Antony and the Johnsons

Er/sie kann echt die Ohrwurmkrankheit aus einem hervorlotsen. Immer knapp an der Grenze des Erträglichen vorbei, erreicht der Ton einen doch in einer Gefühlstiefe. Das ist die besondere Qualität dieser Stimme: die untröstliche und untröstbare Schmerzenstiefe, die einem hier geschenkt wird in Hinblick auf Welt und ihre Wunder. und was man verbindet mit dem Gefühlten. Das Lied ist  Kazuo Ohno gewidmet, der das Fühlen auch sichtbar machen kann.

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neigen

So, das Jahr neigt sich der Kurve zu, wo die neue Zahl begrüßt und herbeigeböllert wird, mit Orient und Okzident die üblichen Stunden uhrgemäß auseinanderklaffend, sodass es zu bedenken gilt, ob es nicht angenehmer ist, zu üblicher Stund‘ schlafen zu gehen, um frisch am nächsten Morgen den Tag begrüßen zu können wie sich selbst. Bei Kaffe, Buttertoast und Rosenmarmelade. Jahrelang habe ich um diese Zeit immer 10 bis 12 Tage Stille mit Innenaufenthalt gemacht, das war auch luxuriös und abenteuerlich, aber später an anderen Wohnorten  war das nicht mehr möglich. Letztes Jahr habe ich unermüdlich durchgeWhatsApped, und konnte so an zwei Mitternachten teilnehmen, nicht dass ich es wiederholen muss, sonst kommt man noch auf die Idee, um den Globus herum zu mitternachten. Und viele Menschen hier, die nicht draußen herumirren und böllern, schauen eh fern, da wird einer riesigen Menschenmenge hemmungslos vorgegaukelt, wie nah das Ferne sein kann, oder aber wie fern das Nahe. Hier fließt auch kein Champagner, der Rotwein wird als Droge gehandelt. An düsterer Ecke des Dorfrandes, wo ich öfters vorbeikomme auf dem Weg zu Krishna, dem Bäcker, um mein Brot abzuholen, gibt’s einen Kiosk, wo Männer Booze abholen, ihn verstecken und dann irgendwo trinken. Alkohol, Eier, Fleisch und Fisch sind hier prinzipiell als Nahrungsmittel verboten, doch kann man unter den Händen so ziemlich alles haben, wenn man muss. Was hier letztendlich gewahrt wird, wissen viele nicht mehr, auch das nur eine Norm wie andere. Durch die Weltbühne und die Inszenierungen, die permanent darauf stattfinden, kann man sich immer mal wieder bewegen oder erfreuen oder erschrecken lassen. Auch das kann sich aufgrund des illusionären Charakters der Erscheinungen enorm in einem beruhigen. Vom Reich der Ideen her ist viel erlaubt, doch die Preise sind zu bedenken. Morgen also der letzte Tag dieses Jahres, es ist ein Sonntag, und ein Lied von „Antony and the Johnsons“, das mir zugesandt wurde, wird zu hören sein. Es ist irgendwie eine stimmige Stimme, finde ich, für Übergang, Umgang, Rundgang und Zugang zur Acht. Ich wünsche also jedem das Seine und Ihre und Schiff ahoi! natürlich, und volle Fahrt voraus.

vermuten

Vermutlich bin ich hier unter den EinwohnerInnen die Einzige, die keinen Glauben hat, bzw. an nichts glaubt. Das Wort „glauben“ ist einem ja geläufig am Anfang der Sätze mit der Gewohnheit, Glauben mit Denken zu verwechseln, wobei Glauben die eher verschleierte Variante ausdrückt, während dem Denken zumindest präzisere Formen möglich sind. Traditionen beruhen nun einmal auf dem kollektiven Einverständnis mit dem, was allgemein geglaubt und gedacht wird. Würde mich jetzt jemand ernsthaft fragen, an was ich zutiefst glaube, müsste ich dem Wort ausweichen und könnte zum Beispiel mein Vertrauen in das Licht des Bewusstseins erwähnen, oder in die Fähigkeit des Menschen, sich selbst zu sein und zu selbständigem Denken zu gelangen und einer Freiheit, die auf diesem Denken verantwortungsvoll basiert. Man wünscht es sich zuweilen und hält es für möglich, dass alle Zugang zu allem haben, aber wer kennt nicht die Bedingungen, auf die man auf einmal treffen kann. Nicht die, die ein Gott deklariert haben soll, sondern die, die ein Mensch erkennt als ein unumgänglich Wesentliches. Wie Schlüssel, die Tore öffnen zum Nichtgekannten. Auch „Göttliches“ kann sich einem durchaus zeigen zu jeweiliger Zeit und Stunde, aber auch diese Erfahrungen und ihre Formen muss man nicht unbedingt „Glauben“ nennen. Vielleicht eher das „Unentrinnbare“, das es zu erkennen gilt als das, was es für einen selbst ist und war. Dann, wenn die Komplexitäten sich lichten, kehrt man zurück zu den einfachen Dingen, die man von Anfang wusste und spürte in sich, mit der Liebe als einzigen verlässlichen Kompass, um durch das Dickicht der Meere sicher und wohlbehalten zu navigieren. Ich habe aber oft genug Formen eines „reinen“ Glaubens hier beobachten dürfen, die eine Berührung des tiefen Staunens in mir auslösen, und ich weiß, dass mir dieser Zugang nicht möglich wäre, aber es ist schön, Zeugin solch einer beseelten Innigkeit und Versunkenheit sein zu können. Wären diese einfachen und ehrerbietigen Wesen geschützt vor Ausbeutung und Missbrauch, könnte man ihre Nähe suchen und bei ihnen sitzen im Einklang mit allem anderen. Es ist aber meist das niemals Gehörte und niemals Gesehene, und das vielfach Geschundene, das nur durch ein göttlich empfundenes Oben in der eigenen Existenz Bestätigung findet und sicher auch erhält. Das wiederum bringt die oft ermüdende, wenn auch richtige, Bemerkung hervor, dass nur Bildung hier Abhilfe bringen kann, wobei es sich nicht wirklich gezeigt hat, dass Bildung allein den  Menschen von dem erwachen lässt, was er Anderen  an Unvorstellbarem antun kann.

Das erste Bild zeigt eine Wand, in die Arbeiter kleine Löcher gehackt haben, damit die aufzutragende Farbe besser hält.

überwältigt

Sicherlich kann man nicht viel Gutes über Überwältigtsein-oder werden sagen, aber wer in Indien eintrifft, erlebt meist ein müheloses Überwältigtwerden durch die einen überflutenden Eindrücke. Das kann und hat schon immer zu Nebeneffekten geführt oder schlummernde Krankheiten erweckt, und ziemlich viele Foreigners sind in den nächsten verwirrten Schritt gestolpert, der verschiedene Formen von Verrückt-Sein hervorbringen kann, mitunter auch mit nationalen Eigenarten. Andere sind geflohen, und wieder Andere haben sich durch die Lehren geschleust und die Überforderungen mit den angebotenen Ordnungen geschlichtet. Es gibt natürlich auch das Überwältigtsein durch tiefes Erleben, das ist wohltuend und förderlich, und dann gibt es die harmloseren Formen, von denen ich heute eine hatte. Dann formt sich sage und schreibe (genau das, was mir dann fehlt) nichts in meinem System, bis ich das Notizbuch sinken lasse, und schaue mich um. Ich bin umgeben von einem Lemurenstamm, einer silberhaarigen und schwarzgesichtigen Affenbande, die öfters hier entlangturnt, und unter denen eine Krankheit tobt und oft die Kinder so schwächt, dass sie sterben. Es sieht aus wie eine Grätze, und sie kratzen sich das Fell ab, manche bleiben gesund und manche erwischt es. Gleichzeitig bereitet sich eine Gruppe von ungefähr hundert Männern aus irgend einem fernen Dorf vor meiner Nase auf ihr Bad vor, und ich entscheide mich, zum Banianbaum zu wechseln, in dessen Blätter ich dann ziemlich sinnlos hineinphotographiert habe, weil das ganze Ausmaß des Baumes und vor allem seine Wirkung nicht zu fassen sind. Fassungslos, vielleicht ist das ein besseres Wort für den Zustand, denn Indien ist das Fassungslose an sich, vielleicht haben sich deshalb hier so viele Fassungen gebildet, die alle ein Halt sind im Unfassbaren. Der spontane Ausbruch innerer Heiterkeit ist auch sehr hilfreich, muss ich immer wieder feststellen. Lachen stellt sich als eine souveräne Methode dem Fassungslosen gegenüber heraus, denn man kann es nicht selbst aktivieren, sondern es bricht sozusagen aus einem hervor. Und da man hier nach außen immer gerne die höfliche Variante wählt, kann es innen ziemlich locker und leicht werden. So setze ich also heute meinen Rundgang fort, hole ein paar Rosen ab bei Ashok und laufe weiter. Da erspäht mein Auge den Kuhfladen. Ich fasse es nicht: da hat jemand, das kann nur ein Brahmane tun, auf einem Kuhfladen eine Puja (religiöses Ritual) gemacht, kein Zweifel. Ich habe schon Brahmanen gesehen, wie sie andächtig den Kuh-Urin trinken, weil heilig, aber das sehe ich zum ersten Mal. Ich schaue um mich, weil ich mit dem Smartphone bei dieser Handlung nicht erwischt werden will, und oh Wunder, keine Gefahr in Sicht, so konnte ich zur Beweisführung dieses Bild machen, auf dem man sieht, dass alle notwendigen Items der Puja vorhanden sind: Reis, Sandelholz, und Kumkum, das rote Tilakpuder. Man lernt auch, dass die Meinungsbildung oft überflüssig ist, vor allem, wenn es einen selber nicht mehr so kümmert, was man meint. und das hilft einem dann auch weiter.
Die Bilder zeigen in redlicher Folge eines der erkrankten Lemurenkinder, dann ein schlichter Blick in den Baniauanbaum, und den gesegneten Kuhfladen. (Holy shit!)

angemessen

Auf dem Schild ist zu lesen, dass man sein Schuhwerk 100 Fuß vom Rand des (heiligen) Sees fernhalten muss.

Es gibt diese Orte, von denen man weiß, dass sie immer wieder etwas Neues aus sich herausblühen lassen werden, auch wenn Geschichten und Gebäude und Zivilisationen kommen und gehen, oder gar eine gewaltige Vernichtung stattgefunden hat wie zum Beispiel in Lanzarote, wo sich aus der riesigen Lavamasse wieder eine neue Lebensfläche gebildet hat. Bei aller geologischen oder kosmologischen Grundstimmung kommt es immer auch auf die Menschen an, und wie sie die Kräfte nutzen, die an einem Ort jeweils verfügbar sind. Während es in Lanzarote vor allem e i n Mann war, der durch eigenen Schöpfergeist das kreative Potential zu voller Blüte, das heißt auch in Einklang mit dem Vorhandenen, gebracht hat, lebt der Ort hier in Indien von einer zeitlich unbestimmbaren Saga. Von Anfang an wurde er als ein Kreis gesehen, von einer unterirdischen Quelle ausgehend, die heilende Wirkung gezeigt und vor allem einen König von der Lepra geheilt hatte, der zufällig auf das dazwischen auch einmal vergessene Wasser stieß. Der Kreis vergrößerte sich nach Möglichkeiten und beherbergte viele verschiedene Manifestationen, die kamen und gingen; Krokodile und Leguane im See, Lotosblumen und Libellen und Vögel, die nie wiederkamen, und Fledermäuse mit menschlichen Gesichtern. Und natürlich die vielen Fremden, die die Hinweise oft nicht verstehen oder achten, mit denen versucht wird, die Würde des Rundgangs trotz aller Bedrohung durch die Zeit selbst aufrecht zu erhalten. Das hat Wirkung, kein Zweifel, wenn täglich Hunderte von Menschen in ihrer besten Verfassung eine Runde drehen, eine Runde des Spendens, der Besinnung, der Ritendurchführung, der Mantren, und all die Hilfsmittel, die sie erfunden haben, um aus dem Menschen einen „besseren“ Menschen zu machen, ja, ihn mit sich selbst in Kontakt zu führen, allerdings immer mit der Auflage, dass ohne die Angebundenheit  mit dem Höheren oder Höchsten nichts gelingen kann. Das mag teilweise stimmen, denn ein vertikales Aufrichten ist ganz sicher eine Garantie, wenn auch nur ein Anfang, für ein besseres Durchatmen. Auch hier wird die Struktur oft mit dem Inhalt verwechselt, oder ganz ohne Inhalt angeboten. Die Form ist aber nur eine Stütze, ein Rahmen, in dem stattfinden kann, um was es geht. Solch einen „geheiligten“ Ort kann man gut nutzen, um eigene Klarheit zu erlangen über das, mit was man in Berührung kommt, und wo man sich gefahrlos einlassen kann auf ein inneres Feld, das auch als „Kosmische Hängematte“ bekannt ist, jetzt nicht in bereitwilliger Schläfrigkeit, sondern eher in entspannter Wachheit, die es ermöglicht, dem jeweils Seienden die angemessene Resonanz zu geben. Das kann und soll auch durchaus unterhaltsam sein, vielleicht genauso unterhaltsam wie Träume, wenn man sie versteht. Freischwebende Aufmerksamkeit…so oft und viel das einem gelingen mag.
Während ich die letzten Zeilen geschrieben habe, ging draußen so ein Geschrei los, dass ich ans Fenster bin. Man kann das schwer einschätzen bei den Brahmanen, ob sie die Pilger gerade zurechtstutzen, weil die was falsch machen, oder ob sie miteinander streiten. Ja, nicht nur Streit heute, sondern der Mann, den ich morgens immer zuerst freundlich grüße, denn er öffnet, wenn ich hinausgehe, gerade seinen Laden mit den Puja-Sachen, und der wirft vor meinen Augen gerade einen anderen Brahmanen auf die Treppe und kickt ihn dann noch hinterher. Da ist erstmal Sense mit der freischwebenden Aufmerksamkeit, und man muss mit der Verstörung umgehen. Was auch immer der Eine getan hat, das rechtfertigt nicht so ein Verhalten. Es ist der Tropfen Tinte im Wasserglas, der es erschwert, das klare Wasser zu sehen.

nochmals

Nochmals, bevor der ganze Zauber wieder vorbei ist, zu den Nikolausmützen und weiteren x-mas Devotionalien, die in der „Times“ an den beiden Feiertagen in einem extra, glänzenden Doppelblatt angepriesen werden. Eine Lebensberaterin mit so einem geradlinig aufgesetzten Nikolaushut schlägt vor: „Be your own Santa Claus (!)“, das droht so tief zu werden, dass man gerne weiterschaut. Und tatsächlich, ein halbseitiger Bericht über die Wurzeln des Tannenbaumsymbols. Das muss ja meinem Denkansatz nicht schaden, im Gegenteil: hier ist solide Info zu haben, knowledge von West nach East befördert und wieder zurück, oder aber vom Google-Guru geschenkt bekommen, wer weiß? Es ist also hier unter anderem die Rede von einer deutschen Legende, wo einst ein Förster und seine Familie bei Tisch sitzen und es klopft und ein frierender Junge kommt rein und wird warm empfangen und großzügig bewirtet, und jemand überlässt ihm sogar sein warmes Bett, um auf dem Boden zu schlafen. Am nächste Morgen haben dann alle ein Leuchten um den Kopf des Gastes gesehen, es war Jesus persönlich. Er hat dann einen Baum da gepflanzt, der langsam im Laufe der Zeiten „Weihnachtsbaum“ genannt wurde. Von einer weiteren, nie von mir gehörten Legende wird noch berichtet, und zwar, dass Adam, als er im Sterben lag, einen Cherub zum Garten Eden schickte, um dort das Öl der Barmherzigkeit zu holen. Das klappte zwar nicht, doch der Cherub pflanzte auf Adams Grab einen Zweig vom Lebensbaum, aus dem später ein Baum wuchs, und von dem auch der berühmte Stab von Moses abstammen soll. Na bitte.   Als wir dann auch gestern zusammen saßen und von Shivani, die seit dem Morgen in der Küche vielfältige Gerichte zubereitet hatte, bewirtet wurden wie im Goldenen Zeitalter, na, nicht ganz, weil es dort 56 separate Speisen zum Essen geben soll (habe ich gehört), ja gestern Abend also dachte ich: dafür sind die Feiertage doch ideal. Ein Event vor langer Zeit, hochgehalten und zu einer Religion gemacht, dient eben zum Zusammenkommen, das ja auch oft nicht mehr zu leisten ist, da Menschen immer beschäftigter werden und geschlossene Läden brauchen, um zu sich zu kommen oder zur Familie, wo man auch schon lange nicht mehr richtig viel Zeit hatte, um die Zusammenhänge und die geheimen Vorgänge  zu verstehen. Feiertage bringen einen Entschleunigungszwang, den es zu genießen gilt, wenn man kann. Dann sehe ich noch hier in der Zeitung ein Rezept für Marzipan, ja müssen die denn alles kopieren, das wird ja der Renner hier in Indien, und ich hier an X-mas ohne Marzipan! Go creative with marzipan!

Hans Magnus Enzensberger

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ZWEIFEL

bleibt es, im großen und ganzen, unentschieden
auf immer und immer, das zeitliche spiel
mit den weißen und schwarzen würfeln?
bleibt es dabei: wenig verlorene sieger,
viele verlorene verlierer?
ja, sagen meine feinde.

ich sage: fast alles, was ich sehe,
könnte anders sein. aber um welchen preis?
die spuren des fortschritts sind blutig.
sind es die spuren des fortschritts?
meine wünsche sind einfach.
einfach unerfüllbar?
ja, sagen meine feinde.

die sekretärinnen sind am leben.
die müllkutscher wissen von nichts.
die forscher gehen ihren forschungen nach.
gut so. die esser essen.

indessen frage ich mich:
ist morgen auch noch ein tag?
ist dies bett eine bahre?
hat einer recht, oder nicht?
ist es erlaubt, auch an den zweifeln zu zweifeln?

nein, euern ratschlag, mich aufzuhängen,
so gut er gemeint ist, ich werde ihn nicht befolgen.
morgen ist auch noch ein tag (wirklich?),
die augen aufzuschlagen und zu erblicken:
etwas gutes, zu sagen: ich habe unrecht behalten.
süßer tag, an dem das selbstverständliche
sich von selber versteht, im großen und ganzen!
was für ein triumph, kassandra,
eine zukunft zu schmecken, die dich widerlegte!
etwas neues, das gut wäre. (das gute alte kennen wir schon…)

ich höre aufmerksam meinen feinden zu.
wer sind meine feinde?
die schwarzen nennen mich weiß,
die weißen nennen mich schwarz.
das höre ich gern. es könnte bedeuten:
ich bin auf dem richtigen weg.
(gibt es einen richtigen weg?)

ich beklage mich nicht. ich beklage die,
denen ich gleichgültig bin mit meinen zweifeln.
die haben andere sorgen.

meine feinde setzen mich in erstaunen.
sie meinen es gut mit mir.
dem wäre alles verziehen, der sich abfände
mit sich und mit ihnen.
ein wenig vergeßlichkeit macht schon beliebt.
ein einziges amen,
gleichgültig auf welches credo,
und ich säße gemütlich bei ihnen
und könnte das zeitliche segnen,
mich aufhängen, im großen und ganzen,
getrost, und versöhnt, ohne zweifel,
mit aller welt.

(Dieses Gedicht kenne ich schon seit meiner Jugendzeit in Berlin und bin zufällig darauf gestoßen, ein seltsames Gefühl, ich kannte fast alle Zeilen noch auswendig….gut, gestern war Sonntag, aber heute ist auch noch Raum dafür…ein guter Ausgleich zu den roten Nikolausmützen, die vor allem bei indischen Frauen so beliebt sind,
natürlich vor allem in den größeren Städten.)

 

Sneh

So, dann habe ich mir für die Feiertage diesen Engel herbeigepinselt, denn man trägt doch immer auch Spuren des Einstigen in sich, das in großen, verehrten Büchern heilig erzählt wurde und vor allem im kindlichen Gemüt trostreiche Spuren hinterlassen hatte. Dann das Basteln von Laternen, die von innen heraus leuchten, und das Fabrizieren der Geschenke, und die unvermeidbare Geschichte mit den Königen, die aus dem Orient kamen und dem Stern folgten und dann auf den kleinen Jesu trafen. Da brauche ich hier nicht weit gehen, um so eine Hütte zu finden mit Ochs und Esel und ein paar Ziegen, aber natürlich kein Heiland in Sicht weit und breit, um die Tempel leerzufegen von den Verkaufsständen. Und auch ich konnte den Indern nie vermitteln, wie es zu zelebrieren ist, das heilige Fest von der Geburt des Schmerzensmannes, der sich auch noch verlassen fühlte später von seinem Herrn. Kein Schnee hier, sage ich immer, es braucht Schnee und einen Tannenbaum, und viele Kerzen, die werden hier nur im Notfall benutzt, wenn mal wieder das Licht ausgeht. Zum Glück fragen sie auch nicht so viel wie ich bei ihren Festtagen, wo das alles herkommt und was sie bedeuten, die verbliebenen Symbole des Heiliggesprochenen, ja keine Ahnung, wo er herkommt, der Tannenbaum, o Tannenbaum, das Lied erklärt es mir etwas, er grünt eben nicht nur zur Sommerzeit, sondern auch im Winter, also ein Zeichen des Lebensbaumes und des ewiglich Grünenden. Nun haben die Inder Weihnachtsferien, weil sie in den englischen Kalender navigiert wurden, und zweifelsohne ist das für viele Menschen sehr schön, und auch ich mag diese Zeit zwischen dem 24sten und dem ersten Tag des neuen Jahres, eine Kurve der Stille und Ruhe, wenn man sich das erschaffen kann in all dem erschöpfenden Trubel. An diesem Punkt musste ich unterbrechen, da ich draußen am Ghat mit einer sehr jungen Inderin verabredet war. Wir hatten uns letztes Jahr mehrfach am See getroffen, da sie den See liebt und ich auch täglich um den See kreise, das heißt hier „Paricrima“, die Umwandlung. Sie will Bankerin werden und hat ein reges Interesse, ja, an vielem. Wir kamen auf die Feiertage zu sprechen und Jesus, und dass sie dachte, alle AusländerInnen, die hierher kommen, seien Christen. Sie ist erstaunt, dass ich nicht Christin bin. Hindu zu sein kann man nicht wählen, und man kann auch nicht aussteigen. Ich bin aus dem Christentum auch nicht ausgestiegen, ich war nie drin. Oft interessiert es mich auch, die Geschichten zu hören, die so vielen Menschen immer so vieles bedeutet haben und bedeuten. Oder selbst mal darüber nachdenken, wie es wohl war für ihn, Jesus Christus, diesen schrecklichen Weg zu gehen. Die Religionen sind sicher eine mächtige Stütze, und es fällt wahrhaft schwer, bestimmte Rituale und Handhabungen mit irgend etwas anderem, Reichhaltigem zu ersetzen, aber sie, die Religionen und ihre Herden fügen auch mächtig viel Schaden zu. Nein, kein Mitglied einer Religion, keine Christin. Vom menschlichen Sein her ist alles berührend: die Schönheit, und dann: der Schrecken. Da wir hier keinen Schnee haben, fiel mir das Hindi Wort „Sneh“ ein, ein schönes Wort und bedeutet „Zärtlichkeit“, eben sneh. Davon wünsche ich viel und einen stillen Abend, und eine friedvolle Nacht.

 

Wohnrecht

Auf dem Bild sieht man einen Sadhu (sowas wie ein Mönch), der sich in einem der für die Öffentlichkeit gedachten Pavillons eingenistet hat. Das ist immer ein schleichender Vorgang, der von vielen Dingen abhängt. Erst kommt der Sadhu an, keiner kennt ihn, er sitzt bescheiden herum und versucht, einen möglichst guten Eindruck zu machen, damit ihn keiner verscheucht, wenn er ein paar Tage und Nächte da zu sehen ist. Meistens breiten sie dann ihre Tücher und darauf die heiligen Bücher aus, um zu signalisieren, mit was sie beschäftigt sind. Das dauert dann eine Weile, und wenn es gutgeht, kommt der nächste Schritt. Es ist kalt in der Nacht, so verhängt er eine Seite mit Tüchern, um die er bittet. Schon wird’s gemütlicher. Wenn er keinen stört und nicht zuviel Unsinn redet, gewöhnt man sich an ihn und lässt ihn sein. Da er diesen super Platz am See behalten will, kann die Anstrengung, sich zu etablieren, Gutes in ihm und für ihn bewirken. Pilger kommen vorbei und geben ihm Münzen und Zeug zu essen, und bald hat er alles, was er braucht. Der Pavillon sieht nun aus wie ein kleines Wohnzimmer. Aber offiziell. Mein Weg hier hat auch ähnlich angefangen, war wirklich nur in Indien möglich und von westlicher Sicht aus kaum denkbar. Damals hatte ich mich entschieden, mein reich bestücktes Haus in Kathmandu zurück zulassen, um hier ein neues Leben anzufangen und gar nicht mehr zurückzukehren zu den Schätzen, um nicht von ihnen gebremst zu werden (Ahhh! Meine Collections!). Am Verbrennungsplatz, wo ich mich entschieden hatte zu wohnen, war ich einigermaßen gesichert, Auftritt Archetypus „Kali, weibliche, konventionssprengende Kraft, heißt: ich konnte meinen Weg dort alleine finden, geschützt von ihren hohen Ordnungen, die noch in Bewegung waren. Ich konnte eine Menge Erfahrungen sammeln, und irgendwie passte alles gut zusammen. Ich meinte es richtig ernst, das erkennen die Inder und schätzen es, und das schätze ich wiederum an ihnen. Sie beobachten und bilden sich ihre Meinung. Wenn die sich gebildet habenden Meinungen einigermaßen übereinstimmen, kann man bleiben, und eventuell kommen gute Ratschläge, wie man das Begonnene am besten meistert. Mir wurde dann irgendwann von Brahmanen ein Sadhu empfohlen, von dem ich die praktischen Dinges des Sadhu-Umfeldes erlernen konnte: die Handhabung des Feuerplatzes, der Umgang mit Kuhdang und Asche, das Aufnadeln von Blumenknospen zu einem Kranz (Rosen!) Man muss da lange still sitzen können und guter Dinge sein und bleiben. Der Tag ist lang und braucht nützliches Knowhow auf allen Ebenen. Deswegen ist es jetzt selten, dass man sie trifft, die Sadhus, mit denen man sitzen will. Sie können in der neuen Welt ihren Auftrag nicht mehr erfüllen und sind wie ein leeres Blatt, auf dem die Sorge steht um das nächste Essen. Heute bin ich froh, dass ich bereit war, alles von ihnen zu lernen, was möglich war. Dadurch kenne ich mich ganz gut aus und kann mit mir und meinen Inhalten ziemlich ungestört und freundlich durch das Seinsfeld wandern.

licht

Man scheut sich ja fast, so ein Bild in die Welt des graubewölkten Winters zu schicken, aber wir hatten das auch hier zur Abwechslung schon ein paar Mal, froh, die Sonne wieder zu sehen, wo es morgens, wie heute früh auf diesem Bild, so kalt ist, dass man von warm umhüllten Wesen umgeben ist. Dann allerdings die Sonne, in der man dann aufwärmen kann, eine wunderbare Beschäftigung: aufwärmen. Dann der tägliche Gang an den Ufern, wo morgens alle gut drauf sind, weil sie was geben. Der Eine bringt Toastbrot für die Hunde, der Andere Körner für die Vögel, dann gibt es auch personifizierte  Ideen über das Gutsein, denen man zuschauen kann. Alle sind auf ihrer Bahn, alle schauen zu. Das Dasein ist hier als ein Kunstwerk erfasst worden, das es zu bewältigen gilt. Gut, der letztendlich Eine, der unkörperliche Gott hinter all den Göttern, regelt das alles, aber der Job muss trotzdem getan werden, mit den auferlegten Schicksalsknoten und den freiwillig  auferlegten und durchgeführten Pflichten. Und dann die vielen verschiedenen Köpfe zu Hause, die man haben musste und nun ernähren und kleiden und zur Schule schicken muss. Dann gibt es natürlich auch für die Inder so ein Leben, wie ich es hier lebe, ja, habe ich es nicht von euch gelernt? (Verhältnismäßig) einfach soll es sein, damit der Überblick ohne Anstrengung möglich ist, dh., es gilt kundig mit Dingen und Menschen umzugehen, damit man selbst und die Anderen nicht zu sehr gestört werden. Das geht sehr gut hier im Osten, man braucht gar nicht vortäuschen, von derselben Sorte zu sein, nur freundlich soll es sein, und erkennbar, was man tut und wer man ist. Klar, alles läuft noch im Draußen ab und man sieht sich und wird auf vielfältigste Weise bezeugt. Dann gibt es noch etwas, was ich hier zutiefst schätze, das ist die Möglichkeit zu fühlen, tief zu fühlen, so tief, dass es einen umhauen kann, denn man ist doch nie darauf vorbereitet, so viel Unvorstellbares zu sehen. Unter der Brücke ist eine sehr dunkelhäutige, schöne Frau mit ihrem kleinen, wirklich sehr strahlenden Kind eingezogen, sie wohnt da jetzt und kocht und spielt mit dem Kind. Da wird nichts passieren, was einem Hoffnung geben kann, obwohl auch das manchmal geschieht. Aber wer aus dieser Gesellschaft ausgebootet wird, ist draußen, da mischt sich niemand mehr ein. Was tun? Mir kommt nur das Lächeln in den Sinn, einen Moment Menschsein zusammen, das ist schon gut. Sollte ich eines Tages einen herzensbereicherten Abschied von diesem Ort, der Hälfte meines Heimatbewusstseins, erschaffen können, so wäre an diesem Punkt am meisten zu danken. Überall, wo Liebe möglich ist und zugelassen werden kann, kommt diese Dankbarkeit auf, denn da liegt doch die Quelle des Reichtums. In diesem Sinne ist Indien viel eher eine Anarchie als eine Demokratie, nämlich im Zulassen des denkbar Unmöglichen, in das auch wir als Ausländer und Fremde integriert werden konnten, so wie sie, die Hindu Community, alle Eroberer und Beherrscher durch Zulassen integriert hat. Auch von uns wollten sehr viele nie wieder gehen. So eine Kultur überzeugt immer wieder, oder noch immer, mit der direkten Transparenz ihres  Wesen, das sich in die Zellen gesenkt hat.

 

dabei

Die Welt ist ja nicht nur ein Paradies und eine Hölle, sondern vor allem auch ein Resonanzkörper für das, was auf ihr geschieht und angestellt wird. Wer kennt nicht den schnellen Unmut, wenn der Kopf brummt oder eine anstrengende Begegnung einen in die Nicht-Freude am Menschen transportieren kann, wie auch immer flüchtig und vergänglich das meistens ist wie alles, was hier vorüberzieht. Und das, was stabil erscheint und verlässlich, hat immer mit inneren Einstellungen und Haltungen zu tun, die man sich im Verborgenen mit der nötigen Ernsthaftigkeit ans Herz genommen hat, und das unermüdlich über die sich dehnenden Jahre hinweg, die auf dieselbe Art und Weise Ewigkeit sind und Flüchtigkeit. Wer weiß schon, warum das alles nötig ist, was man selbst bei sich nährt und erzieht, wissend, dass da, wo ein lichteres Bewusstsein sich durchsetzen konnte, der Giftbecher auch nicht weit war. Nur kann man daraus keine endgültigen Schlüsse ziehen, vielleicht etwas speichern über die Kunst des Sterbens. Ich hänge aber noch etwas gedanklich herum an dieser digitalen Revolution. Es verblüfft, wie schnell man sich selbst zu verstehen geben kann, dass halt in der eigenen Zeit die Dinge vergehen wie die von Silvia Bovenschen in „Älter werden“ erwähnten Milchflaschen, die noch vor Jahren mit Ackergäulen vor Türen transportiert wurden, oder wie man Goethe um seine Kutschenfahrt durch Italien nachträglich beneiden könnte. Und ja, auch das Verschwinden des Pfluges und der Sense muss für viele schmerzhaft gewesen sein, obwohl die Umschwünge einen gezwungen haben zu glauben, dass die Maschinen dem Menschen mehr Zeit gönnen werden für sich, was sich nicht wirklich umgesetzt hat. Das wissen wir sehr wohl von der Technik, dass wir abhängen von ihr draußen und drinnen, von den Autos ganz zu schweigen und den Flugzeugen, die uns,  illusionsgeladen und grenzenlos ichbedienend, durch das glänzende All tragen, wo man manchmal, an die versiegelten Fenster gepresst, unten auf der Erde Länder und Wohnorte sieht, da will man nie hin, und man wird auch nie wissen, wie es die da in die kalte Einöde verschlagen hat, und da ist man froh, auch dort elektrisches Licht zu sehen. Hier im Dorf wurden, als ich damals ankam, die ersten Lichtschalter angebetet, ist es doch immer der Gott gewesen, der so tolle Ideen hat. Nun wird auch nicht jede/r  durch das smarte Phone aus der eigenen Welt gerissen, und manchem kann das vielleicht auch mal gut tun. Nur…nur…(noor) Sloterijk und Erich Fromm schwirren mir durch den Kopf….brauche ich Beistand in der Wahrnehmung einer einmaligen globalen Katastrophe, die meinem persönlichen Wohlbefinden und meiner Weltbegeisterung gerade keinen Abbruch tut? Aber das ändert ja nichts an den Tatsachen. Und eben der dadurch auftauchende Schwerpunkt des Denkens, konzentriert auf die noch nicht beantwortete Frage, was den Menschen zum Menschen macht, ganz abgesehen von der, meist westlich geprägten, linearen Intelligenz, die auf dieser Linie alles für menschenmöglich hält, was es letztendlich auch zu sein scheint. Denn auch wenn der Mensch sich als Mensch verliert, ist ihm das möglich gewesen. Ein Mönch hat mich mal darauf hingewiesen, dass alle Zeitalter und Ebenen immer gleichzeitig da sind und es sehr früh im Leben schon von uns abhängt, wo und warum wir uns irgendwo aufhalten, und welche Daseinsschulung uns anspricht, ganz abgesehen von den flüchtigen Dingen, die mit der Zeit hinter uns verschwinden. Wo ich mitmache und dabei bin bei den vielen Angeboten, und wo nicht.

Spreu (und Weizen)(?)

Das droht ja, eine Serie über Affenliebe zu werden. Die braune Dame, die sich oben im Bild, das braune Kleine auf dem Rücken, gleich auf dem Fluchtweg an der Wand herunterlassen wird, ist eben, oder sind beide unterwegs im stolzen, silbernen Lemurenstamm, mehr oder weniger geduldet wegen der Beziehung zum Anführer. Da ich sie nicht mehr so oft sehe, aber öfters Ausschau halte nach ihnen, ist mir dieses Bild durch das Gitter meiner Tür gelungen, eine Komposition in den Farben, mit denen ich grad am liebsten pinsle. Ja, natürlich ist die Welt auch weiterhin voller Wunder. Auch wenn der Mensch an sich selbst und seinen Produkten ersticken wird, ist auch das ein Wunder. Das Wunder höret nimmer auf. Es ist ja auch, von mir aus in jeder kommenden und gehenden Generation das Ausmaß des jeweils menschlichen Ausdrucks, mit dem der oder die Lebende umgehen muss. und die Haltungen, die dazu zu finden sind, will man das Ganze nicht als vollkommen ichbezogene Einheit einfach (versuchen zu) ignorieren. Sich selbst als mitspielendes Teilchen wird man dabei trotzdem nicht los. Und es sind nicht nur die Philosophen, die den gerade stattfindenden Quantensprung des Bewusstseins, vorausblickend durch die logischen Zusammenhänge, kontempliert haben, sondern dieses Bewusstsein beinhaltet eine starke Spaltungsgefahr, etwa so, wie die Entscheidung zwischen Spreu und Weizen. Wie gesagt, wenn die neuen Jungen locker mit anderen Wegen der Kommunikation aufwachsen, das ist ja bereits das neue „Normale“, aber da bleibt ja bekanntlich der Druck und die Gier nach neuer Ware nicht stehen. In diesem enormen Zwiespalt, der sich ständig vergrößert, geht es doch nur noch um die Frage nach dem Menschen, und ob er das ist und bleiben wird, oder ob es im Reich der Roboter überhaupt noch nötig sein wird, sich an das einst Menschliche zu erinnern. Ich finde es, ehrlich gesagt, ziemlich interessant, hier als Zeugin unterwegs zu sein, das ist eine gewaltige Zeit, in der die Erde und ihre Flächen verkauft werden an Meistbietende. In den Wüsten und Dschungeln entstehen Oasen und Lichtungen. Wo die Sonne noch durch den Smog dringt, leuchten die Dinge der Welt auf, auch Schatten und Nebel sind angenehm. Vielleicht beides akzeptieren, wie es ist, die Spreu und den Weizen. Warum sollte man dadurch die innere Freiheit verlieren? Aber dass das sogenannte „Eiserne Zeitalter“ sein soll wie alle Zeiten, das kann ich nicht sehen, denn es ist die Entwicklung der technischen Geräte, die direkt in den Strom des natürlichen Lebens eingreift und in keinster Weise darauf ausgerichtet ist, den Menschen in seinem Beisichselbstsein zu fördern. Sich nach draußen erweitern war immer schon ratsam, aber förderlich ist im Umgang mit allem, wenn die Verbindung mit dem eigenen Sein stattgefunden hat. Die Antworten auf die ewigen Fragen können auch immer offen bleiben…

fragil

Alles ist gleichzeitig mit der vorhandenen Kraft so zerbrechlich, so angreifbar, so zart. Als ich die ersten Familienmitglieder des verstorbenen Zwillings sehe, berührt mich, wie verwandelt sie aussehen, wie dieser Tod sie mitgenommen hat in den Schmerz und die Trauer, und ja, da hilft es ganz sicher manchmal, nach oben zu zeigen, wo höher vermutete Mächte sich um die Hilflosen kümmern. Wir haben doch gar nichts getan, sagt Dipu, so, als könnte nur das schlechte Verhalten so etwas Schreckliches hervorbringen. Aber das Unvermutete bricht überall ein in die Zerbrechlichkeit, auch wenn Körper und  Geist gehütet werden wie der Augapfel, der auch nur zuschauen kann, wie die Dinge sich entfalten. Aber es ist doch auch diese (vermeintliche) Unschuld, die (ihnen) noch schwer in den Knochen liegt und wiegt und neue Konflikte hervorbringt mit dem Angebrachten, dem Hervorgebrachten und dem Umgang mit der Ungewissheit, was im Dunkel der Nächte schon alles geschehen ist, bevor es die Worte fand für das Unsägliche. Und die sich selbst auferlegten Ordnungen und Disziplinen, die den Verzagtheiten den Sprit zuführen für das Weitergehen, immer so nackt unter den aufwendigen Kostümen, wo sich hier und da die Narben breit machen von Gewesenem, das durchstanden bzw. durchgelegen sein wollte und musste. Unter leicht verschleiertem Himmel schaue ich auf das zusammengesetzte Bild, das sich uns immer darbietet als Norm, an der die Wesen entlanggehen mit ihren lauernden Bedürftigkeiten, durch tägliche Rituale im Zaum gehalten. Das ist das große Versprechen des Gottes im Wunschraum der Menschen, dass er schon das Richtige wird wählen können für sie, er, der Hüter der Herden. Doch auch der oder die, die/der das Schafsein nicht kann, will behütet sein und geschützt vor dem Zugriff des Schicksals. Das Schicksal aber, was auch immer es sei,  nimmt den Einen mit, und den Anderen lässt es liegen. Der Mutter der Zwillinge, berichtet mir Dipu, hat die Familie noch nicht mitgeteilt, dass ihr Kind tot ist. Sie ist wohl mal in den Brutkasten-Raum gegangen und meinte, beide ihrer Söhne dort zu sehen, aber da war er schon gar nicht mehr da. Sie möchten das andere Kind noch eine Weile schützen vor ihrem Schmerz.

pilgern

So, hier nochmal ein Photo von der Bühne des Festivals, ziemlich bescheiden für den photogenen Glamour, der dort installiert war und das einzige in der wilden Schlacht der Bilderzeugung, das ich aufgenommen habe. Nach gehörigen Widerständen und einem chai mit Lali hatte ich mich dann doch entschieden, mich in die Festivalpilgergruppen einzureihen, und siehe da, es ist immer auch gut zu schauen, woher die Widerstände kommen, denn es war in der Tat eine gemütliche und festliche Stimmung dort und ich habe einen höchst angenehmen Platz bekommen zum Einsinken in das Ganze. Was mir die Leute aus dem Dorf vorher mitgeteilt hatten, war natürlich auch wahr: es gab kaum jemanden, den ich kannte, und die befürchtete Ansammlung von Foreigners war auch nicht da, da die meisten schon nach Goa abgezwitschert sind. Und so waren es vor allem indische Touristen, die herumströmten, und natürlich die niemals fehlen dürfenden VVVVVIPs, deren Reden mit der üblichen Arroganz strotzten, der Herr Minister und der Herr von der Zementfirma, viel Reichtum, viel Bauen, ab und zu mal sponsern und die Pausen zukleistern mit Advertisements auf den riesigen Screens. Wahrscheinlich fühlen sich die Einheimischen ausgebootet aus ihrem Lotusreich, und sie mögen auch nicht, dass die Performer mit dem Rücken zum heiligen See spielen, und sogar Ausländer dürfen da singen, na sowas. Die Performances sind exzellent, ein Franzose organisiert das zusammen mit einem indischen Event-Hecht, das ist schon beeindruckend. So saß ich wohlig herum, und ab und zu setzte sich mal einer aus dem Dorf neben mich und freute sich wie ich, dass Familie anwesend war. Vorne auf der Bühne und auf den Screens sang eine Frau souverän die meisterhaften Lieder, deren Sog einen von der Verblüffung ins ungläubige Staunen transzendieren können, und in die Dankbarkeit, an einer Kunst teilgenommen haben zu dürfen, die ohne ihresgleichen ist. Und dann: ein Lied nach dem anderen, kein Nachlassen in der Qualität. Währenddessen waren im Publikum hauptsächlich Smartphones anwesend. Mit einer ungebremsten Intensität knipsten sich unentwegt Menschen selbst und in schnell wechselnden Gruppen, alle schon vollkommen fixiert mit dem selbstverliebtesten Ausdruck im Gesicht, wo man die erfrorene Phantasie über die eigene Selbstwahrnehmung mühelos ablesen konnte. Noch selten habe ich so eine unverblümte Ich-Leidenschaft am Werke gesehen, so als erschienen überall Spiegel im All, wo man geht und steht, und ist unter Zwang, immer denselben optimalen Eindruck zu hinterlassen, den man sich durch gnadenlos anerzogene Kritik am stets schnell studierten Selfie abgerungen hat. Die mystische Substanz des Universums, das Lebendige genannt, weicht hier wie automatisch zurück vor dem Unvermeidlichen, das keinen Namen mehr trägt. Hält man die lineare Kontinuität des sich ständig Entwickelnden für grenzenlos, so kann man sich einiges Natürliche und Interessante noch vorstellen im Zusammenspiel von Mensch und Maschine, denn wer sagt, dass es nicht spannend ist, halb Mensch, halb Maschine zu sein, ist der Umschwung doch bereits im Gange. Läuft die Zeit dagegen kreisläufig wie die Jahreszeiten z.B., so wird klar irgendwann, dass der dritte Akt im Drama auch ein Ende hat und dadurch nicht jeder Logik entbehrt. Die viel besprochene und als solche auch erfahrene Verdunkelung des Bewusstseins ist hier das notwendige Mittel einer Weltermüdung, ohne die kein gelungener Ausklang stattfinden kann. In der Zwischenzeit singen die Sänger ihre Lieder, und wer kennt schon die ekstatischen Zustände der Indigo-Färber. und der noch lebenden Meister der altenTempel-Architektur, oder wenn man sich als Glyphe wiederfindet im Buch der Steine. Warum ich, wegen meiner derzeitigen Nüchternheit, den Weg der mystischen Erfahrung zurückgelassen hätte, fragt mich Leslie, der gerade aus Australien angereist ist. Wie kam’s dazu. Beim Angrübeln der interessanten Frage bemerkte ich, wie es drohte, bei der Geburt, gar schon vorher, anfangen zu müssen. Da wurde ich (hihi) vor mir gerettet. Verlassen, sagte ich zu ihm? Wer sagt, ich hätte ihn verlassen. Ist nicht der nüchterne Blick vielleicht auch der mystische Weg?

Juan Gustavo Cobo Borda

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Poetica
Wie jetzt noch ein Gedicht schreiben,
warum nicht endgültig schweigen
und uns viel nützlicheren Dingen widmen?
Warum die Zweifel vergrößern,
alte Konflikte, unverhoffte Zärtlichkeiten
neu durchleben;
dieses Quentchen Lärm
einer Welt hinzufügen
die mehr ist, die es doch nur zunichte macht?
Wird irgendwas klarer durch solch ein Knäuel?
Niemand braucht es,
Relikt vergangener Herrlichkeiten,
wem hilft es, welche Wunden heilt es?

trauern/feiern

 

Das erste Bild habe ich heute früh von meinem Fenster aus gemacht. Die Spezialbeleuchtung gehört zu dem Festival, das heute beginnt und zwei Tage andauert. Ich bin aber nicht in Feierlaune, obwohl es letztes Jahr ein paar wunderbare Gesänge gab aus verschiedenen Ländern, und vielleicht wird es Trostreiches geben für die Ohren. Der kleine Zwillingsbruder hat es nicht geschafft, ich wusste es gleich, weil niemand von der Familie bei der Arbeit am See erschienen ist. Das Bild rechts ist für ihn. Ich denke, er steht auch für die Trauer, die ich trage für die unheimliche Anzahl von Kindern, die entweder aus irgendeinem Grund ihr Leben nicht leben konnten, auch ich war beteiligt an diesen Gründen, oder aber so früh durch Kriege oder Vergewaltigungen ein Leben hatten und haben, das vor allem mit Entstörungen beschäftigt ist. Diese Kriege und diese Grauenstaten, die niemals wirklich enden, die Mütter und die Väter mit den verdunkelten Geschichten, die Brüder und die Onkel. Als ich heute früh mit drei Brahmanen über den Kleinen gesprochen habe, ging ihre Geste automatisch nach oben, wo der Große Entscheider wohnen soll über Tod und Leben. Meine Kompassnadel zeigt auf menschliches Fühlen und Leiden hin, das getragen werden muss und geteilt. Das ist schön hier, vor allem für mich, dass ich überall alles offen und kastenungebunden ansprechen kann, denn noch sind sie erreichbar, wenn auch 80% der Anwesenden mit ihren Smartphones beschäftigt sind. Gestern erzählte mir Sunita, dass ihre zwei Söhne, wenn sie nach Hause kommen, gar nicht mehr mit ihr reden, sondern nur noch mit den Smartphones beschäftigt sind. Man kann natürlich leicht ermüden bei diesen Themen, aber für mich war Indien auch immer ein Land, in dem die Dinge, die wir selbst kennen, bei ihren Erscheinungen beobachtet werden konnten und können. Das Ausmaß der Wirkungen, wenn ein Großteil der Bevölkerung auf einmal auf technische Scheiben starrt statt auf das Jetzt, das Da, die Daseienden. Die sichtbaren Spuren im langen Prozess der Entmenschlichung. Denn erstaunlich: alle scheinen zu wissen, dass da nichts mehr aufzuhalten ist. Dass da tatsächlich etwas Unheimliches in Schwung geraten ist, eine von Lebenden ausgelöste Entgrenzung, die ihre vielfältigen Wege sucht, ohne dass irgend jemand diese Wege noch kennen kann. Jetzt bin ich schon einen Monat hier, und ja, schon auch mittendrin. Aber es ist fast so, als wollte etwas in mir die innere Teilnahme am Schmerz vertiefen, denn ich bin ganz froh, dass ich ihn spüren kann, den unvermeidlichen, in mir selbst und den Anderen. Und dann auch, nie zuletzt: das Sonnenlicht und die Farben, das Papier und die Pinsel, und WhatsApp!

bleiben

Eine gute Dosis Fremdsein ist immer, das hört nie auf. Selbst wenn wir immer wiederkämen, es könnte nicht aufhören, es ist der Planet und seine Bedingungen. Was mich in der momentanen Erfahrung der Zeit betrifft, so spüre ich gerade nichts von kosmischer Poesie am Nabel des Seins, eher die Freude an der Stocknüchternheit, wobei der Stock sich noch etwas wandeln könnte, vielleicht in die leichte Nadel eines Kompasses (Nadel-Nüchternheit). Die Nadel des inneren Kompasses ist nervös und beweglich, wie es so ihre Art ist, also mal Osten, mal Westen (mal Norden, mal Süden), und nirgendwo kann sie beruhigt bleiben, weil auch die Richtungen neu geortet werden müssen. Auch wenn man sich sehr lange in einer anderen Kultur aufgehalten hat, wäre es närrisch zu erwarten, dass die Fremdheit, oder das Anderssein  je ganz verschwindet. Warum auch. Als ich mitten im Wüstensand mit Hilfe einer Bruderschaft einen Tempel gefunden hatte, für dessen Betrieb ich zwei Jahre lang verantwortlich war, war es meine Fremdheit, die das Ganze vertraut machte, meine westlichen Augen und Ohren, meine Begeisterung für eine Kultur, die ein solches Leben überhaupt erst möglich machte. Die spannenden Prüfungen des Andersseins bestehen ohne den Verlust des Vertrauens. Wir konnten diese Seinsweise eben gar nicht wirklich kopieren, sondern was sie da hatten, das gab es bei uns gar nicht, darauf konnte man sich nur einlassen. „Geh‘ zurück in dein Land und mach‘  dort deine Dhuni (der Ort, an dem das Feuer zu hüten ist), sagte mal ein Polizist zu mir, der wusste, dass mein Visa abgelaufen war. Da gab es hier noch kein Fernsehen, und die meisten hatten noch nie ein anderes Land gesehen. Eine wirkliche Fremdheit kommt aber erst jetzt auf, wenn das, was für uns so kostbar war, eben das Andere von ihnen, gar nicht mehr zu finden ist, vielleicht noch etwas an der Oberfläche. Und das Verständnis, das es aufzubringen gilt für das neue Habenwollen der nie gehabten Güter, die Logik im Rahmen des indischen, kollektiven Werdegangs, der geprägt ist, wie prophezeit von den Sehern, von der Gier nach den Dingen, die die neuen Seinsprogramme gestalten. Schablonenhaft legt sich das Vergessen über den Götterhimmel. Die Geborgenheitsschaukel ächzt in den Scharnieren. Das einst gerne reflektierte Selbst wird endgültig verschachert als Ich. Na gut, aus „es“ soll „ich“ werden, zumindest eine Chance für Einzelne, Geist und Materie in Einklang zu bringen. Das wird dauern, genauso lange, wie das westliche Yoga braucht, um glaubwürdig zu werden. Daher nehme ich nun Licht und Schatten widerstandslos mit an den See. Auch ich bin verwandelt. Will ich bleiben, weil es noch etwas zu tun gibt, was ich gut kann? Zum Beispiel unermüdlich meine Überzeugung kundtun über Wert und Substanz dieses Daseins, und dass ich (u.a.) auch hier unter ihnen als Frau meine eigenen Wege gegangen bin und immer noch gehe, und meine Gedanken, geschult von Systemen, ja, aber dann doch aus der eigenen und direkten Erfahrung kommend. D a b e i bleiben.

gute(r) Dinge

Man muss sie ja aufmerksam sehen und finden, die guten Dinge und Nachrichten, wie zum Beispiel auch dieses Bild mit der lagernden Kuh unter dem Banianbaum, so zeitlos wie ein altes Gemälde. Daneben hat jemand eine Statue hingesetzt, die ich mir dann näher angeschaut habe, s.o., immer wieder staunensbereit über ihre Formen und Inhalte,  soweit erkennbar.  Als ich sehe, dass die Figur 6 Gesichter hat, weiß ich, dass es nicht Brahma sein kann, denn der hat nur fünf. Es ist Karthik, höre ich, der Sohn von Surya Dev, der Sonne, weil hier die Sonne ein Gott ist, männlich, und das ändert auch an der weiblich erscheinenden Schminke nichts. Auf dem Weg habe ich Prithvi zum ersten Mal wieder gesehen, der junge Mann, der mit 5 Jahren einen Unfall hatte, bei dem er ein Bein verloren hat und nun herumsitzt, um Münzen für sich und seine Mutter zu sammeln. Er war gut drauf, weil jemand ihm ein künstliches Bein sponsert, ich halte die Daumen. Dann musste ich nochmal Daumen halten, weil mir Dipu, ein Brahmane, der nicht weit vor meinem Fenster seine Brahmanendienste anbietet, von großen Spannungen in der Familie erzählt, denn seinem Bruder und seiner Frau ist nach 9 Jahren Ehe (dankbarer Blick da hin, wo Gott vermutet wird), ein Zwillingspärchen beschert worden, gleich zwei Söhne (!), aber eine Frühgeburt, und sie bangen um das Leben des Einen, dem es nicht gut geht. Mit Daumen halten ist hier Segen geben gemeint, ich tue mein Bestes und habe tatsächlich heute früh an den kleinen Wurm gedacht mit dem tiefen Wunsch, er möge den Anderen nicht alleine zurücklassen. Vielleicht sollten sie die Beiden zusammenlegen, habe ich vorgeschlagen, weil es mal so eine Geschichte gab, wo eine Nachtschwester dem sterbenden Kleinen seinen Bruder dazugelegt hat in den Brutkasten, und er hat gelebt…..Und dann habe ich noch eine sehr schöne Geschichte zu erzählen, sozusagen die Fortsetzung der Liebesgeschichte, deren Zeugin ich (und viele andere) seit ein paar Jahren sein durfte, zwischen einem mächtigen Lemuren, einer silbrigen Affenart, die man gerne mit Hanumann, dem Affengott, abgleicht, und einer braunen, kleinen, weiblichen Äffin, die sich offensichtlich für ein Zusammenleben entschieden haben, wie auch immer es gekommen sein mag. Leztes Jahr war sie schwer am Schwanz verwundet und wird in dem Lemurenstamm nur widerwillig und angstbesetzt geduldet, denn die Braunen sind verhasst und haben auch mich letztes Jahr gebissen. Aberaberaber….was sehe ich hier entlangturnen, mitten in der silbrigen Meute: die braune Dame. Der Schwanz muss wohl abgefallen sein, aber auf ihrem Rücken turnte ein kleines Äffchen, ich war sprachlos vor Überraschung. Dann bin ich zu Mohan und habe ihn gefragt, ob er das mitbekommen hat. Ja klar, sagt er, sie sind immer noch zusammen, und sie hatte noch ein Kleines, das ist jetzt selbständig. Zwei Kinder hatten die Beiden miteinander! Ich hoffe, ich erhasche noch ein Bild von ihnen. Sie waren oft auf meiner Terrasse vorher, jetzt wohnen da zwei Katzen, vielleicht bleiben sie deshalb fern. So, das war nicht schlecht für einen Morgen, denn auch meine Wasserpumpe im Haus wurde durch die übliche hypnotische Penetranz, mit der man hier etwas geregelt bekommt, wieder repariert, eine sehr persönliche Freude, aber was ist schon „persönlich“. In einer ihrer Synapsenkammern machte sie sich eine kleine Notiz unter der Rubrik „evtl. Denkenswertes“.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Erdling

Die Überschrift mit der Frage „Sind Erdlinge allein?“ stand in der Times und gefiel mir einfach so als unabhängige Frage, auch wenn der Kontext, nämlich, ob wir im All „allein „sind oder nicht, hier Teil einer globalen Umfrage war. Das kann einen ja in der Tat in bestimmten Stimmungen seltsam anmuten, dass wir vielleicht hier im Sternen-und Planetentheater die Hauptrolle spielen, wenn man es so sehen will, und dass bisher jeder Wunsch nach Auftritten von unterhaltsamen Aliens, vor allem wegen ihrer Außerirdischkeit, unbeantwortet geblieben ist. Allein unter Billionen ErdherumwuslerInnen also? Die Inder haben ein beliebtes Sprichwort, „akela ana, akela jana“, heißt: allein kommen, allein gehen. Aber selbst das ist ja sehr unterschiedlich, und auch, wie man „alleine“ auffasst. Und selbst wenn Anfang und Ende alleine zu bewältigen wären, gibt es in der Mitte ein langes Stück, wo nix alleine ist, vielleicht in einem erschaffenen Freiraum ein Denken, das sich selbst schult. Oder zum Beispiel mein Alleinsein hier ist irgendwie vollkommen eingebettet in das gesellschaftliche Leben der Anderen. Es hat nur einen riesigen Freiraum, weil ich diesen bestimmten Weg gewählt habe, mich allein mit Anderen darin aufzuhalten. Auch der Tag, wo immer er sich gleichen mag, birgt  die kreative Mühe, ihn allein und mit Anderen zu gestalten, damit das allgemeine Ungestörtsein erhalten werden kann, zumindest im möglichen Maß. Ich frage mich natürlich auch zur Zeit manchmal, ob ich wirklich schon gelandet bin, was vielleicht darauf hinweist, dass ich mich noch auf dem Surfboard befinde? Wie wir wissen, wurde auch der Silver Surfer müde, auf der Erde einen Trenchcoat zu tragen, damit seine Seltsamkeit nicht so zum Vorschein kommt. Außerdem hat er Heimweh nach Zen-La, wo Shalabal auf ihn wartet. Ja, zurück zu uns, den Erdlingen, so allein? Wenn man einige Hindernisse bewältigt hat und noch am Leben ist, besinnt man sich auf das, was zu tun ist. Auf dem Mars? Auf dem Mond? Erdflüchtling werden? Nein! Ja, ich habe ein Surfboard, aber ich bin auch überzeugter Erdling. Was die Aliens betrifft, so habe ich hier viele getroffen und mich erfreut, vielleicht war ich auch erschreckt über die Vielzahl der Seltsamkeiten. Und dankbar natürlich. Wer hätte gedacht, dass mich mal so eine tiefe Dankbarkeit ergreift, dass ich hier dabei sein kann in meiner eigenen Zeit, mit meinem eigenen Ideenreichtum, meiner eigenen Gestaltungskraft. Dass die Gesetzmäßigkeiten doch zu erkennen sind in all dem Dickicht, dem Dschungel des Menschseins, dass eine Liebe aufgetaucht ist für die innere Ordnung des Wesens, eine Zurücknahme des Hungers, damit das Bild und die Orte des Aufenthaltes und die Menschen darin sind, was sie sind, und ich darin bin, wer ich bin.

Das Bild unter meiner Zeichnung zeigt die herausgeschnittene Überschrift auf einer Steinwand im Haus.

 

notwendig

„Notwendig“ ist das passende Wort, wenn etwas getan werden muss, das andernfalls zu einer Not führen würde, und auf jeden Fall zu Spannungen in den familiären Beziehungen. So sitze ich also gestern mit vier Anderen im Auto nach Merta City. Aus dem Radio tönen die neuen indischen Schlager, nicht übel, muss ich sagen. Die Inder sind berühmt und berüchtigt für ihre Kopierexzellenz, aber das ist oft nur eine Basis für sie, um noch besser zu werden als die Kopie. Der Sound ermöglicht es dann, mich näher über die Tote und die Umstände ihres Todes zu unterhalten. Wir sind auf dem Weg in eine andere Religionsgemeinschaft, die Jain Gemeinde, deren Tempel wirklich sehenswert und beispiellos schön sind. Im Gegensatz zu den Hindu Ritualen (Jains sind auch Hindus, aber eben Jains) verabschieden Jains die Toten nur drei Tage, nicht die ellenlangen zwölf bei den Hindus, für die eh keiner mehr die Geduld und Zeit hat. Sobald wir ankommen und wegen der engen Gassen das Auto entfernt parken müssen, pilgern wir durchs mittelalterliche Dorf, eine willkommene Abwechslung, vor allem ich, für die EinwohnerInnen. Begleitendes „kanafusi“, Flüstern. Dann sehe ich Ayesha zum ersten Mal nach Monaten, aber sie signalisiert mir sofort, dass ich sie erst umarmend begrüßen darf, nachdem ich im Tempel war, denn sie hat ihre Tage und darf nun alles Mögliche nicht, auch kein Kochen. Dann geht das Tempelwandern los. Erst sitzen wir, immer auf dem Boden natürlich, eine Stunde lang mit der Jain-Gemeinde in einem kalten Raum, dessen Wände geschmückt sind mit Photos der Mönche und Nonnen, die alle Mundschutztücher tragen, um kein Leben auszulöschen. Sie gehen nur zu Fuß und tragen dabei eine Art Wedel, mit dem sie die Straße kehren, wenn sich da was bewegt. Wir sitzen also rum vor dem Bild der Verstorbenen, deren Körper sich bereits in Asche aufgelöst hat, und ihr Sohn wirkt leicht traumatisiert, weil er sich ein Leben ohne Mutter noch gar nicht vorstellen kann. Ich sehe in Ayeshas Blick einen Hauch von Verachtung.  Gut, während der ganzen Zeit unseres Herumsitzens sitzt der Mönch oben im Bild regungslos auf seinem Stuhl. Ich photographiere ihn hinter dem Rücken einer Frau, und selbst, als wir uns alle mühsam wieder erheben und zum nächsten Tempel wandern, sitzt er immer noch da. Die Männer sind (wie meistens) voraus gegangen und wir müssen warten auf der Straße, bis sie aus dem Tempel kommen und wir reinkönnen. Ab und zu frage ich mal eine Frau nach dem weiteren Programm, aber niemand weiß es, denn wir bilden eine Art morphologisches Feld, eine schläfrige Formation, die gelernt hat, in zusammenhängenden Bildern zu funktionieren. Tempel II besteht wie viele Jain Tempel aus weißem Marmor, in jeder Nische ein Marmor Yogi mit offenen Augen, kahl und sparsam, nur der Chef trägt eine Goldkrone. Wieder sitzen alle herum, bis es vorbei ist. Jetzt kommt das Essen, wieder auf dem Boden in einem anderen, großen Raum, lecker und höchst bekömmlich nach der ganzen Tortur. Wir dürfen dann ja nach Hause fahren, aber Ayesha erzählt mir, dass es am nächsten Tag, also heute, noch eine „function“ gibt, und zwar speisen sie 12 Brahmanen, das ist so üblich, damit die Totenreise gut  läuft. Brahmanen?, frage ich mal wieder eine Vertraute. Brahmanen, erklärt sie mir bereitwillig, kommen gleich nach Gott. Ich muss es wohl nochmal hören. Ihr Gatte läuft die üblichen 10 Meter vor uns her, manchmal Signale sendend, was zu tun und zu lassen ist. Trotz seiner Zeichen kaufen wir alle Gemüse, weil es in Merta die Hälfte billiger ist als bei uns auf dem Markt. Sie zwingen mich, ein Kilo Tomaten zu kaufen, denn ich bin bereits morphiologisiert. Im Auto wird’s gemütlich, weil alle außer dem Fahrer vor Erschöpfung einnicken.

gehen

Da ich gerade beim Pinseln an diesem Bild war, als eine Todesnachricht hereinkam, wird es wohl mein Beitrag für morgen sein, bzw. wird morgen dann „heute“ heißen, denn ich schicke es morgen ganz früh ab, da ich dann los muss zu irgendeinem der Rituale, wo man mich dabei haben möchte. Ich fahre mit Anderen zusammen nach Merta City, eine verschlafene Kleinstadt mit dem berühmten Tempel einer einstmals lebenden Dichterin, Mirabai, die viele schöne Songs ihrer Liebe zu Krishna geschrieben und gesungen hat und einen Gifttrunk und zwei Suizidanschläge der Familie ihres königlichen Gatten überlebte. Da werde ich aber nicht (noch einmal) hingehen, sondern eben zu einer Zusammenkunft der Trauernden. Die Tote ist die Großmutter von Ayesha, die inzwischen 22-jährige junge Frau, die ich kurz nach ihrer Geburt auf der Straße gefunden habe in einem Bündel, und das gute Schicksal habe, mit ihr verbunden geblieben zu sein, auch nachdem es mir mit Hilfe einer Ärztin gelang, eine Familie zu finden, die sie adoptiert hat. Dann ist auch diese Mutter vor ein paar Jahren an Krebs gestorben, und nun die Mutter des Vaters, die lange herzkrank war und nun vor ein paar Tagen halbseitig gelähmt wurde und nicht mehr sprechen konnte. Ich sorge mich um die Lebende, um Ayesha, denn da waren es nur noch zwei, sie und der Vater, der ein guter Vater war und ist, aber auch ziemlich schwach und nicht entscheidungsfähig. Aber jetzt gehe ich erstmal hin und schaue, was ich vorfinde. Manchmal kann ich verstehen, warum Menschen Geschichten oder Novellen oder Romane schreiben, damit sie für all das Erlebte und Erfühlte und Erfahrene genug Platz haben, und doch muss sich jede/r den eigenen Weg durch das Dickicht bis hin zum Ausdruck bahnen, der einem selbst und der Zeit und den Räumen, in denen man sich bewegt, am besten entspricht.

Antoine de Saint-Exupéry

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Unter der Überschrift „Deine Verantwortung“ stand der folgende Satz aus dem „Kleinen Prinzen“ in der „Times of India“ an einer der drei unauffälligen Stellen, wo täglich Zitate und Sätze stehen, die dem Verantwortlichen dafür zusagen. Er hat mich vermutlich wegen der gefährlichen politischen Lage in seiner Einfachheit besonders angesprochen mit der Frage, wie das am besten zu bewerkstelligen sei.

 

“ Es ist eine Frage der Disziplin“, erklärte mir der kleine Prinz dann.
Er fuhr fort: „Wenn du dich morgens gewaschen und angezogen hast,
muss du dich um deinen Planeten kümmern.“

 

wieder

Ja!, die Sonne ist wieder da, man lächelt einander verständnisvoll zu, zeigt gen Himmel, wo alles herunterkommt, und bewegt sich wieder gerne mal woanders hin,  Cyclone Ockhi war gestern. Die drei Photos habe ich auf dem Weg zu Krishna gemacht, Brahmane und Bäcker, das muss man lobend zusammen nennen, denn oft finden die von der oberen Schicht keine simplen Berufe, in denen sie sich wohlfühlen, und nicht jeder kann herumpriestern. Ich hole dort also Brot von der „German Bakery“, wie gutes Brotmachen hier genannt wird, denn es muss einen Deutschen gegeben haben, der es mal jemand beigebracht hat. Während ich mit seiner Frau und den Söhnen Tee trinke, macht Krishna seine Puja (religiöses Ritual), was man auf dem dritten Bild sehen kann, denn das ist er, unter dem Tuch. Es ist ein typisches Bild von einem Hausaltar, der irgendwie in die Mitte des Ganzen eingebastelt wird, und da murmelt er ein gutes Stündchen vor sich hin. So fern man auch davon innerlich sein mag, von den Gottespüppchen z.B., wie sie im ersten Bild hübsch zu sehen sind, von den aufwendigen Ritualen, so kann ich doch auch sehen, was für eine Kraft es in das anstrengende Leben trägt, und wie schwer es durch irgendwas zu ersetzen ist, dieses Licht, das da täglich brennt und an etwas Mächtigeres erinnert, das über uns hinausreicht. Nur im Angesicht sehr erschreckender Realitäten, deren schmerzhafte Kunde sich auch langsam im Lande durchsetzt, kann mich diese Neigung, ein Kind zu sein vor dem Herrn, nicht mehr wirklich berühren. Sie haben sich durch allerlei Ideen, meist in göttlichem Kontext, ins Kindliche eingebettet. Da fällt mir eine Geschichte ein, die vor ein paar Tagen in der Times auf dritter Seite stand. Natürlich eine wahre Geschichte von einem lebenden Priester, der in einem Tempel in Ayodhya schon seit vielen Jahren Dienst macht und hingehen darf, wo sonst keiner hingehen darf, nämlich in den Raum, wo Lord Ram Geburt genommen haben soll. Ram ist nicht nur im indischen Geist einmal König, ein andermal Gott, sondern er wird einmal als Erwachsener, und ein andermal als Kleinkind dargestellt und verehrt. Das ist sogar mit Shiva gemacht worden, na sowas! Hier im Ram Tempel hütet der Erlesene also die Kleinform von Ram, eine, wie er sagt, beneidenswerte Pflicht, die ihn ganz stolz und erfüllt gemacht hat. Er ist der Einzige, dem es erlaubt ist, die Statue des Kleinen, der liebevoll „RamLalla“ genannt wird, eben KleinRam, zu baden, zu füttern und anzuziehen. Ich übersetze locker aus dem Artikel. Da steht auch, dass der Platz im Tempel, wo alle hindürfen, täglich von 10.000 Pilgern besucht wird. Der Priester öffnet den Tempel um 5 Uhr früh und weckt die Gottheit, deren Kleidung gemäß vedischer Rituale täglich gewechselt werden muss, jeden Tag einer anderen Farbe entsprechend. Jaja, so erzeugen sich alle Menschen überall viel Tun, und wenn es zufrieden macht und keinem schadet, und wenn auch die Leute in so Spezialberufen wie Priester z.B. auch keinem schaden, was sollte man dagegen einwenden. Als ich mal einen Lama in Kathmandu fragte, ob es nicht ein bisschen einfältig machen würde, ständig um den Tempel herumzugehen und die Gebetstrommel zu drehen, da meinte er, es käme darauf an, wie man es macht, und es wäre oft besser, als herumzustehen und über Nachbarn zu tratschen. Das kann gut sein. Ich bin da eher für Herausforderungen an das jeweilige menschliche Potential, aber Gesagtes kann durchaus einleuchten, auch wenn es nichts mit einem zu tun hat.
Ach ja, das Bild in der Mitte habe ich von der Brücke aus photographiert mit ein paar der 37 Gänse, die ich gezählt habe. Es war schön, das Licht wieder im Wasser gespiegelt zu sehen nach den düsteren Tagen.

Glück

Ich hatte hier in und mit Indien das große Glück, mich von Anfang an zutiefst dafür zu interessieren, obwohl ich in meiner Jugendzeit niemals an Indien oder eine Indienreise dachte. Aber ein guter Freund von mir hat mich gelockt mit der Beschreibung einer Schule, die von dem Poeten und Philosophen Rabindranath Tagore in Shanti Niketan bei Kalkutta gegründet worden war und die es wohl noch gibt. Es war nur ein Lockvogel, den ich kam nie hin, dadurch aber nach Indien, über Land, wie es einige Jahre noch üblich war. Und ich konnte New York verlassen, das mein Leben doch ziemlich anders geprägt hätte. Wenn ich an diese ersten Eindrücke in Indien denke, so entsprechen sie der Erinnerung an die Begegnung mit dem total Anderen, aber eben nicht total Fremden. Das ist die natürliche Magie Indiens bzw. der Hindukultur, dass es ihnen gelungen ist, auf alle Menschen, die es auf Anhieb lieben, den Eindruck eines offenen Groß-Raumes zu machen, in dem sie willkommen sind, und auf die man neugierig und freundlich schaut(e). Und, wie gesagt wird, dass man es nur lieben oder ablehnen kann, so ist es einem sehr gut bekommen, wenn man es geliebt hat, das Land mit den berühmten Orten der Millionen Götter, den Bergen, wo sich einsam Praktizierende in endloser Reihenfolge auf seltsamste Arten und Weisen abgerackert haben und niemand je wusste, wo und wer sie wirklich waren, wenn auch wenigstens ernsthaft bei der Sache. Ich habe auch mal einen Atheisten getroffen, der schien einfach wie ein weiterer Gläubiger. Überhaupt sind sie hochgeistig fit, die Inder, immer noch muss man damit rechnen, dass man so einen trifft, der alle Schatten verschwinden lässt und alle Zweifel über die Substanz des Geistes, der immer zu allem fähig ist, zu jeder Höhe, zu jeder Tiefe, zu jeder Weisheit, zu jedem Zugang in die Transzendenz. Dieser indische Geist hat eine offenherzige, oft sehr gelehrte Kraft und Macht, und es war in der Tat eine Freude, immer mal wieder, auf alten Steinen herumsitzend, von ihnen etwas Bedeutsames zu lernen, wenn man sie genug angefeuert hatte mit neugierigen Fragen. Als das Leben, vor dem Fernsehen und aller weiteren Technik, noch überschaubar war und alle miteinander im direkten Gespräch, konnte man noch eine Verbindung spüren zwischen der Weisheit der Worte und ihrer Umsetzung in das praktische Leben, die jetzt nicht mehr zu finden ist. Eine neue Zeit ist angebrochen mit neuen Wegen. Dieser Weg in Indien, vom „Wir“ ins „Ich“ zu wandern, ist ebenso mühsam und gefahrenreich wie im Westen der Weg vom „Ich“ zum „Wir“, dem wir so zutiefst widerstreben, weil es so viel einfacher ist, von den Anderen um einen herum distanziert zu sein. Ich meine jetzt nicht nur die kleine Gruppe, sondern alle WeltbewohnerInnen. Man muss auch erkennen, was eine Zeit von einem fordert, was angebracht und förderlich ist für das Weitergehen. Alle Praktiken weisen letztendlich auf eine brauchbare Logik hin, und die mag variieren oder tausende von Jahren den gleichen Gesetzmäßigkeiten folgen, aber dann gibt es auch die Kairos Zeit, wo ein Spalt sich öffnet im kosmischen Raum und vieles ermöglicht, was vorher nicht möglich war, und auch hier gibt es noch Bedingungen. Ob es das Bedingungslose wirklich gibt, ist noch nicht durchgesickert.

trotzdem

Das kleine Bild vorne zeigt den Ausblick aus meinem Fenster am dritten Tag ohne den geringsten Sonnenstrahl, und das schwarze Viereck darauf in der Mitte zeigt die Überreste der Badenden, die im November Vollmond, der besonders heilig ist und eine gute Million Pilger lockt, hier gebadet haben. Ich muss das nochmal kurz revidieren, dass Glauben nicht (mehr) selig machen kann, denn offensichtlich kann er noch. Ja, der Cyclone „Ockhi“ stürmt durchs Land und bringt kalte Winde mit sich, die wir hier zu spüren bekommen. Es ist ja nicht so, als könnte man einfach die Zentralheizung einschalten, denn es gibt sie nicht. Lali, deren Familie ein Restaurant betreibt, kocht dann schon mal auf einem kleinen Kohleövchen, wo man warten muss, bis alles glüht, sonst stirbt man leicht durch den Wunsch, sich warm zu halten. Wer es sich leisten kann, macht einen nicht minder gefährlichen Heizkörper an, der den im heißen Sommer geschätzten Marmor etwas abmildert, vor allem aber die elektrischen Kosten hochschießen lässt. Bei so einem Wetter muss man sich auch hüten, nicht in die Fänge der Kollektivpsyche zu geraten, die man für betäubt gehalten hat, die nun im gemeinsamen Ertragen aber wieder aufblüht. Wer was auf sich hält, tut so, als wär‘ nichts, was natürlich besser ist, als zu klagen, was man eh aushalten muss. Rahul Gandhi, der gerade hochgeboxt wird vom Vizepräsidenten zum Präsidenten der Kongress Partei, hat wegen Ockhi seine Touren für ein paar Tage abgesagt. Sein Schicksal ähnelt dem von Charles aus England, denn irgendwas will einfach nicht klappen. Sonia Gandhi, seine Mutter, war und ist zwar hochgeschätzt, aber auch bei ihr waren die Thronbohrer schon unterwegs und wollten sie immer mal wieder durch ihr italienisches Blut zum Stürzen bringen. Nun wird Rahul, der sich durch einen Bart der Weichei-Häme zu entziehen versucht, angezweifelt, ob er als ein wahrer Hindu gelten darf. Da könnte man schon manchmal einen Schrei der Verzweiflung ausstoßen. Eigentlich hassen die Inder die Gandhi-Dynastie, aber meiner Meinung nach sind sie weniger gefährlich als Narendra Modi, in dessen geheimen Gehirnwindungen sich Schwaden von hinduistischem Fanatismus (noch) verbergen können, und da er die Weltmacht anstrebt, während Kim jong un und Donald Trump den Weltfrieden gefährden, kann er die heiligen Triebe immer wieder kontrollieren. Die Demonetisierung, mit der wir letztes Jahr unterwegs waren, hat auch nicht geklappt. Nicht nur werden ständig Falschgeldhersteller verhaftet, sondern die Preise sind derart gestiegen, dass Unmut sich breitmacht. Und das für Gemüse zum Beispiel, um das keiner herumkommt, und das nur noch, zumindest in meinem Haushalt, durch westliche Gewürzmischungen in kleinen Tüten, die ich mitgebracht habe, zu einem aufgewerteten Geschmack kommt. Und klar, was soll schon in dem Gemüse stecken, wenn man selbst mit einem müden Blick drauf schaut, nein, nicht nur man selbst, alle! Deshalb muss man sich hüten vor dem ermüdeten Blick, so berechtigt er auch manchmal erscheinen mag, denn er vernebelt das potentielle Licht im Blick, das ja auch vorhanden ist. Daher habe ich an den vernebelten Ausblick oben im Bild die Pinselei angelegt, die mit einem Pfeil in die offene Zukunft weist und das müde Auge einfach mit trägt und es dadurch zweifellos erfrischt.

neblig

Das Bild zeigt eine Gottheit, die sich schlafend aus der Welt beamt. (Vielleicht ist sie mit einem blauen Auge davon gekommen, das würde mich nicht wundern). Vor allem auf der kreativen Ebene kann man sich an der Deutungsfreiheit erfreuen, denn sie ist u.a. da, um sehen zu lernen, was man sieht, was nur bedingt auf einen selbst schließen muss. Auch der Blick auf die Welt und die Anderen ist unaufhaltsam eigen, aber mit der Bestrebung, sich ein klares Bild zu verschaffen, kommt auch der Rahmen der Bedingungen in Schwung. Was ist ein klares Bild? Einige Meter von  meiner Eingangstüre sitzt so ziemlich den ganzen Tag ein Mann, der nichts anderes tut, als die Pilger auf dem Weg zum Bad um Geld anzuhauen. Aber er bettelt nicht, sondern er fordert Tribut auf der Basis seiner Brahmanengeburt. Geben sie nicht, flucht er hinterher, dass er Brahmane sei, und ihr werdet schon sehen, was das mit eurem Karma macht. Einst hatte man tatsächlich Angst vor ihnen, denn noch, als ich selbst hier ankam, wurde mir diese Kaste als Magier vermittelt, die kraft ihrer Mantren Unheil über einen bringen können. Die Zeiten, in denen man selig wird, wenn man glaubt, sind auch endgültig vorbei. Dagegen ist das Wundern nicht schädlich und nicht ermüdend, im Gegenteil, es hält auch das Viele, das man nicht erfassen kann, in einem Gleichgewicht mit dem anderen. Denn es gibt sie ja, die lichten Ereignisse, jetzt mal abgesehen von den tiefsten Bedeutsamkeiten der Liebe. Und was habe ich nicht alles hier gelernt, was ich täglich anwenden kann: ich kann eine Kuh vor mir herschieben, um den Weg frei zu machen, oder mit einem Zischlaut einen Hund vom Bein halten, oder ich weiß genau, wo eine Frau pinkeln kann, ohne unter den sich gottähnlich Fühlenden einen Skandal auszulösen, und vieles mehr. Auch in der Zeitung, ganz hinten nach den ganzen Gruseligkeiten, gibt es die Seite mit Artikeln, die oft lesenswert sind. Gestern hat eine Frau darüber geschrieben, wie die indischen Eltern ihre Kinder offensichtlich für total verblödet halten, da sie ihnen nicht zutrauen, ihre eigenen Partner zu wählen, und rät den Eltern zu therapeutischer Behandlung. Es ist das selbständige, genaue Hinschauen, das zu den notwendigen Erschütterungen führt, die eine Veränderung überhaupt erst möglich machen. Diese Kinder, deren Heiraten nach wie vor arrangiert werden mit sehr wenig Ausnahmen, posten und pasten täglich wie wild vor sich hin, und haben Zugang zu allem, was Körper und Kopf begehren. Die Ehe hat viel mit Geldverbindung zu tun. Ist Geld da, läuft die Sache besser. Da verlasse ich gerne das Terrain wegen Unkenntnis. Ansonsten geht im Land immer noch ein Wirbelsturm um, der auch hier alles in Nebel hüllt und das Geisterhafte hervorhebt.

freundlich

Diesen Lichtspalt bzw. Lichtfleck habe ich gestern am Boden vor einer der Türen des Hauses gesehen mit dem Gedanken, dass es gerade so aussieht zwischen mir und der indischen Kultur, oder vielmehr wie ich sie wahrnehme. Da ist ein Lichtspalt zwischen uns, der auf beiden Seiten Möglichkeiten zulässt und auch Licht, aber ziemlich gefiltert, muss ich schon sagen. Interessant dabei finde ich, dass ich mich vollkommen aufgehoben fühle und persönlich absolut nichts zu klagen habe. Rückblickend  sehe ich, dass die teilweise schon ganz schön massiven Anstrengungen, mich hier als Frau ohne Bestimmer, und als Fremde, die ihren eigenen Weg gestaltet, auch wenn sie sich einige Formen und einiges Gedankengut gerne angeeignet hat, mich also hier durchzusetzen mit meiner eigenen Freiheit und Bestimmung, das ist gut gelaufen. Ich könnte auch sagen, dass die stete Bemühung um freundlichen Umgang mit allen wider alle Hindernisse und Widrigkeiten eine sehr förderliche Wirkung hat, da weiterhin alles offen bleibt, um den Moment nach bester Einschätzung zu gestalten. Weiterhin zu gestalten nach bestem Ermessen, wie wir es in unserer eigenen kulturellen Umgebung ja auch tun. Das ferienlose Dasein in bestmöglicher Verfassung, die tägliche Übung, der Mensch zu sein, der man nicht nur sein möchte, sondern auch sein kann. Aber da gibt es auch sehr helle und sehr dunkle Ähnlichkeiten zwischen Deutschland und Indien, und das arische Gedankentum hat hier in Indien noch nicht seinen Abgrund erreicht, ist aber lebendig. Vielleicht komme ich durch die Entwicklungen in eine Möglichkeit der Erfahrung, wie es gewesen sein muss, als die Deutschen sich noch als Volk der Dichter und Denker begreifen konnten mit hohen, moralischen Latten, bevor sie, immerhin eine große Masse, mehr oder minder bereitwillig auf die niedrigste Stufe des Menschseins herabgesunken sind. Als ich aus Indien nach Jahren zurückkam, konnte ich in einem Verlag, in dem ich zu arbeiten anfing, ein paar der Bücher lesen, die vor Hitlers Anmarsch geschrieben wurden und noch keine Samen der Zukunft in sich trugen. Oder vielleicht doch. Wer weiß schon, was in den inneren Welten der Anderen vor sich geht, wenn sie einem nicht enthüllt und verständlich gemacht werden? Ja, diese Bücher, die waren von klarem Denken geprägt, das einem ein Wohlgefühl bereiten kann. Das ähnelt sehr dem Denken indischer Philosophen, denen es nicht vor allem ums sogenannte Heilige geht und ging, sondern um das authentische Erfassen des eigenen Blicks auf die Welt, der durch andere Blicke geschult wurde, die das Feuer im Herzen wach halten konnten. Aber hier scheint sich ein Ungeheuer im Dunklen geformt zu haben, das geht um und keiner kann es bekämpfen und besiegen. Es wurde zu lange nicht beachtet, denn es frisst vor allem Frauen und Kinder. Da mangelte es wohl an der Schulung der Gefahrenerkenntnis, bis die Frauen in einigen Gebieten anfingen zu fehlen. Nun gibt es auch „bei uns“ das Darknet, und man will nicht wirklich hinein, und man muss auch nicht, denn es dringt unüberhörbar hinaus. Ich komme hier in Indien mit Frauen in Kontakt, die alle keine Wahl haben, keinen Pass, keine Möglichkeiten für ein selbstgestaltetes Leben. Man muss einmal sehr tief und in vollem Bewusstsein der Tatsachen darüber nachdenken, überhaupt schauen, wie man darüber denkt, am besten, zusammen mit Männern darüber nachdenken, was keine leichte Aufgabe ist. Als Plato Diotima als philosophischen Kunstgriff für ihren Dialog mit Sokrates einführte, ging es um Liebe, die man Diotima erklären ließ. Um Liebe geht es immer noch, es geht immer um Liebe, aber es geht auch um das Vermögen, tiefstes Erschrecken zuzulassen und eine berechtigte Angst um den Verlust menschlicher Würde, die nun so antastbar scheint.

Purnima

Eigentlich wollte ich den Vollmond aufnehmen, aber er kam von meiner kleinen Terrasse aus gesehen direkt neben schrillen Lichterketten hoch, die nun so beliebt sind an Hotels und Restaurants, und wild und irritierend vor sich hinblinken, so als wollten sie dringend herausfinden, wer sie wirklich braucht, nun ja, vielleicht brauche nur ich sie nicht. Der Mond selbst war hinter Dunstschleiern versteckt, so entdeckte ich genau darunter meine Nachbarschaft im Abendlicht, so hübsch und gleichzeitig geisterhaft, da das „heilige“ Baden im See vorbei ist und das menschliche Treiben im Bazaar stattfindet. Auch die Brahmanen hängen nicht mehr traubenweise auf den Plätzen herum, bis zuhause serviert wird, denn es wird kalt. Dazwischen gibt es immer wieder kurze Zeiträume, wo die Temperaturen angenehm sind. Gerade haben sie die enorme Hitze hinter sich gelassen, die seit Jahren nicht mehr durch den Monsoon erleichtert wird, denn es regnet kaum mehr, und das Wasser, das zum Geldverdienen mit den Pilgern dringend nötig ist, wird aus der nahe gelegenen muslimischen Stadt hergeleitet. Die Inder waren Meister der göttlichen Zusammenhänge, und unter dem leidenschaftlichen Glanz ihrer Glaubensformen brach (und bricht immer noch) jede westliche Vernunft zusammen. Die indische Intelligenz aber fand ihre Zweitgeburt in der Technik. Wie sich das in ihren Gehirnen eingerichtet hat, ist schleierhaft geblieben, aber es muss von den strikten Götterordnungen herrühren, dass ihr Genius sich hier niederlassen konnte. Im Smartphone stößt das Ganze nun auf die Weltader. Der phallische Halt war genau das Richtige in einem permanent abstürzenden Strudel, in dem keiner mehr die Richtung angibt. Das Resultat könnte durchaus aufbauend sein. Doch es scheint eher ein innerer Kampf gegen die Menschenermüdung zu sein. Vielleicht bewegt sich auch was. Lali, die mich gestern zu gemeinsamem Espressotrunk besucht hat, hat mir erzählt, dass es nach Asaram Babu, einem inhaftierten, einst gerühmten Guru, der sich kleine Mädchen bringen ließ, dass es also nach ihm noch eine ganze Reihe von Guruverhaftungen gab mit lebenslangen Haftstrafen wegen Vergewaltigungen und Morden an Frauen und Mädchen, wenn sie drohten, alles zu erzählen. Ich fragte sie, ob es im Volk auch Gespräche darüber gibt, und sie meinte, vor allem die Frauen seien aufgewacht und verlieren jeden Respekt vor diesem tausende von Jahren sich fest etabliert habendem Zirkus. Vielmehr weiß man ja oft nicht, wann der Zirkus wirklich begonnen hat, das ist doch in allen Religionen so, wenn keiner mehr kritisieren darf oder klar sehen, was da wirklich ist, und wer kann schon wie von Jesus behauptet wird, durch die Tempel toben und tacheles reden. Im WDR5 gibt es ja auch diese paar Minuten „Religion“ vor den Nachrichten um 7 Uhr, da wird mir auch schwummrig bei diesen Stimmen, die einem irgendwas einsäuseln wollen, was nicht mehr zur Debatte steht. Sicherlich ist es schön für ein Kind, einen Papa zu haben, aber der Erwachsene muss zumindest eine klare Wahl treffen können, wie und wo er den Papa (und die Mama) haben will. Prakash wiederum, den ich vorgestern besucht habe, will durch hektisch durchgeführtes Pranayam zu den ewig Junggebliebenen gehören, das fand ich auch ein bisschen erschütternd, er ist bald 50. Wir konnten nicht wirklich einen gemeinsamen Faden finden, weil er derart „stoned“ war an Bang, dass ich schon vom Anblick etwas „high“ wurde, so viel zum alten Sprachschatz. Heute auf dem Rückweg habe ich eine Vogelfeder auf dem Boden liegen sehen, die war über die Hälfte ganz schwarz, dann oben weiß. So kommt es mir auch ein bisschen vor, dass ich mich vom Dunkel ins Hell durcharbeute, vielleicht täglich, um dem Gefüge irgendwie gerecht zu werden. Vielleicht auch, weil ich selbst als ein Glückskeks mit dem Schlüssel meinen burgähnlichen Wohnort aufschließen kann und, wenn ich möchte, die Türen hinter mir schließen, so muss ich doch auch mit der Ohnmacht umgehen, dass mir so wenig einfällt, was helfen könnte. Vorbei die philosophischen Schulen, die Religionen, die Ashrams. Man kann sie bereits als leere Hüllen sehen. Man will es den Menschen zutrauen können, sich selbst zu erziehen. Vertrauen erschaffen in Inseln und Oasen.

Brahma

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Brahma wird übrigens auch „Adivaki“ genannt, der erste Poet, obwohl er in dem Auszug aus dem Bericht seines Opferfeuers, der hier gleich erscheinen wird, nicht sehr poetisch rüberkommt. Es ist eine dieser Schöpfungsgeschichten, die hier am See in karger Form täglich erzählt werden, wobei einiges auch nie erwähnt wird, weil die meisten die Geschichte gar nicht wirklich kennen. Ich hatte vor vielen Jahren das Glück, auf der Terrasse eines Hotels einen Parsen zu treffen, Aditya Malik, der Professor war in Heidelberg und mir seine Übersetzung dieses Werkes auf Deutsch überreichte, die jetzt vor mir liegt. Immer wieder mal habe ich vor allem diese Stelle gesucht und gelesen, weil sie so einiges aussagt über das tief Eingesackte in den Hindu Gehirnen, das in den Gläubigen wenig Zweifel weckt, obwohl es so ungeheuerlich ist, aber auch überraschend, was vor allem seine Frau, Savitri, betrifft. Die kommt nämlich zu spät, weil ein intriganter Narr sie aufhält, und da nimmt Brahma eine andere Frau, Gayatrie, die zwar noch Jungfrau ist, also schon ein bisschen akzeptabel, aber aus der Milchkaste kommt, und daher durch eine Kuh gezogen werden muss, um totale Reinheit zu empfangen. Savitri, endlich am Ritual des Schöpfers angekommen, ist stocksauer, als sie ihren kläglichen Ersatz sieht, und hier kommt die Originalübersetzung im Moment, als Savitri alle Anwesenden wegen dem Milchmädchen verflucht hat:

„Nachdem Savitri die Götter so mit verschiedenen Verwünshungen belegt und alles gesagt hatte, o Zweimalgeborene, wandte sie sich ab und lief zusammen mit den Götterfrauen aus dem Opfersaal, zischend wie ein Schlangenweibchen und mit zornerfüllten Augen. Als Brahma sie hinausgehen sah, sprach er: Sei nicht zornig, o Savitri, es besteht hier auf meiner Seite keine Schuld. Als ich erkannte, dass die Zeit für die Opferung verstrich, bekam ich Angst und habe, o Großäugige, Gayatrie gebeten und an die Stelle der Gattin gesetzt. Du bist aber die Älteste, die Beste, von guter Familie und weise. Deshalb höre auf mein Wort und schmücke das Frauengemach mit deiner Anwesenheit. O Göttin, diese Gayatrie wird deine Dienerin sein bei allem, was es zu tun gibt. O du Glückverheißende, deshalb gib den Zorn auf. Ob reich oder arm, hässlich oder dumm, stets soll der Mann von den Frauen verehrt werden, sogar wenn er böse Taten begeht. Selbst ein Gatte, der Unangenehmes tut, der ständig den Frauen anderer nachstellt, ist für Frauen, die aus edler Familie stammen, äußerst verehrungswürdig, o du mit dem schönen Lächeln.
(So, hier könnte man vor Wut ja selber platzen, aber Achtung, es folgt zum Glück noch Savitris Rede, leider von den Hindufrauen selten zu Herzen genommen, vermutlich, weil die Stelle wenig zitiert wurde. )
Savitri sprach: Ich will dorthin gehen, du Lüstling, wo man noch nicht mal deinen Namen hört. Diesen Entschluss habe ich jetzt fest in meinem Herzen gefasst.
Als sie so gesprochen hatte, erklomm die Göttin den Gipfel des Berges, ließ sich dort nieder und übte Tag und Nacht die höchste Askese.
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Na ja, immerhin. Und das Opferfeuer (Yagya) wird immer noch zelebriert, und die Brahmanen, die da draußen vor der Tür rumsitzen und auf Opfer warten, die sie ausbeuten können, denken immer noch, sie sind anbetungswürdig, egal, wie bescheuert und korrupt sie sind. Und zu Savitri wird immer noch gepilgert, und zu Gayatrie auch. What to do?

Was das Bild betrifft, so muss ich gestehen, dass ich immer noch nicht weiß, oder immer wieder vergessen habe, warum er drei Köpfe hat, und manchmal auch fünf.

langsam aber sicher

Allerdings habe ich nirgendwo den kosmischen Raum so tief erlebt und erspürt wie hier. Von hier kam mein kosmisches Fieber, mein schwer zu erschütterndes Vertrauen in den Geist, der gibt, was sich manifestieren will und sichtbar wird. Diese erschreckende Freiheit des scheinbar emotionslosen Wesens des ganzen Gefüges, das vielleicht Liebe ist, bedingungslos zuführend, was erdacht und erwünscht wird? Doch vor dem großen Wandel und den schrecklichen Enthüllungen war die Struktur ausgewogener, nein, es schien oder scheint von jetzt her nicht nur so, sondern im Gleichgewicht der Kräfte hat eine schwerwiegende Verwandlung stattgefunden- Ich habe immer gerätselt, wie es geschehen konnte, dass das riesige Volk der Hindus (und unter ihnen Muslime, Parsen, Buddhisten, Jains und die Sikh Gemeinde etc) so offensichtlich immer wieder oder unbeirrt durch alles hindurch zufrieden waren mit der Last ihrer göttlichen Pflichten. Ja, es war ihr Lebensinhalt und machte an Heirat und Kindern nicht halt. Die Pflichten sind noch da, aber ins weltliche Getümmel gestürzt bieten sie keinen kollektiven Schutzschirm mehr unter der Schirmherrschaft der Götterwelten. Der Mund spricht noch, aber er spricht allein und noch nicht mal zu sich selbst in klärendem Dialog. Es ist schon verrückt und auch irgendwie absurd, dass gerade jetzt, wo die Frauen zu sprechen beginnen und Aussagen machen zB von den Übergriffen und den Respektlosigkeiten, denen sie täglich ausgesetzt sind. Absurd ist, dass das schon lang Fällige nun in einer Welt geschieht, in der man sich entscheiden können muss, wie man mit ihr umgeht. Da lockt nicht allzuviel zum Mitspielen, und das gilt für den wachen Blick aller Altersklassen. Es ist einfach so, dass die Illusionen abwandern müssen, um nicht zuerst beruhigt, dann bedrückt zu werden von ihnen. Sie stehen ja im Weg. Daher die Notwendigkeit des inneren Feuers, der inneren Flamme. Bleibt sie entfacht, kann sie sorgen für einen wie man selbst für sie. Das System wird dadurch langsam aber sicher entstört und ermöglicht gute Bewegung mit den Anderen.

Spieldose

Erste Runde am See. Kein Zweifel, mein Blick ist nüchtern, aber nicht lieblos. Etwas dreht sich im Kreis wie eine Spieldose. Immer noch Erde, immer noch Himmel, immer noch Wasser, wenn auch aufgesaugt bis auf den letzten, natürlichen Tropfen, dann kommen die Rohre und die Gifte und die künstlichen Bäume. Alles schon da, und wer zum ersten Mal ankommt und schaut, ist überwältigt, kein Zweifel. Das wird noch lange dauern, bis die Sonne endgültig hinter der Verschmutzung und Verwüstung und dem klar Sichtbaren versinkt. Auch für uns mit dem leicht ermüdeten Blick ist es noch schön und die Aufregung legt sich da, wo man wirklich nichts mehr tun kann.  Schon verblüffend, wie sie, die einst hochgelobte Erde, nun von der vielversprechenden Fürsorge nicht mehr viel abbekommt. Erde: Hashtag Me Too. Doch der indische Raum hat immer noch diese Besonderheit, dass er offen ist nach allen Seiten für Begegnung. Gut, ich bin hier so sicher und geschützt wie ein Mensch irgendwo sein kann. Die vielen Jahre, einer Ewigkeit gleich, die sie mich haben herumwandern sehen. Auch meinen Ruf habe ich weit hinter mir gelassen. Heute früh habe ich mich daran erinnert, wie es oft auch zum Fürchten war unter ihnen, und wie ich meinen Geist oft nur über meinen (mir von ihnen gegebenen Namen) frei halten konnte vor ihrem Zugriff auf mein Sein. Auch wenn das Ende des Patriarchats auf dem Marktplatz verkündet werden würde, so wäre ihnen das Wort doch noch sehr fremd. In der „Times of India“, die ab heute wieder zu mir kommt, lese ich, dass gestern ein Bericht herauskam, der besagte, dass Kindervergewaltigungen letztes Jahr um 85% angestiegen sind, das heißt in Zahlen 19 920 Kindervergewaltigungen im Jahre 2016, ein kleiner Artikel irgendwo in der Mitte. Das kommt nicht wirklich an in den Herzen oder wie man den Ort nennen will, wo es ankommen muss, um dem Einhalt zu gebieten, was alle Grenzen verlassen hat. Irgendwann kam der große Wandel. Viel Neues wurde aus dem Sand gestampft. Einerseits wurde viel Geld gescheffelt, andrerseits mehrten sich die verstimmten Ausgest0ßenen, aus der Spieldose Geworfenen. Die wollen auch haben, was Andere haben, nur: was haben die Anderen? Wieviel Ausbeutung hält die eigene Welt aus? Das kann doch nicht gut gehen, wenn aus „dena“, geben, nur „lena“ wird, nehmen. Wenn man von sich selbst denkt, dass man gibt, aber wirklich nur nimmt, was man bedingungslos für sich selbst haben möchte. Auch könnte man denken, es gäbe eine Umkehr, ein Zurück, wenn rechtzeitig erfasst wird, was geschieht. Es wird aber nicht rechtzeitig erfasst, und im breiten Strom der unerfüllbaren Gelüste positionieren sich die Ichheiten an der vordersten Front. Gleichzeitig können tiefe Berührungen und tiefes Erschrecken Wachheiten in einem hervorrufen, die vorher nicht möglich waren, oder nicht so dringend notwendig. Schwer sackt die menschliche Bürde hin zum unsäglichen Grund. Was braucht diese Welt?