerordentliches Glück, mit und durch alles Ackern hindurch, als Frau (na ja, nicht ohne), in dieser Zeit in einem Garten zu landen und Muße und Zeit zu haben, mein Leben nach Herzenslust zu gestalten und zu reflektieren, wobei „Reflektion“ ohne ein Gegenüber (und ohne liebevollen Blick) nicht wirklich gelingt.

Bild: es sind Picassos Augen, die aus der Eule schauen.

anrichten

Im Gespräch mit einer Afrikanerin aus Nigeria reden wir über die endlosen Gräuel in ihrem Land und die Erleichterung und den Schutz, den sie hier in Deutschland erfährt. Wir haben ja hier noch vor ein paar Jahren auch ganz schön was angerichtet, sage ich. Sie ist entrüstet. Wie, du! Du hast doch nichts angerichtet, sagt sie. Das waren deine Eltern und Großeltern vielleicht, aber nicht du. Ganz abgesehen davon, dass ich mich nie wirklich wie jemand fühle, der nichts angerichtet hat, so ist mir dieser Gedankengang natürlich auch vertraut. Es ist jetzt eine Weile her, dass bei „uns“ Krieg war,  und neu und unbelastetere Generationen ziehen durchs Land, dh. unbelastet von diesem einen Krieg, den Deutschland noch am Verdauen ist. Wir wissen ja, dass es schon immer Kriege gab und weiterhin gibt, sodass es naiv ist zu denken, irgendeine extreme Form der Finsternis könnte die Großmogule der Welt von ihren Psychosen befreien, für die Mord nicht nur der unbewusste Verzicht auf Liebe bedeutet, sondern lediglich die blindwütige Erringung einer Macht, die nichts als Vernichtung zurücklässt. Wie gesagt, aus der Asche kann wieder aufgebaut werden, aber selten genug wird es ein Phoenix, solange in der Asche noch das Unverdaute brodelt, oder der gedankliche Märchenwunsch, aus dem Erkennen der eigenen Taten möge reifere Frucht entstehen. Auch mit zeitlicher Messung können einem 70 Jahre entweder sehr lang oder sehr kurz vorkommen. Auf jeden Fall kann man so einen Durchgang nur einmal erleben. Die 70 oder mehr Jahre, die Syrien und alle weiteren Länder, die sich gerade im Krieg befinden, brauchen werden, um wieder zu relativ „normalen“ Verhältnissen zurückzukehren, wer wird sie mitempfinden können, und wie wird die neue Ordnung aussehen? Und ja!, ich vertrete auch die mir überzeugend scheinende Einsicht, dass die persönliche Ohnmacht dem sich abspulenden globalen Irrsinn gegenüber sich nur ausgleichen kann mit einer erhöhten Aufmerksamkeit auf das eigene Wirken und Anrichten, denn aus Erfahrung weiß man doch inzwischen, dass da, wo sich wirklich was ändern konnte, auch was erkannt worden ist. Es geht ja nicht darum, sich eine Welt vorzugaukeln, wo Lämmlein und Löwlein friedlich zusammensitzen, sondern um die Klarheit, mit der Menschen sich irgendwo orten, bevor sie eingeordnet werden von Anderen. Das Ausmaß des Schreckens, dem Deutsche gegenüber standen, als der Albtraum des höheren Menschseins  endlich vorbei war, hatte schon Wirkung, das lässt sich nicht leugnen. Aber hängt weitere Entwicklung der Individuen aller Himmelsrichtungen nicht vor allem davon ab, wieweit die überall lauernde Gefahr eines autoritären Soges den Einzelnen bewusst wird und dadurch zu eigenem Denken führt und zu eigener Verantwortung? Das ist ein Hoffnungsstrahl, den ich mir noch gönne, nämlich, dass diese voneinander unabhängige Gruppe sich leise und unentwegt erweitern möge, bis sie der anderen Kraft gleichermaßen kraftvoll gegenübersteht: die Teilnehmer eines Wachwerdens Einzelner aus dem Griff einer Kollektiv-Ohnmacht. In diesem Sinne erkläre ich alle verbleibenden patriarchalischen Befürwortungen und Zuspielungen  in mir und außerhalb von mir für beendet.

 

Es fasziniert mich immer mal wieder, wie Worte zwei so gegensätzliche Bedeutungen in sich bergen können. Im Falle von „anrichten“ kann man z.B. für beide vollkommen unterschiedlichen Begriffe dasselbe bedeutungsvolle Ausrufezeichen setzen: Es ist angerichtet!

Ingeborg Bachmann

Bildergebnis für Ingeborg Bachmann

FRÜHER MITTAG

 Still grünt die Linde im eröffneten Sommer,
weit aus den Städten gerückt, flirrt
der mattglänzende Tagmond. Schon ist Mittag,
schon regt sich im Brunnen der Strahl,
schon hebt sich unter den Scherben
des Märchenvogels geschundener Flügel,
und die vom Steinwurf entstellte Hand
sinkt ins erwachende Korn.

Wo Deutschlands Himmel die Erde schwärzt,
sucht sein enthaupteter Engel ein Grab für den Hass
und reicht dir die Schüssel des Herzens.

Eine Handvoll Schmerz verliert sich über den Hügel.

Sieben Jahre später
fällt es dir wieder ein,
am Brunnen vor dem Tore,
blick nicht zu tief hinein,
die Augen gehen dir über.

Sieben Jahre später,
in einem Totenhaus,
trinken die Henker von gestern
den goldenen Becher aus.
Die Augen täten dir sinken.

Schon ist Mittag, in der Asche
krümmt sich das Eisen, auf den Dorn
ist die Fahne gehisst, und auf den Felsen
uralten Traums bleibt fortan
der Adler geschmiedet.

Nur die Hoffnung kauert erblindet im Licht.
Lös ihr die Fessel, führ sie
die Halde herab, leg ihr
die Hand auf das Aug, dass sie
kein Schmerz versengt!

Wo Deutschlands Erde den Himmel schwärzt,
sucht die Wolke nach Worten und füllt den Krater mit Schweigen,
eh sie der Sommer im schütteren Regen vernimmt.

Das Unsägliche geht, leise gesagt, übers Land:
Schon ist Mittag.

dann…und wann…

Ähnliches Foto
Es soll zur Zeit also ungefähr 120 gezählte 100-Jährige in unserem Land geben, wahrscheinlich ist die Dunkelziffer noch größer…aber halt, nein!, denn wenn „sie“ hundert werden, bekommen sie ja vom Rathaus einen Glückwunsch zugesandt, eine Hundertjahrelebensjubiläumsurkunde, bzw., wenn  Bürger-und Bürgerinnen diese frappierende Zahl eines Jahrhunderts erreichen, werden sie womöglich besucht oder interviewt wie in einer „Zeit“- Ausgabe geschehen. Manche fürchten schon die Frage „Ja, wie macht man das denn?“, so als wüsste es jemand, warum es so lange gedauert hat und wodurch sie da hingekommen sind. Auch sind ja dann nicht viele um einen herum, mit denen man das auf Augenhöhe  diskutieren könnte, ganz abgesehen davon, dass man wahrscheinlich an diesem Punkt gar nicht mehr viel diskutieren möchte.  Das rührt  auch verdächtig an den geheimen Unsterblichkeitswunsch, der in manchen Kulturen stärker im Unbewussten lagert als in anderen. Das Hundertjahredasein kommt auf die Menschheit zu, kein Zweifel. Da fällt mir ein ganz schrecklicher Satz ein, er muss aus dem Biblischen kommen, so gewaltig, mit einem Tintentropfen von Wahrheit drin, der vom Licht noch nicht getroffen ist: „Sie werden sterben wollen, und sie werden es nicht können.“ Das kann ich mir gut vorstellen, wenn der Wunsch nach langem Leben mit den technischen Konsequenzen gepaart sein wird. Wer könnte schon widerstehen, wenn nach dem berüchtigten Lifecrisis-Schema nochmal so viel Lebensraum hinterherkommt und die Frage sich nähert, wie dieser verbleibende Raum zu gestalten ist. In Indien habe ich mal während einer 10-tägigen Kamelwagen-Reise extra einen Mann besucht, der mir jahrelang vorher schon als 127 -Jähriger verklickert wurde. Da lag tatsächlich in einer Tempelanlage ein gekrümmtes Häufchen Mensch herum, dessen sterbliche Hülle immer noch dafür diente, dass ein paar Andere von den Besuchen und Spenden leben konnten. Wie alt er wirklich war, steht in den Sternen. In Indien habe ich lange niemanden getroffen, der wusste, wie alt er oder sie war, denn es gab vor allem indische Horoskope, die nicht an solche Daten gebunden waren. Selbst eine gebildete Frau wie meine Freundin Lali, die nach dem Schulabschluss Lehrerin wurde, weiß nicht, wann sie geboren ist. Vielleicht wird bei Söhnen genauer notiert. Dann gibt es Frauen, die schon mit vierzig Großmutter werden und besorgt die weißen Strähnen verdunkeln und mir mitteilen, dass das Leben jetzt vorbei ist. Was machen sie, wenn sie hundert werden? Millionen von älteren Frauen sitzen genauso erschöpft und tödlich gelangweilt in Ashrams herum wie hier in Altersheimen, wo die Wurzeln von Demenz auch noch nicht nachvollziehbar geklärt sind. Klar, wer möchte nicht lieber Albus Dumbledore sein als jemand, der fürchten muss, dass ihm oder ihr ab einem bestimmten Alter ein Rollator vorgeschlagen wird, weil es so praktisch ist. Irgendwo ist die Einstellung, dass ein einigermaßen würdiges Alter nur durch ein einigermaßen würdig bzw. lebendig gelebtes (reflektiertes?) Leben erreicht werden kann, verloren gegangen. Es soll ja nicht alles Bewusstsein auf den unvermeidlichen Tod hin zugespielt werden, aber dass doch die Wichtigkeit der Nähe zur Todesschwelle in uns lebendig bleibt, damit wir wachsam erleben können, wie das dann an gegebenem Zeitpunkt so ist für uns ganz persönlich, vom Leben in den Tod zu gehen.

erinnern

Als ich über das Lied im gestrigen Beitrag den Namen „Grace Jones“ mal wieder hörte, kam eine Erinnerung zu mir, die schon eine ganze Weile zurückliegt. Ich landete „damals“, nach Jahren aus der indischen Wüste emportauchend, direkt in der Notwendigkeit deutscher  Lebensfinanzierung. Das einigermaßen Vorstellbare fand sich in einem Verlag, den ein Paar leitete. Er war ein intelligenter, blasser Bücher-und Wissenswurm, sie eine wesentlich jüngere, frische und aufgeweckte junge Frau, mit der ich oft in den Pausen Gespräche führte. In einem dieser Gespräche erzählte sie mir in keineswegs verstörtem Ton, dass sie ihn im sexuellen Kontakt immer peitschen musste. Ich kann mich nicht erinnern, wie mein Geist, beschäftigt mit meiner persönlichen Neu(er)findung in deutschen Gefilden, das aufnahm. Etwas später schickte mich eben dieser damalige Chef mit einem Kuvert in die naheliegende Stadt zu einem weiteren Angestellten, da ich nach der Arbeit in dieselbe Richtung fuhr. In die Wohnung dieses Mannes eintretend, fiel mir die extreme Leergefegtheit der Räume zuerst auf. Kein Schnipsel nirgendwo. Wohnte er hier wirklich? Dann erst fiel mein Blick auf die Wände. Sie waren mit riesengroßen Glanzfotos, alle von Grace Jones, bedeckt und lagen dort in keineswegs billigen Rahmen unter Glas. Staunend fragte ich nach. Ja, diese Bilder bedeuteten ihm viel, und auch hier war es nicht in Form eines sich stockend enthüllenden Beichtgeheimnisses, als ich vernahm, dass er einmal die Woche in ein bestimmtes Bordell ging, um sich dort von einer von ihm hoch geschätzten Domina in die höchstmöglichste Nähe des Ertrinkens bringen zu lassen, damit das gewünschte Ergebnis in Todesnähe stattfinden konnte. Die „Regierung“, sagte er, wertschätzt diese Frauen, da sie wissen, dass dort potentielles Unheil, wenn auch auf seltsame Weisen, vielleicht nicht ganz verhindert, aber doch vielleicht gemildert wird. Ob die beiden wohl voneinander wussten? Nutzlose Frage, denn was heißt schon wissen? Was hätten sie denn voneinander wissen können, was miteinander austauschen? Die Sucht nach als normal geltendem Auftritt in der Gesellschaft ist ja sehr vorherrschend, die Definition von „normal“ schwankt wie eh und je in Absurdistan herum. Wer erschafft die Norm? Wie, du hast kein Tattoo!!!??? Man darf also nicht rauchen  bei euch im Haus, sagte meine Mutter einmal mit gedehnter Stimme, in der das Bedauern lag, dass aus mir so ein kleiner Spießer geworden war. Das geht schnell. Das Ringen um Verstehen ist nicht nur mühselige Arbeit, sondern es warten weder Thron noch Krone, da es nicht um Erfolge geht, sondern um ein Ringen um das schwer Fassbare. Da haben es die Religionen der Welt einfacher. Sie wissen, wo´s langgeht und wer, wenn das Spiel vorbei ist, rechts und links vom heiligen Vater sitzen wird. Dort ist natürlich auch ein Gedränge und wahrscheinlich geht der Kampf weiter, oder der Herr persönlich schlägt die „Reise nach Jerusalem“ vor, damit jeder mal drankommt und versteht, dass genug Nebenthrone für alle da sind. Woher Menschen kommen und und wohin sie damit gehen, um in den paar vorüberziehenden Jährchen d a s zu tun und zu bewirken, was ihnen unerlässlich erscheint, wer kann das wissen und wer kann es verstehen. Ich höre aus einem Raum fachlicher Kompetenz, dass die Schulung und die Expertise vor allem darin bestehen, einen Raum zu ermöglichen, wo Schmerz und Leid und vor allem die verborgenen inneren Vorgänge, die oft den erwünschten Lebensraum zunichte machen, sein können, damit sichtbar wird und zu einem gewissen Grad verständlich, wie gravierend doch das Verborgene in den nüchternen Tag hineinwirkt, und wie zeitaufwendig es werden kann, die eigenen Gewölbe und Labyrinthe und Gärten in den Blick bzw. den Augenschein zu nehmen.

Das Bild zeigt das Tor in einem Garten in Lissabon. Dahinter war ein schöner Sitzplatz mit chinesisch gestaltetem Holzrahmen, auf dem mit Filzstift eine Botschaft (in Französisch) stand, und zwar „Madame Katastrophe, sie ist da, sie wartet auf dich im Sand des Kindergartens. Sie empört sich, sie verlässt dich, sie zwingt dich dem Tod entgegen, sie wirft dich über Bord.“
Oft so nah beieinander, das leuchtende Tor und die bedrohliche Botschaft.

Song

Dieses Lied habe ich unterwegs gehört und sofort während der Fahrt zum bereitliegenden Stift gegriffen, um das Ungefähre festzuhalten, das in meinen Ohren wie ein Medikament klang. Kovacs. (Kann ja auch vorübergehend medizinisch wirksam sein). Kovacs, nie gehört, aber dann gefunden,  jetzt der textfreie Ohrwurm-Effekt. Froh, ein Lied zu hören, das  gut gefällt, nicht als eingeschränkter Musikgeschmack, sondern als Sahne auf gelungenem Moment. Dann auch schwebt da drin ein Wissen von der Schwärze der Vorgänge, das hier mitfühlend in die tragbare Schwingung gerät. Ich merke, dass es mir nicht um den Text geht und versuche, so wenig wie möglich davon zu verstehen. Die Stimme gefällt mir. The mood. Grace Jones soll das Lied auch mal gesungen haben, oder es ist ein Lied von ihr. – Grace Jones…

Hier aber: Kovacs

 

 

oh

Ich kann wahrlich nicht von mir behaupten, dass ich mich unangemessen in Schreckensbilder vertiefe, aber dieses Bild oben hat mich dann doch verblüfft. Verbietet einem jemand etwa den irren Sinn, den man in unbeabsichtigten Dingen entdecken kann, die mehr über das Geschehen aussagen können als so manch andere Ohnmacht, die erkannt werden muss? Man sieht auf dem Bild zwei Rauchwolken von Bombeneinschlägen in Mossul. Mossul, ja? Die eine Wolke sieht aus wie eine diktatorische Großmaus, die mit narzisstischer Grimmigkeit den Wahnsinn vorantreibt. Rechts von ihr ein feuerspeiender, durchgedrehter Bär. Unter ihnen das Mossul, das einst war und nun in Schutt und Asche liegt. Ob weitere Mossule möglich sind, weiß keiner. Auch Berlin lag in Schutt und Asche. Trümmerfrauen fanden Sinn und Tun im männerlosen Wiederaufbau. Die Städte und die Verlierer können wieder aufblühen, die Verräter auch und die autistischen Micky Maus Täter. Ist so eine Sicht mit Gefühlen gekoppelt, neigt man zu Scham, das macht auch keinen Sinn. Auch das scheinbar Gute zeigt Suchttendenzen. Sollte sich jemand schämen? Der jetzt grenzenlose Zugang zu den menschlichen Lebensarchiven führt zu Extremen auf beiden Seiten. Einerseits die gefürchtete hordenmässig auftretende Verrohung kaum zu kontrollierender Lebensformen, andrerseits die ebenso schleichende Sucht nach Sauberkeit und gutem Gewissen, wo von Gewissen gar nicht mehr die Rede sein kann.Darf man hier religiöse Domspatzenchorleiter, die Kinder missbrauchen, neben IS-Schergen stellen. Man darf, aber man muss nicht. Und doch: sind das immer diesselben? Die, die den wahrlich erschreckenden Tatsachen des Seins nicht wirklich antworten konnten, oder konnten sie einfach wirklich nur tun, was sie tun, weil es ein wirkliches Wirklich gar nicht gibt? Im alten indischen Epos „Mahabharata“ geht es auch um Ehre und Krieg. Wenn dein Schicksal dir zeigt, was du musst, dann musst du, belehrt Krishna, der Gott der Liebe, hier als Kriegsherr und Wagenlenker, seinen Schüler Arjuna. Der will  seine Verwandten nicht töten müssen, das kann man verstehen, aber er muss, weil er keine Wahl hat, sagt Krishna. Er muss sein Schicksal erfüllen. Man merkt, wie man hier leise die Ebene wechselt…und wandelt mit den Götterboten, die einem plausibel machen, oh Menschling, dass alles letztendlich ein Spiel ist. Auch nicht wirklich ein Scheiß-Spiel, sondern da muss man schon tüfteln, denn wenn man nicht tüftelt, weiß man ja gar nicht, wie es funktioniert. Die Kenntnis der Grundausstattung und die Betriebsanleitung können im weiteren Verlauf hilfreich sein für das Know-how. Mossul, euer Mossul, ein dunkler Ort der Trauer. Mossul. Nur noch Schall und Rauch.

zwiespältig

Während der Sommertage habe ich mir angewöhnt, morgens so um 7 Uhr herum eine Runde im Wald zu drehen u.a., damit die guten Angewohnheiten, die manchmal einen Anschub brauchen, sich stabilisieren mögen. In Indien gehe ich auch immer morgens eine Runde am See entlang, allerdings mit der Unterbrechung der Zeit, die ich zum Schreiben benötige. Dort, fällt mir gerade auf, bin ich noch ein Mensch mit Handschrift, eine aussterbende Kunst, denn hier in Deutschland vernachlässigen meine Finger automatisch den Stift und die Lebendigkeit des papierenen Notizbuches. Aber das nur nebenher, obwohl zum Nachfolgenden auch eine Vebindung besteht. Ich gehe also an besagtem Morgen wieder in den Wald, da höre ich auf einmal laute Technomusik, sehe ein Auto am Waldrand und höre grölende Stimmen, die offensichtlich gerade ihre Nacht abschließen. Da ich Reizbarkeit zwischen zwei Welten nicht ermuntern wollte, bin ich umgekehrt und einen anderen Weg gegangen. Es hat mich beschäftigt als Gefühl von etwas, was ich erfassen wollte. Es war nicht nur das Verständliche an der Tatsache, dass man Menschen am Ende ihrer durchsoffenen Nacht gerne aus dem Weg geht, sondern es ist eine etwas aktivere Wachsamkeit den Menschen gegenüber. Vielleicht auch, weil es durch die digital vorangetriebene Schnelligkeit der planetarischen Realitätsvermittlungen jedem klar geworden ist, dass auch den Auswüchsen menschlichen Verhaltens nur spärliche Grenzen gesetzt werden können. Ich sehe die Menschen lieber als Wesen, die die Fähigkeit besitzen, förderlich auf sich selbst und Andere einzuwirken. Erkennen jedoch kann man diese Sicht ja an sich selbst als ein Erschrecken darüber, wie schwer sich der Weg erweist, bis man sich als Täter/in bzw. Verursacher/in von Schmerz und Leid zu einer Bewusstheit darüber und den tiefer liegenden Quellen davon gebracht hat. So tief empfunden, dass das Verhalten selbst bereit ist, die Schienen zu wechseln? Oder zumindest die geistig illegalen Waffen freiwillig abzugeben wegen der Gefahr allgemein verbreiteter Unzurechnungsfähigkeiten. Und dann: wem kann man was wo und wann zumuten? Es gibt Festtage in Indien, da muss ich, und nicht nur ich, da müssen wir den ganzen Tag Techno hören, auf jedem weiteren Dach ein Sound-System. Da hilft nur mitschwingen, und ab und zu am richtigen Platz zur richtigen Zeit kann Techno durchaus seine Qualität entfalten, als wenn es darum ginge. Ich denke, dass sich in die großen und kleinen Räumlichkeiten der Menschen eine kollektive Unruhe eingeschlichen hat, ein kollektives Wissen über die Uneinschätzbarkeit menschlichen Handelns, so als würde fast allen gleichzeitig der moralische Gradmesser entgleiten, der gerade noch mühsam in den Religionen und ein paar anderen Orten aufrechterhalten wird.  Bevor klar ist, dass es den auch nicht mehr gibt. Welches Recht wo ansetzen? Welche Gerechtigkeit geradlinig beurteilen können!? Schwer. Das macht es denkwürdig, weil es schwer ist. Schwer, im Ungewissen zu paddeln, die Orientierung beizubehalten, den Sinn für die Richtung. Und wo sind die Anderen? Sie sind überall. Überall sind Andere, und es ist ungewiss, wer sie sind. Man kann ein gutes Gespräch führen und was dazu lernen. Man kann tot sein. Ich habe mich öfters mal mit dem Satz eines Psychologen beschäftigt, der mir zugetragen wurde, und zwar „Liebe ist der Verzicht auf Mord.“ Ein starker Satz, gegen den man sich wehren will. Nicht wegen der wohltuenden Nüchternheit der Worte, sondern weil man tieferen Zugang braucht. Ziemlich sicher ist, dass da, wo Liebe ist, weniger Mord passiert. Darüber gäbe es vermutlich bereits viel Anlass zu Getwittere. Ich bin also umgekehrt und in die andere Richtung gegangen, weil ich nicht weiß, zu was die fähig sind in dem Zustand und es klüger ist, da nichts herauszulocken durch eigene Anwesenheit. Ich möchte hier nochmal den Satz von Brobowski erwähnen, der in seinen Zeilen vermittelt, wie er überall das Wort „Mensch“ hört und sagt, dass man da, wo Liebe nicht ist, das Wort nicht nennen soll.

eingeben & widerstehen

Eigentlich hatte ich eher „zufällig“ diese Pinselei des Morgens gewählt und bin nun überrascht über die sich herstellende Zusammenfügung. Warum ich den Umgang mit den (wenigen) Farben, die ich besitze, so schätze, ist, weil das Bild einen anderen Blick auf das Gegenüber ermöglicht, d.h. ich befinde mich dem, was  aus mir entstanden ist, zwar gegenüber, aber es stellt auch seine eigene Lebendigkeit dar. Alle Möglichkeiten des Ausdrucks ähneln sich auf eine bestimmte Weise. Die Dokumentation des Daseins ist in jeder Hinsicht unausweichlich. Das Aufregende an der Kunst ist, dass, einmal eingelassen, man ihr nicht entrinnen kann. Vielleicht gibt es doch noch einen Ausweg, aber es ist nicht etwas, das man bestimmen kann. Man kann es im Ahnen ruhen lassen. Menschen, die Kunst nicht interessiert (es muss sie geben), ahnen vermutlich gar nicht, wie viele Tode man sterben und welch ungeheurer Grad von Entzücken sich in einem einzigen Nu zusammenballen kann. Und dann wird man gepeinigt (zuweilen) von der eigenen Vorstellung. Ich kannte bestimmte Süchte der Wahrnehmung schon in meiner Jugend und hatte genug Raum zum Beobachten, wie ich selbst das ganze Spiel sehe. Wenn der Geist ein bestimmtes Maß an Freiheit erfährt, kann der Mensch sich in allem, was er wählt, erkennen. Das kommt einem eher natürlich vor und ist vielleicht auch von Beuys so gemeint gewesen, dass jeder Mensch sein eigener natürlicher Gestalter ist, wenn man ihn oder sie denn lässt. Aber zurück zum latent Peinigenden des Pinselvorgangs. Mir ist zum Beispiel am freien Umgang mit den Farben gelegen. Ich bin keine Malerin, sondern ich pinsle, um über das entstehende Bild etwas zu sehen (von mir?). Ich möchte nicht, dass hier Geschichten entstehen, ich widerstrebe dem Auftauchen von bereitwilligen Gesichtern. Manchmal kostet es Kraft, so ein Gesicht nicht zuzulassen, aber man spürt einfach, dass man es sich nicht zu einfach machen kann in der Bewegung der Prozesse, die sich in Gang setzen. Dann wiederum bin ich gezwungen nachzugeben, denn es setzt sich ein Sinn durch, dem ich nicht widerstehen kann, weil das geschulte Auge auch erkennen kann und muss, was zu einem spricht und was heraus will aus dem Bann des Abstrakten, das Abstrakte hier „nur“ als im Wesen lagernde Potenz gesehen. Ich bin, mit dem Pinsel in der Hand, immer eingestellt auf das, was ich mir als Zwischenräume des Seins vorstelle wie z.B. das, was zwischen den Dingen webt und sich verdichtet, das wenig Sichtbare, aber deutlich Spürbare, das Unleugbare der Atmosphäre, der man bei allem guten Willen auch in sich selbst nicht entrinnen kann, aber man kann darauf einwirken. Man kann beobachten, wohin der Kompass zeigt und sich an die Navigationsgeräte setzen. Und selbst, wenn man einen distanzierten Blick auf sich Formendes wirft, sagt es etwas über mich aus, für das ich mich auch noch entscheiden muss. Kann ich verstehen, was sich dort tummelt und Aussage macht über das Universum, in dem ich lebe?, das durchaus auch das Universum ist, in dem die Anderen ihre Universen durch die Gegend manövrieren. Und es kommt auch nicht, wie ich neulich von Hesse bestens artikuliert gefunden habe, darauf an, wie der Wind weht, sondern wie man das Segel setzt.

Manchmal, wenn ich ein Bild auf den Kopf stelle, bin ich verblüfft, wie unterschiedlich die Wahrnehmungen des Gesehenen sind, obwohl es dasselbe Bild ist. Der Geist ist schnell und will die Dinge einordnen. Dem kann man an guten Tagen erfolgreich widerstehen.

Johannes Bobrowski

Bildergebnis für Johannes Bobrowski

Das Wort Mensch, als Vokabel
eingeordnet, wohin sie gehört,
im Duden,
zwischen Mensa und Menschengedenken.

Die Stadt
alt und neu,
schön belebt, mit Bäumen
auch
und Fahrzeugen, hier

höre ich das Wort, die Vokabel
hör ich hier häufig, ich kann
aufzählen von wem, ich kann
anfangen damit.

Wo Liebe nicht ist,
sprich das Wort nicht aus.

Hohelied

So! Jetzt sind sie wieder da! Die „Großen Ferien“! Ich wünsche allen 20 Millionen Urlaubsreisenden (allein nach Mallorca?) viel von all dem, was gebraucht wird im unnachgiebigen Zusammenrücken zwischen Stau und Badestrand, wieder strengeren Kontrollen am Brenner und was man nicht alles mit halbem Ohr hört wegen den notwendigen Graden des Unbeteiligtseins. Aber Wirkung des Geschehens, wir erinnern uns an den Wimpernschlag, der eine Tsunamiwelle auslösen kann, ist man auch nicht immer, denn wenn ich zum Beispiel als leidenschaftliche Landpomeranzin in die Stadt fahre, um mich dort mal ungestört umzuschauen, mache ich das meist in den Großen Ferien. Es gibt Parkplätze und man sieht auch mal etwas, was man sich aneignen möchte und es auch tut. Wahrscheinlich sind bis heute Mittag eh schon fast alle, die können, weg, weil ich mal gehört habe, dass man fast überall ab Samstagmittag buchen muss in den anarchischen Welten der Touristenbewegung, bis sich vielleicht eine Gegenbewegung aus den besuchten Völkern anbahnt, die als Botschaft an weitere Generationen ihr Erkennen, dass keine massive Aufstockung der Finanzen alles rechtfertigen kann, weitergibt. Ja, wo ist denn mein Land, wo meine Leute…wann war das, als noch nicht alles verbaut und verstellt war und es noch Trinkwasser gab für die Einheimischen? Ich wünsche also vor allem den Leuten auf und aus Mallorca (und Indonesien usw) alles Gute und wenig Schaden für ihren Einsatz, sich gegen das Unerträgliche zu wehren und selbst Klarheit darüber zu erlangen, wie es einmal gemeint gewesen hätte sein können, bevor es ausartete. Aber zurück zu heute, denn, wie ich unterwegs zu schnellem Einkauf vernehme, ist nicht nur Straßenverstopfung im Gange, sondern Kardinal Meisner, bzw seine stattliche Hülle, wird von irgendwo hergebracht und im Dom zur letzten Ruhe gebettet. Was heißt hier Ruhe? Kardinal Wölki sagt  im Autoradio auf dem Dauerbrenner WDR5, jaaa, bei allem, was so auch war, denn er war ja jahrelang …Sekretär? bei Meisner und sie kannten sich gut, ja, da gab’s schon dies und jenes, und der Kardinal kannte ja seine Schwächen, behauptet Wölki, war aber, wie er, Wölki selbst, ein unverbesserlicher Optimist in Richtung „ewiges Leben“, denn wer will schon nur Asche sein im Wind, nein, das will man doch nicht! Alles vergeht einmal, erzählt Wölki, selbst der Grabstein verwittert, aber die Seele!!!, nein!!!!, die geht in den Himmel zum Herrn, wo Meisner jetzt wahrscheinlich schon ist und mit der gebührenden Gelassenheit  auf das hektische Ausmaß seiner Trauerfeier blickt. Er hatte immer so ein kleines Kästchen bei sich, höre ich vom noch lebenden Kardinal, das nannte er scherzhaft seine „Bundeslade“, da waren so Orden drin, wichtiges Zeug, mit dem der Mensch Meisner vielleicht hoffte, sich als fluide Seele im Oben ausweisen zu können, denn ja, er war strittig, aber es gab wohl auch einige, die ihn mochten. Kardinal Wölki ist unfähig, daran zu zweifeln, dass er Meisner, oder was auch immer von dem dann übriggeblieben ist,  dort beim Herrn einst treffen wird. Kardinal Marx ist auch eingeladen…(!?!??) Gut, was geht’s mich an. Die Herren und ihre Gemeinde werden mich eh‘ nicht daran hindern, meine Gedanken in die Welt zu streamen, jetzt, wo endlich auch zwei Väter mit ihren Kindern und zwei Mütter mit ihren Kindern in die Ferien fahren können… obwohl ich mich schon ein wenig beklagen könnte, dass man uns unverheiratete Frauen so gar nicht bejubelt hat! Das fehlt noch! Oder spüre ich da immer noch so einen ganz klitzekleinen Restbetrag von Rechtsdenken, ich meine hier nach rechts, also weg von der Herzgegend und rein in den rassistischen Hintergedanken? Mmmmmhhhhh? Deswegen singe ich jetzt ein Hohelied auf unverheiratete Frauen, die gegen keinerlei Gendervarianten irgendwas haben, und grundsätzlich nichts gegen Frauen und Männer, sondern die sich einfach Heirat gar nicht vorstellen können und allen Angeboten mühelos widerstanden haben. Auf diese Gruppe in der Geschichte der Menschheit singe ich heute ein Hohelied: lange mögen sie leben und sich vermehren.

Das Bild zeigt eine unverheiratete Frau, die prüfend in die Vergangenheit starrt.

Frage-Zeichen

Letztendlich kann jedes Ding, jedes Wesen, jede Form der Manifestation reflektiert werden. Es gibt ja keinen Reflektier -bzw Denkzwang in unserer demokratischen Gesellschaft, sondern jede/r kann und wird sich entscheiden, was er oder sie reflektieren will oder nicht. Ich kann mich zum Beispiel fragen, was ich sagen will und sitze praktisch direkt im Prozess der Ausrichtung. Im Vorfeld allerdings habe ich schon eine Möglichkeit erschaffen, auf die ich jetzt zugreifen kann. Es geht um Fragen und ergab sich folgendermaßen: die Zeitungen, die ins Haus schneien, muss man ja auch irgendwann wieder entsorgen. Man blickt nochmal schnell drüber über alles, was man nie lesen wird oder schneidet dies und jenes noch schnell heraus. Und so ist mir bei dieser Handlung auf der Basis eines gemeinsamen Projektes in unserem Haus über die Kunst und Fähigkeit, auf Fragen spontan zu antworten, aufgefallen, dass es in den Zeitungen auch ganz schön viele Fragen gibt. Ich lasse also den kleinen  Stapel sinken, um mal nachzuschauen. In kürzester Zeit hatte ich mehr Fragen als vermutet und habe nun vorübergehend eine Fragenmappe angelegt, wo sich die Fragen bereits anfangen zu stapeln. Auch geben sie, nun aus dem Kontext des Textes genommen, Anregungen zu eigener Deutung bzw. können durchaus auch tiefe Einblicke in die Psyche ermöglichen (siehe oben in den Bildern mit zwei Fragen aus der „Zeit“, und in der Mitte die Milchstraße), oder ganz einfach die Freude an anregendem Spiel oder einer surrealen Frage, wie sie hier neben mir liegt, „Kann eine Zugfahrt durch Russland ein Raubtier erlösen“? Eine wunderbare Frage, weil man sofort erkennt, dass man darauf keine Antwort findet. Es macht den surrealen Gehalt aus, weil man d o c h  Zugang hat zu dem Satz, nur auf einer anderen Ebene. So habe ich mich nun erfreut an dem Gedanken der unendlichen Vielfalt der Fragen und der Quelle, aus der sie alle herausgezeugt werden, aus welchen Gehirnen und Gründen auch immer. Auch ist es ja nicht nur unterhaltend, sondern auch förderlich für die eigene Befindlichkeit und Schulung.

Nun gebe ich gerne einige meiner gesammelten Fragen zum besten (übrigens alle entweder aus der Zeit oder der FAZ), und muss schon eine gründliche Auswahl treffen. Ich entscheide mich für elf, das wird schwierig, weil durch die verengte Auswahl etwas von mir sichtbar wird, als hätte etwas es verhindern können. Meine Furcht ist ja eher, dass die Art meines Humors nicht durchsickert, wenn er sich bei mir aufzuhalten geruht.  Hier also die versprochenen Fragen, es sind dann doch 15 geworden:

*Wo kommst du eigentlich her?
*So wird’s nie wieder?
*Wer kümmert sich?
*Im Namen des Vaters?
*Hat Adorno geweint?
*Was wollen wir tun?
*Fällt nicht um, warum?
*Kann es sein, dass die Institution der Ehe überholt ist – genau in dem Moment, da es endlich die Ehe für alle gibt?
*Was vergessen?
*Kann denn Grillen Sünde sein?
*Das Ende der Welt, qui sait?
*Was würde Jesus dazu sagen?
*Wie schreibt man über sein Leben?
*Was, wenn es knallt?
*Wie wird man eigentlich…?

**********************************Und natürlich ein Gruppenfoto der Erwähnten:

..und wenn mal jemand eine Frage braucht….gerne…

tote Ecken

Tote Ecken kennt man ja auf verschiedenste Arten und Weisen. Die einfachste Variante ist wahrscheinlich das Staubsaugen, wenn man hofft, dass das Gerät auch da herauspustet und an sich nimmt, was nur durch sehr viel Aufwand zu erreichen wäre, zu dem man nicht immer bereit ist. Oder die toten Ecken in den Bücher-und Kleiderschränken, wo sich lange nichts mehr bewegt hat, aber wo man immer wieder zulässt, dass etwas aus dem lebendigen Gebrauch fällt, was dann mit der Zeit eine gewisse Schwere an sich haften hat, da es nur noch aus Haftung besteht. Dann gibt es die toten Ecken in der Geschichte, und auf einmal, wenn sich wieder etwas bewegt, fällt Licht auf die Ecke, und wenn da dann was lange Verborgenes herumliegt, kann es auch ziemlich erschreckend sein, wie die Filmrollen zum Beispiel, die man aus dem Warschauer Ghetto gefunden hat und verstanden, dass das Entsetzen  selbst sich in die Ecke flüchtet und sich tot stellt. Oder man erfährt durch Belichtung einer toten Geschichtsecke, dass in Wirklichkeit alles ganz anders war, als viele dachten oder hofften.. Oder Dinge nisten sich ein und versuchen, das zu beleben, was man nicht totglauben kann wie zB. die mir neu vorkommende Nachricht, dass Luther an Hexenverfolgungen beteiligt war, der Gute. Wie geht das? Irgendwann merkt man dann, dass das Staubsaugerrohr eben nicht in alle Ecken kommt, man muss rücken und genau hinschauen, wo sich das Ganze festgesetzt hat, was man zu übersehen neigt. Oder die Maus setzt ihren Cursor ein und wittert und beschnuppert das Material auf seine Verwertbarkeit. Ist also zB der Besuch von Donald Trump jun. bei der russischen Anwältin ein toter Winkel, in dem der große Happen nicht zu finden war, oder nährt sich hier bereits die Substanz der Amtsenthebung? Und in den eigenen psychischen Aufenthaltsorten kennt man doch selbst das Totgeschwiegene, von dem man nicht weiß, ob es noch Worte braucht, damit es in den lebendigen Strom einfließen kann. Leichen haben bekanntlich beachtliches Gewicht. Natürlich gibt es auch kein Gesetz und keinen Diktator, der einem befehlen kann, die toten Ecken ans Licht zu bringen, damit ersichtlich wird, was drinsteckt. Aber ich denke, dass sich mit der Zeit alles meldet, was sichtbar werden will, und dann muss man schauen, ob man die Kraft und die Reife hat, es zulassen zu können. Es gibt ja auch die lebendigen Felder wie die Himbeerfelder, die gerade draußen im Wald in voller und einladender Frucht stehen. Auch hier sieht das Auge hinter der Fülle noch mehr Fülle, in die der menschliche Fuß ungern vorstößt, weil sich Zecken und Dornen im Gebüsch tummeln. Oder man sieht vom Flugzeugfenster aus mit tiefer Beruhigung, dass es noch Gebiete gibt, zu denen kein Mensch vordringen kann. Aber vielleicht ist auch das eine Illusion. Dann kann man sich immer noch an den Wolken erfreuen, wenn sie dicht und geheimnisbeladen vorüberziehen, bis der innere Gong wieder zurückholt in die  Korridore.

gerecht

 

Auch sollte man einmal im Leben von Aristides de Sousa Mendes, einem portugiesischen Diplomaten, gehört haben, vor allem wenn man sich, wie Gottfried Benn in seinem Gedicht „Ich habe Menschen getroffen“, wundert, woher das Schöne und vor allem das Gute kommt, und es wie er bis heute nicht weiß. Als wir neulich in heller Begeisterung über die Kunst in der  Metro-Station in Lissabon nach dem Künstler forschten, entdeckten wir am dritten Tag diese Medaille oben links in einem sorgfältig gesichterten Glaskasten in eben dieser Metro und dachten, endlich den Künstler gefunden zu haben .
Aber es war de Sousa, der als Generalkonsul in Bordeaux im Zweiten Weltkrieg 30 000 Menschen, darunter 10.000 Juden, das Leben rettete. Er gilt als einer der Gerechten unter den Völkern und wird auch der portugiesische Schindler genannt, wobei Schindler ja mehr in sein Gutsein hineinschlidderte und nicht mehr herauskam, de Sousa aber in erstaunlichster Weise im Gutsein verankert war. 1940 galt Portugal als eines der letzten Zufluchtsländer, und eine Flüchtlingswelle schwappte in die noch nicht besetzten Gebiete Frankreichs, und die Menschen brauchten ein portugiesisches Visa, um über Spanien, in dem Franco saß, nach Portugal zu gelangen.  De Sousa ließ über einen Rabbiner ausrichten, dass er allen Flüchtlingen ausnahmslos ein Visa ausstellen würde. Was mich persönlich an dieser Geschichte beeindruckt hat, war, dass er persönlich zu einer Zweigstelle des portugiesischen Konsulats reiste und dort einem Beamten befahl, jedem ein Visa auszustellen. Als die Regierung davon erfuhr, wurde er entlassen, verteilte aber auf der Heimreise weiterhin Visas an Flüchtende und nahm auch Menschen in seinem Auto über die Grenze mit. Man kann das ja nachlesen und  auch, wie seine Existenz anschließend durch die Regierung von Salazar vernichtet wurde. Die jüdische Gemeinde unterstütze ihn und verhalf zwei seiner Söhne zu einem Studium in Amerika. Später nach seinem Tod in Lissabon wurde er durch die Bemühungen seiner Kinder rehabilitiert. Die Gedenkstätte Yad Vashem ließ 1966 eine Gedenkmedaille prägen. In der Negev-Wüste wurde ein Wald mit 10 000 Bäumen nach ihm benannt. Weitere Ehrungen folgten, aber das gehört ja dann zu anderen Ebenen und weiteren Geschichten, die seiner erschreckenden Demütigung unter dem Diktator und seinem Sterben in Not und Armut keine Linderung brachten, vielleicht aber seinen Kindern und Enkeln, die noch irgendwo in der Welt zuhause sind.

 

pictures

Es ist ja jetzt für niemanden auf dem Planeten mehr etwas Neues, dass Smartphones nicht nur allgegenwärtig sind in der Allzeitbereitschaft, kontaktiert oder „aufgenommen“ zu werden, sondern sie haben es in der Tat phänomenal leicht gemacht, eigenes Leben vom jeweiligen Standort aus direkt weiterzugeben. Auffallend ist auch, dass die meisten Menschen, die ich zum Beispiel auch in Portugal beobachten konnte, gar nicht mehr wirklich zuerst auf das Original schauen, sondern sie halten einfach so ziemlich alles fest in der offensichtlichen Überzeugung, die Erfahrung, die ja gar nicht stattgefunden hat, in der Tasche zu haben. Also unkreativ und hemmungslos photographierte Sachen zum Beispiel von einem Urlaub sind vielleicht so interessant wie die Alben, die ich öfters mal in Indien durchstehen muss, wenn mal wieder eine Tochter oder ein Sohn geheiratet hat, und alle davon ausgehen, dass ich aus der Bewunderung der irren Pracht gar nicht mehr herauskomme. Ehrlichkeit kann ja sehr schmerzhaft sein, man lässt das dann lieber, wenn es nicht so wichtig ist und konzentriert sich eher darauf, durchzuhalten nach dem unsterblichen Motto „This, too, shall pass“. Ich habe mich schon auch mal gefragt, was die Leute denn dann so alles machen mit den immer mehr werdenden Momentaufnahmen, da alle Anderen ja auch nicht müßig waren. In den Anfängen meines Indienaufenthaltes wurde mir von Indern das Verbot des Photographierens an heiligen Plätzen oft so erklärt, dass mit einem Photo etwas vom Original „genommen“ wird, was dann zum Verschwinden der Substanz führt. Auch das muss leider nur eine Idee gewesen sein, denn sonst wäre vieles nicht mehr übrig, was man noch wegphotographieren kann. Und dann wiederum gibt es bestimmte Augen hinter der Kamera von Künstlern der Sicht, die dem Original noch etwas hinzufügen, nämlich ihre eigene Wahrnehmung der Dinge, das kann schon sehr beeindruckend sein. Sie haben noch ein schwierigeres Problem zu bewältigen, denn wenn so viele der Aufnahmen einfach gut sind und andere Menschen sie sehen sollten, dann hat der/diejenige weitere Schritte zu bedenken, die möglicherweise anstehen. Jede/r hat wahrscheinlich eine andere Art, mit dem Aufgenommenen umzugehen. Seit ich diesen Blog mache, steigt meine Freude am „Bilderhinzufügen“. Ich fühle mich nicht mehr so frei wie am Anfang, als es mir wichtig war, keinen Zusammenhang herzustellen zwischen Text und Bild. Das ist jetzt vorbei, aber die Komposition ist doch immer spannend, und für mich muss sie ziemlich mühelos sein. Mir geht es nicht so sehr um gute Photos, sondern um etwas, was sich für mich als „stimmig“ zeigt, auch gern mal im Kontrastprogramm. Ich finde diese handlichen Smartphones für Bilder auch ganz gut. Wenn man die Kamera nur zückt, wenn man in eine Berührung mit was kommt, werden es auch nicht so viele. Man lernt was von sich. Zum Beispiel habe ich in der letzten Wohnung in Portugal ein paar Dinge photographiert, die mich entzückt haben. Vielleicht war es mehr so ein graphischer Blick, der hier hantierte, aber es war auch etwas Portugiesisches, was durch diese Photos für mich spürbar wurde. In meinem gestrigen Beitrag, als ich nach der „Schublade“ suchte, die in derselben Wohnung war, habe ich nochmal die anderen gesehen und mich erfreut. Hier sind noch zwei aus dem portugiesischen Damals:

Im ersten sieht man den Lichtschalter, das andere ist die Bedienstetenklingel.
Rechts ein kleines marmornes Waschbecken zum Händewaschen in der Küche.

Senf

Manchmal kommt am Wochenende eine FAZ in unser Haus, immer eine angenehme Abwechslung zur „Zeit“, die zum Glück nur einmal in der Woche erscheint und schon genug Mühe macht. Man kann ja nicht immer gleich das Feuilleton und das Zeitmagazin herausfischen und so tun, als gäbe es den Rest nicht. Viel kluges Zeug, meine Güte! Und wer will nicht durch sorgsames Lesen z.B. erfahren, welche Sprache ein Anderer oder eine Andere für die Sprachlosigkeit gefunden hat. Dann gibt es in der FAZ am Wochenende die Ecke mit den Gedichten. Sofort konzentriert sich mein Blick und will hören und hofft, dass was innen sich regt. Unter „Frankfurter Anthologie“ gibt es zum Gedicht eine Erläuterung, die man öfters gerne als das Gedicht selbst gelten lassen würde, denn da müht sich jemand souverän, Licht ins Dunkel zu bringen. Joseph von Eichendorff!!! Schon darf man eigentlich nichts mehr sagen, weil es ja Eichendorff ist. Weiß man überhaupt was von ihm? Hat man nach der Schule mal wieder was von ihm gelesen? Null Erinnerung. Bleibt die Erfrischung (der Erinnerung) durch das Lesen. Also Josephs Liebste (in: „Das zerbrochene Ringlein“), ist von dort verschwunden, wo sie gewohnet hat, und dadurch brach sein Ringlein entzwei. Ich habe diesen Beitrag von mir „Senf“ genannt, weil ich meinen Senf zu den 3 letzten Strophen des Gedichtes geben möchte. Joseph möchte also als Spielmann reisen in die weite Welt hinaus : (ja, dann lebwohl!?). und er möchte seine Weisen von Haus zu Haus gehend singen (was soll das denn!, und wenn es so dringlich ist, was hält ihn ab??) Dann will er aber auch als Reiter in die blut’ge Schlacht ziehen (hätte er sich dunklen Horden angeschlossen?, und gab es die damals nicht??). und stille Feuer will er legen im Feld bei dunkler Nacht (!!!!!!?????) (Schade, dass man ihn nicht fragen kann, was er damit gemeint hat). Dann weiß er gar nicht mehr, was er will, sondern möcht‘ am liebsten sterben, weil’s dann auf einmal still wär!……Ist Joseph nun ein hoffnungsloser Romantiker oder ein Gefährder!? Oder ist er so aus der Zeit gefallen, dass man ihn gründlich missverstehen muss!? Was, wenn eines Tages ein junger moderner Mensch, der Eichendorff in der Schule auswendig lernen musste, später behauptet, der wollte doch auch in die blutige Schlacht ziehen oder ein Feuer legen im Feld bei dunkler Nacht, na sowas! Das ganze Gedicht heißt also, wie erwähnt, „Das zerbrochene Ringlein“ und kann sicher mühelos im Netz gefunden werden. In derselben Ausgabe der Zeitung (bzw. zwei Blättern des Feuilletons) gab es noch ein paar schöne Titel, zB „Hinter tausend Gesichtern kein Mensch“, oder „Befreiung des Denkens“, oder „Der heilige Geist ist gegen ein Rauchverbot“, oder eben „Grundbuch des Liebesverlusts“, der Titel der Erläuterung von Joseph von Eichendorffs Gedicht. Vielleicht ändert sich ja auch mit der Zeit die Sprache der Grundbücher. Wenn man mal Senf dazugeben möchte, soll man nicht allzu tief grübeln, weil es dann irgendwann kein Senf mehr sein kann. Dann gab es noch auf diesen Seiten der FAZ ein Bildchen, das mir gut gefallen hat, ein „Trompe l’OEil, ein Augentäuscherlein, also tatsächlich mit Öl gemalt von einem Gaspard Greslys, nie gehört (18. Jahrhundert). Kostet im Moment 10 000 Euro. Da sehe ich auch einen Schuss Eichendorff drin, und jetzt ist Schluss, sage ich mir. Immerhin lächle ich vor mich hin. Das Greslys Bild kann man oben bewundern. Links davon ist das Photo einer Schublade, das ich in Portugal gemacht habe.

Bildergebnis für senf dazugeben

Wenn also Senf-dazu-geben einer heiteren Entscheidung entspringt, kann es durchaus einen Nu lang vergnüglich machen. Man weiß, wie hier für mich mit Eichendorff, dass ich eigentlich keinen blassen Schimmer von Eichendorff habe und gewiss kein Recht beanspruche, ihn im poetischen Elysium zu stürzen, aber ich kann mich sehr wohl mal darüber wundern, was ein verehrter Dichter schon mal so alles vor sich hingeschwafelt hat. Zum Glück gibt es auf dieser Ebene wenig Shitstorms.

Elke Erb

Ähnliches FotoBildergebnis für Elke Erb

Winkelzüge

Wie gutwillig ist ein Mensch?
Er fällt hin, etwas wirft ihn nieder
mit eigener Kraft.

Es überrascht ihn. Er ahnte nichts.
Er erfuhr etwas, es entsetzte ihn,
er konnte es sich nicht verbergen.

Er wollte es sich nicht verbergen.
Es nicht beschönigen. Sich nicht hüten.

Vor dem Zusammenbruch?
Ja, hätte ich ihn verhüten können?

Das ist es ja! Er war nur die Folge.
Nicht die Ursache. Ich sammelte Kraft,

nicht entsetzt zu sein. Zu begreifen.
Ich kann nicht begreifen, was mich nichts angeht.
Ich sammelte Kraft, ich sammelte es.

Seinen Zusammenhang.
Was es bedeutete. Was es mich anging.
Bis es reichte und mich umwarf.

Jahre später habe ich ein anderes Niederstürzen
nachträglich so begriffen:

Das Bewußtsein, die Besonnenheit, Besinnung,
das Denken, die Intelligenz, die Vernunft (?),
die Sicherheit, die Fähigkeit, unbeirrt zu kombinieren,
zu verarbeiten,
zu erkennen,
-tritt von selbst zurück!
Sie wird nicht überrumpelt!
Sie tritt von selbst zurück – um den Schock zu erfahren…

 

Seins/hin/ein-weisen

Das linke Bild ist ein Fremdling aus „43 Sichtweisen“, und rechts ist eine Großfamilie
in Lissabon, die mir ins Auge fiel. 9 wirre Küken ständig im Schlepptau, das ist auch
kein Klacks. Und man kann so selten vermitteln, was und warum einem was ans Herz
greift, denn die Dinge sind zum Glück auch flüchtig, und was sich an Lebendigem im
Inneren vollzieht, hat seine eigenen Gesetze, die den geschriebenen Gesetzen der
Gesellschaften nicht immer Folge leisten. Dann gibt es die Geister: die Geister aus
Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart. Daher ist es auch schwer bzw. unmöglich,
unter Demonstranten wie jetzt z.B. in Hamburg, zu sehen, aus welcher Zeit heraus sie
agieren, aus welchen Traumata, aus welchen besiegelten Schicksalen, die keiner mehr
nachvollziehen kann oder will. Man muss ja nicht unbedingt in Angstzustände ausbrechen
bei so viel Vernichtungsbereitschaft, aber beunruhigen darf es schon. Ich wäre auch ganz
schön beunruhigt gewesen, wenn ich in Martin Luthers Zeit gelebt hätte in dem Wissen,
dass dieser schlechtbelichtete Kerl an Hexenverfolgungen beteiligt war. Muss ich noch mehr
von ihm verstehen? Wenn solche immer wieder stattfindenden Exzesse nach bitteren und
erschrockenen Einsichten zu mehr Wachsamkeit führen statt zur Ablehnung der Menschheit,
ist schon was gewonnen. Aber für welchen Preis? Die Gewalt war immer da, der Preis war
immer hoch. Auch Moralvorstellungen sind so stark kulturell bzw. meist religiös geprägt,
dass sie vor allem in multikulturellen Systemen kaum mehr anwendbar sind. Auch gilt es zu
erkennen, dass es in religiös geprägten Kulturen, was ja die meisten sind, die moralische
Latte so hochgestellt wird, weil das von vorneherein gar nicht Erreichbare zu schuldigen
Gefühlen führt, die viel besser kontrollierbar sind als ein humanes Vertrauen in die
Fähigkeiten der Menschen, sich selbst zu organisieren, wenn ihnen ein Raum dafür ermöglicht
wird. Auch den noch tagenden G20 Gipflern steht ein Raum zur Verfügung, aber man versteht
schon auch ein paar Demonstrierende da draußen, die ihren Unmut zeigen über zur Zeit
herrschende Irrfahrten. Und wenn (zum Beispiel?) Millionen von Menschen durch ein paar
Übereinstimmungen vom Hungerstod bewahrt werden könnten und man nicht erwarten kann,
dass sich das bei aller anwesenden Macht umsetzen lässt durch die sogenannte herrschende Riege,
dann ist Sprachlosigkeit mit Fragezeichen schon mal angesagt. Da könnte einem echt der Bissen
im Hals stecken bleiben.

*************************************************************************************************************************************************************************************

Mein Rätsel war nicht leicht, hier die Lösung: die Treppe führt in „Moyland“ zu einer Ausstellung von Joseph Beuys.

 

 

dunkles Hell

Obwohl sich östliche Lehren, vor allem die indischen, extrem unterscheiden können (auch nur scheinbar), so kann man doch einige Einstellungen überall finden. Zum Beispiel gibt es die Aufforderung, alles aus vergangener Geschichte  „einfach“ zurückzulassen und wie frisch und neu in das Angebotene einzusteigen und Nutzen davon zu nehmen für eine veränderte Lebensgestaltung. Bis zu einem gewissen Grade kann so eine Ausrichtung ja auch sehr förderlich sein, wenn man nicht der Neigung verfällt, alles für bare Münze zu nehmen, sondern den eigenen kritischen Geist mit dem neuen Stoff in kompatibler Ausgewogenheit zu halten vermag. In Wirklichkeit waren die meisten von uns gar nicht in der Lage, rechtzeitig die Gefahren östlicher Weisheitslehren richtig einzuschätzen, und wer wäre nicht liebend gern sein „Ego“, also das Ich, mit dem er da angetanzt war oder das er hergeschleppt hatte, schnurstracks losgeworden. Die Schulen und Ashrams, die in Indien vor allem wegen heranströmenden Westlern zu grenzenloser Bedeutsamkeit hochblühten, wurden von Menschen gelenkt, die verblüfft vor diesen seltsamen Naivlingen saßen, die ihrer Meinung nach nichts anderes im Kopf hatten als unzüchtiges Denken und überhaupt an Unreinheit kaum zu übertreffen waren. Später, oft sehr viel später, konnte man überraschende Wendungen sehen, denn die Inder hatten zwar die tiefe Verehrung des Göttlichen intus, aber die Westler saßen auf einmal auf den „Gaddis“, also den ebenfalls hierarchisch hochgestellten Sitzen, und lehrten das Gelernte, bzw lehren es noch heute mit betäubender Vielfalt, die von keinem Menschen mehr eingeschätzt werden kann. Jetzt kam es aber dazu, dass einige der immer wieder in den Westen Zurückkehrenden feststellen mussten, dass das Über-die-Schulter-werfen der eigenen persönlichen Geschichte  gar nicht gelingen konnte, da unser „Ego“, also das westliche Ich, hier im Westen sehr gründlich erforscht wurde und zu ausgezeichneten Ergebnissen kam, wovon die Inder nur träumen können, jetzt, wo die Götter immer mehr abrücken vom Menschengetümmel, der Mensch aber gar nicht geschult wurde im Erkennen seines eigenen, persönlichen Lebens. Kann sein, dass wir, die gerade lebenden Generationen, die letzten sein werden, die noch mit Spuren einer Belastung zu tun haben, die Kriege so mit sich bringen, bis man irgendwie gelernt hat, die abgrundtiefe Schwärze eines mitschwingenden Bewusstseins umwandeln zu können in Bilder und Worte, die ein schwer lagerndes Erbe belichten und das in adequatem Umgang und entsprechender Umgebung zur Sprache, also ins Verständliche, kommen kann.. Natürlich kann man das auch alles mitlaufen lassen und als ein Drunter und Drüber des Lebens deklarieren: that’s life! Ich bin heute froh, dass Sigmund Freud sich so ehrenhaft abgestrampelt hat mit seinem präzisen Vorgehen in der menschlichen Psyche, auch wenn ihn die Irrtümer bald eingeholt haben, und auch er, genau wie die wachen Inder, auf die andere Seite der Welt schielen musste, wo vollkommen andere Wege zum selben Ergebnis führten. So danke ich es trotzdem diesen erschaffenen Wegen, dass sie für einige Zeit hilfreich und begehbar sind, bevor man in der Lage ist, die volle Verantwortung für eigenes Schalten und Walten zu übernehmen, und sich dadurch auch in direkter Verbindung zu Anderen findet.

 

  • Die Zeichnung, oder Pinselei, wie ich sie nenne, stammt aus meiner Arbeit „war Krieg“. Die Treppe, hier ein kleines Rätsel, ja wo ist sie denn, und wer sie erkennt, kriegt natürlich einen Preis, darüber muss ich natürlich noch nachdenken. Auch wer sein Ich schon losgeworden ist, soll sich melden. Ich hole dann meinen Kompass.

Sommer

Sommer – langer Gedankenstrich.
Verlorenes Recht auf Grün…(?)
Staunen am Rande des Menschenteichs.
Tiefe durch Farbe und Spiel.
In den düsteren Zonen der Welt
bilden sich Hunger und Leid
als ein Weg. Ich wandere entlang
auf dem Holodeck in der Liebe,
die keinen Zustand bespricht, und
frei ist von Wunsch und von Warten.
Als endlich wieder Sommer war
und alle im Verdruss des großen
Weltproblems – Verhältnis zwischen
Mensch und Mensch – erstarrten.
Egal, wie man es sieht: es dürfen
immer nur die Wenigen
wachsam
und leise
an den Teichen stehen.

komplex

Der Mensch ist komplex, kein Zweifel. Auch die Dinge sind komplex, wie man an der Muschel oben sehen kann. Da kann es ein Mehr oder ein Minder geben, aber die Tatsache bleibt dennoch bestehen. Graf Kayserling, wer immer er gewesen sein mag, hat den deutschen Menschen mal als eine „Monade ohne Fenster“ beschrieben.  Dass es Zeiten gibt, wo dieser innere Aufenthalt dringlich zu neu installierten Fenstern und Türen führen kann und muss, ist auch sichtbar. Dazu kommt, dass Menschen auf kulturelle Weise komplex sind. Hindus zum Beispiel kann man nicht auf dieselbe Weise als „Monaden, also geschlossene Systeme oder Einheiten, bezeichnen, außer vielleicht, dass sie sich (bis vor Kurzem zumindest) in einer ganzheitlichen, göttlichen Monade zusammen anwesend  gefühlt haben. Auf jeden Fall taucht hier wieder die Frage auf, ob es tatsächlich diesen Quantensprung über den kollektiven oder persönlichen Tellerrand wirklich gibt, basierend auf der Bereitschaft, sich mit anderen Menschen soweit auseinander zu setzen, dass die unendliche Vielfalt, aus der die Monade besteht, sichtbar und zu einem gewissen Grad auch verständlich werden kann. Die Komplexität eines Systems gestaltet sich m.E. aber auch aus den eher ungünstigen Eigenschaften wie zum Beispiel das Beharren auf einer festgelegten Geschichte oder Identität, die dem Fluss des Geschehens oft nicht gerecht wird, auch nicht gerecht werden kann, da wir, etwa bei Störungen oder Hindernissen etc,. damit beschäftigt sind, den Störungen auf den Grund zu gehen. Diese Fähigkeit oder dieses Interesse, den Dingen auf den Grund zu gehen, ist etwas, was entweder aktiviert oder gelernt werden muss, da die Erscheinung dualer Verhältnisse letztendlich das Übungsfeld für die eigene Wahrnehmung und Gestaltung ist. Auffallend ist auch, dass diese dadurch entstandenen „Werteskalen“ dann zu Selbstüber-und unterschätzungen führen können, aber auch zu einer größeren Ausgewogenheit auf der Achse der eigenen Extreme zwischen den Licht-und Schattenseiten. Diese kann dann als eigener Kern empfunden werden, belastet man ihn nicht weiterhin mit Identitätsformaten, die sich immer wieder auf unermüdliche und anstrengende Weise erklären und erfassen müssen. Ob es ein „Sein“ an sich gibt, wo man dem eigenen System zutrauen kann, dem mir Entgegenkommenden auf adäquate Weise Resonanz zu geben, ohne von fixierten Einstellungen geprägt zu sein, bleibt zu sehen. Und auch, ob die Überforderungen des planetarischen Geschehens einen persönlichen Zustand „freischwebender“, lebendiger Offenheit dem Dasein gegenüber gewährleisten können.

lösen

Komplexe Probleme erfordern zumeist komplexe Lösungen.

Verstehen und Forschen werden oft
doch versehentlich allein
vorangetrieben:
Was hat das nun mit einer Übung in
Mitmenschlichkeit
zu tun?
Viele Menschen sitzen in der
Freiheit mit
Muffensausen.
Der Verdacht vergiftet den
Profi, der meistens
jenseits von einem Warum
erwartet, dass Andere tun,
was man selbst (nicht)
will. Stimmt’s?

Manchmal hat man keine Worte. Manchmal will man keine Worte. Manchmal widersteht man den Worten. Dann kann es passieren, dass der Blick auf eine Zeitung fällt, die haben ja auch welche. Man schaut mal nach, was die so für welche haben. Man nimmt ein paar an sich, und da fängt es schon an. Etwas konstruiert sich, automatisch bewegen sich Hände mit einer Schere in den Blättern herum. Noch bevor es nach irgendeinem Sinn strebt, haftet schon ein Sinn an der Neugeburt. Da ist niemand, der vorschreibt, niemand, der etwas diktiert, sondern das System erschafft sich Zugang zum Netzwerk. In derselben Zeitung das Bild von Sigmar Polke. Passt. Wer weiß schon, was zu was passt, und unter welchen Bedingungen.

 

******************************************************************************************************************

zumuten

Der linke Text oben ist mir (wie das so ist, wenn man von beschriebenen Blättern umgeben ist), heute früh über den Weg gelaufen, wenn man das über ein Blatt sagen kann, und ich kenne diese Worte schon ziemlich lange (und weiß leider nicht mehr, von wem sie sind). Und plötzlich nehmen sie andere oder tiefere Bedeutung für einen an, oder man versteht etwas, was tiefer einsinkt in die momentane Befindlichkeit…Dann sehe ich auch immer wieder, dass die gedankliche und körperliche oder auch virtuelle Materie zusammengefügt werden kann zu etwas, was völlig neue und vielseitige Deutung zulässt und ermöglicht, wenn das nun das Thema wäre. Auch der „Text“, den ich hier als rechten Flügel des Bildes nochmal verwende, hat sich mir durch Zufall eröffnet, nämlich dass das ichundich das Ich und das Du (dich) enthält in höchst verbindlicher Weise. Auch als zwei Ichs mit einem unabhängigen „und“ verbunden, ergäbe es in gewissen Kontexten einen Sinn. Man ist doch immer mal wieder verblüfft, wenn man sich in die Sphäre der Ichgestaltungen begibt und die Frage auftaucht, wie weit eigentlich das Konstrukt der eigenen Identität reicht und ob es den Ort gibt, wo es endgültig in eine Befreiung davon mündet. Aus „es“ soll „ich“ werden, oder ist das auch schon lange her und überholt von der Überichung der Zeit. so wie die illusionäre Sicherheit des Besserwissens, die uns allen so vertraut ist, wenn vor allem der Andere unseres Erachtens das mit Leid oder Muster befrachtete Ego sein muss, obwohl es auch nur das „Ich“ bedeutet und keineswegs, dass man sich gar nicht damit befassen kann, um es verständlicher und erträglicher zu machen. Dann wiederum scheint dieses letztendlich immer auf eine bestimmte Weise die Dinge und das Erleben deutende Ich doch in seinem ständigen und konstruktiven Erzeugen und Deuten der Gegebenheiten ziemlich (be)deutungsvoll gewebt, so, als könnte ich nicht anders sein, als ich bin. Das wäre mühsam zu leugnen. Und doch, und doch…erscheint mir der Ort, an dem ich flexibel und klar navigieren kann, eher zu sein wie ein leeres Blatt, auf dem nichts mehr geschrieben steht, was Bedeutung und Richtung erzeugt. Ein Aufenthalt im Nu, der nicht abhängt von egal welchen Selbstdeutungen, die wir dann hinter uns lassen können ….  vielleicht ein In-sich-ruhen im niemals zu Wissenden…

Es wird ja gern behauptet, dass die Angst vor dem Tod vieles in uns steuert und bewirkt, und das muss an der einmaligen Realität des Todes liegen, und die Gewissheit, die er naturgemäß mit sich bringt, obwohl die Stunde meist geheimnisumwittert ist. Nur die Selbstmörder und die Menschen in einem Hospiz sind mit der Endgültigkeit ihres Abgangs in Berührung. Allerdings sind beide Situationen vom Leiden so belastet, sodass sie keine Auskunft geben können über eine Möglichkeit des Seins, sich als Mensch eher lastenfrei im Ungewissen bewegen zu können. Wird etwas vorgeschrieben?

Friedrich Hölderlin

Bildergebnis für Hölderlin

Am Kreuzweg wohnt
und dicht am Abgrund die Halbheit
und gibt uns Rätsel auf. Wer aber muss
fallen?
Wir oder sie?
Da kann unser eigenes Wort uns
unten zerschmettern
oder uns hier ergänzen.

Kein leicht zu Sagendes.
Nämlich nur unser Leben
ist dieses Wortes Mund. Wo er sich auftut,
kann seiner Stimme Strenge gütiger sein
als jene lautlose Milde, die liebevoll
dich dich dich
und dich und mich und uns beide
vorüberführen will an der eigenen Antwort.

Nah ist und leicht zu lieben
die Lüge
und trägt einen bunten Rock
aus vielen Farben.
An uns aber liegt es, dass wir
nicht verlieren die Farbe unserer Würde,
dass wir nicht aufgeben
das Unteilbare:
unser eines angeborenes Recht.

Nämlich der es nicht hütet,
der büßt es ein,
denn leicht färbt ab auf uns,
auf dich sogar und auf mich
bis in die Herzen die Rostschicht,
die unsere Schwächen verdeckt,
die zähe falsche Haut
aus Staub und aus welken Blättern
des Vorsichhintuns.

Ein Wort aber könnte sein,
das risse sie weg,
das führte aus jedem
Verstohlensein deine Wahrheit
zurück in ihr Eigentum,
das immer noch du bist.

Sonst brächte kein Hauch mehr,
kein Wind von den Gipfeln der Zeit
dir Linderung,
und keine Ahnung des Seins
von dem, was sein könnte
schenkte die Wahrheit dir wieder:
Nur sie kann du sein.

Denn das meiste
ertrotzt sich der Mensch nur mit Schmerzen.
Auch du bestehst nicht quallos
im Gegenwind deiner Zeit.
Doch wenn du
nicht mehr du sein wolltest
wenn du nicht länger
stündest zu dir,
die du bist,
und auch nicht länger
zu deiner Freiheit,
und nicht mehr
zu denen, die in dir wohnen
den Richtungen deines
eigenen Bildes…
was
dann
zwischen den Trümmern
bliebe von dir
und von einem
der dich kennt und
dich liebt?

Die Zeichnung von Hölderlin ist von Armin Mueller-Stahl

Wo…..

Die schwarzen Samenhüllen auf dem ersten Bild stammen aus Lissabon. Sie lagen in der Nähe unserer Wohnung auf dem Boden, und obwohl ich sie erst gar nicht wahrgenommen habe, bedauere ich schon jetzt, dass ich nicht alle, die da herumlagen, mitgenommen habe. Sie erzeugen auch Klang. Das zweite Bild kam heute früh einfach noch dazu, und dann dachte ich: passt doch. Passt zu was? Ja zum Beispiel zum Regen, und dann zur Begräbnisaufführung des schwarzen Riesen, nein, muss ich nicht unbedingt auch noch meinen Senf dazu geben, erschaffe ich einfach jetzt so im Moment, und das zweite Bild widme ich einfach symbolisch dem Sieg der vielgeschlechtlichen Heiratsbegeisterten, es kann sozusagen als Segens-Siegel zu gutem Gelingen all dieser Eheschließungen gelten. Der Geist ist frei. Und deswegen kehrt er trotzdem nochmal kurz zu Kohl zurück und wundert sich, wo er (mein Geist) denn die ganze Zeit war, wo dieser Mensch hier im Land so lange regierte. Ich muss jetzt zum „sie“ zurückkehren. Ich war also in der Zeit der Kohl-Regierung in einer sehr intensiven Meditationsausbildung, das ist zum Glück schon ziemlich lange her und ich kann dadurch die Zeit ermessen, und erinnere mich vor allem an die Präsenz dieses Riesenkörpers im öffentlichen Raum. Ja, klar, die Mauer und der Euro usw,. das wird ja genügend und offiziell hochgerühmt, aber es verblüfft doch, wie wenig manche Menschen als Mensch begeistern können, egal, was sie alles vollbracht haben. Jeder Narziss ist immer noch sein eigener Typ, und so hinkt auch der Vergleich mit Trump, bei dem man alllerdings auch nicht in helle Begeisterung ausbrechen möchte, weil er über 200 Unternehmen leitet bzw die durch und über ihn geleitet werden. Menschen können, was sie können, aber das sagt oft herzlich wenig aus über das, was sie sind. Ich erinnere mich sehr wohl an die lichtlose Hannelore Kohl im Verstummung auslösenden,verdunkeltem Raum. Wo……

An diesem Punkt und dem „Wo“, das ich deshalb stehen gelassen habe, klingelte mein Telefon. Ich kam in ein sehr tiefes Gespräch, und irgendwann erwähnte ich auch meinen gerade laufenden Umgang mit dem Thema Kohl. Da erzählte meine Gesprächspartnerin, dass  sie heute in einer Zeitung einen Beitrag über Alice Schwarzer gelesen hatte, wo diese von einer Begegnung mit Helmut Kohl sprach, und zwar, dass Helmut Kohl sie einmal nach einem Programm zur Seite genommen  und sie gefragt hatte, ob sie nicht einmal mit seiner Frau, eben Hannelore Kohl, sprechen könnte, die während des Krieges von Russen gruppenvergewaltigt worden sei. Er war besorgt, und ich möchte und kann jetzt auch nicht weiter etwas sagen, denn ich habe in meinem Blogbeitrag heute nach einer Lücke gesucht, wo ich meinem nervös wartenden Humor einen Ausgang verschaffen kann, aber ich bin ganz froh, dass mir das nun absolut nicht mehr gelungen ist.