zwiespältig

Während der Sommertage habe ich mir angewöhnt, morgens so um 7 Uhr herum eine Runde im Wald zu drehen u.a., damit die guten Angewohnheiten, die manchmal einen Anschub brauchen, sich stabilisieren mögen. In Indien gehe ich auch immer morgens eine Runde am See entlang, allerdings mit der Unterbrechung der Zeit, die ich zum Schreiben benötige. Dort, fällt mir gerade auf, bin ich noch ein Mensch mit Handschrift, eine aussterbende Kunst, denn hier in Deutschland vernachlässigen meine Finger automatisch den Stift und die Lebendigkeit des papierenen Notizbuches. Aber das nur nebenher, obwohl zum Nachfolgenden auch eine Vebindung besteht. Ich gehe also an besagtem Morgen wieder in den Wald, da höre ich auf einmal laute Technomusik, sehe ein Auto am Waldrand und höre grölende Stimmen, die offensichtlich gerade ihre Nacht abschließen. Da ich Reizbarkeit zwischen zwei Welten nicht ermuntern wollte, bin ich umgekehrt und einen anderen Weg gegangen. Es hat mich beschäftigt als Gefühl von etwas, was ich erfassen wollte. Es war nicht nur das Verständliche an der Tatsache, dass man Menschen am Ende ihrer durchsoffenen Nacht gerne aus dem Weg geht, sondern es ist eine etwas aktivere Wachsamkeit den Menschen gegenüber. Vielleicht auch, weil es durch die digital vorangetriebene Schnelligkeit der planetarischen Realitätsvermittlungen jedem klar geworden ist, dass auch den Auswüchsen menschlichen Verhaltens nur spärliche Grenzen gesetzt werden können. Ich sehe die Menschen lieber als Wesen, die die Fähigkeit besitzen, förderlich auf sich selbst und Andere einzuwirken. Erkennen jedoch kann man diese Sicht ja an sich selbst als ein Erschrecken darüber, wie schwer sich der Weg erweist, bis man sich als Täter/in bzw. Verursacher/in von Schmerz und Leid zu einer Bewusstheit darüber und den tiefer liegenden Quellen davon gebracht hat. So tief empfunden, dass das Verhalten selbst bereit ist, die Schienen zu wechseln? Oder zumindest die geistig illegalen Waffen freiwillig abzugeben wegen der Gefahr allgemein verbreiteter Unzurechnungsfähigkeiten. Und dann: wem kann man was wo und wann zumuten? Es gibt Festtage in Indien, da muss ich, und nicht nur ich, da müssen wir den ganzen Tag Techno hören, auf jedem weiteren Dach ein Sound-System. Da hilft nur mitschwingen, und ab und zu am richtigen Platz zur richtigen Zeit kann Techno durchaus seine Qualität entfalten, als wenn es darum ginge. Ich denke, dass sich in die großen und kleinen Räumlichkeiten der Menschen eine kollektive Unruhe eingeschlichen hat, ein kollektives Wissen über die Uneinschätzbarkeit menschlichen Handelns, so als würde fast allen gleichzeitig der moralische Gradmesser entgleiten, der gerade noch mühsam in den Religionen und ein paar anderen Orten aufrechterhalten wird.  Bevor klar ist, dass es den auch nicht mehr gibt. Welches Recht wo ansetzen? Welche Gerechtigkeit geradlinig beurteilen können!? Schwer. Das macht es denkwürdig, weil es schwer ist. Schwer, im Ungewissen zu paddeln, die Orientierung beizubehalten, den Sinn für die Richtung. Und wo sind die Anderen? Sie sind überall. Überall sind Andere, und es ist ungewiss, wer sie sind. Man kann ein gutes Gespräch führen und was dazu lernen. Man kann tot sein. Ich habe mich öfters mal mit dem Satz eines Psychologen beschäftigt, der mir zugetragen wurde, und zwar „Liebe ist der Verzicht auf Mord.“ Ein starker Satz, gegen den man sich wehren will. Nicht wegen der wohltuenden Nüchternheit der Worte, sondern weil man tieferen Zugang braucht. Ziemlich sicher ist, dass da, wo Liebe ist, weniger Mord passiert. Darüber gäbe es vermutlich bereits viel Anlass zu Getwittere. Ich bin also umgekehrt und in die andere Richtung gegangen, weil ich nicht weiß, zu was die fähig sind in dem Zustand und es klüger ist, da nichts herauszulocken durch eigene Anwesenheit. Ich möchte hier nochmal den Satz von Brobowski erwähnen, der in seinen Zeilen vermittelt, wie er überall das Wort „Mensch“ hört und sagt, dass man da, wo Liebe nicht ist, das Wort nicht nennen soll.


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