Abschied

*

 

 

*Photo: Beatrice Ohlaver

zu euch

Überall Konstrukt –
Überall Leere und Ewigkeit –
Keiner weiß, dass ich hier sitze
in meiner Essenz – und tanze!
Ich und das Sitzen
in ihrem gemeinsamen Tun –
der Aufschrei im Klitzekleinen
die Wüste, die Wüste im Ruhn‘.
Am Nachmittag – irgendeinem –
gibt es dir alles, was ist. Alles,
was ist das? Schweigsame Zeiten –
belauscht vom Wortgefecht.
Ich spüre den Atem, meinen Atem,
im strömenen Flug des Jetzt –
da sehe ich meine Liebe
ihr Unausweichliches zu euch tragen.

Das Puskara-Mahatmya

A man of good fortune will
visit in the world of men
the famous ford of the God
of Gods, renowned in the
three worlds, which is called
Puskara…Just as Madhusudana
is the beginnung of all the
Gods, so is Puskara said to be
the beginning of all the fords.

hinausstarren

Da sitze ich gerade und starre hinaus,
aber ich weiß gar nicht genau, was ich
sehe oder sehen will. Ich bin gesättigt.
Gestern fragte mich Reena, was ich
denn fühlen würde bei diesem
wahrscheinlich endgültigen Abschied
von meinem direkt erlebten indischen
Leben. Sicher ist, dass eine tiefe Trauer
sich mühelos verbindet mit einer tiefen
Freude. Ich mache jetzt hier in meinem
Blog eine Pause, damit ich mich dem
Wortlosen widmen kann und darin
vielleicht ein paar neue Impulse finde.

home


zuhause
Und wie geht das, Abschied zu nehmen vor allem von e i  n e m Ort in einer Kultur, in der man sich – ich mich – ein halbes Leben lang zuhause gefühlt habe – meistens ein halbes Jahr hier und die andere Hälfte im Westen, bis das W/O sich wie von selbst ergab und eins vom anderen sich erfrischen und mit neuen Impulse entfalten konnte. Auch barg der indogermanische Weg immer noch unendlichen und schwer messbaren Reichtum – und in jeder Hinsicht seine abgründigen Gefahren. Deswegen tauchten 2020 im Netz eine ganze Reihe von Bildern auf mit Hitler/Modi Vergleichbarkeiten, die durchaus angebracht sein können. Da, wo es einem Menschen gewährt wird, eine Art Gott darzustellen, lauern Gespenst und Dämonen nicht weit. Man bittet darum, vom Humor nicht verlassen zu werden, denn hey!, ist es nicht durchweg eine Tragik -Komödie. Manchmal mehr Tragik  – dann wieder mehr Komödie. Ich freue mich von Herzen über die guten und liebevollen Begegnungen, die mir weiterhin überall entgegenströmen, denn ohne sie, die vielen Angestellten des brahmanischen Schöpfers, wäre auch meine Liebe für den uralten Stein und die zeitlose Asche bedeutungslos gewesen. Und ja, Inder, bzw.Hindus, verstehen etwas vom Spiel. Sie haben keine Wahl, was nicht immer nur ein Nachteil sein muss. Und für sie ist nach vorne alles offen, man kann sich im nächsten Durchgang verbessern. Aber wesentlich für mich ist vielleicht zu merken und zu spüren, wie so vieles aus meinem Leben hier eine Wärme in mir auslöst, eine Liebe, die inmitten der mächtigen Widersprüche in sich selbst wohnhaft geworden ist. Und über dieses erstaunliche Glück der Liebe, das wissen wir doch, lässt sich nichts wirklich Handfestes sagen. Aber immer wieder unterliegen wir dem Drang, Worte zu finden für das Unerklärbare. Dadurch erleichert sich die beseligende Bürde des Herzens.

Holy cow


Chandni aus Mohans Kuh-Herberge

Siesta


Siesta
Für mich als Kind stellte das Wort „Mittagspause“ immer eine unnötige Lebensbremse dar, vor allem, wenn sie von jemandem zelebriert wurde, den oder die man gerne wach und aufmerksam neben sich hätte. Aber dann lernt man sie irgendwann selbst schätzen, die wohltuende Unterbrechung, wenn so eine Variante im Alltagsablauf einem überhaupt möglich ist: also eine Ruhepause zwischen Vormittag und Nachmittag einzulegen, wo der Körper sich mal in der Horizontale erfrischen kann und sich bereitmache  für Akt II des Tages. In Indien wird dafür meist ein Tuch benutzt, das auch für viele weitere Tätigkeiten und Handhabungen einsetzbar ist. Zieht man das Ding ganz und gar über den Kopf, dann weiß jede/r, dass man nicht verfügbar ist. Ach, wer kennt nicht dieses wohlige Wegtreten vom Weltgetümmel, wenn man allein ist für eine Weile unter dem Schutzschirm, befreit von Kaste und Kisten. Und in jedem Betrieb könnte so ein Siesta-Raum sein, damit Menschen ihren eigenen Gedanken nachhängen können oder auch nicht. Auch die Affen schlafen oft mittags oben auf der Terrasse, während die Kleinen auf ihnen herumturnen. Das war jetzt ein Mini-Plädoyer für die Siesta. Gleich kommt Mohan, der Wächter des Ghats (Zugang zum See), mit dem Motorrad vorbei und fährt mich zu seinen Kühen, die die ganze Familie ernähren (mit Milch und Yoghurt und Ghee und Malai), und ein Leuchten in seine Augen zaubern können, wenn er von ihnen erzählt.

hüten


Engel des Vergangenen
Natürlich hatte ich all meine kostbaren Lieblingsporzellanfarbtöpfchen hierher in die Oase  mitgenommen, aber bis vor wenigen Tagen noch nicht einmal herausgeholt. Seit meiner Trauer um Mensch und Tier im vergangenen Jahr habe ich keinen Pinsel mehr angefasst, und noch immer regt sich kein Impuls zum Farbfeld hin. Ich habe aber dann so ein bisschen herumgerührt im Grüngold und gleich den Engel  gesehen, der ins Vergangene hineinschaut. Nicht so ein prächtiger Erzengel, am Abgrund des Daseins die unlösbaren Rätsel des Menschenwesens durchgrübelnd, nein. Es ist ein eher stiller und wortloser Hüter all des Vergangenen, dem man mit Sprache (leider) niemals gerecht werden kann. Es tut mir auch gut zu wissen, dass mein eigenes Vergangenes in behüteter Schwebe gehalten wird, wenn auch nur von  mir bzw. dem Pinsel und natürlich dem Grüngold. Denn ich weiß, dass der noch tiefere Dank dem lebendigen Nu gilt, und das ist, wofür ich dann frei bin: für den Aufenthalt im Nu.

OmG


Das ist die Ecke. wo ich die Flügel der Tauben,
die Sukho der Kater, den ich füttere, erwischt
hat, hinkehre. Natürlich möchte ich, dass die
Taube ihre volle Lebenszeit genießt, aber ich
freue mich auch für Sukho.
„O my God!“ lässt sich leicht rufen, kann auf Entzücken angewendet werden und auf Erschrecken, und der berühmte Satz von dem sich verlassen fühlenden Jesus taucht auf. Was war da geschehen, und warum fühlte er sich genau in dem Moment, wo er die göttliche Hilfe dringend gebraucht hätte, allein gelassen? Und Mutter Theresa, die in Kalkutta gewirkt hat, erzählte mal, sie hätte nur eine einzige direkte Verbindung mit Jesus gehabt, dann nie wieder. Aber sie machte einfach weiter, vielleicht, weil ihr nichts anderes einfiel. Auch in der Philosophie ist gesagt und erfahren worden, dass das Thema „Gott“ nicht übersprungen werden kann – oder kann es ? Natürlich ist vielen von uns aufgefallen, dass die Trennung zwischen Göttlichem und Menschlichem ziemlich unerträglich ist, aber es ist auch nicht so, dass beides automatisch beisammen ist. Der göttliche Mensch als Idee musste einfach aufkommen, aber wie hinkommen? Man unterscheidet hier in Indien zwischen „zertifizierten“ und „selbsternannten“ Gurus, was nicht unbedingt etwas heißen muss. Aber es geht ganz eindeutig um das Maß des vom göttlichen Nektar getrunken Habenden, wer soll das beurteilen. Was mich zum Grübeln bringt ist die Tatsache, dass ich mich auch jahrelang in belebendem Gespräch mit Gott befand. Shiva war keineswegs ein Fremder, er war ein Vertrauter.Und abgesehen davon, dass seine überall zu findenden Abbilder von verführerischer Anziehungskraft waren, muss ich ihn mir genau so geistig gebastelt haben, wie mir ein höchst inspirierendes Wesen als Gegenüber wünschenswert erschien. Es entlockte den Strom der Gedanken und der Gefühle und brachte sie in eine Richtung, in der sich der freiwillige Wunsch nach Ordnungen entwickelte. Neue Herausforderungen kamen ins Spiel: das gute und schmerzlose Sitzen im entgrenzten Raum, das nach innen gerichtete Auge und das nach innen gerichtete Ohr,um aufnahmefähig zu werden für das, was sich auf dieser Ebene erfahren ließ. Es war nicht wenig und hätte sich mühelos ins Mystische oder Phantastische ausdehnen können, hätten die LehrerInnen  nicht vor Phänomenen gewarnt. Oder man selbst war letztendlich mehr angezogen vom Nüchternen, zum Beispiel dem Zustand des Menschlichen auf diesem gottverlassenen Planeten. Aber wer weiß schon, ob er ihn verlassen hat oder noch da ist und immer da war als ein Gefühl, oder ein Bedürfnis, oder eine Notwendigkeit. Ich sehe mich, wenn diese Gedanken auftauchen (z.B. „…wer war ich denn damals und hielt das Geglaubte für Wissen)(?)), einfach herauswandern aus diesem speziellen Bereich der Wahrnehmungen. Ich traue uns Menschen vieles Kraftvolle zu, als Mensch unter Menschen. Wo der Gott, mit dem ich mich einst verbunden fühlte, geblieben ist, ich weiß es nicht. Es war jedenfalls kein Abschied, nur eine Veränderung. Die Instanz hat ihre Wirksamkeit verloren, ohne den Glanz des Lebendigen zu verringern.

Abschied nehmen…


Ein Teil des Unten von der Terrasse aus
Kein Zweifel, ich bewege mich im Prozess des Abschiednehmens und finde, dass Abschied auch ein Geben ermöglicht. Vielleicht eher ein Zurück-geben aus tiefer Dankbarkeit heraus  für die Möglichkeit, an eine Quelle hingeweht worden zu sein, von der ich zu wenig wusste, um mehr als reine Neugier einzusetzen. Oder war es doch mehr, etwa ein kleiner geistiger Bluttransfer einer Sehnsucht meines Vaters, der immerhin Paul Brunton las und dadurch wusste, was man in Indien suchen ging (außer Gold und Edelsteine) und was angeblich dort zu finden war. Und immer mal wieder gab es Momente, wo Menschen sich aufmachten, um persönliche und kulturelle Grenzen zu erweitern  oder gar zu sprengen und neuen Strömungen Einlass zu gewähren.  Und hier, in Indien, ist mentales Dehnungspotential in jeder Hinsicht vorhanden. Und obwohl die sagenumwobene, uralte Weishei, verkündet durch einen von Praxis gestähltem Mund (langem Bart und schlohweißem Haar) (also der Herrgott persönlich) nicht mehr zu finden ist, so kann man Wissen doch jederzeit erwerben. Und nur hier in Indien fand ich auch, dass es gerechtfertigt war (nach vielen Jahren Aufenthalt), auf die Frage, wo man in einem Ashram was lernen könnte, auf einen Chaishop hinzuweisen mit dem Rat, dort mit offenem Geist das Geschehen wahrzunehmen. Denn überall findet episches Drama (und Denken) statt, überall exzellente Spieler-und Spielerinnen, zutiefst verbunden mit ihrer (hier im Hinduismus ja nimmer endenden) Rolle. Und ja, hier fand ich die Zeit und den Ort und den Raum, um mich  nach Herzenslust der Wahrnehmung des doch oft überwältigenden Daseinsgeschehens zu widmen. Ich meine natürlich die Fahrt, immer im Raumschiff durchs All, und dass sich diese Art von Natürlichkeit nicht im Widerspruch befand mit der immensen Fähigkeit der Inder, einfach schlicht und einfach alles für möglich zu halten, weil man draußen und drinnen sehen gelernt hat. Und wenn jemand gesichtet wurde, den oder die es offensichtlich mehr nach innen als nach außen zog, dann gab es klare Angebote für die gesuchte Entscheidung. Ich weiß nicht, wie es ist, sich in andere Kulturen einzulassen, aber ich kann mein Einlassen in die indische Kultur am besten als einen Segen bezeichnen. Und wenn mich jemand fragen würde (oder ich mich selbst), wie sich dieser Segen ausdrückt, so könnte oder kann ich um mich schauen: ich lebe am (sich nähernden) Ende meiner Reise als Gast in einem der schönsten Häuser am See. Es ist ein altes Haus mit dicken Mauern, die mitten im oft lauten äußeren Getöse eine wunderbare Art von Stille haben, und so bin ich mittendrin und doch wohnhaft in dieser Stille. Es fällt mir nicht schwer, auf dieses Gefühl, das aus allen Ecken und Winkeln und der Wüste selbst und ihren BewohnerInnen auf mich zuströmt, zu antworten mit der Liebe, die aus mir herausfließt und sich nicht interessiert für die Grenzen. Und vielleicht ist es ja genau das, oder nur sie, die Liebe, die man hemmungslos in den offenen Raum strömen lassen kann, denn sie wird (vermutlich) keinen Schaden anrichten.

Portrait

 


Sakshi mit  Maggie und Stella

typisch (?)

Heute kommt die Sunday Times, obwohl Montag ist, das geht schon so seit Wochen. Ich habe aufgegeben, den Zeitungsbringer aus der Sikh Community zu fragen, ob es wohl eines Tages mal wieder zusammentreffen könnte, der Tag und die Tageszeitung. Egal, sonst beklagt sich ja keiner. Es macht eh keinen bedeutsamen Unterschied, man hat ja noch andere Quellen und wusste deswegen vieles schon gestern, was man heute überfliegen kann. Was mir jetzt (nochmal) auffällt ist, dass auf der Titelseite entweder ein neues Phone gepriesen wird, heute von Apple (das FURSAT) (?), auf dessen display man  eine schön geschminkte Frau im erzkonservativen Hochzeitsdress sieht, oder einem ein schickes Appartment ans moderne Herz gelegt wird in diesen Hochhäusern, wo bald Therapeuten dringend gebraucht werden für die von ihrer „Mata Bhoomi“  (Erdmutter) Getrennten.  Dann kommen wir in die Politik, und wir sehen hier in meinem schlecht abphotographierten Photo
Herrn Chandrachud, den Obersten Richter von Indien, sich über ein Budget (immerhin von 7000 Millionen Rupien) für das Rechtwesen freuen. Die Hände sind gefaltet, der Blick geht nach oben, wo einst Gott saß, und Krawatte und Turban bilden keinerlei Widerspruch.
Dann starb die Sängerin Vani Jayaram mit 78 Jahren durch einen Sturz im Haus. Sie sang über 10 000 Lieder in 19 Sprachen, die sind jetzt alle mit ihr verbrannt….und kannte sie jemand, der oder die das hier liest?
 Dieses Bild auf Seite 2 spricht eigentlich für sich selbst – doch sind das die Eltern oder das glückliche Brautpaar, die für einander gefunden wurden, das ist nicht so klar.
In der Kailadevi Wildlife Sanctuary fehlt der Tiger T-132. Man vermutet, dass er der schwangeren Tigerin T-138 gefolgt ist, aber man weiß es nicht, weil sie beide verschwunden sind.
Dann der übliche Mord, diesmal inspiriert durch einen Film, in dem der Körper (der Frau) in viele Stücke zersägt wurde und diese Praxis neuerdings zu mörderischen Anregungen geführt hat.
Dann ein Racheakt, bei dem der Vater eines Sohnes, der ermordet wurde, ins Haus des Mörders geht und dort eine Menge Wertsachen stiehlt. Jetzt sitzt er selber im Knast, was soll das.
Nun ein paar langweilige Photos vom Desert Festival in Jaisalmer, wo mich keine 10 Pferde hinkarren könnten in diesen Tourismus Hotspot.
Und dann kommt, ganz bescheiden unten auf Seite 5 ein Loblied auf Narendra Modi, der, heißt es da, beliebter ist als Joe Biden und Macron und sogar Rishi Sunak, die neue britische Sonnengestalt. 78 % Approval Rating hat er, der PM, mit dessen Namen ich hier im Dorf vorsichtig hantieren muss, denn es gibt viel approval rating für ihn, den Führer der Hindutva Bewegung. Sie lieben ihn, wenn mir eher übel wird von seiner ekelhaften Betulichkeit. Auch wenn es vielleicht eine andere Seite zu der BBC Dokumentation über Narendra Modi gibt, sollte man sich den Streifen anschauen. Das, was darin zweifellos auch wahr ist, ist in Indien verboten worden, weil Herr Modi den finstren Schatten nicht los wird (dass er mal befohlen hat, 3 Tage lang nicht einzugreifen, als Hindus Muslime gejagt und getötet haben auf bestialische Weise. Hindus sehen sich gerne als friedlich, das kann noch eine Weile dauern.
Schah Rukh Khan, der hier in dem viel umstrittenen Film „Pathaan“ (der am ersten Spieltag ungeheure Summen einspielte) Neues und vorher selten Gesehenes mit Deepika Padukone zum Besten gibt, ist ein Muslim, der mit einer Hindu Frau verheiratet ist, sich aber als bester Schauspieler durchsetzen konnte. Der Anstoß war, dass Frau Padukone dieses gewagte Kleidungsstück in orangener Farbe trug, also die heilige Farbe der Auserwählten damit kühn ins Lasterhafte geworfen wurde, das ließ die Besucherzahlen nach oben schnellen. Selbst ich war etwas überrascht, als mir Shivani den Trailer zeigte, denn vor Kurzem war Küssen in indischen Filmen noch verboten. Allerdings singt sie hier zur Szene im Film, dass es ihr scheißegal ist, was andere denken, denn sie will einfach tun, was sie will, und dagegen ist ja nichts einzuwenden.
Das war der Montagsbeitrag von mir, die ich gerade mein eigenes, ganz persönliches Indien lebe, das sich auch zuweilen mit diesen Facetten unterhalten kann.

r.m.drake

She asked if there was anything
I wanted for next year? If I had
any goals?
I looked at her and said: healing.
I just want healing. That’s all.

The Dilbert Experience

Der Comic „Dilbert“ begleitet mich auch schon viele Jahre in Indien, und obwohl ich ihn gruselig finde (weil er gruselig ist), lese ich ihn jedes Mal, das mag viele Gründe haben. Das andere Zeug auf den abgründigen Karma-Seiten der „Times of India“ habe ich dann schon hinter mir, die Gruppenvergewaltigungen, die unter Büschen abgelegten, weiblichen Neugeborenen, die gnadenlos überfüllten und daher verunglückten Jeeps, die sich sorgfältig zerhackt habenden Ehegatten oder Gattinnen etcetera. Dann kommt die Seite, wo die anderen Sachen stehen, die sogenannte „Sacred page“. Kann auch ein bisschen ermüdend sein, der Tanz um die Methoden und Wege der Selbsterkenntnis herum, und wie man definitiv zu Gott oder sich selbst kommt, oder gar zu beiden, oder zum Nichts,  und wie man definitiv nicht dort hingelangt. Das ist dann der Moment, in dem „Dilbert“ seine nüchternen Fühlerchen zur Wirkung bringen kann. Alle Figuren im Spiel setzen ihre offensichtlich grotesken Fähigkeiten ein. Der Boss ist ein Unhold, die Mitarbeiter/innen von penetranter Gefühllosigleit. Aber immerhin, im obigen Comic möchte Dilbert Asok aus der Gefangenschaft der „Jargon-Matrix“ retten, und wer möchte denn nicht aus der Jargon-Matrix gerettet werden!? Auch kann hier, ebenso gut wie woanders, der über die Groteske geleitete Durchbruch hin zum Tröpfchen Wahrheit sich wie von selbst ergeben, und  deswegen lacht man ja, weil man was verstanden hat, auf das man s o nicht gekommen wäre. „Wo zum Teufel kommst denn d u her, fragt der aus der Blase Gerissene den tapferen Helden Dilbert, der sich für den Kollegen auf die gefährliche Dimensionsverschiebung eingelassen hat. Nur durch diese Heldentat des Herbeigeeilten wird ihm (Asok) ja klar werden, oder auch nicht, dass er sich in einer Blase aufgehalten hat. Groteske mit einer erlösenden Wirkung kann eine warmherzige Komponente haben. Gestern war ich zu Besuch bei Freunden, die in einem Marmorpalast wohnen. Dort wohnen auch fünf kleine, sehr fette Hündchen, die jede substantielle Unterhaltung unmöglich machen, und so klafften viele Themenfetzen zwischen Modi, den sie alle lieben, ich aber unerträglich finde, und ob nicht die praktische Wasserspülung des indischen Toilettenverhaltens gut zu verfeinern wäre mit westlichem Klopapier, was noch immer zu indischem Erschaudern führt. Auf jeden Fall immer die Hündchen überall, geradezu unbeweglich gemacht durch Überfütterung, im Bett auf der werdenden Mutter liegend und so verwöhnt, dass sie alleine kein Fressen zu sich nehmen, sondern handgefüttert werden müssen, also die Chapatis mit dem Yoghurt runterschieben in die Hundekehlen, das Ganze fünf Mal. Warum ich darüber lachen kann ist, weil ich die Menschen mag, sie sind mir wichtig. Wir haben sehr viele bereichernde Stunden miteinander verbracht, sind durch riesige Dramen miteinander und ohne einander gewandert, haben einander überrascht und gefordert. Das können doch ein paar Hündchen nicht stören, isn‘ t it, Dilbert?

herumstehen

In Indien wird viel herumgestanden – allein oder auch zusammen. Es fällt nicht weiter auf, da es überall zu sehen ist. Die neue Variante ist das Smartphone, das in der Hand nicht fehlen darf, ich meine natürlich vor allem Männer. Denn wenn eine Frau einfach nur herumsteht, fragt sicherlich jemand, ob sie nichts zu tun hat. Ich stehe zur Zeit auch öfters mal herum, das hat mit meinem heranziehenden Abschied von Indien zu tun. Ich stehe und starre hinein in das unzerstörbare Ewig, in dem ich immerhin mein halbes Leben herumwandern und wirken konnte mit dem, was ich jeweils war. Nun bin ich tatsächlich die, die „in it“ ist, aber nicht mehr „of it“. Alles, was ich höre und sehe, ist zutiefst vertraut: das Herannahen der Affen, das Brüllen der Ochsen, der ohrenbetäubende Lärm der Hochzeitsmusik, das konstante Hupen der Rikshas und Scooter und Motorräder, und das laute Schreien natürlich der Menschen, die direkt vor dem Haus am See ihr brahmanisches Ego ausleben. Und wehe, es macht jemand was falsch, dann sind sie in ihrem Element, die selbsternannten Halbgötter. Nun ist mir aber vor ein paar Tagen beim Stehen aufgefallen, dass gegenüber, in einem der unzählbar vielen neuen Hotels, zum „Weißen Lotus“ betitelt, auf einmal keine Techno Musik mehr nervt, sondern langsame Stücke einer friedlichen Musik sich in mein Lauschen hineinversenkt haben. Das kommt nicht so häufig vor, dass Musik mich direkt anspricht, seit meine eigene Musik sich aus meinem Leben in Form einer Geige zurückgezogen hat. Ich hatte sie noch hier, als ich anfing, am Feuer zu sitzen, bis mir klar wurde, dass sie den Sand der Wüste nicht überleben würde, und gab sie weiter. So ging ich eines Morgens tatsächlich hinüber zur Musikquelle und traf dort Arnold der Costa, einen jungen Mann aus Goa, der drei Foreignern gerade sein Yoga vermittelte. Er versprach mir, ein paar Stücke von seiner Playlist zu meinem WhatsApp zu schicken, und tatsächlich, heute früh trafen sie ein. Ich stand noch eine extra Weile herum und freute mich. Es ist meine Abschiedsmusik – neu – ruhig – zutiefst berührend und Kunde gebend vom Unaussprechlichen.

yatra


Rahul Gandhi, der Wanderer
Nun sind die vom Unwetter durchnässten Materialien getrocknet, und man kann sich mit anderem beschäftigen. Es segelten (wegen der klimatischen Verzögerung) gleich drei „Times of India“ durch meine Haustür, der austragende Sikh war sichtlich überfordert. So erfuhr ich, dass Rahul Gandhis sogenannte „Bharat Yodo Yatra“ in Kashmir zu Ende gegangen ist, was auch das Ziel war. Dort schneite es, und selbst Gandhi hatte eine Jacke an. Man sieht auch, dass er ein bisschen verklärt wirkt. Aber klar, er hat vierzehn indische Staaten zu Fuß durchquert, und das in fünf Monaten. Ich erwarte nicht, dass diese Nachricht jemanden vom Hocker reißt, aber mir gefällt die Geschichte, weil sie m.E. nur in Indien stattfinden kann. Ein Politiker also, der es eh schon schwer hat wegen seiner Zugehörigkeit zur Gandhi-Dynastie, aber auch persönlich gegen ein schwer auflösbares Weich-Ei-Image zu kämpfen hatte und hat,  dieser Sohn von Sonia Gandhi, (halt auch mit dem italienischen Blutstropfen drin), der hatte irgendwann diese Idee, dem Volk näher zu kommen und dem Volk zu zeigen, dass er das kann. Denn man nahm ihn nicht ernst wegen dem Goldlöffel im Mund, und so zog er aus und verkündigte, von sich aus auch alleine seine Wanderung zu machen, nur für seine eigene Liebe für Bharat (Name für Indien), also nicht für das Vater – sondern für das Mutterland, Bharat Bhoomi eben (Kosenamen für die (indische) Erde). Bald folgten ihm Tausende, überall küsste und herzte er Menschen, und stramm ging’s weiter, bald mit mitreisender Küche im großen Stil: Zelte für die Zugelassenen, Essen und Trinken von guter Qualität. Die Inder sind wahre Meister dieser organisatorischen Vorgänge, alles klappt am Schnürchen, überall Helfer für die immer größer werdende Sache, bei der man nun dabei ist: Rahul Gandhi wandert von unten im Land nach oben, wo die Feinde (Muslime) wohnen, aber nicht seine, er ist auch menschlich und herzlich zu Muslimen. Es wäre ein Leichtes, einen Heiligen aus ihm zu machen, aber er läuft eben bereits wieder als Politiker, und ob ihm die Menschennähe bei der nächsten Wahl helfen wird, das steht in den Sternen, aber leider nicht geschrieben, sonst könnte man’s ja lesen. Für mich ist das so, dass ich daran interessiert war und bin, ob es ihm gelingen wird, diese gruselige BJP-Partei von Narendra Modi zu besiegen wegen der Hindutva-Gefahr. Nicht ohne Grund blitzt das Hitler-Gespenst vor dem Auge auf. Wann ist etwas schon zu weit gegangen, und wann gibt es endgültig kein Zurück mehr. Wenn die Spieler merken, auf welchem Feld sie stehen, und wo der Rubel rollt. Wir leben in einer Zeit, in der menschliche Qualitäten viel diskutiert werden, aber wo bleiben Raum und Zeit, sich um die Umsetzungen zu kümmern? Sie kommen ja nicht von alleine, die Qualitäten, man muss sich (ständig) um sie kümmern. Und was könnte der friedliebende Rahul Gandhi tun, wenn er beim Republic Day als Prime Minister da säße, wenn die nur in indischer Produktion gefertigten Waffen an ihm und den Anderen vorbeifahren würden (weil sie nun mal da sind), und irgendein politischer Unhold müsste aus verschiedenen Gründen sein Ehrengast werden?