in it


Das verborgene Schauen
So. Samstag. Entweder ich begleite mich selbst beim Denken oder ich lasse es sausen, weil es anscheinend in vielen Formen vorüberzieht und aus dem Stoff der Träume gemacht ist. Holt man es aber hervor oder hält es an bei seinem Vorübergehen, entstehen sofort neue Welten, mit denen ich wiederum umgehen muss. Nur Sri Aurobindo, ein indischer Philosoph, behauptete, dass es ihm gelungen war, sein Denksystem aufzulösen. Sein Lehrer hatte ihm geraten, auf die wortfreien Pausen, die Lücken, die Zwischenräume zu achten und sich dort aufzuhalten, was er angeblich drei Tage lang ohne Unterbrechung tat und anschließend frei schien vom Geratter des Denkstroms. Viele Bücher hat er geschrieben und niemand, der oder die es auf sich nahm, sie zu lesen, hat es wirklich bereut. Es gibt auch geistig erfrischende Wasserfälle, zum Glück sparsam auf dem Weg verteilt. Außerdem muss man bei aller existierenden Weisheit die Welterfahrung in die eigenen Gänge bringen und schauen, was einem gut und was einem nicht so gut tut. Oder ob eher das Durchhalten angesagt ist oder die vernünftige Flucht zum richtigen Zeitpunkt. Und es kommt ja der Tag, an dem man das Denken nach aller Zäumung und Kümmerung und kraftvollen Begleitung und Unterstützung vertrauensvoll sich selbst überlassen kann. Dort werden dann Ordnungen hergestellt und glaubwürdige Impulse treten auf, wo sie gefragt sind. Die Bilder, die man sich selbst erzeugt hat, sind  behilflich in dem Erfassen der eigenen Befindlichkeit, sei es im Seiltanz über gewagte Gebiete, oder man macht sich auf mit dem Board in die Kälte des Alls, wo die Sterne funkeln, eben da, wo jede/r eigene Geschichten abgelagert hat, die man später erkennt als Orientierungsposten. Denn niemand weiß außer man selbst, auf welchem Weg man sich befindet, und jede Szene birgt ihr Verschwinden in sich. Viele Fragen sind nicht beantwortet worden, vielleicht weil sie ihre Bedeutung verloren haben oder gar nicht beantwortet werden können. Ob ich für oder gegen Waffen bin, ob es Ausnahmen gibt oder keine, ob die Ausnahme nicht doch eher die Regel ist undsoweiter. Wenn wir samstags zum obligatorischen Einkauf fahren und ich (u.a.) das „In-it-but-not-of-it“ genieße, läuft gleichzeigig im Auto eine Satire Sendung, die die Geschehnisse der Woche erhellt, kommentiert von zwei Herren, die ziemlich gut eingespielt sind. Es tut gut, Humor in schwierigen Zeiten nicht verwahrlost zu sehen, und zu sehen, was Comedy kann, auch wenn sie nicht göttlich ist, was niemand beansprucht. Es bleibt aber Samstag. Die Todesglocken läuten, und das maßlose Grün bricht sich Bahn.

Power-Point


Selbsterzeugtes Schmierzettelblatt mit Sehpotential
Auf jeden Fall stehen wir jetzt als Land (mit Volk drin) auf der rachsüchtigen Power-Point Liste Putins und müssen dementsprechend das Maß der Besorgnis persönlich regulieren. Aus Indien erhalte ich bereits besorgniserregte Anfragen darüber, wie es mir oder uns wohl geht in diesem Spannungsfeld. Am liebsten würde ich mir überhaupt keine Antworten mehr zumuten, denn ich befinde mich (mit mir) in einem neuen Lehrgang über das bewiesenermaßen ziemlich umfangreich dokumentierte Epos des menschlichen Aufenthaltes auf Erden an sich. Und es bleibt kein Zweifel, dass z.B. wirklich friedvolle Momente rar waren, was nicht unbedingt  auf die Natur des Menschen hindeuten muss, sondern mehr auf das, was er daraus gemacht hat und macht und was man ihn daraus machen lässt. Jede/r gerät mal irgendwo hinein, wo er sich nach einer Weile zu verlieren droht, aber hallo!, alles ist direkter Kontakt mit dem Unausweichlichen, und in letzter Konsequenz ist auch das scheinbar Unausweichliche nur ein Gegenüber, das es zu handeln gilt, oder zu meistern, wenn man so will. Und oft will man ja nicht. Wer will schon meistern. Oder wollen alle meistern, und dann, wenn die Erwartungshaltung dem zögernden Ich gegenüber auftritt, das Scheitern so weh tut, obwohl auch das nur eine nötige Erfahrung ist, die sich jede/r selbst zusammenbasteln kann. Eben bis dieses oder jenes Illusionsgebäude zusammenbrechen muss, damit man die Natur des Illusionären erkennt. In einer „Zeitausgabe“ zitiert Peter Sloterdijk die Terminologie eines Philosophen, der sagt, dass „Freiheit gewonnen wird durch Verringerung des Illusionsbedarfs“. So ein gelungener Satz kann einen doch glücklich machen, oder macht er vor allem mich glücklich, weil er gleichzeitig das komplexe und tiefgründige Prinzip der „Maya“ erhellt, also der grundsätzlich illusionären Beschaffenheit des durch Menschenhand und Menschengeist hervorgebrachten Weltgebildes als eines permanenten Schöpfungsvorganges, den manche gar als den Erwachungsprozess des Schöpfergehirns selbst sehen. Aber wie dem auch sei, so sollte man dennoch nicht in die Falle geraten zu denken, dass der Mensch nun einmal so sei, wie er zu sein scheint, also einerseits eine bedrohliche, vernichtende Macht, und ein andrerseits verdammt helles Köpfchen, die sich übrigens beide im Extrem nicht als meisterhafte Handhaber des Seins erwiesen haben. Indien ist ja berühmt für seine angeblich überall herumwandernden Heiligen, aber gelingt es einem, Zugang zu erhalten zu diesen Orten, wo solche Dinge praktiziert oder gelehrt werden, wird einem nicht nur ziemlich schnell klar, wie ähnlich sich doch bei allen Bewältigungskünsten vor allem die mittleren Schichten des Menschseins sich sind, und wie wahrlich mühsam der Weg zu sich selbst wirklich ist, lange genug annehmend, dass man das stetig sei, wer man gerade ist oder zu sein glaubt. Deshalb braucht es, hier noch einmal mit Dank an den von Sloterdijk genannten Odo Marquand für den zweiten Begriff, also die notwendige „Herabsetzung des Verkennungsaufwandes“. Ein Lied, das ich unterwegs häufiger im Radio gehört habe, heißt „show me something beautiful“, eine alberne und unzulässige Forderung an einen Menschen einerseits, andrerseits bekommt man ja, wenn man sich dafür öffnen kann, sehr viel Schönes gezeigt, ohne dass man es fordern oder geben muss.

killefitz

Das ist doch Pillefitz, sagte eine Frau über etwas, worüber wir redeten, oder meinte sie gar sich selbst damit. Ich fand es nicht Pillefitz, obwohl ich jetzt nicht mehr weiß, um was genau es ging. Was blieb ist das Wort, das mir neu war. Pillefitz, dachte ich, was bedeutet das? Ist es ein Wort, das ich finden kann, und natürlich konnte ich es finden, denn das Netz lockt alles zu sich und behält es dann bei sich, und wir gehen einerseits hinein, sind aber eigentlich schon lange drin. Und dort fand ich heraus, dass es gar nicht Pillefitz heißt, sondern Killefitz. Vielleicht hatte ich es nicht richtig gehört, was ja zur Standardausrüstung des Zwischenmenschlichen gehört: dass man es nicht richtig hört, sondern unbeirrt ist im Glauben an das vermeintlich Vernommene. Killefitz gefiel mir sofort wesentlich besser, weil es statt einer Betäubungssuggestion (Pille) einen Kill in sich hatte, hier weit entfernt vom Mordgedanken. Eher ein Hinweis auf das, was im Fitz meist geladen ist: eben nix Kleines, oder als Kleines vielleicht gesehen als ein Kernpunkt, und dieser Kern interpretiert als nutzloses Zeug, als Kleinkram, als Unsinn. Es kann auch unterwegs nicht schaden, sich zuweilen als Killefitz zu empfinden, auch wenn man dazu in poetischer Weise auch „Staubkorn“ oder „ein Nichts“ sagen kann, wobei das meistens die Praxis benötigt, sich nicht in Identitätsformen zu verstricken und wahrnehmen zu können, dass man noch etwas anderes ist als diese Zuschreibungen, mit denen man die innere Unruhe schützt aus Angst vor weiteren Ausgrabungen, die wiederum der kühne Pfad sind zur Existenz des Nichts als Nichts an sich. Und wer weiß, vielleicht trifft es da auf die Fülle und ist im wahrsten Sinne ganz anders, als man dachte. Viel mehr fällt mir dazu nicht ein, außer vielleicht ein schöner Titel für ein Kinderbuch: „Killefitz macht Firlefanz“. Killefitz könnte ein durch und durch verschmitzter Tänzer sein, dem es mit seiner Begabung, das Nichts, nämlich sich selbst, zu tanzen, es ihm also dadurch gelingt, eine sehr anregende Wirkung auf bestimmte Gemüter zu haben, die das Gefühl beflügelt, auf einmal zu wissen, wie das ist: sich selbst sein. Mehr muss es ja auch nicht sein, das genügt (erstmal) vollkommen. Auch wenn man weiter möchte, kann man das tun, es gibt da keine Grenzen.

fragil


Die Fragilität des Schutzschildes
Da starrte ich auf einmal minutenlang auf meine wohltuende (und teure) Auswahl von Farben aus dem Künstlerbedarfsparadies, wo die Rechnungen immer höher sind, als man zu denken wünschte, aber man lächelt trotzdem zufrieden vor sich hin, denn in der Tüte lagern immerhin Möglichkeiten, für die man selbst ganz und gar verantwortlich ist. Seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine habe ich keinen Pinsel mehr in der Hand gehabt. Schien es mir frivol, einfach so bedenkenlos in die Farbtöpfchen zu greifen, während woanders, und gar nicht so weit, die Kriegsmaschine abläuft? Ähnliches habe ich allerdings auch erfahren, als man (endlich) von den Brutalitäten aus den Schlachtfabriken von Tönnies etwas mehr hörte, obgleich das schon wieder vergessen scheint. Oder noch nicht genug erinnert, so wie die Massenvergewaltigungen von Frauen in Kriegen, und die, die sich ständig hinter den Fenstern und Türen der Wohngegenden abspielen, bis mal wieder jemand entsetzt in eine Kamera schauen darf, um zu sagen, dass sie das niemals vermutet hätten, dass sowas ausgerechnet in ihrer Gegend passiert. Dabei gibt es gar keine Gegend, wo es nicht passiert ist. Nur wird es manchmal kulturell anders eingestuft, sodass man auch die Frauen dazu kriegen kann zu denken, das Abrasieren der weiblichen Schamlippen sei eine notwendige Tugend und nur das Allerbeste für die Heiratskarriere der Frau. Das alles ist allein über das Hören schwer zu ertragen, Es gibt ziemlich vieles in unserer Zeit, was schwer zu ertragen ist. Das schwer zu Ertragende besteht aus etwas, was sich dem eigenen Verständnis entzieht, weil man sich bestimmte Verhaltensweisen nicht vorstellen kann. Viele Forschergeister sind schon der unheimlichen Frage nachgegangen, wie es zu dem Phänomen kommen kann, dass Männer in Kriegen Frauen auf einmal mit solch einer Niedertracht begegnen können, und dann auch gerne zu Mördern werden, wenn ihren Frauen dasselbe passiert. Aber da wollte ich ja gerade gar nicht hin. Es muss der Sog des Finsteren (und der schwarze Humor, der wie eine dunkle Wolke daraus emporsteigt) sein, der einem den Pfad zur Freude versperren kann. Ich starre also auf die Farben und beobachte, wie meine Hand zum Pinsel greift, nein zu allen fünf, um langsam zu wählen, was sich zeigt. Die Verbindung stellte sich wieder ein, nur diesmal ohne Angst, ich könnte den Ton der Zeit verpassen oder beschönigen oder gar nicht treffen, so, als müsste was getroffen werden. Und als sich diese Erkenntnis durchsetzte, eben dass nichts getroffen werden muss und alles immer noch freier Ausdruck ist, getragen von eigenem Wesen. Und so war ich froh, dass die lebendigen Farben für mich keinen Verrat mehr darstellten an der Dunkelheit.

kein Ende

Und es stimmt. Der letzte Krieg wird durch den stattfindenden wieder oder noch stärker in Erinnerung gebracht. Die vielen Kinder, die in diesen menschlichen Verwüstungen mitgeschleppt werden, wollen später wissen, was mit ihnen geschehen ist. Wenn sie Glück haben, können sie einmal irgendwo darüber sprechen, wo jemand gut ist im Zuhören. Auf jeden Fall bekommt das Kind etwas mit, eine Atmosphäre der Angst und Gewalt etwa, auch wenn die Eltern, soweit vorhanden, sich die größte Mühe geben, in Kontakt zu bleiben. Das ist schwer, wenn Bomben fallen  und alles Gewohnte ausgehebelt ist. Die erste Nachricht, die ich heute früh gelesen habe, war vom russischen Außenminister Lawrow, der von der realen Gefahr eines Weltkriegs sprach. Das wissen wir ja jetzt, dass jede in die Ukraine geschickte Waffe dafür einen Anlass bieten kann. Das Schüren der Angst gehört zu der Einschätzung der Pläne, die sich in bestimmten Köpfen bilden können, auch um die Gefahren für sich selbst einschätzen zu wollen. Der Krieg aber ist immer die totale Verschätzung. Das Elend an sich. Das Grauen. Es hilft und hilft doch nicht, dass aus diesen Zeiten auch die großen menschlichen Geschichten kommen. Wenn der schwarze Wind sich einmal ausgetobt hat ud das Ausmaß begutachtet wird, dann schweigt ein großer Teil der Betroffenen, und ein andrer beginnt zu reden. Das alles wird weitergegeben und hört anscheinend nimmer auf. Selbst wenn es unser Schicksal wäre, könnten wir uns nicht darauf vorbereiten. Das berühmte Köfferchen mit den wichtigen Dingen bereithalten? Darauf achten, dass man selbst gut drauf ist, damit man mit dem Herannahenden angemessen umgehen kann? Aber man weiß gar nicht, wer man dann sein wird, denn man kann nicht wissen, was auf einen zukommt. In welcher Form, in welcher Weise. Was Lawrow da sagt, macht mir keine Angst, aber es versetzt mich zuweilen in eine Unruhe, die lediglich aussagt, dass sich hier etwas dem Vorstellbaren entzieht. Das ist wiederum nichts Neues, denn jeder Tag entzieht sich dem Vorstellbaren, auch wenn man ihn mit Gewohnheiten gepflastert hat. Wenn die Unruhe des Vorgestellten vorherrscht, verschwindet dahinter die Freude. Immerhin kann man sie spüren, wenn der Blick sich ausrichtet auf das, was da ist. Es hat geregnet. Es ist still. Die Vögel singen.

gewöhnen (?)

Shivani hat mir das Photo gestern aus Indien geschickt und meinte dazu, das sei die stärkste Aussage zu dem Thema, die sie bis jetzt gesehen hat. Es sind Frauen aus Estland, die vor ein paar Tagen in der Hauptstadt Tallinn vor der russischen Botschaft gegen die Vergewaltigungen der ukrainischen Frauen durch russische Soldaten demonstriert haben. Wieder fiel mir die Bitte von Olena Selenska ein, wir sollen uns nicht an das Leid der Ukrainer*innen gewöhnen, dann nickt man das mal verständnisvoll ab, dann ist man wieder allein damit. Zum Glück keine Gebrauchsanweisung verfügbar, nur das sich vertiefende Elend der Ohnmacht. Nicht nur der eigenen, sondern der Ohnmacht an sich, und genau an all den Stellen, wo man die Macht, also hier als Kraft gesehen, um schlimmstes Unheil rechtzeitig zu erkennen und günstigerweise abzuwenden, wo man diese Kraft also aktiviert sehen möchte, aber genau das Gegenteil erfährt. Die Banalität des Bösen hat wieder Vorrang, Menschen mutieren zu ihren eigenen Bösewichts-Avataren. Und wir sehen das ungern, wie mühelos Erdlinge zu Monstern werden können, nur weil ein Irrer die Vernichtungssucht befohlen hat. Und nein!, gewöhnen kann man sich nicht daran, dafür ist die Empörung der Frauen zu deutlich artikuliert worden, bei aller stets bereiten Ignoranz dem Thema gegenüber. Wenn man sich das einmal genau anschaut in einem Krieg, was unter anderem heißt, sich nicht daran zu gewöhnen, dann muss man irgendwann auf sich selbst achten, damit die Befindlichkeitstaste nicht entgleist. Oder wenn sie entgleist, dass man (z.B.) den Hass als solchen erkennt, ohne ein pauschales Urteil auf die Weltgemeinde zu werfen, nein. Nur, dass man des Hasses und der Ablehnung fähig ist und nun wachsam sein muss, welche Samen in die geistigen Ackerfurchen fallen. Und gerne darf man der tiefen Erschütterung mal wieder Raum geben, wenn man sich fragen muss, wo all diese Männer wieder herkommen, die ihre Testosteronschübe nicht nur nicht im Griff haben, sondern zielgerecht als Racheakt auf die Frauen (und Kinder) des Feindes anwenden, denen man dadurch zu schaden sucht. Deswegen hatte ich mich an Al-Halladsch erinnert, dem man wegen seines Anspruchs auf verlässliche Wahrnehmung die Arme und Beine abschlug und dann den Rest des Körpers auf einen Baumstamm nagelte. Gemäß der Legende soll einer seiner Schüler vorbeigekommen sein und ihn gefragt haben, was Mystik sei. „Hier siehst du ihre niedrigste Stufe“, soll Al-Halladsch geantwortet haben. So ist die Vergewaltigung von Frauen in jeder Hinsicht die niedrigste Stufe im männlichen Reich des Ungeheuerlichen, wo man vor allem diejenigen foltert, die sich nicht wehren können, weil sie körperlich ausgeliefert sind. Und genauso wenig will man jemand werden, der oder die lauthals das Schicken von Mordwaffen befürwortet. Lieber schweigen und wirken lassen, was sich durchsetzen möchte, ohne einen selbst zu zerstören. Aber unbedingt darauf achten, dass die Kirschblüte nicht übersehen wird, oder die Verbindungsmacht der Kunst, und ihre Pavillons voller Zeitgeist. Der Mensch hat Ausdrucksbefähigung, wo auch immer man die Quelle dieser Großartigkeit orten mag. Deshalb ist es nicht unerheblich, an was man sich gewöhnt, und an was man sich keineswegs gewöhnen sollte. Zumindest, solange man noch handlungsfähig ist.

Al-Halladsch

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Die Ruhe, und dann Schweigen, und dann
Stummheit, und Wissen, und dann Finden,
dann Begraben, und Erde, darauf Feuer,
dann ein Leuchten, und Kälte, dann ein Schatten,
un*d dann Sonne, und Felsgrund, und dann Flachland,
und dann Wüste, und Fluss, und dann ein Meer,
und dann Vertrocknen, und Rausch, und dann
Ernücht’rung, und dann Sehnsucht,
und Nähe, und dann Treffen, dann Vertrautheit,
Bedrängnis, dann Befreiung, dann Vernichtung,
und Trennung, dann Vereinung, dann Verlöschen,
Ergreifen, dann ein Rückstoß, dann Entrückung,
Beschreibung, dann Enthüllung, dann Bekleidung.

Nur Worte für die Menschen, die das Diesseits
gleichsetzen mit wertlosen Kupfermünzen,
und Stimmen hinter einer Tür; denn Worte
der Menschen sind, wenn man sich nähert, Murmeln.
Das Letzte doch, dess‘ sich ein Mensch erinnert,
wenn er das Ziel erreicht, ist „Ich“, „mein Glückslos.“

Denn die Geschöpfe sind der Wünsche Diener,
und keines Menschen Wirklichkeit ist „Heiligkeit“.

wessen


Wessen

Wessen Welt?
Wessen Weizen?
Wessen Widerstand?
Wessen Waffen?
Wessen Land?
Wessen Anspruch?
Wessen Recht?
Wessen Einspruch?
Wessen Kriegsgebiet?
Wessen Panzer?
Wessen Lügen?
Wessen Dummheit?
Wessen Meinung?
Wessen Eroberung?
Wessen Sieg?
Wessen Verlust?
Wessen Möglichkeiten?
Wessen Klarheit?
Wessen Mythos?
Wessen Gepäck?
Wessen Grab?
Wessen Beistand?
Wessen Schatten?
Wessen Selbsterkenntnis?
Wessen Dschungel?
Wessen Wald?
Wessen Zerstörung?
Wessen Vernichtung?
Wessen Identität?
Wessen Uniform?
Wessen Freiheit?
Ja, wessen Freiheit zu sein,
wer man ist. Wessen „I“
could it possibly be?

auf-hören


Labyrinthin zuhause
Was mir an dem Wort „auf-hören“ besonders gefällt, ist seine Zweitbedeutung als „lauschen“, und mehr als das, denn eine extra Aufmerksamkeit ist dabei, ein dringliches Hören, das unter gegebenen Umständen auch zu einem Aufhören bringen oder gar zwingen kann. Aufhören von etwas setzt einen Willen voraus, eine Vorgeschichte. Man raucht zum Beispiel (oder ich rauchte zum Beispiel) gute 20 Jahre durch mit voller Begeisterung am Wesen des Zigarettenrauchens, das auch in meiner Nikotinsuchtzeit nicht gestört wurde durch hammermäßige Sprüche und gruselige Bilder von durch Rauch erzeugten Geschwüren auf ansonsten fein designten Tabakpäckchen. Gut, eines Tages war klar, dass der Moment gekommen war, aufzuhören. Dazu gibt es immer Anekdoten: wie es dazu kam, dass was aufhörte. Oder dass man etwas aufhörte, das die Anderen unerträglich an einem fanden, und man hatte es nie als solches wahrgenommen. Dann gibt es die Situationen, wo man sich nüchtern betrachtet, wie man etwas, was längst aufgehört werden sollte, nicht aufhören kann, man scheitert sozusagen am Aufhören. Allerdings kann es einem auch gut tun, einmal der eigenen Ohnmacht eine Chance zu geben und, nach tiefem Luftholen, ins All hinein Richtung Putin, und von mir aus auch in Richtung Zelensky zu rufen: Aufhören!!!, wohl wissend, dass das nur einem selbst einen Nu erleichtert, und nicht einmal das. Kann denn niemand, übersetzte jemand die Worte einer russischen Frau aus Mariupol, den Kerl stoppen? Alles Leid, meinte sie, nur wegen diesem einen Idioten! Aber gerade weil er gar nicht allein ist, sondern eine Höllenmaschine mit ganz vielen Statisten losgetreten hat, kann er jetzt nicht aufhören, und auch sein Gegenspieler kann nicht mehr aufhören. Der will sein Land behalten, damit die Überlebenden zurückkommen können oder was auch immer die letzte Szene des dummen Spiels sein soll. Aber man bedenke, dass selbst Putin noch ein geistiger Zar werden könnte, wenn er auf einmal an ein funktionierendes Weltmikrofon treten würde und sagen: gut, ich höre auf, das ist schief gegangen, ich bin gescheitert. Ein Raunen des Staunens würde, wenn auch mit misstrauischen Tönen, dann doch durch die Welt ziehen, na ja, da höre ich jetzt ebenfalls auf, denn die Zeit ist nicht oder niemals günstig für allzu unrealistische Vorstellungsszenarien. Aber es gehört einem der eigene Geist (nicht wahr?), und auch wenn es darin scheinbar undurchdringliche Labyrinthe gibt, so kann man sie immerhin selbst durchwandern. Optic walking!

 

0


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Bilder: H.Robert

entfallen

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Archivierung des Imaginären, des Gelöschten,
des Abwesenden, und des Flüchtigen
Dann kommt der Tag, wo einem das Wort entfällt, oder bleibt es im Hals stecken, oder wohin entfällt es? Ein Mann sagte gestern, dass das Schweigen und das Ungesagte die schlimmsten Schmerzen verursacht, doch das ist wieder eine andere Art von Wortlosigkeit, es gibt viele Arten des Schweigens. Manchmal möchte man heraus aus seinem Bann, dann wieder möchte man noch tiefer hinein und der Stille erlauben, ungehindert  Raum einzunehmen. Man darf nicht gefangen werden in der Unwiderstehlichkeit des inneren Dialoges, der dann ja auch noch Wort ist, aber durchaus unterhaltsam sein kann. Und wesentlich. In Richtung Politikhörenwollen schweigt’s auch, in Richtung Ukraine auch. Es drückt nieder auf das grüne Gras und starrt in weiße Kirschblütenprachten. Wenn die Tragödie abspult, schärft sich der Blick. Man staunt über die Bedrohung des Sinnlosen. Keine Zuflucht gibt’s in den Labyrinthen der Zeit, keinen zum Ausgang führenden Faden. Der Humor verkrochen im Kellergewölbe, aber stimmt das überhaupt, oder wer sitzt jetzt im Nacken. Man bildet sich ein, ein Nichts zu sein, da erscheint das Nichts als ein Zwiespalt. Immerhin kann man aufstehen und sich etwas einfallen lassen. Da schätzt man das Tun bestimmter praktischer Dinge, sie kommen einem vor wie Heilpflanzen, die beruhigend auf die Unruhen einwirken. So ist das heute für mich, und eigentlich müsste es, aber natürlich muss es nicht, wenn es nicht will, mir besser gehen, denn immerhin habe ich ein paar Worte gefunden, um das, was sich (noch) nicht sagen will, zu beschreiben. Da heben sich doch tatsächlich die Mundwinkel, und in die Zellen kommt Bewegung. Das dürfte reichen für die neuen Schritte des Tanzes.

 

*Archiv von Avery F.Gordon

Sonnenschein & das Morden

Diese eingetrübte Bildkomposition drückt eigentlich ganz gut aus, wie es mir an Ostern ging, natürlich nur einen Teil davon, denn man kann  innerhalb von einigen Tagen und Stunden und Minuten und Sekunden sehr viel Verschiedenes erleben, und eigentlich war in meiner  praktischen Wirklichkeit alles sehr strahlend. Das Wetter war makellos, der Gast willkommen und anregend, und um Eier, die wir eh (die vom Huhn) nicht essen, mussten wir uns wenig kümmern, da es um uns herum wenig Kinder oder Enkel gibt, denen man die üblichen Sitten und Riten beibringen zu glauben muss, oder heißt es beibringen zu müssen glaubt. Dieses Mal bin ich allerdings informiert worden darüber, wie es zu den farbigen Eiern kam, könnte es aber wegen seiner komplexen Erzählbreite nicht wiedergeben. Hinter all diesem Hellen und Lichten lief aber diese große Trübung des Schönen, dieser Krieg, der nicht abzustreifen geht wie ein Haar von der Schulter, nein.  Schwer und bedrückend lastet er auf dem Weltgemüt, aber das ist auch nur eine Vermutung. Ich merke, dass er auf mir lastet, und meine Belastung reicht von Kain und Abel bis zur gerade stattfindenden Großoffensive. Ein wichtig klingendes Wort: Großoffensive. Der mörderische Plan, ein ganzes Volk zu vernichten und auf jeden Fall die Welt, die es erschaffen und in der es gelebt hat, dieser Plan ist verheerend. Und es kann wohl sein, dass es im Untergrund der deutschen Psyche noch ein schreckliches Zittern gibt, das sich im Handlungsfeld eines nahen Krieges sehr wohl als ein (berechtigtes?) Zögern äußern kann. Oder wurde auch damals zu lange gezögert mit dem Merken oder dem Merkendürfen, bis es zu spät war, und zu spät für was? Oder wo fängt man an mit der Geschichte. Ja haben denn die Eltern von Kain (dem Bruder von Abel) nicht gemerkt, wie eifersuchtsbesessen und mörderisch der Kerl drauf war? Aber diese Eltern wurden ja selbst schon rausgejagt aus ihrem Garten, nur, weil sie sich verführen ließen und ein bisschen am Apfel des Wissens geknabbert haben, was verboten war. Es muss schwer sein, auf dem Weg zum Töten, vielleicht ein letztes Flackern des Erkennungsflämmchens auch noch auszulöschen, damit man tun kann, was man tun wird, und darüber wird dann viel gesagt werden. Und keinem Wort, nicht einmal dem Wort eines Dichters oder einer Dichterin, wird es gelingen, im Inneren noch tiefer gehen zu können als das Verstehen. Ja, geradezu vorbei muss es gehen am Verstehenkönnen, und dann kommt es darauf an, wie dort in einem von Worten leergefegten Irgendwo, sich die Angst, oder besser die Todesangst meldet, und dann kommt es noch darauf an, wie man mit ihr umgeht. Immer gibt es Optionen. Man hat immer mal wieder auch die guten Geschichten gehört aus den Kriegen. Einmal soll es Ukrainer*innen gelungen sein, die Fahrer einer russischen Panzerkolonne mit Worten zu überzeugen, umzukehren und sich aus dem Staub zu machen. Oder ein Feind trifft überraschend auf den anderen einzelnen Feind, sie machen sich ein Zeichen und gehen einfach weiter. Aber wer weiß, was geschehen wäre, wenn das Attentat auf Hitler gelungen wäre, und auch hier kann man sehen, wie unterschiedlich einem selbst das Morden erscheinen mag, so als gäbe es ein gutes und ein schlechtes Menschenmorden.

inmitten

Noch ein Feiertag, an dem es wenig zu feiern gibt, außer man hat das Glück, am richtigen Ort zur richtigen Zeit zu sein, und das obligatorische „Noch“ nicht vergisst, die Flüchtigkeit des Daseienden also, wenn es nicht gleichzeitig dröhnt als ein schweres Verbrechen. Wie sagt man doch gerne zur Zeit: „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, so als wüssten wir auf einmal alle, was Menschlichkeit eigentlich ist, oder vor allem, was sie nicht ist. So gibt es gleichzeitig die Freude und Dankbarkeit für den Gast, mit dem oder der man die Gespräche führen kann, die man noch für möglich hält, konzentriert gedacht und weit gefächert, und dann sieht man auf einmal, beziehungsweise sehe ich auf der inneren Leinwand zwei zu Todfeinden mutierte Gruppen aufeinandertreffen, und wenn nicht schon jetzt, sich bald einander wieder Tod und Verderben bringen. Auf der einen Seite vermutlich nur Männer unter dem atemberaubenden Druck der Befehle, die sie oft  nicht richtig begreifen (weil gar nicht müssen), auf der anderen Seite auch Frauen bei der Verteidigung von etwas, was es schon  nicht mehr gibt, und trotzdem machen sie alle weiter in der unsinnigen Hoffnung, dass sie wenigstens nicht d i e Art von Verstümmelung trifft, bei der man den Tod vorziehen würde, könnte man das entscheiden. Millionen von uns Menschen wiederum in verhältnismäßiger Sicherheit schauen dann in der jeweiligen Abendsendung zu, wie das alles vor sich geht, und wie die Dosierung unserer Machtlosigkeit zunimmt, was auch mit der Angst passieren kann oder der Heuchelei oder der Besserwisserei oder der Gleichgültigkeit usw., je nachdem, an was man gewohnt ist. Ohne die Wunde der Ohnmacht unbedingt weiter aufreißen zu wollen, kann ich zumindest nicht behaupten, ich hätte mich an eure Qualen (in der Ukraine) gewöhnt, auch wenn man durchaus nicht auf alles antworten muss und kann, was einem Mensch in größter Not logisch vorkommt. Wie habe ich diese verherrlichten Filme gehasst, wo zwei feindliche Heere aufeinander stoßen und alle Statisten, die niemandem in der Story was bedeuten, einfach niedergewalzt und zertrampelt werden. Und dann wird man auch noch in die Zwangsjacke der Hoffnung gebracht und hat bereits einen Wunsch-Sieger erwählt, ohne den es unter Umständen, wie gerade im Ukraine -Krieg, noch schlimmer werden würde. Aber es ist eh schlimmer, als man denkt: viel schlimmer. Viele werden also wieder heute und morgen und übermorgen ihr kostbares Leben verkürzt oder verstümmelt haben, und man zögert, das Ganze eine bodenlose Dummheit zu nennen, eingefädelt von eben diesem einen Mann, den keiner stoppen kann, weil der seinen heimlich visionierten Lorbeerkranz unterwegs verloren hat und es sich und andere auf keinen Fall wissen lassen darf, dass ihm die Felle wegschwimmen. Auf jeden Fall habe ich durch dieses wahrlich unselige Geschehen etwas verstanden, für das ich keine Worte habe, weil ich auch keine dafür suche. Ich lasse also das wortlos Nicht-Verstandene mal in die Tiefe sinken und schaue, ob es sich meldet und ob es überhaupt in Worte zu fassen ist, sich also als Rahmen oder Einbettung oder Struktur gar nicht eignet. Nichts bietet es zum Festhalten, keinen Haken, keinen Gurt, keinen Felsenvorsprung. Die letzte Spur der Deutungssucht möchte es vielleicht eine gähnende Leere nennen oder den nackten Abgrundsgletscher. Aber dann hätte es nichts Befreiendes an sich und würde einen wiederum überwältigen. So sitzt man also (z.B.) nur da und atmet hinein in die Stille. Das kommt einem dann doch sehr kostbar vor, und das inmitten des Grauens.

Rose Ausländer

Und jedes Lächeln wurde Leid,
selbst die Madonnen blicken trübe
aus ihren Rahmen in die Zeit
und auf den Sohn, dass er uns liebe.

Doch seine Ohren wurden Erz,
an dem die Rufenden zerschellen,
die lechzend strömen an sein Herz,
wie an das Ufer müde Wellen.

Und alle Worte wurden weh.
Da steigt aus ihm ein ein hohes Schweigen,
vor dem sich stumme Engel jäh
und überwältigt tief verneigen.

gewöhnen

Gewöhnt euch nicht an unser Leid, sagte Olena Selenska. Das kam an bei mir wegen genau dieser persönlichen Erfahrung oder besser Frage, wann genau es passieren kann, dass Erschütterung wieder abebbt in diesen Mechanismus des Selbstschutzes oder der Gleichgültigkeit. Oder weil immer so viel zu tun ist und selten Zeit für das Wesentliche, selbst wenn es einmal von einem definiert worden ist. Aber wie bleibt man verbunden mit dem Leid anderer Menschen und Wesen, ohne dass daraus wieder eine Groteske wird, wenn man nicht selbst in der Erfahrung des oder der Leidenden steht. Man also aufgerufen ist, einen Weg zu finden oder bestenfalls bereits einen gebahnt zu haben, auf dem das Leid als lebendiger Teil des Erdaufenthaltes verstanden wird, also unumgänglich. Wogegen man sich lange wehrt, bis das Unumgängliche im  eigenen Spiel seinen Auftritt hat. Das Erleiden erlaubt ein Begleitetwerden dabei, ein Dabeisein, ein Mitempfinden des schwer Tragbaren. Nun kann man das Mittragen nicht verordnen, es ist eine Kunst, die erlernt werden muss. Denn die Gefühle allein bleiben nicht willentlich über längere Zeit beim Leid der Anderen, und dann noch geschehen in weiter Ferne. Auch kann man das Entsetzen nicht ständig nähren, und ja, man vergisst Moria und die Gulags und die tausenden von afrikanischen Körpern und Leben, die im Meer versunken sind und immer noch versinken. Welche Einstellungen sind nötig, oder gibt es sie überhaupt, wo eine immer wieder erstrebte Wachheit allem tatsächlich mit einem Verbundenen antworten kann, eben im lebendigen Prozess, sodass das Loslassen und das Ergreifen des Erforderlichen mühelos zu bewerkstelligen ist, ohne dass man zu viel darüber nachgrübeln muss. Das wiederum braucht ein Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit. Interessant fand ich die Verbindung zwischen den christlichen Anstrengungen, das Leiden Christi nicht zu vergessen, und der menschlichen Verachtungsorgie in der Ukraine dem menschlichen Leben gegenüber. Und immer wenden sich die Blätter und weisen neue Formen des Umgangs mit dem Unumgänglichen auf. Es ist für uns, ganz persönlch, bedeutsam, wie wir mit uns innerhalb des Spiels umgehen, wen und was wir vertreten, welchen Kampf und mit welchen Waffen wir kämpfen, und durch was für Gedanken unsere Einschätzung des Gesamtspiels geprägt wird. Denn wir gehören nun mal zu den Mitspieler*innen, und für uns selbst ist unser Beitrag nicht ohne Bedeutung. Die Freude daran, zu sein, wer man ist, und wie dieses Sein automatisch hinwirkt auf das Spielfeld. Auch hier im Westen hat man einst das Spiel, wie noch heute in Indien, von Göttern oder Gott erschaffen und leiten lassen. Aber es hat sich auch durchgesetzt, dass der Mensch Verantwortung trägt für sein Vorgehen, und gerne ächzt er unter dem Anprall dieser überfordernden Einsamkeit. Vor und nach der Ent (Be)waffnung: Holz holen, Feuer machen.

Karfreitag

 
Eigentlich (auch so ein interessantes Wort wie „deswegen“) wollte ich das Lied „You want it darker“ von Leonard Cohen hier noch einmal hörbar machen, aber man kann es nicht nur im Netz hören, sondern auch  am 31.Mai 2020 in meinem Blog. So tritt er (Cohen) heute, an diesem unseligen Tag der christlichen Legende, vor allem als Dichter auf. Hineni, sagt er, also wenn du es unbedingt dunkler möchtest (Herr), ich bin dabei, oder genau gesagt: hier bin ich. In einer der vielen Nebenvorstellungen, mit denen man sich zu schulen oder zu unterhalten sucht, sieht man Putin, den zur Zeit von der Weltgemeinde Geächteten, an diesem leidgetränkten Tag auf den Patriarchen Kirill (z.B.) treffen, der ihn, so gerüchtet man, in seinen Wahsinnstaten unterstützt und fragt die unnütze Frage, ob sie wohl gemeinsam des Gefolterten gedenken, auf den die Menge gegafft hat und niemand aus purer Angst fähig war, die Lage einschätzen zu können, oder überhaupt zu wollen. Oder zu wissen, wie tatsächlich banal das Böse sein kann und ist, oft so freundlich mit den richtigen Gesten, und alles scheint eiskalt kalkulierbar, sodass man in Filmen mit Starbesetzung schon mal einen richtigen Zocker oder Mafia Boss bewundern kann, ohne gleich eine Waffe kaufen zu müssen. Gerade noch rechtzeitig hörte ich dann eine Zeile von Anna Achmatowa: „Wer ist ein Mensch, und wer ein Tier? Wann wird ein Urteil fallen?“ Man kann auch das Tier beleidigen, wenn man es als das niedrige Zeichen benutzt. Der Mensch kann noch weit drunter, weit drüber allerdings auch. Hier also das Gedicht von Leonard Cohen als Beitrag zum Tag des Verlassenen:

You want it darker

If you are the dealer, I’m out of the game
If you are the healer, it means I’m broken and lame
If thine is the glory then mine must be the shame
You want it darker
We kill the flame

Magnified, sanctified, be thy holy name
Vilified, crucified, in the human frame
A million candles burning for the help that never came
You want it darker

Hineni, hineni
I’m ready, my lord

There’s a lover in the story
But the story’s still the same
There’s a lullaby for suffering
And a paradox to blame
But it’s written in the scriptures
And it’s not some idle claim
You want it darker
We kill the flame

They’re lining up the prisoners
And the guards are taking aim
I struggled with some demons
They were middle class and tame
I didn’t know I had permission to murder and to maim
You want it…

tragen

Immer wird Schicksal auf den Schultern getragen, das eigene und zuweilen das der Anderen auch. Und dann das Schicksal, das die Welt im Moment des eigenen Aufenthaltes betrifft, das tragen wir auch mit, oder zumindest können wir es nicht leugnen, was da los ist und was man so hört. Auch vor der digitalen Revolution war das nicht anders, wobei die Neuigkeiten offensichtlich nicht so vielfältig waren, aber in jeder Zeit machte jede/r damit, was man wollte, und schwer ist es geblieben, an authentische Berichterstattungen zu kommen, wenn man selbst darum bemüht ist. Klar geworden ist, dass der neue Held des ukrainischen Krieges einen dummen Fehler begangen hat, indem er ein deutsches Staatsoberhaupt auslädt, das sich gerne für seine Interessen eingesetzt hätte. Rumpel, rumpel, der Super-Hero hat eine Narbe, geboren aus alten, ihm unverzeihlich vorkommenden Verletzungen. Man sucht nach Verständnis, denn alles, was er wirklich fordert und will, sind angemessene Waffen für das Gemetzel, das weiterhin stattfinden wird, bis irgendwann sich jemand ergibt oder gezwungen wird, sich zu ergeben. Wo soll man hin mit dem, was so gerne das Mitgefühl heißt. Wie viel Vorrat an Mitgefühl haben wir angereichert, oder kann das einfach so spontan da sein und sich zum Beispiel auf die Flüchtenden legen, denen ihr Leben geraubt wurde? Wie nebenher staune ich, wie viele Bomben zur Zeit in Deutschland gefunden und entschärft werden und tausende von Bewohner*innen ihr Zuhause verlassen müssen, weil sie sonst immer noch Gefahr laufen, von dieser Vernichtung erfasst zu werden. Diese Bomben und Minen werden auch in der Ukraine zurückbleiben und weitere Menschen zerfetzen. Nur, dass wir (?) das jetzt wollen oder auf einmal bejahen, dass genügend russische Körper außer Gefecht gesetzt werden, damit dem als unangemessen empfundenen Besitzanspruch des Diktators eine Grenze gesetzt werden kann. Man kann natürlich immer bei sich selbst beobachten, wie und wodurch Schicksal entsteht, und wie man beides erkennen und  kultivieren muss: einerseits die eigene Handlungsfähigkeit lebendig zu halten, damit man dem einem Entgegenkommenden gewappnet ist, beziehungsweise darauf antworten kann. Und andrerseits man dem persönlichen Schicksal nicht ausweichen kann und es zu tragen lernt, bis aus dem schwer durchdringbaren Ding ein Bündel geworden ist, das man bei der Wanderschaft auf einem Stecken mittragen kann. Ein verwegener Gedanke, wenn sich Tiefe und Heiterkeit dort im Bündel begegnen können. Was Zelensky und seinen ungünstigen Ausrutscher betrifft, so darf man gespannt sein, wie sich die Lage entwickelt. Schon hastet Kairos zu den Treppen, bereit, ein Lichtstrahl zu sein, mitten hinein in die Schicksalsdichte, besungen als Riss von Leonard Cohen, der sich auskannte mit Schicksal und seinen verdunkelten Flügeln.

 

dazwischen

„Manchmal kommt was dazwischen“ wollte ich gestern auf meine Blogseite schreiben, als klar war, dass ich am Morgen wegen etwas Dringlichem unterwegs war. also dringlicher als die Angewohnheit, mich auf einen Beitrag zu konzentrieren. Also auch kein Bild, dachte ich, sondern nur die Feststellung, dass manchmal halt was dazwischen kommt. Der Satz fing dann an, innen nachzuhallen. Ich fragte mich, zwischen was eigentlich manchmal was kommt. Gerade in politisch oder persönlich oder gesellschaftlich stark schwankenden und angespannten Zeiten oder Umbrüchen kann es ja sehr unterstützend sein, wenn eine gewisse Tagesordnung etabliert ist. Günstigerweise von einem selbst, oder zumindest verbunden mit einem bestimmten Freude-Potential, das man selbst durch Verhalten und in gewissem Rahmen  aktivieren kann. So macht es mir nicht nur Freude (und in Kenntnis der ultimaten Bedeutungslosigkeit dessen im Rahmen des Weltendramas) [darüber nochmal nachdenken!], macht mir also nicht nur Freude, sondern stützt mit ihrer lockeren Architektur die verhältnismäßige Stabilität meines Alltags. Aber eigentlich gibt es gar kein Dazwischen. Oder es gibt nur das Dazwischen, nämlich als immerzu drohendem oder auch erwünschtem Eingriff in die eigene Ordnung. Corona war eine exzellente Übung in der Wahrnehmung eines Dazwischenkommens, eben zwischen die Pläne und die Ideen und die Vereinbarungen und die Abmachungen und die Phantasien, alles durchkreuzt vom Unsichtbaren, dessen Anwesenheit nicht mehr zu leugnen ist. Der Krieg aber macht noch deutlicher, dass hier der als normal empfundene Vorgang des Lebens so viel wie vernichtet wird. Der Krieg erscheint als das große und ultimate Dazwischenkommen. Dabei kann auch er im Strom der Historie nur ein Resultat von Vorhergeschehenem sein. Etwas, das wie eine grausame Groteske über die Existenzen der jeweils lebenden Menschen hinwegspült. Es regt sich als lokale Störung, wird dann aber zuweilen ein gigantischer Sturm, der über die Erde fegt. Wenn das vermeintliche Dazwischenkommen, zum Hauptprogramm wird, agiert es mitunter als eine Chance zum Erwachen, was immer man darunter verstehen mag. In meinem gestrigen Dazwischen, das sich einfach als das stattfindende Leben entpuppte, hatte ich die Gelegenheit, einen Narkosearzt zu fragen, was denn eigentlich durch die Narkose lahmgelegt und zum Raum einer traumfreien Dunkelheit wird. Nach einem unbequemen Zögern meinte er: das Bewusstsein. Ich war verblüfft, begriff aber zum Glück schnell genug, dass wir uns hier eindeutig in verschiedenen Welten bewegten. Und wo lokalisieren Sie das Bewusstsein, fragte ich noch. Ich glaube mich zu erinnern, dass er etwas von einer Großhirnrinde murmelte, aber dann übernahm das eigentlich Stattfindende, wo man froh war, wenn der narkotisierte Mensch, den man begleitet hatte, langsam wieder zu sich kam. Und das ist ja letztendlich Bewusstsein: wieder zu sich kommen.

 

Bild: H. Robert

(un)moralisch

Das Wort „Moral“ gehört nicht zu den Lieblingsworten in meiner Schatzkiste. Auf jeden Fall habe ich es lange Zeit vermeiden können, es in den Dunstkreis meiner persönlichen Interessen einzuladen, um dort begutachtet zu werden (von mir), also: was es denn sei, und was ich mir darunter vorstellen kann. So ein Thema kann man ja prächtig in Büchern nachlesen, aber auch das und dann nur, wenn man aus irgendeinem Grund eine Notwendigkeit sieht, darüber nachdenken zu wollen. Meine Distanz zu dem Verständnis des Wortes hat sicherlich auch damit zu tun, dass ich noch in ziemlicher Nähe zum letzten Weltkrieg aufgewachsen bin, in dem, wie es in allen Kriegen deutlich geworden ist, die Entfesselung von Gewalt als das ganz und gar Unmoralische auftritt und ich in diesem Sinne sagen kann „ich bin aus dem Unmoralischen “ herausgeboren. Da gab’s auf keiner Seite mehr eine glaubwürdige Moral. Deswegen vielleicht auch eine innere Zurückhaltung der deutschen Erinnerung an ähnliche Taten jenseits jeder Moralvorstellung und eingepackt in die Selbstvorgaukelung einer Notwendigkeit, die sich in der Tat auf banalste Weise verselbstständigt. Bis man weiß, beziehungsweise viele wissen es dann wie auf einen Schlag, dass diese Entwertung aller menschlichen Ideen, „Krieg“ genannt, zu einem sehr dunklen Schatten wird, der zu einem bleischweren Enthemmungsfahrzeug mutiert. Wo Zurückhaltung keine Rolle mehr spielt und die Bedrohung ihre angefressenen Flügel ausbreitet. Angst, das ist die nächtlichste Saite des Ungewissen. aber die helle Saite des Ungewissen tut sich ebenfalls schwer mit der Selbsterkenntnis. Der Glaube, man wäre sicher auf dem Pfad des Guten, dieser Glaube kann durch einen Krieg, der einen in irgendeiner Weise etwas angeht, erschüttert werden. Und Erschütterung ist an sich eine oft ungern, aber dann doch dankbar empfangene Erfahrung und kann die Vorstellung von dem, was ein Mensch als persönlichen Wert empfindet (und was nicht), auf schmerzhafte Weise beibringen. Man wirft uns (Deutschen) zur Zeit gerne vor, wir seien naiv oder verblendet der Not des ukrainischen Krieges gegenüber, aber möglicherweise bleibt es uns überlassen zu entscheiden, wie schmerzhaft die letzte Wunde noch sein kann. Und ob es nicht doch eine Menge unheilbarer Wunden gibt, die wir verursachen durch die nachlässige Aufmerksamkeit auf das zwischenmenschliche Verhalten, dessen reales Auftreten eine sogenannte Moral dann hervorbringt. Keine alberne Latte, mit der man Menschen von sich fernhalten kann, sondern eine ernsthafte Grübelei über das, was ich selbst darunter verstehe, eben dem Menschen zugehörig, der ich letztendlich sein möchte, und vor allem: der ich sein kann.

 

Marie-Luise Kaschnitz

kaschnitz1

Ich lebte in einer Zeit,
Die hob sich in Wellen
Kriegauf und kriegab,
Und das Janusgesicht
Stieß mit der Panzerfaust
Ihr die bebänderten Wiegen.

Um den Himmel flogen
selbständig rechnende Geräte
zeichneten auf den Grad
unserer Fühllosigkeit
den Bogen  unserer
Verzweiflung.

 

Aus: Ich lebte in einer Zeit

also

Die Frage tauchte auf, wieweit „man“ an einem Krieg beteiligt ist und wodurch. Wenn ein Land sich dem Willen der Vernichtung ausgesetzt sieht, herrschen andere Gesetze als da, wo man noch entscheiden kann, was man denkt. Durch welches Denken (und Fühlen) ist man beteiligt? Auf jeden Fall hat der Krieg in der Ukraine bei mir eine Art Nebenszene erzeugt, in der ich mich in einer Entschlossenheit bewege, alles um mich herum noch einmal neu zu betrachten, also in gewissem Sinne mich selbst zu betrachten in all den Dingen, die oft schon jahrelang in schönen Kisten um mich herumlagern: die Indienkiste und die Notizbuchkiste und die Artikelkiste, und die vielen Sammelleidenschaften, die sich überall verstecken und aufschreien, wenn man sie auseinandernehmen will. Oder zumindest einen neuen Platz für sie finden, sodass ich wenigstens die Ordnungen erneuern kann. Denn auch wenn, wie es mir gerade gelingt, vieles weggebracht werden kann, bleibt doch immer etwas übrig, was die tiefen Töne der Verbundenheit in mir auslöst, mit mir selbst, versteht sich. Oder auf einmal in einem (Geo Epoche) Heft aus dem Jahre 2007 über die Weimarer Republik nicht nur auf die furchtbaren Wogen zwischen Enthemmung und Abgründigkeit zu blicken mit vielen beunruhigenden Elementen der heutigen Zeit, sondern ganz hinten auf Seite 181 ein paar Zeilen von Karl Jaspers zu finden, die einen spüren lassen, dass hier ein Philosoph nicht nur kristallklar denkt, sondern dass diese „Existenz“, wie er es definiert, „der Grund ist für alles, was wir sind, und was an sich ist.“  Und dass dieses Sein sich dem Denken entzieht,also nicht zu definieren sei. Es sei aber zu erleben – in Grenzsituationen, im Leid oder in Todesnähe – und in offener zwischenmenschlicher Kommunikation. Wieder sind wir bei Zelensky, in dem man einen Menschen erkennen kann, der in Sachen Mut und authentischer Handlungsfähigkeit zur Zeit ein Vorbild ist, was auch immer weiterhin geschehen mag. Nein, nicht was auch immer geschehen mag, sondern mag es gelingen, einem persönlich also, aber auch der gerade in bebender Dringlichkeit sich bewegenden Weltpolitik, dem unmenschlichen Gemetzel ein Ende zu bereiten, und gerade das ist zur Zeit so brandgefährlich. Weil das Böse, da, wo es als solches benannt wird, leider immer noch banal ist, und das ist vielleicht das Schrecklichste an dem Ganzen. Dass wir mitbekommen, wie es wieder seine unendlich öden Köpfe zeigt, während es Menschenleben auslöscht, und Tierleben, und jahrelanges, dunkles Schwanken des Geistes. Denn auch wenn wir uns nicht inmitten des Kriegsgetümmels bewegen müssen, so bleibt uns doch die Finsternis nicht erspart, die ihn begleitet. Und warum das nicht bei allen anderen Kriegen (ganz genauso) war, liegt vielleicht doch an all dem, was Jaspers mit „Existenz“ meint, oder mit Sein. Dass es uns zutiefst etwas angeht, uns selbst, aber dass wir auch durch die Anderen d e n Hauch von Licht erfahren können, der uns zu Menschen macht. Ich meine: menschlich. Insofern kann ich schon sagen, dass ich beteiligt bin. Wenn auch nicht im Kontext der Waffenzufuhr, so doch durch die Möglichkeit, dem geistigen Schlaf entgegen zu wirken. Dem geistigen Gefangensein in der Ich-Blase also.

übernehmen


Undurchdringliches Jetzt
Der Anfang des Krieges hat ein präzises Datum. Alles, was dahinter lag, hat sich verdichtet und hat zu diesem Resultat geführt. Die nachträglichen Forschungen werden das alles mehr oder minder präzise bezeugen, bis dieses Allerlei in den Geschichtsbüchern landet, von wo aus es als Realität verstanden werden will. Es ist ja auch real, da draußen tobt’s weiter. Den Kommentar, der Krieg könne noch ein paar Jahre dauern, habe ich schon ein paar Mal gehört, möge es Spekulation sein und bleiben. Im Moment werden Waffen erwünscht, beziehungsweise verlangt. 3 Wünsche wolle er aussprechen, meinte (so ungefähr) Mr. Kuleba, der ukrainische Außenminister im Rahmen der Natoversammlung: Waffen, Waffen, Waffen! Das sind viele Waffen, die da durch den Raum transportiert werden. Und wer wüsste nicht, wenn eine Waffe hergestellt wird, dass es kein Spielzeug ist, auch wenn man das Töten an der Spielkonsole gelernt hat. Irgendwann kommen die Dinger in Action und ab Tag 1 des Krieges wird Töten legal, die Waffenhersteller immer reicher. Riesiges geistiges Schiften findet statt, und mit jeder Waffe fährt man näher an die gefährlichen mentalen Klippen des russischen ehemaligen Geheimdienstlers heran, deshalb schnell weg davon. Der Geist kann ja blitzschnell überall hingehen, kann Tore öffnen und Wüsten durchwandern, kann voll oder leer sein, kann dem inneren Raubtier mehr Gewicht verleihen als dem mühseligen Schritt eines Weltbürgers oder einer Weltbürgerin. In den technischen Kanälen toben auch Kriege, Meinungskriege, Verfälschungskriege, Verdummungskriege. Und es gibt Kämpfe, die den Einsatz durchaus wert sind, vor allem, wenn man weiß, worum es einem eigentlich geht, und ob und warum und wodurch ich mich an einem Kampf beteiligen möchte. Nachdem der Kriegseröffnungsknall geschehen ist, breitet sich das Geschehen ins Unermessliche aus. Etwas im Inneren zieht sich zurück, ich meine natürlich: in mir zieht sich etwas zurück, bewegt von einer Unlust des Meinens. Soll ich mich (z.B.) im Kreis von Bekannten wirklich dafür ins Zeug legen, dass die Toten auf der Straße von Bucha keine dramatische Inszenierung der Ukrainer war, wie von Russland behauptet, nur, weil ich zufällig auf einem amerikanischen Sender eine Frau gehört habe, die diesen Fall untersucht hat und zum Ergebnis gekommen ist, dass die vermeintlichen Bewegungen der Leichen  durch eine optische Täuschung im regenvertropften Seitenspiegel eines fahrenden Autos verursacht wurden. Na ja, bei aller Nähe zu direktem Tatort muss man zugeben, dass das Durchforsten von Komplexität in Friedenszeiten durchaus mit viel Freude verbunden ist, während man beim Durchgrübeln von Vernichtungorgien eher beginnt, im Reich des Orkus herumzurudern und sich vor Faszinationen eher schützt als sich ihnen zuzuwenden. Der Geist ist frei, ja, sagt sich leicht, aber offensichtlich muss auch er vom Wortlosen geschult werden. Die Stille zuweilen unbedingt übernehmen lassen.

auslösen


Tragödie hat keine Antworten
Nicht, dass ich eine (Antwort) gesucht hätte, zumindest momentan nicht, oft fehlen mir auch die Fragen. Und natürlich kann es wichtig und entlastend sein, wenn wir beim Zusammentreffen untereinander austauschen können, was wir mitgebracht haben von den Medien,und was der oder die alles gesagt hat. Aber dann ist es auch wichtig zu schauen, was das alles mit einem selbst macht, nicht in einem begrenzten Sinn, sondern gerade in erweiterndem Sinn. Denn auch wir ändern uns täglich als Menschen und stellen immerhin die gerade existierende Menge an Menschheit dar, deren Einzelwesen durchaus Verantwortung haben für den Gesamteindruck. Wem letzendlich diese Verantwortung, also dieses Ringen um Antwort gilt, das muss man einerseits immer wieder neu entscheiden. Aber ob ich mein persönliches Empfinden, mein Erschrecken, meine Fassungslosigkeit (oder meine Begeisterung und Freude) mitnehme, macht dann doch einen Unterschied. Auch ein Krieg kann als Ablenkungsmanöver dienen für Fragen, die längst hätten gefragt werden müssen, hätte man den Mut und den Willen zu solchen Fragen. Gestern sind mir (aus meiner Zeitungsartikelsammlung) zwei Sonderhefte der „Zeit“ aus dem Jahre 2005 in die Hände gefallen Es ging um das Ende des zweiten Weltkrieges und hieß: Die Stunde Null. Nach dem Geschehen in Bucha war es besonders merkbar, wie grausam die Entfesselungen, die auch Ende des Krieges und darüber hinaus noch in Deutschland tobten, den aktuellen Gräueltaten glichen. Die Bilder sahen aus wie direkt aus Bucha, dieselben Männer, dieselben Frauen, und die Kinder, die sich an ihre Spielzeuge klammern, sofern sie noch klammern können. Oder die schon zu alt waren, um das alles wieder vergessen zu können, oder noch gar keine Sprache zur Verfügung hatten, nur um später eine zu suchen und ein Glückspilz zu werden, wenn man eine gefunden hat. Eine eigene Sprache, nicht die Sprache der Anderen. Die Sprache der Anderen kann man überhaupt erst verstehen, wenn man seine eigene nicht nur gefunden hat, sondern bereit ist, sie täglich so förderlich für sich und andere einzusetzen, wie es einem halt möglich ist unter uns Menschen und unseren Befindlichkeiten. Und zum Glück findet Menschsein und die unermessliche Arbeit, die damit verbunden ist, überall statt. Wenn eine Katastrophe da ist, fällt es besonders schwer zu wissen, was (außer den Gedanken) für Gefühle in einem ausgelöst werden, denn die sind es ja, zu denen wir Zugang möchten, damit wir nicht dem falschen Eindruck unterliegen, sie wären automatisch zugängig und stünden jederzeit zu unserer Verfügung.

lernen

Olena Selenska, die Frau von Wolodymyr Zelensky (habe mich für diese Schreibart entschieden) bestätigt in einem Interview, dass in den ukrainischen Bunkern bereits Tausende von Kindern geboren wurden. Als günstiges Karma würde man das in Indien sicherlich nicht begreifen, aber es bedeutet auch nicht, dass das Leben dieser Kinder dadurch einen schwarzen Stern trägt. Es kommt vor allem darauf an, wie lange der Krieg dauert. Der steht, meinte sie, auch vor unseren Haustüren, hinter denen die deutschen Kinder wohnen, und wir dürften uns nicht an die Verbrechen gewöhnen. Also, dass wir den Krieg vergessen können, ist kaum vorstellbar, denn ist er nicht der eigentliche Gongschlag für die sogenannte Zeitenwende? Nicht nur im düstersten Sinne, denn vieles wird dadurch geschehen oder geschieht bereits, was zuvor undenkbar war, z.B. dass durch die so teuer gewordenen Lebensmittel (wie Fleisch, Wurst und Butter), es vielleicht zuerst zu Hamsterkäufen kommt, dann Einschränkung angesagt ist, oder besser ausgedrückt: Gewohnheitswandlung. Und das unmenschliche Treiben in der Ukraine hat eine erstaunliche Verbindung in der Weltgemeinschaft erzeugt. Irgendwie hat Präsident Zelensky, oder war es der Mensch Zelensky (oder gar der Spieler hinter dem Namen in seiner Glanzrolle), es geschafft, einen kollektiven Herzschlag zu aktivieren, der einem überhaupt erst ermöglicht, verbunden zu sein. Wobei sich diese Verbundenheit eher in einer Sprachlosigkeit ausdrückt, die, so empfinde ich es jedenfalls, einfach bei allem mitgeht, was außerdem noch unsere Aufmerksamkeit erfordert. Dass man Worte benutzt, heißt ja nicht, dass es einem nicht gleichzeitig die Sprache verschlagen hat. Ein seltsamer Ausdruck: die Sprache verschlagen. Das, was hier zu lernen und zu fühlen ist, kann nicht jederzeit gelernt und gefühlt werden, aber sein muss es trotzdem. Es wühlt auf und rumort auf allen Ebenen herum. Und es zeigt Wirkung. Eine davon ist, dass ich bei mir in den Räumen herumschaue und die leicht verstaubten Ordnungen etwas lockern möchte. In einer meiner Bildersammlungen habe ich das Bild (oben) von Paul Klee gefunden, das den Titel „Narr der Tiefe“ trägt. Wegen dieses Titels und wegen der Träne auf der linken Wange des Narren habe ich an Wolodomyr Zelensky gedacht. Seine Frau spricht mit einer menschenwarmen Stimme, und diese spürbare Glaubwürdigkeit ist sicherlich Teil des Geheimnisses, das nun dort unter grauenhaftesten Umständen zu siegen versucht. Was i c h tue? Ich atme tief durch und bereite mich vor auf das Unvorhergesehene. Wie? Indem ich möglichst viel bei mir bleibe und Ruhe finde in der Tiefe der Nichtmittelbarkeit.

deswegen

Das Wort „deswegen“ zählt neuerdings zu den Begriffen, die bei mir auftauchen, und gerne am Anfang des Satzes, sodass ein Vorher gewissermaßen  vorausgesetzt werden kann. Deswegen möchte ich den Faden des Kaum-merklich-Hineingeratens nochmal aufnehmen. Wenn es die angeforderten Waffenlieferungen an die Ukraine betrifft, so ist mir klar, dass das geschehen muss. Im momentanen Zustand der Situation ist es der einzige Ausgang des Krieges, den man erleben möchte, eben, dass die Ukraine ihn gewinnt. Auch wenn es ein Prachtbeispiel einer Warnung für alle regierenden Diktatoren wäre, die Finger von Ländern und Menschen zu lassen, die die gewalttätige Einmischung in ihr Leben ablehnen, wäre in jeder Hinsicht der Preis schon bezahlt, und der ist jetzt schon höher, als dass er jemals wieder ausgeglichen werden könnte. Selbst wir als Deutsche können den Preis des Geschehenen nicht ausgleichen, was soll man da ausgleichen. Das Einzige, was dann legitim ist, kann aus der Erfahrung stammen. Wenn man wirklich begriffen hat, dass das ganz und gar Unbegreifliche jederzeit eintreten kann, und ich deswegen mit den eigenen Einstellungen in Kontakt bleiben muss, damit ich das, was tatsächlich bei mir ankommt, auch einordne in meine persönliche Wahrnehmung.. Also: gegen Waffengewalt, und in diesem Fall vernunftsbedingt dafür, wenn man hier noch von Vernunft reden kann. Irgendwann ist ja bekanntlich alles vorbei, oder die Puste geht aus, oder Druck kommt von Seiten, die man nie zu sehen und zu hören bekommt. Und in einer menschlich so schwer belasteten Szene macht man gerne automatisch die Fliehenden zu den Guten, denn sie fliehen vor dem Bösen, und die Rabenschwärze dieses Bösen ist nicht zu leugnen. Immer wieder ist das geschehen, und man beleidigt den Raben, wenn man denkt, seine Farbe sei das Dunkelste, was einem Menschen einfallen kann auf der Skala der Unfarben. Auch nach oben gibt es Unfarben, ins vemeintlich Himmlische hinein also, oder in die Verlogenheit religiöser und esoterischer Darstellungen. Die Grenzen sind oft schwer erkennbar, man kann das nur klären über sich selbst. Deswegen grüble ich auch weiterhin darüber nach, ob es nicht doch einen (inneren) Ort gibt, der bei aller möglichen Nähe zum Menschen und bei allem Mitgefühl, das sich selbst mitunter aktivieren kann, ob dieser Ort also nicht doch einen Raum bietet, wo man sich bedingungslos treu bleiben muss/kann/soll, damit man dem Grundton des Dramas gegenüber gerecht bleibt. Komödiantenhafte Tragödien haben so ihren eigenen Humor, der den Schrecken über das persönliche Scheitern des Menschseins etwas abpolstert. Erwischt man sich hier in der Phase der Hängemattensitzung zwischen zwei gleichermaßen gruseligen Abgründen mit einem pechschwarzen Strohhalm im Mund, an dem noch das Blut falscher Hoffnungen haftet, dann…ja was dann. Dann kann’s immer noch konzentriert und still werden. Deswegen.

willentlich

Dunkle Dinge passieren auf dieser Erde, finstres Zeug. Das ist nichts Neues, es kann einen nur immer mal wieder aufs Neue in Erschütterungen werfen, die wiederum dazu führen können, dass man näher heranrückt an sich und Gelegenheit bekommt, den Schrott, der in der eigenen Umlaufbahn noch herumschwimmt, in den Blick zu nehmen. Das hilft auf jeden Fall, dem von der Matrix Dargebotenen eine möglichst weite Sichtweise entgegen zu bringen, um günstigerweise der jeweiligen Sachlage einigermaßen reale Einschätzungen entgegen bringen zu können. Jeder begonnene Krieg ist das Finserste, was der Mensch auf diesem Planeten unter sich selbst an Finsterem zu bieten hat, und Finsternisvergleiche würden hier nicht helfen. Der ganze Vorgang ist so unendlich sinnlos, im Sinne, dass darin überhaupt kein Sinn zu finden ist, auch wenn jemand danach suchen sollte oder die üblichen Antworten finden in der langen Geschichte von Opfer*innen und Täter*innen. Da kann man die Leiter der einem zugängigen Menschheitsgeschichte rauf- und runteklettern, und nirgendwo kann man beruhigt verharren. Wir erschaffen ja auch unsere eigene Vorstellung von Kulturen so, wie man sie, angeregt durch übertragene Worte, eben sieht und haben möchte (die griechische, die ägyptische, die indische z.B.) damit man dem Besten in ihnen begegnen kann, ohne immer zu bedenken, wie finster es  dort ebenfalls war, wenn auch nur durch den üblichen Genuss einer Sklaverei, die vieles von dem, was Menschen sich wünschen, erst möglich macht. Gewürze aus fernen Ländern, oder die Gehirne von Notleidenden, die man günstig für eigene Zwecke einsetzen kann. Wissend, wie gut so etwas  funktioniert, hat man erst mal die menschlichen Bedenken über den Rand des eigenen Kahns geworfen. Dieser Krieg in der Ukraine wird uns lange beschäftigen, auch wenn die, die den letzten noch erlebt haben, nicht mehr hier sind. Der neue Krieg wird die Erinnerungen an den letzten großzügig löschen, denn trotz des eintönigen Grauens der Kriege ist diesmal einiges anders. Wir alle, die wir nicht direkt am Kriegsgetümmel beteiligt sind, verteidigen das Recht, das wir nahezu unbemerkt für uns selbst erhoben haben: das Recht auf eine Freiheit, die es allen ermöglicht, im Rahmen einiger Vereinbarungen ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und daraus zu machen, was jedem so einfällt. Dass viele Menschen diesen ungeheuren Freiraum nicht in Anspruch nehmen für ihre Eigengestaltung, liegt nicht am Wesen der Freiheit, sondern schon eher am Wesen des Trügerischen, das sich einnistet in die Netze des Denkens. Und dort brütet es oft ungesehen und ungehört vor sich hin, bis ein verborgener Wahn oder Trieb sich herausentwickelt und sich vorbereitet auf den Rachefeldzug. Auch dieser Krieg ist ein Rachefeldzug, ausgebrütet vom schwer Ahnbaren, einem Gehirn also, das eine undurchdringbare Maske trägt. Und diesmal ein Gegenüber, das (oder der) auf erträgliche Weise nackt ist, und man vielleicht gerade dadurch in ihm einen Menschen erkennt. Auch wenn dieser Mensch gerade Waffen braucht für die Verteidigung uns verständlicher Werte. Obwohl man eigentlich die Lösung durch Waffen ablehnt. Es ist und bleibt also die finstre Seite der Notlösung. Wegen der willentlichen Vernichtung des Lebendigen, die damit verbunden ist.

Serhij Zhadan

Portrait Serhij Zhadan

Der Wert eines Gedichtes steigt im Winter.
Vor allem in einem harten Winter.
Vor allem in einer leisen Sprache.
Vor allem in unberechenbaren Zeiten.

erholsam

Die Zeit, die wir gerade (in gewissem Sinne gemeinsam) erleben, eignet sich auch dafür, bestimmte Worte, von denen wir flüchtig überzeugt waren (oder sind) zu wissen, was sie meinen, ich meine für mich selbst, aber auch, was damit gemeint ist, ursprünglich und in zeitbestimmtem Maß, also was aus ihnen in einer bestimmten Zeitspanne geschehen ist, und was wir darunter verstehen (usw.). Ich trenne mich jetzt vom „Wir-en“ und navigiere hinüber zum Ichen. So habe ich zum Beispiel heute früh gehört (was die meisten schon wissen), dass heute nicht nur weiterhin Impffreiheit besteht, sondern dass ab heute eine ungeheuer erwachsene Freiheit ausbrechen darf, eben, ob man weiterhin verschleiert gehen möchte oder gar ein Stückchen Radikalität in sich entdeckt und auf gar nichts mehr achtet, also fast wie vorher weitermacht. Und trotzdem kann man, wenn man möchte oder muss, die Regierung weiterhin beschuldigen, sie täte was mit einem, was man nicht will, das kommt ja auch oft genug vor. Ich also habe neulich beim Papierwegwerfen dieses kleine Ei gefunden, auf dem „Freiheit“ steht. Obwohl ich keine Eier esse, mochte ich die Eiform schon immer, sie ist verheißungsvoll. Wenn die Freiheit ausgebrütet werden soll, was oder wen erwartet man da, wenn die Schale zerbricht. Oder ist man gar am ganzen Brütungsvorgang beteiligt und fühlt auf einmal die zuvor ungeahnte Bürde, dass es plötzlich darauf ankommt, was ich denke und bin, und dass sich alles, was in mir vorgeht, auf den (Freiheits)-Embryo auswirkt, und wie dadurch wiederum sein oder ihr Denken auf die subatomare Umwelt strömt . Das ist nicht ohne, denn überall steht ein Tisch, an dem Menschen sich treffen und was zueinander sagen, was dann zum Brütvorgang führt, was wiederum die Frage gebiert, ob man das frei nennen kann, wenn ständig so viel durch mich hindurchströmt, sodass ich sinnieren kann, nur das Strömen sei frei, denn es hat gar keine anderen Optionen als strömen. Vielleicht meinte Krishna (der Gott der Liebe) genau d a s, als er zu Arjun sagte, er könne seinem Schicksal nicht entrinnen, denn dieses Schicksal ströme bereits in die unaufhaltsame Richtung. Darüber muss bzw. kann man nachdenken, und natürlich kann man sich immer mal selbst fragen, was man etwa unter „Freiheit“ versteht.  Meine geistige und körperliche Freiheit wurde also in der Tat bereits durch Corona ziemlich eingeschränkt, wobei ich sagen muss, dass ich zeimlich gut durchnavigiert bin, obwohl es allerlei zum Trauern  und zum Auseindersetzen gab, aber gerade durch die Zuschnürung gab es Anregung zu neuen Formen der Wahrnehmung, auch ein gewisses Umpolen der Bedürfnisse in elegant gesteuerte Optimierungen auf der Basis von Entschleunigung. Überhaupt: der Luxus der Vereinfachung! Angenehm finde ich auch, dass ich eine Scheu hatte, Bilder aus mir herauszulassen, wenn die Bilderverdauung durch den Schrecken des Krieges deutlichen Vorrang hatte. Was kann ausgedrückt werden, was muss gar nicht gesagt werden, wenn es so viele andere auch schon gesagt haben. Muss ich unbedingt eine Meinung bilden, wenn ich gar keine wünsche, also gerade  keinen  Hunger nach Meinungen verspüre. Bin ich frei genug zu erleben, was ich wirklich erlebe, und was erlebe ich denn wirklich?Und wie wirklich ist diese Wirklichkeit? Da sagte ich freundlich zu mir: weiß doch mal nicht, wer du bist, das ist doch ganz erholsam. Und siehe da: so ist’s.

gewachsen

*
Es wird Jahre dauern, bis diese ganzen Erlebnisse und Erkenntnisse und Dramen und Tragödien, und ein bisschen Komödie ist ja trotzdem früher oder später wieder dabei, bis das alles wieder erinnert und dokumentiert wird, und durchdacht und verarbeitet auf viele, viele Arten und Weisen. Und jetzt schon schreibt sich Geschichte selbst, flexibel und dahinströmend, wie nur der Moment sein kann, in dem sie entsteht: auf allen Ebenen gleichzeitig, und ständig verändern sich Berührungen und Verbindungen und Teilnahmen, sodass s o, wie es (wirklich?) ist, gar nicht durch das einzelne Gehirn fassbar sein kann, aber dennoch es anregt, sich rechtzeitig aus den Wissenshaltergemeinschaften zu verabschieden und sich selbst zu fragen, wie man es sieht. Denn man sieht es ja, einerseits eingeschränkt durch die eigene Sichtweise, andrerseits gerade dadurch in der Lage, sich als Einzelwesen zu positionieren, was man ja in letzter Konsequenz ist, sogern man das zuweilen vermeiden würde. Die Zuwendung zu sich selbst also, um was es hier geht, und wie man auch durch sich selbst Geschichte wird, und sie gleichzeitig nichtig erscheinen mag und doch in jeder Hinsicht wirksam. Und klar wird man auf interessante Art durchgeschleust durch den Schulbetrieb, und  in einem selbst kann es Universitäten geben, zu deren Einlass man sich anmelden muss, um von sich selbst überprüft zu werden. Und wohl wahr, seit die Götter verblassen, ist es schwerer geworden. So, als könnten sie sagen; jetzt schaut mal, wie ihr so untereinander zurechtkommt, also ohne all unseren Himmelszirkus. Und was soll der Mensch denn können, so hineingeworfen in den Schicksalsschlund, wie er oder sie sich manchmal fühlt, und wer hilft einem da wieder heraus, und dann ist man es selber. Oder es hilft wirklich jemand, sodass auch ein andrer Mensch ein Licht werden kann, und das wiederum kann das Licht eines anderen entzünden undsoweiter. Hier geht es dann um das Hüten des Feuers, das ist ziemlich zeitaufwendig, wird aber als Reichtum erfahren. So kann man schon eines Tages durch die eigene, zutiefst persönliche Erfahrung wissen, dass das Hüten des Erworbenen und des Geschenkten eine angenehme Tätigkeit ist, und lange genug geht es um Schadensbegrenzung. Bei einer riesigen Katastrophe wirbelt erst einmal alles durcheinander, aber allmählich finden sich alte und neue Spieler bei ihren jeweiligen Stationen ein. Ein neues Kapitel wird geschrieben, obwohl es kein Drehbuch gibt. Es bleibt offen, als wer ich mich vorfinde. Ich selbst bin gespannt, wie es wohl weitergeht, fühle mich dem Ganzen aber gewachsen.

 

* Paul Klee (aus einer Zeitungsanzeige entnommen)